Gotthold Ephraim Lessing
Der Freigeist
Gotthold Ephraim Lessing

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Fünfter Auftritt

Juliane. Adrast.

Adrast (indem er gähling aufsteht). Wer sprach hier?

Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme.

Adrast. Ja, sie war es. Was für eine Neugierde! was für ein Vorwitz! Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich könnte sie nicht lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen gleichgültig gegen eine jede andere wäre.

Juliane. Was für Verdruß, Adrast, werden Sie mir zuziehen!

Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruß durch meine plötzliche Entfernung zu ersparen wissen.

Juliane. Durch Ihre Entfernung?

Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstände sind von der Beschaffenheit, daß ich die Güte Lisidors mißbrauchen würde, wenn ich länger bliebe. Und über dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, als ihn bekommen.

Juliane. Sie überlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten Sie ihn bekommen?

Adrast. Ich kenne die Väter, schönste Juliane, und kenne auch die Theophane. Erlauben Sie, daß ich mich nicht näher erklären darf. Ach! wenn ich mir schmeicheln könnte, daß Juliane – – Ich sage nichts weiter. Ich will mir mit keiner Unmöglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane kann den Adrast nicht lieben; sie muß ihn hassen. – –

Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast. –

Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan. – – Ha! hier kömmt er selbst.

Sechster Auftritt

Theophan. Adrast. Juliane.

Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten?

Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich wieder an sich zu ziehen? – – Wie wohl läßt es Ihnen, Theophan, und Ihrem ehrwürdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein.

Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort.

Juliane. Erlauben Sie, daß ich mich entferne. Theophan, ich schmeichle mir, daß Sie einige Hochachtung für mich haben; Sie werden keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, daß ich meine Pflicht kenne, und daß sie mir zu heilig ist, sie auch nur in Gedanken zu verletzen.

Theophan. Verziehen Sie doch. – Was sollen diese Reden? Ich verstehe Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe.

Juliane. Es ist mir lieb, daß Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich – – (Geht ab.)

Siebenter Auftritt

Adrast. Theophan.

Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich würde hier nötig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Rätsel zu hören.

Adrast. Meine Geliebte? – – Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht! Gewiß, Sie konnten Ihre Vorwürfe nicht kürzer fassen.

Theophan. Meine Vorwürfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?'

Adrast. Wollen Sie etwa die Bestätigung aus meinem Munde hören?

Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestätigen wollen? Ich stehe ganz erstaunt hier. – –

Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt zwingen, sie abzulegen. – – Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette hinterbracht hat. Sie war niederträchtig genug, uns zu behorchen. – Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden. –

Theophan. Sie lieben Julianen?

Adrast (spöttisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben.

Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine sehr kleine Formalität übergangen.

Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie glauben Ihrer Sachen gewiß zu sein. – – Und ach! wenn Sie es doch weniger wären! Wenn ich doch nur mit der geringsten Wahrscheinlichkeit hinzusetzen könnte, daß Juliane auch mich liebe. Was für eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in Ihrem Gesichte verraten würde! Was für ein Labsal für mich, wenn ich Sie seufzen hörte, wenn ich Sie zittern sähe! Wie würde ich mich freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller Verzweiflung, ich weiß nicht wohin, verwünschen müßten!

Theophan. So könnte Sie wohl kein Glück entzücken, wenn es nicht durch das Unglück eines andern gewürzt würde? – – Ich bedaure den Adrast! Die Liebe muß alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben, weil er so unanständig reden kann.

Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich, was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig groß zu tun; – – doch Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reißen will. Ich weiß nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemäß, hätte er bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich ihn hole.

Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes Herz entdecken. – –

Adrast. Diese Entdeckung würde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe, und bald werde ich Ihnen mit einem kühnern Gesichte unter die Augen treten können. (Geht ab.)

Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was würde er gesagt haben, wenn er mir Zeit gelassen hätte, ihn für sein Geständnis, mit einem andern ähnlichen Geständnisse zu bezahlen? – – Sie kömmt.

Achter Auftritt

Henriette. Lisette. Theophan.

Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen Anblicke verholfen?

Theophan. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not begriffen habe.

Henriette. O schade! – Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien?

Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen?

Lisette. Leider für Sie alle beide!

Henriette. Und meine Schwester stand da, – – ich kann es Ihnen nicht beschreiben, – – stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen Stellung gerne gesehen hätte. Sie dauern mich, Theophan! – –

Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind?

Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glück wünschen.

Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache!

Theophan. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne?

Lisette. Sie wollen sich also doch rächen?

Theophan. Vielleicht.

Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell?

Henriette. Vielleicht.

Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen läßt.

Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf Rache denken.

Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man sich nicht rächen soll.

Theophan. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr unschuldigen Rache die Rede sein.

Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen.

Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche Rache – – nun, und eine weibliche Rache – – Ja! wie bringe ich wohl das Ding recht gescheut herum?

Henriette. Du bist eine Närrin mitsamt deinen Geschlechtern.

Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan. – – Was meinen Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr? so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten?

Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen einander leiden können.

Henriette. Das war der Punkt!

Lisette (beiseite). Will denn keines anbeißen? Ich muß einen andern Zipfel fassen. – – Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe. Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast Mamsell Julianen wirklich liebt.

Henriette. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber gewiß sein!

Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen Überladung des Herzens entspringt.

Henriette. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben!

Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heißt. So wie Leute, die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den Leuten, die sich das Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen. – – Habe ich nicht recht, Herr Theophan?

Theophan. Ich will es überlegen.

Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, und ich halte Sie für allzu vorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so überladen sollten. – – Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und der Mamsell Juliane kommen wollen?

Theophan. Nun?

Henriette. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon hinter der Wahrheit wäre. – –

Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten?

Henriette. Was ist das wieder?

Lisette. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber doch die Gabe hat, den Feind – – zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu bringen. – – Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde, wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger, wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt. – – Ich rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen. – – Nun sagen Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut?

Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß ich mich werde erklären müssen. – – Der Anschlag ist so schlimm nicht; aber – –

Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen. –

Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt.

Lisette. Und Sie, Mamsell?

Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen.

Lisette. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen möchten? – Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was stehen Sie so in Gedanken, Mamsell?

Henriette. Oh! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal.

Theophan. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste Henriette. –

Lisette. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht nachsagen, daß ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell! – –

Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht ärgerlich. Komm! – – Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg sein werden?

Theophan. Wenn ich bitten darf. – –

(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.)

Neunter Auftritt

Theophan. Der Wechsler.

Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich möchte nur ein Wort mit dem Herrn Adrast sprechen.

Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es auftragen? – –

Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf. – – Er hat eine Summe Geldes bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm wieder abzusagen: das ist es alles.

Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was für Bedenklichkeiten? doch wohl keine von seiten des Adrast?

Der Wechsler. Warum nicht?

Theophan. Ist er kein Mann von Kredit?

Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man kann heute Kredit haben, ohne gewiß zu sein, daß man ihn morgen haben wird. Ich habe seine jetzigen Umstände erfahren. –

Theophan (beiseite). Ich muß mein möglichstes tun, daß diese nicht auskommen. – – Sie müssen die falschen erfahren haben. – – Kennen Sie mich, mein Herr? –

Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen hören sollte. – –

Theophan. Theophan.

Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehört habe.

Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige tun?

Der Wechsler. Mit Vergnügen.

Theophan. Haben Sie also die Güte, mich auf meine Stube zu begleiten. Ich will Ihnen die nötigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloß darauf ankommen wird, diese Bürgschaft vor dem Adrast selbst geheim zu halten.

Der Wechsler. Vor ihm selbst?

Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruß über Ihr Mißtrauen zu ersparen. – –

Der Wechsler. Sie müssen ein großmütiger Freund sein.

Theophan. Lassen Sie uns nicht länger verziehen.

(Gehen ab.)

(Ende des vierten Aufzuges.)


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