Gotthold Ephraim Lessing
Der Freigeist
Gotthold Ephraim Lessing

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Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Juliane. Henriette. Lisette.

Lisette. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen ich heute zugehöre. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft über mich ist umzechig. Denn weil es unmöglich sein soll, zweien Herren zu dienen, So hat Ihr wohlweiser Papa – – neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! – – so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedächtig mich damit verschonen wollen, das Unmögliche möglich zu machen. Er hat jede von Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsächlichen Gebieterin gemacht; so daß ich den einen Tag der sanften Juliane ehrbares Mädchen, und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muß. Aber jetzt, seitdem die fremden Herren im Hause sind – –

Henriette. Unsre Anbeter meinst du – –

Lisette. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden Ehemänner sein werden – – Seitdem, sage ich, diese im Hause sind, geht alles drüber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere geschmissen; und ach! unsere schöne Ordnung liegt mit dem Nähzeuge, das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. Hervor wieder damit! Ich muß wissen, woran ich mit Ihnen bin, wenn ich ein unparteiisches Urteil fällen soll.

Henriette. Das wollen wir bald ausrechnen. – – Du besinnst dich doch wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser Vorwerk gefahren wärest? Du warst damals sehr strenge, Juliane! – – –

Juliane. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht?

Henriette. Lisette – –

Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, oder – –

Henriette. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut Gewissen.

Lisette. Ich auch. – – Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins Tausendste schwatzen. – – Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an.

Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute meine.

Juliane. Ohne Widerrede.

Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei!

Juliane. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne?

Lisette. Ohne weitre Umstände: erzählen Sie mir nunmehr Ihre Streitigkeit. – – Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche Falten.

Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide Schäkerinnen. – – Ich will nichts mehr davon hören.

Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, daß du unrecht hast. – Höre nur, Lisette! wir haben über unsre Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch zuletzt daraus werden, was da will.

Lisette. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein künftiges Haupt verachten hört.

Henriette. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite. Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, weil eine des andern Anbeter – – schon wieder Anbeter! – – allzusehr erhob.

Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art!

Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane?

Juliane. Oh! verschone mich doch damit.

Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst. – – Sage, Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander gehalten? Was dünkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre.

Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen sollen, solche Folgen ziehen?

Henriette. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache heraus sollst. – – Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum strittest du denn über ihre Gründlichkeit?

Juliane. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken, nicht aber widersprechen sollen.

Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan zurückschob? –

Lisette. Sie hat recht!

Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdroß mich. Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste?

Lisette. Nun hat sie recht!

Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon vergessen, daß du mir heute angehörst?

Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich nicht parteiisch lasse.

Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist –

Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen. – –

Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen.

Henriette. Das ist eben dein Fehler. – Was für ein Stolz, was für eine Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß nur die Flitterwochen erst vorbei sein. – – Dein Theophan hingegen hat das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet. – –

Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen Billigkeit sind vortrefflich. – –

Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter. – – Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen.

Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter?

Lisette. Stille! Mamsell – –

Zweiter Auftritt

Theophan. Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, kommen Sie! – – Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste?

Juliane. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr nicht.

Theophan. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so vorteilhaft von mir gesprochen haben? – – Ich danke Ihnen, angenehmste Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben verteidigen müssen. Allein – –

Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person – –

Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren, Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen – –

Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern Bestimmung verlieren. – – Bei den Büchern, in einer engen staubigten Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der Körper muß ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind. Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei derselben beliebt macht –

Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten. – –

Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen. – – Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern Herzen zurücklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn schon im voraus darum liebe. – – Wie glücklich werden Sie mit ihm leben, glückliche Henriette!

Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan. – –

Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe Schwester. – – Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht. Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der beleidigten Person nur noch schwerer macht.

Theophan. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts! Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht die Mühe genommen, mich näher kennenzulernen. Vielleicht, daß ich ein Mittel finde, ihn dazu zu vermögen. – – Lassen Sie uns nur jetzt davon abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus gemacht hat, mich hier zu überraschen. –

Juliane. Einen Anverwandten?

Henriette. Und wer ist es?

Theophan. Araspe.

Juliane. Araspe?

Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn?

Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, unverzüglich nachzufolgen.

Henriette. Weiß es der Papa schon?

Theophan. Ich glaube nicht.

Juliane. Und die Großmama?

Henriette. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir ihnen zuerst bringen. – – Du bist doch nicht böse auf mich?

Juliane. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur!

Theophan. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte.

Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie!


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