Karl Lerbs
Der lachende Roland - 2. Band
Karl Lerbs

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der mehr oder minder christlichen Seefahrt

Das Maß ist voll

»Ob Sie wohl so freundlich wären und mir von meine Frau von abhelfen täten?« sagte der Flußschiffer Harje Harjes zum Anwalt. »Das geht bei uns her wie Soda und Gomorrha. Sie mißhandelt mir.«

»Wie macht sie denn das?« fragte der Anwalt ungläubig.

»Wenn sie und sie kömmt in Rasche – und da kömmt sie oft rein –, denn schmeißt sie mir mit alles, was sie man eben noch heben kann. So geht das nu all elf Dschahre.«

»Elf Jahre!« Der Anwalt war entsetzt. »Weshalb haben Sie denn da nicht schon längst etwas unternommen?«

»Bis dschetzt war mich das egal«, versetzte Harje Harjes. »Abers nu hab ich das über. Heute morgen hat sie mir zum erstenmal getroffen.« 74

 

Geselligkeit

Als der Frachter »Polyphem«, 1200 Tonnen, mit Stückgut von Bremen nach Finnland, einen Fahrgast bekam, sah Kapitän Popken sich veranlaßt, dem Ankömmling einen warnenden Hinweis zu geben. »Herr Weihusen«, sagte er, »wenn Sie un Sie kommen mal auf 'r Brücke, un ich bün zu Koje gegangen, un der Steuermann, was zugleich der Erste is, der hat denn das Ruder, denn seien Sie da 'n büschen vorsichtig gegen. Der is 'n büschen schwer zu behanneln, is der.«

Herr Weihusen, ein auf Erholung erpichter Kaufmann aus Bremen, kam, in einen Ölmantel gehüllt, um vier Uhr bei platschendem Regen und Nordnordwest Stärke 9 bis 10 mit einiger Mühe auf die Brücke und 75 sagte »Gunmorgen!« zur Rückseite des Steuermanns Klaus Otersen. Der Steuermann äußerte einen knurrenden Laut und sah unentwegt nach vorn, wo es schwarz war. Herr Weihusen sah nach Backbord, wo es ebenso schwarz war. Um fünf Uhr hatte sich die Situation nur insofern geändert, als Herr Weihusen nunmehr nach Steuerbord sah. Keiner von beiden hatte oder suchte Gelegenheit, die Gesichtszüge des anderen kennenzulernen. Als um sechs auf anderthalb Sekunden der Mond durchkam und Herr Weihusen etwas Atem holen konnte, sagte er: »Flaut ab.« Als um halb sieben eine Hagelbö den »Polyphem« getroffen hatte und der Steuermann mit einiger Mühe wieder auf den Kurs gekommen war, sagte er: »Noch nich.« Hierauf ging Herr Weihusen zu Koje.

»No –?« fragte Käpt'n Popken gespannt und etwas ängstlich, als sein »Erster« zum Kaffee in die Messe kam.

»Käpt'n«, sagte Klaus Otersen nachdrücklich, »gegen den hab' ich nu mal nix. Das is 'n netten, geselligen Menschen.« 76

 

Schiffbruch

Als Carsten Osmers und Krischan Sehlbrede, beide damals noch von vorurteilsloser Heiterkeit und beklemmender Jugendkraft durchpulste Kapitänsanwärter, einander sozusagen aus heiterem Himmel in Rotterdam begegnet waren, liefen sie zu einer über viele Liegeplätze und Köhminseln ausgedehnten Wiedersehensfeier aus. Schließlich strandeten sie einträchtig an einer Eisenstange, die sie aus beruflicher Erinnerung heraus als »Reling« ansprachen, die aber in Wahrheit das Geländer vor dem Schaufenster einer Fischhandlung war. Krischan Sehlbrede, aus zeitweiliger Entrücktheit erwachend, blinzelte, 77 fuhr zusammen und stierte mit entsetzt aufgerissenen Augen: Da schwammen in grünlichem Wasser viele große lebendige Fische. Krischans zitternde Hand tastete nach dem Ärmel des Freundes.

»Carsten«, sagte er mit gepreßter Stimme, »nimm die Mü – hick – Mütze ab un sprich ein G – gebet. Wir sünd gesunken.«

 

Der lateinische Fisch

Mal, als Käpt'n Carsten Bruns und Käpt'n Krischan Sehlbrede einträchtig durch die Straßen Bremens schaukelten, hatte man im Schaufenster einer Fischhandlung als besondere Sehenswürdigkeit einen Stör von wahrhaft unwahrscheinlicher Größe ausgestellt.

Käpt'n Bruns, der in seinen Mußestunden ein begeisterter Sportfischer war und daher auch die seelischen Ab- und Hintergründe dieses Tummelplatzes menschlicher Leidenschaften kannte, blieb stehen und betrachtete das sagenhafte Tier mit Entrüstung.

»Krischan«, sagte er, »nu kuck dich das mal an. Der Kerl, der den Fisch gefangen hat, is'n ganz entfamten Lügner.« 78

 

Rauf und runter

Der Leser muß, um diese Geschichte recht zu würdigen, zwei technische Voraussetzungen gutgläubig hinnehmen: Einmal, daß Taucher während ihrer Tätigkeit auf dem Meeresgrund mit dem Schiff, das sie hinunterschickt, in geselliger »fernmündlicher« Verbindung stehen; sodann, daß sie imstande sind, sich dabei ebenso gesellig miteinander zu unterhalten.

Dies bedenkenlos voraussetzend, darf ungestraft berichtet werden, daß der Taucher Henrich Grapengießer, der bei höllisch schwerem Wetter gemeinsam mit dem Taucher Cord Fahlbusch das Wrack des Frachters »Goliath« untersuchte, seinen Freund wie folgt anredete:

»Cord, der Alte sagt, wir sollen sofort raufkommen. Das Schiff sinkt.« 79

 

Rosinen

Krischan Sehlbrede, Kapitän des »Poseidon«, betrat zum Zweck der Nahrungsaufnahme seine Stammkneipe und war aus irgendwelchen körperlichen oder seelischen Gründen gewillt, sich auf fleischlose Kost zu beschränken.

»Was nimmst du für Reis mit Rosinen?« fragte er den Wirt Thedje Seekamp.

»Fuffzig Fennig«, versetzte Thedje.

»Hm«, sagte Käpt'n Sehlbrede, »un für Reis ohne Rosinen?«

»Sechzig Fennig«, war die Antwort.

»Thedje«, sagte Krischan Sehlbrede, »woso nimmst du Salter für ohne mehr als für mit?«

»Krischan«, antwortete Thedje, »das is, weil daß es sonst nich luckertiv is. Meinst du wohl, daß es gar keine Arbeit macht, all die vermucksten Rosinen aus dem backigen Reis rauszupulen?« 80

 

Musikalisches Intermezzo

Als Käpt'n Bruns noch ein lustiger und appetitlicher Steuermann ohne Deckslast und sonstigen Ballast war, saß er einmal in einem heiteren Kreise unbeschwerter Kameraden und tat des Guten zunächst genug und dann zweifellos zuviel. Um elf Uhr zwanzig stieß Steuermann Bruns plötzlich und in rascher Folge eine Reihe schauerlicher Töne aus. Den Kameraden blieb der Grog im Halse stecken. Jonny Horstkotte, als treuer Freund, flößte dem offenbar schwer Leidenden geistesgegenwärtig einen Kognak ein, den Bruns ohne Widerspruch schluckte.

»Ziehsoziehso«, sagte Jonny Horstkotte liebevoll und hieb seinem Freunde zum Zwecke der Heilung krachend ins Genick, »nu will das woll all besser werden.«

»Woso besser?« fragte Bruns erstaunt. »Besser kann mir dscha gar nich sein, als mir is.«

»Woso nich?« fragte Jonny ebenso erstaunt dagegen. »Weshalb hast du denn so geankt un gestöhnt?«

»Jonny, du dusseliger Hund«, versetzte Steuermann Bruns beleidigt, »ich hab nich geankt und nich gestöhnt, ich hab gesungen.« 81

 

Zu leicht befunden

»In Tschikago«, erzählte Käpt'n Bruns, »da hab ich denn dscha mal 'n dolles Ding belebt. Mein Freund Dschonny Horstkotte, mit dem ich damalen so 'n büschen durch die Staatens kreuzte, der sagte eines Mittags: ›Carsten‹, sagte er, ›da hat so 'n gelber Snotterbello en Restorang aufgemacht, da wirst du gewogen, wenn du reinkömmst, un denn ißt du, un denn wirst du gewogen, wenn du weggehst, un dsche nach dem Unnerschied ins Gewicht mußt du denn bezahlen.‹ ›Dschonny‹, sag ich, ›da gehn wir aus schier Schandudel mal hin!‹

Na, das Essen war dscha ganz gut, und achterher mußte Dschonny denn dscha zwei Dollars bezahlen, so hatte er reingehauen. Abers wie ich denn drankomme, da krichte der gelbe Snotterbello das Tanzen, un er schimpfte und schandierte, abers das half ihm denn dscha allens nix. Er mußte mir noch drei Dollars zubezahlen.

›Carsten‹, sagte Dschonny, wie wir draußen waren, ›wie hast du Himmelhund das gemacht?‹

›Dschonny‹, sagte ich, ›das war gar nich schwer. Ich hab mich vorher 'n paar orntliche Kabeiselsteine inner Tasche gesteckt, un die hab ich nach 'n Essen ganz stillkens unnern Tisch gelegt, un da soll der gelbe Snotterbello sie denn dscha woll finnen. Abers da hat er nich viel an; sie sünd das Geld nich wert.‹« 82

 

Leichte Havarie

Als Käpt'n Carsten Bruns und Käpt'n Krischan Sehlbrede den Geburtstag eines in Vegesack wohnhaften Freundes gefeiert hatten und sich an Bord des ersten nach Bremen fahrenden Frühzuges begaben, beschlossen sie, für ihre Heimkehr den Fahrpreis der zweiten Klasse zu opfern, da ihr körperlicher und seelischer Zustand Alleinsein erheischte.

»Carsten«, sagte Krischan Sehlbrede, als der Zug durch die fahle Dämmerung bumste, »deine B–beine, die mußt du von der B–bank runternehmen. Wo Annere auf s–sitzen wollen, da kannst du nich auf petten.«

»Krischan«, antwortete Carsten Bruns, nachdem er die Lage gepeilt hatte, »es geht nich.«

»Es mu–huß gehn, Carsten«, sagte Krischan Sehlbrede ernst. »Wenn der Sch–schaffner un er sieht das, denn macht er K–krach. Warum geht es denn nich?«

»Es sünd gar nich meine B–beine«, versetzte Carsten Bruns. »Es sünd deine83

 

Der Menschenfeind

»Herr Pastohr«, sagte Käpt'n Bruns, als er einmal bei der überlieferungsschweren Schaffermahlzeit neben einem bremischen Geistlichen zu sitzen kam, »Pastohr könnt ich dscha nich sein, Herr Pastohr. Die Welt is dscha so slecht – ich käm gar nich bis auf'e Kanzel rauf. Wenn ich meine Gemeinde so ankucken täte, un meine Gemeinde, die kuckte denn mir so an, denn könnte ich das nich ab – ich würde tätlich, direkt tätlich, Herr Pastohr.« 84

 

Der Kostgänger

»Thedje«, sagte Käpt'n Bruns eines Tages, nachdem er sich mit gründlich vergrelltem Gesicht am blankgescheuerten Holztisch seiner Stammkneipe vor Anker gelegt hatte, »bring mich mal zwei faule Eiers un en Knust schimmliges Brot.«

»Du hast wohl einen auf'm Boden?« erkundigte sich der Wirt Thedje Seekamp mit merklicher Besorgnis.

»Auf'm Boden hab ich keinen«, versetzte Käpt'n Bruns, »abers ich hab mittschiffs en Bandwurm zu sitzen, un für den Beest is das Schlechteste grade gut genug.«

 


 


 << zurück weiter >>