Jakob Michael Reinhold Lenz
Der Landprediger
Jakob Michael Reinhold Lenz

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Als sie nach Hause gekommen waren, bat Albertine ihren Mann sehr ernstlich, daß sie doch heute keine Visite mehr machen wollten. Er bestand aber drauf, den Abend bei seinem Assoziierten zu essen, welches auch geschah. Beide kamen merklich vergnügter von dort nach Hause, als sie beim Mittagessen gewesen waren. Denn da waren sie die streitende Kirche, hier aber die triumphierende, und sie verbreiteten, durch ihre Freundlichkeit und Gesprächigkeit, so viele Freude bei diesem wackern Bürger, dessen Haushaltung gewiß mit so vielem Geschmack eingerichtet war, als die Haushaltung des wohlhäbigsten Kaufmanns in der Stadt es nur immer sein kann, daß er ihnen gern sein Herz aus dem Leibe vorgesetzt hätte.

Albertine, welche ihren Mann inständigst bat, sie soviel möglich aller sogenannten Staatsvisiten zu überheben, fing nun an, das Bedürfnis nach Gesellschaft, das heißt einer Gesellschaft, die ihr nach Herz und Sitten gleichgestimmt war, ziemlich lebhaft zu spüren. Sie wollte es ihrem Manne anfangs nicht sogleich gestehen, aber alle ihre geheimsten Korrespondenzen nach Hause waren voll davon. Der Mann hatte sein Amt; er hatte vor allen Dingen seine wirtschaftlichen Angelegenheiten, die ihn oft den ganzen Tag foderten, so daß er nur wenige Abendstunden der Erholung in dem Schoße seines Weibes widmen konnte; sein eigen Herz flüsterte es ihm gar bald zu, daß seine Frau unmöglich den ganzen Tag allein bleiben könnte; er traf also ingeheim Verfügungen, und eben als er an einem Nachmittage seiner Frau, die einen Augenblick in den Garten gegangen war, ihren Salat zu besehen, ein Briefchen aus ihrem offenen Schreibpult stahl, in dem sie mit folgenden Worten ihr Herz gegen eine Freundin erleichtert:

»Den besten Freund meines Lebens an meiner Seite, in einem Hause, wo es mir an nichts fehlt, und jeder meiner Wünsche mir durch die Sorgfalt meines Mannheims entgegeneilt, fehlt mir doch immer noch ein Herz, das mein Glück, selbst das Glück, so geliebt zu sein, als ich bin, mit mir teilt, sich mit mir freut, wenn ich närrisch bin, mit mir das Maul hängt, wenn der Himmel trüb ist: liebes Lieschen, das bist du – –«

Man stelle sich vor, wie unserm Weiblein zumut ward, als sie über ein Krautbeet sich emporhob, einen Wagen im Hofe rasseln hörte, unter ihrem Sonnenhütchen heraussah, und in dem Augenblick sich von den Armen eben desselben Lieschens umschlungen fühlte, an welche sie den obigen Brief unvollendet gelassen. Ihn mit dem offenen Briefe in der Hand die Treppe hinunterstürzen, sie mit ihrem lieben Lieschen an der Hand, als ob es von ungefähr geschehen, ihm entgegenfliegen – und hernach aus diesem süßen Traum mit der Empfindung aufwachen zu sehen, daß er ihr von ihrem Mannheim zu rechter Zeit geschickt war – überlasse ich dem teilnehmenden Herzen meiner Leser und Leserinnen sich selber abzuschildern.

Das Bedürfnis seiner Frau war befriedigt; aber nachdem dieses kleine Trio eine Zeitlang gedauert, fühlte er, daß sich für sein Herz ein ähnliches anhub. Er sann also ein Befriedigungsmittel aus, das ich mich nicht enthalten kann zum Besten des Ganzen allgemein bekannter zu machen, besonders, da ich es nur, als ein sehr schlecht gekritzeltes Kupferblatt, von einem Originalgemälde kopiert habe, das zu allgemein bekannt und verehrt ist, als daß es meines Lobes bedürfte. Es ist das große Gemälde deiner Haushaltung, mein S—, das ich vor Augen habe, und von dem ich gern Modelle für alle mögliche Klassen von Menschen vermannigfaltigen möchte.

Er wußte, welch eine unangenehme Epoke im menschlichen Leben der Übergang vom Jünglingsalter zu männlichern Geschäften macht, und wie nötig jungen Leuten, die von der Akademie kommen, oder sonst in dem Vorbereitungsstande zu wichtigern Geschäften stehen, ein Hafen sei, in welchem sie ihr Schiff takeln, kalfatern und segelfertig machen können, ehe sie es wagen dürfen, es vom Stapel abzulassen. Er machte also seine Spekulationen auf diese Vorbereitungsjahre edler Jünglinge, die nicht durch Kriechen, oder sich an Schürzen Hängen, sondern durch das Bewußtsein innrer Kräfte in Ämter, oder zu Künsten aufgenommen zu werden strebten, und öffnete ihnen, sobald er diesen Funken in ihnen entdeckte, sein Haus ohne Ausnahme, gegen keine andere Entschädigung, als daß sie einige Stunden von ihren täglichen Beschäftigungen zu dem Umgange mit ihm und seinem Hause abbrechen, der ihnen in allen Rücksichten nicht anders als höchst vorteilhaft sein konnte. Hier hatte er eine beständige Unterhaltung für seinen Geist und sein Herz, und schuf sich eine Menge Freunde von so mannigfaltigem Charakter, Talenten und äußeren Beziehungen, daß es eine wahre Weide für seine Seele war, sie mit all ihren Eigenheiten, und auszeichnenden Bestimmungen in ruhigen Stunden vor seiner Einbildung vorbeigehen zu lassen, und der Stoff zur Unterredung mit den Seinigen niemals fehlen konnte. Alle diese verschiedenen Menschen breiteten sich nachher bald hie bald dort hin aus, und das edelste Gefühl im Menschen, das unter allen am letzten unterdrückt werden kann, die Erkenntlichkeit, die sie von ihm mitnahmen, machte, daß sie, wenn sie in bessere Verfassungen gekommen waren, seiner weder in Briefen noch in Aufträgen, die er an sie hatte, jemals vergessen konnten, wodurch denn seine Korrespondenz und sein Wirkungskreis einer der angesehensten im Königreich war.

So ward sein Haus in gewisser Art eine Akademie der Künste und Wissenschaften, weil sich Künstler und Gelehrte zu ihm flüchteten. Er hatte dabei keine weitere Unkosten, als daß er ein paar Zimmer in seinem Hause für sie zurichten ließ, und denen, welche mäßig waren, wie es echte Künstler und Gelehrte immer sind, mittags und abends eine Serviette mehr hinlegen ließ, welches in einer Haushaltung auf dem Lande kaum merklich wird. Vom Tee und Kaffee und Tabak war in seinem Hause niemals die Rede, wohl aber von Obst und Früchten, wie es die Jahrszeit mit sich brachte.

Vielleicht wird es einige meiner Leser interessieren, zu erfahren, wie Albertine ihrem Manne den Rauchtabak, und er ihr zur Dankbarkeit den Kaffee abgewöhnt. Albertine hatte ihm einigemal gesagt, daß sein Zimmer übel röche, und daß sich der Geruch in seine Kleider zöge; er spottete ihrer falschen Delikatesse, nahm seine Tabaksdose, sie zu quälen, auf ihr Zimmer und rauchte ihr beim Vorlesen den ganzen Abend vor. Sie ließ es hingehen. Einen Monat mochte vom Tabak gar nicht wieder die Rede gewesen sein, als er auf einmal an einem Morgen seinen kleinen Johannes, das erste und nun schon zweijährige Söhnchen, das sie ihm geschenkt hatte, mit einer langen tönernen Pfeife im Munde gewahr ward. »Frau«, sagte er, indem er rot ward und dem Kleinen nicht ohne Widerstand die Pfeife aus den Händen nahm, »das Spielwerk taugt nichts für Kinder.« Die Frau verbiß ein geheimes Lächeln und sah emsig auf ihre Arbeit. Er kam den Abend wieder mit seiner Pfeife auf ihre Stube; den Morgen fand er seinen kleinen Jungen wieder in der nämlichen Stellung. »Was ist denn das mit der Pfeife?« sagte er, und konnte sich nicht enthalten zu lachen und zugleich noch röter zu werden. »Kann ich's ihm abgewöhnen«, sagte sie mit der größten Sanftmut, »wenn er dich alle Abend rauchen sieht? Du weißt, wie die Kinder sind; alles, was die Alten tun, macht ihnen Freude.« »Und wer hat ihm die Pfeife gekauft?« fragte Mannheim und versteckte seinen Kopf an ihrer Brust; hier fand sie es für gut, ihm aus dem Stegereif eine kleine Gardinenpredigt über das Rauchen, sobald es Gewohnheit wird, zu halten. »Es ist eine Kette«, sagte sie, »an der du ziehst, die dir alle deine übrigen Vergnügungen verdirbt, darum nur, darum habe ich was dagegen einzuwenden. Du bist nirgends ruhig, wenn dich nicht die Pfeife begleitet, und du magst es dir verhehlen, wie du willst, es bleibt immer eine kleine Unreinlichkeit. Ich habe einen Menschen gekannt, der sich parfümierte, wenn er geraucht hatte, und er kam mir gerade so vor, wie ein Schinken, den man aus dem Rauch nimmt, und eine Sauce von Zitronen dran macht. Überlassen wir das Rauchen den Unglücklichen, die keine andere Freude haben, den Walfischfängern in Grönland, oder den Negern in Zuckerplantagen, die ein Opium brauchen, um sich gegen ihr Elend zu betäuben, aber du, im Schoße des Glücks, in meinem Schoße« – hier faßte sie ihn mit unaussprechlicher Schmeichelei unter das Kinn. Er ging trotzig fort. Den Abend ward Pfeife und Tabak in den Ofen geworfen, und den Morgen ließ er sein Studierzimmer von neuem ausweißen und flüchtete in das Zimmer seiner Frau.

Nach langer Zeit ward er inne, daß seine Frau es mit dem Kaffee hielt, wie er mit dem Rauchtabak. Ihr war nicht wohl, wenn sie des Morgens ihren Kaffee nicht genommen, und sehr oft überfiel er sie mit ihrem Lieschen auch des Nachmittags am Kaffeetisch, wo sie einander wie wahre Stadtweiber, die Schale in der Hand, mit den Neuigkeiten ihrer Korrespondenzen unterhielten. Sobald sein Weib oder ihr Lieschen übles Humors war, ward es hernach zur Gewohnheit, daß zweimal Kaffee getrunken werden mußte. Er wollte beide einmal auf die Probe setzen, und las ihnen bei Tisch einen erdichteten Brief vom Präsidenten vor (mit dem er wirklich korrespondierte), in welchem dieser ihm meldete, es würde nächstens eine landesfürstliche Verordnung bekanntgemacht werden, worin allen Privatpersonen ohne Ausnahme der Gebrauch des Kaffee bei schweren Geldstrafen untersagt werden würde, dafern sie sich nicht eine unmittelbare Erlaubnis vom Landesherrn durch Bezahlung einer dazu ausgesetzten Geldsumme auswirkten. Seine Frau und Lieschen sahen einander an; beide suchten die verschiedenen Empfindungen, die diese Neuigkeit in ihnen veranlaßte, jede auf ihre Art, zu verbergen, endlich konnte sich Lieschen nicht länger halten, und brach aus: »Werden Sie uns diese Erlaubnis denn kaufen?« Mannheim lächelte. »Du würdst wohl ohne Kaffee nicht leben können, aber ich hoffe, was meiner Frau gut ist, wird dir auch recht sein.« Hierauf setzte er ein sehr ernsthaftes Gespräch mit einem seiner jungen Freunde fort. Als er vom Essen aufstand, und sie küssen wollte, stürzten zwei unbändige Tränen, die sie mit aller ihrer Mühe und Kraft beim Essen zurückgehalten hatte, ganz wider ihren Willen und Absicht, von den Wangen der armen Albertine den mutwilligen Lippen Mannheims entgegen, die sie wollüstig aufschlürften. »Und so weinst du denn, meine liebe Frau«, sagte er laut und triumphierend, »und meinst, der Kaffee sei keine Kette, kein Opium, das dich für alle andere Vergnügungen taub und ungestimmt macht. Wenn haben unsere Vorfahren Kaffee getrunken, die doch auch ihre Freude hatten, und herzlicher als wir. Trinken wir den Kaffee, wie sie, als etwas Außerordentliches, als etwas, das alle Jahre einmal kommt, und bloß etwas zu lachen gibt, gewöhnen wir unsere Nerven aber nicht an einen Opiat, der viel feiner und reizender, und eben deswegen auch viel schädlicher ist, als der Tabak und das Opium selber. Der Kaffee ist in der Tat nur eine galante Unreinlichkeit, und ich bin versichert, daß der saubere Porzellan, in den wir ihn fassen, das meiste und vielleicht das einzige zu seinem Wohlgeschmack beiträgt. Können wir aber nicht ebensowohl von porzellanenen Kredenztellern Obst und andere Sachen essen, die unsern Nerven nichts schaden, und uns nicht zur schädlichen Gewohnheit werden?« Albertine ließ sich diesen Nachmittag einige Pfirsiche heraufbringen, und, wenn Fremde zu ihr kamen, setzte sie ihnen Wein, eingemachte Sachen und Obst vor, wobei die Munterkeit und das Scherzen und das Hüpfen und die Pfänderspiele und das Tanzen und das Jauchzen viel allgemeiner wurden. Des Morgens war ihr Frühstück ein Äpfelkuchen, oder ein Butterbrot, oder sonst etwas, wovon ihnen nur ein Gelüste durch den Kopf zog, nie aber banden sie sich an etwas und sie schämten sich hernach nicht wenig, als ihnen Mannheim sagte, der Verbot vom Kaffee sei nur eine Erfindung von ihm gewesen. Mannheim aber und seine Gäste frühstückten, nachdem es der Phantasie der Frauenzimmer beliebte.

Tausend Veränderungen, tausend drollige Szenen jagten einander in diesem glücklichen Hause, welche, durch die Erfindungskraft der Frauenzimmer sowohl, als der jungen Fremden, die Mannheim herbergte, entstanden. Bald ward eine Komödie gespielt, bald eine Wallfahrt in die benachbarten Gebirge angestellt, bald eine allgemeine Verkleidung in Bauren und Bäuerinnen vorgenommen, die denn zur Heumachenszeit auf den Wiesen von Johannes Mannheim et Compagnie die nötigen Arbeiten meisterlich verrichteten, im Grünen ihre kalte Milch aßen und dergleichen. Oder, es wurden im Winter Schlittenfahrten angestellt, wobei Johannes Mannheim seine erste Deklaration oft wiederspielteSiehe den ersten Teil. und sich dafür von der ganzen Gesellschaft weidlich auslachen ließ. Das größte Vergnügen hatten sie bei der Ernte, wo sie sich unter Schnitter und Schnitterinnen mischten, und mit ihnen hernach die Mahlzeit aßen.

Nach und nach fing der Wurm der Begierde, öffentlich bekannt zu werden, an, in diesem harmlosen Herzen zu wühlen. »Bin ich es denn nicht«, sprach er zu sich selber, »durch die guten Menschen, die ich bei mir bewirte, durch die vielen Briefe, die ich von allen Seiten erhalte, durch die Reisenden selber, die meine Haushaltung zu sehen neugierig sind?« Aber doch der Wunsch, gemeinnützig zu werden, nicht eben ein Philanthrop, oder Kosmopolit, aber doch ein Mann zu sein, der mehrern Menschen seine Existenz zu fühlen gibt. Er trug diesen Wurm und drückte und unterdrückte ihn, aber doch bei gewissen Gelegenheiten, wenn's ihm aus den Augen verschwunden war, daß sein Beispiel das ganze Dorf zu einem der wohlhäbigsten im Königreich gemacht, und das Beispiel dieses Dorfs mit der Zeit für die benachbarten Dörfer, und also, wie alle Handlungen ins Unendliche gehen, für das ganze menschliche Geschlecht ansteckend werden wurde – fiel ihm dieser Lindwurm mit so unheilbaren Bissen wieder an das Herz, daß es ihm manche trübe Stunde machte. Niemand auf der Welt, selbst das Auge seiner Albertine, dem doch kein Winkel seines Herzens verborgen blieb, hätte wohl jemals diese geheime Springfeder einiger seiner üblen Launen ausfindig machen können. Kurz, es war – der schlimmste Sauerteig, der seit Adams Fall im menschlichen Herzen gegärt hat – es war der Autor, der das Haupt in ihm emporhob. Den ersten Keim dazu hat ein Einladungsschreiben von einem Journalisten, doch von Zeit zu Zeit einige Rezensionen in sein Journal zu fertigen, so tief in seine Seele gelegt, daß es mit all seiner Mannheit unmöglich war, ihn ganz auszureuten.


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