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IV

Langsam, eine nach der anderen, betraten die Bäuerinnen die Wirtsstube. Sie wirkten gleich in ihren dunklen Kleidern, den hochgeschlossenen Jäckchen, den weiten Röcken. Die reichen Bäuerinnen, die sonst viel auf Putz gaben, trugen jetzt auch nicht ihren goldenen Schmuck, die bunten Bänder, die farbigen Stickereien. Nur die Witwen-Anna, die sich ein rotes Tuch um den Kopf geschlungen hatte, ragte hager aus der Schar. Jede hielt ein Heft mit gekreuzten Händen, als wäre es ein Gebetbuch, vor dem Bauch.

In der Gaststube saßen nur Sara und die Schwieger am runden Tisch. Die alte Frau strickte schweigsam. Sara ließ ihre Näharbeit im Schoß ruhen, sie starrte mit entstelltem, blassem Gesicht vor sich hin. Sie blickte nicht einmal in Richtung der Bäuerinnen, sie wollte nichts wissen, nichts hören.

»Wir dachten, die Männer sind hier!« riefen die im Chor.

»Sara, warum warst du nicht bei der Frauenversammlung im Schloß«, fragte sie die Witwen-Anna. Frauenversammlung im Schloß, als sie das sagte, schwang sich Triumph in ihre harte Stimme. Vor Jahren starb ihr Mann bei der Erntearbeit auf dem Gut des Grafen. Er hatte sich mit der Sense in den Fuß geschnitten. Man war nicht gewöhnt, wegen solcher Kleinigkeiten mit der Arbeit aufzuhören und zum Arzt zu laufen. Aber als er nach Hause kam, bekam er die Krämpfe. In einigen Stunden verstarb er an Tetanus unter schrecklichen Qualen. Der Witwen-Anna hinterließ er nur vier Kinder. Sie konnte keinerlei Ansprüche auf Unterstützung stellen. Seitdem haßte sie den Grafen, obgleich dieser zur Zeit des Unglücksfalles gar nicht auf dem Gut gelebt hatte. Er zeigte sich überhaupt nur selten, wohnte in Wien und in Paris und wußte ganz sicher nichts von der Existenz der Witwen-Anna.

»Du hättest kommen sollen in das Schloß. Da kann jetzt jeder aus und ein gehen, wie es ihm paßt. Da hat der Graf schon keine Macht mehr.«

»Jüdinnen waren nicht bei der Versammlung«, krächzte im Hintergrund eine Stimme.

Die Schwieger hob die Augen von ihrer Strickerei: »Die Sara geht nicht in Versammlungen. Sie braucht auch nicht ins Grafenschloß zu rennen. Man soll nicht sagen können, die Jüdin war da. Der Graf hat heute keine Macht, wartet aber erst ab, wie es morgen sein wird.«

»Sie haben mir gar nichts vorzuschreiben!« sprang Sara auf. »Sie wollen mich wie eine Gefangene halten!«

»Hält dich jemand gefangen? Als ob du nicht immer tätest, was dir gerade paßt. Aber du hältst die Menschen für blöde, glaubst, die anderen haben keine Augen im Kopf. Nur gut, daß der Heinrich bald nach Hause kommt.« Man konnte dem Tonfall ihrer Stimme anhören, daß sie diesen Satz schon oft vor sich hin gemurmelt hatte.

»Sara, aber das Grafenschloß mußt du dir doch auch von innen ansehen. Da braucht man dazu niemanden um Erlaubnis zu bitten.«

»Ich dachte immer, es ist viel größer und glänzender.«

»Ich habe doch früher, als ich noch ein junges Mädel war, als Küchenmagd im Schloß gearbeitet. Da war es auch viel größer, das könnt ihr mir glauben.«

»Jetzt sind große Tische drin, wo Leute sitzen und schreiben. Der Mattheus schreibt auch an einem Tisch.«

»Und große Tafeln sind überall und Plakate und Bänke für die Kinder und Stühle für die Versammlung, deshalb ist das Schloß kleiner, verstehst du?«

»Es ist aber noch vieles da, ganz wie früher. Man darf aber nichts berühren oder wegnehmen. Man sagt doch, vielleicht kommt der Graf zurück, und dann wird er jeden töten lassen, der ihm etwas weggenommen hat.«

»Was der in seinem Schloß herumzustehen hat, das braucht ich gar nicht. Da wüßte ich nicht was damit anzufangen. Die Tassen so dünn, daß man immerzu Angst haben müßte, sie zu zerbeißen. Und die Gläser in den Schränken, die würde ich mich gar nicht trauen in die Hand zu nehmen.«

»Und überall die großen Spiegel. Wozu man die brauchen soll? Nur die Herren haben Zeit, sich immer in den Spiegeln zu begucken.«

»Bilder hängen da an der Wand, daß man sich geradezu schämen könnte. So viel nackte Weiber den Männern zu zeigen, so etwas sollte gar nicht erlaubt sein.«

»Bist wohl neidisch, weil du nicht so schön bist wie die abgemalten Frauen.«

»Warum sprecht ihr immer davon, daß der Graf zurückkommt«, durchbrach das Geschwätz die harte Stimme der Witwen-Anna.

»Er wird nicht erst dich fragen, ob er zurückkommen darf. Der ist mächtiger als du.«

»Aber einmal konnte man ihn doch wegjagen, dann kann er gar nicht so mächtig sein.«

»Paß du mal auf, ob die nicht nur aus List sich so schwach gestellt haben, damit sie auch genau wissen, wie das Volk über sie denkt.«

»Meinetwegen können der Graf und alle die Herren zurückkommen.«

»Ja, du möchtest mal wieder den Herrschaften die Hände küssen, möchtest wieder mal den Rücken beugen, Dankeschön sagen für Stockschläge wie dein Großvater. Deine Kinder hungern lassen, damit der Herr Graf in Schlössern wohnt, hundert Weiber hat, die er mit Seide und Juwelen vollhängt, und Tag und Nacht mit den anderen Nichtstuern saufen und fressen kann.«

»Witwen-Anna, Witwen-Anna, gib du nur acht, dir wird man noch Stockschläge zu kosten geben. Du nimmst ja den Mund noch voller als der Städtische heute in der Versammlung.«

»Schön hat der heute gar nicht gesprochen. Der hat ja gar keine ordentliche Stimme. Unser Pfarrer, der predigt doch schöner.«

»Sie wollen uns Gott nehmen«, krächzte hinten eine Stimme, und eine alte, verhutzelte Bäuerin versuchte sich nach vorn zu drängen. »Ja, Gott wollen sie uns nehmen und predigen das Teuflische und das Böse. Alles, was Gott uns gegeben hat, möchten sie zerstören, die Worte Gottes bespeien sie.«

»Dir können sie nicht Gott nehmen, denn du hast nie einen gehabt, nur ein böses Maul hast du, nichts weiter.«

»Hört sie doch, die Witwen-Anna, so spricht sie zu einer alten, hilflosen Frau.«

»Ja, alt bist du, da hast du recht. Aber wenn Markttag ist, dann stehst du auf vor Morgengrauen, paßt auf, daß keine Bäuerin Lebensmittel in die Stadt trägt. Dann krächzt deine Stimme, daß alle Städter verhungern sollen. Dein Gott sieht deinem Pfarrer zum Verwechseln ähnlich.«

»Du möchtest mich schlechtmachen, damit die Frauen auf mich nicht hören. Aber sie wissen, ich will ihr Bestes, nicht wie du. Das möchte dir wohl passen, daß sie die schwer erarbeitete Gottesgabe für wertloses Geld verschleudern sollen. Du möchtest nur, daß wir alle so arm sein sollen wie du. Wenn die Bösen verhungern, um so besser.«

»Das glaub ich dir, daß du so denkst, du Gottesfürchtige. So sprichst du, weil du nie selbst gehungert hast, weil du nie gesehen hast, daß deine Kinder Hunger leiden.«

»Wenn du selbst etwas hättest, würdest du auch nichts hergeben. Du redest nur, weil du nichts hast.«

»Recht hat die Alte, wir brauchen nichts den Gottlosen zu geben. Ja, heute, in der Versammlung, da haben wir gehört, was die eigentlich wollen. Die Bastarde sollen die gleichen Rechte haben wie die in Ehren geborenen Kinder. Die Männer können ihre Frauen verlassen, wann immer es ihnen paßt. Die Alten bekommen einfach einen Fußtritt, und sie nehmen sich eine Junge. Das wollen die Städtischen. Eine Schande ist es!«

»Daß dich dein Mann stehenlassen möchte, wenn er nur könnte, das glauben wir dir. Und daß du Angst hast, daß seine Bastarde plötzlich sich melden würden, das auch. Du müßtest ein Gesetz verlangen, das dir das Recht gibt, deinen Mann an einer Kette herumzuführen. Aber der würde sogar dann dir weglaufen.«

»Ja, dir gefällt das, was der Städtische gesprochen hat. Jede Frau soll die Kinder nur dann zur Welt bringen, wenn es ihr gerade paßt.«

»Ja, denen ist Gottes Wille nicht heilig.«

»Was weißt du von dem Willen Gottes? Meinst du, Krieg und Mord sind Gottes Wille? Meinst du, es ist Gottes Wille, Kinder zu kriegen, damit der Graf Knechte hat wie Heu?«

»Ja, auch das ist Gottes Wille.«

»Man wird neue Gesetze machen. Dann wird man sehen, was Gottes Wille ist.«

»Gottesfrevlerin, du!«

»Der Pfarrer wird es schon erfahren, wie du gesprochen hast.«

»Und vom Pfaffen kann es Gott selbst hören, was ich denke. Ich habe keine Angst.«

»Wenn es die neuen Gesetze gibt, wird es nicht bestraft werden, wenn man sich das Kind wegmachen läßt?« hörte sich Sara fragen. Sie hatte so leise gesprochen, daß die Frauen sie gar nicht gehört haben. Vielleicht hatte nicht einmal die Schwieger ihre Worte vernommen. Sie strickte klappernd weiter. Aber Sara schien, daß sie ihr einen kurzen, höhnischen Blick zuwarf.

Sie duckte sich wieder. Sie hätte nicht sprechen sollen. Keiner kümmerte sich im guten um sie. Was ging das sie an, was diese Frauen sprachen? Von ihnen konnte sie ja keine Hilfe erwarten.

Jetzt krächzte die Stimme der Schwieger: »Neue Gesetze wollt ihr? Die alten sind euch nicht gut genug? Seit Tausenden Jahren waren sie gut, aber ihr wollt neue. Am liebsten möchtet ihr ja alle Alten erwürgen.«

»Wenn man auch neue Gesetze macht«, kreischte die alte Bäuerin, »vor einer schandhaften Frau wird man immer ausspucken. Verachten wird man sie immer.«

»Ja, aber paß nur auf, ob nicht einmal alle dich als schandhafte Frau erkennen.«


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