Gottfried Wilhelm Leibniz
Monadologie
Gottfried Wilhelm Leibniz

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§. 72. Man ersiehet hieraus / daß ein jedweder lebendiger Körper mit einer gewissen und die Oberhand in demselben habenden Entelechie begabt sei / welche die Seele in dem Tiere ist; die Gliedmaßen aber von diesem lebendigen Körper sind voller anderer lebendigen Geschöpfe / voller Pflanzen / voller Tiere / wovon ein jedwedes ebenermaßen seine Entelechie oder herrschende Seele hat.

§. 73. Man muß sich aber mit einigen / welche meine Gedanken übel gefasset haben / nicht einbilden / daß eine jedwede Seele eine gewisse Massam oder Portion von der Materie / welche ihr allezeit eigentümlich und so zu reden anklebend wäre / an sich habe und daß sie folglich andere geringere und zu ihrem beständigen Dienste gewidmete lebendige Dinge besitze. Denn alle Körper sind / wie Ströme / in einem stetigen Ab- und Zuflusse / allwo ohne Unterlaß gewisse Teile hineinfließen / gewisse aber heraus treten.

§. 74. Also verändert die Seele ihren Körper nur nach und nach und stufenweise / dergestalt daß sie niemals auf einmal aller ihrer organorum entblößet und beraubet wird; wie dann öfters in denen Tieren eine Metamorphosis oder Veränderung der Forme / niemals aber weder eine Metempsychosis noch transmigration der Seelen vorgehet / noch weniger auch Seelen angetroffen werden / welche von aller Materie durchgängig abgesondert wären.

§. 75. Eben dieses verursacht auch / daß niemals eine völlige Generation, noch ein vollkommener Tod / wann beides genau genommen wird / in der Natur vorgehen könne. Und dasjenige was wir die Zeugung zu nennen pflegen / ist nichts anders als eine Evolutionun developpement und ein Wachstum; gleichwie hingegen dasjenige / welches man den Tod heißet / eine gewisse Art der Involutionun enveloppement. und der Abnahme oder Verminderung ist.

§. 76. Die Weltweisen sind in der Untersuchung der formarum, der Entelechien oder Seelen sehr verwirret worden; da man aber heutiges Tages durch sorgfältige und genaue Nachforschung / so man über die Pflanzen / Insecten und Tiere angestellet / wahr genommen hat / daß diese organische Körper der Natur niemals aus einem wüsten und umgeformten Klumpen / oder aus einer Fäulnis / sondern allezeit aus gewissen Samen / in welchem ohne Zweifel die Formen der Pflanzen / der Tiere / der Insecten vorhero bereits verborgen liegen / hervorgebracht und gezeuget würden; so hat man geurteilet / daß nicht alleine der organische Körper schon vor der Conception darinnen wäre / sondern auch eine Seele in diesem Körper und mit einem Worte / das Animal selbst angetroffen werde; und daß vermittelst der Conception dieses Tier zu einer großen transformation nur sei geschickt gemacht worden / um dadurch ein Tier von einer andern Art zu werden. Man verspüret auch außer der Generation etwas gleichförmiges / als wenn zum Exempel aus denen Würmern gewisse Fliegen / und aus denen Raupen Schmetterlinge hervorkommen.

§. 77. Die Tiere / worunter einige zu dem Grad der größten Tiere durch das Mittel der Conception elevieret werden / kann man spermatische nennen. Aus denenjenigen aber / welche in ihrer Art oder Gattung verbleiben / sind einige / die geboren werden / sich vervielfältigen und wieder verfallen wie die großen Tiere; und es gibt nur eine kleine Anzahl von denjenigen / welche zu Folge einer gewissen Absonderung oder Wahl auf einen weit größern Schau-Platz treten.

§. 78. Dieses aber wäre nur die Hälfte von der Wahrheit / welche wir allhier zu befestigen suchen: dahero habe ich geurteilet / daß wenn die Tiere niemals natürlicher Weise ihren Anfang nehmen / sie auch ebener maßen niemals natürlicher Weise ihr Ende nehmen; und daß nicht alleine keine Generation, sondern auch weder eine völlige Destruction, noch ein Tod sein könne / wenn er im genauen Verstande genommen wird. Und diese Vernunft-Schlüsse / welche a posteriori gemacht und aus denen Erfahrungen hergeleitet werden / stimmen mit meinen oben beigebrachten und a priori behaupteten Grund-Wahrheiten vollkommen überein.

§. 79. Also kann man sagen / daß nicht alleine die Seele / welche ein Spiegel des unverderblichen und unzuzernichtenden Welt-Gebäudes ist / ebenfalls dem Untergange nicht unterwürfig sei / sondern daß auch das Tier selbst diese Eigenschaft habe / obgleich seine Machine sich öfters zerteilet / verfället und untergehet; und ob es gleich gewisse organische Kleider entweder ableget oder wieder an sich nimmet.

§. 80. Diese Principia haben mir das Mittel an die Hand gegeben / wodurch man die Vereinigung oder Übereinstimmung der Seele mit dem Körper natürlicher Weise erklären kann. Die Seele folget ihren eigenen Gesetzen / und der Körper ebener gestalt denen seinigen; und beide treffen zusammen kraft der Harmonie / welche unter allen Substanzen voraus festgestellet ist / allermaßen sie durchgängig gewisse Abrisse von einerlei Welt-Gebäude sind.

§. 81. Die Seelen würken nach denen Gesetzen der Final-Ursachen vermöge der Begierden / Absichten und derer hierauf abzielenden Mittel. Die Körper verrichten ihre Würkung nach denen Gesetzen der causarum efficientium oder der Bewegungen. Und die zwei Reiche / in deren einem die würkenden Ursachen / in dem andern die Final-Ursachen beobachtet werden / sind unter sich harmonisch.

§. 82. Cartesius hat erkannt / daß die Seelen denen Körpern keine Kraft mitteilen könnten / weil allezeit einerlei Quantität der Kraft in der Materie vorhanden wäre. Unterdessen hat er geglaubet / daß die Seele die Direktion oder Stellung der Körper verändern könnte; solches aber ist um deßwillen geschehen / weil man zu seiner Zeit das Gesetz der Natur / welches mit sich bringet / daß auch einerlei Direktion in der ganzen Materie erhalten wird / noch nicht eingesehen hat. Wann er dieses Gesetze wahrgenommen hätte / so würde er auf mein Systema harmoniae praestabilitae geraten sein.

§. 83. Vermöge dieses Systematis geschiehet es / daß die Körper eben so würken / als wenn (gesetzten unmöglichen Falls) gar keine Seelen wären / und daß die Seelen ihre Würkungen verrichten / als wenn gar kein Körper vorhanden wäre / und daß beide auf solche Art agieren als wenn das eine einen Einfluß in das andere ausübete.

§. 84. Was die Geister oder vernünftigen Seelen anbetrifft / ob ich gleich befinde / daß bereits beigebrachter maßen bei allen mit einem Leben begabten Dingen und animalibus dem Grunde nach einerlei angetroffen werde / nämlich / daß die Animalia und die Seelen weder einen Anfang als mit der Welt / noch ein Ende als mit derselben haben können; so ist doch dieses als etwas besonderes in denen vernünftigen animalibus wahrzunehmen / daß ihre kleinen animalia spermatica, in so weit sie nichts anders als dieses sind / nur ordinaire oder sensitive Seelen haben; und daß hingegen von ihnen diejenigen / welche / so zu reden / hierzu erwählet sind / durch eine wirkliche Conception zu der Menschlichen Natur gelangen / indem ihre sensitive Seelen zu dem Grad der Vernunft und zu dem Vorzuge der Geister erhaben werden.

§. 85. Unter andern Arten des Unterscheids / welche sich zwischen denen ordinairen Seelen und denen Geistern befinden / und wovon ich bereits einen Teil angemerket habe / ist doch dieser merkliche Unterscheid zu beobachten / daß die Seelen überhaupt lebendige Spiegel oder Abbildungen des ganzen Umfangs der Kreaturen oder des Welt-Gebäudes sein; hingegen daß die Geister auch überdem gewisse portraits der Gottheit selbst oder des Urhebers der Natur sind / welche die Fähigkeit haben / den Bau der großen Welt zu erkennen und denselben durch die nach der Bau-Kunst eingerichtete und aufgeführte Muster einiger maßen zu imitieren; indem ein jedweder Geist in seinem Bezirk gleichsam eine kleine Gottheit ist.

§. 86. Hierdurch geschiehet es / daß die Geister geschickt sind / mit GOtt in eine gewisse Art der Societät zu treten / und daß er in Ansehung ihrer nicht alleine dasjenige / wovor ein Erfinder in Absicht auf seine Machine gehalten wird / dergleichen GOtt in Betrachtung aller Geschöpfe ist; sondern auch dasjenige ist / was ein Prinz in Relation auf seine Untertanen / und was ein Vater in regard seiner Kinder ist sein muß.

§. 87. Woraus man auch leichtlich schließen kann daß aus der völligen Zusammennehmung aller Geister die Stadt Gottes / das ist der allervollkommenste und allerausbündigste Staat welcher nur unter dem allervollkommensten Monarchen möglich ist / bestehen und erwachsen müsse.

§. 88. Diese Stadt Gottes / diese Monarchie / welche in der Tat allgemein ist / ist eine moralische Welt in der natürlichen Welt. Sie ist unter denen Werken Gottes dasjenige / welche die Hoheit und die Gottheit am meisten ausdrucket. In ihr bestehet die wahre Ehre des Schöpfers; weil die Ehre nicht kann statt finden / wenn seine Größe und seine Güte von denen Geistern nicht erkannt und bewundert würde. Es ist auch diese Stadt Gottes dasjenige / woraus man seine Güte eigentlich erkennen kann; da hingegen seine Weisheit und seine Macht sich überall zu Tage legen.

§. 89. Gleichwie wir oben unter denen natürlichen Reichen / deren eines sich auf die causas efficientes, das andere auf die causas finales stützet / eine Harmonie dargetan haben; so müssen wir allhier auch eine andere Harmonie unter dem Physikalischen Reiche der Natur und unter dem moralischen Reiche der Gnade anmerken / das ist / in so weit Gott als ein Erbauer der ganzen Welt-Machine betrachtet / und in so weit er als ein Monarche der Göttlichen Stadt der Geister angesehen wird.

§. 90. Aus dieser Harmonie erfolget / daß die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen / und daß / zum Exempel / diese Erd-Kugel in dem Augenblick / da solches die über die Geister sich erstreckende Regierung erfordert / so wohl zu ihrer Bestrafung als Belohnung müßte destruieret und wieder hergestellet werden.

§. 91. Man kann auch sagen / daß Gott als ein Erbauer und Verfasser der Welt / sich als einem Gesetzgeber und Regenten ein völliges Gnügen tue / und daß also die Laster nach der Ordnung der Natur und vermöge der mechanischen Struktur der Dinge ihre Strafen auf dem Rücken mit sich führen; daß auch die guten actionen ihre Belohnung auf mechanische Manier in Absicht auf den Körper sich zuziehen; obgleich beides nicht allezeit also fort darauf weder geschehen kann noch muß.

§. 92. Es wird endlich unter dieser vollkommenen Regierung keine gute Tat unvergolten / und keine böse unbestraft bleiben / und alles muß zum Besten der Frommen ausschlagen / das ist / derjenigen / welche in diesem großen Staat nicht unter die Anzahl der Mißvergnügten gehören / sich nach ihrer beobachteten Schuldigkeit auf die Göttliche Vorsorge verlassen und den Urheber alles Guten gebührender maßen lieben und nachahmen; indem sie in der Betrachtung seiner Vollkommenheiten ihre Lust haben und zwar nach der Natur der wahrhaftig reinen Liebe / wodurch man bewogen wird / daß man aus der Glückseligkeit desjenigen / den man liebet / seine Vergnügung schöpfet. Dieses treibet die weisen und tugendhaften Personen an / daß sie nach allem demjenigen streben und arbeiten welches dem vorhergehenden oder praesumtiven Willen GottesVoluntas antecedens gemäß zu sein scheinet / und daß sie sich unterdessen mit demjenigen begnügen / was ihnen GOtt vermöge seines geheimen Schluß-WillensVoluntas consequens würklich widerfahren läßt; indem sie gar wohl erkennen / daß / wenn wir die Ordnung der Welt zur Gnüge verstehen könnten / wir befinden würden / daß dieselbe alles Wünschen / alles Verlangen der weisesten übersteige und daß es unmöglich sei / daß dieselbe besser sein könne / so wohl in Ansehung des ganzen Welt-Gebäudes / als auch in Betrachtung auf uns insonderheit / so ferne wir uns an den Urheber aller Dinge halten / nicht alleine in so weit er der Erbauer der Welt und die würkende Ursache unsers Wesens ist / sondern auch in so weit er unser Ober-Herr und die Final-Ursache ist / worauf unser Wille einzig und alleine abzwecken sollen und außer dem unsere Glückseligkeit nicht befördert werden kann.


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