Gottfried Wilhelm Leibniz
Monadologie
Gottfried Wilhelm Leibniz

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§. 47. Also ist alleine Gott die allererste oder urständliche Monade / von welcher alle erschaffene Monaden sind hervorgebracht worden; und diese werden / so zu reden / durch die ununterbrochenen Strahlen oder fulgurationes der Gottheit / nach Proportion der eigentümlichen Fähigkeit einer Kreatur / welche ihrem Wesen nach umschränket ist / von einem Augenblick zum andern geboren.

§. 48. Es ist in GOtt die Macht / welche die Quelle von allem ist; hernach die Erkenntnis / welche den völligen Zusammenhang der Ideen in sich fasset; und endlich der Wille / welcher die Veränderungen oder die Schöpfungs-Werke nach denen Regeln der allerbesten und ausbündigsten Ordnung hervorbringet.

§. 49. Hierauf beruhet dasjenige / welches mit demjenigen überein kommet / so bei denen erschaffenen monadibus das Fundament ausmachet und in facultate perceptiva et facultate appetitiva bestehet. In Gott aber sind diese Eigenschaften schlechterdings unendlich und vollkommen und in denen erschaffenen Monaden oder in denen Entelechiis (oder Perfectihabiis, wie Hermolaus Barbarus dieses Wort übersetzte /) findet man nur eine Nachahmung nach Proportion und nach dem Grad der Vollkommenheit / die sie besitzen.

§. 50. Von denen Geschöpfen saget man / daß sie außer sich würken / in so weit sie eine gewisse Vollkommenheit haben / und daß sie von einem andern Dinge etwas leiden / in so weit sie unvollkommen sind. Also leget man der Monade die Action oder die Würkung bei / in so weit sie distincte oder deutliche Empfindungen hat / und die Passion oder die Leidenschaft / in so weit die Perceptionen verwirret oder undeutlich sind.

§. 51. Und eine Kreatur ist vollkommener als eine andere / in so weit man in ihr etwas wahrnimmt / woraus man von demjenigen / welches in einer andern Sache vorgehet / a priori Raison zugeben vermögend ist; und hierdurch saget man / daß sie in eine andere Kreatur würke.

§. 52. In denen simplen Substanzen aber ist nur ein ideeller Einfluß einer Monade in die andere / welcher nur durch die darzwischen kommende Beitretung Gottes seinen Effect tut / in so weit eine Monade in denen Göttlichen Ideen mit Raison fordert / daß Gott bei anfänglicher Einrichtung derer Dinge sie in Betrachtung ziehe. Denn weil eine erschaffene Monade keinen physikalischen Einfluß in das Innere einer andern Monade haben kann; so ist kein anderes Mittel als dieses vorhanden / warum eine von der andern eine Dependenz haben kann.

§. 53. Dahero geschiehet es / daß unter denen Geschöpfen die Würkungen und die Leidenschaften mit einander abwechseln. Denn GOtt findet bei Vergleichung zweier Monaden in einer jeden gewisse Bewegungs-Gründe / welche ihn veranlassen / eine andere nach derselben zu accommodieren; und folglich kann dasjenige / welches bei einseitiger Betrachtung würkend ist / leidend sein / wenn es auf einer andern Seite angesehen und erwogen wird; würkend / in so weit dasjenige / welches man an einer Sache deutlich erkennet / darzu dienet / daß man von demjenigen / welches in einem andern Dinge vorgehet / Raison geben kann; und leidend / in so weit die Raison von demjenigen / welches in ihr sich eräuget / in demjenigen sich befindet / welches man distinct und deutlich in einer andern erkennet.

§. 54. Gleichwie nun in denen Ideen Gottes unendlich viele mögliche Welt-Gebäude sich vorstellen und abschildern / und nur eines davon existieren kann; so muß von der getroffenen Wahl Gottes eine zulängliche Raison angetroffen werden / welche ihn mehr zu der Hervorbringung des einen als zur sichtbaren Darstellung des andern determiniert hat.

§. 55. Und dieser Bewegungs-Grund kann sich nur in denen verschiedenen Graden der Vollkommenheit / welche sotane Welt-Gebäude in sich fassen / befinden; allermaßen ein jedwedes mögliches Ding das Recht hat / nach dem Maß der Vollkommenheit / so es in sich begreifet / die Existenz zu fordern.

§. 56. Warum aber die allerbeste und ausbündigste Ordnung existieret / davon findet man den Grund in seiner Weisheit / welche ihn dieselbe hat erkennen lassen; in seiner Güte / welche ihn zur Erwählung derselben bewogen hat / und in seiner Macht / wodurch er vermögend gewesen / solche aus dem Unsichtbaren an das Licht zu stellen.

§. 57. Daß er nun alle erschaffene Dinge nach einem jedweden / und ein jedwedes nach allen andern eingerichtet und verfasset hat / solches verursachet / daß eine jede einfache Substanz gewisse Relationen hat / durch welche alle die anderen Substanzen ausgedrucket und abgebildet werden / und daß sie folglich ein beständiger lebendiger Spiegel des ganzen großen Welt-Gebäudes sei.

§. 58. Und gleichwie eine einzige Stadt / wann sie aus verschiedenen Gegenden angesehen wird / ganz anders erscheinet / und gleichsam auf perspectivische Art verändert und vervielfältiget wird; so geschiehet es auch / daß durch die unendliche Menge der einfachen Substanzen gleichsam eben so viele verschiedene Welt-Gebäude zu sein scheinen / welche doch nur so viele perspectivische Abrisse einer einzigen Welt sind / wornach sie von einer jedweden Monade aus verschiedenen Ständen und Gegenden betrachtet und abgeschildert wird.

§. 59. Und dieses ist das Mittel / mit einer Welt so viele Mannigfaltigkeit und Veränderungen / als nur immer möglich sind / zuerhalten / welches aber mit der allerhöchsten Ordnung / so nur kann gedacht werden / geschiehet; das ist / dieses ist das Mittel / eben so viel Vollkommenheit / als nur möglich ist / bei der Erschaffung einer einzigen Welt zu erreichen.

§. 60. Es ist auch keine andere Hypothesis als diese / (von welcher ich mich unterstehe zu sagen / daß sie demonstrativisch oder auf unumstößliche Gründe gebauet sei /) welche die Hoheit und Majestät Gottes nach Würden erhebet; wie dann Herr Bayle dieses selbst gestunde / da er in seinem Dictionnaire (unter dem Artikul / Rorarius,) wieder dieselbe gewisse Einwürfe machte / allwo er auch zu glauben veranlasset wurde / daß ich GOtt allzuviel und mehr / als möglich wäre / beilegte. Er kunte aber keinen Beweis-Grund anführen / warum diese Harmonie und Zusammenstimmung unmöglich wäre / welche verursachet / daß eine jedwede Substanz alle die übrigen vermöge der Relationen, so sie mit ihnen hat / auf eine exacte Art ausdrucket und abschildert.

§. 61. Uberdieses ersiehet man aus demjenigen welches ich aus denen a priori hergeleiteten Beweis-Gründen bereits beigebracht habe / warum die Dinge nicht anders sein können. Weil GOtt bei verfassung des ganzen Welt-Baues einen jeden Teil desselben und insonderheit eine jede Monade / deren Natur repraesentativisch oder so beschaffen ist / daß sie die Dinge in der Welt abzuschildern fähig ist / in Betrachtung gezogen hat; so ist nichts vermögend / die Monade dergestalt einzuschränken / daß sie nur einen Teil von denen existierenden Dingen abschildern sollte; ob es gleich an dem ist / daß diese Abschilderung in der Zergliederung des ganzen Welt-Gebäudes nur undeutlich oder verwirret und keineswegs deutlich oder distinct sein kann / als nur in einem kleinen Teile derer Dinge / das ist / in denenjenigen / welche in Absicht auf eine jedwede von denen Monaden entweder die nächsten / oder die allergrößten sind; allermaßen sonst eine jede Monade eine Gottheit sein müßte. Daß die Monaden ihre gewisse Schranken haben / solches kommet nicht von dem Objekt / sondern von der Modification der Erkenntnis des Objekts her. Die Monaden streben alle auf eine undeutliche Art nach dem unendlichen / sie sind aber nach den Graden der deutlichen Empfindungen oder Perzeptionen eingeschränket und von einander unterschieden.

§. 62. Und die zusammengesetzten Dinge symbolisieren hierinnen mit denen simpeln Substanzen. Denn gleichwie der ganze Raum angefüllet ist / und folglich alle Materie an einander hanget / über dieses auch in dem angefülleten Raume eine jedwede Bewegung ihre Würkung in die entlegenen Körper nach Proportion der Weite dergestalt tut / daß ein jeder Körper nicht alleine von denjenigen / welche ihn berühren / afficieret wird / und dasjenige was ihnen widerfähret / auf gewisse Art empfindet; sondern auch vermittelst derselben auch auf gewisse Manier diejenigen fühlet / welche an die ersten Körper / wovon er unmittelbar berühret wird / stoßen; so folget daraus / daß diese Kommunikation auf eine jede Distanz / sie sei beschaffen wie sie wolle / sich erstrecke. Und folglich fühlen alle Körper dasjenige alles / was in dem ganzen Welt-Gebäude vorgehet / dergestalt daß derjenige / welcher alles siehet / in einem jedweden alle Veränderungen und Begebenheiten der Welt / und nicht alleine die gegenwärtigen sondern auch die vergangenen und künftigen würde lesen können; indem er in dem gegenwärtigen dasjenige / welches so wohl der Zeit als denen Orten nach entfernet ist / wahrnimmet. Hippocrates sagte: συμπνοια παντα, alles stimmet mit einander überein; alleine eine Seele kann in ihr selbst nur dasjenige lesen / was in ihr deutlich und erkenntlich vorgestellet und abgebildet wird; sie kann nicht alles / was in ihr in einander gewickelt und zusammen gezogen ist / auf einmal auseinander setzen / allermaßen dasselbe unendlich fortgehet.

§. 63. Obgleich also eine jedwede erschaffene Monade das ganze Welt-Gebäude abschildert; so repraesentieret sie doch viel deutlicher denjenigen Körper / von welchem sie insbesondere afficieret wird / und dessen entelechia sie ist. Und gleich wie dieser Körper das ganze Welt-Gebäude vermöge der Verknüpfung aller in dem angefülleten Raume befindlichen Materie ausdrucket; so schildert auch die Seele das ganze Welt-Gebäude ab / indem sie diesen Körper / welcher ihr auf eine so besondere Manier zugehöret / abschildert.

§. 64. Der Körper welcher einer Monade beigeleget ist / und dessen Entelechie oder Seele sie ausmachet / constituieret mit der Entelechie dasjenige / welches man ein lebendiges Wesen nennen kann / und mit der Seele dasjenige / welches man ein Tier nennet.

§. 65. Nun ist aber dieser Körper eines lebendigen Wesens oder eines Tieres allezeit organisch; denn da eine jede Monade nach ihrer Art ein Spiegel des ganzen Welt-Gebäudes ist / überdieses auch die Welt nach einer vollkommenen und ausbündigen Ordnung verfasset ist; so muß auch eine Ordnung in demjenigen sein / welches dasselbe abschildert / das ist / es muß eine Ordnung in denen Perceptionen der Seele und folglich in dem Körper sein / nach welchem das Welt-Gebäude in derselben vorgestellet und ausgedrucket ist.

§. 66. Dahero ein jedweder organischer Körper eines lebendigen Wesens eine Art von denen Göttlichen Machinen oder natürlichen automatibus ist / welche alle künstliche Automata unendlich übersteiget; allermaßen eine durch menschliche Kunst verfertigte Machine in allen ihren Teilen mechanisch ist. Zum Exempel: die Zähne an einem eisernen Rade haben gewisse Teile oder Stücke / welche in Ansehung unserer nicht weiter etwas künstliches sind / und nichts mehr in sich fassen / welches in Absicht auf den Gebrauch / worzu das Rad bestimmt ist / etwas mechanisches anzeiget. Alleine die Machinen der Natur / das ist / die lebendigen Körper sind auch unendlich fort gewisse Machinen in ihren geringsten Teilgen. Wodurch der Unterscheid / welcher zwischen der Natur und der Kunst / das ist / zwischen denen Göttlichen und Menschlichen Kunst-Werken ist / bestimmt wird.

§. 67. Und der Urheber der Natur hat dieses göttliche und unendliche Wunder in sich fassende Kunst-Stücke ausüben können / weil eine jedwede Portion der Materie nicht alleine unendlicher Weise teilbar ist / wie solches die Alten erkannt haben / sondern auch ein jedweder Teil würklich ohne Ende in andere Teile / deren jeder eine eigene Bewegung hat / wieder aufs neue eingeteilet ist; denn es sonst unmöglich wäre / daß eine jede Portion von der Materie das ganze Welt-Gebäude ausdrucken könnte.

§. 68. Woraus man ersiehet / daß in der geringsten Portion der Materie eine Welt von Geschöpfen / von lebendigen Wesen / von Tieren und Seelen befindlich sein müsse.

§. 69. Eine jedwede Portion der Materie kann als ein Garten voller Pflanzen und Bäume und als ein Teich voller Fische concipieret werden. Alleine ein jeder Ast von einem Baume / ein jedwedes Glied von einem Tiere / ein jedweder Tropfen von seinen humoribus ist ebener maßen dergleichen Garten oder ein solcher Teich.

§. 70. Und obgleich die zwischen die Pflanzen eines Gartens tretende Erde und Luft / oder das zwischen denen Fischen eines Teiches befindliche Wasser / weder Pflanze noch Fisch ist / so fasset doch sotane Erde / Luft und Wasser ebener maßen dergleichen Kreaturen in sich / welche aber sehr öfters von einer unkenntlichen und unvermerklichen Subtilität sind.

§. 71. Also ist nichts unangebauetes / nichts ödes / nichts unfruchtbares / nichts todes in dem ganzen Welt-Gebäude; es ist darinnen kein wüster Klumpen / keine Verwirrung als nur dem äußerlichen Scheine nach. Es hat hiermit bei nahe eben die Bewandtnis / als wie uns ein Teich vorkommen würde / wenn wir ihn nach einer gewissen Distanz betrachteten / nach welcher man eine undeutliche und verwirrte Bewegung und / so zu reden / ein unordentliches Wimmeln derer Teich-Fische erblicken würde / ohne daß man die Fische selbst von einander zu unterscheiden vermögend wäre.


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