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Johanna.

Zuerst erschienen: 1834

 

Es war eine so verlockend milde Luft, daß wir uns nicht entschließen mochten, nach Hause zu gehen. Die Sterne glänzten wie Liebesaugen einer fernen Welt; Nachtwinde, weich wie Sammt, spielten in den Lüften, üppiges, verführerisches Schweigen lag wie ein Seidenmantel über der Erde.

Johanna, bis zum Abende ernst und zurückhaltend, war bei'm Sperl munter geworden, jetzt sang sie ein ungarisches Liedchen in die Luft hinaus:

Lüftchen kommst Du aus dem Morgen,
Wo die hohen Zedern stehen,
Hast Du dort mein weißes Häuschen,
Meinen dunklen Herrn gesehen?

Augen hat er schwarz wie Kohlen,
Und sein Bart ist dicht und lang,
Spielend wie der Baum am Wasser,
Kräftig ist sein Leib und schlank.

Und sein Roß ist so behende,
So beweglich wie der Wind,
Gürte Dich, mein Lüftchen, schwebe,
Eile heimwärts, flieg' geschwind!

Sind Sie denn aus Asien, Johanna?

Ich bin aus dem Himmel, und bin ein verstoßenes Kind. Ach, daß ich nicht sprechen kann, Niemand hab' ich es sagen können, und doch müßt' ich so leicht werden, wenn ich es einmal erzählen könnte – und ich will's, hier auf der stillen Bastion will ich's. Setzen wir uns.

Sie erzählte.

Von der ungarisch-polnischen Grenze war sie her. Dort lebte vor manchen Jahren ein junger Hirt, welcher seines Herrn Ochsen hütete draußen in den weiten, endlosen Feldern. Er schlief da des Nachts mit seinen Thieren, und so lange ein grüner Halm zu sehen war, sah er keinen Menschen, als den Verwalter, welcher zuweilen geritten kam, um einige Ochsen auszuwählen und ihn, den Hirten, mit der Peitsche zu schlagen. Im Winter aber sah er im Dorfe die schöne Veronica, ein Mädchen von 15 Jahren mit zwei Augen voller Musik. Veronica war ihm gewogen, und er traf sie manchmal des Abends hinter dem Ochsenstalle.

Es war ein sehr glücklicher Winter gewesen, obwohl der Hirt mehr Prügel gekriegt hatte, als sonst – in einer lichten Nacht standen sie wieder am Stalle, und genossen schweigend ihr Glück; da stieg eine Lerche neben ihnen in die Höhe.

O heilige Jungfrau, klagte der Hirt, hörst Du Veronika, die Lerche ist da, nun muß ich hinaus auf die Wiesen, und der Sommer ist lang!

Sie faßten sich ein Herz, und gingen des Morgens zum Herrn, und baten ihn, sich heirathen zu dürfen. Der Herr war ein junger, schöner Herr, und lachte, und ließ den Priester rufen. Als dieser sie kopulirt hatte, trat der Verwalter ein, und sagte: Allergnädigster Herr, heut' Morgen hat die Lerche gesungen, das Vieh muß auf die Weiden. Der Hirt behielt nicht so viel Zeit, Veronica zu küssen, und mußte hinaus.

Es soll Deinem Weibe gut gehen, sagte der Herr, sie kann im Schlosse wohnen.

Der Sommer war sehr lang, und da Veronica sehr schön war, so hatte der Hirt viel zu weinen; denn er wußte es schon im Frühjahr, daß es einen schlechten Winter geben würde dieses Jahr, der junge Herr war zu hübsch und hatte zu schnell gelacht. Was kann man aber weinen vom Georgen- bis zum Michaelistage!

Er hat auch den nächsten Winter geweint, und hat sich nicht einmal freuen können, als er hörte, Veronica habe im Schlosse ein Mädchen geboren, und zwar ein schönes Mädchen.

Das Mädchen wuchs auf, Veronica aber und der Hirt gingen zu Grunde; denn Schönheit währt nicht ewig und die Gunst ist wechselnd wie der Wind auf den Feldern.

Nur die kleine Johanna wurde im Schlosse behalten, weil sie gar zu hübsch war, und der Herr sie leiden mochte; der Hauskaplan gab ihr Unterricht mit dem Sohne des Herrn, und sie lernte Mancherlei, auch eine große Zärtlichkeit für Stephan, den jungen Erben. Stephan, erwiderte sie, und Beide wären sehr glücklich gewesen, wenn die gnädige Frau, die Mutter Stephans, gnädiger zugesehen hätte. Die aber war eine stolze Dame aus der Trentsyner Gespannschaft vom Matynschfelde, welche die Johanna nicht leiden mochte, und öfters auf die rothen Backen schlug.

Eines Tages brachten sie den Herrn, Stephans Vater, aus dem Walde, wo man ihn an der Erde gefunden hatte; sein schöner rother Hengst ging traurig neben dem kleinen Fuhrwerke her. Der alte Herr war nämlich erschlagen, obwohl er eigentlich noch kein alter Herr war, und Stephans Mutter übernahm die Herrschaft unterdeß, weil Stephan erst fünfzehn Jahre zählte.

Am Begräbnißtage nahm die Dame vom Matynschfelde Johanna bei der Schulter, und sagte, sie solle machen, daß sie fortkomme, und sich nie wieder auf dem Hofe sehen lassen, wenn sie nicht die Peitsche fühlen wolle.

Johanna ging weinend hinaus auf's Feld; Abends kam ihr Stephan nach, machte ihr eine Hütte zurecht, und brachte ihr Essen und Trinken. Johanna lachte wieder, und es ging mehrere Monate ganz vortrefflich.

Der Wind wehte, die Nächte wurden kalt, über die blauen Berge am Horizonte her kam das wilde Geflügel hoch in der Luft, die Wiesen wurden trocken und wüst, Stephan kam nicht wieder, Johanna hatte kein Wasser in den Augen mehr, und wanderte der Sonne nach, fort, fort von der Heimath, die sie schmerzte bis in die innerste Seele. Strümpfe und Schuhe, die sie noch aus dem Edelhause mitgenommen hatte aufs Feld, waren zerrissen, die nackten Füße bluteten auf dem harten Boden, des Nachts fiel eiskalter Reif, und erstarrt, vom Hunger entkräftet, aber ohne Gedanken an Frost und Hunger kam Johanna in mondheller Nacht an einen großen See. Sie ging gerade d'rauf los, und wäre hineingegangen, ohne es zu wissen und zu wollen, wenn sie nicht von einer Stimme angerufen worden wäre. Der rufende war ein Reiter, welcher dicht neben ihr hielt, der Mond schien glänzend, und spiegelte sich tausendfach von der breiten Wasserfläche, die Hand des Reiters legte sich auf des Mädchens Haar und bog ihr den Kopf in die Mondesstrahlen. Dann lehnte er das kalte Kind an die Weiche des Pferdes, und sprach: Wärme Dich, aber sei still, der Wolf ist nahe.

Johanna stand, und schwieg, der Dampf des Pferdes that ihr wohl – nach einer Weile drang ein wunderliches Geräusch aus der Ferne, ein Geräusch wie heiseres Hundegebell. Der Reiter spannte den Hahn seiner langen Büchse, das Pferd zitterte und stöhnte, ein dunkler Schatten zeigte sich in der Entfernung von etwa zwanzig Schritten. Es war der Wolf.

Die Büchse knallte, der Schatten verschwand, aber ein lautes Geheul ward in der Ferne hörbar, das Pferd wurde immer ängstlicher, stöhnte immer heftiger.

Spring auf, Mädchen, rief hastig der Reiter, es kommt ein ganzer Trupp – greif' aus, Selim!

Mit diesen Worten hatte er sie zu sich auf den Sattel gehoben, und am Rande des See's hin jagte keuchend, in Todesangst das Roß, das Geheul der Wölfe hintendrein. So ging's wohl eine halbe Stunde, da wurden die Tritte des Pferdes unsicher, sein Kreuz schwankte, das Geheul der Wölfe kam näher – Selim, noch einen Acker lang halte aus, sonst sind wir Alle verloren, rief der Reiter, und drückte dem Thiere die Sporen ein. Jach flog es noch eine kurze Strecke hin, dann stürzte es zusammen. Der Reiter raffte sich und das Mädchen auf, und riß sie schnellen Laufes am Arme fort. Sie waren aber kaum tausend Schritte weit gekommen, da brachen Johanna's Kniee, und sie sank kraftlos zur Erde. Immer näher kam das Geheul der Wölfe. Der athemlose Reiter setzte ein Horn an den Mund, und preßte einzelne, grelle Töne heraus, dann nahm er das Mädchen auf die Arme und sprang weiter – ein breiter Schatten zeigte sich, es war sein Gehöfte, aber die Wölfe waren ihm dicht auf der Ferse – in diesem gefährlichen Augenblicke dröhnte der Hufschlag einer Reiterschaar den Bedrängten entgegen. Der Hilferuf des Herrn war gehört worden, seine Knechte sprengten herbei mit Knütteln auf nackten Pferden. Ihre Menge vertrieb die hungrigen Bestien. –

– Der Graf, welcher Johanna gerettet hatte, war ein hoher, straffer Herr von vierzig Jahren, dem viele Aecker und Bauern gehörten. Er behielt Johanna bei sich, gab ihr zu essen, ein weiches Bett und zog ihr am Morgen schöne Strümpfe und Schuhe an.

Im nächsten Frühjahre nahm er sie mit nach Preßburg, und von dort entlief das Mädchen, und kam an einem warmen Abende nach Wien. Auf der Singerstraße begegnete ihr ein Nachbar ihres Grafen, er war indessen ein guter Kauz, und versprach ihr, jenem nicht nur nichts mitzutheilen, sondern ihn sogar auf falsche Fährte zu leiten, der gutmüthige Ungar ward ihr ein Trost, er war nicht ungestümm, und gewährte ihr einen erwünschten Anhalt. Außer der Heimath besinnt sich wohl der Magyar, daß er mit dem Mädchen nicht so kurz angebunden sein könne.

Gesundheit, Jugend, Frühling waren wieder aufgewacht in Johanna, und Wien hatte das Seinige gethan. Es ist diese Stadt ein wirklicher Lethestrom, wenn man hineintaucht, tüchtig untertaucht, so vergißt man Gutes, wie Schlimmes.

Es lag Alles wie ein ferner Traum hinter Johanna, Fleisch und Blut gewährten ihr die süße Behaglichkeit des täglichen Lebens, sie sah, daß Niemand mehr wollte, sie fuhr nach Hütteldorf, nach Hietzing, sie ging zum Sperl und in die Theater, sie ließ sich Bänder kaufen und Kleider, sie promenirte auf dem Graben und Kohlmarkte, sie fand die Luft warm und das Eis vortrefflich, sie lebte, war Wienerin geworden.

Nirgends anders als dort, wäre ihr dieß geglückt.

So weit war sie in ihrer Erzählung gekommen, als ein weißer Duft über den Himmel flog wie ein Schuß – es war der Morgen, ein Lerchentriller drang leise aus dem Felde herein bis auf die Bastion.


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