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Die Karlisten.

Zuerst erschienen: 1834

 

Die Herzogin von Angoulême hatte sich eines jungen Mädchens angenommen, welches aus einer alten, aber verarmten adeligen Familie war. Die Eltern des Mädchens waren gestorben, und hatten sich sammt ihren Vorfahren durch treue Dienste ausgezeichnet: einer der letzteren war sogar einmal Ceremonienmeister in den Tuilerien gewesen. Das Mädchen hieß Angelique und war sehr hübsch. Es war indeß nicht eine hervorstechende Schönheit, welche sie auszeichnete, sondern mehr ein unbefangenes einnehmendes Wesen. Sie hatte ein liebes Gesicht, in welchem sich alle Eindrücke schnell und angenehm, ja einschmeichelnd abspiegelten; die Züge desselben waren weich und fein, sie hatte ein Antlitz wie ein Gedicht, und eine überaus schöne sanfte Stimme. Die Herzogin von Angoulême gab sie nach St. Cloud zu einer ältlichen Dame, welche mehrere Mädchen zu ihrer Erziehung bei sich hatte. Wegen ihrer angenehmen Stimme ward sie aber oft nach Paris gefahren, um der Herzogin vorzulesen. Es waren immer ernsthafte, moralische Bücher, welche ihr zu diesem Zwecke gegeben wurden, und die tugendhaften Grundsätze, welche darin ausgedrückt waren, prägten sich während des Lesens treu und schön in Angeliques Gesicht aus. Die Herzogin von Angoulême, eine hohe Frau mit einem Gesicht wie von Marmor und Tugend, saß gewöhnlich auf einem Tabouret in einer Ecke des Zimmers, ihre Hände ruhten still auf ihrem Schooße, weit ringsum in allen Gemächern war es todtenstill, und wenn ein Abschnitt zu Ende war, so winkte sie die Leserin zu sich. Angelique kniete vor ihr nieder, die Herzogin küßte sie auf die Stirn, und entließ sie dann wie eine Mutter mit einigen wohlgemeinten guten Lehren.

Wenn Angelique nach Hause fuhr, so machte sie gewöhnlich ein Glasfenster der großen Kutsche auf, obwohl die sie begleitende ältere Dame immer Viel dagegen einzuwenden hatte. Mehrere Male begegnete ihr nicht weit von der Barriere ein Reiter auf einem stolzen, großen Rappen, hinter welchem ein sehr reich gallonirter Bediente ritt. Der Reiter hatte ein sehr vornehmes Ansehen, und sah dreist, und wie es schien sehr aufmerksam in den Wagen hinein; später waren seine Blicke sehr freundlich, und er grüßte jedesmal. Eine der Hofdamen, welche allmählig die regelmäßige Begleiterin Angeliques geworden war, kannte ihn, und sagte, es sei der Vicomte v. B., ein sehr wohl gelitt'ner Chevalier bei der Suite der Herzogin von Berry.

Eines Nachmittags, als Angelique nach Hause fuhr, war er eine Strecke neben dem Wagen hergeritten, und hatte mit ihr gesprochen. Sie kam ein wenig erregt nach Hause, und eilte schnell nach ihrem Zimmer, um sich umzukleiden, als Madame Berrault, ihre Erzieherin eintrat, und ihr ankündigte, daß ihr »der Herzog« seine Aufwartung machen würde.

»Welcher Herzog?«

Madame Berrault legte den Finger auf den Mund, umarmte Angelique und sagte ihr, sie sei ein glückliches Mädchen. »Der Herzog« war ein lang gewachsener, junger Mann mit einem sehr gutmüthigen, regelmäßigen Gesicht und einer sehr liebenswürdigen guten Laune. Er schwatzte mit Angelique das drolligste Zeug, sie lachte herzlich mit ihm, und er kam alle Tage wieder. Madame Berrault hatte ihr verboten, der Herzogin etwas davon zu sagen.

Als Angelique eines Tages eben mitten in ihrer Vorlesung war, entstand Geräusch in den Nebenzimmern, die Thür flog auf, und die Herzogin von Berry flog in's Zimmer, küßte die Angoulême flüchtig, setzte sich neben sie, und winkte Angelique, ruhig fortzufahren. Man habe ihr gesagt, daß sie so schön lese, und sie wolle sich davon überzeugen. Angelique las, es dauerte aber nicht lange, so sprang die Berry wieder auf, sagte: »Schön, charmant«, strich dem erröthenden Mädchen die Haare aus der Stirn und küßte sie auf's Auge. Darauf erbat sie sich von der Angoulême die Erlaubniß, Angelique morgen und je zuweilen bei sich lesen zu lassen. Die Herzogin von Angoulême zögerte mit der Einwilligung, die Berry aber streichelte ihr die Wangen und versicherte: wenn wir auch nicht ganz so ernsthafte Dinge lesen, so sollen sie doch nicht viel weniger ernsthaft sein. Und sie eilte davon.

Angelique ward mit vielen guten Lehren entlassen, die sie zur Hälfte verstand, wenn sie an den nebenher reitenden Vicomte und den sie erwartenden »Herzog« dachte. Dieser pflegte sich nämlich immer einzufinden, wenn der Abend kam.

Heut war er muntrer als je, und setzte sich auf eine Fußbank neben ihre Füße, und nahm zum ersten Mal ihre Hand und küßte sie, und trommelte ihr leise mit den Fingern auf den kleinen Füßen herum. Angelique schlug ihn auf die Finger, aber als sie sich dabei ein wenig bückte, faßte er sie mit beiden Händen beim Kopfe, und küßte sie munter und herzhaft. Angelique wollte sehr böse werden, aber er setzte sich neben sie, und streichelte ihr die Wangen. –

Am andern Tage war sie bei der Herzogin von Berry. Sie befanden sich in einem sehr großen prächtigen Zimmer, die Herzogin war eben von einem Spazierritt gekommen, und saß noch im Reitanzuge, oder lag vielmehr in einem Divan, den Reithut mit den hohen Federn in die Kissen drückend, so daß er sich ihr vorn tief in die Stirn drängte, und das muntre, neapolitanische Gesicht beschattete.

Man mußte genau hinsehn, ob die schlanke Figur mit den scharfen Gesichtszügen ohne Schönheit ein Männlein oder ein Fräulein sei. Mit der Reitgerte spielte sie auf dem Tische, vor welchem Angelique ihren Platz hatte, und ihr eine bunte, ausgelassene Novelle las. Mehrere Herren und Damen saßen im Zimmer zerstreut, und flüsterten leise mit einander. Nicht weit von ihr in einer Fensterwölbung stand ein einzelner Herr, Angelique wagte nicht, genau hinzusehen, es schien ihr aber, als sei es der Vicomte. Die Herzogin sprach zuweilen einige Worte in italienischer Sprache zu ihm, welche Angelique nicht genau verstand, da sie der Sprache nicht völlig mächtig war. Allmählig ward die Herzogin still, Angelique las und las bis es dunkel ward, da bemerkte sie erst, daß jene eingeschlafen sei. Sie hielt einen Augenblick inne, die Stimme aus der Fensterwölbung sagte leise »continuez«, – da fuhr die Herzogin in die Höhe, und sagte leise in sich hinein: »perche no – si, perche no« – darauf sich ermunternd, rief sie dem Vicomte in der Fensterwölbung, er möge das Fräulein begleiten, reichte ihr die Hand zum Küssen, klopfte sie leis' auf die Wange und ging in ein andres Gemach.

Eh sich Angelique besinnen konnte, hing sie am Arme des Vicomte, fühlte sich sanft gedrückt, hörte sie seidenweiche Worte, war sie in den Wagen gehoben – und der Vicomte saß neben ihr.

Er war ein feiner, aber feuriger Mann, der schnell und eiligst siegen wollte. Das erschreckte Angelique, es erbitterte sie, daß sie umsonst versuchte, ihre Hand aus der seinigen zu befreien, sie drohte ihm, sein Betragen »dem Herzoge« mitzutheilen. Man sagte am andern Tage im Salon der Herzogin von Berry: »der Vicomte reüssirte nicht«, und man verwunderte sich.

In der ersten Bestürzung hatte Angelique dem sie erwartenden »Herzog« Alles erzählt; er hatte sie fest in seine Arme geschlossen, und sie hatte sich zum ersten Male wie schutzbedürftig seiner Umarmung hingegeben. Am andern Tage erschien auf Angeliques Zimmer Madame Berrault, ein Priester, ein ihr unbekannter Mann als Zeuge und »der Herzog«. Angelique hatte ein schönes weiß seidnes Kleid bekommen, das trug sie heut, und die fliegenden Haare hatte man ihr künstlich in die Höhe und in einen Myrthenzweig hineingeflochten, und sie zeigte zum ersten Male ihre weiße Brust und die weißen Schultern halb entblößt und sah schaamroth aber bezaubernd dazu aus. Der Priester aber hielt eine kurze Rede, und erklärte, daß er berufen sei, das Fräulein mit dem Herrn »Herzog« zu kopuliren. Er war noch mitten im Sprechen, da hörte man Reiter und Wagen eilig in dem Hofe ankommen, stürmische klirrende Tritte kamen die Treppe herauf, – der Priester hielt inne. Madame Berrault ging an die Thür und schob den Riegel vor, dann faltete sie von Neuem die Hände und ersuchte den Priester, die heilige Handlung zu vollenden. Der Priester zögerte; es wurde an der Thür gerüttelt, man hörte eine donnernde Stimme: Im Namen des Königs öffnet, es geschieht ein Betrug – Angelique erkannte mit Beben diese Stimme, bat mit flehendem Auge den Priester, zu endigen, und in halber Zerstreuung vollendete dieser den Aktus, mit seinen geist-weltlichen Augen in den bittenden Angeliques ruhend. Neuer Sturm an der Thür, welche gesprengt wird, Madam Berrault wirft Angelique einen Mantel über, »der Herzog« nimmt sie bei der Hand und entweicht mit ihr durch ein Nebenzimmer, was er innen verschließt. Darauf öffnet die Berrault die eben weichende Thür, und fragt den mit Bewaffneten hereinstürmenden Vicomte, was ihm zu Dienst sei.

»»Wo ist der sogenannte Herzog?««

»Mein Herr Vicomte, Sie lästern die Todten: mein erster Gatte liegt auf dem père la Chaise, und hieß vor aller Welt mit seinem rechtmäßigen Namen Msr. le Duc.««

Angelique lebte in der Gegend von Orleans, beinahe ein Jahr lang still und ruhig mit ihrem Gatten auf einem einsamen Landhause. Da fragte sie ihn eines Tages, ob denn der Vicomte noch immer in Paris sei, und ob der Herr Herzog nicht bald nach Hofe zurückkehren werden. Ihr Gatte entgegnete, das solle in nächster Woche geschehen, der Vicomte sei nach Griechenland gegangen, und seine, des Gatten, Mutter habe ihm eine angenehme Stellung im Dienste der Herzogin von Angoulême verschafft.

In den Tuilerien erfuhr die sanfte Angelique, daß sie Madame le Duc, aber nicht Madame la Duchesse sei, und da sie gar nicht ehrgeizig war, so wunderte sie sich nicht lange, aber sie fing an, öfters und weniger furchtsam an den Vicomte zu denken, als man ihr erzählte, er habe aus unglücklicher Liebe zu ihr Frankreich verlassen. Wie man Frankreich verlassen könne, war ihr lange unbegreiflich; je länger sie darüber nachdachte, desto stiller wurde sie.

Einst ging sie gegen Abend mit mehreren Hofdamen spaziren, und eine der Damen erzählte, daß der Vicomte in Athen lebe und alle Abende zwischen den Säulen eines alten Tempels mit einer wunderschönen Griechin sitze, welche ihm oft die Hand küsse. Der Vicomte stünde zu wiederholten Malen auf, lehnte sein Haupt tief in den Lorbeer, welcher sich an einer hohen Marmorsäule emporranke, sehe nach Norden und seufze. Darauf stehe auch die Griechin auf, streichle ihm liebkosend die Wangen, und führe ihn still in das Oelbaumgehölz, das in der Nähe sei.

Die Herzogin von Angoulême, welcher Angelique jetzt wieder vorlas, fragte sie oft, warum ihre Augen so trüb seien, ihr Herzog mache sie ja doch nicht weinen. Angelique küßte ihr heiß die Hand, und fuhr mit dem Taschentuche über die Augen.

Um jene Zeit ward es sehr unruhig in den Tuilerien, und ein Paar Tage darauf waren in Paris die drei Farben wieder Mode, Angelique aber floh mit der königlichen Familie aus Frankreich, und erfuhr erst in Schottland, daß ihr stiller »Herzog« im Louvre erschossen worden sei.


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