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22.

Ein hochgewachsener Mann ging über die Prager Brücke nach der »Kleinseite« hinüber. Es war gegen Sonnenuntergang; die Luft war kalt und rein, und ein Schneeflaum säumte schon links vor ihm den Laurenzerberg, rechts oben die Dächer und Thürme des Hradschin. Dennoch ließ der Mann seinen Mantel flattern, er zog ihn nicht an sich; er war ein vollsaftiger, blutvoller und gesunder Mann, ganz und gar nicht frostig. Mitten auf der Brücke blieb er stehen, und sein Auge schweifte rings um die breite Schlucht der Moldau, in welcher sich die Prager Städte gelagert, die Alt- und Neustadt in der Ebene, die Kleinseite und der Hradschin drüben an dem Berge hinauf. Der rothe Glanz der untergehenden Sonne beleuchtete oben die Fenster des Hradschin-Schlosses grell und blendend, und dies schien die Gedanken des Mannes anzuregen. Wie Blut! flüsterte er und schritt weiter. Als er drüben auf der Kleinseite war, blieb er stehen. Er schien zu überlegen, ob er die Fahrstraße gerade vor sich, welche in großem Umwege zum Hradschin hinauf leitet, oder ob er gleich rechts ab den steilen, kürzern Weg einschlagen solle. Sein lichtes Kopf- und Barthaar zeigte schon weiße Spitzen, er mochte den Sechzigen nahe sein, und war also wol auf den bequemeren Fahrweg angewiesen. Dennoch machte er eine rasche Wendung nach rechts, und stieg rüstig den steilen Weg hinan. In der Mitte des Wegs und oben nur blieb er stehen; wol nicht aus Müdigkeit, sondern der Aussicht wegen die Moldau abwärts und aufwärts. Links abwärts wendet sie sich plätschernd um die Altstadt und in Baumgruppen hinein. Jenseits derselben zeigen sich kahle, unschöne Hügel. Rechts aufwärts tritt sie bei der kleinen Wischehrad-Höhe, der ältesten Prager Stätte, in die Schlucht herein, und geht zwischen Inseln und über Wehre der steinernen Brücke zu am bewaldeten Laurenzerberge entlang. Durch diese Eintrittspforte am Wischehrad allein öffnete sich ein Blick in die Weite nach Abend hin. Die Sonne sank da eben roth unter und blendete das Auge des Beschauers. Blau, grün und gelb spielte es ihm vor der Pupille, und der Mann stöhnte vor sich hin: Bunt, bunt und keine Aussicht!

Dies ist überhaupt die Schwäche der Prager Situation: die alten thurmreichen Gebäude, die scharfe Abwechselung von Fläche und Höhe, das dazwischen durchrinnende Wasser, vor Allem der bewaldete Laurenzerberg und der stattlich herabschauende Hradschin mit Schlössern und Kirchen treten malerisch vors Auge, oder richtiger »pittoresk«, denn das fremde Wort schließt etwas Ueberraschendes und Grelles in sich; – aber der Hintergrund fehlt fast durchweg, oder er stört durch Oede und Trockenheit. Selbst der einzige Blick beim Wischehrad hinaus in die Ferne ist unbedeutend, fast leer.

Dachte der Mann da oben Aehnliches? Er schüttelte wenigstens mit dem Haupte und ging weiter; er schien nicht behaglich gestimmt zu sein, und doch war sein wohlausgearbeiteter Kopf mit gesunder Färbung des Angesichts offenbar gewohnt, fröhlich in Luft und Leben hinein zu schauen. Es war der Freiherr von Loß, der zum Schlosse hinauf ging, wo er den Abend zubringen wollte. Seiner Tochter wegen. Es war wieder einmal festliche Gesellschaft da oben, wie herkömmlich seit Monaten, seit der erwählte König Friedrich mit seiner lebenslustigen jungen Königin da eingezogen war von Heidelberg und Amberg her.

Loß selbst nahm keinen rechten inneren Antheil an dem Treiben da oben, obwol er zu der eigentlichen Partei, und zwar nächst Raupowa obenan, gerechnet wurde, welche den calvinischen König durchgesetzt hatte. Er hatte viel von seinem guten Humor verloren seit Einführung der neuen Königsherrlichkeit. Die ganze Waare ist mir zu leicht! pflegte er gegen Budowa zu äußern, an welchen er sich neuerdings vorzugsweise angeschlossen, vielleicht weil Budowa diese politische Ansicht theilte.

Seine erste Frage war denn auch, als er ins Schloß trat: ob Herr von Budowa schon oben wäre? Und als sie bejaht wurde, schritt er etwas munterer die Stiegen hinauf, zerstreut den Marschällen, Dienern und Aufwärtern zuschauend, welche Lichter anzündeten, Tafeln schleppten, Teppiche breiteten und was dergleichen mehr war. Die hohen Herrschaften seien zur Jagd draußen im Thiergarten am weißen Berge, und würden jeden Augenblick erwartet. Dann folgte Umkleidung, dann Tafel, dann Tanz. – Ist meine Tochter auch draußen? – Allerdings.

Sie war wirklich Hofdame der Königin und wohnte im Schlosse. Auch das war Loß gar nicht genehm. Er liebte seine Mädchen zärtlich, er liebte die Häuslichkeit mit ihnen, und nun hatte er nur noch die »Purzel« daheim, und mußte immer hier heraufsteigen, wenn er seine »Mille« sehen wollte. Denn sie kam nur in sein Haus hinunter, wenn's einmal einen stillen Tag gab hier oben, und das war selten genug.

Er schritt durch die großen Gemächer auf ein Nebenzimmer zu. Sie nannten es die »politische Stube«, weil sich die ernsthaften Männer da zu finden pflegten neben all dem Saus und Braus. Dort trat ihm auch jetzt Budowa entgegen mit der Versicherung, daß er ihn ungeduldig erwartet habe.

– Giebt's Neues? fragte Loß.

– Ja wol – antwortete Budowa – wenn Du ihm nicht schon begegnet bist.

– Wem?

– Dem Thurn!

– Der ist wieder da? – Wie damals?

– Wie im Frühjahr!

– Na, uns überrascht es nicht.

– Nein. Diese Helden erobern Wien nicht. Er sagt, der Bethlen sei plötzlich abgezogen unter dem Vorwande: der Pascha von Ofen bedrohe ihn, und Drugeth dringe mit polnischen Heerhaufen ins Oberungrische, sein Rücken sei bedroht, den müsse er erst decken. Er werde wiederkommen.

– Das Lügenmaul!

– Da habe er denn allein, der Thurn, das Feld nicht halten können gegen Boucquoi und Dampierre, denn die Kriegshilfe der Horner bedeute nichts.

– Und nun sind wir so weit wie zuvor, und der Kaiser hat Luft.

– Luft. Viel mehr auch noch nicht. Aber die hochfliegenden Pläne der Unsrigen sind arg beschnitten. Der Städtetag in Nürnberg hat nicht viel ausgegeben für uns, der Fürstentag in Mühlhausen erklärt sich gegen uns, und unser natürlichster Verbündeter, die Union in Ober-Deutschland verhält sich flau und furchtsam. Sie fürchtet den Baier, der furchtbar rüsten soll, sie fürchtet die Liga, die den Baier an ihre Spitze stellen will, und wird uns im Stich lassen, wenn's zum Schlagen kommt.

– Du meinst?

– Die Liga ist eine starke Verbindung, denn sie hat ein einfaches Element, hat reiche Quellen und hat einen Feldherrn. Das Element ist die katholische Kirche, in welcher man sich nicht zankt und zersplittert wie in der protestantischen, die Quellen sind das wohlhabende Baierland und das reiche Rheinland unter den drei geistlichen Kurhüten, der Feldherr ist der kleine Tilly, den ich kenne und dem ich viel zutraue. Den Winter werden wir noch Ruhe haben zu – Spiel und Tanz; mit dem Frühjahr aber wird man uns zeigen, daß wir nichts vorbereitet, nichts geschaffen haben. Dann wird der Kaiser die Acht durchgesetzt haben beim Kurfürstencollegium gegen den Räuber des böhmischen Kurhutes, und dann wird man von allen Seiten gegen uns einrücken, wahrscheinlich auch von Sachsen, und dann wird sich's enthüllen, daß wir keinen eigentlich schöpferischen Menschen unter uns haben, weder einen böhmischen, noch einen fremden.

– Auch der Mansfelder nicht?

– Nein.

– Und der Anhalt?

– Auch nicht. Nehmen wir mit Bewußtsein den Winter wahr, der noch leidlich sicher vor uns liegt. Genießen wir das Endchen Leben, welches uns noch vergönnt ist! Ach, Loß, auch das ist Redensart. Wenn man über Sechzig ist, ist's vorbei! Schau mich an, wie hab' ich mich entwickelt seit dem letzten halben Jahre! Kläglich. Das Alter bricht aus allen Poren. Als ob es zehn Jahre her wäre, daß ich bei Laa hinein ins Oesterreich ritt zu einem Feldzuge neben dem Starschädel –

– Und von dem nichts Neues?

– O ja, aber was nützt Dir's, Papa?

– Wie so? Ich liebe den Jungen, wenn auch –

– Wenn auch kein Mensch Deiner Meinung ist, selbst Deine Tochter nicht. Schüttle Dich nicht. Ich bin Deiner Meinung.

– Du übertreibst! Was weißt Du von meiner Mille!

– Daß sie ein schönes, liebenswürdiges Mädchen ist, welches sich gern unterhält und gern unterhalten läßt von Leuten, die Witz haben und nicht zu alt sind. –

– Wenzel!

– Daß sie ein kurzes Gedächtniß hat für Dinge und Personen, welche ihr eine Zeitlang aus den Augen gerückt sind, und daß sie deshalb naturgemäß den Rudolph Mitzlau nicht vergessen hat und mit Vergnügen ansieht und anhört, ja daß sie auch die düstere Aufmerksamkeit des Zierotin Jaromir graziös zu würdigen weiß –

– Budowa!

– Daß sie endlich einen Freund wie den armen Hans Starschädel, welcher ihr vor einem halben Jahre näher anzugehören schien, als ein gewöhnlicher Freund, aus dem Sinne verlieren kann, wie man eine mäßig ansprechende Person aus dem Sinne verliert, welcher man einmal zufällig begegnet ist.

– Das ist unrichtig, ganz unrichtig. Als vor vierzehn Tagen der Brief von Harrach's Isabella ankam mit der Nachricht, Hans sei frei und aus Wien hinaus, da war mein Mädchen außer sich vor Freude, fiel mir um den Hals und weinte und jubelte in einem Athem. Sie ist nur anders als Andere, weil sie einen sehr beweglichen Geist hat. Ihr Gefühl ist tief und stark, so sehr, daß ich manchmal davor erschrecke. Aber das ist wahr: warten kann das unbändige Mädel nicht. Warum kam er auch nicht, der thörichte Junge! Jetzt sind's fast drei Wochen, daß er aus Wien ist, und hat ihn Jemand in Prag gesehen? Niemand. Daß Mille darüber ärgerlich wurde und jetzt thut, als ob sie sich ihn aus dem Sinn geschlagen, das ist an der wilden Hummel natürlich.

– Und daß die Verleumdungen, welche sofort wieder auftauchten gegen den armen Hans, nicht ohne Eindruck geblieben sind auch auf sie, das ist ebenfalls natürlich.

– Nein, nein, sie haben ihr keinen Eindruck gemacht!

– Loß, täusche Dich nicht über Dein Kind! Es ist eitel – wenigstens nicht ohne Eitelkeit. Es kann ihr nicht gleichgiltig sein, wenn man den Junker immer wieder verdächtigt, wenn man ihm schmähliche Dinge nachsagt. Sie will glänzen, auch mit ihrem – Freunde glänzen. Er wird ihr entstellt durch die stete Anschwärzung; sie wendet sich ab, um zu vergessen, und sie vergißt.

– Nein! Stolz ist sie, und es kränkt sie, daß er ausbleibt, daß er nicht einmal brieflich Nachricht giebt, er der schreiben kann wie ein Kanzler!

– Er hat ja geschrieben.

– An Dich; nicht an sie, nicht einmal an mich.

– Er will nicht zudringlich scheinen. Von der Harrach Isabella weiß er, und von der Jörger und aus den Reden Raupowa's, der sich jetzt in Linz aufgehalten, hat er erfahren, daß Ludmilla in heiterster Laune gelebt, während er auf den Tod gefangen saß, daß sie alle Huldigungen junger Männer gefällig entgegennimmt, und die des Mitzlau mit ganz besonderer Aufmerksamkeit.

– Weil er aufdringlich und wirklich unterhaltend ist!

– Hat ihn das aufmuntern können, ebenfalls aufdringlich zu sein gegen Euch?

– Was hab' ich damit zu thun?

– Freund Loß, Du hast ihn bis zur Scene in Ebersdorf ebenfalls in argem Verdachte gehabt und ihn abstoßend behandelt. Glaubst Du denn, daß er das nicht gemerkt hat?

– Ja doch! Aber in Ebersdorf hab' ich gesehen, daß das Alles nicht wahr sein konnte, und daß er ein kreuzbraver Junge ist. Und da hab' ich ihn ans Herz gedrückt und ihn innerlich um Verzeihung gebeten.

– Innerlich. Ausgesprochen hast Du's nicht.

– Dazu war keine Zeit.

– Und er war nicht in der Stimmung, feine Bemerkungen zu machen über Deine Innerlichkeit; er war in Verzweiflung. Aus dem Briefe an mich, den er mir aus Linz geschrieben, hast Du ja doch ersehen können, wie er unsicher nach Dir fragt, und wie viel ihm daran gelegen ist.

– Kommen hätte er sollen, da wüßte er's, daß ich ihm herzlich Alles abgebeten!

– Kommen! Ich hab' Dir ja gesagt, daß er in schwerer Sorge ist um den Pater von den Schotten, um seinen Befreier, den sie in Purkersdorf vergeblich erwartet haben. In Linz ist er doch näher, kann eher etwas erfahren, kann eher etwas veranlassen oder zuthun. Ich habe heute einen zweiten Brief –

– Ah?!

– Er hat Nachricht über den Pater. Dampierre'sche Reiter haben ihn zu den Jesuiten schleppen wollen; es hat heftige Scenen gegeben zwischen den Benedictinern und den Jesuiten, das Holz brennt noch, aber der Pater ist nicht in die Hände der Jesuiten gefallen, wenn auch noch gefährdet. Er scheint ein verwegenes Spiel mit dem Kaiser gewagt zu haben, durch welches er den Hans befreit hat; er ist offenbar ein grundtüchtiger Mann, dieser Dunstan, der Special des alten Zierotin, und auch für unser »einfaches Christenthum« scheint er die Führerrolle des verstorbenen Freundes zu übernehmen –

– Verrückte Menschen, die Ihr seid mit Eurem einfachen Christenthum! Wir sind einfach genug.

– Ja, Euer Scultetus an der Spitze, der uns Prag aufregt in Entrüstung mit seiner Bilderstürmerei –

– Wir brauchen eben keine Bilder!

– Und die Lutheraner dahin bringt, daß sie Euch Calviner zu hassen anfangen wie Papisten.

– Reformirte sind wir.

– Das ist eine schöne Einfachheit ohne Liebe und Duldung! Ich habe bisher nicht geschwärmt für die Gründung einer »einfachen Kirche«; was ich aber seit Monden hier erlebt seit Einsetzung eines calvinischen Königs, seit dem Wüthen seines Hofgeistlichen, dieses dreisten Scultetus, das hat mich belehrt, ich sei doch zu gleichgiltig gewesen gegen die Pläne des alten Zierotin, und es sei doch sehr achtungswerth, daß Hans und die Jörger und Pater Dunstan die Gründung der einfachen Kirche herzhaft aufnehmen.

– Damit noch mehr Verwirrung entsteht!

– Dies ist der zweite Grund, warum Hans zögert. Er arbeitet mit der Jörger, die abgerissenen Verbindungen alle wieder anzuknüpfen. Und wenn er morgen käme, Freund Loß, da würde sich – so fürchte ich – sehr bald zeigen –

– Es würde sich zeigen, daß ich ihn mit offenen Armen aufnehme.

– Das thut unser braver Loß gewiß nicht, wenn der sächsische Junker Starschädel gemeint ist! rief eine Stimme aus dem anstoßenden Saale in die »politische Stube« hinein, deren Thür offen stand.

Loß und Budowa sahen sich ärgerlich um. Es war die Stimme Wilhelm von Raupowa's, der von Linz angekommen war und jetzt an der Schwelle der politischen Stube stand. Der Saal hinter ihm hatte sich mit Gästen gefüllt, und durch Raupowa's laut gerufene Worte waren mehrere Männer an die Schwelle herbeigezogen worden.

– Was sollte mich dann abhalten, einen tüchtigen jungen Mann mit offenen Armen aufzunehmen, den ich als tüchtigen jungen Mann kenne? entgegnete unmuthig Loß.

– Die Ueberzeugung, daß Du Dich in ihm geirrt hast! – höhnte Raupowa. Und Du hast Dich geirrt – fuhr er fort – ich hab's eben wieder frisch erfahren in Linz. Ich hab's immer gesagt, und die Folge hat's regelmäßig bestätigt. Ich habe damals in Ebersdorf den Thurn gewarnt: überlass' diesem Duckmäuser nicht eine wichtige Action! er ist ein Schulmeisterjunge mit seinem Hokuspokus von Kriegswissenschaft, und wenn's zur praktischen Ausführung kommt, wird er sich als unpraktischen Schuljungen erweisen. Was geschah? Er schickt ihn doch nach Wien hinein mit der wichtigsten Aufgabe, und wartet außen und wartet und verwartet die kostbare Zeit, bis der Bursch da innen erst auf dem Klaren ist, daß er von den Papisten nichts Besonderes zu erwarten hat, und dann kommt er erst mit seiner schülermäßig angefertigten und schülermäßig angelegten Petarde, und bringt ein Loch im Thorflügel zu Wege, durch welches eine Maus schlüpfen kann! Spectakel! dafür die Zeit verloren, und das Zutrauen verloren in unsere Leute, und den Wiener Mauern und Thoren eine Reputation gemacht, als seien sie undurchdringlich! Der schulmeisterlich und hochdeutsch schwätzende Bursche hat damals nicht mehr und nicht minder zu Stande gebracht, als die ganze Belagerung zu verderben. Die Wiener wußten das auch, und hielten ihn fein säuberlich in ritterlichem Gefängnisse. Bei näherer Kenntniß seines umgänglichen Charakters thaten sie noch mehr! Sie ließen ihn spazieren gehen, und die Herren Minister unterhielten sich mit ihm über Papst und Kaiser. Jeden ehrlichen evangelischen Feind, den sie dergestalt in flagranti ergriffen, hätten sie ganz anders tractirt, sie hätten keine Umstände gemacht, sondern den ehrlichen Hochverräther in die andere Welt befördert. Warum thaten sie's denn mit diesem sächsischen Junker nicht? Etwa seiner schönen blauen Augen wegen nicht? Ja doch! Sie merkten die Renegaten-Natur in ihm, und daß er als deutscher Pfaff in Ritterstiefeln zu brauchen wäre. Der Ausgang hat's dargethan, auf allen Gassen drüben in Linz könnt Ihr ihn erzählen hören. Sie haben einen Meisterzug mit ihm thun wollen, die klugen Herren in der Burg. Von Toleranz haben sie plötzlich geheuchelt, um die Gegner irre zu machen, und zur Vogelscheuche dafür haben sie sich den sächsischen Junker präparirt. In der Stille hat er übertreten müssen zum Papismus, und dafür ist ihm Leben und Freiheit versprochen worden. Und mit welch allerliebster Komödie haben sie das durchgeführt! Entfliehen hat er müssen bei Nacht und Nebel, damit er außen als Märtyrer erscheine und doppelt wirksam werde, wenn er von Toleranz-Ideen in der Burg erzähle! Und einen alten Mönch haben sie ihm bis vors Thor mitgegeben, den Special des verrückten Zierotin, damit sie doch einen von Beiden wieder einfangen könnten zum Schein der Verfolgung. Dem alten Polterer thut natürlich kein Mensch was in Wien! Im Gegentheil! Er thut auch seine Dienste. Er muß in Rom gewesen sein beim Papste selber, und muß die Toleranzfrage von dort in die Burg gebracht haben, damit diese Kriegslist auch gleich den römischen Stempel trage und Zutrauen erwecke unter allen Schwankenden. Nächstens fährt denn dieser Mönch auch heraus aus dem Wiener Bau, um zu predigen und zu verkündigen, es sei eine Ausgleichung im Werke mit der Religion! Schwierig freilich, recht schwierig! Man habe auch ihn gerupft, aber allmälig habe sich's doch aufgeklärt, daß in der Burg guter Wille herrsche für versöhnliche Dogmen, und man möge nur ja den Krieg ruhen lassen! Das wird der Mönch in den sogenannten Erbländern verkünden, und der Herr Junker wird das Geschäft in Deutschland verrichten, zwei Jesuiten auf andere Manier, zwei Jesuiten in unseren Schafpelzen – dies, Du irregeführter Loß, ist der tüchtige junge Mann, welchen Du mit offenen Armen empfangen willst! Ein Renegat ist's, ein Lump, dem ich die Beine zerschlage, wenn er mir auf böhmischer Erde begegnen sollte!

Eine tiefe Stille herrschte nach dieser heftig vorgetragenen Rede. Sie hatte etwas Ueberraschendes in ihren verschlungenen Windungen von Kriegslist. Derlei war wol an der Tagesordnung, wie immer, wenn große Meinungskämpfe in offene Schlacht treten. Man legt dann unter und deutet aus spitzfindiger als ein Fabulist, und für das Aergste finden sich Gläubige. Hier fanden sich aber auch Ungläubige. Unter den zwanzig bis dreißig Männern, welche herzugetreten, waren Viele, die von der Scene in Ebersdorf wußten, von dem Raufhandel zwischen Raupowa und dem Junker Starschädel. Raupowa ferner war als sehr dreist bekannt. Man traute ihm ein freches, unbegründetes Wort zu, und beliebt war er nicht, schon darum nicht, weil er siegreich die Königswahl des rheinischen Kurfürsten durchgesetzt, und jetzt wie ein gebieterischer Rathgeber neben dem jungen Könige waltete. Die zahlreichen Lutheraner waren dadurch alle gegen ihn gestimmt. Unter den Zuhörern schüttelte also Mancher das Haupt während dieses allgemeinen Schweigens und hoffte, Loß werde abweisend entgegnen.

Loß that das auch endlich mit den Worten: das ist mir zu spitz, als daß ich's glauben könnte.

– Wenn's nur Raupowa selber glaubte, dann wäre es wenigstens unterhaltend – fügte Budowa hinzu unter einem Lächeln, welches die Wirkung seiner Worte bei den Zuhörern verstärkte.

– Was soll das heißen Budowa? – fuhr Raupowa auf.

– Es soll heißen, was es heißt. Du trägst da über und unter dem offenen Auge eine rothe Narbe. Die hat Dir der Junker Starschädel in Ebersdorf bei Wien beigebracht, und diese Narbe macht Deine Sehkraft unsicher für Alles, was den Junker Starschädel betrifft.

Ein allgemeines Gelächter folgte dieser leicht hingeworfenen Bemerkung Budowa's.

Raupowa erhob grimmig seinen Arm. –

– Mich schlägt man nicht, fuhr Budowa fort, auch wenn man Wilhelm von Raupowa heißt. Dafür bin ich zu alt. Nicht wahr, meine Herren Zuhörer?

– Hoch Budowa! hoch Budowa! rief Einer um den Andern.

– Außerdem, fuhr er fort, habe ich das Schicksal, oberster Landesrichter zu sein in unserm neuen Regimente, und als solcher die stille Verpflichtung, Dinge zu mißbilligen, welche nach Verleumdung schmecken. Ich kenne den Junker Starschädel gerade so, wie ihn mein Freund Loß kennt, als einen braven und tüchtigen jungen Mann, und weiß ganz genau, daß ihm der evangelische Schafpelz eines Jesuiten ganz und gar nicht auf den Leib paßt. Darüber hat mir die verwickelte Komödie, welche Herr Wilhelm von Raupowa so lebhaft dargestellt, gar keinen Zweifel aufkommen lassen. Aber ich bin freilich auch nur eine Art von Theoretiker in der Kriegswissenschaft, und erlaube mir kein Urtheil über die Kriegstüchtigkeit des Junkers und über die famose Petarde. Ich erinnere mich nur, daß der Junker damals in Ebersdorf unserm Feldherrn, dem Grafen Thurn, versicherte, die Petarde sei zu klein und werde sich unwirksam erweisen. Da steht ja der kriegserfahrene Fürst zu Anhalt unter den Zuhörern – und mit diesen Worten ging Budowa in den Saal – der ist ein Nachbar des Sachsen. Vielleicht kann uns der aufklären über die Kriegsfähigkeit des sächsischen Junkers. Er ist ja verwandt und vertraut mit den Persönlichkeiten im Weimar'schen Schlosse.

Dieser Fürst Christian von Anhalt ging lächelnd Budowa einige Schritte entgegen und reichte ihm die Hand. Er verstand ganz wohl, daß dies öffentliche Entgegenkommen noch etwas ganz Anderes bedeute, als die Rechtfertigung des Junkers Starschädel. Budowa, der geistvollste Nationalböhme reichte hiermit dem sogenannten deutschen Ausländer die Hand, welcher als neues Haupt einer deutschen Partei betrachtet wurde, einer Partei, welche dem Einflusse des nationalböhmischen Raupowa die Wage halten sollte.

Fürst Christian zu Anhalt, Senior des Anhalt'schen Hauses, war Regent im Bernburgischen Lande, und war ein Bruder der Weimar'schen Herzogin Dorothea Marie, deren acht Söhne wie eine heranwachsende Kriegerschaar Freund und Feind wichtig schienen. Er selbst war ein Vorbild jener kleineren Reichsfürsten, welche sich damals als selbstständige Führer hervorthaten und ihre Bedeutung durch persönliche Leistungen geltend machten, ein lebendiger Beweis, daß die deutsche Reichsverfassung einer aristokratischen Republik nahe kommen sollte trotz Kaiser- und Kurfürstenthum. – Er war von Jugend auf in politischen Geschäften thätig gewesen, nicht für sein kleines Erbland, sondern im großen Style als Freiwilliger, namentlich am Hofe des Königs von Frankreich, des jetzt verstorbenen Heinrich des Vierten, welcher die gefährlichen Pläne einer europäischen Republik in seinen letzten Lebensjahren ins Werk zu setzen suchte, und zu dem Ende fähige Männer aus allen Ländern zu gewinnen trachtete. Dann war dieser Fürst Christian ein leitendes Mitglied der Union in Süddeutschland geworden, welche den Mittelpunkt bildete für die deutschen Calviner, und welche an dem Kurfürsten von der Pfalz ihr natürliches Haupt hatte. An diesen hatte sich Fürst Christian angeschlossen. Oder richtiger umgekehrt: der junge Kurfürst Friedrich, welchem so große Aufgaben zufielen, hatte sich dem erfahreneren Christian angeschlossen, hatte ihm die Statthalterschaft der Oberpfalz übertragen, und hatte ihn endlich nach Prag selbst berufen, um ihm – so hieß es bereits in vertrauten Kreisen – die oberste Führung des Krieges zu übertragen.

Aus diesen Gründen war der Fürst von Anhalt den Nationalböhmen eine unerwünschte Erscheinung, und einem Raupowa insbesondere, welcher bisher den neuen König ausschließlich geführt hatte, geradezu widerwärtig. Dieser fuhr also ungestüm auf, als Budowa sich mit der Frage um Starschädel an den Fürsten von Anhalt wendete, und schrie unter künstlichem Lachen: Das glaub' ich, eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus!

– Herr von Raupowa, erwiderte ruhig Anhalt, warum wollt Ihr uns zu Krähen heruntersetzen? Der Adler soll ja unser Zeichen sein; auch hier im königlichen Kurfürstenthume. Als vornehmster Vogel paßt er besser zum böhmischen Löwen, als die gemeine Krähe.

– Es ist am Löwen genug! rief Raupowa, und diejenigen, welche sich sogleich instinctmäßig um ihn geschaart hatten, riefen zustimmend: Ja wol!

Die Parteien hatten sich augenblicklich gesondert.

Anhalt wollte dies verhindern, nicht fördern. Er war Diplomat und kannte die Schwierigkeiten der böhmischen Verhältnisse recht gut. Ein angehender Fünfziger, dessen Haar und Bart schon grau angeflogen war, besaß er die Ruhe und Gewandtheit eines geprüften Mannes, besaß eine stattliche Gestalt, welche Achtung einflößte, und wendete mit Geistesgegenwart die Aufmerksamkeit und Rede plötzlich nach einer ganz andern Richtung, als ob die Frage nach dem Junker Starschädel gar nicht gestellt worden wäre. Er deutete nämlich nach der großen Eingangsthüre hin und sagte: Ei, ei! da kommt ja ein äußerst seltener Gast, der selten bei Hofe gesehen wird! Begrüßen wir ihn!

Es war in der That eine eigenthümliche Gestalt, welche an der Saalschwelle erschien. Eine vierkantige Figur von Mittelgröße, welche den Kopf tief in den Schultern eingeklemmt trug, einen eckigen großen Kopf, der von wirrem Haar und Bart eingerahmt war. Schlecht gekleidet, die eine Hand auf den Degenkorb gelegt, in der andern Hand einen Stock führend, nahte sich die Gestalt langsamen Schrittes –

– Der Mansfeld! – flüsterten Alle.

Der Ausdruck seiner Mienen war sauer, das Auge stechend, und den Mund öffnete er kaum auf alle Begrüßungen, die ihm entgegengebracht wurden, auch auf Anhalt's Frage nicht: ob an den Grenzen was vorgefallen sei, daß er Pilsen verlassen und sich nach Prag begeben habe?

Pilsen war das Standquartier dieses Kriegshauptes aus freier Hand. Dort hatte er sich wie der Fuchs ein Malepartus befestigt, um immer einen sichern Zufluchtsort zu haben. Denn ein gut befestigter Ort bedeutete in damaliger Zeit, welche die Kraft der Geschütze noch wenig entwickelt hatte, sehr viel. Er focht seit zwei Jahren für die Böhmen, und hatte bis zur Schlacht bei Thein den Oberbefehl geführt. Dort von Boucquoi geschlagen, und dann vom Kaiser in die Acht erklärt, hatte er sich in seine Pilsener Verschanzungen zurückgezogen, und erschien jetzt nach langer Pause zum ersten Male wieder öffentlich. Die Kundigen dachten auf der Stelle: des Oberbefehls wegen, den der König neu verleihen will.

Er war damals ein noch junger Mann von fünfunddreißig Jahren, sah aber schon wie ein tiefer Vierziger aus. Scharfe Wechselfälle des Lebens und Leidenschaften hatten ihn früh alt gemacht. Er war ein natürlicher Sohn. Sein Vater, Peter Ernst, von der niederländischen Linie der Mansfelder Grafen, war Statthalter von Luxemburg und Brüssel, und ein scharfer Kriegsmann unter Karl dem Fünften und Philipp dem Zweiten gewesen. Er selbst, Ernst geheißen, war ebenfalls katholisch aufgewachsen, und erst vor zehn Jahren zum Protestantismus übergetreten, weil man ihm die Güter seines Vaters verweigert hatte. Von da an war er jener freie Capitän geworden, der ein Kriegsheer um das andere warb und auch dann, wenn er seine Schaar im Dienste eines Landes oder einer öffentlichen Sache verwendete, eine gewisse Selbstständigkeit seiner Kriegsmacht zu behaupten wußte. In solchem Sinne hatte er jahrelang zur Union gehalten, und war bald nach dem Fenstersturze ins böhmische Land gerückt, um gegen das Habsburgische Haus zu fechten.

Obwol ebenfalls ein Deutscher, war er der böhmischen Partei doch weniger mißfällig als Anhalt. Die Nationalität war mehr abgewischt in ihm. Raupowa also näherte sich ihm mit einer gewissen Auffälligkeit, und Mansfeld gönnte ihm auch einige Worte mehr als dem Anhalt, in welchem sein verschmitzter Blick den Nebenbuhler für den Oberbefehl deutlich erkannte. Da er aber äußerst wenig sprach, und da die auf ihm lastende Acht eine gewisse Scheu vor ihm einhauchte, selbst denen einhauchte, welche Kaiser und Reich geringschätzig behandelten, so entstand eine unbehagliche Geselligkeit in jenem glänzend erleuchteten Saale des Hradschin, und ein allgemeines Ah! der Befriedigung löste sich aus allen Kehlen, als von außen Trompeten und Pauken hereinschallten. Sie verkündeten, daß König und Königin heranschritten.

Sie waren vor einer Viertelstunde erst von der Jagd zurückgekehrt, und die Königin hatte gegen Gewohnheit rasch die Kleidung gewechselt, denn sie war sonst eitel und hielt ungemein viel auf Glanz und Schimmer. Herkunft, Gestalt und Antlitz berechtigte sie wol dazu: sie war eine schöne, stolze Erscheinung, welche mit etwas starrer Grazie, aber nicht ohne Würde am Arme ihres wohlgewachsenen, jungen Gemahls in den Saal schritt, und herablassend links und rechts grüßte, vorzugsweise Herrn Wilhelm von Raupowa, welcher auch ihr gegenüber sein rauhes Wesen verbindlich und geschmeidig zu ändern wußte. Ebenso suchte sie den mürrischen Mansfeld auszuzeichnen, der über sich selbst zu lächeln schien, daß er ein paar Worte verschwenden mußte über äußerst müßige Dinge.

Der König dagegen erwies dem Anhalt seine Aufmerksamkeit und beglückwünschte ihn zu der Ankunft seines Sohnes, eines zwanzigjährigen kräftigen Jünglings, welcher jetzt zum ersten Male dem Könige vorgestellt wurde. Außerdem fragte der König nach dem Grafen von Hohenlohe, einem der deutschen Kriegsführer, welche im böhmischen Heere befehligten. König Friedrich hing offenbar als junger Mann mit allen Neigungen an den deutschen Männern, und mußte durch eine leise Bemerkung seiner Frau erinnert werden, daß er auch nach anderer Seite Achtung zu zeigen habe; das that er denn auch in guter Manier. Er war eine Zeit lang in französischen Kreisen aufgewachsen, zu Sedan bei seinem Oheim, dem Herzoge von Bouillon, und hatte sich eine gewisse Geschmeidigkeit des Umgangs angeeignet. Mit ganz anmuthiger Sicherheit lud er denn namentlich ein Dutzend der anwesenden Herren ein, an seiner Abendtafel Theil zu nehmen, und führte dann seine Gemahlin die Stufen hinauf, welche zu dieser Tafel führten. Trompeten und Pauken feierten auch diesen Act, und es war ein ganz artiges Bild, als nun die ältern Herrn von beiden Seiten zurückwichen und den geputzten Hofleuten Platz machten, welche ihre Damen zur Estrade am Ende des Saales hinaufführten. Unmittelbar hinter den Majestäten erschien da Ludmilla am Arme des Junkers Rudolph von Mitzlau, ein blendend schönes Paar, welches alle Kennerblicke auf sich zog, und von welchem die in sehr geringer Zahl vorhandenen älteren Damen einander zuflüsterten: das nächste Ehepaar!

Budowa neben Loß stehend, hörte solch' eine Aeußerung, und wollte eben trotz der Verstimmung, welche sie ihm erweckte, mit dem alten Freunde ebenfalls hinaufsteigen zur Abendmahlzeit, denn die Kochkünstler, welche mit dem Kurfürsten aus Heidelberg übergesiedelt waren nach Prag, hatten viel mehr seinen Beifall als die politischen Künstler, welche mitgekommen waren – da redete ihn ein Diener von rückwärts an. Loß, im Anschauen seiner strahlenden Mille verloren, stieg hinauf, ohne gewahr zu werden, daß Budowa zurückblieb.

Budowa aber wendete sich in Folge der Mittheilung, und verließ den Saal.

Seine Wohnung war oben im Bereich der Burg, weil er die oberste Leitung des Gerichtswesens im Königreiche übernommen und sich damit eine Fülle von Arbeiten aufgelastet hatte, um deren willen er sich mancherlei gewohnte Bequemlichkeit versagen mußte, auch den Aufenthalt in seinem eigenen Hause unten in der Stadt. Dies mochte wol beigetragen haben, daß er wirklich seit dem Frühjahre plötzlich gealtert hatte und körperlich herabgekommen war. – Nicht leicht, wie sonst, sondern langsam und bedächtig ging er über einen Hof, verhüllte sich sorgsam mit dem Mantel vor kaltem Zugwinde und stieg mühsam eine Treppe hinauf. Er beachtete aber diese Hinfälligkeit gerade heute nicht, sein Auge leuchtete, als der Diener öffnete – Hans stand vor ihm, Junker Hans lag in seinen Armen.

Nun wiederholten sich die Scenen aus jenem Dorfe bei Laa, in welchem er damals den Junker beherbergt und bewirthet hatte. Es geschah Alles, was Bequemlichkeit und Behaglichkeit schaffen konnte, und Budowa gab Ordre, vom andern Morgen an sein Haus unten zu heizen und in Ordnung zu bringen. Der Junker werde dort einziehen, und er selbst werde hinabsiedeln. Es sei genug gearbeitet in den trocknen Dingen, und leiten könne er auch von unten! Warum hab' ich auch Jura tractirt in Heidelberg und Bologna, und mich durch Scharfsinn und Gedächtniß hervorgethan? damit ich jetzt meine sinkenden Kräfte vergeude für einen Staat, der nur einen Winter dauern wird!

– Oho! rief Hans.

– Freilich! Machen wir in ein paar Worten ab, was unsere hiesige königliche Misère, unser glänzendes Elend betrifft, Freund, damit wir uns dann unsern gemeinschaftlichen höheren Dingen und Deinen persönlichen Angelegenheiten ungestört widmen können. Ich bin für letzteres Beides jetzt viel geeigneter als im vergangenen Frühjahre. Der Körper versagt, und Epikurus will Abschied nehmen; da wird man geduldiger, die spöttische Ader versiegt, man klammert sich an das, was wirkliche Dauer verheißt. Unser böhmischer Staat verheißt das nicht. Leider! denn ich liebe herzlich mein Heimatland, und hätte es gar gern gesehen, wenn es eine tüchtige Selbstständigkeit erringen gekonnt. Seit ich aber eine Reihe von Monaten in seinen Eingeweiden mich umgeschaut durch tägliche Berufsarbeiten, seitdem bin ich hoffnungslos geworden. Die Geschichte hat uns gemißhandelt, und das ist nicht mehr zu ändern. Slaventhum und Germania, die sich hier begegnet sind, haben es zu keiner fruchtbaren Ehe mit einander gebracht. Es sind keine legitimen Kinder entstanden, welche ein Neues, Eigenes darstellten; nur die Verschiedenheit und die Trennung haben sich fortgepflanzt, und das kommt immer wieder zu Tage, wenn sich das Land selbstständig erheben und regieren will. Es fehlt die ursprünglich schöpferische Kraft, welche allein die Parteiung bezwingen kann. Man leiht bei Slaven, man leiht bei Deutschen, man leugnet tapfer, daß man dies thue, man schilt, man zankt, man schlägt sich todt, um zu beweisen, daß man stärker sei, und nur die Unbefangensten werden gewahr, daß kein Organismus entsteht, daß keiner entstehen kann. Zu diesen gehöre ich. Es wäre mir vielleicht auch nicht erwünscht gewesen, wenn dieser deutsche Kurfürst mit seinen Leuten den deutschen Organismus durchweg und gründlich hätte einführen wollen. Aber dazu hat er mit den Seinen gar kein Zeug. Er ist jung und oberflächlich und unbedacht. Seine Frau that zuweilen, als ob sie was Systematisches wolle; aber es ist äußerlicher Plunder, und sie ist eigentlich noch schlimmer, denn sie ist hochmüthig und eigensinnig. Gab's etwas, das leise angefaßt und geschont werden mußte, so war's doch wahrhaftig der Confessionsunterschied zwischen Lutherthum und Calvinismus, damit die protestantische Welt so weit als möglich als Ganzes sich fühlen und dem katholischen Habsburger als Ganzes entgegen treten konnte. Nun, das Gegentheil haben diese Pfalzgräflichen gethan! Sie sind mit ihrem Calvinismus aufgetreten, als ob das Lutherthum nichts anderes sei als das Papstthum selber. Sie haben diesen Hofprediger Scultetus, einen gedankenarmen Zeloten, die Kirchen ausräumen und weiß anstreichen, kurz wirthschaften lassen, als ob es gegen das Heidenthum selber ginge. Das Bild des gekreuzigten Christus, jedem christlichen Sinne doch ein Denkmal innerster Verehrung für Leiden um eine Glaubenslehre und für schmerzensvolle persönliche Hingebung, das haben sie behandelt wie die Juden die Baalszeichen. Ist man ästhetisch oder dogmatisch gegen solch' ein Symbol, nun dann äußere man diese Meinung mild und achtungsvoll für Andersdenkende, man reiße es aber nicht brutal und scandalös zu Boden! Das empört ja mit Recht. Hat doch diese albern hoffährtige Pfalzgräfin, die man jetzt Königin nennt, öffentlich ausgerufen: Wie lange soll denn dieser nackte Badeknecht noch auf der Brücke stehen!? das steinerne Christusbild auf der Moldaubrücke hat sie damit gemeint –

– Unglaublich!

– Unglaublich in seiner Rohheit; aber man erzählt es ihr nach. Du magst denken mit welchen Empfindungen! Kann da von Heimischwerden, von Wurzelschlagen die Rede sein? Nicht im Geringsten! Sie werden weggeweht werden wie Spreu, wenn der Sturm sich erhebt. Genug davon. Auf diesem Wege entsteht kein Staat, gedeiht keine Kirche. Calviner und Lutheraner schwächen sich solchergestalt gegenseitig, und arbeiten dem Papismus in die Hände. Deshalb haben mich Deine Nachrichten aus Linz zum ersten Male wirklich bereit gefunden, für Zdenkos Traum eines »einfachen Christenthums« mithandelnd einzutreten. Daß ich hinfällig werde, mag seinen Theil haben an dem Entschlusse, kann sein! Man hat mich einen Genußmenschen gescholten, gut! Ich will dem Titel treu bleiben. Ich will für meine letzten Tage nach einem reinen Genusse trachten: dem religiösen Bedürfnisse des Menschen ein Organ schaffen zu helfen, welches Schutz gewährt und Freiheit zugleich. Wenig Dogmen, und nur solche, die jeder gesunden Natur einleuchtend sind. Neben ihnen aber Freiheit für Jedermann und für jeden Gedanken. Wie weit sind die Vorbereitungen gediehen, welche Du mit der Jörger neuerdings in Angriff genommen zur Berufung des Conciliums? Dein gestriger Brief spricht nur im Allgemeinen davon.

– Bis zur Bestimmung des Tages – erwiderte Hans. Der erste Mai 1620 ist dafür angesetzt. Und hier in Prag soll es zusammentreten.

– Gut. Und in meinem Hause. Es enthält einen großen Saal. Den laß ich einrichten für eine durch Reden streitende Versammlung. Denn gestritten wird werden. Nichts ist so schwer zu finden als das Einfache.

– Die Versammlung wird geringer werden an Umfang, als Zdenko vorbereitet hatte. Alle Papiere desselben sind in dem Brande der Försterei auf dem Wiener Walde zerstört worden, und Frau Amalie hat aus ihrem Gedächtnisse die Adresse derer angeben müssen, mit welchen Zdenko verkehrte. Sie war zwar tief eingeweiht in seinen Verkehr, aber namentlich die in großer Ferne Lebenden hat sie doch nicht alle nennen können. An alle diejenigen, welche sie genannt, sind Sendschreiben abgefaßt worden, und die Absendung derselben hat schon begonnen. Die wichtigste Hilfe erwarten wir noch von Pater Dunstan, durch dessen Hände alle Verbindungen Zdenkos gegangen sind.

– Und wie steht es um ihn?

– Er ist frei! aber jeder seiner Schritte ist bewacht von den Jesuiten. Er kann sich noch nicht vor die Thore wagen, weil er einem mörderischen Ueberfalle der gegen ihn gehetzten Truppen ausgesetzt ist. Und doch drängt es ihn fort, denn er ist auch von der Burg schwer gefährdet. Seine Wegnahme meines Todesurtels und die Vernichtung desselben ist bekannt geworden und hat den Kaiser stutzig gemacht. Die Jesuiten haben das Ihrige dazu gethan, seine Berichterstattung von Rom zu verdächtigen. Sobald Trautmannsdorff schreibt – und das steht jeden Tag zu befürchten – daß Rom die Berichterstattung Dunstans verleugnet, dann dürfte der Kaiser den Forderungen der Jesuiten nachgeben.

– Das heißt?

– Den Schutz, welchen ihm der Benedictiner-Abt gewährt, für nichtig erklären, weil Dunstan den Papst und Kaiser hintergangen. Sobald es ihm aber gelingt, aus der Stadt zu entkommen, wird er über Linz hierher eilen.

Nun wendete sich das Gespräch auf die persönlichen Angelegenheiten Hansens. Dieser war Budowa gegenüber vollständig offen, und vertraute ihm auch das Geheimniß von dem Nachlasse Zdenkos, und daß er nach den Aeußerungen Dunstans und Tschirills vermuthen dürfe, die Geldsummen, welche Graf Zdenko ihm zugedacht, seien noch vorhanden und könnten noch erhoben werden. Nur weil er zuletzt in Hernals von Dunstan getrennt und dieser nach Wien gebracht worden, sei die völlige Aufklärung in dieser Angelegenheit und die Maßregel zur Empfangnahme der Hinterlassenschaft zerstört worden. Zunächst wolle er noch kurze Zeit auf Dunstans Ankunft harren; sollte sich diese gegen Erwarten verzögern, so wollte er seinen Diener Tartsch an Tschirill abschicken, um die Uebermittlung der Kiste nach Prag ins Werk zu setzen. Die Zeit sei nicht ungeeignet dafür: der Krieg ruhe wol jetzt einige Wintermonate, und der Transport sei nur eine kurze Strecke in Niederösterreich den Truppen Boucquoi's und Dampierre's ausgesetzt, welche wol jetzt nach dem Abzuge Bethlen's und Thurn's aus Oesterreich wieder ihre Stellung von Krems aufwärts einnehmen würden. Von Prag aus sei aber vielleicht durch Budowa's Einfluß, besonders wenn Anhalt an die Spitze des böhmischen Heeres komme, ein bewaffnetes Geleit zu erwirken von der Stelle an, wo die böhmischen Vorposten beginnen. Für das Concilium wäre große Geldhilfe vonnöthen, und er, Hans, sei bereit, die Hinterlassenschaft Zdenkos diesem Zwecke zu widmen.

Die Nacht war vorgerückt. Das Gespräch ging nun in stilleren Ton über, und persönliche Fragen kamen an die Reihe. Hans fragte nach Loß, Budowa berichtete über den gutmüthigen Vater, und erwähnte nur kurz der Tochter. Er vermied es, für eine ihm wohlbekannte Neigung etwas zuzuthun oder wegzunehmen. Er wollte nicht Vertrauter werden, wenn Hans ihn nicht dazu machen wollte. Hans that dies nicht, sowie er es noch nirgends gethan. In seinem ersten Briefe aus Linz hatte er wol einmal nach Ludmillen gefragt, und hatte einige Aeußerungen von ihr aus ihren Briefen an Isabella mitgetheilt, mit der traurigen Bemerkung, daß er im Loß'schen Hause wol in keinem besonderen Andenken stehe. Vielleicht hatte er dadurch Budowa zu einer Mittheilung über Ludmilla bewegen wollen. Budowa aber hatte kein Wort über dies Thema erwidert, und so äußerte jetzt Hans nur, daß er am nächsten Vormittage Loß besuchen wolle.

*

Dieser nächste Vormittag war ein sonnenheller Wintermorgen. Papa Loß saß in glücklicher Behaglichkeit zwischen seinen beiden Töchtern am Frühstückstische und ließ sich von Ludmillen erzählen: was sie Alles gestern erlebt und erfahren auf der Jagd und bei Tafel und beim Tanze, welcher bis in die Nacht hinein gedauert. Loß war früher heimgegangen, nachdem er sich bei der Königin Urlaub erbeten hatte auf einige Tage für seine Tochter, welche ihm durch den Hofdamendienst ja gänzlich entzogen würde. So war Ludmilla jetzt gleichsam Gast im väterlichen Hause, und hatte an Purzel und an den Papa eine Fülle von Mittheilungen und Bemerkungen zu machen, naiv an Purzel, altklug und weise an den Papa, welcher Alles wissen wollte, was ihr durch Kopf und Herz gelaufen wäre. Seine Laune war die vortrefflichste; er vergaß die leidige Politik völlig, und freute sich seiner Kinder, freute sich des Sonnenscheins, welcher über die Moldau herüber bis zu seinem Sessel in das große Gemach fiel und ihn mit seinen Lieblingen in goldenen Duft hüllte.

– So schön ist's nicht gewesen hier in meinem Hause, rief er, als damals, da der Hans zum letzten Male hier war, ehe er nach Wien ritt.

– Von dem war gestern bei Tafel die Rede, sprach Ludmilla langsam. Man erzählte garstige Nachrichten von ihm, welche Raupowa aus Linz mitgebracht hat.

– Lügen und Verleumdungen!

– Es wäre doch schrecklich, wenn er Renegat geworden!

– Lüge und Verleumdung, sag ich Dir!

– Das sagte der Fürst Anhalt auch; aber man entgegnete ihm: was hätte denn sonst den strengen Kaiser veranlassen können, ihn frei zu lassen?!

– Das ist eine verwickelte Geschichte. Hans muß sie uns selbst erzählen.

– Kommt Hans, Papa? rief freudig Purzel. Ludmilla war über und über roth geworden.

– Gewiß wird er kommen!

– Heute Papa?

– Thörichte Purzel, das geht nicht so schnell. Der Hans hat in Linz viel zu thun. Erst wenn er fertig ist, kann er kommen.

– Hat er Dir Nachricht gegeben? fragte Ludmilla.

– Mir nicht, aber Budowa.

– Natürlich! Wir sind nicht mehr in seiner Gnade!

– Wär' das ein Wunder, Mille? Haben wir etwas für ihn gethan, als er in Noth war?

– Gethan? Was konnten wir denn thun?

– Seinen herzlichen Antheil kann man immer beweisen, besonders wenn man Briefe schreibt.

– Wie?!

– Wenn man aber in den Briefen sagt: »Warum hat er sich auch fangen lassen!«

– Vater!

– Wenn man sagt: »Sein häßliches Müllercostüm und bartloses Antlitz kann ich gar nicht aus dem Gedächtnisse wischen, und für einen tragischen Ausgang ist er ja doch zu besonnen« – -

– Vater, woher weißt Du diese Worte?

– Von Budowa weiß ich sie. Der weiß sie von Hans –

– Und dem hat sie Isabella mitgetheilt. O, das ist freundschaftlich, das muß ich gestehen!

– Pfui, Mille, Du wirst am Ende noch das engelsgute Mädchen anklagen dafür, daß Du kein Herz gezeigt hast für den armen Junker!

Es entstand eine Pause. Sie wurde unterbrochen durch die Frage Purzels: Papa, warum hat denn die Mille kein Herz für den Hans? der Hans ist ja so lieb!

Ludmilla sprang auf und lief zum Fenster. Heiße Thränen stürzten ihr aus den Augen.

Papa Loß wurde das gewahr, und es wurde ihm schon sehr leid, daß er so weit gegangen. Er konnte seine Mädchen nicht weinen sehen. Er erhob sich also ebenfalls und wollte zu ihr, um sie zu trösten. Da kam ihm Ludmilla entgegen, warf sich ihm an die Brust und sagte schluchzend: Vergieb mir nur, guter Papa, ich will so etwas nicht wieder thun. Ich hab's gar nicht gewußt. Jetzt, da ich die Worte höre, machen sie auch mir einen abscheulichen Eindruck. Ich hab' sie unbedacht hingeschrieben, weil ich damals zerstreut war, und weil ich wirklich nicht dachte, daß Hans in so großer Gefahr schweben könne. Junker Rudolph that immer, als ob das Bischen Gefangenschaft nicht der Rede werth sei.

Purzel unterbrach die Schwester mit dem fröhlichen Geschrei: Der Hans! der Hans ist da!

Wirklich stand er auf der Thürschwelle. Ludmilla und Loß stießen gleichzeitig einen Freudenschrei aus und eilten ihm entgegen. Ludmilla hastig voraus, als ob sie ihm in die Arme eilen wollte. Einen Schritt erst vor ihm blieb sie plötzlich stehen und streckte ihm beide Hände entgegen. Der hinzukommende Loß und die an Hans sich hinauf rankende Purzel sorgten dafür, daß er im Loß'schen Hause auch wirklich umarmt wurde.

Es folgte eine glückselige Stunde, glückselig für Alle. Die Liebe hat kein Gedächtniß für das, was ihr hat Abbruch thun wollen; ja, sie gedeiht erst recht unter Störungen; und als der offenherzige Loß die Scene schilderte, welche Hans so eben unterbrochen, da machte Hans sich selbst Vorwürfe, daß er ein so sentimentaler, ein so geistloser Zweifler hatte sein können! Die lebensfrische Ludmilla sei ja mit ihrem des Lebens bedürftigen Naturell ganz im Rechte gewesen, eine mißliche Lage des Freundes zuversichtlich anzusehen, das heißt voll Zuversicht auf die Kraft des Freundes. Er dachte wol gar einen Augenblick, wie Ludmilla kurz vorher gedacht: Isabella hätte ihm solche Dinge gar nicht mittheilen sollen! So parteiisch ist Neigung, so ungerecht.

Wie verändert erschien Hans überhaupt in der glücklichen Luft dieser Stunde! Er schalt selbst über seine Pedanterie, über all seine Peinlichkeiten; er empfand vollständig, daß er jung, daß er lebenslustig sei, daß die Aengstigungen und Kämpfe in Wien seine Lebenskraft geweckt und gefördert. Welch eine Veranlassung dazu war aber auch die neben ihm sitzende Ludmilla! Wie straff und kräftig hatte sich ihr Aeußeres entwickelt! Ihr Arm, der aus dem Hauskleide hervorsah, war so rund und weiß, ihr Nacken so voll, ihre Brust so schön gewölbt, ihr Mund so schwellend, ihr Auge so blitzend geworden! Die Stimme hatte an Macht und Tiefe gewonnen, und ihr ganzes Wesen athmete Energie der Sinnlichkeit. Dazu ein geistiges Leben, welches Witz und Behendigkeit ausströmte in behaglicher Weise, wenn es sich an die Worte des Vaters anschloß, Klarheit und Bestimmtheit, wenn es Hansens Aeußerungen aufnahm, und den schalkhaftesten Humor, wenn es mit Purzel tändelte.

Papa Loß war wie wiedergeboren; seine fröhliche Stimmung, so lange niedergehalten, jauchzte geradezu. Endlich einmal, rief er schnalzend, die Kopfhängerei beim Kukuk, das ewige Politisiren und Katechisiren, die ewige Sorge nicht blos um morgen, nein um übermorgen! Purzel, gurgle einen Jodler heraus, so laut Du kannst.

Purzel that ihre Schuldigkeit so herzhaft, daß der Vater sie beim Kopf nahm und abküßte. Er lachte auch markerschütternd, als sie sich aus seinen Armen wand und hastig fragte: Nun ist wol morgen Hochzeit, Papa, da der Hans wieder gesund ist und die Mille artig, ja?

Ludmillens und Hansens Gesichter waren von Blut übergossen, und beide dankten es innerlich dem Papa, daß er scherzhaft die Antwort übernahm und ausrief: Uebermorgen, Purzel! Du mußt ja Brautjungfer werden, und noch achtundvierzig Stunden wachsen. Wachse zu! Wirst Du?

– Ganz geschwind, Papa! Heiß ich dann auch Starschädel, wenn die Mille so heißt?

– Du wirst noch ein r zukriegen und Starrschädel heißen. Du kleiner Hartkopf.

– Nein, Papa, geradeso! Kein rr!

– Weil Du's nicht aussprechen kannst!

Da trat die Störung ein – in Gestalt des Junkers Rudolph von Mitzlau. Er war prächtig gekleidet in grünen Sammt, und sah bildschön aus. Gestalt und Miene, ja Alles an ihm hatte sich günstig entwickelt, war fest geworden und hatte doch nichts von der früheren Geschmeidigkeit verloren. Der Erfolg zeitigt eben am schnellsten, und er hatte im Anschlusse an Raupowa vollständigen Erfolg gehabt; er war ein Mann von Bedeutung geworden. Man hatte ihn vorzugsweise in diplomatischen Aufträgen verwendet: er war zu Bethlen Gabor nach Ungarn geschickt worden, um das Bündniß mit demselben zu festigen, nach Dresden, um den Kurfürsten von kriegerischen Schritten gegen Böhmen abzuhalten, an die kleinen Reichsfürsten im mittleren Deutschland, um sie vom Kaiser abzuziehen und der böhmischen Sache geneigt zu machen. Er hatte dies immer geschickt ausgeführt, wenigstens immer als sehr hoffnungsvoll dargestellt. Selbst nicht gründlich und gewissenhaft fand er allen diplomatischen Verkehr leicht: ein halbes Wort genügte ihm für ganze Zusage, und wo er Aussichten zu eröffnen hatte, da gab er lächelnd und verschönernd unzweifelhafte Gewißheiten. Das erfreute diejenigen, an welche er gesendet war, und erfreute diejenigen, welche ihn gesendet hatten. Sich selbst gut zu täuschen ist den Revolutions-Führern stets ein Bedürfniß. Mitzlau genügte diesem Bedürfnisse allerliebst. Und so rasch! Seine elastische Leibesbeschaffenheit gestattete ihm Courierritte ohne Gleichen. Schon deshalb war von ihm jetzt die Rede, als man eine ernstliche Aufforderung an den Sultan in Constantinopel richten wollte, den Kaiser mit Krieg zu überziehen. Er ritt ja mit jungen Genossen binnen zehn Tagen bis an den Bosporus, und konnte als glänzender, gefälliger Cavalier, der trefflich zu schmeicheln verstand, den eitlen Padischah am Ersten dahin bringen, daß bis zum Frühjahre der ganze europäische Orient in Bewegung gesetzt würde gegen Wien.

Von einer Besprechung dieses Projectes kam er jetzt eben, und war also nicht gestimmt, das Eindringen des alten Nebenbuhlers bei Ludmilla geduldig und bescheiden anzusehen. Selbst zu jedem Renegatenthume geeignet glaubte er vielleicht selbst an die Rede Raupowa's: daß der Starschädel katholisch geworden sei, um frei zu werden. Er sah ihn also ganz anders an und behandelte ihn ganz anders, als er in Wien und Hernals gethan; er behandelte ihn von oben herab, und die Begrüßung war sehr frostig.

Ludmilla, an welche er sich sogleich wendete, war in sichtlicher Verlegenheit. Seine vertrauliche Anrede erschien ihr wie ein Vorwurf, den Hans zu machen berechtigt sei. Sie antwortete wenig und ausweichend.

Aber Rudolph war nicht der Mann, sich abschrecken zu lassen. Er fand auch für seine Dreistigkeit, wie immer, rasche Hilfsquellen. Die Königin bot sie ihm jetzt. Der Königin Majestät – sagte er – hat soeben ihr Bedauern ausgesprochen, daß Fräulein Ludmilla heute oben fehlt. Es sind gestern prächtige Falken aus Holland angekommen, wunderbar abgerichtete Thiere, welche diesen Mittag versucht werden sollen draußen jenseits des Wischehrad. Eine große Cavalcade wird gerüstet für den hellen Wintertag, die Königin an der Spitze und um sie her Alles was frisch und gut beritten ist. Die Königin hofft, das trefflich reitende Fräulein von Loß werde diese seltene Gelegenheit nicht versäumen. Ich bin bereit, liebes Fräulein, auf Euch zu warten, bis Ihr Eure so kleidsame Amazonentracht angelegt, und Euch hinauf zu geleiten. Der Herr Vater, einer unserer tüchtigsten Reiter, läßt vielleicht auch seinen türkischen Schimmel satteln, um zu beweisen, daß nicht blos junge Leute über Stock und Stein dahin sausen können, wenn der Falke oben am Firmamente weit ausgreift!

Ludmilla sagte nur halblaut: Heute wol nicht! indem sie mit unsicherm Blick zu Hans und dem Vater aufsah.

– Unsertwegen brauchst Du's nicht abzulehnen – sprach der Vater – mein Schimmel macht das mit mir schon durch, und für den Hans ist ja der Fuchshengst da, welchen er im vergangenen Winter so oft und so gut geritten hat. Was meinst Du, Hans?

Rudolph verspürte diese Anrede sehr unangenehm: ihn hatte Loß noch niemals »Du« genannt.

Hans seinerseits war so glücklich angeregt, daß er kein Spielverderber sein wollte für sein geliebtes Mädchen und ohne Weiteres einstimmte.

Ludmilla war so glücklich darüber, daß sie ihm die Hand zustreckte, die er lächelnd küßte. – Loß rief nach dem Diener, daß er die Pferde bestelle.

– Da muß ich aber doch etwas bemerken – sagte Mitzlau unter künstlicher Zögerung mit den Worten – wenn der Herr Junker von Starschädel von der Partie sein soll, dann –

– Nun dann? fragte Loß.

– Dann entsteht eine Schwierigkeit. Der Junker ist bei Hofe nicht vorgestellt, und ich – ich wäre nicht in der Lage, ihn so jählings den Majestäten vorzustellen.

– Das ist auch gar nicht nöthig; denn das werde ich thun – entgegnete Loß.

– Ja – aber hat denn Fräulein Ludmilla nicht erwähnt, was gestern Abend das Tischgespräch bildete an der königlichen Tafel? Die Befreiung des Junkers Starschädel in Wien, und sein Uebertritt zur katholischen Kirche, durch welchen er seine Befreiung erlangt habe?

Hans, Loß und Ludmilla stießen gleichzeitig einen leichten Schrei aus.

– Unter solchen Umständen ihn plötzlich oben vorzustellen, wäre doch wol auch für Euch, Herr Baron, nicht angemessen. Land und Hof sind kriegerisch antikatholisch, selbst Landescavaliere wie Czernin halten sich zurück, weil sie katholisch sind, und nun sollte ohne Weiteres –

– Es ist ja erlogen, daß Junker Hans übergetreten sei, ganz und gar erlogen, und, wie ich fürchte, von Eurem Protector, dem Raupowa, erlogen! schrie Loß.

– Das weiß ich nicht, und ich weiß nicht, ob Ihr es wissen könnt, Herr Baron. Jedenfalls glaubt man's in den höchsten Kreisen, und so lange die Berichtigung nicht geglaubt wird, scheint es mir doch unmöglich –

– Unmöglich oder nicht, wir brauchen's nicht. Seid Ihr leichtgläubig und thöricht genug, auf solche nichtswürdige Verleumdung hin einen unserer besten Protestanten von Euren höchsten Kreisen auszuschließen, so sind wir doch Manns genug, uns um Eure höchsten Kreise nicht zu kümmern, von denen wir die Sicherstellung unsers Landes wahrhaftig nicht mit besonderer Zuversicht hoffen. Sagt das oben getrost vom alten Loß. Wir, Kinder, reiten nach der andern Seite und wollen Gottes schönen Wintertag auf unsere Weise genießen.

– Ich bin untröstlich –

– Keine Ursache. Frische Besen kehren gut. Ihr seid ja selbst ein so junger Protestant, daß Ihr doppelt eifrig erscheinen müßt. Wie lange ist's denn her, daß Ihr übergetreten seid?

– Ein – halbes Jahr.

– Na seht Ihr, da ist man eben noch ein frischer Besen. Der Hans da ist aber – wo seid Ihr denn übergetreten?

– Wo?

– Ja, wo? Bei welchem unsrer Prediger habt Ihr denn Euer Glaubensbekenntniß abgelegt?

– In Hernals hab' ich mit Candidat Götzinger –

– Ah, das ist ja ein Lutheraner! Ich denke, Ihr seid Calvinist?!

– Das bin ich auch. Mit Götzinger hab' ich nur die allgemeinen Unterschiede durchgesprochen –

– Laßt's gut sein! 's könnte Euch sauer werden, und mir steht's nicht zu, Euren Kirchenzettel zu fordern. – Mille, geh, leg Dein Reitkleid an! Ich lechze nach frischer Luft.

Ludmilla ging, schüchtern grüßend, betroffen hinweg, betroffen und traurig.

Mitzlau blieb auch nichts übrig, als seinen Abschied zu nehmen; er war ja doch eigentlich hinausgewiesen. So hatte Loß ihn niemals behandelt. Mochte er sich auch niemals eingenommen gezeigt haben für den Junker, seine gutmüthige Gastfreundlichkeit hatte sich doch nie verleugnet. Zum ersten Male hatte Loß jetzt gleichsam sein Wams aufgerissen und gesagt: da innen in meiner Brust ist gar kein Herz für Dich! – Und dies war geschehen in Gegenwart des Nebenbuhlers, ja in Vertheidigung des Nebenbuhlers Hans von Starschädel.

Rudolph übersah wie unter Blitzbeleuchtung, daß dem Vater gegenüber Alles für ihn verloren sei. Der müsse gezwungen werden, ihm Ludmilla zur Frau zu geben. Das soll er denn auch! – murmelte der beleidigte Junker, indem er unter kühlem Gruße hinaus ging – das soll er auch, koste es was es wolle! Und diesen sächsischen Junker bei dieser Gelegenheit mit zu Boden schlagen, das soll die Hälfte meines Triumphes sein!

Vor dem Hause begegnete ihm Jemand, der zu seinem Grolle paßte – Jaromir von Zierotin, einst Pater Norbert geheißen. Der sah auch düster aus wie eine Gewitterwolke. Das Gesicht gelblich bleich, das Auge tückisch, das schwarze Haar ohne Glätte, die schwarze Kleidung abgetragen. Es ging ihm sehr schlecht, wenn es auch sein Mund gegen Niemand aussprach, und wenn auch seine Haltung unvermindert die eines vornehmen Menschen war.

– Kehrt um Herr Vetter! Im Loß'schen Hause giebt's heute für uns keine Einkehr. Man reitet aus und will nicht begleitet sein: der verlorne Sohn ist wiedergekommen, das Kalb wird geschlachtet für den sächsischen Junker Hans von Starschädel. Zuckt Ihr? Ja wol! Alles Freien hat ein Ende, wenn das schöne Mädchen verheirathet wird.

– Verheirathet?

– Allerdings! Die Eurigen haben sich als Stümper erwiesen gegen diesen Junker. Sie müßten ihn denn bekehrt haben, wie Raupowa glaubt.

– Das glaub' ich nicht.

– Habt Ihr Nachricht über ihn?

– Wie käm' ich dazu! Ich bin ein gefangener Mann, mit welchem Niemand verkehrt. Niemand von Wien, Niemand in Prag. Loß allein, ein gutmüthiger Mann, verschloß mir sein Haus nicht.

– Jetzt wird's auch der thun! Uebrigens seid Ihr selbst schuld. Eure Gefangenschaft giebt Euch doch kein Recht zur Klage! Raupowa läßt Euch ja auf mein Fürwort völlige Freiheit. Ich habe dies Fürwort für Euch eingelegt, weil Ihr mein Vetter seid, und weil Ihr in Wien Theilnahme für mich gezeigt, Theilnahme in Eurem Sinne! Ihr wolltet mich gebrauchen, allenfalls zum Jesuiten machen. Jetzt steht's umgekehrt: ich will allenfalls Euch gebrauchen, muß Euch aber vorher zum Calviner machen.

Auf diese boshafte Rede entgegnete Jaromir nur mit einem Blicke, der den frechen schlesischen Junker von oben bis unten maß.

– Schaut wie Ihr wollt, fuhr Rudolph fort, nur vergeßt Eins nicht. Ich kann nicht dafür stehen, daß man einen Jesuiten hier frei umher lungern lasse, blos weil er ein Cavalier ist. Erwerbt Euch irgend ein Verdienst um uns, sonst überantwortet man Euch dem Scultetus. Was haben wir denn noch gemeinsam, worin Ihr nützen könntet? Die Passion für Ludmilla – er kann wirklich noch roth werden! – nun, diese Passion ist nicht angethan, uns zu vereinen. Aber die Passion für den sächsischen Junker, wie? Wahrhaftig! darin stimmen wir überein, den Tugendschwätzer zu beseitigen, nicht wahr!

Jaromir sagte nicht Nein, nicht Ja; so grobe Aeußerung war ihm abgewöhnt in der jesuitischen Erziehung. Aber in seinem Auge leuchtete ein Ja! welches Rudolph genügte.

– Nun denn, dreht eine Schlinge, und wenn es ans Zuziehen gehen soll, nehmt mich in Anspruch. Ich bleibe deshalb hier und schlage die große Gesandtschaft aus, welche mir angetragen ist. Ihr verkehrt mit Wien, ich bin überzeugt davon. Holt uns die Fäden von dort; sie sind zu haben. Der Starschädel ist zu Pferd und allein mit seinem Reitknechte; er hat also nichts von Bedeutung mitgebracht. Ich hab's heute früh oben im Schlosse gehört. Wo ist der Schatz des alten Zdenko geblieben? Raupowa hat ihn nicht gefunden, sondern vermuthet ihn in der Schottenabtei. Diesen Schatz heraus zu bringen ins Reich, wird sicherlich die nächste Sorge des sächsischen Hungerleiders sein, und bei dieser Sorge sollen wir ihn fassen, ihn und den Schatz. Sorgt für Notizen darüber aus Wien, ich sorge dafür, daß der Patron von hier aus dem Transport nicht entgegen reitet ohne mein Wissen. Abgemacht! Ihr könnt Euch nicht sehen lassen oben auf dem Hradschin, wo ich wohne, ich schicke also oder ich komme zu Euch, um nachzufragen, ob eine Fährte sichtbar geworden. Bis dahin Ade.

Dies Gespräch endigte unten an der Moldau, wohin Rudolph mit Jaromir abwärts gegangen war von Loßens Hause. Hier wendete sich Rudolph links, um von rückwärts den Hradschin-Berg zu ersteigen, Jaromir ging nach der Brücke zu.

Jaromir-Norbert war in verzweiflungsvoller Lage. Was nützte es ihm, daß man ihn nicht einsperrte, sondern frei einher gehen ließ! Er war hier in Prag, wo die Katholiken tief eingeschüchtert und gleichsam verschwunden waren, abgesondert wie ein räudiges Schaf von der Heerde. Jedermann ging ihm aus dem Wege, selbst die jungen Cavaliere, welche noch vor Wien gemeint hatten, er werde seine clerikale Vergangenheit auf sich beruhen lassen und werde übertreten zum Protestantismus. Er war nicht übergetreten, und so verschlossen sich alle Hände, alle Kreise vor ihm. Wenn Einige riefen, man halte da einen Jesuitenspion neben sich und sollte ihn fortschaffen, so antwortete Raupowa lachend: Wozu?! Er erfährt ja nichts, es verkehrt ja Niemand mit ihm. Laßt ihn laufen! Er ist in Wien ein Beweis, wie stark wir uns fühlen. Und am Ende ist er doch ein Zierotin, am Ende besinnt er sich doch.

Jaromirs Existenz war denn auch ein immerwährendes Sichbesinnen, ein wühlendes und peinliches. Sollte er entfliehen? Es war möglich. Die brennende Leidenschaft für Ludmilla ließ es nicht zu. Und doch sah er keine Hoffnung vor sich, daß dies Mädchen sich ihm zuneigen könnte, keine Hoffnung; nur zuweilen einen Schimmer. Sie scheute sich vor ihm jetzt noch wie damals, als er für einen Geistlichen galt. Aber sie war coquett: mitunter wendete sie ihm doch eine flüchtige Aufmerksamkeit zu, ein leichtes Lächeln, ein zustimmendes Wort. Das täuschte ihn wieder auf Wochen. Loß war der Einzige, der ihm seine Thür nicht gerade verschloß, aber die kalte Höflichkeit des sonst so gastfreien Mannes gestattete doch nicht, daß Jaromir oft einsprechen durfte. So schleppte er sich von Woche zu Woche an einer Laune des Mädchens dahin, und die Leidenschaft für sie verbreitete sich in ihm wie ein stechender, verzehrender Brand.

Seit dem hereinbrechenden Winter ward ihm auch das beinahe ganz entzogen: Ludmilla wohnte oben auf dem Hradschin, und dorthin konnte er nicht, der calvinische Hof verabscheute ihn. Was sollte aus ihm werden? Auch die alltäglichsten Geldmittel fehlten ihm oft. Die Mutter konnte nur selten etwas senden, sie hielt ihn für bewacht und meinte, große Vorsicht anwenden zu müssen für ihre Botschaften. Der freundliche Czernin allein, der einzige Katholik unter den regierenden Herren, fand zuweilen in seiner Herzensgüte Gelegenheit, ihm eine Summe Geldes – vorzustrecken, wie er es höflich nannte. Verstohlen geschah das, denn eben weil Czernin der einzige Katholik war, mußte er doppelt vorsichtig sein und einem Jesuiten aus dem Wege gehen.

Die Axe aller Gedanken Jaromirs war denn natürlich die Frage: Sollst du übertreten? Das würde ja Alles ändern. Heute stand er auf mit dem Ausrufe: Ja! – und zögerte doch wieder im Laufe des Tages. Am folgenden Tage stand er auf mit der bestimmten Meinung: Nein! denn es wird dir nichts Wesentliches nützen, und wenn der Kaiser am Ende doch siegt, so bist du verloren. Eine Religionsfrage war es ihm übrigens nicht, er war ohne Religion. Und deshalb kam denn allmälig der Gedanke obenauf, zu welchem die jesuitische Disciplin Veranlassung bot, der Gedanke: überzutreten mit der reservatio mentalis. Das heißt: äußerlich überzutreten mit dem innerlichen Vorbehalte, daß der Uebertritt eine inhaltlose äußerliche Formalität sei, welcher man sich nur nothgedrungen unterwerfe, um in Wahrheit der alten Kirche erfolgreicher dienen zu können. So wollte er's darstellen, wenn der Kaiser dennoch siegen sollte.

Auf diesem Punkte stand sein Sinn, als er jetzt über die Brücke ging und am Crucifixe vorüberkam, welches die Königin entfernen gewollt. Das Kreuz zu schlagen im Vorübergehen war ihm so eingewöhnt, daß er auch jetzt – nein! rief der Verstand in ihm, das muß jetzt aufhören, wenn du Glauben finden willst für deinen Uebertritt. – Dennoch war es auch diesem religionslosen Patron wie das Gefühl einer Sünde, daß er sein Kreuzschlagen unterlassen. Die Gewohnheit ist das Gewissen leerer Menschen – nein! rief es in ihm, es ist nicht blos die Gewohnheit, es ist etwas geschehen, es folgt dir Jemand, der nah am Crucifixe gestanden und der deine Unterlassung bemerkt hat! –

Er hatte Recht: es folgte ihm Jemand durch die engen Gassen der Altstadt, in welcher er wohnte, und als er sich an seiner Hausthür dreister als vorher umsah, da stand der »Jemand« in einem dunkelblauen Mantel still, zehn Schritte von ihm.

Das sind die Jesuiten aus Wien – war sein erster Gedanke – sie beaufsichtigen dich. Seit Ebersdorf, von wo du den Ueberfall des Stubenthors dem Provincial angezeigt, hast du nichts mehr von dir hören lassen. Sie sind mißtrauisch, und sie lassen dich unter allen Umständen nicht los!

Im Hausflur trat ihm seine Wirthin entgegen mit der Nachricht: ein zierlicher Herr, in Blau gekleidet, habe ein Schreiben für ihn abgegeben. Es liege oben auf dem Zimmer.

Jaromir eilte hinauf, fand es, öffnete es und entdeckte auf der Stelle unten in der Ecke das wohlbekannte Jesuitenzeichen, undeutlich, unscheinbar I. H. S., das weltbeherrschende » in hoc signo«, durch Kreuz und Strahlen zusammengehalten. Du bleibst an der Kette – flüsterte er – wohin du dich wenden magst!

Das Schreiben aber lautete:

»Norbert, den man schon voreilig Pater nannte, Du bist Deines Berufes nicht mehr eingedenk: Du meldest nichts und verfällst sinnlichen Gelüsten. Schon in Wien verstörte Dich jene Tochter eines Ketzers, sie wird Dich ins Verderben reißen. Du hörst und siehst nichts um Dich her als sie. Erwache bei Zeiten! Unsere Geduld schlummert nicht mehr lange, und uns gehörst Du, wenn Du auch noch keine Weihe empfangen. Du hast unsere Geheimnisse empfangen, Du hast mit unsern Mitteln gewirkt, Dein Leben kann nie mehr getrennt werden von dem unserigen –«

Jaromir ließ das Blatt sinken und stöhnte. Er hatte es wohl gewußt, aber im Taumel der Leidenschaft hatte er doch gehofft, man könne, man werde ihn vergessen. Da stand denn völlig nackt das Gegentheil vor ihm. Nie, nie konnte er frei werden, selbst wenn er Ludmilla gewönne, würde die tausendkrallige Hand ihn erreichen. Was also, was bleibe ihm übrig? Täuschen, täuschen, täuschen!

Das ist der unvermeidliche Lauf, wenn naturwidrige Statuten mit Consequenz durchgeführt werden. Wo die Empörung, wo die Befreiung nicht möglich ist innerhalb unnatürlicher Bande, da stellt sich der Betrug ein als allein wirksamer Genosse.

Nach kurzer Pause las Jaromir weiter:

»Du entschuldigst Dein Schweigen damit, daß Du nichts erführest, weil Du ausgeschlossen sei'st von der Gesellschaft der Ketzer. Warum bleibst Du ausgeschlossen? Du kennst ja das Mittel, welches Dir Zutritt verschafft. Du erwägst es ja alle Tage. Nicht für uns, nein, für Dein sinnlich Gelüste, welches Du vermöge dieses Mittels befriedigen zu können hoffst. Thor! Du betrügst Dich, uns aber nicht. Ergreife das Mittel und tritt äußerlich über. Aber wehe Dir, wenn Du den heiligen Zweck vernachlässigst! Allwöchentlich sollst Du Kunde senden vom Feinde, genaue Kunde. Je nachdem sie beschaffen ist, wirst Du wieder steigen bei uns, oder – vernichtet werden. An jedem Freitage, sobald die Sonne untergegangen, wird ein dienender Mann in Dein Gemach treten und Deine Nachrichten in Empfang nehmen. – Sei Deiner Vergangenheit eingedenk um Deiner Zukunft willen!«

Jetzt war es Jaromir klar, daß er wieder Norbert werden müsse, und daß er nur gewinnen könne, wenn er den frechen Schritt ausführte.

Die Sonne stand erst im Mittage, als er zum Hradschin hinaufstieg und die Wohnung des Hofpredigers Scultetus aufsuchte.

Tags darauf war überall die Nachricht verbreitet, der frühere Jesuit Jaromir von Zierotin nehme Informationsstunden beim Hofprediger Scultetus und werde zur reformirten Kirche übertreten. Das Aufsehen war groß, und nur Raupowa lachte darüber.

Vierzehn Tage später war der Uebertritt vollzogen, und Jaromir von Zierotin erschien in glänzender Kleidung in der Burg des Hradschin, um durch Raupowa dem Könige und der Königin vorgestellt zu werden.

Raupowa lachte, weil er die Absicht dieses Glaubenswechsels zu durchschauen meinte, und weil er es für leicht hielt, diese Absichten zu durchkreuzen. Dieser Jaromir – sagte er zu den Seinen – will unter uns heimisch werden, um stets frühzeitig zu erfahren, was wir vorhaben. Nestelt Euch zu, wenn er in Eurer Nähe ist, oder, was noch besser, bindet ihm Bären auf. Vor allen Dingen warnt seinen Vetter, den Lumpenburger Zierotin. Der gute Mann nimmt sich des bekehrten Zierotin über die Maßen an und stattet ihn aus, daß er wie eine Jungfer gleißt. Das soll er bleiben lassen, denn wir können das Geld besser brauchen, vor allen Dingen aber soll er ihn nicht in unsere Karte sehen lassen, sonst lassen wir ihn selbst nicht mehr hineinschauen.

Trotzdem kam Jaromir durch kluges Betragen zur Geltung. Er hatte die äußerliche That, den Uebertritt für sich, und das schmeichelte allen, zu denen er übergetreten war. Gegen Hans hatten Raupowa's Warnungen viel stärker gewirkt. Hans hatte den erfundenen Uebertritt gegen sich, bei allen denen, welche damals in Prag regierten, und alle sahen deshalb mißtrauisch auf ihn, obschon Loß und Budowa durch Wort und That bezeugten, daß der Uebertritt des sächsischen Junkers nichts sei als eine böswillige Verläumdung. Die herrschende Partei hat immer etwas von der herrschenden Mode. Alles fällt ihr zu, auch wenn sie abgeschmackt ist.

Zunächst wurde Hans nicht tiefer davon berührt. Nach dem Königshofe da oben war er nicht lüstern, er setzte wenig Hoffnung und geringe Achtung auf den leichten König Friedrich, und der Verkehr mit Budowa und mit dem Loß'schen Hause erquickte sein Herz. Es entging ihm nicht, daß Ludmilla leiden mochte unter der üblen Nachrede, welche Raupowa über ihn ausgesprengt. Sie war eben in dem Hofkreise oben in der Burg den Stimmen seiner Gegner mehr ausgesetzt, und einige Tage lang während einer Woche mußte sie doch hinauf, wenn sie den Dienst nicht ganz aufgeben wollte. Der Vater wünschte dies Aufgeben, Hans aber widerrieth es. Er sah es Ludmilla an, daß ihr das ein Opfer gewesen wäre. Hatte sie doch schon an jenem Tage der versäumten Falkenjagd seinem Blicke nicht verbergen können, daß sie öfter nach Westen hinüberschaute, wo der Falke fliegen und die glänzende Gesellschaft darunter hin reiten sollte. Entging es doch seinem Blicke überhaupt nicht, daß sie stiller als sonst war, daß die Abgeschlossenheit Hansens von der Hofgesellschaft sie peinlich berührte. Dennoch war er guten Muthes. Die eigenen Leiden hatten ihn nachsichtig gemacht, ja hatten ihn aufgefrischt. Er meinte zu wissen, wie die kleinen Fehler seiner Geliebten beschaffen seien, und daß sie eben verwachsen seien mit ihren glänzenden Eigenschaften. Man müsse sie linde behandeln, meinte er, und nicht aufreizen durch Widerspruch. So war er denn lieb und gut gegen sie wie ein zärtlicher Bruder. Und sie verstand es auch, sie war ihm herzlich dankbar, und war sanft und mild, wie er sich gar nicht erinnerte sie früher gesehen zu haben, der Harrach Isabella vergleichbar, von welcher sie sonst so verschieden gewesen.

Es waren idyllische Stunden, welche ihm geschenkt wurden im sonnenhellen Wohnzimmer des Loß'schen Hauses: Papa war so fröhlich, Purzel so schnurrig, Ludmilla so gut. Es hätte ihm auffallen können, daß er selten allein war mit der Geliebten, und daß weder er noch sie die Absonderung suchten. Aber es fiel ihm nicht auf. Es war auch nicht ein Zeichen verminderter Neigung, nicht an ihm, nicht an ihr. Das ganze Verhältniß erlebte nur gleichsam einen Zwischenact. Die Leidenschaft schwieg, die Neigung sprach; und sie sprach bescheiden, weil Hans ein bescheidener Mensch war, und weil Ludmilla sich beschied. Darin, daß Ludmilla sich beschied, mochte sich allerdings ein geheimnißvolles Etwas verbergen, welches nicht gleichgiltig war für die Zukunft: Ludmilla unterdrückte ihre Phantasie, um ihrer Herzensneigung willen, welche sie für Hans hegte. Das war nichts Geringes.

Deshalb paßte es nicht recht, wenn der Vater das Verhältniß zwischen ihr und Hans so ansah und mitunter auch verständlich so bezeichnete, als ob es das Verhältniß zwischen Brautleuten wäre. Das paßte nicht; es störte. Es lag kein Geständniß zwischen ihnen vor; dies war gleichsam vertagt. Nur vertagt, das empfanden sie Beide. Aber übersprungen sollte es nicht werden. Die Situation wird wechseln, die Stimmung wird aufwallen, die Einsamkeit mit ihrem geheimnißvollen Schleier wird sich vom Himmel herabsenken und mit ihr das Glück, das berauschende Glück gegenseitiger Versicherung und Hingebung –

Vielleicht erst im Frühlinge, welchen die Sonne eines milden Winters schon anzukündigen schien.

Aber der Winter verleugnete sich nicht ganz. Eines Morgens war voller Schneefall eingetreten, und in das Budowa'sche Haus auf der Kleinseite trat der beschneite Diener Tartsch, welcher eben vom Pferde gestiegen war. Er kam von der Reise zurück, welche er im Auftrage seines Herrn unternommen, und es schien ihm nicht recht zu sein, als er vernahm, daß sein Herr nicht daheim wäre, sondern drüben beim Freiherrn von Loß. Was war dem Sauertopfe recht? Knurrend ging er hinüber; was er bringen sollte, brachte er nicht; die harte Winterreise hatte er umsonst gemacht. Tschirill hatte erklärt, er liefere an ihn, an den Tartsch, nichts aus, nur an den Herrn Junker Hans selber.

Im großen Wohnzimmer, heute einmal nicht sonnenhell, saßen Loß, Ludmilla und Hans. Hans sprang auf, als er Tartsch eintreten sah, und rief: Du bist da? doch nicht allein?

– Ja, allein.

– Pater Dunstan ist nicht mitgekommen?

– Nein, und Tschirill auch nicht. Der Dickkopf wollte mich anfangs gar nicht verstehen, als ich ihm sagte, er solle mit mir die Hinterlassenschaft des Grafen nach Prag bringen zu Euch; und als er mich endlich verstehen mußte, da sagte er in seinem Kauderwälsch: ich liefere nur aus an den Herrn Junker selber, oder zur Noth an den Herrn Pater Dunstan.

– Nun, was thatst Du alsdann?

– Ich schickte den Golling hinein nach Wien, damit der Pater Dunstan 'raus geholt werde. Der konnte aber nicht kommen, und ließ sagen: ich möchte ein paar Tage warten; Golling möchte nach zwei Tagen noch einmal zu ihm hineinkommen. Das that der Golling, und brachte mir dies Schreiben vom Pater und dazu die Botschaft: ich sollt' es Euch nach Prag bringen, so rasch ich reiten könnte. Hier ist's.

– Geh' mit Gott und erhol' Dich! erwiderte Hans, indem er das Schreiben nahm. Tartsch ging, Hans las das Schreiben vor. Was es auch enthalten möge, es schien ihm unschicklich, Loß und Ludmilla auszuschließen vom vollen Inhalte desselben. Dieser Inhalt war folgender:

»Deine Botschaft, lieber Hans, findet mich in gespannter Lage. Bis vor drei Tagen war ich gleichsam noch in der Schwebe. Der Kaiser wenn auch voll Mißtrauen gegen mich, schien dem Andringen der Jesuiten gegen mich und unsere Abtei immer noch zu widerstehen und Gewaltmaßregeln gegen uns abzuweisen. Das Einfachste wäre gewesen, daß ich mich in der Stille fortgemacht. Daran verhinderte mich Zweierlei. Zuerst die Dampierre'sche Soldatentruppe, die immer noch in den nächsten Ortschaften lag, obwol alle anderen Truppen längst aus der Gegend abgezogen waren. Diese Dampierre'schen Reiter, das wußt' ich genau, lauerten auf mich im Dienste der Jesuiten. Alsdann bat mich auch unser braver Abt, ich möchte ihn nicht verlassen unter so drohenden Zeichen gegen die Rechte unseres Ordens; ich sei der einzige Weltkundige im Hause, der Antwort zu geben wisse auf die täglich einlaufenden verfänglichen Anfragen und Anforderungen. – Jetzt ist nun Beides anders: die Dampierre'schen Reiter sind fort, und der Abt braucht mich nicht mehr; denn der Schlag ist gefallen. Vor drei Tagen nämlich ist Trautmannsdorff endlich aus Rom zurückgekehrt, und hat die amtliche Entschließung des Papstes auf die Anfrage des Kaisers gebracht. Sie lautet dahin, daß Toleranz Sünde sei, und daß der Kaiser in seinen früheren Wegen getrost und tapfer fortwandeln möge, sich der Väter Jesu als Stab und Stütze bedienend. Diesen Sieg benützten die Jesuiten auf der Stelle gegen uns, und führten aus, was sie lange vergeblich erstrebt hatten: eine flagrante Verletzung unseres Asyls, eine Revision unserer Abtei, in welcher sie den Schatz Zdenkos zu finden hofften. Eine bewaffnete Macht erschien gestern in unserem Hofe, und die ganze Abtei ward untersucht vom tiefsten Keller bis zum obersten Boden. Sie haben natürlich keinen Schatz gefunden; aber mein Abt sagt selbst: Was steht nun noch im Wege, daß sie in Zorn und Aerger getäuschter Erwartung auch dich, armer Dunstan, fortschleppen unter dem Vorwande, daß du den Kaiser getäuscht habest?! – Mein Abt hat Recht; es ist die Maßregel gegen mich im Werke. Trautmannsdorff, Eggenberg und Harrach widersetzen sich ihr noch, aber der Widerstand wird nicht lange vorhalten. Ich taxire ihn auf eine Woche und rüste Alles, daß ich fort bin, wenn er bricht. Diese Vorbereitungen brauchen einige Tage Zeit, weil ich Zdenkos Hinterlassenschaft mitnehmen will und muß, und weil dazu passende, und doch unscheinbare Transportmittel besorgt werden müssen. Die Hinterlassenschaft aber muß jetzt fort, weil bei der fruchtlosen Revision in unserer Abtei der Gedanke nur zu nahe liegt, nochmals auf die letzte Wohnung Zdenkos oben im Walde zurückzukommen. Einer der Guardisten hat beim Abziehen aus unserer Abtei geäußert: er sei mit oben im Walde gewesen, als das Feuer ausgebrochen, und müsse sagen, daß das Feuer eine gründliche Untersuchung da oben doch eigentlich unterbrochen habe. Dieser Guardist, durch eine rothe Feder von den andern unterschieden, scheint ein Kerl von Bedeutung zu sein und wird wol seine Meinung an wichtiger Stelle anbringen. Jetzt gilt's also: fortzuschaffen sobald als möglich. Ich komme schon damit zu Stande, und Du sollst nicht etwa selbst herkommen! Nur Eins sollst Du versuchen: durch Budowa oder Loß an der niederösterreichischen Grenze diesseits Znaim ein bewaffnetes Geleit mich erwarten zu lassen wegen der böhmischen Truppen. Ich komme über Stockerau, Ober-Hollabrunn und Guntersdorf gegen Znaim mit meinen Wagen. Dieser Weg soll jetzt ganz frei sein von kaiserlichen Truppen. Wie es aber drüben aussieht, weiß ich nicht, und zwischen der Grenze und Znaim möcht' ich ein Geleit finden. Bis dahin magst du kommen, aber nicht weiter! Also auf Wiedersehen in Mähren!« –

– Ich stelle binnen drei Stunden zwölf bewaffnete Reiter, und ich gehe selbst mit! rief Loß.

– Mitten im Winter!

– Larifari! Ich bin ja gesund. Du, Hans, eiligst zu Budowa, der immer alle Stellungen unserer Truppen kennt, um zu erfahren, über welche Orte wir den Zug lenken sollen, um keinen böhmischen Truppen zu begegnen. Von Budowa's Leuten übrigens auch mitnehmen, was er schaffen kann. In drei Stunden sitzen wir auf. Vorwärts, Millionenhans! Wir werden schon dafür sorgen, daß die Millionen in unsere Keller kommen. Rasch Abschied, und vorwärts!

Es wurde Alles so ins Werk gesetzt; Budowa's genaue Auskunft über den Stand der böhmischen Truppen wies nach, daß die Linie Znaim-Iglau ganz frei wäre, und er stellte auch wie Loß sein Dutzend Reiter, denn die großen Cavaliere waren damals fortwährend in der Lage, Kriegsleute ausrüsten zu sollen und ausrüsten zu können. Nachmittags ritt das Fähnlein über die Moldaubrücke nach der Altstadt hinüber, um jenseits derselben über die grauen Hügelkanten der Prager Schlucht südwärts zu verschwinden; Loß und Hans an der Spitze, Tartsch am Schlusse des Zuges.

Diese Abreise in gesammelter Masse war dem Zwecke nicht besonders zusagend. Sie erregte Aufmerksamkeit. Ein kleiner Mann namentlich, welcher eben durch den malerischen Brückenthurm von der Altstädter Seite auf die Brücke hinaus wollte, und vor dem Reiterzuge an die Steinmauer sich schmiegen mußte, war kein erwünschter Zuschauer. Er schien Loß und Hansen zu kennen, und Tartsch kannte ihn, diesen dunkelblauen Mantelträger; er hatte ihn ein paar Mal in Hernals beim Candidaten Götzinger gesehen. Der alte Narr rief ihm zu: Ihr habt's gut, daß Ihr bei dem Winterwetter nicht auf die Reise müßt! – Wird nicht weit gehen! erwiderte süßlich der Blaumantel. – Oho! – rief Tartsch zurück – bis hinter den Tulbinger Kogel!

Dies veranlaßte den Blaumantel, seinen Weg nicht fortzusetzen, sondern wieder in die Altstadt zurückzukehren, wo er eigentlich erst gegen Abend einen Besuch zu machen hatte. Jetzt wollte er ihn gleich machen. Der junge Herr, welchem der Besuch galt, wird wol daheim sein – dachte er – es ist ja Freitag.

Der junge Herr war Jaromir Zierotin, und war des Freitags wegen daheim, denn der Winternachmittag holt rasch den Abend ein. Der Blaumantel aber war Herr Tocke, vom Pater Euphemius nach Prag gesendet zum Seelenheile Norbert-Jaromirs und zur Kundschaft unter den Ketzern. Er hatte Jaromir den Brief gebracht, und er stand jetzt, nachdem er den dunkelblauen Mantel abgelegt, ganz so zierlich hellblau vor ihm, wie man ihn zu Wien gesehen.

Jaromir kannte ihn; er war ihm einige Male beim Herrn Provincial begegnet. Es bedurfte also keiner Einleitung zwischen ihnen, besonders darum nicht, weil Herr Tocke eine eilige Mittheilung zu machen hatte. Sie betraf den reisigen Auszug des sächsischen Junkers. Er geht auf den Wiener Wald, flötete er, und ich errathe seinen Zweck.

– Nun?

– Ich habe heute Morgen eine Botschaft aus Wien erhalten, welche unter Anderem besagt, daß endlich die Durchsuchung der Schotten-Abtei durchgesetzt worden ist. Dort vermuthete man, wie Ihr wißt, den Schatz des verstorbenen Grafen Zdenko. Er ist nicht dagewesen. Man steht rathlos vor diesem Räthsel und fängt an zu denken, ob er doch noch oben im Walde sei. Man weiß, daß ich beobachten und forschen kann, und daß ich den Reitknecht des Junkers Starschädel kenne. Ich soll forschen, und – es fliegt mir in den Schooß. Jener Reitertrupp, meine ich, reitet auf den Wiener Wald hinauf und holt den Schatz!

– Kann sein!

– Ist. Bitte sogleich um das Wochenblatt, welches Hochwürden doch wol vorbereitet haben für den hochwürdigsten Herrn Pater Euphemius –

– Hier ist es.

– Und um ein Blatt Papier, ein kleines, welchem ich mit drei Worten die Notiz anvertrauen kann, daß man die Schatzgräber erwarte. Erwarte! Sie müssen erst den Schatz sichtbar und greifbar gemacht haben, ehe man sie angreift. Ich bitte!

– Dort! Aber die Reiter sind schon unterweges; wird die Nachricht nach Wien nicht zu spät kommen?

– Nicht doch! Jene Reiter müssen ja übernachten, und zwar mehr als einmal. Unser Courierdienst von Posten zu Posten kennt keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht; er überholt die Reiter.

Er hatte rasch geschrieben, hatte mit Geschicklichkeit sein Blatt in den Brief Norbert-Jaromirs hineingeschoben und mit einem aus der Tasche gezogenen Faden das Ganze eingeschnürt, und empfahl sich nun mit der, wie er sagte, »wol unnöthigen« Bitte, ihn außer diesem Zimmer nicht zu kennen. Nächsten Freitag werde vielleicht schon ein Resultat vorliegen.

Norbert-Jaromir blieb sehr verdrießlich allein. Alles verdroß ihn: ein Agent, welchen er in Wien über die Achsel angesehen, erwies sich als sein Aufseher, erwies sich als Gebieter einer theueren Courierpost in Feindeslande, und nahm ihm die wichtige Meldung von der Schatzexpedition vor der Nase weg. Denn da er nun doch einmal im Dienste der Jesuiten bleiben mußte, so wollte er wenigstens wichtig bleiben für die Jesuiten. Eine Stunde später, er wollte zum Abende hinauf in die Gesellschaft der Hradschin-Burg, hätte er wahrscheinlich ebenfalls Kunde erhalten von der Expedition, und dann wäre die Meldung nach Wien seine Meldung gewesen. Oder er hätte, richtig, das war's, was ihn so ärgerte! er hätte keine Meldung gemacht, sondern den Schatz für sich zu erobern getrachtet. – Vielleicht ist das noch nicht zu spät.

Nach kurzer Ueberlegung nahm er seinen Mantel und verließ seine Wohnung. Es schneite draußen in dichten Flocken. Er suchte die Herberge seines Vetters auf, des Lumpenburger Zierotin, welcher ihm Wohlwollen erwies, seit er für einen Cavalier galt. Dieser Ladislaus hielt auf eigene Kosten ein Reiterregiment, er hatte also die Mittel, dem Loß und Starschädel die Beute abzujagen, eine Beute, welche doch wahrhaftig den Zierotinschen Vettern eher gebührte, als einem hergelaufenen sächsischen Junker. Der dritte Zierotin'sche Vetter von weiblicher Seite, Rudolph von Mitzlau, hatte zwar dieselbe Anwartschaft und hatte Jaromir die Allianz in diesem Punkte angeboten, er hätte auch durch Raupowa Reiter genug herzugeschafft, aber das war eine weitaussehende Theilung, und Raupowa sah nicht darnach aus, als möchte er viel übrig lassen. Außerdem war Rudolph ein gefährlicher Nebenbuhler bei Ludmilla – nichts da! schloß Jaromir, Ladislaus ist der richtige, und sei der einzige!

Er trat bei ihm ein, er fand ihn, er überzeugte ihn. Nach einer Viertelstunde schon konnte er ihm lächelnd nachsehen, wie er mit seinen Reitknechten aus der Herberge hinaussprengte. Sein Regiment lag in Trebitsch nur einige Meilen östlich von der Landstraße, welche von Znaim nach Iglau führt, und auf welcher schwer beladene Wagen kommen mußten, denn in jener Zeit gab es wenig Nebenwege für schweres Fuhrwerk, und in der Winterzeit war höchstens die Hauptstraße fahrbar. Er meinte zurechtzukommen, um zwischen den dortigen Hügeln den Transport abzufangen.

Das Lächeln auf Jaromirs Lippen war bei alledem kein behagliches gewesen. Es entstand nur aus dem Gedanken, daß die gemeineren Leute doch auch jetzt für ihn arbeiten müßten, für ihn, der wieder anfange zu leiten. Anfange! Er gestand sich ein, während er zur Burg hinaufschritt, daß dieser Anfang seines Handelns sehr viel Mißliches habe. Nicht in moralischer Beziehung! die machte ihm keine Sorge. Er war so gut erzogen, Alles nur für Zahlengruppen anzusehen und um den tieferen Inhalt der Dinge unbekümmert zu sein, daß ihn keine Moralfrage mehr peinigte. Aber der Verkehr mit den böhmischen Machthabern, welcher ihm jetzt seit Wochen offen gestanden, hatte ihm dargethan, daß diese Zerklüftung in Parteien, dieser Mangel eines mächtigen Mittelpunktes schwerlich bestehen werde vor der Zukunft. In diesem Betracht also war ihm das Bedürfniß klar geworden, sich in seiner alten jesuitischen Welt die Stütze fest zu erhalten. Und doch war die Leidenschaft zu Ludmilla unauslöschlich in ihm, und doch hatte diese Leidenschaft nur Aussicht auf Befriedigung, wenn er auf der protestantischen Seite bliebe!

In Wahrheit war es ja auch jetzt wieder Ludmilla, welche ihn durch den Schneefall hinaufzog nach der Burg. Loß und Starschädel sind fort, und sie wird in ihren Dienst zur Königin zurückgekehrt sein! – So war es auch. Das Idyll lag hinter ihr; in der glänzenden, bunten Welt da oben erwachte ihre Phantasie wieder. Der Putz fand wieder sein Recht, denn er wurde gewürdigt, das Selbstgefühl hob sich, denn man kam ihm entgegen, der Geist wachte auf, denn die leichtere, größere Gesellschaft brauchte zum Mindesten den Witz, die Sinne erwachten, denn man sorgte für ihre Lockung. Es war heut' keine große, aber eine intime Abendgesellschaft in den Zimmern der Königin, man sang, man spielte, und Ludmilla an der Harfe trug mit ihrer zauberischen Stimme ein Lied um das andere vor, und schlürfte den enthusiastischen Beifall, welchen man ihr spendete, wie eine lang entbehrte Labung. Selbst der König, sonst ritterlich treu für seine Gemalin, machte der lange Vermißten heute den Hof. Sie dachte Hansens mit keiner Silbe, sie fand den Vetter Rudolph brillant, als er mit seinem geschmeidigen Tenor eine italienische Buffo-Arie mit dramatischer Lebendigkeit und unter lebhaftem Applause vortrug, ja, sie fand heute sogar, daß der blasse, feine Jaromir einen eigenthümlichen Reiz ausübe auf alle Anwesenden und auch auf sie. Die Königin, welche sich für den Bekehrten interessirte, hatte ihn aufgefordert, auch etwas vorzutragen, da sie gehört, er sei musikalisch. Ohne Zaudern hatte er eine Mandoline ergriffen und eine spanische Romanze gesungen. Er hatte einen hohen Baß von schönem männlichem Klange, und sein Vortrag machte einen tiefen Eindruck. – 's ist ein katholischer Duft darin, sagte eine ältere Dame neben Ludmilla, aber in der Musica ist der nicht zu verachten!

Das hat Ludmilla auch gefunden, und als man zur Tafel ging, und Jaromir diesmal dem Junker Rudolph zuvorgekommen war im Anbieten seines Armes, ließ sie sich zum ersten Male von ihm führen, und empfand neben ihm bei Tafel, daß er jetzt als protestantischer Cavalier gar anmuthig sei, geheimnißvoll und eigen, keineswegs mehr so Scheu erweckend wie früher.

Rudolph saß an ihrer anderen Seite, und war in seiner Heiterkeit von angenehmer Abwechslung für sie. Beide liebten sie, das blieb ihr nicht verborgen, Beide verhüllten oder enthüllten das in verschiedenartigster Weise, darin aber einig, daß sie das schöne Mädchen verherrlichten – was hätte sie für einen Grund gehabt, ihre Gedanken hinaus zu treiben in die Schneenacht, durch welche Papa und Hans in Frost und Nässe dahin ritten gegen Beneschau zu? Was für einen? Gar keinen.

*

Das Gelingen der Schatzübersiedlung hing in erster Linie davon ab, ob Pater Dunstan die Fortschaffung oben im Walde eher bewerkstelligen konnte, als Herrn Tocke's Courier in Wien eintraf.

Dunstan, obwol er nichts von dieser Gefahr wußte, beeilte sich nach Kräften. Aber seine Kräfte waren dadurch geschwächt, daß er nicht selbst hinaus konnte vor die Thore, um die richtige Anschaffung der Fässer und Wagen zu beaufsichtigen. Er wußte zu gut, daß es auf seine Person abgesehen sei. Man hatte zwar nicht gewagt, sich derselben zu bemächtigen, als man bei der Durchsuchung in die Abtei eingedrungen war; aber die Scheu vor einem Attentate auf die persönliche Sicherheit eines Ordensmannes innerhalb seines Ordenshauses sollte hintangesetzt werden, das wußte er, sobald man dieses Ordensmannes draußen habhaft werden und sein Verschwinden leidlich verschleiern konnte. Deshalb hatte er bisher mit keinem Schritte die Abtei verlassen, und sich Spath's, des Gärtners aus Hernals, bedient zur Betreibung der Vorbereitungen.

Endlich waren diese Vorbereitungen beendigt, und in der nächsten Nacht wollte Dunstan hinaus auf den Wald. Da trat auch in Wien der Schneefall ein, und gegen Abend erschien Spath in der Abtei, um den Pater aufmerksam zu machen, daß dieser Schneefall ein schweres Hinderniß werden könne. Mähren, und besonders Böhmen, sei viel rauher als die Wiener Gegend, dort werde man noch größere Schneemassen finden, und mit den schweren Wagen nicht fortkommen. Es müßten also Kufen angeschafft und die Wagen auf Kufen gesetzt werden. Für einen Wagen schaffe er sie aus Hernals, aber nur für einen. Der Herr Pater müsse auf den Gehöften der Schotten Umfrage halten lassen, ob auch für den zweiten Wagen dieser Schlittenuntersatz gestellt werden könne.

Pater Dunstan erließ den nöthigen Befehl. Da er aber nicht aufs Unsichere hinaus wollte, so blieb er noch diese Nacht in der Abtei, und verlor dadurch vierundzwanzig Stunden Zeit, welche dem Tocke'schen Courier zu Gute kamen.

Die Kufen waren am nächsten Mittage aufgefunden; denselben Abend erreichte aber auch Herrn Tocke's Courier die Taborbrücke, und als gegen neun Uhr Dunstan, glücklich verhüllt durch ein dichtes Schneegestöber, die Schottenabtei verließ, da las auch unten im Jesuitenhause bereits Pater Euphemius die Notiz und die Rathschläge Herrn Tocke's. Er fand sie einleuchtend und ließ sogleich den alten Brémont rufen, von welchem man ihm erzählte, daß er damals die Expedition in den Wald hinauf mitgemacht, und daß er bei seiner Flucht die Oertlichkeit genau kennen gelernt habe. – Brémont sollte vom nächsten Morgen an da oben Beobachtungsposten ausstellen, und dieselben leiten. Medardo aber sollte eine Abtheilung Guardia bereit halten, um flugs mit ihr hinauf zu marschiren, sobald Brémont die Nachricht bringe: es sei dort oben wirklich eine Fortschaffung im Werke, und sie sei so weit im Gange, daß man sich des fortzuschaffenden Gegenstandes bemächtigen könne.

Nichts hiervon ahnend schritt Dunstan durch den »Tiefen Graben« nach dem Neuthore hinunter. Er wollte das Schottenthor vermeiden, weil er fürchten mußte, dort eher erkannt zu werden. Es wäre diese Vorsicht kaum nöthig gewesen, denn seine dunkle Kutte war binnen fünf Minuten weiß, so dicht fiel der Schnee. Er entdeckte nur mühsam sein Maulthier, welches draußen am Canal für ihn gehalten wurde; denn der Abend war finster, und alle Gegenstände waren gleichmäßig weiß. Spath, der neben dem Maulthiere stand, mußte sich ihm bemerklich machen durch Zuruf.

Nun ging es hinauf. Schritt für Schritt. Dem treuen Thiere fast mehr noch als dem wegkundigen Spath mußte es überlassen bleiben, die Richtung einzuhalten. – Es war gegen Mitternacht, als sie oben bei der Försterei ankamen.

Die beiden Frachtwagen, auf Schlittenkufen gestellt, waren schon da. Die Fuhrleute, Klosterknechte aus Penzing, hatten auf Golling's Geheiß ausspannen, einstallen und sich selbst im Stalle zur Ruhe legen müssen, damit nicht ohne Noth Zeugen vorhanden wären für das wichtige Geschäft. Golling, bis vor Kurzem ohne Kunde von dem Schatze – Dunstan hatte ihn damals bei der Einrichtung der Schatzkammer fern gehalten gehabt – war jetzt genau unterrichtet worden durch Spath, welchem der Pater gestern erst das Geheimniß anvertraut hatte. Golling hatte gelächelt und genickt bei dieser Mittheilung, denn ganz unkundig war er nicht gewesen, und Tschirills Wachestehen war ihm nicht entgangen. Aber ein discreter Diener wie er wußte zu schweigen und zu warten. Jetzt half er dem Herrn Pater vom Maulthiere, und sagte halblaut – als ob ihn da oben in der Einsamkeit Jemand hören gekonnt: – Hochwürdiger Herr! die Weibsen und die Fuhrleute liegen im Schlafe; ich, der Spath, der Trumm, den wir nicht übergehen konnten, und Tschirill sind auf dem Flecke. Soll's auch bei dem Schneefalle gleich losgehen?

– Sogleich, Golling! der Schneefall paßt; er verschleiert uns. Also ans Werk.

So nahmen denn die vier Männer zunächst Besen in die Hand, und gingen zur Brandstatt, um von einem bestimmten Theile der Trümmer den Schnee wegzufegen. Es war dies der Theil, welcher vor dem Brande das große Saalzimmer gebildet hatte. Dann wurden verkohlte Balken und Ziegelsteine weggeräumt, bis eine Gasse frei war. Jetzt die Laterne! sagte Golling. Trumm steckte zwei Pfähle zwischen Mauersteine. Spath brachte die Laternen und hing sie an den Pfählen auf. Man begann ein sorgfältiges Abräumen des Schuttes in dem kleinen Badezimmer, welches an den Saal gegrenzt hatte. Von der Badewanne war nichts mehr zu finden, aber eine Strecke eisernen Bodens fand sich da, wo sie gewesen war. An diesen eisernen Boden war sie angeschraubt gewesen, und dieser eiserne Boden war die Thür der Geldkiste. Diese Thür lag jetzt vor ihnen, unversehrt.

– Aber der Schlüssel! Wo ist der Schlüssel, Tschirill? fragte Dunstan – ich erinnere mich, daß wir damals ein künstliches Schloß anfertigen ließen. Es ohne Schlüssel zu öffnen, wird kaum möglich sein mit den Stemmeisen und Hacken, die uns zu Gebote stehen; jedenfalls wird es viel Zeit kosten.

Tschirill antwortete nicht gleich, er grub mit den Händen im Mauerschutte umher und nur stoßweise endlich gab er Kunde, daß der Schlüssel unten im Winkel des Zimmerchens immer in ein Loch gesteckt worden sei, welches durch einen herausgebrochenen Ziegel gebildet worden. Den Ziegel habe er immer wieder sorgfältig vorgeschoben. Jetzt fand er aber in dem Schutte weder Loch noch Schlüssel.

Dies konnte verderblich werden; denn bis zum Morgen mußte man fertig sein, wenn man nicht von Brémont noch überrascht werden sollte. Auf den Transport der ganzen Kiste war man nicht vorbereitet; für diese waren die Wagen zu schmal und zu schwach. Man hatte vor, den Inhalt der Kiste in kleine Fässer umzupacken und auf beide Wagen zu vertheilen. Die Kiste also mußte durchaus geöffnet werden.

Tschirill grub wie ein Hamster, eifriger und immer eifriger, also auch immer unbedachter, der Schweiß floß ihm von der Stirn trotz Schnee und Kälte – er fand den Schlüssel nicht.

Da rief Golling: Halt, Tschirill! Steh' auf, lass' mich hin. Ein Jäger versteht das Nachsuchen besser; er wirft nichts so durcheinander; Schritt für Schritt hantirt er, um rückwärts zu können, wenn's nöthig ist – steh' auf! der Winkel, scheint mir, muß einen Schuh weiter links sein. –

Mit Spannung sahen nun alle auf den systematisch wegräumenden Jäger. Zehn Minuten lang, da hatte er den Schlüssel!

Nun öffnete Tschirill, welcher mit den noch nothwendigen kleinen Kunstgriffen für das Aufschließen vertraut war – das Innere der Kiste stellte sich dar: lederne Säcke, auf und nebeneinander geschichtet. Dunstan öffnete den einen, welcher nicht mehr ganz voll war: große Goldstücke waren darin. Schneeflocken fielen auf dieselben, und Dunstan band ihn wieder zu, nachdem er eine Hand voll herausgenommen, um die Ausgaben des Transportes zu bestreiten. Dann gab er diesen angebrochenen Sack an Tschirill mit dem Bemerken, ihn apart im Stroh unterzubringen auf dem Wagen, ihn also nicht wie die übrigen in die Fässer zu packen.

Dies Einpacken in kleine Fässer war die nächste Arbeit. Diese Fässer wurden dann hinübergerollt zu den Wagen, welche mit Flechten, Matten und Stroh versehen waren, und in ihrer untersten Lage mit diesen kleinen Fässern angefüllt wurden. Ueber sie kam noch eine Schichte von Heu und Stroh, und auf diese Schichte wurden große Fässer geladen, Weinfässer. Sie sollten den Inhalt der Wagen andeuten; denn solche Weinfuhren sind in Niederösterreich sehr gewöhnlich. Die Fässer enthielten aber keinen Wein, sondern Gypsmehl. Dunstan sagte: wenn kaiserliche oder böhmische Kriegsleute daran kommen, so zapfen sie an und laden ab. Das Abladen führt auf den Grund und zur Entdeckung der kleinen Fässer. Das wird vermieden, wenn sie das ungenießbare Gypsmehl finden.

Gegen Morgen war das Aufladen vollendet, und die Fuhrleute wurden geweckt, damit die Planen übergezogen, die Pferde vorgespannt würden.

Um diese Zeit aber war auch der Spion schon da. Brémont nämlich. Der alte Sünder hatte seit einiger Zeit das Schicksal, des Morgens nicht mehr schlafen zu können; deshalb legte er sich gern wichtige Geschäfte in die Stunde vor Sonnenaufgang. An die ewige Schatzgeschichte da oben glaubte er eigentlich nicht – er meinte ja die Keller im Forsthause zu kennen – und so wollte er nicht unnöthig Leute in Bewegung setzen, sondern durch eigene Morgenvisitation sich und seinen Oberen die Ueberzeugung verschaffen, daß da oben nichts vorginge und nichts zu holen wäre. Zu dem Ende trabte er schon im Finstern hinaus auf seinem Klepper; ihm wurde ja als einer militärischen Vertrauensperson das Schottenthor immer geöffnet. Er freute sich auf den Effect, wenn er schon am frühen Vormittage im Jesuitenhause melden könnte: er, der Unermüdliche, sei schon oben gewesen und bringe schon Rapport.

Der Tag dämmerte, als er in der Schlucht hinauf ritt, und links in den jetzt tief verschneiten Rasenweg einbog. Er kannte die Richtung ganz gut, und kam an den Parkzaun. Dort band er sein Pferd an und suchte die Zaunlücke, welche ihm damals gedient. Dann schlich er auf demselben Wege, den er damals gemacht, dem Hause näher – Diable! fluchte er plötzlich leise, und blieb verblüfft stehen in den kahlen Gesträuchen. Er hörte Stimmen der Fuhrleute, welche ihre Rosse aus den Ställen zogen, er hörte Peitschenknall, er hörte die Stimme Dunstans, welche rief: Strängt die Rosse kurz ein, denn der Wagen ist schwer!

Auf der Stelle kehrte er um; er schämte sich; die Jesuiten-Herren hatten Recht: hier war eine Fortschaffung im Werke und schon ganz nahe! So schnell sein Pferd nur laufen konnte, jagte er nach Wien zurück. Ein schwerer Wagen, dachte er, fährt langsam; wir holen ihn ein. Es hat aufgehört zu schneien, eine »Neue« ist fertig, und wir können der Spur des Wagens folgen. Nur schnell, schnell, schnell zur rothen Feder, und berittene Guardisten nehmen!

Die gute, alte Sitte der Fuhrleute sorgte dafür, daß ihm Zeit verschafft wurde: Fuhrleute mit schweren Wagen achten die Zeit gar nicht, und schätzen über Alles die Langsamkeit. Es verging eine gute halbe Stunde, ehe es dazu kam, daß die Pferde anziehen sollten. Und dann kam noch ein neuer Aufenthalt! Golling nämlich machte eine Bemerkung, die Alles ins Stocken brachte, die Bemerkung, daß seit ein paar Stunden der untere Wind wehe, und das sei Thauwind. Seit achtundvierzig Stunden habe es geschneit, weich geschneit; das habe nach unten auch aufgeweicht. Jetzt sei der Donau nicht mehr zu trauen. Vorgestern freilich, als er über Königstätten unten gewesen, da habe sie noch gehalten auch für Wagen; aber jetzt! Und für so schwere Lastwagen – das glaub' er nicht, das rathe er nicht!

Dunstan fand das richtig! Nun war aber guter Rath theuer. Die nächste Brücke war am Tabor. Da mußte man über Wien! dann war keine mehr, bis oben bei Krems, und Krems war ein Sammelpunkt kaiserlicher Truppen. Was thun?

Dunstan's herzhafter Sinn entschied für die Taborbrücke. Er selbst konnte sich freilich nicht mehr hinab wagen nach Wien, aber Spath konnte die Wagen geleiten. Er selbst wollte mit Golling und Tschirill nach Königstätten hinunter – in Stockerau wollte er mit Spath und dem Transport zusammentreffen.

So wurde es ins Werk gerichtet. Die Nandl schloß sich noch an: sie wollte dem hochverehrten Herrn Pater Regens, der ja vielleicht nie wiederkäme, das Geleit geben und sein Maulthier, welches sie so gut kenne, über die gefrorene Donau führen. Hast Recht, Nandl, komm'! rief Dunstan, und der Zug setzte sich in Bewegung unter heißen Zähren der Frau Golling, welche vom Herrn Pater und Tschirill schluchzend Abschied nahm. Caro ging auch mit; nur Zahn blieb bei ihr. Aber auch Zahn heulte.

Auf dem Rasenstreifen vor dem Hohlwege gab's noch einen kleinen Aufenthalt: Bauernschlitten kamen aufwärts, die ins Holz fuhren. Dann trennte sich die Karavane: die mit dem Schatze beladenen Wagen fuhren nach Dornbach hinunter und gegen Wien hinein, den Agenten der Jesuiten direct entgegen.

Spath ging voraus, als gehörte er nicht zu dem Transporte. – Richtig! beim kaiserlichen Gottesacker kam Brémont, Medardo und eine Rotte berittene Guardisten. Spath erschrak, daß ihm die Knie schlotterten. – Stumm ging er vorüber. – Mir scheint, das ist ein Ketzer aus Hernals! rief Brémont und sah sich nach ihm um, seinen Klepper anhaltend. – Marsch, marsch! wir haben Wichtigeres vor! schrie Medardo, und – im Trabe jagte der Reitertrupp an den Frachtwagen vorüber, durch Dornbach hindurch. Langsam ging's den Hohlweg hinauf. Dort wurde abgespürt; der frische Schnee bot sich vortrefflich dazu. Man sah die Spur der Schlittenkufen von der Försterei her, neben ihnen Fußtritte, eine Hundespur und eine Hufspur – diese gingen richtig weiter in den Wald hinauf, man folgte ihnen, und konnte nicht ahnen, daß man allerdings dem Golling, Tschirill, Nandl, dem Maulthier und Caro folgte, daß die Kufenspuren aber den leeren Holzschlitten gehörten. Zum zweiten Male wurde die »rothe Feder« auf diesem Wiener Wald ins Holz geführt. Nicht besonders darauf achtend, daß die Geleitsspuren sich nach einer Stunde verloren hatten neben den Kufenspuren – und die Bauern waren auch zuweilen abgestiegen und der Kälte wegen neben ihrem Schlitten hergelaufen – fanden sich die Reiter endlich da, wo die Bauern mit ihrer Holzladung beschäftigt waren. Es hatte zudem wieder angefangen dick zu schneien, die Bauern zeigten sich mürrisch und gaben keine Auskunft, man sah keine Kufenspur weiter vorwärts, man war abseit von jedem breiteren Wege, und rückwärts deckte der neue Schnee Alles zu; – man sah sich an, man fluchte, und das Resultat war, daß Medardo und Brémont sich wieder einmal gestehen mußten: hier oben sei eben der Teufel los gegen sie, und sie seien wieder einmal »fertig zum Ausputzen!«

Mit sinkendem Tage aber fanden sich Dunstan und Spath, die beiden Führer, mit dem was zu ihnen gehörte, glücklich vor Stockerau zusammen.

Spath's Erzählung von dem Reitertrupp der Guardisten, welcher ihm begegnet, schien dem Pater Dunstan bedenklich. Er wollte deshalb sogleich weiter, und trug den Fuhrleuten auf, frische Pferde zu miethen. Es war ihm jetzt viel daran gelegen, so rasch wie möglich die mährische Grenze zu erreichen.

Während des Aus- und Umspannens ließ er Spath den außerhalb der Fässer verbliebenen Geldsack hervorziehen, und entnahm demselben fünfzig Goldstücke. Dann winkte er Golling, Nandl und Spath, ihm zu folgen. Es war bereits ganz finster. Auf einen schimmernden Lichtpunkt seitwärts vom Städtchen schritt er zu, und die Aufgeforderten folgten ihm schweigend. Sie ahnten nicht, was er vor hätte.

Das Schneien hatte aufgehört, der Himmel wurde wolkenfrei, Sterne traten hervor und blitzten silbern, wie es bei steigender Kälte zu geschehen pflegt.

Der schimmernde Lichtpunkt war die Lampe einer kleinen Capelle, welche durch ein vorspringendes Dach vor dem Ungestüme des Wetters geschützt war. Unter dieses Dach trat Dunstan und wendete sich gegen die drei Leute. Sie hatten den Eindruck, als wolle er ein geistlich Wort an sie richten, und beugten sich vor ihm, Golling und Nandl machten ihr Kreuz vor der Brust.

– Ihr habt Recht, sprach er, ich will als Geistlicher zu Euch reden. Vorerst zu Dir, Golling. Du hast den verstorbenen Grafen, Du hast mich seit langer Zeit beobachten können, Du bist ein aufmerksamer Mensch, es muß, es wird Dir klar geworden sein, daß der verschiedene Kirchenglaube nicht gute und böse Menschen von einander trennt, sondern nur verschieden denkende, und daß diese verschieden denkenden Menschen verträglich neben und mit einander leben können. Ist Dir das klar geworden?

– Ja, hochwürdiger Herr.

– Nun, Golling, das kannst Du bethätigen. Der Gärtner Spath hier, ein guter, tüchtiger Mensch, bekennt sich zum evangelischen Glauben; hältst Du ihn trotzdem wie ich für gut und tüchtig?

– Gewiß.

– Er liebt Deine Tochter, er wünscht sie zum Weibe. Willst Du sie ihm anvertrauen?

Spath und Nandl schauerten zusammen. Golling schwieg.

– Du schweigst, Golling? Du fürchtest Dich einer Sünde?

– Nein, hochwürdiger Herr, das nicht – absonderlich da Ihr selbst mir zuredet. Aber ich weiß nicht, ob es gut thut, wenn verschiedene –

– Das überlass' der Zukunft. Fürchtest Du Dich vor der Zukunft als Ehefrau Spath's, Nandl?

– Gar nicht, hochwürdiger Herr!

– Nun also. Außerdem geb' ich dem Spath die Mittel in die Hand, selbstständig zu werden, und sein Leben dahin zu verpflanzen, wo er mit seinem Weibe Ruhe und Schutz findet. Das Geld, welches wir da fortbringen, gehört alles dem Junker Hans von Starschädel, welchen Graf Zdenko zu seinem Erben eingesetzt. Der Junker Hans aber ist damit einverstanden, daß dem Spath fünfzig Goldstücke überreicht werden zur Gründung seines Hausstandes, wenn er die Golling Nandl zur Ehefrau bekommt. Würde sein Haus und Ehestand hier zu Lande gefährdet, so erwartet ihn der Junker Hans in Sachsen auf seinem Gute, und sichert ihm dort das Amt eines herrschaftlichen Gärtners zu. Hast Du was dagegen, Golling, wenn ich das junge Ehepaar einsegne?

– Nein, hochwürdiger Herr.

– So reicht Euch die Hände, Spath und Nandl, und gelobt Euch unter dem Sternenhimmel und im Schimmer dieses Lichtleins, welches fromme Gedanken erweckt, Liebe und Treue und gegenseitige Nachsicht bis an den Tod. Wollt Ihr das von Herzen?

– Ja!

– Und so bitt' ich unsern himmlischen Vater, daß er Euch segnen und behüten möge.

Er legte seine Hände auf ihre Häupter, und sprach leise ein Gebet.

– Und nun lebt wohl! Ich ziehe weiter, Ihr kehrt heim. Du weißt, Spath, wo mich Deine Nachrichten finden; hier ist der Brautschatz, möge er Euch gedeihen!

Schluchzend küßten sie ihm die Hände; Vater Golling auch.

In der nächsten Viertelstunde saß er warm eingehüllt auf dem vorderen Wagen, und fuhr gen Ober-Hollabrunn. Tschirill, mit einer Laterne versehen, ritt auf dem Maulthier vor dem Wagen einher. Die Nacht war still und kalt.

Am andern Tage schien die Sonne, und sie sahen zu ihrer Linken die verschneiten Weingärten von Rötz, vor sich aber in der Ferne die Thürme von Znaim, der ersten mährischen Stadt. Ehe sie dieselben erreichten, kam ihnen entgegengesprengt Loß und Hans und hinter ihnen das bewaffnete Gefolge. Das Unternehmen war im besten Gange. Nur eine Gefahr schien noch zu drohen, aber sie waren ihrer gewärtig und hofften ihr ausweichen zu können: Ladislaus von Zierotin nämlich hatte sie eingeholt, als sie in Iglau Rast hielten. Sie hatten ihn gesehen, er aber sie nicht, da er nicht vom Pferde gestiegen war, sondern nur Befehl gegeben hatte, Ställe, Futter und Nahrungsmittel bereit zu halten für sein Regiment, welches am nächsten Tage von Trebitsch in Iglau einrücken werde.

Der Wirth hatte ihnen diese Nachricht in klagendem Tone mitgetheilt, denn jeder solche Besuch war für Städte und Ortschaften kostspielig. Ein Feind war nirgends in der Nähe, wozu also? – In dieser Frage lag die Warnung für Loß und Hans.

Sie beschlossen also, schon bei Budwitz die nach Iglau führende Heerstraße mit den Wagen zu verlassen, und über das Hügelland um Teltsch nach dem Taborer Kreise hinüber zu lenken, um dem Regimente auszuweichen. Bei Tabor fänden sie wieder eine Landstraße nach Prag, sagte Loß, welcher Böhmen genau kannte, und der gefrorene Schnee erlaube den Schlittenwagen immerhin ein paar Tagereisen auf Nebenwegen.

So thaten sie, und so gelangten sie unangefochten an die Thore von Prag. Es war gegen Abend. Der Tag war sonnenhell gewesen, und Pater Dunstan war wieder auf seinem Maulthiere geritten zwischen Loß und Hans. So ritt er denn auch jetzt in die Straßen der Stadt ein. Weder Loß noch Hans dachten daran, daß dies eine große Unvorsichtigkeit wäre, und sie wußten lange nicht, warum die Menschen stehen blieben und ihnen haufenweise folgten.

Ein katholischer Ordensmann in seiner Kutte war aber seit einem Jahre in den Prager Städten überhaupt kaum sichtbar gewesen, und der Einzug eines solchen jetzt auf hohem Thiere zwischen zwei Cavalieren, geleitet von einem berittenen Gefolge, erregte das größte Aufsehen. Anfangs meinten die Leute, er werde als Gefangener eingebracht, und die Transportwagen hinter ihm seien ein irgendwo verborgen gewesenes Klostergut; aber die Unterhaltung, welche er mit Loß und Hans pflog, die laute heitere Beschreibung, welche ihm Loß von den Oertlichkeiten machte, an denen sie vorüberritten, widersprachen zu deutlich dieser Annahme. Endlich wurde bekannt, der junge Cavalier sei ja derselbe, welcher kürzlich in Wien katholisch geworden sei, und jetzt bringe er wol den Mönch zu Gott weiß welchen Zwecken in die Prager Städte, und nun wurde die Menge immer unruhiger und immer zahlreicher. Daß Loß dabei sei, hielt nur die Ausrufe und einen Ausbruch zurück; aber am Eingange zur Brücke riß auch dieser Zügel. Dort war Herr Tocke des Weges gekommen, hatte mit einem Blicke erkannt, daß seine Gegenmaßregeln mißlungen, und die Gegner am Ziel ihrer Wünsche seien. Aergerlich – er wußte selbst nicht, wohin das führen könnte, er wollte nur geschwind ein Hemmniß einschieben – ärgerlich sagte er zu seinen fragenden Nachbarn: Ach, das ist der Pater Dunstan, der einen neuen Katholicismus predigt und die Protestanten zurückbringen will von ihren Irrlehren! – und nach diesen Worten quetschte er sich aus der Menge heraus, um eiligst Herrn Norbert aufzusuchen, damit dieser etwas veranlassen möge, er wußte selbst noch nicht was, gegen die Einheimsung des Schatzes.

Halbverstanden, mißverstanden, mißgedeutet verbreitete sich aber sein Wort vom Pater Dunstan in der Menge und bildete sich zu dem Stichworte, dessen man bedurfte. Katholisch werden sollen wir wieder! Dieser Mönch Dunstan will uns wieder katholisch machen! rief man hier, rief man dort. Auf eine neue Manier soll's geschehen! Die deutschen Cavaliere stecken dahinter! Reißt den Mönch vom Maulesel herunter! Werft ihn in die Moldau! – Der Zudrang auf der engen Brücke wurde so eng und Loßens erklärende Worte wurden so wenig mehr gehört, daß dieser, sich im Sattel aufrichtend, nach rückwärts schrie: Trab! Trab! Vorwärts!

Reiter und Wagen setzten sich in rasche Bewegung, um dem Gedränge zu entkommen. Das gelang wol bis auf einen gewissen Grad, aber dieser Anschein von Flucht erhitzte die nacheilende Menge noch ärger, sie fand eine Bestätigung ihres Argwohns in dieser Flucht, und erhob nun in der Verfolgung ein einstimmiges Geschrei, welches den entfernter Folgenden ein Beweis wurde: man sei einer schrecklichen Uebelthat auf der Spur.

Loß benützte geschickt den Vorsprung, welchen Reiter und Wagen erlangt, und lenkte beide in das große Thor des Budowaschen Palais auf der Kleinseite. Aber die Wendung mit den Wagen ging doch kaum schnell genug, und als endlich auch der zweite Wagen in den Thorweg eingefahren, waren auch die Schnellfüßigen der nachströmenden Masse ganz nahe. Loß sprang im Hausflur wie ein Jüngling vom Pferde und warf beide Flügel des Hausthores zu, nach dem Thürhüter schreiend, er möge helfen und zuriegeln. Dieser war zur Hand, und der Verschluß gelang, weil Loß mit Anlehnung seines starken Körpers dem Drucke von außen so lange Widerstand leistete, bis der Hauptriegel vorgeschoben war.

– Dummheit ohne Ende! rief er – ist Euer Herr wenigstens daheim?

– Da kommt er die Stiege herab.

– Was thun, Budowa? Man wird uns belagern!

– Und wir werden uns verschanzen, bis die Vernunft erwacht.

Er gab Befehl, daß das vordere und hintere Hausthor mit allen erreichbaren Hilfsmitteln verrammelt werde. Dann ließ er sich unterrichten über den Hergang, und beschloß, vom ersten Stock oben die Lärmmacher unten auf der Straße anzureden und aufzuklären. Er war eine allgemein gekannte und hochgeachtete Persönlichkeit, es war anzunehmen, daß seine Worte Achtung und Beachtung finden würden.

So schien es auch. Man empfing ihn, als er am Fenster erschien, mit Zuruf, der gutes Vertrauen ausdrückte. Er fragte nach der Ursache des Auflaufs. Zehn, zwölf Stimmen antworteten. – Einer nach dem Andern! Sonst versteh' ich Euch nicht! – das war nicht leicht, weil doch immer Einer den Andern unterbrach; aber es kam doch leidlich zu Stande durch Budowa's Geschicklichkeit. Also – rief er nach einiger Zeit hinab – hört zu! Jetzt will ich wiederholen, was ich verstanden zu haben glaube. Sagt Ja, wenn es richtig ist, sagt Nein, wenn ich Euch mißverstanden!

Das gefiel den Leuten, und sie wurden guter Laune. Kurz, nach Verlauf einer halben Stunde hatte er durch Frage und Gegenrede die Leute dahin aufgeklärt: daß dieser Mönch kein eigentlicher Mönch mehr sei, sondern ein aufgeklärter Weltgeistlicher, welcher der römisch-katholischen Kirche nicht mehr zugehöre, sondern auf Seite der Protestanten stehe, und zur Unterstützung der protestantischen Sache nach Prag gekommen sei.

So schloß die tumultuarische Scene mit Beifallsruf für den Herrn Landesrichter Budowa, und die Menge machte Anstalt, sich zu zerstreuen. Es war finster geworden, und der Wind wehte kalt; die Bedrängniß und Gefahr schienen vorüber zu sein.

Aber es schien nur so, und nur einige Minuten lang schien es so.

Herr Tocke hatte Norbert-Jaromir sogleich gefunden; Norbert-Jaromir war sogleich zu Raupowa hinaufgeeilt, welcher in seiner Amtswohnung auf dem Hradschin eben eine Conferenz abhielt mit seinen nationalböhmischen Parteigängern. Die Ernennung Anhalt's zum Oberfeldherrn war diesen Nachmittag erfolgt, Anhalt hatte Nachweis über Geld und Truppen gefordert, die Nationalpartei war in zorniger Aufregung, und es kam ihr die Nachricht Jaromirs äußerst gelegen, die Nachricht von der Ankunft des Zierotin'schen Schatzes, von dem Spectakel, welchen der begleitende Mönch verursache.

Jaromir wußte wohl, wie viel er preisgäbe von seinen Aussichten auf den Schatz, indem er die habgierige Partei Raupowa's zu Hilfe riefe; aber was blieb ihm denn noch übrig?! Wenn gar nichts geschah, so war der Schatz eben ganz verloren in den Händen des sächsischen Junkers. Mit Raupowa's Hilfe war doch vielleicht noch etwas zu gewinnen! Jaromir behauptete, die Erbschaft des Grafen Zdenko müsse an dessen nächste Verwandte übergehen. Zu diesen gehöre er –

– Und ich! rief Mitzlau.

– Und Ladislaus von Zierotin, setzte ärgerlich Jaromir hinzu.

– Wenigstens habt Ihr ein näheres Anrecht als der fremde Vagabund, der deutsche Junker! rief Raupowa. – Auf! nehmen wir ihn in Beschlag!

Und nun theilte er halblaut Befehle aus, Schlagworte und Stichworte an die jüngeren Mitglieder. Sie flogen hinweg. Er selbst brach auf mit fünf älteren Mitgliedern. Sie riefen nach ihren Pferden, bestiegen diese und ritten hinunter zu Budowa's Palais auf der Kleinseite.

Hier kamen sie an, als die Menge sich eben zerstreuen wollte. Er rief ihr zu: sie möge warten und ihm erzählen, was vorgegangen sei. Das geschah. Hoho! rief er dann, das kann nicht so still abgehen, das ist ja von ungeheurer Wichtigkeit. Ihr wißt die Hauptsache nicht. Auf dem Wagen – er wußte nicht, daß mehrere Wagen einpassirt waren – liegen kostbare Dinge, welche dem böhmischen Reiche gehören, und welche uns und unserem Lande entführt werden sollen. Schlagt ans Thor! Es muß geöffnet werden.

Die Menge, immer bereit mitzuthun, wenn ihre Neugierde erregt und ein entschlossener Anführer vorhanden ist, that sogleich wie er geboten. Der Lärm begann in verstärktem Maße, und als das Thor nicht wich, und auch Niemand am Fenster erschien, da schrie die Stentorstimme Raupowa's: Holt Schlosser und Schmiede, bringt Aexte und Balken! das Thor muß springen!

Die Menge lachte, und Einzelne rannten fort mit der Versicherung: das wollten sie schon zu Wege bringen.

– Budowa, öffne! schrie Raupowa von seinem Rosse nach dem ersten Stockwerke hinauf.

– Budowa öffne! Budowa öffne! schrie der Chorus hinterdrein und hörte nicht mehr auf, bis das Fenster oben geöffnet wurde und Budowa erschien.

Augenblicklich wurde es still. Man hatte großen Respect vor dem feinen, alten Herrn.

– Was wollt Ihr noch? fragte er in ruhigem Tone.

– Du sollst Dein Thor öffnen lassen, Wenzel! – antwortete Raupowa – diese redlichen Leute wollen den Frachtwagen eigenhändig hinaufziehen nach dem Hradschin, weil sie gehört haben, es seien Dinge darauf gepackt, welche dem böhmischen Reiche gehören!

– Ja, ja! rief der Chorus.

– Die redlichen Leute könnten sich Schaden thun bei so schwerer Arbeit, Wilhelm! Du solltest ihnen lieber abrathen; das würde einen der ersten Landesdirectoren besser kleiden, als wenn er zu Unordnung, zu Straßenlärm und zu aufrührerischem Exceß die Hand bietet. Das böhmische Reich hat meines Wissens seine Directoren nicht dazu eingesetzt, daß sie Aufruhr stiften gegen Sicherheit des Eigenthums.

– Jener Wagen ist nicht Dein Eigenthum. Er ist Eigenthum unseres Landes. Er enthält die Hinterlassenschaft eines mährischen Cavaliers, der ohne Leibeserben gestorben ist. Ein deutscher Lump will diese Erbschaft stehlen. Das geben wir Böhmen nicht zu. Lass' öffnen! – setzte er mit erhöhter Stimme und in czechischer Sprache hinzu – oder, Gott straf' mich! man wird gut böhmisch verfahren gegen Dein Haus!

Diesmal folgte ein heulender Zuruf. Von allen Gassen war Zuzug gekommen, welchen die Abgesandten Raupowa's herbeigesprengt; und mit dem Uebergang in czechische Mundart war der ganze Ton in grellere Weise übergegangen. Auch brennende Kienspäne waren jetzt qualmend aufgetaucht in der zuströmenden Masse; man sah jetzt deutlich, daß Budowa die Hand emporhob –

Auch jetzt noch siegte sein Ansehen, es wurde noch einmal ruhig.

– Raupowa Wilhelm! sprach er – ebenfalls czechisch – Du gehst einen schlimmen Weg. Als ehrlicher Böhme warne ich Dich, warne ich vor Dir. Ich weiß sehr wohl, warum Du plötzlich in unsere alte Muttersprache umspringst. Die Leidenschaften willst Du stacheln, den Haß gegen die Deutschen, welche uns treu verbündet sind, willst Du aufreizen –

– Nieder mit den Deutschen! schrieen die Entfernteren aus der Menge auf beiden Enden der Straße, welche allmälig vorzudringen suchten.

– Da hörst Du Deine Wirkung! – fuhr Budowa fort – und Du wirst sie steigern, bis Zank und Streit wieder unsere einzige Tagesordnung sein, das natürliche Bündniß mit unsern deutsch-böhmischen Landsleuten, mit unsern natürlichen Brüdern zerrissen, der Zusammenhang mit dem protestantischen Deutschland aufgelöst sein wird, Du wirst unsere böhmische Kraft dergestalt von Grund aus zerstören, daß ein eigenes böhmisches Reich zur Unmöglichkeit werden und all' unsere jetzige Arbeit in Trümmer sinken wird. Das wirst Du, Raupowa Wilhelm, mit Deiner Rohheit, mit Deiner Parteiwuth, mit Deiner Tücke, und vor allem Andern mit Deiner Nichtachtung des Gesetzes. Ich bin erster Landesrichter und bestehe auf Erhaltung des Gesetzes. In meinem Hause ist nur Privateigenthum, und dies Haus bleibt verschlossen, so wahr ich Wenzel von Budowa heiße.

Er trat vom Fenster zurück. Todtenstille herrschte. Aber nur eine Sekunde lang. Auf eine Armbewegung Raupowa's brach Geheul los, welches sich immer heftiger steigerte, und unter welchem die Entfernteren zudrängten und die bis jetzt Näherstehenden verdrängten.

Loß trat ans Fenster, sah grimmig hinab und wendete sich dann mit einem schnell gefaßten Entschlusse ins Zimmer zurück, Hans und Budowa mit sich fortziehend.

Beide billigten den Entschluß, welchen er ihnen leise mitgetheilt. Alle drei gingen in den Hof und Hausflur hinab, ihn sogleich auszuführen.

Hinter die Hausthür, gegen welche nun die ersten Stöße polterten, wurden die bewaffneten Leute Loßens und Budowa's aufgestellt. Sie sollten das Thor stützen, so weit es möglich sei, und sollten den Zugang verwehren mit Spieß und Schwert, wenn das Thor in Trümmer fiele.

Im Hofe, wo die Wagen noch angespannt standen, wurde umgeladen, alle großen Fässer auf den einen, alle kleinen Fässer, das heißt alle Geldfässer, auf den andern Wagen.

Loß hatte indessen hinten recognoscirt. Das Hinterthor des Palais ging auf eine abgelegene, stille Gasse. Dort fand er Alles leer und ruhig. Er ließ also wegräumen, was man im ersten Schrecken auch hier innen zur Verschanzung aufgestellt hatte – er ließ dies Hinterthor angelweit öffnen. Dann winkte er. Man brachte seinen Schimmel. Er bestieg ihn. Hans und Tartsch stiegen ebenfalls zu Pferde. Der Wagen mit den kleinen Fässern setzte sich langsam in Bewegung, und die Schneekufen kreischten am Erdboden, welchem hier der Schnee fehlte.

– Halt! rief plötzlich Hans, wo ist Pater Dunstan?

– Hier ist er, mein Sohn! Kümm're Dich nicht um mich, ich bleibe hier. Ich will die Hefe unserer Reformation austrinken. Mein Magen ist stark; sei getrost. Der Sturm geht vorüber, und Du kommst zurück.

– Vorwärts! vorwärts! rief Loß, das Thor vorn hält keine fünf Minuten mehr, hört Ihr nicht, wie es kracht?! Vorwärts!

Und der Wagen mit den kleinen Fässern kreischte aus dem Hinterthor hinaus und wurde durch die abgelegene Gasse links hinaufgelenkt, und kam unbehelligt oben ans Strahower Thor, und kam unbehelligt hinaus auf die Hochebene, welche sich zum Weißen Berge aufwärts zieht. Loß und Hans ritten voraus, Tartsch ritt hinterher; Tschirill kauerte wie ein Gnom vorn in der Schoßkelle des Wagens.


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