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19.

Es war ein frischer Morgen, welcher den hohen Markt in Wien beleuchtete. Frisch, denn der heiße August war vorüber, und die leichten Schleier, welche die Sonne noch um zehn Uhr trug, deuteten schon auf die Höhe des Septembers. Zu den Gemüsen und Kirschen hatten sich Zwetschken, Birnen, ja Weintrauben eingefunden bei den Kräutlerinnen, welche grüne Waare auslegten um das sogenannte Narrenkötterl, einen vergitterten Käfig, in welchen Trunkenbolde, Unruhstifter und schamlose Dirnen gesteckt und vom Pöbel genarrt, will sagen verspottet wurden.

Hans von Starschädel stand hinter den Eisenstäben seines Fensters im zweiten Stock des Schrannenhauses und sah gedankenvoll auf das Treiben des Gemüse-, Obst- und Fleischverkaufs hinab. Es war seine Morgenunterhaltung seit einem Vierteljahre, seit er nun wirklich auf Nummer Drei gefangen saß, und zwar jetzt als schwerer Verbrecher gefangen saß.

Die Weiber, welche da unten grüne Waare verkauften, sie kannten ihn alle, den lichtbraunen Junker, den blassen Ketzer, den »armen Narr'n«, wie sie ihn nannten, welcher da oben auf den Tod saß und so lange warten mußte auf sein grimmiges Schicksal. Der Tag, an welchem er durch das Schwert hingerichtet werden sollte, ging sie nahe an, auch in anderer Beziehung. Denn falls die Hinrichtung nicht ganz früh geschah, dann verloren sie einen Vormittag; der Hohe Markt war die Richtstätte. An einem Executionsmorgen mußten die mit Grünzeug und Gemüsen hinab auf den Graben, wohin sie eigentlich gehörten, sowie die mit Hühnern und Eiern zum Peter, die mit Geflügel und Wildpret an den Stephansfreithof gehörten. Sie waren Separatisten und Neuerer hier am hohen Markte, aber vielleicht eben deshalb lag in ihrer Gesinnung überhaupt etwas wie Neuerung, und sie hegten eben darum eine Teilnahme für den jungen Ketzer da oben. Immer, wenn sie des Morgens ankamen mit ihren Körben, ging ihr erster Blick auf die Freitreppe des Schrannenhauses und auf die »Altane« dieser Treppe, ob dort die rothe Fahne ausgesteckt sei. Diese rothe Fahne nämlich war das Signal für die Hinrichtung.

Um die drei »Tschapperl« in der »Saugrube« drüben kümmerten sie sich nicht, die Grünzeugweiber. Sie wußten wohl, daß der Bart-Conrad, der Urban und der Pfeifer auch »abgethan« werden sollten, und zwar elendiglich; aber das machte ihnen weniger Sorge. Was aus der »Saugrube«, einem dunklen Gefängnißraume drüben auf der Seite vom Landskrongassel, herauskam auf die Richtstätte, das war gemeines Volk, war ihres Gleichen, daran war nichts Besonderes! Aber ein Cavalier, ein junger obenein und der so ruhig dreinschaute Tag um Tag, ob die rothe Fahne ausgesteckt sei oder nicht, der war des Anschau'ns werth, der war »herzig«!

Diese Nummer Drei, welche Hans seit mehr denn drei Monaten bewohnte, war ein geräumiges Zimmer und schön kühl in der Sommerzeit, da es seine Fenster gegen Nordost hatte. Er hatte sich überhaupt nicht zu beklagen, der gefangene Junker. Nur in den ersten Stunden, nur in der ersten Woche war ihm herb begegnet worden. Als aber einmal das Belagerungsheer von dannen war – und das damalige Gerücht hatte nicht ganz Unrecht gehabt: wenige Tage nach jenem verunglückten Angriffe auf die Thore war Thurn mit seinen Böhmen abgezogen – als man wieder mit Behagen aufathmete in Wien, da wurde der Ton gegen den hochverrätherischen Gefangenen milder. »Man« und der »Ton« will sagen: Gangelberger. In dessen Hand waren die Hochverräther gegeben, und Gangelberger war innerlich sanfter und wohlwollender, als man ihm zutrauen mochte, wenn man seine scharfen Aeußerungen hörte. Er war vor Allem gut österreichisch, und seine Stimmung hob sich und wurde gut, als er die Feinde abziehen, als er sie machtlos sah. Denn Thurn zog nicht nur darum ab, weil die ohne Glück und Geschick verlaufende Belagerung wenig Aussicht bot, nein, er eilte sogar plötzlich von dannen, weil Post auf Post aus Böhmen kam, daß man dort seines Heeres bedürftig sei. Der alte spanische Fuchs Boucquoi, wie man ihn nannte, war aus seiner Budweiser Höhle plötzlich hervorgebrochen und hatte zwischen Thein und Prachatitz das böhmische Heer, welches Mansfeld befehligte, in offener Feldschlacht geschlagen und zersprengt. Dies war einen Tag vor Thurn's Angriff im Prater und gegen das Stubenthor geschehen, am 10. Juni, und als diese Kunde im Margarethen-Schlößchen bei Wien, dem Hauptquartier Thurn's, eintraf, da ließ er unverweilt in der Nacht Chamade schlagen, und war am Morgen verschwunden zum Gaudium der Wiener, welche es nun an Spottliedern hinter ihm her nicht fehlen ließen, und zum Gaudium Gangelberger's, welcher die böhmische Rebellion vom Herzen haßte.

Von dem Augenblicke an sank sein Grimm gegen den sächsischen Junker. Er gestand sich nun ein, daß selbst die ersten Verhöre einen günstigen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Hans hatte nicht das Mindeste geleugnet, hatte sogar mehr erzählt zu seinem Nachtheile, als er gefragt worden war. Nur über Genossen und Helfershelfer hatte er sich kein Geständniß erpressen lassen. Die drei Mitgefangenen, die unten zu ebener Erde saßen, hatte er zu entlasten gesucht, soweit es möglich war, indem er von ihnen behauptete: sie hätten nicht recht gewußt, um was es sich handelte, und seien zum Handlangerdienste bei der Petarde eigentlich genöthigt worden.

Gangelberger sah recht gut ein, daß dem keineswegs so wäre, und es ärgerte ihn auch, daß der »Wildling« durchschlüpfen sollte, aber der Hans gefiel ihm mehr und mehr. Daß man das Anlegen und Abbrennen der Petarde innerhalb der Stadt und mit Hilfe niederösterreichischer Unterthanen als Hochverrath qualificire, und daß auf Todesstrafe erkannt werden müsse, verbarg er ihm nicht. Hans fand dies auch ganz einleuchtend, und zeigte ruhige Fassung. Er bat den gestrengen Rath nur, ihm die letzten Lebenstage dadurch zu erleichtern, daß man ihn schreiben und lesen lasse, und daß man seine Briefe und Aufsätze dahin befördern wolle, wohin sie gerichtet wären.

Gangelberger hatte sich dafür willfährig gezeigt. Nur freilich – hatte er hinzugesetzt – muß ich Einsicht nehmen von dem, was Ihr Geschriebenes hinterlaßt. Denn ich könnte nicht verantworten, Geschriebenes von Euch hinaus zu senden, was der Sache meines Fürsten und meines Glaubens Nachtheil erregen könnte.

Hans fand dies begreiflich, und da es sich ja doch um sein Testament handelte, so trug er kein Bedenken, dem ruhig gewordenen Richter und Widersacher all die Verzweigungen zu entwickeln, welche er nach seinem Tode bedacht sehen wollte.

Das Schicksal des Grafen Zdenko, seines Pflegevaters, spielte dabei eine Hauptrolle, und es gelang ihm sogar, Gangelberger's ehrlichen Antheil dafür zu erwecken. Gangelberger war kein Freund der Jesuiten, und die Schilderung des Methodius, die Schilderung des Ueberfalls oben im Walde, des Brandes, der brutalen Entführung, der Gefangenlegung im Jesuitenhause fand einen empörten Zuhörer in ihm, kurz – von Tag zu Tage, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat war die Beziehung des Richters zu seinem Schlachtopfer eine nähere, eine vertraulichere, ja endlich eine freundschaftliche geworden. Der Eine blieb Katholik, der Andere blieb Protestant, aber sie achteten einander, auch wenn sie sich in stundenlangem Gespräche schonungslos bekämpft hatten.

Dies trug wol dazu bei, daß die Aburtelung Hansens verzögert wurde. Gangelberger zögerte aus Mitleid, und – er wurde von oben nicht gedrängt. Der König schien grundsätzlich dem eigentlichen Strafamte auszuweichen, auch wo der Ausführung desselben kein Hinderniß mehr im Wege stand. Der Sieg bei Thein hatte seine Kriegslage ungemein verbessert, der König aber änderte trotzdem in seinem Betragen gegen die feindlichen Landstände Oesterreichs keinen Zug, er blieb entgegenkommend. Die geheimen Räthe Eggenberg, Harrach, Meggau verhielten sich ebenso. Es erschien dies Verhalten vorbedacht und systematisch, und der spanische Ambassador, der entgegengesetzt antreiben wollte, fand kein Gehör. Lamormain aber, bei Hofe die Spitze der geistlichen Partei, zeigte sich während dieser Sommerzeit befremdlich zurückhaltend. Man wußte nicht recht, warum? – Nur Gangelberger schien eine Fährte zu haben. Er sagte eines Tages zu Hans: Ihr habt mich zu wiederholten Malen gebeten, nach dem Pater Dunstan in der Schottenabtei fragen zu lassen. Ich habe Euch endlich die Nachricht gebracht, der Pater Dunstan sei am 13. Juni auf seinem Maulthiere zum Schottenthor hinausgeritten, und – bis heute nicht wiedergekehrt. Nun, ich bin geneigt, diesem charaktervollen Benedictiner – Euren Schilderungen nach wenigstens charaktervoll – eine Einwirkung zuzuschreiben, welche so geheimnißvoll wie auffallend ist. Es sind von Rom Anordnungen hieher ergangen, welche den Pater Lamormain außerordentlich überrascht haben. Dies weiß ich vom Pater Bartholomäus, dem einzigen gutmüthigen Jesuiten, den ich kenne und der mir immer freundlich entgegenkommt. Man erwartet sogar einen Commissarius, vom General der Jesuiten in Rom hierher gesendet. Man munkelt endlich von großer Verstörung im Jesuitenhause bei der Universität, von wunderlichen Zuständen des Provincials Athanasius. Aus all dem erklärt sich wol die Unsicherheit und der Stillstand in der politischen Haltung der jesuitischen Partei. Und ferner! In Betreff Eures Pater Dunstan hab' ich mit dem ehrwürdigen Abte der Schotten eine Unterredung gehabt. Aus dieser Unterredung ist mir ziemlich klar hervorgegangen, daß Pater Dunstan damals bald nach Gefangennahme des Grafen eine Zusammenkunft mit dem Provincial Athanasius erzwungen und einen räthselhaften Eindruck auf diesen sonst unerschütterlich harten Mann hervorgebracht hat; endlich – daß Pater Dunstan wahrscheinlich nach Rom gegangen ist, und seine Anklage glücklich angebracht hat. Glücklich, denn die Wirkungen, auf welche Pater Bartholomäus anspielt, scheinen von der Anwesenheit Dunstan's in Rom herzurühren. Dies Alles klingt tröstlich, und ich werde diesen angebahnten Wegen sogleich weiter folgen, ich werde den Eintritt ins Jesuitenhaus selbst und ein Gespräch mit dem Provincial nachsuchen. Die Gerichtsprocedur gegen Euch, Junker, giebt mir den Anlaß dazu, wenigstens den Vorwand. Ihr habt Euch auf den Grafen Zdenko von Zierotin berufen in Eurer Vertheidigung, Graf Zdenko ist von Seiten des Gerichts zu vernehmen, Graf Zdenko soll im Jesuitenhause sitzen, ich ersuche um Zulassung zu ihm. Das wäre früher unmöglich gewesen, denn die jesuitischen Häuser bestehen jedem Gerichte gegenüber auf ihren Privilegien der Unzugänglichkeit; im jetzigen Momente der Lähmung, welche ihre hiesigen Führer betroffen, und in Abwesenheit des Königs gelingt es vielleicht –

– Der König Ferdinand ist nicht mehr in Wien?

– Er ist nach Frankfurt aufgebrochen zur Kaiserwahl. Seine Abwesenheit ist dem, was ich vorhabe, zuträglich. Sein Bruder Leopold, welcher die Statthalterschaft führt, hat im Drange so schwerer, neu übernommener Geschäfte keine Zeit, in solche gerichtliche Details einzusprechen, und Eggenberg ist unbefangen von klerikalen Vorurtheilen. Es ist also möglich, daß ich während der nächsten Tage zu Eurem Pflegevater dringe –

– Oh!

– Und vielleicht führt dies zu Weiterem. Ruhig, ruhig! Keine überspannten Hoffnungen! Es ist nur ein Interim, nur ein Unterdessen, von dem wir Nutzen ziehen. In der Hauptsache, in der Frage um Euren Kopf, junger Freund, kann es vielleicht zu Eurem Nachtheile ausschlagen.

– Wie das?

– Was wir der Jesuitenpartei abgewinnen in Betreff des alten Grafen, das kann sie sich bezahlen lassen durch Einforderung Eures Kopfes; der Pflegesohn des Grafen büßt für die Befreiung des Pflegevaters –

– Immerhin!

– Das ist zu bedenken. Lamormain mag nicht ungern sehen, daß der brutale Provincial Schaden erleide; einen Scandal für den Orden aber wird er nicht zulassen, und wenn er ihn nicht verhindern könnte, jedenfalls rächen. Und zwar an Euch. Er braucht nur dem Könige zu schreiben, daß die Verzögerung Eures Urtheils, daß diese Schonung eines hochverrätherischen Ketzers bei allen Gläubigen schweren Anstoß errege, dann – dann führt eine Zeile des Königs Euch da hinaus auf den Marktplatz unter das Schwert des Henkers. – Also Ruhe und Fassung! Bleibt des Schlimmsten gewärtig, damit Eure Seele nicht aus dem Gleichgewichte geworfen werde, wenn das Schlimmste doch wirklich eintritt. Vielleicht nützt Euch die Kaiserwahl. Sie ist sehr schwierig. Die Intriguen des Pfälzer Kurfürsten und der Böhmen wirken unablässig in Frankfurt, und der freche Hessen-Kasseler versucht Alles gegen uns durch Einschüchterung. Die Entscheidung liegt in Dresden. Nur wenn sich der dortige Kurfürst für unsern Herrn erklärt, kann die Kaiserwahl für unsern Herrn gelingen. Könnt Ihr von Dresden aus kein Fürwort für Euch erwirken?

– Nein. Mein dortiger Aufenthalt hat mich überzeugt, daß kein Ernestiner etwas zu hoffen hat von den Albertinischen Herren und von der geistigen Beschränktheit, welche in Dresden waltet.

– Schlimm für Euch. Der sächsische Kurfürst allein hat Macht über unsern Herrn. – Ist Eure größere politische Schrift, ist das Memorial fertig?

– Fertig und abgeschrieben.

– Gut. Ich nehme die Abschrift mit für Eggenberg, damit er sich für Euch interessire.

– Es wird ihm wenig darin gefallen.

– Wer weiß! Eggenberg ist ohne Vorurtheil, und ein politischer Kopf. Eine zweite Abschrift für Harrach wäre vielleicht auch von Nutzen. Er ist zwar politisch nicht so wichtig als jener, aber der König hört ihn gern, und Harrach thut wol ein Uebriges für Euch – seiner Tochter zu Liebe. Sie scheint Euch freundlich zugethan! Hier ist ein neuer Brief von ihr. Sendet keine Antwort durch Unterschleif mit Pudel. Das könnte ich nicht billigen. Ich besorge selbst, was ich irgend verantworten kann, und verlasse mich auf Eure Ehrlichkeit.

– Das könnt Ihr, wackerer Herr Rath!

– Und nun Ade! Ihr seht mich mehrere Tage nicht: ich habe Geschäfte mit dem Statthalter, welcher große Schwierigkeiten findet. Die gute Stimmung der Wiener ist schon längst wieder verdorben durch unsere Söldnertruppen, welche den Bürger quälen und mißhandeln. Und unser nächster politischer Horizont zieht sich nach einigen Monaten Sonnenscheins schon wieder in schwarzen Wolken zusammen. Unsere evangelischen Stände in Horn pactiren nun ganz förmlich mit denen in Linz und mit den Directoren in Prag; die Prager aber haben Bethlen Gabor nun wirklich gewonnen, indem sie ihm alle innerösterreichischen Lande zugesagt. Wir können in wenig Wochen ein alliirtes Heer von dreimal größerer Stärke als das Thurn'sche vor unsern Mauern haben. Auch das ist von Nachtheil für Eure Sache. Ihr könnt nur gerettet werden, wenn wir glücklich sind. Hofft dennoch, und seid Gott befohlen!

Diese Unterredung hatte in der zweiten Hälfte Septembers stattgefunden. Drei Tage waren seit ihr vergangen, und nichts hatte die Einsamkeit Hansens gestört, kein Lebenszeichen Gangelberger's war zum Vorschein gekommen, Hans hatte sich sammeln und fassen können in Allem, zu Allem was ihm bevorstand. Und er sah seine Lage gefährlicher an, als Gangelberger sie darstellen mochte. Er hatte nur zu deutliche Anzeichen, daß an jedem Morgen seine Thür geöffnet werden könne, ihm das Todesurtheil und die sofortige Hinrichtung anzukündigen. Das letzte Anzeichen solcher Art hatte ihm der Brief Isabellens von Harrach gebracht, welchen ihm Gangelberger eingehändigt. Dieses edle Mädchen hatte sich bald nach seiner Gefangennahme an Gangelberger gewendet, hatte diesen damals noch sehr störrigen Rath zu sich bitten lassen, und ihm Freundlichkeit für den Gefangenen einzuflößen gesucht. Sie hatte so einfach und ehrlich ihre Theilnahme für den verbrecherischen Fremdling an den Tag gelegt, daß kein Nebengedanke aufkam, ob denn auch solche Theilnahme schicklich sei für das junge Mädchen, für die Tochter des Ministers, für die Braut Waldstein's. Keusch in reiner Menschlichkeit, liebevoll ohne sinnliche Liebe, erschien ihr warmes Wohlwollen auch nur wohlthuend, selbst dem feindlich eingenommenen Gangelberger; und der junge Mann stieg bei ihm im Preise durch diese offene Parteinahme des schönen Fräuleins. Nachdenkend, ob das Liebe, und welch eine Art von Liebe es sei, war Gangelberger von ihr gegangen, und war wieder gekommen, und hatte das in seiner Stellung wunderliche Amt eines Briefträgers übernommen, am Ende gar nicht mehr verlangend, daß ihm die Briefe offen eingehändigt wurden.

So hatte er auch jenen letzten Brief nicht gelesen. In diesem fand Hans zwischen allen Zeilen Todesangst und Todesangst für ihn. Gerade daß der König fortgereist, schien Isabella bedrohlich. Was Grimmiges in seiner Abwesenheit geschähe, könnte gerade darum geschehen, damit ihm die Verantwortlichkeit erspart werde, und ihm der Schein persönlicher Milde verbleibe! Und sie war ja doch in der Lage, die Stimmung der Machthaber zu kennen: in ihres Vaters Hause war der gesellige Mittelpunkt für alle wichtigen Personen. Wie ein wehmüthiges, herzliches Todtenlied hatte dieser Brief in Hansens Gemüth geklungen, und diese elegische Melodie hatte ihn Tag und Nacht nicht mehr verlassen. Ist doch der Gefangene immer nur zu geneigt, traurigen Ahnungen die Seele zu öffnen!

Als er jetzt ans Fenster trat zur Freude der Kräutlerinnen da unten, ach, da meinte er, die sonnige Welt eines frischen Morgens vielleicht zum letzten Male anschauen zu können. Wie werth sind uns plötzlich alle kleinen Dinge, jedes Spiel der Farben, jede Regung lebendiger Geschöpfe, wenn wir glauben oder wissen, daß wir sie zum letzten Male vor Augen haben! Sein ganzes Leben sah er vorüberziehen in dem Sonnennebel, welcher über dem hohen Markte spielte, von der Kindheit an bis zur Balconscene in Hernals – so kurz, so nur Anfang und Ahnung des Glücks und der tieferen Wahrheit! Keine Dauer, keine Erfüllung! Ja wol, ihr gefährlich reizenden Augen Ludmillas, die ihr plötzlich durch den Nebel blitzt, ihr macht alles Andere verschwinden, und reizet doch nur, spottet doch völlig jeder Dauer, jeder Erfüllung!

Isabella hatte ihm in ihren Briefen Nachricht gegeben über all seine Bekannten und Freunde, auch über Ludmilla, die mit Vater und Schwester nach Böhmen abgereist. Sie habe bis jetzt auf dem Lande in einem anmuthig gelegenen Schlosse die Sommerzeit verlebt, umgeben und erheitert von jungen Männern wie Rudolph von Mitzlau, und in Prag, wo auch Jaromir von Zierotin, dessen geistliche Laufbahn ganz aufgegeben scheine, in des Vaters Hause eingekehrt sei. Sie schreibe ihr manchmal, und frage nach ihm, dessen häßliches Müllercostüm und bartloses Antlitz sie gar nicht aus dem Gedächtniß wischen könne. An einen tragischen Ausgang seines Geschickes könne sie nicht glauben, dafür sei er zu besonnen und die Besonnenheit werde er sich schon zu bewahren wissen. Ihr ginge es gut, und in Böhmen werde es jetzt unterhaltend. Man wähle einen König, und zwar einen jungen, den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, der solle ein schöner, geschmackvoller Herr sein, und seine Frau, die Tochter des Königs von England, habe sich schon ausgebeten, daß sie, die Ludmilla, Hofdame bei ihr werde. Der Winter in Prag verspreche also schöne Dinge. Der kurfürstliche Hof sei schon aus der Rheinpfalz übergesiedelt in die Oberpfalz, von Heidelberg nach Amberg, also schon in der Nähe von Böhmen. In Eger werde man den neuen König einholen mit großer Pracht. Papa werde sie mitnehmen dahin. Es sei doch recht ungeschickt, daß Junker Hans sich habe fangen lassen und sich mit Raupowa verfeindet habe. Hier bei dem jungen Regimente hätte er rasch eine gute Laufbahn machen können; das zeige sich am Junker Rudolph, den Raupowa überall fördere. Denn Raupowa sei sehr mächtig, er habe die Wahl des rheinischen Kurfürsten durchgesetzt.

Den niederschlagendsten Eindruck hatten diese Briefauszüge auf ihn gemacht. Auch wenn man Abschied nehmen muß für immer, so will man doch lieber von einem werthvollen Herzen scheiden, als von einem werthlosen. Der begründete Schmerz erhebt uns ja, und nur leeren Naturen scheint es ein Vortheil, blos Werthloses verloren zu haben.

Wohl eine Stunde mochte Hans so am Fenster gestanden sein, da wurde hinter ihm die Zimmerthür geöffnet. Pudel öffnete sie und sprach rückwärts in den Gang hinaus. Er sprach zu Gefängnißwärtern, welche eine rothe Fahne vorübertrugen. Beim raschen Umwenden sah Hans die Fahne noch, und sie war ihm eine Bestätigung der Ahnungen Isabellas, eine Bestätigung, daß seine letzte Stunde nahe rücke.

– Das ist die Fahne für mich, Pudel? fragte er langsam und gedankenschwer.

– Ach beileibe, gnädiger Junker! Muß nur einmal ausgeklopft werden, in Sachen contra Motten. Nisten sich ein, weil die Fahne immer lang im dunkeln Eck steht.

Er hielt dies für eine höfliche Unwahrheit Pudel's, der ihm wohlgesinnt war aus zwei Gründen: Goldstücke waren der erste Grund, Gangelberger war der zweite. Hans nämlich hatte in der Müllerhose seinen Lederbeutel mit Goldstücken in das Schrannenhaus gebracht, und hatte sich im rechten Augenblicke der damaligen Worte Gangelberger's erinnert, daß jeder Gefangene visitirt und seiner Baarschaft beraubt werden müsse. In dieser Erinnerung hatte er bei der Einführung in dies Zimmer, welches zur Nachtzeit geschah, geschickt seinen Lederbeutel unter das Bettstroh zu schieben gewußt, und dadurch hatte er sich einen Talisman für Pudel gerettet. Als nach Verlauf einer Woche Pudel das erste Goldstück vom Junker bekam, da hätte er wol in strenger Amtspflicht fragen sollen: wie kommt das Goldstück zu einem Gefangenen? Und ist es allein? – Aber Pudel wußte, daß diese Frage zu Weitläufigkeiten führte. Das einzelne Goldstück und die etwaigen Genossen desselben mußten dann abgeliefert werden an den Herrn Rath, der mußte ein Protokoll aufsetzen, und der gestrenge Herr hatte ohnehin so viel Schreiberei! und endlich waren Vorwürfe unausbleiblich, daß der »provisorische« Amtsdiener wiederum bei Ankunft des Gefangenen schlecht visitirt habe – wozu das? Aus solchen weisen Erwägungen hatte er die Frage unterdrückt. Der Gefangene konnte ja – erwog Pudel weiter – mit seinen Goldstücken keinen Schaden anrichten! er kam ja mit Niemand in Berührung als mit dem Herrn Rathe und mit ihm, dem »Provisorischen«. Aus diesem ersten Grunde hatte er Gelegenheit gewonnen, dem »wohlgebülldeten« Gefangenen manche Erleichterung zu verschaffen mit Papier und Tinte und auch mit Speise und Trank. So ein Junker ist ja nicht an die Kost im Schrannenhause gewöhnt.

Der zweite Grund verstärkte den ersten außerordentlich. Herr Rath Gangelberger hatte am Ende selbst befohlen, den Junker mit aller »bülligen« Rücksicht zu behandeln! Lieber Gott! das war ja stets Pudel's Lebensphilosophie, und nur der Herr Rath störte sie öfters. Wenn er nun gar befahl, dann konnte kein Zweifel mehr aufkommen.

Pudel war also die gute Stunde für den Herrn Junker, und er trat auch jetzt nur ein, um dem armen, aufgegebenen Edelmanne die Freude zu machen. Denn die Sache mit der rothen Fahne hatte ja leider ihre Richtigkeit: sie wurde nicht in wirthschaftlichem Interesse ausgestäubt, sondern für ihn, für den Hochverräter. Wie das gar oft geht: die untern Classen waren über den Hauptgang der Politik besser unterrichtet als die obern, weil sie einen reineren Instinct haben, und weil ihnen nicht so viel Detail bekannt wird, welches die oberen Classen verwirrt. Pudel und die Insassen der Saugrube unten, die Conrad, Urban und Pfeifer, wußten genauer, daß die Hinrichtung nahe bevorstand, als die Herren oben, den Rath Gangelberger mit eingeschlossen. Dies rührte daher, daß von der untern Classe die Triebkraft ausging zu dieser Hinrichtung, von der untern Classe gegen die untere Classe. Der Herr oben in Nummer Drei kam nur bei dieser Gelegenheit mit unter das Richtschwert, weil Conrad und Compagnie dem Stricke nicht entlaufen sollten.

Diese schlimme Triebkraft war Medardo, die »rothe Feder«. Er war sonst gar nicht grausam, aber er war einem Menschen gegenüber furchtsam, gleichsam elementarisch furchtsam. Er meinte zu fühlen, daß dieser Mensch ihn, den Medardo, noch einmal todtschlagen werde. Dies wünschte er vermieden zu sehen, und zwar gründlich vermieden zu sehen. Wenn dieser ihm »zuwid're« Mensch – so lautet das Wiener Beiwort – gehenkt werde, »bis er sterbe«, so glaubte er, dies eine gründliche Vermeidung nennen zu dürfen. Dieser ihm »zuwid're« Mensch war der Bart-Conrad.

Als nun Medardo während der Sommermonate inne wurde, zu seinem Erstaunen inne wurde, daß den vier Hochverräthern nichts geschah, weil sich dem Cavalier unter ihnen die Neigung Gangelberger's zuwendete, wie aus den Notizen Pudel's zu entnehmen war, da faßte er den Entschluß, die Hinrichtung des Junkers auf seine Art zu betreiben. Nicht des Junkers wegen; der hätte seinethalben davon kommen mögen. Nein, des Bart-Conrad wegen. Fiel der Kopf des Junkers, dann purzelten die Cadaver der Kerle in der Saugrube von selber nach.

Sein Feldzugsplan war einfach und sicher. Er wußte durch langen Verkehr, daß Gangelberger die Einmischung der Jesuiten in seine amtliche Thätigkeit haßte, und daß er deshalb dem Pater Lamormain nicht hold war. Ebenso daß Pater Lamormain den eigensinnigen Gebieter im Richthause nicht liebte. Er ging also zu Pater Lamormain und brachte seine Sache vor, mit Schlauheit alle möglichen Motive neben einander schiebend: So viel Aufwand sei gemacht worden, das Nest zu fangen, und das Geld sei doch nicht gefangen worden! So viel üble Nachrede habe man auf sich geladen; auf das Jesuitenhaus zeige man mit Fingern, weil dort ein guter Mensch zu Tode gemartert würde, und den ketzerischen Uebelthätern krümme man kein Haar, man füttere sie auf Regiments Unkosten! Warum? die geistlichen Herren fürchten sich, sie haben ihre Macht verloren! Sonst wär's ja nicht möglich, daß solche Hochverräther noch am Leben wären. Das sei schlimm, das sei sehr schlimm! Der Respect vor den geistlichen Herren nehme ab von Tag zu Tage, das wüßten die am besten, welche täglich mit dem Volke zu verkehren hätten. – – – –

Lamormain erinnerte sich ganz wohl des sächsischen Junkers, den ihm Waldstein damals entrissen unter drohenden Reden. Dieser Junker, ein Zankapfel zwischen geistlicher und weltlicher Macht, konnte jetzt ein unverfängliches Schlachtopfer werden. Er hatte grob und unzweifelhaft das Leben verwirkt in politischen Dingen, in Dingen eines verräterischen Kriegsactes. Niemand konnte sich verwundern, wenn er hingerichtet wurde, Niemand einen geheimen Grund, eine geheime Macht suchen hinter dieser Hinrichtung, und doch würden die Eingeweihten, zunächst die Herren Waldstein und Gangelberger, spüren, daß die geistliche Macht nicht lahm gelegt sei, wie man jetzt schon überall flüstere wegen der Lähmung des Provincials – mit einem Worte: Lamormain sagte nach kurzem Besinnen lächelnd zu dem besorgten Agenten Medardo, er möge sich beruhigen in seiner Sorge um die geistliche Macht. Sie scheine nur zu ruhen wegen der Kaiserwahl, und der sächsische Ketzer sei nur hingehalten worden wegen der Kaiserwahl. Sobald diese entschieden, falle auch dieses Junkers Kopf.

Das war gesagt worden in einem Tone, dessen Zuverlässigkeit Medardo kannte, und Medardo war beruhigt hinweggegangen und hatte sich sein wöchentliches Vergnügen aufgesucht. Dies bestand in einem Besuche Pudel's. Nicht weil ihn Pudel's geistreiche Gesellschaft besonders vergnügt hätte, sondern weil neben Pudel's Stübchen die »Saugrube« gelegen, und weil in der Thür dieser »Saugrube« ein vergittertes Guckloch angebracht war, welches man von außen öffnen, und durch welches man in die Saugrube hinein blicken konnte. Dieses Hineinblicken auf den gefangenen Bart-Conrad war Medardos Vergnügen, und weil er dies heute nach Pater Lamormain's Aeußerung in besonderem Maße genossen hatte, ließ er beim Weggehen einige gnädige Aeußerungen vor Pudel fallen. Sie gingen dahin, daß man mit seinem Dienste jetzt recht zufrieden sei, und daß sein »provisorischer« Dienst wol in einen »definitiven« erhöht werden möchte, wenn er die Bewachung solcher Hochverräther zu glücklichem Ende führen könne, das heißt zum Ende durch den Strick und durch das Schwert. Er möge nur heiter sein, denn dies stehe nahe bevor. Die Nachrichten aus Frankfurt lauteten günstig, und wenn in den nächsten Tagen die Kunde der Wahl des Königs zum römisch-deutschen Kaiser einlange, dann würde hier Alles erhöht, die Bösewichter da drinnen zum Galgen und er zum »Definitiven«. Und zwar am ersten Morgen, nachdem die Nachricht eingegangen.

Das war ebenfalls gesagt worden in einem Tone, dessen Zuverlässigkeit Pudel kannte, obwol er leicht geklungen, und Pudel war hingegangen und hatte, obwol es noch Vormittag war, eine Maß Regensburger sich vergönnt. Er hatte gar nichts gegen die Leute in der Saugrube und oben. Im Gegentheile! Aber »Definitiver« zu werden war doch sehr erfreulich.

In dieser Stimmung erschien er jetzt vor dem Junker. Er wollte diesem eine Bitte gewähren, welche er ihm während der Gefangenschaft ein einziges Mal gewährt, jetzt aber seit längerer Zeit abgeschlagen hatte, die Bitte des Junkers, seine Unglücksgefährten unten in der Saugrube besuchen zu dürfen. Hans trug kein besonderes Verlangen nach der Gesellschaft unten, aber er wußte, daß er die armen Schlucker durch seinen Besuch erfreute, nicht blos der paar Goldstücke wegen, welche er ihnen bei dieser Gelegenheit zustecken konnte. Obwol auch wegen der paar Goldstücke. Er hatte ihnen zwar schon einige Male durch Pudel solche Geldhilfe zugesendet, aber man war nicht sicher, daß Pudel immer richtig wechselte. Der Cours des Goldes, obwol damals von geringer oder gar keiner Schwankung, war ihm doch nicht stets genau bekannt, und da liegen Irrungen nahe, deren Verluste Pudel ja nicht auf seine Casse nehmen konnte. Gewechselt mußte aber doch werden, denn die Bedürfnisse der Schächer da unten waren mannigfaltig, sie waren ja ihrer drei, und Jeder verlangte einen Antheil am Goldstücke, besonders Conrad. Conrads wegen schien dem Pudel jetzt ein Besuch des Junkers geradezu nothwendig. Seine Gnaden der Herr Junker könnten sich gar nicht vorstellen, was das für ein »wildschaffener« Mensch sei. Das einsame Leben stiege ihm manchmal so zu Kopfe, daß Urban und Pfeifer, ja er, der Pudel, selber des Lebens nicht sicher wäre in seiner Nähe. Er schlage manchmal Alles entzwei und nieder, und nur der Anblick und die Zusprache des Herrn Junkers wirke da beschwichtigend.

– Also führ' mich hinab, lieber Pudel!

– Nur noch ein halb Stündchen warten, Gnaden, ein halb Stündchen! Sie sind unten beim Speisen, und da ist Fried' und Unterhaltung, da brauchen's nix von Gnaden. – Außerdem, setzte er hinzu, würde es erst nach einer halben Stunde sicher, daß der Herr Rath heut' wieder nicht käme, schon den dritten Tag nicht käme. Der dürfte aber doch nicht kommen zu einem solchen Besuche, denn er liebe dergleichen nicht, obwol die Verhöre längst geschlossen und also Durchstechereien doch nicht mehr möglich wären. Wenn Gnaden übrigens zur Nachfeier solches Festes, wie der Besuch ja sei, einen »gustiösen« Trunk spendiren wolle für die Schächer, so solle christlich gewechselt werden, das Gold stünde jetzt gut, seit die Kaiserwahl gut von statten zu gehen scheine.

Das Goldstück mit einem Kratzfuß hinnehmend, und mit einem längeren Kratzfuße dafür dankend, daß der Junker vom Einwechseln des Silbergeldes nichts zu erfahren wünsche, weil dem Pudel immer mancherlei kleine Auslagen oblägen, empfahl sich dieser und versprach nach einer halben Stunde wieder zu kommen.

Die Saugrube unten war der Wohnstube Pudel's gegenüber. Wenn man vom Landskrongassel eintrat, hatte man Pudel's Wohnung zur Rechten, die Saugrube zur Linken. Sie war ein mäßig großer, gewölbter Raum mit steinernem Fußboden. In der Mitte eine steinerne Säule, welche das Gewölbe tragen half, und an welcher eiserne Ringe angebracht waren. Das einzige Fenster der Saugrube ging ins Landskrongassel und ließ nur wenig Licht ein aus dem dunkeln Gäßchen, weil es mit starken Eisenstäben vergittert und in seiner untern Hälfte mit einer Holztafel zugestellt war. Letzteres wol darum, damit den Gefangenen der Verkehr mit der Gasse erschwert würde. Erschwert! hatte Conrad zu Anfange der Gefangenschaft lachend gesagt. Da sie volle Zeit und nichts zu thun hatten, so beschäftigten sie sich bald mit Abhilfe dieser Erschwerung, und sie kamen damit zu Stande, als dem melancholischen Pfeifer nach Beendigung der ersten Verhöre seine Schustergeräthschaften durch Pudel verabfolgt wurden. Pudel wollte dem Philosophen eine zerstreuende Beschäftigung, sich aber und seinem Natzi eine sorgfältige Erneuerung ihres schadhaften Schuhwerks verschaffen. Unter dem Schuhgeräth ward auch das Ledermesser ganz brauchbar befunden zu feiner Durchschneidung der Holztafeln. Mit Holz wußte Conrad umzugehen, und es dauerte gar nicht lange, so war eine Handbreite der Tafel so sauber abgelöst, daß Pudel bei der schwachen Beleuchtung von dem Ritze nichts bemerken, man aber des Abends die Handbreite wegheben und das Fenster zum Durchschieben einer Faust öffnen konnte. Der lange Jobst wird schon kommen! meinte Conrad, und ausschau'n nach der hinausgestreckten Faust, und das Uebrige wird sich finden!

Das erfüllte sich denn auch. Jobst besuchte seinen Schwager Pudel und sprach sehr laut, wenn er kam und ging. Gefangene hören wie Maulwürfe; das Guckloch, welches ja nicht hermetisch verschlossen war, erleichterte das Hören, und Conrad begann, als er Jobstens Anwesenheit draußen im Flur vernahm, einen solchen Höllenlärm mit Schreien und Schlagen an die Thür, daß Pudel genöthigt wurde, heranzutreten und nachzufragen. Er öffnete zwar nur das Guckloch, wurde aber doch genöthigt die ganze Thür zu öffnen, weil Urban ihm zurief: er möge ihm um Gotteswillen zu Hilfe kommen, Conrad ermorde ihn! Pudel wußte leider, daß dies dem Conrad zuzutrauen wäre, und da gerade sein langer Schwager Jobst da war, ging er auf einen Augenblick hinein mit seinem Schwager, um Frieden zu stiften. Nun stürzte sich Conrad auf Jobst, und unter dem Anschein zorniger Balgerei unterrichtete er diesen leise, daß jeden Abend um Neun die Faust im Fenster einen Zettel mit Nachricht erwarte und bereit halte.

So war die Verbindung mit der Außenwelt hergestellt worden in der Saugrube, und Urban erbot sich am nächsten Morgen, dem in der edlen Schreibekunst vernachlässigten Natzi einen Schreibunterricht angedeihen zu lassen, an welchem Pudel ein blaues Wunder erleben solle. Protestanten wie er und Conrad seien den Götzendienern auch darin voraus, daß sie perfect lesen und schreiben könnten.

Pudel überhörte großmüthig den »Götzendiener« und ergriff mit beiden Händen die Gelegenheit eines unentgeltlichen Schreibeunterrichts für Natzi. Er hatte ja immer gesagt, es läge nur an der falschen Lehrmethode, daß sein nachdenklicher Sohn ungenügende Fortschritte mache in dieser freien Kunst. Er sei in diesem Punkte ohne Vorurtheile gegen die Ketzer, und habe gegen die protestantische Schreibmethode gar nichts einzuwenden.

So kam Feder und Tinte in die Saugrube, und die kleine Abendpost am Fenster entwickelte sich zu einer Regelmäßigkeit, welche ihres Gleichen suchte im deutschen Reiche.

Solchergestalt kamen die Schächer in Kenntniß von alle dem, was außen vorging, so weit dies Jobst wußte. Jobst aber ward durch seinen Hausherrn unterrichtet, den Herrn von Wildling, welcher damals am Stubenthore glücklich entronnen und bisher unbehelligt geblieben war. Solchergestalt kamen sie auch in Kenntniß von dem, was ihnen drohte. Pudel hatte gegen seinen Schwager Jobst nicht verschwiegen, was er von Medardo vernommen über das nahe Ende der Schächer. Jedermann hat einen Kreis, in welchem er seine Eitelkeit befriedigt: Pudel erschien gern wichtig und bedeutend vor seinem Schwager, der ein bloßer Hausmeister war. Warum sollte er vor diesem nicht durchblicken lassen, daß er in die Absichten der hohen Herren in der Burg vollständig eingeweiht sei als wahrscheinlicher »Definitiver«? Warum nicht? Es war ein angenehmer Genuß für das Gefühl seiner Höhe, zu welcher der plebejische Schwager hinaufstaunen mußte. Natürlich sorgte der plebejische Schwager dafür, daß die Gefangenen noch am selbigen Abende erfuhren, was ihnen nahe bevorstände.

Sie waren lange darauf gefaßt, und hatten sich vorgesehen. Alle Gefangenen beschäftigen sich zuerst und zuletzt mit Plänen der Befreiung. Im Parlamente dieser drei Schächer war dieser Plan gründlich debattirt und festgestellt worden durch Mehrheit der Stimmen. Die verneinende Stimme war die Pfeifer's, der in seiner dumpfen Versessenheit keinen Antheil hegte für bloßes Entwischen. Für seinen Glauben Unerhörtes thun, nöthigenfalls wie ein Märtyrer dafür sterben, war dieses Schusters Losung.

Du bist ein Esel, Schuster! hatte Conrad zu dieser Abstimmung Pfeifer's gesagt, und hatte durch Jobst Alles ans Fenster bringen lassen, was zur Ausführung des Plans nöthig war, und was sich durch den faustbreiten Spalt am Fenster hereinziehen ließ.

Es war Alles bereit, und heute Abend sollte der Ausbruch aus dem Schrannengefängnisse ins Werk gesetzt werden. Deshalb war Pudel angegangen worden, heute den Junker zum Besuch kommen zu lassen. Als ehrlicher Kamerad hatte Conrad darauf bestanden, daß man versuchen müsse, ob sich die Befreiung des Junkers mit der ihrigen vereinigen lasse. Heute aber noch müsse es vor sich gehen, kein Teufel könne wissen, ob nicht heute noch die Nachricht von Frankfurt eintreffe, und dann gebe es ja keinen Abend mehr für sie auf dieser Welt!

So standen die Sachen, als die drei Insassen der Saugrube am Schlusse ihrer Mittagsmahlzeit saßen und mit halblauter Stimme darüber beriethen, auf welche Weise der Junker mit zu befreien sei, sobald sie selbst erst draußen vor der offenen Thür ständen. Conrad vermaß sich, das durchzuführen; denn er wisse aus der Zeit, da er noch täglich hinaufgeführt worden zum Verhöre, er wisse ganz genau, wo Pudel die Schlüssel zu den Gefängnißstuben aufhänge. Dort an dritter Stelle hänge Nummer Drei. Damit gehe es hinauf, und dann mit dem Junker herab und hinaus! Punktum! Seht Euch die Saugrube noch einmal an – setzte er hinzu, und legte sich bequem zur Verdauung auf die Holzpritsche – Ihr seht sie zum letzten Male.

– Still! flüsterte Urban, Pudel kommt!

Pudel kam, um ihnen den Besuch des Junkers anzukündigen, und ihre Danksagung dafür mit Herablassung entgegen zu nehmen. Sie dankten sehr gerne, denn es war ihnen dies ein günstiges Vorzeichen, und gerade heute doppelt willkommen. Es wurde denn auch sofort benutzt, um das anzuknüpfen und anzukündigen, was sie heut Abend zu ihrem Unternehmen brauchten, und wozu sie Pudel's persönliche Mitwirkung nöthig hatten. Seine edelsten Empfindungen sollten dazu gemißbraucht werden. Urban war die Schlange, welche ihn jetzt umringelte. Er lud ihn feierlich ein zu dem großen Examen, welches Natzi heut' Abend bestehen und ablegen werde in der Schreibekunst, nicht blos in der gemeinen, sondern in der kanzleimäßigen, welche ihm hinter dem Rücken des Vaters beigebracht worden sei. – Und dann noch in einer geheimen Wissenschaft – setzte Conrad schalkhaft hinzu – welche den Papa Pudel curios überraschen werde an seinem Sohne. Denn der Natzi, so lange schmählich zurückgeblieben bei mangelhafter Belehrung, habe sich hier in der Saugrube mirakelhaft entwickelt, und werde sich als ein sehr brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft erweisen – heute Abend noch!

Urban, kein Freund solcher Conrad'schen Humorausbrüche, unterbrach ihn jetzt, weil er fürchtete, Pudel könne doch trotz seiner Affenliebe zu dem Trottel-Sprößling mißtrauisch gemacht werden, und ging auf das Thatsächliche über, um welche Stunde die Examenfeierlichkeit sein solle, und daß Schwager Jobst den Triumph des Knaben wol mit ansehen dürfe, wenn Pudel als Amtsdiener solchen wissenschaftlichen Besuch verantworten könne, und daß ein frischer Trunk vor- und nachher einbedungen sei.

Pudel war schon im voraus selig. Jobst der Schwager könne durchs Guckloch zusehen und zuhören, das sei unter allen Umständen zu verantworten, und um Sieben solle es losgehen; da sei es jetzt schon dunkel, und es komme nicht mehr leicht Störung, und das »Kind« sei noch nicht schläfrig. Abgemacht! schloß er, und jetzt hole ich den Herrn Junker herab, denn nun kommt der Herr Rath nicht mehr.

Unter diesen Worten ging Pudel, schloß ab und sah mit Vergnügen, daß Natzi draußen am Schauloche der eisernen Hausthüre stand und hinaus blickte. Auch in den Mußestunden, dachte er, zeigt sich das Kind aufmerksam und vorsichtig. Wie erschrak er aber, als Natzi auf einmal stammelte: der »Vater« solle aufmachen, es komme eben der Herr Rath vor die Thür! –

– Was?! – Crispi, wahrhaftig! das war gescheidt, daß ich den Junker noch nicht –

Hastig öffnete er, und unterließ nicht zu bemerken, daß es Natzis Aufmerksamkeit zu verdanken sei, wenn des Herrn Raths Gestrengen nicht zu klopfen und zu warten gebraucht!

Der Herr Rath sah nicht darnach aus, als ob er familiäre Dinge besprechen möchte. O nein! Ernst, wol gar sorgenvoll, aufgeregt sah er aus, schritt rasch der Stiege zu, und befahl im Gehen, Nummer Drei sogleich zu öffnen.

Dort setzte er sich, den Pudel fortwinkend, wie ein erschöpfter Mann, trocknete sich den Schweiß, lud mit einer Handbewegung den Junker ebenfalls zum Sitzen, und begann nun, Anfangs langsam, dann immer lebhafter einen Bericht, als ob er einem Freunde oder gar einem Sohne eine Schilderung vortrüge:

– Das waren heiße Tage, Junker, und die Dinge haben sich schwarz zusammengeballt! Es muß eine geheime Verhetzung stattgefunden haben, oder die Jesuiten haben sich ohne ihren Provincial zu einer Kraftanstrengung aufgerafft, denn dieser – doch der Reihe nach!

Zuerst war ich bei Eggenberg. Er hat Euer Memorial entgegengenommen, er war überhaupt freundlich und eingehend, er ist ein weit sehender Mann, er ist billig, mäßig, muthig, er ist ein Segen für uns. Kurz, er ist einverstanden mit mir, daß Euer Fall als ein politischer behandelt werde und also der Convenienz anheim gegeben bleibe, nicht der Justiz, die keine Rücksichten kennen darf. Er verlangt deshalb keine Urtelsvorlage von mir.

Dies die wichtigste erste Nummer. Notabene: Harrach kam dazu, und zeigte sich einverstanden. Mehr als einverstanden; er zeigte das günstigste Vorurtheil für Euch, er meint, Euch gründlich zu kennen durch die Schilderungen seiner Tochter. Von Seiten der wichtigsten geheimen Räthe ist also das Beste zu erwarten, und ich glaube, es wird nicht lange auf sich warten lassen.

Die zweite Nummer ließ sich auch gut an. Nämlich die Angelegenheit Graf Zdenkos und mein Vorschlag, ihn zu vernehmen in Betreff Euer, und bei dieser Veranlassung nachzufragen, warum und mit welchem Rechte dieser notable Mann geistlicher Jurisdiction und Gefangenschaft verfallen sein könne. Auch in dieser delikatesten Angelegenheit war der Freiherr von Eggenberg zu meiner großen Freude wie ein freier Herr. Ich merkte deutlich, daß der König früher schroff in dieser Angelegenheit gewesen sei, kurz vor seiner Abreise aber nachdenklich, zulassend sich erwiesen habe. Auch oben scheint etwas von Rom eingetroffen zu sein, was selbst den König stutzig gemacht hat. Eggenberg ließ verlauten, daß Trautmannsdorff, einer unserer hoffnungsvollen Cavaliere in politischen Dingen, neben dem Könige in Frankfurt und einer Sendung nach Rom gewärtig sei. Es sieht völlig darnach aus, als ob eine Wendung zur Toleranz bevorstände, was der Himmel fördern möge. Kurz, Eggenberg bevollmächtigte mich, ins Jesuitenhaus zu gehen als amtliche Gerichtsperson. Das war ein kostbares Zugeständnis, ein weit aussehender Fortschritt! Ihr könnt Euch denken, daß ich nicht zögerte!

– Ihr habt den Grafen gesehen? Er lebt, er –?!

– Geduld, Geduld! Uebereilt mich nicht! – Ihr könnt denken, was es für ein Aufsehen machte, was es für einen Widerstand finden mußte im Jesuitenhause, daß ein kaiserlicher Rath officiell eintreten und Aufklärung verlangen, wol gar Verantwortung fordern könne. Aber so etwas sind diese selbstständigen Herren nicht gewöhnt, und sie verweigerten mir Anfangs rundweg den Zutritt zum Provincial, den ich in Anspruch nahm. »Im Namen des Königs!« rief ich endlich in meiner Ungeduld und in meiner Ohnmacht. Denn ich war doch ohnmächtig, wenn sie mich nicht respectirten; mit Gewaltmitteln einzudringen, würde mich auch Eggenberg nicht bevollmächtigt haben. »Im Namen des Königs also!« wiederholte ich, »führt mich vor Euren Provincial!«

Ich hatte hiermit mehr gesagt, als ich streng genommen sagen durfte, denn der Geheimrath des Königs ist nicht der König, mir war nicht ganz leicht im Gewissen – aber die Wirkung erfolgte: man führte mich hinauf. Unterwegs versuchte es der wortführende Pater, mich davon abzubringen, daß ich zum Provincial selbst geführt sein müsse. Der Provincial sei krank. Es solle meinen Anforderungen Genüge geschehen auch ohne den Provincial, wenn ich in das Capitelzimmer eintreten wollte, vor welchem wir eben stünden.

Ich lehnte das mit Festigkeit ab; mein Auftrag gehe an den Provincial selber, er möge krank sein oder gesund.

So öffnete mir denn der wortführende Pater unter Zeichen großer Befangenheit das Vorzimmer des Provincials, und trat allein mit mir in einen großen Raum, wo er wohnen sollte. Ich sah ihn nicht. Erst als der Pater auf einen fernen Winkel zuschritt, entdeckte ich, daß eine menschliche Gestalt in diesem Winkel kauerte. Er betet! flüsterte der Pater. Diese schreckliche Figur betete aber nicht: ein Todtenkopf stierte aus schmutzigem Tuche ins Leere, und erst als der Pater ihn angeredet, kam ein menschlicher, tief erloschener Blick aus diesen Augenhöhlen zum Vorschein. Der Pater suchte ihn aufzurichten. Mühsam gelang das, die Kräfte des kranken Mannes reichten kaum noch zu, aufrecht zu stehen und einige Schritte zu machen. Das wurde indessen anders, als ich mit starker Stimme den Namen des Grafen Zdenko nannte, über den ich Auskunft haben, zu dem ich geführt sein wollte. Bei diesem Namen zuckte der häßliche Greis, als ob er ins Herz gestochen würde, und setzte sich in Bewegung, Anfangs schlotternd, allmälig fester zur Thür hinaus, einen Corridor entlang bis vor eine Zelle. Dort zog er an einer Glockenschnur. Man hörte kein Läuten; aber sehr bald erschien ein junger Jesuit mit Schlüsseln und schloß die Zelle auf –

– Schloß sie auf, und was saht Ihr, wie fandet Ihr ihn?

– Ausgestreckt auf einem Lager einen sterbenden Greis, der nur leise athmete, die halbgebrochenen Augen aber, seelengute Augen, nach uns wendete. Der Mund versuchte zu lächeln, die Hand versuchte es, sich zur Begrüßung zu erheben –

– Sterbend?!

– So schien es. – Aber ganz klaren Bewußtseins und Verstandes, und auch fähig, langsam und leise zu sprechen.

Der Pater war an der Thür zurückgeblieben, welche er an sich gezogen hatte; der Provincial hatte sich in eine Ecke gedrängt, als ob er links und rechts die Mauer brauche, um sich aufrecht zu erhalten; ich war nahe zu dem Lager getreten, und fragte den Grafen, ob er mich vernehmen und verstehen könne. Er bejahte mit den Augenwimpern. Nun erzählte ich ihm, wer ich sei und in welcher Absicht ich käme, und nannte auch Euren Namen, Junker –

– Oh!

– Innige Freude ging über das Antlitz des Grafen, und er versuchte es, die Hand nach der meinen auszustrecken. »Kann ich ihn sehen?« flüsterte er, »ist er in der Nähe?« – »Er ist in der Nähe, und ich hoffe, Ihr werdet ihn sehen. Ist es nicht Euer nächster Wunsch, fortgebracht zu werden aus diesem engen, dunklen Raume?« – »Ja, ja! Dahin wo die Sonne scheint, wo frische Luft weht – ich stürbe nicht gern in dieser Höhle, und bevor nicht Methodius erst – – da, da ist er ja! Armes Menschenkind, Du siehst ja aus, als ob man Dich aus dem Grabe ausgescharrt! Hast Du Dein Herz endlich gefunden im Grabe? Armer Methodius, ein so langes Leben lang ist es Dir abhanden geblieben! Nicht wahr, nun ist Dir wohler, weil Du lieben kannst?! Schluchze nicht! Das Herz ist der Hauch Gottes in uns. Alles Andere ist eitel, nur die Liebe ist ewig, sie ist der Athem Gottes. Schluchze nicht! Ich weiß was in Dir stöhnt und arbeitet. Gieb Dich hin, gieb Dich hin! – Helft ihm doch! Er will her zu mir. Helft ihm! Komm' getrost, Genosse meiner Jugend! Anna sieht segnend auf uns herab – komm' getrost! Von mir braucht's keiner Vergebung; Du hast mehr entbehrt als ich, komm' getrost, ich segne Dich, Methodius!«

Bei diesen Worten – der Pater und ich hatten den Provincial herangeführt – rang sich ein entsetzliches Stöhnen aus seinem Innern empor, und er knickte uns unter den Armen dergestalt jäh zusammen, daß er uns mit an den Boden riß – er war todt.

Der Pater rief nach Hilfe; man brachte den Leichnam hinweg; ich blieb eine Zeitlang allein mit dem Grafen, welcher die Katastrophe nicht bemerkt zu haben schien. Seine Augen waren aufwärts gerichtet, er sammelte Athem und schwieg eine Weile auf mein Fragen. Endlich schien er erholt zu sein, und sprach wieder, wenn auch noch tonloser: »Ich glaube – es sind die letzten Atome – die sich leise in mir auflösen. Zögert nicht – wenn Ihr mich an Licht – und Luft – wenn Ihr Hans – und Dunstan – zu mir bringen könnt.«

Ich eilte hinaus und fand den jungen Jesuiten mit den Schlüsseln, welcher harrte. Ihm befahl ich, sogleich Leute zu schaffen, welche den sterbenden Mann an einen sonnigen Ort tragen könnten, da hinab, zeigte ich, in den Garten zwischen den Flügeln des Hauses, dort unter die Bäume, welche von der Sonne beschienen sind! – Er schüttelte den Kopf und verschloß die Zelle. Ich faßte ihn an der Brust. Der junge Mann lächelte und erwiderte ruhig: er wolle mein Verlangen melden gehen. Ich ging mit ihm, bis jener wortführende Pater gefunden war. Er bewilligte mein Verlangen. Es wurde ausgeführt, und wie eine Blume, die im Sonnenstrahle ihre geschlossenen Blätter öffnet, hob sich die Lebenskraft des Grafen in der sonnigen Luft. Er trieb mich selber fort, Euch und Dunstan zu holen.

– Und Ihr holt mich?!

– Nein, junger Freund, so frei darf ich mit einem des Hochverrats Angeklagten nicht gebaren. Nachdem der wortführende Pater mir zugesagt, den Grafen bei sinkender Sonne in ein lichtes, luftiges Gemach bringen zu lassen, eilte ich in die Burg hinauf, um bei Eggenberg die Erlaubniß für Euch auszuwirken. Und dort trat mir der Widerspruch in gefährlicher Macht entgegen.

– Durch Eggenberg?

– O nein. Durch Lamormain, der bereits unterrichtet war aus dem Jesuitenhause. Er war in gereiztester Stimmung und begann mit der Frage: wie ich mich unterstehen könne, in ein Ordenshaus einzudringen? – In Folge meines Amtes, in Folge Auftrags vom Geheimenrathe! entgegnete ich. – Diese Antwort erhöhte seinen Zorn. Er überschüttete mich dergestalt mit Vorwürfen und mit Befehlsandrohungen für die Zukunft, daß auch ich alle ruhige Klugheit außer Acht ließ und ihm rundweg erwiderte: ich sei kein Geistlicher, sondern ein weltlicher Beamter, der seine Befehle von der weltlichen Behörde einzuholen hätte, nicht aber von einer geistlichen.

Auf diese unmittelbare Erklärung zuckte er von oben bis unten. Ich werde sie zu büßen haben, wenn der König zurückkehrt und nach dieser Richtung nicht ein neues System einführt, wie Eggenberg hoffen zu dürfen glaubt. Gleichviel, ich bin gefaßt darauf. Jetzt aber, junger Freund, könnt Ihr es büßen müssen, wenn Eggenberg nicht fest hält. Lamormain nämlich ging nun ab von der allgemeinen Frage, und wendete sich zu Eurem Proceß. Warum dieser noch nicht beendigt, warum ein so schreiender Hochverrath noch nicht bestraft sei? Das habe nichts zu schaffen mit geistlichen Vorrechten, das sei ein scandalöser politischer Fall, und er werde Sorge tragen, daß dieser Verschleppung binnen vierundzwanzig Stunden ein Ende gemacht werde. Hiermit ließ er mich stehen, und ging – nicht nach dem Geheimrathszimmer, sondern nach der andern Seite, nach der Wohnung des Statthalters, des Herrn Erzherzogs Leopold. Diesen wird er bewegen wollen, einen scharfen Befehl gegen Euch zu veranlassen. Gelingt ihm dies, so muß ich heute noch Euer Urtel einreichen, und morgen – morgen könnt Ihr Abschied nehmen müssen von dieser Welt.

– Ich bin darauf gefaßt – sprach Hans nach kurzer Pause – ich möchte nur gern meinen Pflegevater noch einmal sehen!

Gangelberger schwieg. Sein Blick ruhte theilnahmsvoll auf dem armen Junker; ein Entschluß schien aus dem Herzen des tapfern kaiserlichen Rathes aufzusteigen – morgen ist es vielleicht zu spät, sagte er halblaut vor sich hin, morgen kann dort wie hier der Tod aller Herzenssorge ein Ende gemacht haben; bezahlen muß ich doch die ganze Rechnung; sollen wir nicht wenigstens genießen, was auf die Rechnung geschrieben wird? – Hans von Starschädel, mein junger Freund – rief er plötzlich laut und entschlossen – wollt Ihr mir Euer Ehrenwort geben, daß Ihr nicht entweichen, daß Ihr getreulich hierher in Euer Gefängniß zurückkehren wollt, wenn ich Euch jetzt auf eine Stunde aus dem Gerichtshause hinausführe ohne Wache und ohne anderes Geleit als das meinige?

– Ich gebe Euch mein Ehrenwort und meinen herzlichen Dank im voraus, mein verehrter Freund! antwortete rasch und stark der Junker, welcher zu wissen meinte, was der Rath vorhabe.

– Wohlan, so werft Euch in die Kleider, die Euer Diener schon lange von Hernals hereingebracht, da liegen sie ja! Und dann geht getrost mit mir. Lamormain kann noch nicht Zeit gehabt haben, Befehle zum Widerstand gegen mich ins Jesuitenhaus zu schicken, man wird sich meinem neuen Eintritte dort nicht widersetzen, und Ihr werdet Euren Pflegevater sehen, auf dieser Welt wol zum letzten Male!

– Gott wird's Euch lohnen! rief Hans und kleidete sich eiligst. Gangelberger aber ging auf den Corridor hinaus und läutete. Pudel erschien und hörte sprachlos an, was sich zutragen werde. Wenn irgend etwas von oben einlangen sollte, hieß der Schluß, so sei zu antworten: binnen einer Stunde werde der kaiserliche Rath im Schrannenhause anzutreffen sein.

Gangelberger und der Junker stiegen die Treppe hinab, Pudel öffnete unter maßlos staunenden Bücklingen die eiserne Thür, sie gingen hinaus und wendeten sich links. Ein auf den Tod sitzender Hochverräter ging spazieren mit Seiner Gestrengen, und kein Gardist, nicht die lumpigste Wache hinterher! Was hat das zu bedeuten? – Pudel war so bedürftig, sich über diesen unerhörten Casus zu äußern, daß er die Saugrube aufschloß und den Schächern unter entsprechender Einleitung diese Kunde mittheilte.

Sie erregte hier Mißtrauen. Das vornehme Pack, meinte Conrad, findet sich überall zusammen, und Urban setzte hinzu: die gemeinen Leute müssen stets die Zeche bezahlen, bis der »Bundschuh« wieder in Gang kommt und der Wirthschaft gründlich ein Ende macht.

Beide aber, Conrad wie Urban, winkten und flüsterten einander zu: Seht's, daß es höchste Zeit ist zum Ausbrechen –!

*

Daß es die höchste Zeit sei zum Einschreiten, meinte um dieselbe Zeit oben in der Burg Pater Lamormain. Freilich nach ganz anderer Richtung. Nach dem verwaisten und durch Zudrang weltlicher Gerichtsbarkeit entweihten Jesuitenhause sollten auch seine nächsten Schritte gerichtet werden, sobald er den Statthalter gesprochen.

Wenn sich Rath Gangelberger und Hans nicht sehr beeilten, so traf Lamormain mit ihnen zusammen im Jesuitenhause!

Sie beeilten sich allerdings. Wenigstens im Schritt. Hans dachte gar nicht an die Wonne eines Befreiten, welcher seit Monaten zum ersten Mal wieder außerhalb der Gefängnißmauern dahinschreiten kann, sein persönliches Interesse trat ganz zurück vor dem Gedanken, daß sein geliebter Pflegevater im Hinscheiden begriffen und vielleicht jetzt schon nicht mehr gegenwärtig sei auf dieser Erde! Wäre Gangelberger nicht ein rüstiger Fußgänger gewesen, er hätte nicht Schritt halten können mit dem aufgeregten, weit ausschreitenden Junker.

Die Nachmittagssonne des Frühherbstes verschwand hinter den hohen Mauern, als sie den Thürhüter im Hausflure des Jesuitenhauses fragten, wo der kranke Greis sei, und ob er noch lebe?

Der Thürhüter hatte den Eindruck nicht vergessen, welchen Pater Dunstan auf ihn gemacht: er war bereitwillig. Der gefürchtete Herr Provincial war gestorben, der »greise Mönch« lag im Sterben, es war Veranlassung genug vorhanden, jenen Eindruck im Sinne des alten Pförtners wach zu erhalten. Leise Aeußerungen bezeugten das, als er die fremden Herren zur Gartenthür geleitete. Zwei Heilige ganz verschiedener Art, meinte er, stiegen zum Himmel auf an einem Tage, ein kriegerischer und ein friedlicher. Den Provincial hatte er zwar nicht geliebt, aber tief gefürchtet, und diese Furcht galt ihm für ein Merkmal, daß der Verstorbene Gott nahe stehe. Es hatte auch verlautet, daß die beiden Greise Jugendbekannte gewesen seien; sie galten jetzt beim Dienstpersonale des Jesuitenhauses für Jugendfreunde, welche nebeneinander hätten sterben wollen. Das Dienstpersonale ahnte nichts von den Vorwürfen gegen das Jesuitenthum, diesen Dienern war die Form, unter welcher sie Alles vorgehen sahen, eine himmelhohe Mauer. Der alte Pförtner war unbefangen erbaut über die Vorgänge des heutigen Tages. Unbefangen erbaut zeigte er den Fremden die Ecke des Gartens, wo unter Bäumen das Lager des »greisen Mönchs« aufgeschlagen war.

Die Luft war mild, still und warm. Oben auf den Dächern glänzte die Sonne; in den kleinen Garten zwischen hohen Mauern sank der Schatten dunkel herab.

Zwei junge Coadjutoren standen zu Haupt und Füßen und lasen in Brevieren, in ihren schwarzen Kleidern sich scharf abhebend von dem Sterbenden, dessen weißes Haupt- und Barthaar, dessen weißes Gewand im dunklen Schatten leuchtete.

Hans stürzte hinzu und stand von Schmerz gefesselt still. Zdenko schien ausgeathmet zu haben, seine Augen waren geschlossen. Das Angesicht und die Hände waren bleich wie von Wachs. Zu spät! hauchte Hans vor sich hin und ergriff eine Hand. Sie war noch warm, und – gütiger Gott! die Augenlider öffneten sich, das liebe, gute Auge sah mit vollem Blicke auf ihn, um den Mund bildete sich ein Lächeln, ja er öffnete sich ein wenig, und leise traten Worte über die Lippen: Anna! – Hans – mein Hans!

Unter einem Strom von Thränen sank Hans am Lager hin, und küßte die Hand des geliebten Vaters. Er, der in Gesundheit Lebende, fand kein Wort!

Der Graf aber fand noch die Kraft, ihm das Haar und die Stirn zu streicheln und vernehmbar zu flüstern: Gottes Güte – sei – gepriesen. Die Luft – hat mich – erquickt. Nimm die Kapsel – mit Annas Worten – von meiner Brust. Sie – gehört Dir. Bleibe – brav – mein Hans – gedenke – unserer Wünsche – liebe – verzeihe – dies ist – Religion!

Da blieb der Mund geöffnet, ein Hauch ohne Ton erfolgte, ein leichter Ruck im Auge zerstörte den Blick, ein leichter Ruck durch alle Gliedmaßen verkündete den Stillstand, das Aufhören des Herzschlages. – Das ist der Tod! sprach kaum hörbar Gangelberger, welcher neben Hans stand, und Hans drückte, von Schluchzen erstickt, sein Haupt in die Falten der weißen Kutte.

So stirbt ein Heiliger! sagte gerührt der Pförtner, welcher sich's nicht hatte versagen können, den fremden Herren bis in die Nähe des Lagers zu folgen. – Hier! hier! setzte er aber sogleich hinzu, indem er sich umwendete und nach dem Hausflur zurückeilte. Von da war er gerufen worden, und erschrocken darüber, daß er seinen Platz an der Pforte verlassen, wollte er durch Eile gut machen – da stand Pater Lamormain vor ihm.

Dort, dort – stammelte der auf einem Fehl betroffene Pförtner – dort, hochwürdigster Herr Pater, ist jetzt gerade der heilige Mönch verschieden, dort unter den Bäumen – dort! –

Die letzten Worte versagten ihm unter dem strengen Blick des Paters und unter den streng betonten Worten: Wer sind die Männer dort?

– Der kaiserliche Herr Rath und ein – wol ein Verwandter des –

– An Deinen Posten, den Du für immer verlassen magst, wenn Du ihn so schlecht hütest, wie Du in letzter Zeit gethan!

Betroffen ging der Pförtner ins Haus, Pater Lamormain gegen die Bäume hin. Etwa zehn Schritte vor ihnen blieb er stehen und rief: Rath Gangelberger!

Dieser wendete sich, erkannte den Pater, sammelte sich und trat langsam zu ihm. Gangelberger übersah die ganze Mißlichkeit seiner Lage gerade dem Pater Lamormain gegenüber, aber die erhöhte, feierliche Stimmung seines Herzens erfüllte ihn diesmal mit Ruhe.

Er hörte geduldig die Vorwürfe des Paters an, er verleugnte nicht, daß der junge Mann da am Sterbelager, welcher gefaßt herzuschritt, der gefangene Junker Hans von Starschädel sei –

– Das nennt Ihr gefangen, Herr Rath?

– Sein Ehrenwort bürgt mir, und er kehrt jetzt stehenden Fußes mit mir in sein Gefängniß zurück.

– Mit erstaunlicher Willkür wartet Ihr Eures Amtes.

– Ich bitte, Herr Pater, solche Bemerkung meinen Vorgesetzten zu überlassen. Die Willkür dieses Hauses spricht laut aus der Leiche, welche dort liegt. Wenn die Welt Alles erfährt, was jenen Greis hierher in den Tod geschleppt, dann wird sie begreifen, daß ein kaiserlicher Rath und Verwalter öffentlicher Gerechtigkeit nur zu sehr berufen war, näher zuzuschauen und dem Landesherrn selbst Bericht zu erstatten.

Lamormain wurde mit seiner Klugheit inne, daß er einer erhöhten Stimmung gegenüberstände, bewältigte seine Entrüstung und sagte nur: Das wird sich zeigen, Herr Rath.

– Ich bitte um die Leiche! sprach Hans.

– Die Leiche eines Ketzers wird von keinem Orden, von keinem katholischen Gottesacker in Anspruch genommen! entgegnete herb Pater Lamormain.

Gangelberger machte dem Pater eine steife Verbeugung und ging mit dem Junker ins Haus. Dem Pförtner trug er im Vorübergehen auf, der Leiche zu warten und sie dem auszuliefern, welcher in seinem Namen sie fordern werde. Er bemerkte es nicht, oder wollte es nicht bemerken, daß Hans dem Pförtner Goldstücke in die Hand drückte unter der halblaut gesprochenen Bitte: die Leiche sorgsam und liebevoll behandeln zu lassen. Unter die große Fichte oben, setzte er laut gegen Gangelberger hinzu, als sie die Stufen vor der Hausthüre hinabstiegen, unter die Fichte, wo er lebend so gern saß, soll er begraben werden. Mein Diener Tartsch kann Alles besorgen, wenn Ihr ihn rufen lassen wolltet aus Hernals, werther Freund.

– Er kommt jeden Morgen von selbst und fragt nach Euch. Es wird besorgt werden. Seid getrost! – Aber warten wir! Was bedeutet das? Der alte Santhelier an der Spitze von Reitern –? vom Rothenthurm heraufkommend, als ob er die Hauptstraßen aufsuchte?!

Gangelberger stand mit Hans da, wo das Lugeck in die Bischofsstraße einmündet. Santhelier sprengte an ihnen vorüber, sein altes Gesicht war freudestrahlend, und als er den kaiserlichen Rath erkannte, winkte er vertraulich mit der Hand und rief ihm zu: Es lebe der Kaiser!

Gangelberger verstand auf der Stelle, daß der alte Herr die Couriere nach der Burg geleite, welche die entscheidende Nachricht aus Frankfurt brachten. Sein österreichisches Herz schwoll auf, aber ein Blick auf Hans erstickte jäh diese freudige Wallung. Es stand ihm vor Augen, daß nun das Schicksal des armen Junkers noch heute Abend entschieden werden könne. Nur diese Nachricht hatte die jesuitische Partei abwarten wollen, und nun war diese Partei obenein soeben tief aufgereizt in Lamormain, und die Person des armen Junkers war bei dieser Aufreizung gewesen! Was schien natürlicher, als daß Lamormain sich sogleich des hochverräterischen Junkers erinnern werde, wenn ihm die Nachricht der Kaiserwahl in der Burg entgegenkomme –!

Hans, in seine Trauer versunken, hatte weder Santhelier's Zuruf verstanden, noch bemerkte er, welche Sorgenschatten über das Gesicht Gangelberger's flogen. Schweigend folgte er ihm zum Schrannenhause. Dort erst, als Hans wieder hinter der eisernen Thür stand und von Pudel hinaufgeleitet werden sollte, brach auch Gangelberger sein nachdenkliches Schweigen und sprach: Fassung, junger Freund, Muth! Was auch geschehen soll, ich verspreche: es soll Euch nicht unvorbereitet treffen. Ich gehe stracks zu Eggenberg und kehre zu Euch zurück!

Hans sah ihm nach wie Jemand, der von einem Zurufe aufgeweckt wird. Er hatte seine eigene Gefahr vergessen über der Trauer, welche seine ganze Seele durchzitterte. –


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