Elisabeth Langgässer
Triptychon des Teufels
Elisabeth Langgässer

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Merkur

Als die deutsche Inflation auf ihrem Höhepunkt war, verschwand eines Tages ein Kaufherr, geheimer Lenker von Banken, von Trusts und Syndikaten auf rätselhafte Art, und seine Spuren vergingen, durch Nachforschungen erweitert, wie Kreise auf einer Wasserfläche, die größer und heller werden.

Weil er zwar keine Freunde, doch ein riesiges Unternehmen und viele Feinde besaß, welche selber gern die Papierlawine, die von ihm, wie man sagte, aufgeschwellt und zu Tale geführt worden war, als munteren Glücksball benutzt und ihre schäbigen Wünsche darin verborgen hätten –

war man sehr rasch geneigt, an listige Täuschung zu glauben und veranlaßte, daß ein Netz von Telefongesprächen, Erkundungen, raschen Notizen über Gestern und Heute geworfen wurde.

Zunächst erschien es fast einfach, den geflügelten Schritten zu folgen, die sich aus dem besetzten Gebiet nach England gewandt haben mußten; eine Platzbestellung verriet es, welche Schlafwagen nach Calais und von dort aus eine Schiffskabine beantragt hatte; aber während man noch daran war, die Passagierliste 60 durchzusehen und ein Hotel anzurufen, in welchem der Kaufherr abzusteigen und Besuche zu empfangen pflegte, brach schon eine neue Fährte auf.

Sie kam von dem Militärflughafen der englischen Kommandantur, wo, wie man versicherte, sein schlanker Wagen gesehen wurde, der sich kometenhaft aus dem dämmernden Morgen löste. Der Pilot, ein schweigsamer Mensch mit langen Pferdezähnen, seit Stunden informiert, hatte ohne Verwunderung das Monogramm auf der Aktentasche und jenen berühmten Mann gesehen, von welchem man sich erzählte, daß er kein Visum brauche, ja in enger politischer Bindung zu den Wirtschafts- und Kolonialministern der britischen Krone stehe und mit getarntem Auftrag Produkte Vorderindiens: Rohrzucker, Baumwolle, Seide, auf die Waage des Weltmarkts lege.

Nun entsann sich auch ein Taxenbesitzer, jenem Auto begegnet zu sein, als er in der vergangenen Nacht nach dem großen Lokal zurückfuhr, vor welchem er für gewöhnlich bis fünf Uhr morgens parkte. Der Kaufherr war ganz allein gewesen, barhäuptig, aber im Frack, und während der Schatten des Chryslers bis an die Rampe vorglitt, stand der Einsame unter dem Lichtband einer hüpfenden Sektreklame, die ein schmales Stengelglas zeigte, das sich unaufhörlich füllte, erlosch und die leuchtende Flut 61 von neuem in sich trank. Befragt, wie spät es gewesen sei, gab der Taxenbesitzer zur Antwort, er wage nun nicht mehr, halb zwei zu sagen, da die Blumenfrau vor dem Lokal nicht über Mitternacht bliebe und ihm heute einen Dollarschein vorgezeigt habe, den ihr der Kaufherr am Ausgang für ihre Parmaveilchen, die letzten im Korb, gegeben hatte.

Man ermittelte diese Frau und stellte zweifellos fest, daß wirklich die Mitternacht erst vorüber gewesen war – gleichzeitig aber meldeten sich noch mehrere dieses Gewerbes, ja schließlich die Blumenweiber aus sämtlichen Bezirken und drängten sich aufgeregt vor dem leitenden Kommissar.

Ihnen allen hatte der Rätselhafte einen Veilchenstrauß abgekauft und mit fester Währung bezahlt: Pesetas und schwedische Kronen, Reis, Gulden und Yen traten auf; das englische Pfund und die Lira entfalteten ihr Gefieder. Entfernte Länder begegneten sich, wurden eins auf das andre geschoben, überdeckten ihre Grenzen, und auch die Zeitangaben, die jene Frauen machten, waren ungenau, überschnitten sich oder löschten einander aus.

Zuletzt kam eine Dame, unscheinbar und verschüchtert, stand hilflos in den Gängen, und als man sie bemerkt und eingelassen hatte, machte sie folgende Aussage: Sie war in der fraglichen Nacht auf dem Nachhauseweg von 62 einer Gesellschaft gewesen, hatte ursprünglich einen Wagen benutzt, die ihr einer der Herren besorgte, dann aber, weil die Luft sich bewegte und durch die geöffnete Scheibe nach frischem Vorfrühling roch, war sie früher ausgestiegen und sorglos weitergegangen. Es mochte vier Uhr des Morgens, vielleicht noch etwas später sein; die Stadt begann zu erwachen, Gemüse- und Milchwagen rollten, und weil es Faschingszeit war, belebten schwankende Masken das morgendliche Bild, ängstlich vermummte Gestalten, die von Privatbällen kamen und den grotesken Anblick einer aufgepumpten Bürgerlichkeit, die in Türkenpantoffeln, Reiterstiefeln und Cowboyhosen stand, so offenkundig gewährten, daß die Dame öfter stehen blieb und sich, wie sie selber sagte, mit traumhafter Neugierde umsah –

als plötzlich ein Herr auf sie zukam: fest, schlank, mit geöffnetem Mantel, der den gutgeschnittenen Frack enthüllte, an dessen tiefem Revers ein übermäßig großer, aber duftloser Veilchenstrauß saß.

Sie müsse nun bemerken, daß sie selbst einen grauen Pelz trug, woran sie, der Mode folgend, gleichfalls ein Veilchenbouquet, jedoch ein künstliches, mit silberner Nadel befestigt hatte. Der Herr verneigte sich höflich, trat auf die Dame zu, die ein unvermutetes Zittern unter fragendem Lächeln verbarg und sich 63 vorzusagen suchte, daß rheinischer Karneval und also durchaus kein Grund, sich zu ängsten, vorhanden sei, und nahm ihr mit leichten Händen, die jede Berührung vermieden, den Strauß von dem Pelzmantel ab, riß ein Scheckbuch heraus und schrieb, löste vorsichtig das Papier und befestigte es mit der Nadel genau an der nämlichen Stelle, wo die Veilchen gesessen hatten. Dann hob er den Blick empor, sagte fast zu sich selber, pardon, und während sie noch überlegte, ob ihr ein Scherz erlaubt sei und auf die Komödie vom »Veilchenfresser« rasch anzuspielen versuchte, war er schon wieder verschwunden, als habe die feuchte Luft ihn wie ein zerfallendes Pulver vollkommen aufgelöst.

Von dem Kommissar unterbrochen, weshalb sie auf diesen Vergleich und nicht lieber auf den Gedanken käme, den erhaltenen Scheck vorzuweisen, schrak die Dame errötend zusammen und holte das Papier aus ihrem Täschchen hervor. Doch enttäuschte es die Erwartung, die darauf gesetzt worden war. Als nämlich die Blasse weitergegangen, verdunkelte sich der Himmel, und ein Gußregen stürzte rasch und unvermittelt herab, war übrigens bald vorüber und hatte nur ihren Pelz genäßt, den Scheck jedoch gänzlich verwaschen, so daß die Unterschrift bloß gemutmaßt werden konnte.

Um wenigstens festzustellen, ob jener Unbekannte, der für die künstlichen Veilchen einen 64 Inflationsscheck geschrieben, mit dem Kaufherrn identisch sei, der die echten für gute Valuta in allen Stadtteilen ausgesucht hatte, legte man der Dame das Bild des Entschwundenen vor, das sie lange betrachtete – – zuerst mit einem Zucken, welches Wiedererkennen verriet, dann immer unsicherer werdend, um endlich auszusagen, der Nächtliche sei ihm wohl ähnlich gewesen, doch keinesfalls der gleiche, ja, wenn es nicht gar zu phantastisch klänge: so wie ein Zwillingsbruder von jenem unterschieden, vielleicht nur durch einen Hauch, ein fast gespenstisches Etwas, das sie nicht beschreiben könne.

Weil ihre Zeitangabe, die sie, aufs neue befragt, mit aller Bestimmtheit machte, unmöglich mit der des Piloten, dem man weit mehr Glauben schenkte, vereinigt werden konnte, entließ man die Dame achselzuckend, ihre Hysterie nicht bezweifelnd, welche sicher aus Mißvergnügen an einem triumphlosen Ball, den sie früher verlassen hatte, einen harmlosen Faschingsscherz geheimnisvoll übersteigerte. Sonderbar freilich blieb es, daß der Scheck nicht höher angeschlagen wurde, ja im Verlauf dieser Sache sogar den Akten entfiel – erklärlich jedoch für alle, welche damals miterlebt haben, wie nicht nur das Papiergeld über Nacht verloren war, sondern Briefe und Autogramme verbrannt und verschleudert wurden, als ob 65 schon allein die Substanz aus alten Lumpen genüge, um die Aufschrift mitzuentwerten . . .

So vergingen etliche Wochen fruchtloser Nachforschungen, von denen jede einzelne die andre als Echo zurückwarf und die Suchenden immer tiefer in einen Irrgarten lockte, dessen Baumgruppen, Hügel und Pavillone sich zwar spielerisch öffneten, jedoch als Zauberwälder, als Gaurisankar und Sesam den Ausgang drohend umstellten und keinen Rückweg mehr duldeten. Jede Meinung stand allein und hatte sich verlaufen, es gab keine Einigung, nichts hatte Gültigkeit, und die Anteilnahme der Welt, welche anfangs sehr stark gewesen war, wie immer, wenn es sich um die Erschütterung einer Sphäre handelt, die den Grundstein der Erde auszumachen und unberührbar scheint, verlor sich allmählich wieder – um so mehr, als es kaum einen Menschen gab, der sich nicht mit eigenen Maßen bereits jene Sache erklärt und sie damit erledigt hätte. Überdies erschwerte die Ruhrbesatzung, der eherne Kordon und die Ausweisung vieler Beamten geregelte Nachforschungen; es verstrichen weitere Monate, wo man sie fast vergaß, um sie dann lau und zögernd von neuem aufzunehmen, bis schließlich andre Ereignisse kamen, welche größer erschienen als jenes:

Die magische Bannung des Geldes erschreckte das Leben der Menschen nicht weniger, als es 66 vorher sein reißender Absturz getan – und am Grund jener Talsohle aufschlagend, in welche die Zeit sie gerissen hatte, erkannten Viele erst, daß sie vernichtet waren. Was kümmert jedoch den Zerschmetterten noch sein eigener Totenführer? Er weiß nicht einmal, ob es ein Mensch oder nur ein Sturm, das Gefälle, ein losgetretener Stein oder alles zusammen war, was ihn entwurzelt hatte.

So kam es, daß der Name des Entschwundenen, welcher sich zuerst mit riesigen Buchstaben in die Gehirne eingebrannt hatte, wieder erlosch. Sein Werk ging auf andere über oder wurde Konzernen eingegliedert, deren Nutznießer anonym und daher um so mächtiger waren. Eine bloße Überschreibung genügte, um Rohrzucker, Baumwolle, Seide, einen anderen Weg zu leiten, und nicht die geringste Störung trat durch die Tatsache ein, daß Andere jetzt regierten, was der Kaufherr nur dem Marktwert nach und in der letzten Verwandlung, aber niemals mit seinen Sinnen und am mütterlichen Grunde, als Kern oder Blüte, besessen hatte.

Mit dem Schatten der Dinge handelnd, war er selber unbekannt, ja fast, was die Algebra eine Größe nennt, geworden; und wer ihn gesucht hatte, tat es, wie man Gleichungen aufzulösen oder aber den Wendepunkt der Kurve zu fassen gewohnt ist.

Doch je kälter die Meute vordrang, um den 67 Verschwundenen, wenn nicht zurückzugewinnen, so doch wenigstens einwandfrei als tot bewiesen zu haben, desto unklarer war die Rechnung geworden und ging an keiner Stelle, auch nicht andeutungsweise, auf. Mit unbegrenzten Mitteln und großen Gebärden betrieben, mußte notwendig schon von Anfang an jede Forschung dem möglichen Maß der menschlichen Wirkung entzogen, jede Spanne zu weit bemessen werden –

und während der Zirkel sich umschwang und aller Augen ihm folgten, vergaß man den magischen Punkt, wo die aufgesetzte Spitze still in sich selber kreiste und jene Stelle angab, wo der Kaufherr zu suchen war. Dort freilich kann weder von Anfang noch Ende gesprochen werden; sein Verschwinden geschah von jeher und war zugleich der Beginn seiner gültigen Gestalt, so daß jetzt nur zu erzählen bleibt, wie sein Dämon ihn fand und erfüllte . . .

 

Noch ehe die dunkle Schlange des lügnerischen Papiergelds sich in den Schwanz gebissen und aus Äskulaps rettendem Zeichen, auf welches man Hoffnung setzte, in die Todesrune verwandelt hatte, war ihr doppelzüngiges Haupt dem Verschwundenen erschienen und hatte sich an dem Heroldstab seines mächtigen Lebens emporgerankt.

Es war ungefähr drei Jahre her, gerechnet von 68 dem Tage seines plötzlichen Verschwindens an, und zwar gleichfalls um Fasching herum, daß man den Kaufherrn gebeten hatte, in eine Bar zu kommen, wo ein Holländer, der soeben aus Java zurückgekehrt und auf der Durchreise war, ihm seltene Ornamente, in Holzfächern eingeschnitzt, vorlegen wollte – denn gerade dieser Teil der angewandten Kunst, die fast schon wieder zwecklos und Spiel zu werden sich anschickt, wurde besonders von ihm geliebt, in Originalen, Kopien, Zeichnungen und Fotos gesammelt: Blattwerk romanischer Kirchenfenster, byzantinisches Mosaik, altgermanischer Farbenschmelz auf Schmuck und Schwertgehänge, chinesische Blütenbäume und exotische Krallenleiber – halb Liane, halb Reptil – kurz, alles, wovon er einmal einem alten Kunstfreund sagte: hier hebe sich die Erscheinung, indem sie, was bloß Ornament sei, zur Vollendung gesteigert habe, am deutlichsten wieder auf.

Bereit, eine große Summe zu opfern, wenn er fände, was er erwartete, hatte der Kaufherr holländische Staatspapiere mit sich genommen und die Begleitung seines Privatsekretärs abgelehnt, obwohl man ihm das Lokal, wo er erwartet wurde, als verdächtig bezeichnet hatte. Worin freilich eine Gefahr, oder wie man es nennen wollte, etwa bestehen könne, war nicht recht zu ergründen gewesen; es sei denn, daß 69 der Umstand, das uralte Kellergewölbe einer angesehenen Weinhandlung in eine Privatbar verwandelt zu wissen, die Honoratioren der Stadt zu wilden Vermutungen reizte.

Sie gehörte dem Sohn eines Großkaufmanns, einem harmlosen jungen Burschen, dessen Vater erst vor kurzem das Zeitliche gesegnet und seinem törichten Erben ein Vermögen hinterlassen hatte, das nur mühsam zu verschleudern, ja teilweise so fest angelegt war, daß der Junge noch immer den Zügel seines strengen Erzeugers fühlte und gegen den Stachel löckte, indem er sinnlose Pläne sich selbst zur Befriedigung aufwarf und sogar mitunter verwirklichte. Ein solcher war jene Bar, die ihm Gelegenheit gab, seinen wahren Beruf auszuüben: den eines Mixers nämlich, der als schüchterner Bankeleve nach England gekommen war, doch dort in ein andres Geheimnis von Mischungen, Stimulantien und verwegenen Bindungen eindrang. Umschmeichelt von Oberkellnern, die das Aussehen alter Lords, und von Lords, welche Kellnergesinnung und die Farbe schmachtender Mädchen hatten, war ihm das schale Zusammensein mit käuflichen jungen Männern nicht unbekannt geblieben, so daß er, nach Hause zurückgekehrt, nicht davon lassen konnte und sich mit Freunden umgab, die seiner Eitelkeit dienten, einer Schar von Müßiggängern, verdorbener als er selbst. 70 Um nicht in Verdacht zu geraten, beschlossen sie, sich den Anschein von Malern, Literaten und Musikern zu geben, luden hin und wieder die Öffentlichkeit zu ihren Soireen ein und pflegten vor allem die Maskenkunst, welche abzusterben drohte, da in der Notzeit des Landes jeder öffentliche Karneval, der Besetzung wegen, verboten war.

Auch an dem bewußten Abend, als der Kaufherr in jenen Kreis trat, empfing ihn Tanzmusik; ein kühler Farbenschauer verlorener Konfettis sank wirbelnd auf ihn nieder, und Papierschlangen streiften an ihm vorbei.

Schon in der Garderobe hatte jemand ihm eine Maske gereicht, dem hochmütig Lächelnden einen Domino übergeworfen – schwarzblau, mit weicher Kapuze, welche tief in die Stirne fiel – und einen Schellenstab in die linke Hand gedrückt, ein überaus zartes Gebilde mit reichem Bänderschmuck, wie es das Narrenvolk dem Karnevalsprinzen verleiht. So vermummt, war der Kaufherr eingetreten und hatte mit leichtem Erstaunen die Verwandlung wahrgenommen, die das Kellergewölbe erfahren hatte.

Was früher ein Lagerraum war, von säuerlichem Geruch erfüllt, weißgekalkt und ausgeschwefelt, hatte jede Gebundenheit an irgendeinen Zweck verloren und glich einer Zauberhöhle, die von sphärischen Bränden 71 durchfunkelt schien. Ein Leuchter an der Decke war in ständigem Kreisen begriffen und flammte bald rot, bald grün, bald apfelsinengelb auf; beschriftete Lichtreklame zog an den Wänden entlang oder rollte von schweren Pfeilern senkrecht zum Boden herunter.

Der Besitzer, als Mixer verkleidet, in vollkommen weißem Anzug, eine Tüte auf dem Kopf, saß mit unbewegtem Gesicht und mechanisch bedienenden Händen hinter dem Bartisch, wovor auf hohen Stühlen langbeinige Gestalten in modischen Frauenkleidern sich geziert in den Schultern drehten, bei jeder Bewegung kichernd und an der Larve rückend, als verberge sie Frauenaugen. Auf der Tanzfläche drehten sich langsam die ausschließlich männlichen Paare und wandten einander geschminkte Lippen zu, die töricht offen standen; die Transvestiten dagegen verfolgten ihre Figuren mit sachverständiger Aufmerksamkeit, taten grelle Zwischenrufe oder sangen die Schlager mit, die eine kleine Kapelle spielte – fünf, sechs Menschen mit Jazz-Instrumenten, die gerade anfingen aufzukommen und noch als lasterhaft, wenn nicht verboten galten.

Niemand schien sich um den Kaufherrn zu kümmern oder seine Anwesenheit bemerkt zu haben; ein Umstand, der für den Verwöhnten einen eigentümlichen Reiz besaß und ihn rascher in den Kreis zog, als er beabsichtigt hatte. 72 Er trat an den Bartisch heran, griff einem Transvestiten in den tiefen Rückenausschnitt und prüfte das Können des Mixers an einem besonders scharfen und kostbaren Getränk, das ihm augenblicklich verabreicht wurde. Indem er es an die Lippen setzte, fand er sich schon befriedigt und kostete, seine Lieblingsreihe der Regenbogenfarben rasch nacheinander durchprobend, den Grundgeschmack dieses Abends, während zahlreiche Masken näherrückten und von ihm zu lernen suchten.

Sein Schellenstab schlug zu und wies die Zudringlichen in ihre Grenzen zurück; dann ging der fremde Gast nach der Musik hinüber, ließ Scheine fallen, betrat, den erstaunten Dirigenten von seinem Platz verweisend, das leicht erhöhte Podium, befahl eine Ouvertüre und trieb die Musikanten mit erhobenem Narrenstock in den zuchtvollen Wirbel der Töne, in einen Blutrausch des Ohres, als zöge er sie und die Tänzer, welche wunderlich gekrümmt in der Bewegung verharrten, durch ein aufgetürmtes Meer; ging wieder in Foxtrott über, sprang herunter, gab die Führung an den Kapellmeister ab und drehte sich ohne Partner geheimnisvoll um sich selbst, wich geschmeidig zurück und drang vor.

Verwirrt hielt er endlich inne, als man ihm Beifall klatschte und suchte sich im Gedanken an den Holländer wiederzufinden; doch war er 73 unversehens schon Mittelpunkt geworden und führte, ob er wollte oder nicht, die Arabeske der Nacht durch ihren Schlummerteppich, verknüpfte den Zug der Gestalten und schoß wie mit blitzender Nadel, an den bunten Leuchtkörpern spielend, bald diese, bald jene Farbe hinein.

Zwei zuckende Reklametafeln, dem Büro des alten Herrn entnommen, erregten besonders stark seine schweifende Aufmerksamkeit. Die eine stellte das Bergwerksgeäder der westdeutschen Kohlenlager und ihre tägliche Ausfuhr nach fremden Ländern dar, wobei sprunghafte kleine Ziffern, welche Tonnen- und Goldgewicht der verfrachteten Ware boten, den dunkelroten Fluß der Lebensbahnen des Landes getreulich begleiteten; die andere ließ in senkrecht aufsteigenden Lichtröhren Erzeugung und Verbrauch der letzten Weinjahre sehen und schoß vom Boden her auf, als ob unterirdische Kräfte den Saft in die Kelter trieben – dann wuchs eine Zwillingsröhre bescheiden daneben hoch und blieb mit dem »Anno Domini« noch eine Weile stehen, wenn die erste schon wieder gesunken war.

Es gefiel dem Kaufherrn, sie umzuschalten, den Verbrauch vor die Produktion zu setzen und somit Ursache und Wirkung zu vertauschen, bis schließlich Kurzschluß entstand und die Anlage ganz erloschen war. Nun besann er 74 sich auf den Zweck dieses nächtlichen Besuches, als ob ihm das gleichnishafte und frevlerische Spiel die eigne Gestalt zurückgeschenkt und sein Hiersein erläutert habe; nahm den Domino enger zusammen und suchte nach dem Ausgang, um einen Diener zu fragen, ob Mynheer van H. gekommen sei.

Doch zeigte es sich, daß die Zugänge, welche in das Hauptgewölbe führten, aus koboldhafter Laune vollkommen gleich drapiert waren: einen schräg gestellten Spiegel am oberen Rande trugen und einen Glitzervorhang aus Bambusstäbchen hatten, die in Glasperlen endigten, bequemen Durchgang gestattend, um gleich darauf wieder zusammenzufallen und das Bemühen des Kaufherrn schadenfroh zu beklingeln.

In den matt erleuchteten Seitenpfaden saßen zärtlich umschlungene Paare auf schmalen Heizungsrohren und wandten gespensterhaft ihre dunklen Larven her oder winkten ihm fürchterlich zu, ihrem Liebesspiel näherzukommen. Er wandte sich angeekelt, schob mit dem Schellenstab das Vorhanggeäste zurück und wollte, den Blick auf die Bar gerichtet, sein Gedächtnis wiederfinden –

doch auch dieser Versuch mißglückte, denn was er für fest gehalten hatte, war inzwischen weitergerollt: Tische, Kredenz und Stühle, auf Gummirädern gleitend, hatten ihren Standort 75 gewechselt und sich in einzelne Teile aufgelöst, in ebensoviele kleinere Bars, wo jeder Gast sich selbst nach eignem Belieben mischte.

Der Kaufherr glaubte berauscht zu sein und war schon einverstanden, in dem Strudel der Farben, Formen und Töne aufzugehen, als er hinter sich einen Zug von treuen Vasallen bemerkte, die ihm rattengleich gefolgt sein mußten und zu erraten schienen, wer sich unter der Maske verbarg, ja den Fortgang der Polonaise des wunderlichen Abends von ihm erwarteten.

Merkwürdig aufgemuntert, beschloß er, sie anzuführen und schlang die flatternde Reihe zwischen Hockern, Musikinstrumenten und Papierrosetten hindurch – – bis sich plötzlich ein Bambusvorhang so melodisch klingend teilte, als fiele tönender Regen von oben bis unten herab, und der Kaufherr sich selbst gegenüberstand.

Sein Heroldstab rückte empor, der andere ebenfalls, und beide kamen jetzt mit zitterndem Geläute sehr rasch aufeinander zu, schwebten endlich, sich berührend, wie hochgebäumte Schlangen im Liebestanz nebeneinander und bildeten den Caduceus des zwitternden Merkur; dann brach die andre Gestalt stöhnend zur Erde nieder, zuckte schrecklich auf und lag still.

Entsetzt schrieen alle nach Wasser; man riß 76 dem Vermummten die Larve ab und befreite ihn von dem Kostüm – es war der Holländer, der soeben angekommen und auf gleiche Weise maskiert worden war: einen schwarzblauen Domino und jenen Schellenstab trug, den man Gästen zu reichen pflegte. Ob ihn der furchtbare Schrecken, einen Doppelgänger zu sehen, oder andere Schickung hinweggerafft hatte, war nicht mehr zu erfahren; auch fragte jetzt Keiner darnach, sondern alle suchten sich voll Eile zu entfernen, so daß schließlich der Sohn des Hauses mit dem Kaufherrn allein zurückblieb.

Sie legten den Toten behutsam auf ein breites Ruhebett, und während sich der Junge in dem weißen Mixeranzug zitternd vornüberbeugte, bemerkte der Kaufherr verwundert, daß die Tüte auf seinem Scheitel angeklebt und unbeweglich war. Er knöpfte den Smoking des Holländers auf und nahm mit Überwindung eine schwarze Brieftasche heraus, um festzustellen, wo der Fremde abgestiegen und wo er beheimatet wäre. Doch zeigten sich keinerlei Anhaltspunkte, obwohl alle Fächer prall mit abgerissenen Schiffs- und Eisenbahnkarten angefüllt waren. Schließlich trennte er ein Futterteil aus, das sich gewölbt und knisternd von der Brust des Toten abhob, zog ein Aktenbündel hervor und schlug die bedruckten Seiten um. Hier schien die Lösung des Rätsels 77 endlich gefunden zu sein: französisch und deutsch geschrieben, enthielt es über Waffenlager, geheime Rekrutierung und dunkle Putschprogramme der »Baltikumer« Genannten genaue Aufzeichnungen . . .

Der arme junge Mensch, unversehens in solche Händel geraten, entsetzte sich davor und flehte den Kaufherrn an, ihn zu retten und ihm beizustehen. Sie kamen überein, ihren seltsamen Fund zu verschweigen, den Holländer als einen Unbekannten, der sich hier eingedrängt habe, auszugeben und die Freunde anzuweisen, von einem Herzschlag zu reden.

Hierauf nahm der Kaufherr die Akten an sich, durchsuchte noch einmal sorgfältig alle Taschen des Toten und fand auf ihrem Grund eine flaumige braune Feder, die weiß gesprenkelt war. Er blies zerstreut dagegen und hielt sie an den Mund und die Nase des stillen Mannes, wie Einer bei plötzlich Verunglückten tut. Dann zog er sie wieder zurück, verbarg sie in einem Stück Seidenpapier, das er vom Boden auflas, legte jetzt erst Maske und Domino ab, ließ sich nach oben begleiten und verabschiedete sich höflich von dem blassen jungen Mixer, der ihn trotz wiederholter Bitten fortan nicht wiedersah.

In seinem Arbeitszimmer gab sich der Kaufherr aufs neue an die Betrachtung der Akten und hob, die er gesucht und schon gefühlt 78 haben mußte, als er zum erstenmal darin geblättert hatte: sehr schöne, unendlich zarte und sparsam verzierte Fächerformen ans Licht.

Das Holz, so dünn, daß es durchsichtig war, erinnerte ihn an Papier, an den geäderten Grund von wertvollen Banknoten, die aber unbeziffert und am Rande ornamentiert waren – dergestalt, daß sie den Eindruck unendlicher Tiefe machten, einer wunderbaren Leere, die spiralig in einen Trichter, der bodenlos sein mußte, führten . . .

Wie ein Zecher, der zunächst nur den Duft des Weines kostet, verweilte der Kaufherr genießerisch bei dem Anblick der kostbaren Fläche, die leise zu atmen schien, und wandte sich erst dann der Betrachtung des Randes zu, wo schwach erhöhte Verzierung die natürliche Maserung mit festen Formen begrenzte. Je mehr sich der Kaufherr vertiefte, desto deutlicher traten Teile von kämpfenden Tieren hervor: Leopardenfüße, die zornig auf dem spitzen Leibesende gekrümmter Reptilien standen, Elefantenrüssel und Tatzen, die sich festgeklammert hatten, kurzum das Arsenal der abgelösten Waffen, die noch im Todeskampf, wenn schon die Häupter verzuckt und unbeweglich waren, erbittert und sinnlos rangen. Jetzt hatten sie Bewegung – doch rückten sie weiter vom Auge ab, 79 so ging, was eben erst Bestie war, ins Pflanzenhafte über, in den Kreislauf der Natur und des unbarmherzigen Lebens, das gebar und vernichtete, erhaben, sich selbst genug und schon wieder aufgehoben, wenn es ganz in Erscheinung trat.

Der Kaufherr lächelte, barg den Schatz in einem Tresor und notierte Zahlen und Zeichen, die er ausstrich, wieder anschrieb und seinem Sekretär zur Weiterbesorgung gab. Als der Kapp-Putsch bald danach ausbrach, und der Marktkurs zu bröckeln begann, erwies es sich, daß der Kaufherr schon lange gerüstet war, ja in das Bereich des Staates die unterirdischen Stollen seines Wissens vorgetrieben und sich dadurch der Kräfte bemächtigt hatte, die zum Antrieb der Katastrophe wurden, die wir schaudernd miterlebt haben:

Wie die Erdoberfläche nichtig wird, wenn sich das glühende Magma im Innern zusammenzieht, gewannen, umgekehrt, die festen Bodenschätze immer mehr an Bedeutung und Wert, je höher die Berge Papiergelds wurden, die ihnen so entsprachen, wie die steigende Feuersäule der fürchterlichen Gewalt, die sie nach oben hebt. Eine dunkle, vulkanische Landschaft mit riesigen goldenen Früchten, die innen voll Asche waren, stieg aus salziger Flut empor, und neben dem ersten und größten Krater schossen kleinere Geschwister auf, die 80 gleichfalls Papiergeld spieen, sich teilten und wieder teilten, bis endlich fast jede Stadt in der eigenen Lava saß. Doch unter dieser Masse – wie unter dem Humusboden des zerfallenden alten Laubs – fing das Leben wie rasend zu wimmeln an; wie blinde Engerlinge und fahle, saftige Keime kam die Lust alles Fleisches ans Licht, und die schamlosen Masken des Künftigen, an sich dem Tode geweiht, traten frech mit dem Anspruch hervor, ein Bleibendes darzustellen. Ob sie das Ungeheuer der großen Inflation als Lava oder Lawine, Flut oder Staubregen fühlten – die dumpfen Gestalten der Zeit, die sich verwandelte, verlangten nach ihrem Fasching und glaubten sich selbst zu betäuben, indessen die Metamorphose schon ihr weichendes Dasein befiel; nach ihrem Karnevalsprinzen, der mitten unter ihnen, in dem Hohlraum ihrer Freude stand und den Zug der weißen Mäuse, die aus dem letzten Loch ihrer bröckelnden Habe pfiffen, in den Bauch des Todes führte.

Daß der Kaufherr dem eignen Gewinn, daß er höheren Zwecken diente, kann beides nicht mehr bewiesen werden, doch schenkte ihm seine Gottheit die Freude an dem Spiel, das wie jedes andere seinen Sinn in sich selber fand; und zwischen Mars und Venus, den Göttern des lustvollen Mordes und der enttäuschenden Liebe, tat Merkur mit Lust und Liebe, was die 81 Banken zum Erbeben brachte und das Zünglein an der Waage in ewigem Zittern hielt; ein Totenrichter der Zeit, belud er bald die eine, bald wieder die andere Schale – wenn es die Zeit nicht selber war, die für ihn handelte, nachdem er die hemmende Feder aus dem Uhrwerk der Wirtschaft herausgenommen und das Umlaufgeld dadurch entwertet hatte.

Dem listigsten aller Diebe war es unvermerkt gelungen, den Menschen die Zeit zu stehlen und ihren Raum zu erschüttern, in welchem das Dasein der Dinge dahinfiel vor ihrer Bestimmung: aufeinander bezogen zu sein. Nichts galt mehr für sich allein, sondern nur im Hinblick auf Anderes, und dieses ebenso; in dem Kartenhaus des Lebens, aus windigen Banknoten und Möglichkeiten gebildet, verschob sich der Standort der Dinge je nach der Blätterlage, bis schließlich. alles schon Aufbruch war, bevor es verweilen durfte.

Allmählich erfuhr der Kaufherr auf wunderliche Art, wo etwas brüchig wurde, sich auflöste, alterte und im Nahen der Katastrophe grimmassierend das Antlitz verzog. Er entsann sich aus seiner Knabenzeit, wie er bei Ballspielen wußte, wem der Flüchtige zugeworfen und bei den Abschlagkämpfen, wen es als Nächsten treffen und überrumpeln würde; aus seinen Jünglingsjahren, daß er, die Bahn besteigend, genau vorhersagen konnte, wer 82 sie als Erster verlassen müsse, um seinen Platz freizugeben. Eine grausame Neugierde trieb ihn, jetzt Ähnliches zu versuchen: er notierte die Valuta um viele Stunden voraus und las die Fieberkurve der Börse wie ein Arzt, dem sich in tiefer Einschau die vollendete Linie vor Augen stellt, ja manchmal schien es fast, als ob sein Silberstift sie erst zu Ende zöge. Ein Bankhaus brach zusammen, und man erinnerte sich, daß sein Konto erloschen war; Konzerne lösten sich auf, kurz nachdem er sich zurückzog, so daß bald überall, wo sich die Flügelsohlen entweder niederließen oder abzustoßen drohten, eine rauschende Panik entstand – um so mehr, als es Keinem glückte, sein Vorgehen nachzuahmen und Mancher, der es versuchte, sich plötzlich gezwungen sah, den eigenen Entschlüssen, die ihn allzu rasch entführt und ins Ungewisse getragen hatten, eine Kugel nachzujagen, die schneller war als sie.

Dann schickte der Kaufherr Blumen, betrat die Häuser der Toten, die sich durch seinen Besuch geehrt zu fühlen schienen und ihm auf hohen Kissen entgegenlächelten, nahm die weißgesprenkelte Feder heraus und hielt sie an Mund und Nase der plötzlich Verblichenen; auch liebte er es häufig, ein Skizzenbuch aufzuschlagen und das Gesicht seiner Freunde mit sparsamen Strichen festzuhalten, wobei 83 Verwandte und Dienerschaft ihn voll Rührung betrachteten . . . Nach Hause zurückgekehrt, radierte er den Umriß des Menschlichen wieder fort und ließ nur, worauf es ihm ankam: eine wunderliche Linie oder seltsam vertiefte Schatten stehen, die er in Blattornamente oder tierische Teile verwandelte, indem er sie als Gerippe sehr großgelappter Pflanzen, als Geweihe, Hörner, Adern, Gezüngel und Flossen ansah. Vollendetes fügte er oft in seine Sammlung ein, verbrannte es auch manchmal mit festeren Stoffen zusammen und sah lange in den Rauch.

Bald genügte es ihm nicht mehr, die seltener werdenden Opfer in den Häusern der Reichen zu sehen – er suchte Kleinrentner auf, die mit dem Gasschlauch im Munde getrost gegangen waren und brachte Veilchensträuße für die verborgen und still Hinweggestorbenen mit; stellte Geldmittel zur Verfügung und wurde, während er noch, was schwankte, ringsum anstieß, in wirtschaftliche Verbände gewählt; zu Geheimsitzungen, Diplomatenmählern und paneuropäischen Rettungsaktionen wiederholt herangezogen; tauchte bald in Paris, bald in London, in Genf und Genua auf; vervielfältigte seine Erscheinung; hatte Nachahmer und Vasallen, Feinde, Bewunderer und einen Tierpark von Hunden, Schakalen und Hyänen, die ihm den Speichel leckten und den Abfall seiner Erfolge gemein und gierig durchwühlten. 84

So war sein Name Symbol für das Geld an sich geworden, eine Zauberformel gleichsam, die über den Acheron der tödlichen Trübsal hin zu den plutonischen Hallen des ewigen Reichtums führte, zu dem goldenen Kalb, das fröhlich auf Asphodeloswiesen von ihm geweidet wurde . . .

Da geschah es, daß eines Tages ein alter Sonderling starb, der sich unverständlicherweise mit dem Kaufherrn versippt und verschwägert fühlte. Vor Jahren ein reicher Junggeselle, der Katzen und Hunde hielt, weil das Menschenpack ihn enttäuschte, sah er jetzt erbittert, doch still, sein Vermögen zusammenschmelzen und vergnügte sich grimmig damit, dem Vergänglichen seltsame Formen und Zwecke zu verleihen, so wie man den Schneemann aufputzt, der morgen dahin sein wird: kaufte Kaviar für seine Tiere und legte geladenen Gästen überzuckerte Scheiben von Hundekuchen auf Sèvre-Porzellan vor, das er unter die verteilte, welche gute Miene zum bösen Spiel und den schüchternen Versuch einer unbefangenen Haltung machten. Als nichts mehr zu verschenken, zu verkaufen und zu verschleudern war, gab er den Tieren Gift, setzte testamentarisch den Kaufherrn zu seinem Erben ein, nahm den Rest in der Pulverschachtel, quälte sich kurz und verschied.

Obwohl der Bedachte nur Spott aus dieser 85 Verfügung lesen und sich billigerweise sagen mußte, daß die Erbschaft in alten Scherben und Schulden bestehen werde, zwang die ihn beherrschende Leichenliebe seine Schritte dennoch zum Totenhaus hin, wo der Notar ihn erwartete und eine dicke Frau gerade damit beschäftigt war, die geschnitzte Blumengirlande, welche rings um den Eichensarg lief, mit dem Wedel abzustauben.

Der Kaufherr trat hinzu, schlug sein Jakett zurück und holte mit zwei Fingern die braune Feder hervor, blies die Grannen sorgfältig auf und beugte sich über den Alten, dessen Schläfen hier und dort schon dunkel angefleckt waren, als habe die Hand des Todes sich durchdringender aufgesetzt und ihm mitzukommen befohlen. Die Lider schlossen nicht ganz, und auch der dürre Mund klaffte widerlich auseinander und ließ zwischen Zähnen und Zunge etwas merkwürdig Blitzendes sehen.

Der Kaufherr zuckte empor, bog sich dann wieder nach vorne, und indem er mit seinem Daumen den erstarrten Kiefer herunterzudrücken und mit dem Zeigefinger die Zunge zu heben versuchte, griff die andere Hand hinein und holte zwischen den Nagelspitzen jenes Glänzende hervor, das wie ein steckengebliebener Witz sich dort höhnisch festgeklemmt hatte.

Es war ein Vorkriegsdukaten, einst zwanzig Mark unter Brüdern, nun aber ein Vielfaches 86 wert, und indem ihn der Kaufherr betrachtete, scholl die Stimme des Notars wie ein Bänkelsängerlied an sein erschrockenes Ohr:

»Der Tote läßt Sie bitten, diesen Obolus zu halbieren und ihn dafür mit Anstand in die unteren Räume zu führen; denn er kommt mit dem letzten Schneiderfrack und allen seinen Tieren.

Damit dem Herrn kein Schaden durch ihn entstehen sollte, bezahlt er den Eintritt in jenes Lokal mit wertbeständigem Golde.«

Der Notar meckerte kurz und trocken, bat den Kaufherrn um Verzeihung, daß er im Auftrag des Toten einen bösen Scherz gewagt habe, und erläuterte ihm die Aufstellung der wenigen Gegenstände, die als Erbschaft in Frage kamen. Hierauf bedeckte er sich mit dem Zylinder, griff der Scheuerfrau unter die Achsel und führte sie mit sich fort.

Der Kaufherr sah, daß es nötig war, noch eine Blattecke abzustauben; er griff nach dem Wedel, wischte und legte etwas bloß, das ihm vorkam wie ein Mäuseohr . . .

 

Als die deutsche Inflation auf ihrem Höhepunkt war, verschwand eines Tages ein Kaufherr, geheimer Lenker von Banken, von Trusts und Syndikaten auf rätselhafte Art, und seine Spuren vergingen, durch Nachforschungen erweitert, wie Kreise auf einer Wasserfläche, 87 welche größer und heller werden. Es wollen ihn später Einige in Kanada als Leichenwäscher gesehen haben – doch weil bereits alles verteilt war und seine Rückkehr nur störend empfunden worden wäre, ging niemand dieser Behauptung nach.

Nur ein entfernter Verwandter, der aus der Art geschlagen war, ein Sensationsblatt gegründet und den Sekretär des Vermißten in dem Zimmer der Schriftleitung aufgestellt hatte, griff noch einmal nach dem Fach, wo ein Fieberthermometer, ein Entwurf zu einer Reklame und die Aufzeichnung eines Traumes lagen – also jene Gegenstände, die der Kaufherr mit großer Wahrscheinlichkeit zuletzt in den Händen gehalten und zurückgelassen hatte.

»Ich stand vor einem Spiegel und sah mich jünger werden«, begann die Traumerzählung, »ging hindurch und erblickte mich in kleinerer Gestalt, durchschritt auch den zweiten Spiegel und dann noch einen dahinter, stürzte weiter, fiel, ward ein Knabe und verfolgte dieses Kind, das immer wieder gespiegelt wurde, versuchte, es festzuhalten, lief und entschwand mir selbst«.

Auf dem zweiten Blatt war ein Herr zu sehen, der eine Sektkarte aufschlug, die auf der ersten Seite genau die gleiche Figur in der nämlichen Stellung wies: jenen Herrn, um 88 die Hälfte verkleinert, der eine Sektkarte aufschlug, die auf der ersten Seite nun wieder den Herrn enthielt, so daß also jede Figur sich in der nächsten verjüngte, von ihr zurückgeworfen, entthront und bestätigt wurde und der Staunende eine Lupe nahm, um besser verfolgen zu können, wie weit dieses scharf gestochene und sinnlose Spiel noch ginge – dabei stützte er leicht den linken Arm auf das Fieberthermometer; es gab einen kurzen Knall – – Quecksilber rollte aus . . . .

 


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