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Das neue Mårbacka

Die siebzehn Katzen

In den letzten Jahren des Regimentsschreibers war eine Stallmagd auf dem Hofe, die Britta Lambert hieß. Sie war klein und häßlich, braun wie Leder im Gesicht und hatte nur ein Auge. Sie war herb und sauer mit anderen Menschen, aber eine vorzügliche Stallmagd, denn sie liebte das Vieh. Wenn sie glaubte, eine Kuh werde zur Nachtzeit kalben, schlug sie ihr Bett im Stall auf und schlief dort. Jeden Tag wärmte sie Wasser im Brauhaus und schleppte es in großen Eimern in den Kuhstall, damit die Kühe den Häcksel warm bekämen; und wenn das Viehfutter im Laufe des April zur Neige ging und die Kühe anfangen mußten, Roggenstroh zu fressen, verschmähte sie nicht, in den Pferdestall zu schleichen und den Gäulen von ihrem Heu zu stehlen.

Der Viehstall, den sie unter sich hatte, war alt und so dunkel, daß man beim Eintritt kaum die Hand vor dem Auge sah. Die Gänge waren schmal und hatten viele Löcher im Boden; die Kühe standen in kleinen engen Ständen, und mit ihrer Reinlichkeit nahm es Britta Lambert keineswegs genau. Aber es gedieh immer alles in dem alten Stall. Nie hörte man von einer Kuh, die sich überfressen hätte oder ans Schilfrohr geraten wäre oder schwer gekalbt hätte. Immer gab es viel Milch und viele Kälber, die Hausfrau auf Mårbacka brauchte sich nie um den Viehstall zu kümmern oder zu sorgen.

Aber eine Tiergattung liebte Britta Lambert noch mehr als Kühe, und das waren Katzen. Sie schien zu glauben, diese Tiere hätten eine gewisse Macht, sie selber und das Vieh zu beschützen, und das schlimmste, das man ihr antun konnte, war der Befehl, ab und zu ein junges Kätzchen zu ertränken, als hätte sie nicht genug Katzen und Kühe zum Versorgen bekommen können. Wenn man in den Stall kam, so sah man auf allen Seiten grüne Katzenaugen aus der Dunkelheit hervorleuchten. Katzen sprangen einem zwischen die Füße, ja einige sprangen einem sogar mit kühnem Satz auf die Schulter, denn dazu hatte Britta Lambert sie abgerichtet.

Als Leutnant Lagerlöf nach seinem Vater das Regiment auf Mårbacka übernahm, befanden sich im Kuhstall nicht weniger als siebzehn Katzen. Alle waren rot gestreift, keine einzige war weiß, keine schwarz und keine grau, denn Britta glaubte felsenfest, nur allein die rotgestreiften brächten Glück.

Nun war ja Leutnant Lagerlöf gewiß ein Tierfreund und er hatte auch keinerlei Widerwillen gegen Katzen; aber siebzehn Katzen in seinem Kuhstall zu füttern und zu beherbergen, das schien ihm doch des Guten etwas zu viel. Sie tranken ja eine solche Menge Milch, daß sie gut für drei Kälber gereicht hätte. Freilich, auf Ratten und Mäuse machten sie gute Jagd, aber sie machten auch gute Jagd auf Vögelchen, und auf Mårbacka war kaum noch ein Sperling zu finden.

Nun ist es allerdings kein besonderer Spaß, Katzen umbringen zu müssen, und damit weder Britta Lambert noch die andern weiblichen Dienstboten auf dem Hofe sich darüber aufregen sollten, sagte der Leutnant kein Wort von seinen Absichten. Er gab nur dem früheren Stallknecht Klein-Bengt, der noch auf dem Hofe wohnte und sich bald mit diesem, bald mit jenem in den Haaren lag, einen kleinen Wink.

Von diesem Tag an begannen die Stallkatzen auf höchst merkwürdige Weise zu verschwinden. Nicht rasch, o nein, nur ganz nach und nach. Britta Lambert kam es vor, als bekäme sie eine nach der andern, und zwar gerade solche, auf die sie den meisten Wert legte, nicht mehr zu Gesicht; aber es war nicht leicht für sie, das mit Sicherheit zu behaupten, denn die Katzen waren sich viel zu ähnlich in Farbe und Zeichnung. Britta versuchte nun, die Katzen zu zählen, wenn sie kamen, um Milch zu trinken; aber dies war auch keine so einfache Sache, denn sie liefen durcheinander um die Milchschüssel herum, auch herrschte fast kohlrabenschwarze Nacht im Stalle.

Sie klagte ihr Leid sowohl der alten Haushälterin als auch der jungen Herrin.

»Es ist mir ja nur Ihretwegen angst und bange, denn wenn die roten Katzen verschwinden, so verschwindet auch das Glück aus dem Stalle«, sagte sie. »Das ist keine gute Regierung, die damit anfängt, undankbar gegen die zu sein, die uns bis jetzt geholfen haben.«

Aber sowohl Frau Lagerlöf als auch die Haushälterin beteuerten, sie hätten ganz gewiß nichts Böses gegen die Katzen unternommen, und sie glaubten bestimmt, Britta werde bald wieder alle ihre siebzehn Lieblinge beisammen haben.

Aber Britta merkte nur zu gut, daß die Katzen weniger und weniger wurden. Sie hatte bald diesen, bald jenen im Verdacht, doch niemand bekannte sich schuldig. Der einzige, dem sie nie etwas so Frevelhaftes zutrauen konnte wie ein Attentat auf ihre Katzen, das war der Leutnant. Sie wußte, daß ihm von seiner Mutter etwas Besseres gelehrt worden war.

»Das nimmt kein gutes Ende, Herr Leutnant«, sagte sie zu ihm, so oft er in den Stall kam. »Die Katzen gehen von mir fort. Ich kann gar nicht sagen, wie mich das schmerzt.«

»Mir aber kommt es vor, als ob sie mir noch geradeso vor den Füßen herumsprängen wie immer«, entgegnete der Leutnant.

»Wenn es noch dreizehn sind, will das viel heißen«, erwiderte die Magd. »Ich möchte nicht in dessen Haut stecken, der sie auf dem Gewissen hat. Und das schlimmste ist, daß ganz gewiß der Hof darunter leiden wird.«

Nun war Leutnant Lagerlöf damals ein junger kräftiger Mann und ein eifriger Landwirt. Er hatte große Pläne mit Mårbacka vor. Der Hof war zwar nicht besonders groß, aber er hatte guten Boden, das wußte Leutnant Lagerlöf, und die Äcker lagen nebeneinander eben und steinfrei da. Seine Schuld sollte es also nicht sein, wenn sein Hof nicht einer der hervorragendsten im ganzen Frykental wurde.

Er hatte auch Geld, mit dem er sich regen konnte, denn sein Schwiegervater, der Grubenbesitzer Wallroth in Filipstadt war ein vermögender Mann. Es freute ihn, daß sein Schwiegersohn so tüchtig und strebsam war, und so unterstützte er ihn in allen seinen Bestrebungen.

Der Leutnant gab sich also alle Mühe, auf seinem Hofe eine richtige Wechselwirtschaft einzuführen. Er grub klaftertiefe Deiche und baute Klee und Timotheegras auf die Triften, damit diese in Zukunft nicht nur Wiesenblumen trügen. Er kaufte eine Dreschmaschine, so daß man nicht mehr den ganzen Winter in der Scheune zu stehen und mit dem Dreschflegel dreinzuschlagen brauchte. Er verschaffte sich auch eine große Viehsorte aus den Herrenhöfen unten bei Näset, ließ die Kühe nicht mehr in den Wald laufen und vom Frühjahr bis zum Herbst Hunger leiden, sondern gab ihnen eine gute Weide auf offenem Feld.

Alles, was er nur ausfindig machen konnte, den Hof emporzubringen, setzte Leutnant Lagerlöf in Gang. Er stand in steten Unterhandlungen mit den Bauern auf der westlichen Talseite, um ihnen Land abzukaufen und so sein Eigentum zu arrondieren. Er baute und sorgte für seine Arbeiter, damit sie ordentliche Wohnhäuser mit Nebengebäuden und einem Stück Land dazu bekamen, und auch eine Kuh und ein Schwein halten konnten.

Und er schaffte auch nicht vergebens. Nach wenigen Jahren gab der Hof alles zurück, was er hineingesteckt hatte. Schon nach kurzer Zeit wußte Leutnant Lagerlöf nicht mehr, wo er den Winter über all sein Heu unterbringen sollte. Als er Erbsen baute, erntete er zwanzig Tonnen statt der einen, die er ausgesät hatte, und als er Rüben steckte, kam ein solcher Gottessegen aus dem Erdboden heraus, daß seine eigenen Leute nicht ausreichten, ihn zu bergen und er den Nachbarn sagen lassen mußte, sie sollten mit Pferd und Wagen kommen und sich so viel Rüben holen, wie sie unterbringen könnten.

Aber etwas stand ihm bei der Arbeit für die Verbesserung seines Hofes doch sehr im Wege: das war das Flüßchen Ämt, das in vielen schönen Windungen und Kehren in den Talgrund hinabfloß, wo die Äcker des Leutnants lagen. Für gewöhnlich war dieser Fluß nicht größer als ein Waldbach, aber nach jedem starken Regenguß trat er über seine Ufer und verwandelte die Kleeäcker und Haferfelder in kleine Seen.

Der Leutnant gönnte sich keine Ruhe, bevor er nicht mit dem Flüßchen fertig geworden war. So weit es durch sein Eigentum lief, grub er ihm ein gerades und tiefes Bett, in dem es nun ruhig dahinfloß. Aber an diesem Vorgehen erlebte er nicht viel Freude. Die Bauern, die unterhalb Mårbackas saßen, ließen den Fluß auch ferner in dem alten gewundenen und seichten Bette fließen, in dem das Wasser kaum in Bewegung kam, und wenn es stark geregnet hatte, stieg er unentwegt über seine Ufer, bei dem Leutnant so gut wie bei den Bauern.

Aber dieser Zustand war dem Leutnant geradezu unerträglich. Was hatte denn alles Arbeiten für einen Wert, wenn der Ämt jeden Augenblick seinen Heuschober und seine Roggengarben fortschwemmen konnte? Nein, ehe er nicht Herr über den Fluß geworden war, konnte er sein Eigentum unmöglich auf die erstrebte Höhe bringen, das war dem Leutnant vollständig klar.

Er redete mit den Nachbarn, und diese schienen einer ordentlichen Ausgrabung des Flußbettes nicht abgeneigt. Ein Landmesser wurde zugezogen, der Zeichnung und Kostenanschlag machte, und als alles fertig vorbereitet war, wurden alle, die an der Sache beteiligt waren, zu einer Abstimmung aufs Rathaus berufen.

Viele Hindernisse und Bedenken waren zu überwinden gewesen, ehe die Angelegenheit so weit gediehen war, und an dem Morgen, als der Leutnant zur Abstimmung fuhr, war er von Herzen froh, denn nun schien die Hauptarbeit getan.

Aber siehe, als er sich in den Wagen setzte, hockte eine der roten Stallkatzen mitten auf dem Sitz und starrte ihn schweigend an.

Das war nun nichts Merkwürdiges, denn alle die Stallkatzen fuhren für ihr Leben gern in einem Wagen. Britta Lambert pflegte sie von klein auf in ihre Schubkarre zu setzen und sie zu schieben; auf diese Weise waren die roten Katzen geradeso aufs Fahren erpicht wie alle kleinen Kinder, und so sprangen sie ohne weiteres auf alle Arbeitswagen hinauf. Aber in die herrschaftlichen Wagen hatten sie sich doch noch nie gewagt.

»So so, du willst auch mit zur Abstimmung«, sagte der Leutnant zu der Katze und warf sie aus dem Wagen hinaus. Sie geruhte auch, sich zu entfernen, aber vorher warf sie dem Leutnant noch einen Blick zu, einen sehr klugen, boshaften Blick, bei dem ihm ganz unbehaglich zumute ward.

Ehe der Leutnant auf die Straße kam, mußte er durch drei Gattertore fahren, und an jenem Morgen saß auf jedem Türpfosten eine der rotgestreiften Katzen. Auch das war nichts besonders Merkwürdiges, denn die Katzen saßen mit Vorliebe auf den Pfosten, um sich zu sonnen und auf alles, was sich unten auf der Wiese bewegte, aufzupassen. Aber der Leutnant hatte das Gefühl, als hätten alle Katzen an diesem Tage ein ganz besonderes Aussehen. Sie blickten ihn so höhnisch und boshaft an, als ob sie besser als er selbst wüßten, wie seine Reise ablaufen würde. Er fing fast an zu glauben, Britta Lambert habe recht, und es seien Zwerge und Kobolde, die Katzengestalt angenommen hätten.

Es gilt ja nicht als gutes Zeichen, so vielen Katzen zu begegnen, wenn man eine Reise antritt, aber der Leutnant spuckte dreimal vor jeder Katze aus, wie seine Mutter ihn gelehrt hatte, und dann dachte er während der Fahrt nicht mehr an die rotgestreiften Tiere. Er überlegte noch einmal den Plan der Ausgrabung des Flusses und die Art, wie er ihn darlegen wollte, damit er allen recht deutlich und einleuchtend vorkäme.

Als er in die Ratsstube trat, mußte er indes unwillkürlich an die Katzen denken. Denn dort schlug ihm eine Atmosphäre von Bedenklichkeit und Vorsicht entgegen. Alle Bauern saßen mit unbeweglichen, gleichsam verschlossenen Gesichtern da.

Nun wurde er mißtrauisch: die hier saßen, waren wohl anderen Sinnes geworden – und so war es auch. Alle seine Vorstellungen wurden zurückgewiesen.

»O ja, diese Ausgrabungen würden recht nützlich für Mårbacka sein, das verstehen wir sehr gut,« sagten sie, »aber uns ist das ganz gleichgültig.«

Eine andre Antwort war nicht aus ihnen herauszubringen.

Als Leutnant Lagerlöf von der Abstimmung zurückkehrte, war er ganz mutlos. Nun war diese Sache für lange Zeit abgetan, und der Fluß konnte weiterhin sein Unwesen treiben. Wenn eine fremde Viehherde auf seine Felder kam, so konnte er sie hinausjagen, aber das Flußwasser sollte die Freiheit haben, ihn zu schädigen und sein Eigentum zu zerstören!

Wie er so dasaß und über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen grübelte, fuhr er plötzlich in die Höhe und ging in die Gesindestube zu Klein-Bengt.

»Ich habe das mit dem Fluß nicht durchgesetzt, Bengt«, sagte er.

»Das ist schade, Herr Leutnant«, entgegnete der Alte. »Der Herr Regimentsschreiber sagte immer, der Hof wäre doppelt so viel wert, wenn man Herr über den Ämt würde.«

»Hör' mal Bengt«, sagte der Leutnant, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, »jetzt sind gewiß nicht mehr viele Katzen im Stall übrig. Es wäre vielleicht am besten, wir ließen Britta die behalten, die noch da sind.«

»Wie der Herr Leutnant befehlen«, erwiderte Klein-Bengt.

Der Leutnant dämpfte seine Stimme noch mehr, wie wenn er fürchtete, die alten Wände der Gesindestube könnten hören, was er sagte.

»Wo hast du sie denn immer ertränkt, Bengt?«

»Ich bin mit ihnen an den Fluß«, antwortete Klein-Bengt, »denn ich hatte Angst, sie könnten wieder an die Oberfläche kommen und gesehen werden, wenn ich sie hier im Ententeich ersäufte.«

»Soso, im Fluß«, sagte der Leutnant, »ja, das hab' ich mir gedacht.« Er überlegte eine gute Weile, dann brach er in die Worte aus: »Ja ja, es gibt viel Sonderbares auf der Welt!«

»Ei freilich, das ist sicher, Herr Leutnant«, stimmte der Alte bei.

Solange er lebte, mußte Leutnant Lagerlöf dulden, daß der Fluß mit seinen schönen Feldern umsprang, wie es ihm behagte. Jedes Jahr mußte der Herr von Mårbacka zusehen, wie das Wasser über die Ufer stieg und sich in einer Reihe von Seen von Mårbacka aus durch das ganze Tal hinunter ausbreitete.

Und so oft der Leutnant dies sah, fing er an, von den roten Katzen zu reden, die auf den Türpfosten gesessen hatten, als er zur Abstimmung fahren wollte. Wäre es möglich, daß sie wußten, wie es ihm an jenem Tage ergehen würde? Und konnte es wahr sein, daß bestraft wird, wer sich an Katzen vergreift? Darüber mußte er immer wieder grübeln, so alt er auch wurde.

Der neue Stall

Leutnant Lagerlöf genügte es nicht, Mårbacka zu einem fruchtbaren und wohlbestellten Hofe zu machen, er wollte auch, daß es ein schöner, stattlicher Sitz wurde mit großen Gartenanlagen rings um das Wohnhaus her.

Aber nun lag der alte, häßliche Kuhstall mit seinem eingesunkenen Strohdach, seinen kleinen Fensteröffnungen und seinen grauen Bretterwänden auf der andern Seite des Hofes, dem Hauptgebäude gerade gegenüber. Es stand zwar eine Reihe hundertjähriger Ahornbäume mit flechtenbedeckten Stämmen und reichen Laubkronen vor dem Stall und verbarg ihn, so daß der Hof immerhin nicht gar zu schlimm aussah; aber der Leutnant meinte, Mårbacka würde nie den Anstrich eines Herrenhofes bekommen, solange der Viehstall dort stehe.

In den ersten Jahren, in denen er in Mårbacka wohnte, hatte er aber alle Hände voll zu tun mit Feldarbeiten, und so reifte erst nach der Reise nach Strömstadt und nach dem Tode der alten Frau Lagerlöf der Plan in ihm, einen neuen Stall zu bauen, denn das mußte geschehen, bevor er den alten niederreißen lassen konnte.

Damit der Stall so wenig wie möglich vom Wohnhause aus gesehen werden könne, beschloß er, ihn unten bei den ebenen Äckern dicht unterhalb des Sandhügels zu bauen, wo auch alle die andern Wirtschaftsgebäude von Mårbacka standen. Aber was für ein Gejammer gab es doch unter dem weiblichen Gesinde, als es von diesem Plane hörte! Einen so weiten Weg sollte man künftig gehen, um nach den Kühen im Stall zu sehen! Und man solle doch bedenken, welche Mühe es für die beiden Stallmägde sein würde, dreimal am Tage die Milch den steilen Abhang hinauf in die Milchkammer zu tragen! Von alledem wollte der Leutnant indes nichts hören. Er wollte sämtliche Nebengebäude, auch die Milchkammer, den Abhang hinunter verlegen, und wenn dann dort alles beisammen läge, würde es eine ungeheure Entlastung für das Gesinde wie für das Vieh sein.

Aber obwohl der Viehstall abseits stehen würde, sollte er doch stattlicher werden als irgendein Kuhstall im ganzen Bezirk. In Kreuzform sollte er errichtet werden mit Backsteinmauern bis unters Dach und geräumig genug für fünfzig Kühe. Es fehlte nur das Gewölbe, sonst würde der Stall aussehen wie eine Kirche.

Der Leutnant besprach seine Baupläne mit seinem Schwiegervater; der Grubenbesitzer Wallroth kannte auch den alten Stall zur Genüge und begriff deshalb sehr gut, daß man ihn gern durch einen neuen ersetzen wollte. Er rückte daher mit einer beträchtlichen Geldsumme für den Bau heraus. Darauf begann der Leutnant seine Vorbereitungen. Einige Winter lang brach er am Åsberg die Steine aus, die er zur Untermauerung brauchte. Einige Sommer lang stand ein Lehmkran neben dem Ententeich in Mårbacka, und die Arbeiter formten Backsteine, die in der Sonne trocknen mußten, bis sie fest und hart wurden. Einige Jahre lang schickte er im Herbst seine Leute hinaus und ließ in seinem Walde Holz schlagen, damit er genug Querbalken und Dachstuhlgerüste bekam.

Schließlich war der Leutnant so weit, daß er den Bauplatz abstecken und ausschachten lassen konnte. Das war ein großer Augenblick für ihn, als die Bauarbeiter zum ersten Spatenstich ansetzten, um die oberste Erdschicht abzuheben.

Man begann mit dem Graben und der Untermauerung auf der Ostseite, die dem Hof am nächsten lag. Alles ging hier vortrefflich. Der Boden war fest, und die Grundsteine blieben liegen, wo man sie hinlegte.

Als der Grund auf der Ostseite und der westlichen Giebelwand gelegt war, fing man an, auch die westliche Langseite, die den Feldern zunächst lag, zu untermauern. Und nun kam die große Enttäuschung. Sowie die oberste Erdschicht abgehoben war, stieß man auf weichen, lockeren Ton, in dem kein Grundstein liegen blieb. Alle miteinander sanken in die Tiefe und verschwanden.

Es war ein großer Fehler gewesen, daß der Leutnant den Boden nicht auch auf dieser Seite hatte untersuchen lassen, ehe er den Bau begann. Nun, da der Grund auf einer Seite schon gelegt war, glaubte er auf dem einmal ausgewählten Platze weiterbauen zu müssen. Ein alter Maurer riet ihm zwar, das Haus weiter den Hügel hinauf zu verlegen, denn mit dem Lehm sich zu befassen, wäre nicht ratsam; aber der Leutnant wollte davon nichts wissen. Es müßten doch Mittel und Wege gefunden werden, auch in Lehmboden zu bauen. Einmal müßte man doch auch darin auf den Grund kommen, und es seien genug Steine zum Aufschütten vorhanden.

So wurde eine Steinlast nach der andern in den Lehmboden versenkt, und bald war ein breiter Steindamm vorhanden, der nun fest und ruhig lag, und auf den man es wagen konnte, die Grundsteine zu legen. Aber dann kamen einige starke Regengüsse, und alsbald zeigten sich Sprünge und Risse in dem Steindamm. Am andern Morgen hatte er sich teilweise gesenkt, und nach ein paar Tagen war er ganz verschwunden.

Nun rieten die Maurer und andre Leute dem Leutnant, den Stall zu verlegen, aber er wollte nicht nachgeben; es steckte nun schon eine so große Masse Arbeit in diesem Platze, und es mußte ganz von neuem begonnen werden, wenn der Bau verlegt wurde. Außerdem wollte es Leutnant Lagerlöf nun einmal durchsetzen, daß der Stall an der Stelle liegen sollte, die er dafür bestimmt hatte. Er wußte keinen anderen Platz, an dem der Stall so verborgen und doch so bequem bei der Hand sein würde.

Nun mußte er sich auch den ganzen Sommer daranhalten und Steine in den Lehmboden versenken, aber als der Herbst kam, konnte man immer noch nicht damit rechnen, daß der Untergrund halten würde. So beschloß man, mit der Aufmauerung bis zum nächsten Jahre zu warten, damit man sehen könne, wie der Lehm sich nach Beginn der Schneeschmelze weiter verhalten würde.

Im Frühjahr, sobald der Schnee auf den Wiesen geschmolzen war, ging der Leutnant nach seinem Bauplatz, um nach seiner Mauer zu sehen. Vorläufig stand sie noch fest und ohne Risse, aber der Boden war ja auch noch nicht völlig aufgetaut.

Jeden Tag, ja oft mehrmals am Tage ging Leutnant Lagerlöf hinunter. Die Mauer stand fest. Endlich meinte man auch, der Boden sei nun völlig aufgetaut. Die Grundmauer stand noch immer unbeweglich fest, und so wagte der Leutnant dem Maurermeister und seinen Gesellen seinen Gruß zu entbieten, und sie möchten wieder mit der Arbeit beginnen.

Sie kamen und fingen an, die Hausmauern an der Ost- und Nordseite zu errichten, damit der unsichere Boden auf der Westseite noch länger Zeit hätte, sich zu setzen.

Im Hochsommer begann man auch auf der gefährlichen Seite zu mauern, und alles schien gut zu gehen. Mitte Juli war man allmählich bis zur Mauerkrönung vorgerückt, denn Maurer sind ja emsige Leute, aber da bemerkte man plötzlich Risse an den Wänden. Und mit einem Male begann sich der ganze Bau zu senken. Nun mußte man in aller Eile die Mauern wieder abbauen, bis die Senkung zum Stillstand kam.

Gerade als man mit dem Mauern aufhören mußte, war auch die Geldsumme verbraucht, die der Schwiegervater zu dem Stallbau bewilligt hatte. Aber Wallroth war ja ein freigebiger und verständiger Mann; hätte nun der Leutnant ein paar Tage früher geschrieben und ihm erklärt, warum der Bau teurer wurde, als veranschlagt worden war, und hätte er da um weitere Hilfe zur Fertigstellung gebeten, so wäre sie ihm gewiß gewährt worden. Aber jetzt, nach der abermaligen Senkung, zögerte der Leutnant, an den Schwiegervater zu schreiben. Er mußte ja jetzt zugeben, daß der Stall weder Dach noch Fußboden hatte; nicht einmal die Wände waren fertig und man mußte sogar die Untermauerungsarbeiten ganz neu beginnen.

Der Schwiegervater würde gewiß denken, er habe seine Sache verkehrt angefangen, und deshalb alles Vertrauen zu ihm verlieren.

Der Leutnant hatte eigentlich die größte Lust, den ganzen Bau aufzugeben. Aber das war ihm auch zuwider. Alle seine Pläne wurden vereitelt. Außerdem war der Zustand des alten Stalles ganz hoffnungslos.

Schon viel früher hätte der Neubau an eine andre Stelle verlegt werden müssen. Sollte er das jetzt tun, wo die Mauern halb fertig waren? Da handelte es sich nun in erster Linie darum, was am meisten kostete: am alten Platze fortfahren oder den Bau verlegen.

In Ost-Ämtervik ist ein kleines Hammerwerk, Gårdsjö, das nur etwa eine halbe Meile von Mårbacka entfernt liegt. Dort wohnte damals der Hüttenbesitzer Karl Wallroth, ein Bruder von Frau Lagerlöf, ein kluger und vorsichtiger Mann, den Leutnant Lagerlöf höher schätzte als sonst jemand auf der Welt. Zu ihm fuhr er auch jetzt, um ihm seine Not zu klagen und seinen Rat zu erbitten.

Der Hüttenbesitzer riet ihm aufs bestimmteste, sich die ganze Sache aus dem Sinn zu schlagen.

»Du tust nicht klug daran, Vater für diese Bauerei um noch mehr Geld zu bitten«, sagte er. »Er hilft ja wohl gern, aber er will auch sehen, daß sein Geld gut angewendet wird. Ich würde dir auch nicht raten, Geld aufzunehmen, um deinen Stall fertig zu bauen, denn man kann ja gar nicht wissen, wie oft man das Haus noch neu aufmauern muß. Du kannst ja noch zum Bettler daran werden.«

Hierauf saß der Leutnant noch den ganzen Abend in Gårdsjö und plauderte mit Schwager und Schwägerin. Er durfte unter keinen Umständen vor dem Abendbrot heimfahren. Er gab sich auch alle Mühe, zu sein wie immer und Schwager und Schwägerin mit lustigen Reden zu unterhalten, aber im Innern fühlte er sich wie zerschlagen. Er sah wohl ein, daß sein Schwager recht hatte, und war ihm auch gar nicht böse; aber für sein Selbstgefühl war es doch eine entsetzliche Niederlage, nicht einmal einen angefangenen Stall fertig bauen zu können.

Auf dem Heimweg kamen sonderbare, düstere Gedanken über ihn. War er vielleicht einer jener Menschen, die in allem Pech haben, was sie auch anfassen?

Früher hatte er sich für ein Schoßkind des Glücks gehalten. Das war damals gewesen, als er sich seine Frau geholt und Mårbacka in Besitz genommen hatte. Seither aber hatte er viel Unglück gehabt.

Er hatte seinen Abschied vom Militär genommen, nur um eines Rüffels willen, den er wegen eines versäumten Grußes von seinem Vorgesetzten erhalten hatte. Das war eine Übereilung gewesen, aber darüber grämte er sich nicht. Was ihn jedoch sehr verdroß, war, daß man ihn nicht wie seinen Vater zum Regimentsschreiber gemacht hatte.

Statt dessen hatte man das Amt unter vier Schreiber verteilt. Einen Teil davon hatte er erhalten, das war indes nur eine unbedeutende Arbeit und ein ebenso unbedeutendes Gehalt.

Dann kam der Versuch, den Ämt zu regulieren, aber auch das war ihm mißlungen.

Halbwegs zwischen Mårbacka und Gårdsjö lag die »Åsquelle«, eine alte Badeanstalt, die er zu modernisieren unternommen hatte. Er hatte ein neues Badehaus gebaut, hatte Badepersonal angestellt und gehofft, die Kranken würden in Scharen herbeiströmen; aber auch das schlug fehl. Der eine oder andre Sieche kam wohl an, aber es lohnte sich kaum, die Badeanstalt offen zu halten.

Und nun mißglückte ihm auch noch sein großer Bauplan. Irgendwie mußte der Fehler an ihm liegen. Er war weniger tüchtig als andre. Für ihn war es das beste, sich still zu verhalten, von seinen Plänen abzustehen, in seinem Schaukelstuhle zu sitzen, die Zeitung zu lesen und alles seinen gewohnten Gang gehen zu lassen.

Als er endlich heimkam, saß seine Frau auf der Veranda und wartete auf ihn.

Sie glich ihrem Bruder in Gårdsjö. Es war dasselbe kluge Gesicht, derselbe helle Kopf, dasselbe ernsthafte Wesen, dieselbe Arbeitslust, dieselbe Gleichgültigkeit gegen Vergnügungen und dieselbe Abneigung gegen alles Unsichere und Abenteuerliche.

Der Leutnant liebte sie und hatte außerdem vor ihr ebenso große Achtung wie vor ihrem Bruder. Aber am heutigen Abend wäre es ihm lieber gewesen, sie wäre nicht aufgeblieben, um ihn zu erwarten. Sie stand ja in dieser Sache ebensowenig auf seiner Seite wie ihr Bruder.

»Was meinte Kalle?« fragte Frau Lagerlöf, als sie zusammen ins Schlafzimmer gingen.

»Er meinte, gerade wie du und ihr alle, ich solle die Arbeit ruhen lassen«, sagte der Leutnant.

Frau Lagerlöf erwiderte nichts. Sie hatte sich an ihren gewohnten Platz am Nähtisch gesetzt und blickte hinaus in die helle Sommernacht, ohne daran zu denken, sich auszukleiden.

Der Leutnant hatte seinen Rock abgeworfen.

»Willst du nicht zu Bett gehen?« fragte er. Und man hörte dem Tonfall seiner Stimme wohl an, wie gereizt und verstimmt er war.

»Ich meine«, sagte seine Frau leise und tonlos und sah geradeaus in die Nacht hinaus, »du solltest den Bau zu Ende führen.«

»Was sagst du?« versetzte der Leutnant ungeduldig. Er hatte wohl gehört, was sie sagte, konnte es indes nur für ein Mißverständnis halten.

»Ich meine«, sagte sie noch einmal, »du solltest den Bau fertigstellen.«

»Sprichst du von dem Stall?« fragte der Leutnant und trat auf sie zu. Ihre Worte hatten eine schwache Hoffnung in ihm erweckt, aber er wußte nicht, ob er sie recht verstanden habe.

Ach, Frau Lagerlöf hatte den ganzen Abend über diese Frage nachgedacht. Sie hatte sich gesagt, daß ihrem Manne nicht noch ein weiteres Vorhaben vereitelt werden dürfe. Das würde er nicht ertragen können. Es wäre ja vielleicht klüger, den Bau liegen zu lassen, aber das würde er sich zu sehr zu Herzen nehmen. Ihr Vater und ihr Bruder konnten das nicht verstehen, aber sie, seine Frau, wußte es.

In dem Herzen ihres Mannes, den sie liebte, zu lesen, war für Frau Lagerlöf ebenso leicht wie in einem Buche zu lesen; aber ihre eigenen Gedanken in Augenblicken der Erregung auszusprechen, war ihr ebenso unmöglich wie Hebräisch zu reden.

»Ich bin nicht derselben Ansicht wie Kalle«, bemerkte sie, und dann schwieg sie.

»Aber was willst du, wovon sprichst du überhaupt?« erwiderte der Leutnant, und er bebte vor Ungeduld. Er wagte noch nicht zu glauben, daß sie anderen Sinnes geworden und auf seine Seite übergegangen sei.

»Ich bin andrer Ansicht als Kalle«, wiederholte sie. »Ich meine, du solltest den Stall fertig bauen, und er soll da stehen, wo du ihn gern haben willst. Und ich meine, wir sollten eine Hypothek auf unser Gut aufnehmen, so daß wir uns selbst helfen können und meinen Vater nicht um weitere Summen bitten müssen.«

Nun verstand der Leutnant. Und in seinem Herzen wurde es hell. Wenn seine Frau wollte wie er, dann gab es keine Schwierigkeiten mehr. Dann war der Grund fest, und die Mauern stiegen empor.

»Gott segne dich für dieses Wort, Luise!« sagte er.

Nach dieser Unterredung schien es, als schlössen sich die beiden mit noch größerer Liebe aneinander an. Und in allem, was den Stallbau betraf, wurde die Hausfrau von nun an um Rat gefragt.

Als dann endlich die Türen des neuen Stalles weit offenstanden und die Kühe feierlich eine nach der andern hineingeführt und angebunden wurden, als Hühner und Gänse und Truthühner und Enten in ihre Käfige und die Kälber in ihre Verschläge gebracht waren, als das Licht durch hohe Fenster hereinschien und Herr und Frau Lagerlöf selbst auf glatten, reinlichen Gängen schreiten konnten, da fühlten sie, hier war eine gute Arbeit getan, und sie freuten sich, daß sie beide Anteil daran hatten.

Der Garten

Mamsell Lovisa Lagerlöf liebte und bewunderte ihren Bruder, den Leutnant, das war eine ausgemachte Sache; aber sie begriff nicht, warum er so viele Veränderungen und neumodische Dinge einführte. Sie meinte, Mårbacka hätte so bleiben können, wie es zur Zeit ihrer Eltern gewesen war.

Und was ihr am wenigsten einleuchtete, das waren die Gartenanlagen, die er rings um das Wohnhaus herumführen wollte.

Sie war ganz bekümmert gewesen, als er den Ämt tiefer graben wollte, und fühlte sich höchlich erleichtert, als nichts daraus wurde. Es war ja so hübsch, wenn das Flüßchen über seine Ufer trat und drunten auf den Wiesen eine ganze Anzahl Seen bildete.

Und sie jammerte, als ihr Bruder die Blumen von den alten Wiesen verschwinden ließ. Das war eine richtige Augenweide gewesen, wenn die eine voll Wucherblumen stand, die zweite violett schimmerte von lauter Stiefmütterchen und die dritte gelb von Butterblumen.

Daß die Kühe nicht mehr im Walde weiden durften, das war ein wirkliches Unglück, denn eines wußte jedermann: solch dicken Rahm und so goldgelbe Butter, wie die Kühe sie bei der Waldweide lieferten, bekam man nie, wenn das Vieh drunten auf den Wiesen zur Weide ging.

Zur Zeit ihres Vaters und gewiß viele hundert Jahre vor ihm war es Brauch gewesen, den jungen Wald zu schlagen, ihn liegen zu lassen, bis er genügend ausgetrocknet war, und ihn dann zu verbrennen; dann hatte man im ersten Jahr Roggen in die Asche gesät, und später war eine Fülle von Erdbeeren und Himbeeren auf so einem abgebrannten Feld gewachsen.

Mamsell Lovisa nahm es daher sehr übel auf, als sie merkte, daß ihr Bruder solche Schläge nicht mehr verbrennen ließ.

»Denk' an mich!« warnte sie ihn. »Bald wird es mit allen Beeren im Walde aus sein. Wo sollen sie denn wachsen, wenn der Wald nicht mehr abgebrannt wird? Wohin sollte es führen, wenn es jedermann so machen wollte wie du? Dann werden wir auch an den Sommerabenden die Freude nicht mehr haben, die hübschen Feuer rundum im Bergwald brennen zu sehen.«

Und der neue Stall war auch nicht nach ihrem Sinn. Sie verstehe ja nicht viel davon, meinte sie, aber das habe sie immer gehört, in einem Stall mit Steinwänden sei kein Gedeihen. Und dann war sie entsetzlich böse gewesen, als ihr Bruder sich in den Gedanken verrannt hatte.

Als aber der Leutnant mit seinem neuen Stall fertig und der alte eingerissen war und er dann von dem neuen Garten sprach, den er anlegen wollte, da geriet Mamsell Lovisa ganz außer sich.

»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, sagte sie. »Ein großer Garten erfordert viel Pflege. Da kannst du dir nun auch gleich einen Gärtner halten. Wenn ein Garten nicht gut gehalten und gepflegt wird, wäre es besser, man hätte gar keinen.«

Dem Leutnant gingen ihre Warnungen zu einem Ohr hinein und zum andern wieder hinaus. Im Herbst ließ er zuerst alle die weißen Lattenzäune, die noch von Pastor Wennerviks Zeit dastanden, herausziehen, nicht nur die um den Küchengarten und das Rosenbeet, sondern auch die um den vorderen und hinteren Hof.

»Ja, nun ist's aus mit allem Behagen hier«, sagte Mamsell Lovisa. »Wie sicher fühlte man sich doch immer, wenn man hinter den vielen weißen Zäunen war! Und wie lustig war es für die Kinder, wenn sie den ankommenden Besuchern eiligst die Zauntüren öffnen konnten!«

»Genau so vergnüglich wie für den, der immer dieses ganze Zaunwerk instand halten mußte«, erwiderte Leutnant Lagerlöf.

Und wie er angefangen hatte, so fuhr er fort. Als die Zäune weg waren, ließ er den alten Küchengarten und das Rosengärtchen sowie den zertrampelten Grasplatz und den Ort, wo der alte Stall gestanden hatte, mitsamt dem Viehanger umpflügen, damit der ganze Platz frei und offen daliege, wenn im Frühjahr die Gartenanlagen begännen.

»Denkst du wirklich daran, die Küchenbeete zu verlegen?« fragte Mamsell Lovisa. »Ich verstehe ja nichts davon, aber ich habe doch immer sagen hören, so lange die Apfelbäume zwischen den Kräuterbeeten stünden, trügen sie sehr gut; setze man sie aber in Wiesen, dann könne man sehen, woher man Obst bekomme.«

»Mein liebes Lovischen«, entgegnete der Leutnant, »ich glaubte, du würdest dich freuen, einen schönen Garten zu bekommen.«

»Freuen?« rief Mamsell Lovisa, »Soll ich mich darüber freuen, wenn du alles Alte zerstörst? Bald weiß man ja auf Mårbacka nicht mehr ein noch aus.«

Dem Leutnant kam die Schwester in dieser Sache ganz entsetzlich widerspenstig vor, und er verwunderte sich um so mehr darüber, als sie immer eine so große Blumenfreundin gewesen war und im Hause eine Menge Topfpflanzen pflegte. Aber er wollte sich nicht mit ihr zanken, denn kurz zuvor war ihre Verlobung zurückgegangen, und sie hatte den Schmerz darüber noch nicht verwunden. Tagelang lief sie im Küchenzimmer hin und her, und er hörte ihre ruhelosen Schritte bis in den Saal, wo er las. Er sah auch wohl ein, daß sie nur deshalb so verstimmt war, weil sie sich selbst noch nicht wieder in der Gewalt hatte. Er glaubte fast, es sei ein gutes Zeichen, daß sie überhaupt wieder für etwas Sinn hatte, außer für ihr Unglück. Es war besser, sie mißbilligte seine Gartenanlagen, als sie grübelte darüber nach, ob sie ihre Verlobung voreilig rückgängig gemacht habe, oder ob ihr Verlobter ihrer überdrüssig geworden sei, weil sie Preißelbeerzweige in Kajsa Nilstochters Brautkrone geflochten hatte.

Damals lebte im Frykental ein alter Gärtnermeister, der in seiner Jugend die Gärten auf mehreren großen Höfen angelegt hatte. Jetzt auf seine alten Tage arbeitete er eigentlich nicht mehr für andre, aber er galt in Gartenangelegenheiten als richtiges Orakel, und sobald irgend jemand einen Garten anlegen wollte, beeilte man sich, seine Hilfe zu erbitten.

So hatte ihn auch der Leutnant gebeten, nach Mårbacka zu kommen, und im Frühjahr, sobald der Boden völlig aufgetaut war, erschien der alte Mann mit seinen Plänen und Zeichnungen. Er bekam einen ganzen Stab Arbeiter, denen er Anweisungen geben sollte. Ein ganzer Haufen Buschwerk und Bäume, die man beim Gartenbauverein in Göteborg bestellt hatte, war schon angekommen, und die Arbeiten begannen.

Als der Boden ganz eingeebnet war, gingen der Leutnant und der Gärtnermeister den ganzen Tag umher und steckten Wege und Grasplätze ab.

Der Gärtnermeister erklärte dem Leutnant, der strenge französische Stil sei nicht mehr Mode; jetzt sollten alle Wege gewunden und alle Grasmatten und Blumenbeete in leicht abgerundeten Formen gehalten sein. Und was er sich für Mårbacka ausgedacht hatte, das nannte er englischen Stil. Der Leutnant aber hatte den Verdacht, es sei des alten Mannes persönlicher Stil und keineswegs ausländischen Ursprungs.

In der Mitte des Gartens wurde ein großer runder Grasplatz angelegt, auf dem rechts ein eirundes Boskett, links ein ebensolches in Form eines Füllhorns gepflanzt ward. Ganz in die Mitte kam eine Traueresche, gegen die Veranda hin wurde ein Blumenbeet in Gestalt eines Sterns ausgesteckt, und ringsum, gleichsam als Wache, wurden vier Rosenbäumchen auf kleine Rondellchen gestellt.

Auf dem Kiesplatz vor dem Küchenfenster ward bald auch ein großes Dreieck abgestochen, das mit Buschrosen aus dem alten Rosengärtchen gefüllt wurde. Rosen konnte man ja nie zuviel haben. An die Langseite des Wohnhauses kam eine Hecke von niedrigen Rosen, und zwei großen Büschen weißer Dornrosen gab man Ehrenplätze vor dem Schlafzimmerfenster und dem Salon.

Den Leutnant freute diese Arbeit über die Maßen, er war den ganzen Tag mit dem Gärtnermeister draußen, und auch Frau Lagerlöf stahl sich stundenlang von ihrem Nähtisch fort, um sich anzusehen, was gemacht wurde. Aber Mamsell Lovisa verließ ihr Zimmer nicht. Diese fröhliche Frühlingsarbeit erhöhte nur ihre Verstimmung. Der alte, zertretene Grasplatz mit den paar Schneebeerenbüschen vor den Küchenfenstern wäre ihr lieber gewesen. Diese Neuerungen waren doch ganz unnötig.

Allerdings, das wußte sie, es war ganz einerlei, was sie dachte oder sagte, aber es hatte sich doch auch vorher auf Mårbacka leben lassen. Diese neuen Geschichten würden nur Arbeit und Mühe und große Kosten verursachen.

Aber was sie auch denken oder sagen mochte, die Arbeiten schritten voran. Vor den Pferdestall setzte der Gärtner einen Syringenbusch, vor den Flügel eine Hecke von Spiräen, und an die Nord-, West- und Ostseite des Wohnhauses wieder eine Syringenhecke. Dann machten sich der Leutnant und der Gärtner an Pastor Wennerviks alten Obstgarten. Die guten Apfelbäume blieben auf ihrem Platz, aber der Boden darunter wurde nach des alten Mannes englischem Stil in gewundenen Sandwegen und Grasrabatten mit runden oder dreieckigen oder eirunden Beeten verziert, in die man lauter Gewächse setzte, die jedes Jahr wiederkamen. Da faßte gelber Goldlack violette Schwertlilien ein, goldne Kaiserkronen bekamen eine Umrandung von dunkelblauem Ysop, und um rote Studentennelken schlang sich ein Kranz von hellrosa Tausendschönchen.

Blumenbeete umgaben das ganze Wohnhaus. Weiter entfernt, auf der nördlichen und südlichen Seite des Gartens, wurde ein Platz für Stachelbeeren und Johannisbeeren, für Erdbeeren, Birnen, Pflaumen und eine Unmenge Kirschen hergerichtet. Aber am weitesten hinten nach Süden zu, ganz abgelegen und versteckt, lag der Küchengarten.

Ganz weit draußen nach Norden zu stand ein kleines Gehölz mit dünnen, dichtstehenden Birken in der Mitte und an den Seiten Ahorn- und Faulbeerbäumen. Diese zog der Gärtnermeister auch in den Bereich seiner Anlagen, um damit wenigstens die Andeutung eines Parks zu schaffen. Er durchzog das Gehölz mit einer ganzen Anzahl von schmalen, kunstvoll zugeschnittenen Kieswegen, und an drei Stellen wurden alle Bäume weggeräumt, um Platz für Bänke und Tische zu schaffen. Der vorderste dieser Plätze war länglich und auf allen Seiten mit bequemen Sitzgelegenheiten umstellt. Dort sollte die Hausfrau ihre Gäste empfangen, und darum sollte er auch die Teeecke heißen. Der andre Platz war viereckig, mit vier Bänken und einem runden Tisch. Dieser war für den Hausherrn und seine Besuche bestimmt, und der witzige alte Gärtner nannte ihn deshalb die Punschecke. Der dritte Platz war etwas stiefmütterlich behandelt, mit nur einer schmalen Bank. Er sollte das Eigentum der Kinder sein und die Kinderecke heißen.

Alle diese Pflanzungen ließen Mamsell Lovisa gleichgültig, ja, man kann fast sagen, sie haßte und verachtete die ganze Neuschöpfung. Sie hatte noch keinen Fuß in den jungen Garten gesetzt.

Bald schon fingen lichtgrüne Keime an, aus der Erde hervorzutreiben, die neugepflanzten Büsche schlugen mit zarten, zögernden Blättchen aus, die ausdauernden Gewächse schossen auf den Beeten empor; Eichen, Kastanien und Pyramidenpappeln, die auf dem Platz des alten Kuhstalls standen, standen mit schwellenden Knospen und zeigten, daß noch Leben in ihnen war.

Aber mitten in der eifrigsten Arbeit trat eine unerwartete Störung ein. Der alte Gärtnermeister mußte für einige Tage nach Hause, um seinen eigenen Garten in Ordnung zu bringen. Das hätte an sich nichts ausgemacht, wenn er nicht gerade ein Mistbeet angelegt hätte, in dem er Astern und Levkojen für die Blumenbeete ziehen wollte.

»Wer wird das Mistbeet versorgen, solange ich weg bin?« fragte der alte Mann. »Sie wissen ja, Herr Leutnant, daß ein Mistbeet einer pünktlichen Pflege bedarf.«

»Das tu ich selber«, sagte der Leutnant, denn er fühlte sich schon halb als Gärtnermeister, und so ließ er sich von dem Alten zeigen, wie er lüften und begießen mußte.

An dem Tag jedoch, wo der Gärtner abreiste, schien die Sonne hell und heiß, und mitten am Vormittag kam der Leutnant aufgeregt ins Haus gelaufen und fragte nach seiner Frau.

Diese war nirgends zu finden, und so stürzte er ins Küchenzimmer zu Mamsell Lovisa.

»Du mußt mit mir kommen, Lovisa, und mir bei dem Mistbeet helfen!« rief er.

In dem Augenblick aber fiel ihm ein, daß ja Mamsell Lovisa nichts von seinem Garten wissen und auch nicht darin arbeiten wollte. Aber gesagt war gesagt, und mehr als nein sagen konnte sie auch nicht.

Aber wider Erwarten stand sie ganz eifrig auf und ging mit ihm. Kaum hatte sie einen Blick auf das Mistbeet geworfen, in dem die Pflänzchen ganz matt und welk standen, als sie ausrief: »Die Sonne ist viel zu heiß für sie. Wir müssen sie zudecken!«

Dann schaffte sie ihnen Schutz gegen die Sonne und rettete sie für dieses Mal.

Am andern Tag mußte der Leutnant zu einem Schulexamen fahren, und als er schon eine Weile unterwegs war, fiel ihm sein Mistbeet ein. Die Sonne schien ebenso stechend heiß wie am Tage zuvor; nun würden die kleinen Pflänzchen wohl vollends verdursten.

Sobald er heimkam, eilte er an das Mistbeet. Da fand er alles in bester Ordnung. Die Pflänzchen standen frisch und aufrecht da.

Aufs höchste überrascht und äußerst nachdenklich blieb der Leutnant vor dem Mistbeet stehen. Also hatte seine Schwester an die armen Pflänzchen gedacht, die er vergessen hatte! Er beschloß sofort, auch an diesem Abend zu vergessen, das Frühbeet zu begießen und zu schließen.

Eine gute Weile nach dem Abendessen fuhr er ganz bestürzt in die Höhe.

»Mein Gott, ich habe schon wieder das Mistbeet vergessen!« rief er. »Das hätte ja schon lange zugemacht werden müssen.«

Mamsell Lovisa sagte nichts, sondern ließ ihn gehen und nachsehen. Als aber der Leutnant an das Mistbeet kam, fand er die Fenster geschlossen und die Matten aufgelegt.

Am folgenden Tage sah der Leutnant nicht einmal nach dem Mistbeet. Er hatte es ganz vergessen. Aber die Pflänzchen litten darum doch keine Not. Mamsell Lovisa sorgte für sie, lockerte die Erde, begoß und pflegte sie.

Es war ganz sonderbar. Alle außer ihr vergaßen das Mistbeet vollständig, niemand sprach davon, niemand kümmerte sich darum. Wenn sie nicht gewesen wäre, so würde alles, was darin war, zugrunde gegangen sein.

Natürlich sehnte sie sich sehr nach der Rückkehr des alten Gärtners, damit sie dieser Arbeit enthoben wäre; aber solange er fort war, mußte sie wohl für alles sorgen.

Es dauerte indes viel länger, als man gemeint hatte, bis der Gärtner wiederkam, und die Pflanzen begannen auszuwachsen. Da blieb Mamsell Lovisa nichts anderes übrig, als die Pflänzchen in die Rabatten zu setzen.

Und als sie schließlich so viel getan hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als weiter zu jäten und zu gießen den ganzen Sommer hindurch, bis die Levkojen und Petunien und Astern und Löwenmäulchen in voller Blüte standen.

Aber als der so sorgfältig angelegte Stern vor der Haustreppe in Mårbacka in seinem Farbenglanze prangte, war auch auf ganz wunderbare Weise der quälendste Schmerz aus Mamsell Lovisas krankem Herzen verschwunden. Die kleinen Pflänzchen hatten ihr die Pflege vergolten, die sie ihnen hatte angedeihen lassen. Sie hatten ihr einen neuen Lebensinhalt, ein neues Feld der Tätigkeit geschenkt.

Und Leutnant Lagerlöf brauchte später niemals einen Obergärtner auf Mårbacka anzustellen. Mamsell Lovisa hatte das Wennerviksche Talent geerbt, und sie übernahm die Pflege des Gartens. Die Blumen waren ihre vertrauten Freunde. Sie liebten ihre Pflegerin, wie diese sie liebte. Die Menschen wunderten sich, wie sie es machte, daß ihre Blumen blühten und glühten wie nirgends sonst im weiten Umkreis. Keiner wußte, daß sie sich ihre Farben von Mamsell Lovisas entschwundenem Glückstraum borgten.

Der Dachstuhl

Wenn Leutnant Lagerlöf mit seinen kleinen Töchtern durch den Garten oder draußen durch die Felder wanderte, pflegten sie sich oft auszumalen, wie es sein würde, sollte der König einmal nach Mårbacka kommen.

Das war zu der Zeit, als der König auf dem Wege nach Norwegen mehrmals im Jahre im Wagen durch Wermland zu fahren pflegte und immer irgendwo einkehren mußte, um zu essen und zu schlafen. Meistens tat er das beim Bezirkshauptmann in Karlstadt, aber es war für ihn auch nichts Außergewöhnliches, die großen Herrenhöfe, die bequem lagen und ihn aufnehmen konnten, hin und wieder mit seinem Besuch zu beehren.

Nun war zwar nicht die allergeringste Aussicht vorhanden, daß der König in einem so kleinen und unbekannten Hofe wie Mårbacka, der noch zum Überfluß weit von der großen Landstraße ablag, einkehren würde. Aber das hinderte den Leutnant und seine kleinen Mädchen in keiner Weise. Vielleicht wäre es gar nicht so lustig gewesen, diese Luftschlösser zu bauen, wenn die Aussicht bestanden hätte, sie zu verwirklichen.

So vergnügten sie sich nur damit, sich auszudenken, wie der König, wenn er auf Mårbacka zugefahren käme, schnell die Augen mit der Hand beschatten würde, gleichsam um besser sehen zu können.

»Ja, was seh' ich denn da?« würde der König sagen. »Was ist das für ein großes weißes Haus dort auf der Wiese? Haben sie denn in dieser Gemeinde zwei Kirchen?«

»Nein, Majestät«, würde Leutnant Lagerlöf antworten, denn er würde dem König gerade gegenüber in dessen Wagen auf dem Rücksitz mit angefahren kommen, »dieses weiße Haus ist keine Kirche, sondern es ist mein Hof.«

Dann würde der König den Leutnant mit großen Augen ansehen und sagen:

»Du bist ein Tausendsassa, Erik Gustav, daß du solch einen Hof gebaut hast.«

Wie man den König und sein ganzes Gefolge in dem kleinen einstöckigen Haus auf Mårbacka unterbringen würde, das war eine nahezu unlösbare Frage. Aber der Leutnant hatte ja schon oft davon gesprochen, auf das Haus ein Stockwerk aufzusetzen, und so meinten sie, wenn dies nur getan sei, dann hätte es keine weitere Schwierigkeit, den König zu empfangen.

Ein wenig eng würde es wohl auf jeden Fall werden. Herr und Frau Leutnant Lagerlöf müßten wohl die Nacht auf dem Heuboden schlafen, und die Kinder kämen in den Kaninchenstall.

Das wäre ungemein lustig, das mit dem Kaninchenstall! Von dieser Vorstellung waren die kleinen Mädchen geradezu begeistert.

Und was der König wohl zu ihrem Garten sagen würde?

Ja, er wäre jedenfalls nicht wenig erstaunt, so weit draußen auf dem Lande eine Gartenanlage in echt englischem Stil zu finden.

Wenn er sich darüber äußern sollte, so würde der Leutnant unverzüglich den alten Gärtnermeister holen lassen und ihm die freudige Mitteilung machen, daß der König seine Wege und Beete gelobt habe.

Und wenn der König von Mårbacka abfuhr, dann würde er Frau Lagerlöf eine goldene Brosche verehren, Mamsell Lovisa ein goldenes Armband und der alten Haushälterin eine große silberne Schalnadel.

Aber ehe der König in seinen Wagen stieg, um weiterzufahren, würde er dem Leutnant die Hand schütteln und sagen: »Dank und Ehre sollst du haben, Erik Gustav Lagerlöf. Es ist ein großer Teil meines Reiches, den du besitzest, aber ich sehe, daß er bei dir in guten Händen ist.«

Und über dieses Wort würde der Leutnant sich freuen bis ans Ende seiner Tage.

Der Leutnant und die Kinder hatten unendlichen Spaß daran, sich auf diese Weise ein Fest zu bereiten, wenn auch nur in Gedanken.

Vielleicht war es wirklich schade, daß der Besuch des Königs nicht stattfinden konnte, aber er war ja ganz undenkbar, ehe der Oberstock gebaut war.

Und wahrhaftig, ganz am Schluß des Jahres 1860 glaubte der Leutnant tatsächlich so weit mit allen anderen Arbeiten fertig zu sein, daß er anfangen konnte, das Wohnhaus umzubauen. Ganz abgesehen von dem Besuch des Königs wohnte die Familie selbst äußerst eng in dem kleinen einstöckigen Haus aus der Zeit des Pastors Wennervik, und er wollte es gern durch einen Aufbau vergrößern.

Zwar hatte das Haus nicht mehr ganz seine alte Gestalt. Schon vor acht oder zehn Jahren hatte der Leutnant größere Fenster aushauen und die alten Fenster mit den kleinen Scheiben entfernen lassen. Er hatte auch neue Öfen setzen und das Wohnzimmer und den Saal tapezieren lassen, außerdem war an Stelle des alten Treppenvorbaus eine große, geräumige Veranda gebaut worden.

Aber jetzt handelte es sich um weit größere Umwälzungen. Das ganze Dach sollte abgerissen, der Dachstuhl erweitert und die Wände erhöht werden.

Im Jahre, bevor das Dach abgenommen werden sollte, hatte der Leutnant ein paar Zimmerleute nach Mårbacka kommen lassen, die das Dachstuhlgebälk fertigstellten, so daß das Dach so rasch wie möglich aufgesetzt und gedeckt werden konnte.

Sie waren gerade damit fertig geworden, als Leutnant Lagerlöf die Nachricht vom Tode seines Schwiegervaters erhielt.

Das war ein großer Schmerz und außerdem ein schwerer Schlag, denn der Leutnant wußte wohl, daß er mit dem Schwiegervater seine beste Stütze verloren hatte. Von jetzt an war er einzig und allein auf sich selbst angewiesen. Nun mußte er von seinem Erbe seine Schulden bezahlen. Seine Söhne waren herangewachsen und sollten bald nach Uppsala. Da hielt er es für das Klügste, den Umbau einige Jahre zu verschieben.

Aber aufgeschoben ist häufig aufgehoben. Es kamen immer neue Hindernisse, die sich dem Bau entgegenstellten. In einem Jahre wurde der Leutnant krank, im andern mußte er einem seiner Schwäger beispringen, der bisher ein reicher Mann gewesen war und nun regelmäßig unterstützt werden mußte. Während der Leutnant auf seinem Hof gearbeitet und alles in Ordnung gebracht hatte, waren die Jahre dahingegangen, fast ohne daß er es gemerkt hatte. Er war nun in den Fünfzigern, und der einstige Schaffensdrang war vielleicht etwas gedämpft.

Aber er stand nicht leichten Herzens von dem Plane ab, Mårbacka umzubauen. Das hätte seine ganze Arbeit krönen sollen. Sein ganzes Leben lang hatte er davon geträumt, ein richtiges Herrenhaus auf seinem geliebten Heimathof erstehen zu sehen.

Die großen Stapel mit dem fertigen Dachstuhlgebälk lagen jahrelang auf dem hinteren Hof. Aber der Leutnant vermied es, sie anzusehen. Er wendete das Gesicht ab, wenn er daran vorbei mußte.

Seine kleinen Töchter waren so sehr vergnügt gewesen, als er anfing, den Dachstuhl herrichten zu lassen, und zwar nicht allein wegen des königlichen Besuchs. Weit wichtiger als dieser war die Aussicht, ein Besuchszimmer zu bekommen, in dem man tanzen konnte, und ein Haus mit zwei Stockwerken, das geradeso stattlich aussah wie das des Hüttenbesitzers Wallroth auf Gårdsjö oder das des Ingenieurs Noreen auf Herrestadt.

Es beunruhigte sie zu sehen, daß der Bau von Jahr zu Jahr verschoben wurde, und endlich faßte eine von ihnen Mut und fragte den Vater, wann er denn anfange, den Dachstuhl aufzurichten.

»Das wird wohl niemals geschehen, meine Kinder«, sagte der Leutnant, und dabei zuckte es in seinem Gesicht und seine Stimme zitterte, als ob ihm das Weinen nahestände. Aber er beherrschte sich bald wieder. »Das macht aber nichts«, setzte er scherzend hinzu, »man baut ja jetzt in Norwegen eine Eisenbahn. Da wird der König keine Nachtherberge mehr begehren, weder in Mårbacka noch auf einem andern Herrenhofe in Wermland.«


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