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Abschied vom Camp.

Nach den aufregenden Ereignissen verfloß das Leben im Camp in einer derartig trägen und abgespannten Ruhe, daß es mir schwerer auf den überreizten Nerven lastete als irgendein wildes Vorkommnis.

Zu einer systematischen Arbeit hatte keiner vorläufig die moralische Kraft. Jeder neue Ankömmling – und deren gab es im Rest dieses Winters eine ganze Menge – wurde mit scheelen Augen angesehen und nur schwer in diese Bruderschaft des Goldes aufgenommen. Von den Ansiedlern, die zuerst mit mir diesem Boden das Gold abgezwungen hatten, waren eine ganze Reihe abgewandert. Die einen mit dem Erlös ihrer Arbeit und des verkauften Besitzes in der Tasche in die Stadt, in einer dumpfen Sehnsucht nach anderen Menschen – die anderen dem alten Phantom nachjagend in die Berge oder hinüber nach Alaska – die dritten wieder gebrochen an Leib und Seele in die Richtung der alten Heimat – vielleicht nur, um dort zu sterben.

Denn die Natur selbst reutert die Menschen dort oben, wie diese es mit dem goldführenden Kies tun. Wer das Gold der Kraft in sich trägt, den duldet sie und beschenkt ihn noch mit dem Gold ihres Bodens – wer aber leicht durch die Maschen des Netzes fliegt, das aus Fährlichkeiten um ihn gewoben ist, den wirft sie achtlos zum Schutt, wo er verwittert und verreckt.

Neue Gesichter an den alten Stätten. Neue Menschen, an die sich der abgemattete Geist schwer gewöhnt. Auf den Stühlen bei Parker am Samstag nicht mehr die alten Freunde, mit denen mich Arbeit, Erfolg, Gefahr und Not verkittet haben, sondern andere Menschen, die eine andere Sprache reden und nichts wissen von den Erinnerungen, die uns Alten teuer waren.

Mißmutig sehnte ich die Sonne und den Tag herbei.

Die mit so großem Elan ins Leben gerufene Zeitung langweilte mich. Sie hatte mir über eine Zeit hinweggeholfen, jetzt aber erschien sie mir als das drohende Gespenst des Alltags und ich war froh, als ich sie an einen smarten Yankee, der vorgab, unten in den Staaten Journalist gewesen zu sein, abgeben konnte. Ein paar Unzen Gold bildeten die Erinnerung.

Noch einmal wollte ich die Großartigkeit der Einöde auf mich wirken lassen, denn ich wußte, daß ich sie bald verlassen und dann nie wieder sehen würde. Noch einmal wollte ich mit dem Hundeschlitten pfeilschnell über die endlose Schneefläche fliegen, einem fernen Ziele zu.

Ich mußte mich beeilen, wenn ich noch die Schlittenbahn ausnützen wollte, denn die Sonne trat schon jeden Tag höher über den Rand des Horizontes und die Zeit der waschenden Regen war nicht mehr fern.

Allein war aber diese Reise nicht angezeigt – da erklärte sich Jerry, mein ältester Nachbar und Lehrmeister in der hohen Schule der Goldgräberkunst, mit Freuden bereit, mit von der Partie zu sein. Als Ziel setzten wir die von Fred und mir aufgespürte Mine in den Bergen jenseits des Mackenzie fest, die ich an Fred um seinen ganzen Anteil am Porcupine Claim inklusive des von uns beiden erarbeiteten Goldes abgetreten hatte. Meinen verhältnismäßig geringen Anteil an der Produktion der Mine in den Bergen schätzte ich nicht sehr hoch ein, weil die Ausbeutungsmöglichkeiten an einen Apparat geknüpft sind, der, wie ich glaubte, Fred vorläufig nicht zur Verfügung stand.

Jerry und ich besorgten uns die fehlenden Hunde, denn von meinem Zug war nur Balin von der Hungersnot verschont geblieben, setzten den Schlitten und die Ausrüstung instand und zogen in Begleitung eines Indianers als Führer und Diener los.

Die schnelle Fahrt, die Abwechslung einer solchen Expedition, die notwendigen Lagerarbeiten, gelegentliche Abwehr von Wölfen – alle die großen und kleinen Zufälle einer arktischen Wanderung versetzten mich langsam wieder in bessere Stimmung. Das Abenteurerblut regte sich wieder in mir, von dem ich schon gefürchtet hatte, daß es in philiströser Bürgerlichkeit verebbte.

Ohne die Reise zu forcieren, erreichten wir den Mackenzie nach drei Tagen und schlugen jenseits des Stromes, am Fuße des Hügelrückens, auf dem die Mine sein mußte, ein festes Lager auf. Schneeblöcke wurden zu einer kleinen Hütte getürmt, der Schlitten abgepackt und windwärts gestellt. Der Indianer und ein Hund blieben als Wächter unserer Operationsbasis zurück, den fünf anderen Hunden wurden Proviantpacken aufgebunden, die Schlafsäcke luden wir uns selbst auf – und der Marsch wurde angetreten.

Schon nach ein paar Stunden schien es mir, als ob ich mich in der Gegend geirrt hätte. Abgesehen von den Unterschieden, die der Winter mit seinem Schnee angerichtet hatte, vermißte ich gewisse Landmarken, Peilpunkte in diesem Ozean der Öde.

Da glaubte ich einen markanten Baum mit einem Kreuzhieb meiner Axt – aber er war nicht da. Hier eine Buschpartie von besonderer Gestaltung – sie war nicht da. Dort einen Felsen, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem kauernden Tier hatte – ich suchte ihn vergebens. Schon wollte ich umkehren, doch Jerry, der Erfahrene, der meinen Ortsinstinkt kannte, beharrte an dem Festhalten der Route.

Auf einmal blieb er stehen, schnüffelte mit der Nase in den Wind wie ein Jagdhund und erklärte aus tiefster Überzeugung: »Hier sind Menschen!«

Als wir auf das Plateau kamen, wußten wir alles.

Ein Camp. Hochbetrieb mitten im Winter. Baracken, Sprengungen, Lärm, Getriebe, große Feuer, Schlittentransporte nach Norden, Relaisposten ins Pochwerk, leuchtende Azetylenlampen. In einem netten Haus Fred und ein Ingenieur von Mr. Allers als Leiter.

Ein Rasttag, der unter Erzählungen rasch vergeht – ein Abstieg ins Pochwerk – am Abend eine geschäftliche Konferenz, deren Resultat mich auf Jahre jeder Geldsorge enthob.

Dann ein herzlicher Abschied – die Rückkehr an den Mackenzie – pfeilschnell die Fahrt zum heimischen Camp.

Abends bei Parker. Mein Entschluß steht fest – ich gehe fort. Nach drei Tagen war Jerry Wilkinson Besitzer meines Claims um zwanzigtausend Dollar, was für ihn immerhin ein gutes Geschäft war.

Nur das Wohnrecht in meiner Hütte hatte ich mir bis zum Eintritt der warmen Jahreszeit vorbehalten.

Ich weiß nicht, ob ich in diesen folgenden Tagen überhaupt richtig geschlafen habe. So wie einst das Goldfieber mich gepackt und gejagt hatte, so war ich jetzt heiß bei den Bildern, die sich mir vor meiner Rückkehr in die Zivilisation in meiner Phantasie zeigten.

Ich sehe mich als Besitzer eines Ansitzes in Tirol – sammle Bücher und Antiquitäten – befriedige meinen Lufthunger auf Wanderungen im Überetsch und im Rosengarten – ich sehe mich im Frack in der Oper in Wien, umschmeichelt von Frauen, die einander den interessanten Abenteurer vom Yukon zeigen. Dann schwindet dieser Marlitt-Traum – und ein wilder, glühender steigt vor mir auf. Von weiten Fahrten ins Land der aufgehenden Sonne – ins vieltausendjährige Reich der Mitte mit Opium und Blumenbooten Blumenboote – Vergnügungsstätten in Kanton (China), Boote im Strom verankert, mit ausgezeichneten Restaurants, Musik und Tanz. – ins Märchenland Indien mit verbotenen Tempeln und Nautchmädchen Nautchmädchen – Tempelmädchen, Tänzerinnen in Hindutempeln.. Ich konnte mir ja meine Träume erfüllen – ich war reich – ich hatte Gold, Gold, Gold! Ich träumte von den alten Teokalli Teokalli – mexikanische Tempelbauten, den ägyptischen Pyramiden ähnlich, nur an den Außenseiten reich durch Reliefs verziert. unten in Mexiko und einer Eruption des Popokatepetl – bum, bum, bum! Ich fuhr auf. Zum Teufel, geht denn die verdammte Schießerei schon wieder los? Bum, bum, bum! Nein – das sind nicht Revolverschüsse – bum – das klingt wie Kanonendonner – bum – und draußen war ich vor der Hütte und sah.

Der ganze Camp war am Ufer des Flusses versammelt, denn da war das Eis geborsten.

Oben im Quellgebiet des Porcupine-River war der Frühling eingebrochen. Warme Regen von Süden her hatten eingesetzt, und die Wasser trieben das Eis vor sich her. Der Eisgang setzte ein. In kurzer Zeit türmte sich eine Mauer zerrissener Schollen viele Meter hoch, drückte und schob, knallte und knirschte und riß tiefe Wunden in das Ufer. Fontänen gleich stieg das gepreßte Wasser empor, zerfetzte die Erde und spülte das Gestade ab, grub sich ein neues Bett.

Wie der Nil im heißen Land Ägypten mit seinen überströmenden Fluten Segen über das Land gießt, bringt der rasende Strom die Quelle des Reichtums mit einer wilden Gebärde des Segens, die erst entsetzt, – das Gold aus den Bergen.

Tagelang strömten die entfesselten Wasser in wildem Brausen donnernd vorbei. Die kompakte Masse des Eises trieb stetig abwärts, dem Yukon zu, wo sie sich noch einmal an der Mündung zu einer mächtigen Barre aufschob, um dann unter dem Einfluß der wärmenden Winde als zerrissene Schollen langsam dem Ozean zuzusegeln. –

Daß ich fortgehen wollte, war natürlich Tagesgespräch im Camp, denn ich war ja doch der erste an Ort und Stelle gewesen. Mit dem Eintritt wärmeren Wetters war die Barre an der Porcupinemündung verschwunden, der Wasserweg nach Dawson-City offen und nun kam ernstlich der Abschied.

Da waren die wenigen alten Ansiedler, die mit mir Freud und Leid geteilt hatten, die ersten Anfänge und den endlichen Aufstieg des Camp. Daß ich von ihnen einen recht feuchten Abschied nahm, liegt in den Sitten des Landes. Wie viele Runden für wie viele Männer ich gab, weiß ich nicht mehr.

Schwer fiel mir der Abschied von Balin, dem treuen Freund, den ich aber in Jerrys Obhut sicher wußte.

Auch die liebe alte Hütte weckte in den letzten Stunden eine fast lyrische Stimmung in mir – aber ein Blick auf die Prosa des Lebens in Gestalt einer Kiste mit einer schönen Anzahl prall gefüllter Goldbeutel tötete jedes aufkeimende Abschiedsgedicht in mir.

Der Morgen kam, an dem ich abfuhr.

Das Gold lag im Kanoe, Zelt und Proviant waren verstaut, die beiden Bootführer, Indianer, beide empfohlen durch meinen alten Freund, den roten Schmuggler Ollo-wan-ha, warteten am Ufer.

Oben auf der Höhe der Böschung stand ganz Porcupine Camp. Der alte O'Kearn brachte, nachdem ich allen noch die Hand gedrückt, drei donnernde Cheers auf den scheidenden Dick aus – dann knirschte der Sand – der hochgehende Fluß riß das leichte Boot mit sich.

Eine wilde Episode meines Lebens war vorüber. Sie war besser ausgefallen, als mein gesunder Menschenverstand es erwartet hatte. Nicht weil ich vielleicht körperlich stärker war als die anderen, nicht vielleicht weil ich routinierter war – es waren körperliche Riesen unter den Kameraden, erfahrene Goldgräber –, aber eines hatte ich vor ihnen vorausgehabt, einen trainierten Willen und die Widerstandskraft gegen die Versuchungen jener Kreise, die für mich eben keine Versuchungen waren.

Ich war nie ein Duckmäuser oder Spielverderber, ich soff mit ihnen, ich spielte mit ihnen, wenn es sein mußte – suchte aber nie die Gelegenheit. Ich drückte mich nie von einer Arbeit, die im Interesse der Allgemeinheit war, mag sie mir noch so schwer angekommen sein; ich war nicht mutiger, aber auch nicht feiger als die anderen; ich fügte mich in die Verhältnisse, ließ meine geistige Überlegenheit niemanden fühlen, war ein einfacher Goldgräber unter einfachen Männern, der nicht Ehren und Einfluß suchte, sondern wie alle anderen lediglich Gold.

Ich hatte in meiner Laufbahn als Goldgräber so ziemlich alle dabei vorkommenden Möglichkeiten erlebt und, wie der Chinese sagt, mein Gesicht nicht verloren. Auf dieser an und für sich gefahrlosen Fahrt den Yukon hinauf im bequemen Kanoe war ich oft nahe daran, die Nerven gänzlich zu verlieren. Und daran war das verfluchte Gold schuld.

Da lag es vor mir, eingesperrt in einer Kiste, es war mein, unbestritten mein, aber ich fühlte förmlich, wie es mich höhnisch angrinste und mir zuraunte: Gib gut acht auf mich und auf dich!

Ich war allein und im Besitze eines immerhin nennenswerten Reichtums, bei mir zwei wildfremde Menschen, Fremde und Wilde. Einer Rasse angehörig, von der ich aus der Indianerliteratur meiner Kindheit wußte, daß ihnen ein Menschenleben nicht viel bedeute, wenn es gilt, in den Besitz eines gewünschten Gutes zu gelangen. Diese naive Kindheitserinnerung wurde in mir lebendig, obgleich ich längst meine Meinung über die rote Rasse seit meinem persönlichen Kontakt mit ihr revidiert hatte; aber immerhin – in diesen Tagen waren die Geschichten eines Lederstrumpf oder Wildtöter wieder auferstanden.

Daß ich Gold, viel Gold mit mir führte, wußten die beiden Burschen, daß es nicht schwer war, mich auf der langen Fahrt in irgendeinem Winkel zu erledigen, wußte ich. Schließlich war die einzige Garantie für sie nur das Wort eines anderen Roten, eines Schmugglers sogar, der sich vielleicht nur meinen Freund genannt hatte, solange er Vorteile für sich sah oder Angst vor den anderen um mich herum empfand – kein Hahn würde nach mir krähen, wenn ich dort oben verschwinden würde.

Diese Gedanken waren aber schon gar nicht geeignet, diese Fahrt zu einer Lustfahrt zu machen. Ich muß heute gestehen, daß ich die beiden Leute fast zu Tode hetzte, um rasch vorwärts zu kommen, in jeder Hand hielt ich einen Revolver und hätte mir damals gar kein Gewissen daraus gemacht, bei der geringsten verdächtigen Bewegung auch nur des einen beide niederzuknallen.

Geschlafen habe ich auf der ganzen langen Tour nur zweimal – in Fort Yukon Fort Yukon – Fort und größere Ansiedlung im Unionterritorium Alaska, an der Mündung des Porcupine in den Yukon. und in Circle Circle – größere Ansiedlung in Alaska am Yukon, südlich von Fort Yukon. – und da nur von Angstträumen gepeinigt. Später, viel später erst, fiel mir ein, daß die Gefahr nicht so groß gewesen ist. Denn erstens ist für die Indianer das Gold nicht so begehrenswert wie für uns Weiße, und zweitens hätten die zwei mit dem geraubten Schatz nicht viel anfangen können, weil in Dawson-City, dem einzigen Platz der Verwertung, sofort eine hochnotpeinliche Untersuchung über die Herkunft der großen Masse Goldes eingesetzt hätte, und die Ausrede, es wäre gefunden, hätte nicht gewirkt.

Endlich lag an einem schönen Abend Dawson-City vor mir – der Ausgangs- und Endpunkt meines Abenteuers mit dem Golde.

Die beiden Indianer belohnte ich fürstlich, weniger in Anerkennung für geleistete Dienste, als aus Befriedigung darüber, sie endlich los zu sein.

Aus dem armen Goldsucher war ein reicher Mann geworden, dem das Leben offen stand, der hungrig war, sich alles zu kaufen – für sein Gold.


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