August von Kotzebue
Die deutschen Kleinstädter
August von Kotzebue

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Sechste Szene

Olmers. Vorige.

Olmers. Ein recht bequemes Haus, lieber Herr Bürgermeister, und eine vortreffliche Aussicht. Ich hoffe, sehr frohe Stunden hier zu verleben.

Bürgermeister. Allergnädigster König 

Olmers. Wie?

Herr Staar. Ew. Königl. Majestät –

Olmers. Was?

Sperling. Glorreichster Monarch –

Olmers. Scherzen Sie mit mir?

Frau Staar. Gesalbter des Herrn –

Olmers. Wir haben doch heute nicht den sechsten Januar?

Bürgermeister. Verbergen Sie sich nicht länger Ihren getreuen Untertanen!

Herr Staar. Unsere Herzen brennen –

Sperling. Und lodern –

Frau Staar. Und zerfließen –

Olmers. Was haben Sie mit mir vor?

Bürgermeister. Dero Premierminister hat bereits halb und halb verraten –

Olmers. Mein Premierminister? (für sich.) Ich werde doch nicht ins Tollhaus geraten sein?

Siebente Szene

Die Magd. Vorige.

Magd. Draußen stehn zwei Männer. Sie sprechen, sie wären Deputierte von der Schützengilde und wollten den König bewillkommen.

Bürgermeister. Wollen Ew. Majestät allergnädigst erlauben?

Olmers. Ei zum Henker! was fällt Ihnen ein? ich bin ja ebensowenig eine Majestät als Ihr Nachtwächter.

Bürgermeister. Ach großer Gott! was wollen Allerhöchstdieselben länger leugnen? wir besitzen ja Dero unschätzbares Porträt.

Olmers. Mein Porträt?

Frau Staar. Hier ist es, großer König. (Sie überreicht es.)

Olmers. Ja, es ist allerdings mein Porträt –

Bürgermeister. Endlich! (Zu der Magd.) Die Deputation soll hereinkommen, soll die Gnade haben, vorgelassen zu werden.

Olmers. Um 's Himmels willen nicht! Sie machen mich zum Gespött; ich heiße Karl Olmers, und damit holla.

Herr Staar. Lasse der Herr Bruder es gut sein; Se. Majestät wollen nun einmal durchaus inkognito bleiben.

Frau Staar. Aber die Ehrenwache werden Allerhöchstdieselben doch nicht verschmähen?

Olmers. Wenn Sie nicht bald aufhören, so brauch ich allerdings eine Wache, denn ich werde verrückt. (Zu Sabinen, welche eben hereintritt.) Ah, Mademoisell! gut, daß Sie kommen. Man will mich hier mit Gewalt zum König machen. Wie das zugeht, mag Gott wissen. König bin ich wahrlich nicht! zu herrschen begehr ich nirgends, als nur in einem Herzen. Erlang ich aber diesen Wunsch, so beneid ich auch keinen König. (Ab.)

Achte Szene

Frau Staar. Der Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Sabine.

Bürgermeister. Man muß Se. Majestät begleiten. (Er will nach.)

Sabine (hält ihn auf). Lieber Vater, was soll das heißen? wie kommen Sie auf den Einfall?

Bürgermeister. Naseweis! es ist unser König.

Sabine. Gott bewahre! wer hat Ihnen das weisgemacht?

Herr Staar. Weisgemacht?

Bürgermeister. Hat die Frau Mutter nicht den Großvater gesehn?

Herr Staar. Hat sie nicht das Porträt?

Frau Staar. Von ihr selbst hab ich es empfangen.

Sabine. Ah! nun versteh ich – ja lieber Gott, das war nur ein Scherz.

Alle. Ein Scherz?

Sabine. Verzeihen Sie, liebe Großmutter –

Frau Staar. Ich drehe dir den Hals um!

Sabine. Konnt' ich das vermuten –

Frau Staar. Gottloses Kind! du wußtest also, wen das Porträt eigentlich vorstellt?

Sabine (sich etwas verlegen heraushelfend). Nein – das wußte ich nicht –

Frau Staar. Wie kamst du dazu?

Sabine. Ich – ich hab es gefunden.

Frau Staar. Gefunden? wo? wie?

Sabine. Als ich noch in der Residenz war – auf einem Spaziergange – im hohen Grase – ich steckt' es in die Tasche und hab es vergessen bis auf den heutigen Tag.

Frau Staar. Ei! woher denn aber die Zärtlichkeit, mit der du das Bild angafftest, als ich diesen Morgen hereintrat?

Sabine. Zärtlichkeit?

Frau Staar. Ja, ja, Mamsell, dir war Hören und Sehen vergangen.

Sperling. Ei, ei, Mademoisell.

Sabine. Ah das kann ich Ihnen leicht erklären. Aufmerksamkeit war es. In den Zeitungen wurde ein verlorenes Bild angezeigt. Da fiel mir das meinige wieder bei. Schnell zog ich es aus der Tasche, um es mit der Angabe zu vergleichen.

Frau Staar. Ich habe ja keine Zeitungen gesehn?

Sabine. Dort liegen sie noch auf dem Tische.

Frau Staar (zieht die Brille heraus). Gib doch her, ich will den Artikel selber lesen.

Sabine (erschrocken). O ja – warum nicht – hier sind sie – ach verwünscht! da haben die Kinder das Butterbrot daraufgelegt. Es ist alles durchgeweicht, alles unleserlich.

Frau Staar. Verschmitzte Kreatur! wenn ich nun das Bild an einer Zitternadel auf meine Haube gesteckt hätte? Die ganze Stadt hätte mit Fingern auf mich gewiesen. – Fort damit! Laß es mir nie wieder vor die Augen kommen.

Bürgermeister. Gib es dem Fremden zurück.

Sabine. Ei freilich, er könnte ja sonst wunder glauben –

Sperling. Der Ersatz sei meine Sorge. Ich selber lasse mich malen.

Sabine (beiseite). Lieber ausstopfen.

Herr Staar. Die Jungfer Nichte ist eine Närrin! Daß doch so eine leichtfertige Dirne eine ganze reputierliche Stadt wie ihren Strickbeutel umkehrt. Ich muß nur gehen und die Bürgerschaft beruhigen. (Ab.)

Bürgermeister. Und ich will die Schützendeputation abfertigen. Das sag ich dir! bringst du mir noch einmal einen solchen König ins Haus, so schick ich dich auf die Spinnstube. (Ab.)

Frau Staar. Alle Freude umsonst! ich sah schon die Ehrenwache vor unserer Tür; ich erzählte es schon meinem seligen Herrn im Grabe – und indessen sind meine Braten zu Kohlen verbrannt, du Rabenkind! (Ab.)

Neunte Szene

Sperling und Sabine.

Sabine. Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut, Sie werden vermutlich vor dem Essen auch noch Geschäfte haben?

Sperling. Werteste Mademoisell, vor dem Essen und nach dem Essen hab ich kein andres Geschäft, als mein treues Herz vor Ihnen auszubreiten.

Sabine. Ausbreiten? es ist ja kein Mantel.

Sperling. Poetischerweise allerdings ein Mantel, aber ohne Falten, ohne alle Falten. Schönste Sabina! versuchen Sie es! wickeln Sie sich darein bei Sturm und Frost.

Sabine. Ich bin noch jung, mein Herr, und bedarf keiner geborgten Wärme.

Sperling. Will ich denn dies treue Herz nur borgen? nein, schenken will ich es! (Er kniet nieder.) Hier zu ihren Füßen empfangen Sie Ihr Eigentum! schalten Sie damit nach Gefallen. Der König ist verschwunden, aber die Königin steht vor mir! Meine Königin! mein Götterkind!

Zehnte Szene

Olmers. Vorige.

Olmers (stutzt, als er hereintritt). Ich bitt um Vergebung, eine so schöne Unterhaltung muß man nicht stören.

Sperling (steht auf).

Sabine. Es hat nichts zu bedeuten. Kommen Sie nur näher.

Olmers (bitter). Nichts zu bedeuten? Es möchte doch wohl Leute geben, denen ein solcher Anblick sehr bedeutend vorkäme.

Sperling. Ei freilich! Sie sollen wissen, mein Herr, daß nach einer Ewigkeit von zwei Jahren die treue Liebe endlich siegt.

Olmers. Wirklich? ich wünsche Ihnen Glück.

Sperling. Wenn Sie einige Wochen bei uns verweilen, so werden Sie einem Feste beiwohnen, an welchem Amor und Hymen sich brüderlich umarmen.

Olmers. In der Tat?

Sabine. Ja, mein Herr, das hoff ich von ganzem Herzen.

Olmers. Ei, welche liebenswürdige Offenheit! Natürlich werde ich so lange hierbleiben, denn ich muß für meinen zerbrochenen Wagen doch durch etwas entschädigt werden.

Sabine. Noch bin ich zwar nicht Braut, aber ich hoffe es bald zu werden.

Olmers. Sie wären es noch nicht? Sie belieben zu scherzen.

Sperling. Purer klarer Scherz im Gefolge der Grazien.

Sabine. Mein Herr, verstehen Sie mich recht. Schon seit fünf Wochen hab ich gehofft, daß mein Geliebter sich erklären würde, aber er schwieg.

Sperling. Er schwieg? Schalkhafte! haben meine Augen denn nicht gesprochen?

Olmers (der zu begreifen anfängt). Er schwieg vielleicht nur, um alles vorzubereiten.

Sperling. Ganz recht, mein Herr. In meiner künftigen Wohnung wird noch gebaut. Jetzt logier ich im Dachstübchen bei dem Herrn Vizekirchenvorsteher.

Sabine. Er hätte mir doch durch die dritte Hand eine schriftliche Nachricht können zukommen lassen.

Sperling. Lag ich denn nicht täglich selber zu Ihren Füßen?

Olmers. Vielleicht hat er ein strenges Verbot, welches die Sittsamkeit ihm auflegte, zu gewissenhaft erfüllt.

Sperling. Erraten, mein Herr. Als die Mamsell nach der Residenz ging, verbot sie mir ausdrücklich, meine Seufzer durch die Post zu spedieren.

Sabine. Einer dienstfertigen Muhme hätte man sich immer vertrauen mögen.

Sperling. Schönste Mademoisell, alle unsere Muhmen sind Klatschmäuler.

Olmers. Vielleicht glaubte man auch, von Liebe und Treue bereits so viele Proben abgelegt zu haben, daß man auf edles Vertrauen rechnen dürfe.

Sperling. Getroffen, mein Herr. Ich bin ja so treu als der Hund des Melai in Meißners Skizzen.

Sabine. Sie glauben also wirklich, Herr Olmers, daß mein Geliebter noch ebenso warm für mich empfinde als vormals?

Sperling. Nur warm? – siedend heiß! – Ja, Mademoisell! hätte Archimedes solche Liebe empfunden, er hätte seine Spiegel nicht gebraucht, um die feindliche Flotte in Brand zu stecken.

Olmers. Ich wage zu behaupten, daß seine Empfindungen durch die Abwesenheit nur noch heftiger geworden.

Sperling. Freilich, freilich. Als sie in der Stadt war, wollt' ich rasend werden.

Sabine. Nun, so bin ich beruhigt.

Sperling. Endlich!

Olmers. Auch ich.

Sperling. Sie sind ein scharmanter Mann, daß Sie um meinetwillen sich so beunruhigt haben. Ich bitte mir Ihre Freundschaft aus.

Olmers. Gehorsamer Diener.

Sabine. Wer mich aufrichtig liebt, wird es aber nicht bloß mir sagen.

Sperling. Wem sonst?

Olmers. Vermutlich wird er sich Ihrem Herrn Vater entdecken.

Sperling. Ist ja schon geschehn.

Sabine. Was noch zu tun wäre, muß bald geschehn, da meine Verlobung bereits auf morgen festgesetzt worden.

Sperling. Ebendeswegen ist nichts mehr vonnöten.

Olmers. Und wäre noch etwas vonnöten, so wird es sicher diesen Abend geschehn.

Sperling. Natürlich.

Sabine. Ich schwebe zwischen Furcht und Hoffnung.

Sperling. Werfen Sie sich der Hoffnung getrost in die Arme.

Olmers. Mächtige Fürsprache kann Gutes bewirken.

Sperling. Wozu? Die Familie ist einig.

                Der Schmetterling vermählt sich mit der Rose
Und trinkt entzückt den Tau aus ihrem Schoße.

Sabine. Wohlan! in Gegenwart dieses Herrn schwör ich nochmals ewige Liebe!

Olmers. Ich empfange den Schwur im Namen des Geliebten.

Sperling. Ach, wie rührend!

Sabine. Keine Gewalt soll mich von ihm trennen!

Olmers. Er ist auf ewig mit Ihnen verbunden.

Sperling. Meine Tränen fließen.

Sabine. Zum Pfand des Schwurs reich ich die Hand.

Olmers. Dankbar drücke ich sie an die Lippen.

Sperling. Na, ich bin recht seelenvergnügt.

Eilfte Szene

Frau Staar. Vorige.

Frau Staar. Das Essen ist aufgetragen. Die Gäste sind bereits in der großen Stube. Wenn ich gehorsamst bitten darf –

Olmers. Zu Befehl.

(Er reicht Sabinen hinter Sperlings Rücken die Hand und entschlüpft mit ihr.)

Sperling (indem er weiße Handschuh' anzieht). So will ich denn im Triumph an der Hand der Liebe – (Er wendet sich galant, um Sabinen die Hand zu reichen, steht aber vor der Großmutter.)

Frau Staar (verneigt sich). Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut –

Sperling (stotternd). Frau Untersteuereinnehmerin –

(Sie reicht ihm ihre Fingerspitzen, welche er mit seinen Fingerspitzen faßt und mit einem süßsauren Gesichte sie fortführt.)

Ende des zweiten Akts


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