August von Kotzebue
Die deutschen Kleinstädter
August von Kotzebue

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Siebente Szene

Sabine mit der Perücke. Vorige.

Sabine. Da ist die Perücke.

Frau Staar. Es bleibt doch dabei, mein Sohn, daß morgen zugleich Sabinchens Verlobung gefeiert wird?

Bürgermeister. Allerdings. Es ist ein merkwürdiger Tag.

Frau Staar. Das Mädchen macht Einwendungen.

Bürgermeister. Was? ich bin Bürgermeister, auch Oberältester, mir macht man keine Einwendungen.

Sabine. Lieber Vater!

Bürgermeister. Erst die Pflicht, dann die Liebe. Ich gehöre dem Staate. Mir gebührt es, ein Fest zu verherrlichen, das noch unsern Urenkeln Segen bringen wird. (Indem er die Perücke aufsetzt.) Die Jurisdiktion zwischen unserer guten Stadt Krähwinkel und dem benachbarten Amte Rummelsburg war strittig – eine Diebin wurde eingefangen – wir wollten sie an den Pranger stellen, die Rummelsburger gleichfalls – wir wollten sie mit Ruten streichen, die Rummelsburger gleichfalls. Neun Jahre lang haben wir prozessiert – die Delinquentin ist indessen wohl verwahrt worden – Gott sei Dank! sie lebt noch – wir siegen, und morgen steht sie am Pranger.

Sabine. Lieber Vater, der Delinquentin kann fast nicht schlimmer zumute sein als mir.

Bürgermeister. Wieso?

Sabine. Wenn sie ihre Strafe überstanden hat, so ist sie frei. Ich habe nichts verbrochen und soll morgen auf ewig in Ketten geschmiedet werden.

Bürgermeister. Sei ruhig, mein Kind. Der heidnische Gott Amor oder Hymenäus schmiedet nur Blumenfesseln.

Sabine. Ach! die nicht selten das Herz wund drücken.

Bürgermeister. Der Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut Sperling ist ein Mann bei der Stadt.

Frau Staar. Das hab ich auch gesagt.

Bürgermeister. Es fehlt ihm keineswegs am Judicio.

Herr Staar. Das hab ich auch gesagt.

Bürgermeister. Er hat Vermögen.

Frau Staar. Meine Worte.

Bürgermeister. Schreibt allerlei poetische Exercitia.

Herr Staar. Mir aus der Seele gesprochen.

Bürgermeister. Kurz, ich habe denselben zu meinem Schwiegersohn erkieset, wogegen keine weitere dilatorische Einrede stattfindet.

Sabine (beiseite). Weh mir! Alles hat sich gegen mich verschworen!

Achte Szene

Die Magd. Die Vorigen.

Magd. Da bringt eben ein Bauer einen Brief. Der Herr, der ihn schickt, liegt draußen im Steinbruch und flucht. Er hat den Wagen zerbrochen, und ich glaube auch ein Bein.

Bürgermeister. Seit ich Bürgermeister, auch Oberältester bin, ist, Gott sei Dank, noch in jeder Woche auf unserer Straße ein Reisender umgeworfen worden.

Frau Staar. Warum läßt denn aber ein Hochedler Rat die Wege nicht reparieren?

Bürgermeister. Was soll denn aus unsern Schmieden und Sattlern werden, die vom Umwerfen leben müssen? Das ist alles berechnet.

Sabine. Aber, lieber Vater, die Reisenden klagen gewaltig. Sie müssen noch obendrein Chausseegeld bezahlen.

Bürgermeister. Laß sie klagen und zahlen. Was wollen die Reisenden reden, wenn wir uns sogar gefallen lassen, daß das Pflaster unserer guten Stadt Krähwinkel noch weit schlechter ist als die Landstraße?

Sabine. Trotz des Pflastergeldes.

Bürgermeister. Eben deswegen. Wir brechen hier auch die Beine und murren nicht. Also, wo ist der Brief?

Magd (öffnet die Tür). Nur herein, guter Freund. (Sie geht ab.)

Neunte Szene

Ein Bauer. Die Vorigen.

Bauer. Ew. Gestrengen halten zu Gnaden. Draußen im Steinbruch liegt ein Herr, muß wohl ein vornehmer Herr sein, denn er hat auch Laternen am Wagen, die sind alle zerbrochen.

Bürgermeister. Und Arm und Beine?

Bauer. Die sind für diesmal noch ganz geblieben. Nur die Nase ein wenig geschunden.

Bürgermeister. Aber der Wagen?

Bauer. Der sieht jämmerlich aus. Ein Rad liegt oben, grade neben der Tafel, wo das Chausseegeld daraufsteht.

Herr Staar. Da kann er lesen zum Zeitvertreib.

Bauer. O Bücher hat er die Menge! aber alle beschmutzt, so wie seine Kleider. Drum getraut er sich auch noch nicht, vor Ew. Gestrengen Gnaden zu erscheinen.

Bürgermeister. Was will er bei mir?

Bauer. Er hat mir einen halben Gulden gegeben, daß ich den Brief hertragen und ihn anmelden soll.

Frau Staar. Vielleicht kömmt er zu dem morgenden Feste.

Sabine (beiseite). Oder vielleicht – o wie klopft mein Herz!

Bürgermeister (öffnet den Brief). Wie? was? von Sr. Exzellenz dem dirigierenden Herrn Minister? dem hohen Gönner und Patron dieser Stadt? – man schweige – man verwundre sich – man höre – (Er liest.) »Mein lieber Herr Bürgermeister« – O ja! Se. Exzellenz haben mich immer geliebt. – »Überbringer dieses, mein alter Schul- und Universitätsfreund, Herr Olmers –«

Sabine (beiseite). Er ist's!

Frau Staar. Herr Olmers schlechtweg? ein Freund des Ministers?

Bürgermeister. Stille! (Er liest.) »hat viel Gutes von Ihnen und Ihrer Stadt gehört und wünscht einige Wochen da zuzubringen« – Hört ihr, Kinder? in der Residenz sprechen sie von nichts als von mir und unserer Stadt. – »Da ich ihn nun sehr liebe und hochschätze, so wünsche ich, Sie möchten die Gefälligkeit für mich haben« – untertänigster Diener! – »ihn in Ihrem Hause aufzunehmen« – Ew. Exzellenz haben zu befehlen! »sein etwaniges Anliegen bestmöglichst zu befördern« soll geschehn. –

Sabine (beiseite). Gottlob!

Bürgermeister (liest). »und ihn als Ihren eigenen Sohn zu betrachten« – fiat! – »Mit Vergnügen werde ich jede Gelegenheit ergreifen, Ihnen wiederum gefällig zu sein.« – Zu viel Gnade! – »Ich verbleibe mit Hochachtung meines Herrn Bürgermeisters dienstwilliger Graf von Hochberg.« – Alles manu propria. Habt ihr's gehört? Se. Exzellenz der Herr Graf von Hochberg –

Frau Staar. Er ist dein Dienstwilliger.

Herr Staar. Er verbleibt mit Hochachtung.

Bürgermeister. Er ergreift jede Gelegenheit! – Das ist ein Mann! Kinder, das ist ein Mann! der könnte alle Tage Bürgermeister in Krähwinkel werden! Aber er soll auch an mir seinen Mann gefunden haben. (Zu dem Bauer.) Marsch! fort! hinaus! Ich lasse dem fremden Herrn meinen untertänigsten Respekt vermelden, und den Augenblick solle mein eigner Wagen ihm zu Diensten stehn.

Frau Staar. Wo denkst du hin? unsere Pferde sind aufs Feld, Kartoffeln zu holen.

Bürgermeister. Ja so! ein verdammter Streich! man springe hin zu dem Wirt in der »Goldenen Katze«, er soll vorspannen, soll seine Schützenuniform anziehn, soll sich selber auf den Bock setzen, hinausfahren, aufladen, hereinfahren, fort! fort!

Bauer (ab).

Sabine (beiseite). Er hat doch Wort gehalten.

Frau Staar. Aber das gefällt mir nicht, mein Sohn, daß du dem Fremden deinen untertänigsten Respekt hast vermelden lassen. Das ist zuviel.

Bürgermeister. Zuviel? ist er nicht der Freund des Herrn Grafen? und ist der Herr Graf nicht mein Dienstwilliger?

Frau Staar. Alles gut, aber er ist doch nun einmal gar nichts, hat weder Titel noch Amt, Herr Olmers schlechtweg. Du bist Bürgermeister, auch Oberältester.

Bürgermeister. Freilich, freilich. Was ist zu tun? Der Bauer ist mit dem untertänigsten Respekt nun einmal davongelaufen.

Herr Staar. Ich denke, Frau Mutter, dahinter stecken noch ganz andere Dinge. Wenn der Herr Olmers schlechtweg Herr Olmers wäre, so würde der Minister den Henker nach ihm fragen. Schulfreund? Universitätsfreund? Du lieber Gott! die vornehmen Herrn vergessen wohl wen sie gestern gesehn haben, das find ich in allen Romanen; wieviel mehr Leute, mit denen sie vor zwanzig Jahren einmal den Cornelius Nepos exponierten. Nein, nein, ich bleibe dabei, der Herr Olmers reist inkognito und ist ein wichtiger Mann im Staate.

Bürgermeister. Da hat der Herr Bruder allerdings einen klugen Einfall. Gebt acht, der Fremde ist nicht viel weniger als Minister.

Herr Staar. Ehe ihr's euch verseht, knöpft er den Oberrock auf – da habt ihr den Stern.

Frau Staar. Ein Stern! ich bekomme meinen Schwindel.

Sabine (beiseite). Er trägt allerdings etwas Kostbares auf dieser Stelle.

Frau Staar. Aber sagt mir nur, was kann er denn bei uns suchen?

Bürgermeister. Fehlt es uns etwa an Merkwürdigkeiten? Das alte Rathaus! 1430 ist es erbaut worden. Auf dem großen Saale hat ein Hussitengeneral dem damaligen Bürgermeister eine Ohrfeige gegeben.

Herr Staar. Und die Walfischrippe an der Decke –

Bürgermeister. Und die Stadtuhr, wo der Hahn kräht und der Apostel Petrus mit dem Kopfe nickt.

Frau Staar. Und unsere Leinewandbleiche –

Herr Staar. Und das große Hirschgeweih –

Bürgermeister. Ein pommerscher Herzog hat den Hirsch höchsteigenhändig erlegt.

Frau Staar. Vielleicht kömmt er auch wegen der Tuchfabriken?

Bürgermeister. Possen! ein solcher Herr hat in seinem Leben Tuch genug gesehn.

Frau Staar. Meinen Zichorienkaffee soll er bewundern.

Herr Staar. Ein gutes Buch dabei aus meiner Lesebibliothek.

Bürgermeister. Oder die merkwürdigsten Akten, welche vor einem Hochlöblichen Rate verhandelt worden.

Frau Staar. Was wird das vor Aufsehn in der Stadt machen, daß ein solcher Herr bei uns logiert.

Bürgermeister. Wir müssen ihn nur auch nach Würden empfangen.

Herr Staar. Sabinchen, laß die Kinder weiß anziehn. Ich will den Sperling herschicken, der soll sie lehren Blumen streun, das ist jetzt Mode.

Bürgermeister. Und ich will sogleich den Türmer bestellen. Er kann ein wenig die Trompete blasen. Wenn der Fremde zum Tore herein fährt, so soll er blasen, was die Lunge nur halten will.

Herr Staar. Find ich nur den Sperling, er ist kapabel, noch Verse zu machen.

Bürgermeister. Suche der Herr Bruder ihn auf; und die Frau Mutter, nebst Jungfer Tochter, verfügen sich in die Küche, backen, kochen, sieden, braten. Heute wird nicht von Zinn gespeist, sondern von Fayence. Was von Silber im Hause ist, muß auf den Tisch. Meine silberne Tabaksdose kann als Salzfaß gebraucht werden. – Das große Deckelglas mit meinem verzogenen Namen wird vor den Fremden gestellt. Kein schwarzes Brot, lauter Semmeln. Zwei Flaschen von meinem köstlichen Naumburger. Ein Kalbskopf mit einem verguldeten Lorbeerblatt im Maule. Eine Pastete mit Morcheln, und eine gebratene Gans mit Borstdorferäpfeln. Oh, Se. Exzellenz sollen wissen, daß wir auch verstehn, was dazugehört.

Frau Staar. Und was das Nötigen betrifft, da verlaß dich auf mich. Ich will ihn nötigen, solange noch ein Bissen hineingeht. Er soll einen Knopf nach dem andern von der Weste springen lassen.

Bürgermeister. Das tue die Frau Mutter. Komm der Herr Bruder. Jeder verrichte das Seine, zu Ehr' und Ruhm unserer guten Stadt Krähwinkel. (Ab mit Herrn Staar.)

Zehnte Szene

Frau Staar. Sabine.

Frau Staar. Nun, Sabinchen, jetzt rühre dich. Die Garnitur von Damast muß auf den Tisch. Sie sollte zwar erst morgen an deinem Verlobungstage prangen –

Sabine. Je nun, liebe Großmutter, wer weiß, was heute geschieht.

Frau Staar. Wie? ziehst du andre Saiten auf? der Fremde, nicht wahr?

Sabine. Freilich, der Fremde.

Frau Staar. Wir bitten ihn zur Hochzeit?

Sabine. Das versteht sich.

Frau Staar. Er sitzt obenan.

Sabine. Er soll neben mir sitzen.

Frau Staar. Nein, Kind, das geht nicht, da sitzt der Bräutigam.

Sabine. Recht, liebe Großmutter.

Frau Staar. Und an der andern Seite der Brautvater, und gegenüber sitz ich, und neben mir, da mag er sitzen.

Sabine. Ich will ihm schon ein Plätzchen anweisen, mit dem er zufrieden sein soll.

Frau Staar. Vielleicht kann er auch deinem künftigen Manne weiter forthelfen.

Sabine. Das denk ich.

Frau Staar. Es ist schon lange im Werke mit dem Sperling, daß er Runkelrübenkommissionsassessor werden soll. Das wäre denn doch ein feiner Titel.

Sabine. Ein recht süßer Titel. – Also die Garnitur von Damast?

Frau Staar. Ja, Binchen. Ich habe sie noch als Braut gesponnen. Dein Großvater hat oft dabeigesessen.

Sabine. Da ist der Faden wohl manchmal abgerissen?

Frau Staar. Schalk! nun freilich –

Sabine. Ich hole sie und denke dabei an die treue Liebe. (Ab.)


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