Leopold Kompert
Die Jahrzeit
Leopold Kompert

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Keine Mutter hört ohne tiefes Erschrecken, daß über ihr Kind ein entscheidendes Wort gesprochen werde, bevor sie es selbst in ihrem Gemüthe zum Abschluß gebracht hat. Im ersten Augenblicke erscheint es ihr beinahe frevelhaft, daß eine andere Hand, als die ihre, den Zukunftsbau ihres Kindes berühre, weil sie selbst den ihr zunächst stehenden Gatten für zu täppisch und grobfühlend hält, um all' das nach jenem sichern Maße festzustellen und zu bestimmen, was ihr für das Glück des Kindes am zuträglichsten dünkt. Das war auch die Empfindung Esther's, und darum erschrak sie.

Nach eine Weile faßte sie sich und sagte fast unvernehmbar:

»Denkst Du denn schon daran...«

»Schon?« fragte er lachend, und mit einem pfiffigen Augenzwinkern setzte er sogleich hinzu: »Esther, ich habe ihn bereits.«

»Wen?« rief sie athemlos.

»Einen, auf den ich schon lange meine Augen geworfen habe«, sagte er, und seine Stimme klang fast zitternd, »Einen, wie ich ihn für mein Kind brauche und gerade so, als wenn ihn Gott eigens für uns und unser Blümele in die Welt gesetzt hätte. Denn er ist selbst ein frommes Kind, ehrt Vater und Mutter, und wird darauf sehen, daß unser Kind fromm bleibt und gut... und uns auch ehrt und nicht... vergißt, wenn wir nicht mehr da sind...«

Esther war durch die Sprache ihres Mannes, die in ihrem Gemüthe verwandte Töne anschlug, insoweit beruhigt worden, daß sie beinahe scherzhaft fragen konnte:

»Wer soll's denn sein? Halte mich nicht zu lange in der Spannung.«

»Du kennst ihn so gut, wie ich...«, sagte Jacob Löw langsam. »Es ist mein Bruderssohn...«

»Maier mit den vier Händen!...«, rief Esther, ja sie schrie es beinahe mit einer Heftigkeit, wie sie dieser Frau sonst nicht eigen war, und stand auf, um sich dann kraftlos wieder in ihren Sitz zurückzulehnen.

Es fiel Jacob Löw hart, in diesem Augenblicke seine Empfindung in Zaum zu halten. Die Zornesader auf seiner Stirne war furchtbar anzusehen; dennoch bezwang er sich.

»Daß doch alle Weiber in dem einen Punkte sich gleichen!« sagte er. »Vier Hände hat er, meinst Du; ich sehe an ihm nur zwei, und die schaffen rüstig und tüchtig, wie es ihm kein Zweiter in der Gasse nachthut. Ich weiß schon, was Du mit Maier's vier Händen verstehst... Weibergeschwätz und Narrethei! Mein Bruderssohn Maier ist Keiner von der jetzigen leichten Welt, und dafür sei Gott im Himmel gelobt und gepriesen. Möchte ich sonst an ihn gedacht haben? Ich will ihn gar nicht anders, als mit seinen vier Händen!«

Esther schwieg: Sie kannte nun die Gedankenfäden ihres Mannes, wie sie sich jetzt als ein vollständiges Gewebe ihren Augen darboten. Sie gehörte aber nicht zu den Frauen, die in solchen Fällen ihr vermeintliches gutes Recht gleichsam auf einen Wurf stellen, der ihnen entweder vollständigen Gewinnst oder Verlust in Aussicht stellt. Vor der Hand schloß sie den Plan ihres Mannes in ihr Herz und drückte darauf das Siegel des Geheimnisses. Aber sie hörte ihn zu jeder Stunde des Tages in sich pochen – und wenn sie Blümele ansah, konnte sie sich einer unsagbaren Traurigkeit nicht erwehren.

Wir werden erst später sehen, daß Esther's Abneigung aus einer keineswegs dunklen Ursache entsprang, und sie sich deren vollkommen bewußt war. Esther wußte nämlich, daß ihre Tochter auf die einfache Frage: »Blümele, willst Du Dein Geschwisterkind zum Manne haben?«... mit einem lauten Gelächter antworten würde, denn Blümele lachte stets, wenn sie ihres Geschwisterkindes nur gedachte... und seltsam: Esther stimmte in diesem Punkte ihrer Tochter vollständig bei.

Jacob Löw's Brudersohn nämlich hatte wirklich das Unglück, mit zwei überflüssigen Händen, außer den ihm von der Natur verliehenen, ausgestattet zu sein. Von dem Lobe, das ihm sein Oheim ertheilte, brauchte kein Buchstabe weggeleugnet zu werden; es war kein Zweiter in der Gasse, der es ihm an Tüchtigkeit und Bravheit gleichgethan hätte, – aber nichtsdestoweniger stand die Thatsache fest und unverrückbar in aller Leute Überzeugung: Maier war vierhändig geboren.

Das war natürlich nur im figürlichen Sinne zu verstehen; es war ein Spaß, ein Spitzwort. Aber hat das die Leute, namentlich die in der ›Gasse‹, die mit ihren scharfen Augen auf jede Unebenheit lauern, um sich ihrer als guter Beute zu bemächtigen, jemals abgehalten, das, was eben nur ein Witz war, alsbald in das Gewand der Wahrheit zu kleiden? Und Maier besaß nicht einmal eine solche Unebenheit. An ihm war Alles klein, so daß er nicht einmal unter das landesübliche Rekrutenmaß gestellt werden konnte; dafür hatten jedoch seine Arme eine Länge erlangt, die über alle Vorstellung ging. Sie waren so unförmlich lang, daß sie fast auf den Boden reichten; dabei hatte Maier die Gewohnheit, namentlich wenn er in Eifer und Zorn gerieth, mit seinen Händen so heftig zu arbeiten und sie mit einer solchen Geschicklichkeit zu gebrauchen, daß es in solchen Augenblicken wirklich das Ansehen hatte, als hätten sie sich vervielfältigt und als wären aus zweien... seltsam genug, vier geworden. Das war aber auch Alles, was sich unserm Maier Schlimmes nachsagen ließ. Sein Unglück bestand jedoch darin, daß dieses Schlimme zugleich lächerlich war, und dagegen sind die Menschen bekanntlich von einer nie versiegenden Unerbittlichkeit.

Das in Rede stehende Spitzwort war übrigens, merkwürdig genug! nicht in der Gasse, entstanden, es war eine fremde Erfindung, und zwar hatte es der Fabriksbuchhalter Jaques ihm aufgebracht. Es hatte früher in der Luft geschwebt, aber erst Jaques, der Buchhalter, hatte es zu sich herabgezogen und ihm Namen und Leben gegeben.

Jaques war ein Ungar... und, um es kurz zu sagen, der Abgott der gesammten Mädchenwelt in der Gasse. Er hatte einen prächtigen Kopf auf mit schwarzgelockten Haaren, dunkelblitzende Augen und glänzend weiße Zähne, dabei etwas hochmüthig aufgeworfene rothe Lippen, die ein herrlicher, nach ungarischer Weise aufgedrehter Schnurrbart überschattete. Jaques stellte sämmtliche junge Männer in tiefen Schatten; wo er erschien, da war es, als ob sich mitten unter allerlei niederem Geflügel ein Adler niedergelassen. Der ganze grelle Unterschied zwischen der träumerisch düstern Natur der Böhmen und der leidenschaftlich erregten, leichtblütigen, von einer heißern Sonne gleichsam durchglühten des Ungars trat hervor, wo Jaques erschien; und es ist leicht zu begreifen, wem der Sieg zufiel. Namentlich an Sabbatnachmittagen, besonders im Sommer und Frühlinge, war es, wo Jaques Gestirn in seinem vollsten Lichte strahlte. Da gingen die ›großen‹ Mädchen der Gasse in Begleitung ihrer Brüder, die Bräute mit ihren Bräutigamen auf den benachbarten Berg, wie die kleine, mit Birnbäumen bepflanzte, gleich hinter den Häusern der ›Gasse‹ aufsteigende kleine Anhöhe hieß. Man hatte von dort aus einen gar erquickenden Anblick; ringsherum waltete Friede und Stille, unten in den Wohnungen herrschte sabbatliche Ruhe. Das Gelächter und Plaudern der Mädchen konnte unten vernommen werden, ja, ein scharfes Auge konnte die einzelnen Gestalten, wie sie da unter einem mächtigen Birnbaume, ins weiche Gras hingebettet, saßen, leicht entdecken und benennen. Zuweilen wurde dieses Lachen so laut, daß es den Leuten, namentlich den Müttern, die draußen vor ihren Häusern saßen, wie ein Sonnenschein über das Antlitz fuhr, und Mancher meinte: »Gewiß ist der Ungar unter ihnen!« Und er war unter ihnen, denn, wenn er fehlte, war es droben auf dem Berge gar still und langweilig. Jaques gebrauchte gewöhnlich den Kunstgriff, daß er erst erschien, wenn sich die ganze Mädchenwelt vollzählig versammelt hatte. Wie leuchteten da die Augen auf, wie, färbten sich da die Wangen, – aber wie krampfhaft ballte sich auch manche Faust! Ohne noch eine Silbe gesprochen zu haben, war die Stimmung der Gesellschaft eine andere geworden. Und Jaques war jedesmal neu; sein Unterhaltungsstoff hatte eine unversiegbare Quelle, sie gab immer reines Wasser. Bald lehrte er die Mädchen einen neuen Tanz, bald ein neues Spiel, wobei er sich im Pfänderauslösen wahrhaft großartig zeigte, bald erzählte er ihnen etwas aus seiner Heimath. Mitten nach Böhmen zauberte er den ihm andächtig lauschenden Mädchen die meilenweiten, öden Pußten seines Vaterlandes vor, mit den darauf weidenden Pferden und den im Sturmesbrausen daherfliegenden Csikosen, die gelegentlich auf das edle Räuberhandwerk sich verlegten. Zuweilen brachte er einen Stock, der nach Art einer Flöte mit Blaselöchern versehen war, und den er ›Csakan‹ nannte, und pfiff darauf, wiewohl das eigentlich am Sabbat unstatthaft war, die schönsten ungarischen Lieder vor. Manchem Mädchen drängten diese traurig seltsamen Melodien Thränen in die Augen; aber wenn Jaques dies bemerkte, brach er schnell ab und brachte sogleich einen Spaß vor, der sie Alle wieder zu unauslöschlichem Gelächter hinriß.

An einem solchen Sabbatnachmittage veranstaltete Jaques einen Tanz, den er mit den Mädchen und den andern jungen Männern schon öfters probirt hatte. Blümele zählte sich seit Kurzem gleichfalls zu den ›Großen‹ und war zugegen; sie hatte ein neues, von ihrem Vater ihr heimgebrachtes Kleid an und in ihren schwarzen Haaren eine brennend rothe Schleife, die die merkwürdige Schönheit ihres Kopfes wunderbar hervorhob. Die Paare hatten sich bereits gebildet; Blümele war von ihrem Geschwisterkinde Maier aufgefordert worden, was sie auch angenommen hatte. Jaques, als Leiter der Unterhaltung, zugleich als Orchester, denn er sang auch die den Tanz begleitende Musik, hatte sich keine Tänzerin ausersehen. Da fiel sein Blick auf Blümele und ihren Tänzer Maier, der mit seinen langen Händen aus lauter Freude und Genuß wie mit Windmühlenflügeln um sich schlug.

»Wie?« rief Jaques, indem er seinen Arm in den des Mädchens legte, mit lachendem Munde, wobei seine rothen Lippen noch einmal so hochmüthig wie sonst glühten, »Wie? darf ich es zugeben, daß die schönste Blume in der Gasse mit einem vierhändigen Menschen tanzt?«

Die ganze Gesellschaft brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Maier mit den vier Händen!« tönte es von allen Seiten.

»Wie verstehen Sie das... Jaques?« fragte Maier, am ganzen Leibe zitternd.

»Wie ich das verstehe?« rief der übermüthige Jaques. »Ich will Ihnen genau sagen, wie ich das verstehe. Messen Sie einmal zu Hause mit der Elle Ihre beiden Hände und Sie werden finden, daß sich ganz gut noch einmal so viel daraus machen läßt.«

»Jaques hat Recht! Jaques hat Recht!« kicherte und lachte es von allen Seiten.

»Blümele, willst Du mit mir nicht tanzen?« wandte sich Maier an sein Geschwisterkind, und sah sie mit seinen kleinen Augen beinahe flehend an.

»Ich sagte es Ihnen ja schon, daß sie mit Ihnen nicht tanzen darf«, rief Jaques und drücke verständlich genug den Arm des Mädchens.

»Willst Du mit mir nicht tanzen, Blümele?...« wiederholte Maier dringender. In seiner Stimme klang etwas, das einem weniger leichtsinnigen Mädchen geoffenbart hätte, es sei ihm um etwas mehr, als um die Gewährung eines Tanzes zu thun.

»Beim Tanze braucht man nur zwei Hände!« raunte Jaques dem Mädchen ins Ohr.

Da lachte Blümele hell auf; sie lachte so laut und heftig, daß ihr die rothe Schleife aus den Haaren fiel. Nun bückte sich Jaques rasch, ehe ihm ein Anderer zuvorkam, und befestigte sie dem Mädchen mit kunstgeübter, in solchen Dingen erfahrener Hand. Warum erzitterte Blümele's ganzes Wesen während dieser einfachen Dienstleistung? Warum erglühte sie bis an ihre weiße Stirne?...

Unserem Maier war es aber in diesem Augenblicke, als müßte er Blümele mit aller ihm innewohnenden Gewalt von Jaques' Seite wegreißen. Trotz seiner gewöhnlichen Sanftmuth war er jetzt ein gereizter, wilder Löwe. Er streckte seine beiden Hände gegen Blümele aus...

»Um Gotteswillen!« rief Jaques mit komischem Schrecken, indem er Blümele einige Schritte nach rückwärts zog. »Ziehen wir uns zurück, bevor es zu spät ist und er uns erdrückt; denn der ist wie eine Spinne, wenn sie eine Fliege verspeisen will.«

Da lachte Blümele noch heller auf, als vorher, und noch ehe sie sich recht besinnen konnte, was sie Maier sagen sollte, hatte Jaques die Melodie angestimmt und flog mit Blümele dahin; auch die andern Paare hatten sich in Bewegung gesetzt, und um den alten Birnbaum drehte sich das heiterste Leben.

Ahnte es Maier mit den vier Händen, daß in diesem Augenblicke die erste Masche jenes Netzes gewirkt ward, das sein Lebensglück... und bald auch das eines Andern, in sich aufnehmen und als willkommenen Fang dem Fischer: Unglück zuwerfen sollte? Ein unnennbares Weh durchzuckte den armen Jungen, wie er da an den Birnbaum gelehnt stand und zusehen mußte, wie sein Geschwisterkind Blümele in den Armen des glücklichen Jaques auf dem weichen Grase dahinflog...

Als Blümele von dieser sabbatlichen Unterhaltung nach Hause kam, glühten noch ihre Wangen im dunkeln Feuer heftiger Erregtheit, so daß Esther, eingedenk ihrer verstorbenen Knaben, erschrocken ausrief:

»Blümele, wie siehst Du aus? Du flammst ja...«

Blümele warf aber einen flüchtigen Blick in den Spiegel und sagte lustig:

»Jaques hat uns so gut unterhalten, Mutter... wir haben getanzt... und dann habe ich über unsern Maier so lachen müssen. Jaques hat gemeint, Maier ist mit vier Händen versehen... und das hat mir so besonders gefallen, weil Jaques Recht hat. Sieh' Dir ihn nur an, Mutter, und du wirst richtig finden: Maier hat vier Hände!...«

Damals wußte Esther noch nicht, welche Hoffnungen Jacob Löw auf seinen Bruderssohn Maier setzte.

In derselben Nacht hatte Blümele einen ganz sonderbaren Traum. Sie konnte lange nicht einschlafen; dann aber, als der Schlummer über sie gekommen, war es ihr, als tanzte sie mit Jaques noch immer unter dem Birnbaume auf dem Berge. Sie flog so federleicht hin und Jaques sang eine so schmelzende Tanzmelodie; dennoch mußte sie manchmal über die Schultern hinweg nach rückwärts sich wenden; denn dort, an den Stamm des alten Baumes gelehnt, stand Maier und streckte seine langen Arme nach ihr aus, und diese Arme wuchsen immer mehr zu einer entsetzlichen Länge an. Jaques aber riß sie immer weiter, der Tanzplan dehnte sich in unübersehbare Fernen aus... immer schöner und schmelzender sang Jaques... bis sie endlich ganz allein waren... Mit einem leisen Schrei wachte Blümele auf.

Noch mehre solcher Sabbatnachmittage waren dahingegangen, einer herrlicher als der andere; aber Maier war nicht mehr dabei erschienen. Wenn die lustige Mädchenschaar, Blümele in der Mitte, auf den Berg zog, stand er hinter den Fenstern seiner elterlichen Wohnung, die langen Arme fest auf den Rücken gedrückt – damit sie Niemand gewahr werde.

Das war die Zeit, wo Blümele fast an jedem Sabbate mit einem neuen Putze erschien, den ihr der Vater von den Reisen heimgebracht. Wie schön saß das unscheinbarste Bändchen dem schönen Mädchen, aber wie bestrickend klangen auch die Schmeicheleien, die Jaques ihr während des Tanzes in's Ohr raunte! Alle Andern, schon wußte das Blümle, hatten für sie nur Neid in den Herzen, – er allein, der schöne, gefährliche Jaques, war ganz Bewunderung. Jetzt wußte es Jaques so einzurichten, daß an jedem Sabbate unter den grünen Bäumen des Berges getanzt wurde. Unter dem Vorwande, daß Blümele für den nächsten Ball, den die junge Männerwelt gewöhnlich an einem der letzten Tage des Laubhüttenfestes veranstaltete, noch nicht genug in den neuesten ›Tanztouren‹ eingeübt sei, ließ er es nicht zu, daß Blümele von einem andern, als von ihm, ›engagirt‹ wurde. Dabei zeigten sich seine Talente von stets neuen Seiten; es war, als ginge ein versengendes Feuer von seinem Wesen, ja von seinem bloßen Hauche aus, daß nichts, was in seiner Nähe sich befand, davor bestehen konnte. In den Pausen, die er jetzt seltener als sonst eintreten ließ – denn es wurde fast in Einem fort getanzt – erzählte Jaques mit hinreißender Beredsamkeit, wie ganz anders es sich in seinem Vaterlande lebe, als in dem melancholischen Böhmen. Dort seien die Leute von einem ganz anderen Schlage als hier; sie seien wie Edelleute gegen die böhmischen Juden. Dort sei man nicht genöthigt, mit Pfennigen zu sparen, üppig fließe das Leben, Alles habe man vollauf, und der Wein, den man in Böhmen nur löffelweise den Kranken einzutröpfeln pflegte, der ströme dort in Bächen. Sein eigener Vater habe acht Pferde im Stalle stehen, mit denen er zu Markte fahre, denn ein kleineres Gespann anzuschirren, sei in Ungarn eine Schande! Er selbst habe seine Kindheit mehr auf dem Rücken eines Rosses, als bei den Büchern zugebracht; hinter ihrem Hause dehne sich die meilenweite Pußta aus, da sei er oft, nur in Begleitung ihres Knechtes Jánós, auf einem ungesattelten Pferde stundenlang ohne Ziel und Absicht fortgeritten, über sich nichts als den blauen Himmel und unter sich die weite, wogende Fläche der Pußta! Hei! sei das ein Leben gewesen! In Ungarn, da sehe man erst, wie endlos und weit die Welt sei; in Böhmen sei sie aber schon beim nächsten Dorfe mit Brettern verschlagen... und die Menschen daselbst hätten denselben Charakter! Männer und Frauen seien sich in dieser Hinsicht ähnlich, es mangelte ihnen das Feuer und der Unternehmungsgeist, nichts sei in ihnen, gar nichts anzutreffen, als kalte Berechnung und herzloser Eigennutz!

Wenn Jaques sich in solchen Schilderungen seiner Heimat erging, da lächelte so Mancher ungläubig vor sich hin, aber Niemand hatte den Muth, ihm mit entscheidender Rede die verdiente Zurechtweisung zu ertheilen. In Blümele's Gemüth fielen aber seine Worte wie glühende Funken, die während eines Brandes vom Sturme auf das benachbarte Dach getragen werden. Das Wilde, Grenzenlose und Phantastische hob die Welt Blümele's aus den Angeln... die Verhältnisse, unter denen sie aufgewachsen war, schrumpften vor ihren Augen zusammen; sie fühlte sich entrückt, fortgerissen... und schon begann sich der Traum, den sie an jenem Sabbate geträumt, zur Wirklichkeit zu gestalten. Sie und Jaques befanden sich allein auf der Welt... sie tanzte mit ihm allein... rings schwanden alle Gestalten, die sie umgaben, zu bleichen, wesenlosen Gespenstern... schon vergaß sich Blümele so weit, daß sie zuweilen auf Jaques Schultern ihre Hand legte, auf die er dann, wenn er aufsprang und einen neuen Tanz veranstaltete, einen glühenden Kuß drückte.

Mit Riesenschritten ging Blümele's Liebesleben einer Entscheidung entgegen...

Wir sagten vorhin, daß Maier mit den vier Händen keinen Theil an jenen sabbatlichen Nachmittagsunterhaltungen mehr nahm. Das war jedoch nur zur Hälfte wahr. Wohl ging er nicht auf den Berg, aber gegen Abend, wenn er wußte, daß die Gesellschaft sich auf den Heimgang mache, schlich er auf einem Umwege, ungesehen, in ihre Nähe... um Blümele's Gewand wenigstens von Weitem flattern zu sehen. Einmal war er zu spät gekommen, die Mädchen und Jungen waren so eben die Anhöhe hinuntergestiegen, und er konnte nur ihr Lachen und Plaudern vernehmen. Aber dort, unter jenem weitschattenden Birnbaum, wo ihm von Jaques die fürchterliche Beleidigung angethan worden war, stand da nicht jemand? glänzte es dort nicht wie ein farbiges Kleid? Maier sah schärfer hin, seine Augen hatten eine wunderbare Sehkraft in diesem Momente erlangt... Nicht Einer stand unter dem Baume... es waren ihrer Zwei... und Blümele war die Eine und Jaques der Andere! Sie hielten sich umfangen und Blümele's Kopf ruhte auf den Schultern des schönen Jaques, und die Luft brachte ihr leises Flüstern an das Ohr des Lauschenden...

Mehr sah unser Maier nicht. Seine langen Hände wild um sich schlagend, rannte er spornstreichs die Anhöhe in die Gasse hinab. Athemlos blieb er vor Jacob Löw's Hause stehen. Wollte er verrathen, was er soeben gesehen? Ein wilder, nie gekannter Krampf, eine Leidenschaft, wie sie seiner sanften Seele bis dahin fremd gewesen, tobte durch sein Gemüth. Wer ihm in diesem Augenblicke in das verzerrte Gesicht hätte sehen können hätte sagen müssen: das ist nicht Maier, der ist ja um zehn Jahre jünger! – Aber es ging vorüber... Nur der ewige Weltgeist wußte, was in diesem gefolterten Herzen vorging, als sich Maier, hart an der Thürschwelle des Hauses, aus dem ihm einst die Seligkeit eines Liebesbundes entgegentreten sollte, mit den leise hingemurmelten Worten abwandte:

»Sie sollen es nicht wissen! Es ist zu spät!« –


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