Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In einem wohlhabenden Handelsstädtchen Sachsens, das ich, um nicht in unangenehme Collisionen zu kommen, Michelwitz nennen will, lebte Amtmann Sundheim seine Tage in Stille und Abgeschiedenheit, bloß dem häuslichen Glücke, das sich auf die Ehe mit einem, ihn innig liebenden Weibe, ein gutes Gnießen, allgemeines Wohlwollen und seine weise Genügsamkeit stützte. In allem seinem Thun und Lassen zeigten sich jene Sitten ganz deutlich, die man den alten Deutschen nachsagt, die jedoch nun bey den Nachkommen ziemlich eingeschlafen sind.

Ungeachtet seine Stelle kein bedeutendes Einkommen hatte, und ihm die Hand des Zufalls auch auf keine sonstige Weise Schätze schenken wollte, so haßte Sundheim doch Geiz und Eigennutz, als die eigentlichen Hauptquellen so vieles menschlichen Elends; wich nie im mindesten von seinen Pflichten, und floh selbst den Schein, auf die Weise so manches Amtsgehülfen, das kleinste Nefas, selbst eine bloße Zweydeutigkeit mit dem Gedanken an eine bequeme Zukunft entschuldigen zu wollen, dem Himmel dankend, daß ihm so viel blieb, das Nothwendigste seines Hauswesens ohne Schulden zu leisten, und stets einen genügsamen Gast willkommen heißen zu können. Zum Symbol nahm Sundheim:

– – multa petentibus
desunt multa, bene est, cui deus obtulit,
– – quod satis est manu.

Seine Gattinn, gewiß das beste Weib, das man in einem Umfange von zwanzig Meilen finden konnte, das im Haushalten, zumahl heutiges Tages, seines Gleichen suchte, nahm an allen seinen Schicksalen den innigsten Antheil; Sanftmuth, Liebe, nachgebende Geduld, diese so seltenen Tugenden des schönen Geschlechts, scheuchten allemahl bald die Wolken von Unmuth und Laune, die auch die beste Ehe bisweilen heimsuchen, und vollends auf dem Antlitz eines geplagten Geschäftsmannes nichts Seltenes zu seyn pflegen.

Diese glückliche Ehe hatte ein einziges Mädchen, in welchem sich die gegenseitige Liebe und das gemeinschaftliche Ziel einigte, es gut und tugendhaft aufzuziehen. Die beyden Alten hatten die liebevollen Gesinnungen, welche sie gegenseitig hegten, auch auf die sittliche Bildung des Mädchens gepflanzt, dessen weiches Gemüth ihnen ohnehin auf halbem Wege entgegen kam. Da setzte man nie eine Macht, nie ein Ansehen dem zweyten entgegen, nie entschuldigte das Eine da, wo das Zweyte etwas zu tadeln fand, sich gefällig Hülfe leistend; hatten beyde einen Zweck und stets ein Ziel, weßhalb auch Antonie, so hieß das Mädchen, schon als Kind nie glauben konnte, daß es ein Theil übel mit ihm meine. Nach diesem einfachen Plane sollte sie alles das missen, was die neue Welt hohe Bildung nennt. Sie mahlte und zeichnete nicht, hatte noch kein Schauspiel, noch kein Ballet gesehen, wußte nicht einmahl, daß es eine Madame de Stael-Holstein, einen August Wilhelm Schlegel gäbe, und Betthovens Sonaten kannte, so gewiß man sie auch im Auslande, wie in Wien zu schätzen weiß, keine lebende Seele in den musikalischen Akademien zu Michelwitz, wo Antonie gewöhnlich alle Wochen einmahl auf dem Flügel, den man ganz füglich einem Cymbal an die Seite stellen konnte, das neue Lied: Nun sitz' ich im Hain, von Veilchen umduftet etc., spielte und sang – kein einziges Mitglied; doch was Kochen, Backen, Nähen, Sticken, Flicken und die sonstigen weiblichen Hausgeschäfte anbelangt, da stand sie keinem Mädchen im ganzen Lande nach, und selbst im Waschschaff tummelten sich nicht selten die niedlichen Hände, weil nie die Mägde Antonien das Linnen weiß genug wuschen.

Wie manchen Gulden hielt die, dem Mädchen eigene Geschicklichkeit, alle Kleidung, ja auch den Sonntagsputz selbst zu machen, dem guten Alten im Beutel. Sie ahmte allenfalls auch die Moden nach, welche guten Geschmack und Sittsamkeit nicht beleidigten, jedoch konnte sie nichts bewegen, den Abgeschmackten und Schaamlosen zu huldigen.

Ohne von den heutigen Pädagogen einen Buchstaben gelesen zu haben, schloß Sundheim ganz logisch, daß bey einem Kinde vieles gewonnen sey, wenn man es an pünctliche Befolgung eines Befehls gewöhnt, dieß müsse jedoch so zeitig als möglich geschehen, ehe Eigensinn und sonstige Untugenden mit ihm aufgewachsen sind.

Möchten diesem Entschlusse doch alle, die lebenden Ehesegen haben, folgen, statt wie so oft zu geschehen pflegt, jede Untugend, wovon Eigensinn die unleidlichste ist, am Liebling zu entschuldigen; auch wohl Mama das Engelchen in Schutz nimmt, wenn es Papa züchtigen will.

Auf nichts dachten Sundheims so emsig, als den kindischen Eigensinn des kleinen Mädchens bey Zeiten zu tilgen, und sollte dieß auch bisweilen mit Zwangsmitteln geschehen.

Wenn Antonie mit Ungestüm auf etwas bestand, so bekam sie es nicht, wenn man gleich in jedem sonstigen Falle es noch so billig gefunden hätte. Wenn sie etwas mit kläglichem Geheul und bösen Mienen zu gewinnen glaubte, suchte man sie nicht mit Liebkosungen und Schmeicheleyen zu stillen, im Gegentheil, sie mußte augenblicklich die Stube meiden.

Hatte man auf etwas eine Züchtigung festgesetzt, so hielt man dieselbe pünctlich, allein eben so genau vollzog man auch jede zugesagte Belohnung.

Bey diesen einfachen Mitteln bekam das Kind Achtung und Glauben, schon zeitig entwickelte sich in ihm eine gewisse Stimmung zum Nachgeben, und Sundheims hatten deßhalb in Zukunft nicht halb so viele Mühe und unnöthigen Zank, wie gewisse Leute, die entgegengesetzt handeln.

Da sie nun noch bey diesem ganz eigenen System, dem Kinde mit Liebe und Theilnahme begegneten, sie es nie aus Laune und ohne hinlänglichen Anlaß züchtigten, es von seinen unschuldigen Spielen nie abhielten, im Gegentheil seinen kindischen Wünschen möglichst Genüge leisteten, so hätten sie auch ohne Bande des Bluts, des Mädchens ganze Liebe gewinnen müssen.

Diese flüchtigen Blicke auf Antoniens Leitung als Kind, sind zum Ganzen nöthig, doch eile ich absichtlich von diesem Zeitpuncte so schnell als möglich zu jenen, wo sie im May des Lebens stand, sich Schönheit und Tugendfülle auf den Wangen, holde Unschuld im blauen Auge mahlte, und sie das Wiegenfest zum sechzehnten Mahle begangen hatte.

Ohne jene blendende Schönheit zu besitzen, die von weitem schon Huldigung heischt, galt Antonie dennoch als das schönste Mädchen in Michelwitz, den schlanken Wuchs hätte man an Königinnen majestätisch genannt, Bescheidenheit, Sanftmuth, Seelengüte und holde Weiblichkeit liehen den Gesichtszügen eine entzückende Anmuth, die jeden guten Menschen zu unbedingten Wohlwollen zwang.

Wenn auch Sundheim nicht den unumstößlichen Glauben gehabt hätte, daß echtes Familienglück ohne einfache Häuslichkeit nicht bestehen könne, so hätten ihn ohnedieß schon seine eben nicht glänzenden Umstände von Gesellschaften, Bällen und allen den, von manchen Alten, oft mühsam aufgesuchten Gelegenheiten, dem Mädchen einen Mann zu schaffen, abgehalten, und da Antonie selbst Huldigungen und Schmeicheleyen nicht achtete, sich auch absichtlich den Blicken jedes jungen Laffens entzog, lebte sie, ohne sich eben glücklich zu fühlen, doch unbefangenen Sinnes und mit bescheidenen Wünschen an die Zukunft, jede Stunde den häuslichen Geschäften widmend.

Weibliche Bekanntschaften hatte Antonie beynahe eben so wenig als männliche, zwey Gespielinnen, die sie am innigsten liebte, mähte die Sense des Todes hinweg, und nun fand sie so leicht kein gleich gestimmtes Geschöpf; denn die meisten Mädchen in Michelwitz hatten jenes unausstehliche läppische, eingebildete, klatschhafte und zänkische Wesen an sich, das dem weiblichen Geschlechte – mit diesen Eigenschaften läßt sich unmöglich sagen, schönen – in kleinen Städten eigen seyn soll. Obschon Antonie selbst noch keine glänzende Hauptstadt gesehen hatte, und den daselbst üblichen Tone nicht kannte, so wußte sie doch nach dem ungekünstelten Tacte eigenes Gefühls, wie fad ein solches Benehmen sey.

Indeß gab es doch bange Stunden, in denen sie es mißmuthig machte, kein Wesen gleichen Sinnes und Gemüths zu finden, mit dem sie einen innigen Umgang pflegen, und bey dem gegenseitigen Empfindungsaustausch, jene Wonne genießen könnte, die gewöhnlich bloß die Jugend schmücket.

Oft nezten sich Antoniens Augen, wenn die Sehnsucht nach diesem Glück mit seufzenden Klagen den Busen hob, doch stets an Thätigkeit gewöhnt, gab sie sich nicht lange diesem tiefsinnigen Unmuth hin, schnell eilte sie bey solchen Anfallen an häusliche Geschäfte, und hatte sie eben nichts zu thun, so begoß sie die Blume, wölbte den Jasmin, und sang beym Sammeln des Sallats zum Abendessen:

Wie könnt ich in jungen Tagen
Mich so mit Unmuth plagen etc.

und schnell hatte sie den bösen Dämon gebannt.

 

Doch auch Antoniens Stunde schlug. Ein so liebliches Geschöpf mußte endlich einem Auge begegnen, welches Sinn genug besaß, seine seltenen Tugenden im ganzen Umfange zu schätzen. Wilhelm Steinhof kam so eben von Akademien nach Hause, hatte seine schöne Jugendzeit sowohl angewendet, und sich mit zweckmäßigen Kenntnissen so geschmückt, daß man nicht zweifeln konnte, in ihm künftig einen dem Staate nützlichen Mann zu finden. An Leib und Seele wohl ausgestattet, stets lustig ohne Ausgelassenheit, mit Klugheit geschwäzig, witzig ohne Beleidigung, höflich ohne Schmeicheley, fand man bey diesem jungen Menschen alles das Empfehlende, was ihn bey dem gebildeten Theile des schönen Geschlechtes beliebt machen mußte.

Schon zeitig hatte Wilhelm das Unglück ein Waise zu seyn. Ein Oheim nahm den nicht ganz unbemittelten Knaben blos aus Mitleid in sein Haus, weil ihm das Schicksal nicht die Wonne gegönnet hatte, ein Kind sein zu nennen und bestellte, da theils weitläufige Geschäfte, theils Unkunde ihn abhielten sich mit dem kleinen Neffen viel zu befassen einen geschickten Candidaten, dem Wilhelm sowohl seine wissenschaftlichen Kenntnisse, als auch die ausgebildeten Anlagen zum guten edlen Menschen dankte.

Ehe noch Wilhelm die hohe Schule bezog, mußte auch sein Oheim den Weg alles Fleisches gehen, indeß blieb doch noch dessen Gattinn seine Stütze, die sich, weil sie kein Kind hatte, ungemein geschmeichelt fand, wenn die Leute sie des kleinen hübschen Wilhelms Mama nannten, da endlich auch Wilhelm sie so heißen mußte, so sahen ihn die meisten Menschen, die den Zusammenhang nicht genau wußten, als den Sohn an, zumahl da des Oheims Nahme auch Steinhof hieß.

Madame Steinhof hatte viele Eigenheiten. Nach des Mannes Tode, zog sie in dasselbe Städtchen, in welchem Sundheims lebten, gab die Besitzungen des gottseeligen Gatten in Pacht, und that sich nun nicht wenig zu Gute, mittelst vielen Geldes, so quasi das Haupt des Städtchens auszumachen.

Eitel genug, glaubte sie auf die wohlfeilste Weise einen kleinen Hof um sich bilden zu können, denn es finden sich ja allenthalben Geschöpfe, die um eine gute Tasse Kaffeh und ein schmackhaftes Stück Kuchen, jede menschliche Handlung belauschen, alle Kleinigkeiten auskundschaften, und dann mit denselben, gegebenen Befehls zu Folge, ungesäumt auftischen.

Ich habe Anlaß genug, um behaupten zu können, daß man allenthalben solche löbliche Subjecte findet. Ehemahls glaubte ich fest, sie nisteten blos in kleinen Städten, weil sich daselbst die Gelegenheit zum Gewäsch von selbst bietet, doch nun habe ich schon zu sattsam geschmeckt, daß diese Classe Menschen, auch in Hauptstädten so zu sagen einheimisch ist, und gegen eine Tasse Kaffeh von den unbedeutendsten Handlungen eines Jeden, Auskunft geben kann. Diese Geschöpfe wissen zum Beyspiele genau: wenn und was man jeden Tag gegessen; wie man am Sonntage lebt; ob man das Schauspiel besucht; mit wem man auf dem letzten Balle getanzt; ob man Schulden hat; welchem Dämchen man den Hof macht; ja sie sind im Stande, binnen zwölf Stunden, den effectiven Cassenbestand eines jeden Subjects auszumitteln, sobald sie Commission dazu haben, und sich nota bene eine Tasse Kaffeh, ein Glas Wein, auch wohl blos eine Gunstbezeugung damit zu holen wissen. Deshalb ist es das Beste, wenn man denkt:

Si tu facis juste est bene,
Malitiosi calumnias ne time.

Ich will eben nicht behaupten, daß es allemahl ausgemachte Bosheit sey, was solche Leute zu diesen abgeschmackten Beschäftigungen zieht, Seelenschwäche, Neigung zum Müßiggange, Mangel, und das beugende Bewußtseyn auf keine anständige Weise mit den einmahl gewohnten Bequemlichkeiten leben zu können, pflegen am häufigsten die Hebel zu seyn, welche so löbliche Eigenschaften entwickeln.

Kluge Menschen müssen Mitleid mit solchen Leuten fühlen, denn man sieht wohl ein, daß eine solche Weise, seine Existenz zu finden, noch nicht die schlechteste ist.

Madame Steinhof hielt stets einen weiblichen Klub, und gefiel sich ungemein, daß in dem ganzen Städtchen zu keinem Augenblick etwas geschehen seyn konnte, wovon man sie nicht sogleich gewissenhaft in Kenntniß gesetzt hätte.

Allen nicht viel kostenden Aufwand liebte sie, denn sie hatte sonst einen ziemlich schmutzigen Geiz.

Die ganze Denk- und Handlungsweise dieses Weibes zeigte so viel Abstechendes und nicht zusammen Passendes; daß ein vollkommen genügendes Gemählde aufzustellen, selbst einem geübten Psychologen, gewiß nicht leicht fallen möchte.

Obschon sie, blos gegen sechsfaches Pfand und unmenschliche Zinsen lieh, so machte sie doch die Menschenliebe zum Aushängeschild, übte auch nicht selten Wohlthaten, diese mußten jedoch Aufsehen machen, im Stillen Jemanden Gutes zu thun, liebte sie keineswegs.

Bey alle dem besaß sie doch die Tugend, daß sie auf die Bildung des Neffen den schmutzigen Geiz keinen Einfluß haben ließ, denn an diesen wendete sie alles, was es auch kostete; bey allen Ausgaben, die seine Bildung, selbst auch seine Belustigungen bezweckten; mochte sie auch nöthigenfalls dabey, etwa tief in den Beutel langen müssen, schlief jede Empfindung von Geiz und Habsucht, denn es galt ja dem Liebling, den sie als die einstige Stütze, im Geiste schon mit ungeduldigem Stolze, in einem glänzenden Posten sah.

Candidat Gutmann, ein Philolog von ganz eigenen Maximen, die man jedoch ohne Zweifel die Besten nennen konnte, da sie sich an seinem Eleven als solche bewiesen, hatte auch dessen akademische Laufbahn, die Wilhelm zu Halle, mit seltenem Fleiße in den politischen Wissenschaften begann, geleitet, sodann besuchten sie noch die deutschen Musensitze zu Göttingen und Jena, von wo aus sie die Tante Steinhof mit Bitten zu bewegen wußten, in einen kleinen Ausflug nach Italien und in die Schweiz auf einige Monathe zu willigen, nach dessen Beendigung sie, nicht ohne Nutzen und gesammelte Kenntnisse in die heimathliche Stille kamen.

Man kann sich wohl einbilden, daß es Wilhelm bis jetzt noch nie an Gelegenheit gefehlt hatte, in so manchen Städten auch die Gesellschaften des schönen Geschlechts zu besuchen, und in dessen Umgange jene Sittengeschliffenheit und Feinheit anzunehmen, die dem wissenschaftlich gebildeten Manne niemahls fehlen sollte, dem ungeachtet ließ ihn die Liebe ungeneckt, und Wilhelm wußte noch eben so wenig von den Qualen, als von den Seeligkeiten dieses Gefühls, als Gutmann mit ihm in Michelwitz anlangte.

Nichts kam Tante Steinhofs Wonne gleich, als sie den jungen stattlichen Mann sah, jetzt ließ sie, stolz auf seinen edlen Anstand und das gebildete Benehmen, es sich das angelegentlichste Geschäft seyn, ihn auch den Leuten von den glänzendsten Seiten zu zeigen, und Wilhelm mußte sich entschließen, obgleich es ihn nicht wenig belästigte, bey allen Familien des Städtchens, die man nicht in die Classe des gemeinen Haufens zählte, einen Empfehlungs- und Höflichkeitsbesuch abzulegen.

Da hatte denn das Gewäsche kein Ende, da mußte Wilhelm in jedem Hause, wo es Damen gab, mit modischen Neuigkeiten und einfältigen Lappalien auftischen. Da machte manches alte Kind in Einfalt Pläne, zu lebenslänglichen Bündnissen; da sann manche junge Wittwe, die schon zwey Gatten zu Tode gezankt hatte, auf eine neue glückliche Ehe, und von allen Seiten bemühte man sich den Gang abzulaufen.

Dieses plumpe Benehmen, womit man ihn zähmen wollte, machte ihm den Aufenthalt in diesem Städtchen bald unleidlich; Wilhelm dachte schon, ehe seine Besuche noch zu Ende kamen, auf Mittel und Wege diesem Neste sobald als möglich Lebewohl zu sagen, und blos aus Nachgiebigkeit gegen Madame Steinhofs Wünsche entschloß sich eines Nachmittags Wilhelm auch dem alten Sundheim seinen Besuch noch abzustatten, dieß sollte jedoch gewiß die letzte Visite seyn.

Gewöhnlich kommt ja das Beste zuletzt. An Sundheim fand Wilhelm den offenen deutschen Mann, und ein halbes Stündchen langte zu, sie gegenseitig so einzunehmen, als hätten sie sich schon die längste Zeit gekannt. Auch Sundheims Gattinn gewann Wilhelms ganze Achtung, denn die Seelengüte, edle Einfalt, häusliche Thätigkeit und Genügsamkeit, die alle Handlungen stempelte, mußte billig jedem beobachteten Manne diese Empfindung einflößen, und ehe noch Antonie, die ein kleines Geschäft auszugehen genöthiget hatte, nach Hause kam, gestand Wilhelm schon, daß diese Familie ihm heut die angenehmsten Stunden seit den acht Tagen seines Aufenthalts in Michelwitz schenke.

Nun wenn dieß keine bloße Schmeicheley ist, die ich von Ihnen gewiß nicht hoffe, sagte Sundheim, und bot dem Gaste die Hand, so schlagen sie meine Bitte nicht ab, diesen Abend ein kleines ländliches Mahl mit uns zu theilen, wenn sie nicht etwa schon sonst wo zugesagt haben, und Sie sich mit dem, was Sie finden, begnügen wollen. – Gegen dieses Gesuch ließen sich selbst keine Einwendungen des Wohlstandes machen, und Wilhelm blieb.

Bald kam auch Antonie nach Haus, und wenn es keine Lüge ist; daß ein gewisses Gefühl im Busen bey zwey Leuten, die das Schicksal sich gegenseitig zu lieben bestimmt hat, gleich beym Anblick, ohne daß sie sich sonst in mindesten kennen, aufsteigt, so kann es Niemanden unglaublich scheinen, wenn Wilhelm und Antonie, jetzt mit einem Mahle jene süße Beklommenheit, jene gegenseitig anziehende Gewalt empfanden, die sich nicht bekämpfen läßt.

Alle diejenigen, welche diese Geschichte lesen, und denen das selige Stündchen auch schon schlug, mögen mich entschuldigen, wenn ich von Wilhelms sonstigen Gedanken, und seinem Benehmen bey diesem Besuche, still schweige, denn ich scheue mich lästig zu fallen, wenn ich vielleicht Dinge genau abhandeln sollte, denen ich nicht gewachsen bin, und da ich in Liebesangelegenheiten eben so unwissend bin, wie ein ABC Schütz im Lateinischen, so könnte ich doch sonst nichts, als meine Meinungen blos muthmaßlich geben.

Was ich bis jetzt schon von diesem Puncte gesagt habe, und noch sagen will, läßt sich füglich behaupten, ohne daß es nothwendig ist, schon selbst geliebt zu haben, denn häufige Beyspiele beweisen es ja, daß die aufkeimende Liebe den Philosophen zum Kinde, und Knaben zum Philosophen bilden kann.

Antoniens offene Gutmüthigkeit, die sittsame Bescheidenheit, und jene, auch die unbedeutendsten Handlungen begleitende Anmuth, die hohe liebevolle Achtung, die sie denen bey allen Gelegenheiten zollte, welchen sie das Leben zu danken hatte, die häusliche Geschäftigkeit bey den Anstalten zum Nachtessen, ungekünstelte Lustigkeit, und die aus den schönen Augen leuchtende Unschuld, fesselten gewaltsam die Gefühle eines jungen Mannes, den bis jetzt so viele nach ihm angelnde Schönheiten kalt gelassen hatten; und dem Blicke eines Mädchens entgeht so etwas nicht, es weiß instinktmäßig den Augenblick zu bestimmen, in dem ein Pfeil des kleinen Schalks, dem Manne die süße Wunde schlägt.

Die angenehmen Stunden schwanden schnell dahin, denn ein schönes sympathetisches Band hielt die kleine Familie umschlungen, und schon hatte die Glocke zehne geschlagen, als es dem jungen Manne einfiel, daß es in Michelwitz unschicklich sey, einen Besuch so lang zu machen, jedoch mußte Wilhelm beym Abschied, auf allgemeines Ansuchen geloben, in Zukunft oft zu kommen.

Die Tante lag schon lange im Bett, als Wilhelm nach Hause kam, und nach seinem einsamen Schlafgemach eilte, in das des Vollmondes pausbäckiges Gesicht gutmüthig lächelte, sein Blick flog hinaus in die weiten Gefilde, auf denen eine tiefe Stille lag, blos dann und wann flötete eine Nachtigall aus dem magischen Dunkel des dickbelaubten Baumes einige klagende Töne, die in Wilhelms Busen eine unsäglich wehmüthige Sehnsucht hauchten, und in süßem Andenken umschwebte ihn Antoniens Bild, die wonnevollen Genüsse des heutigen Abends, als schon in Osten die Wolken, einen fahlen Saum als Bothen des nahenden Tages zeigten, und seine Augen zu einem sanften Schlafe schlossen.

* * *

Bald stellte sich Wilhelm alle Abende in Sundheims Hause ein.

Man konnte ihn nicht zu den jungen Sausewinden zählen, die sich allenthalben wichtig zu machen suchen, und sollten sie dieß auch blos mit manchen, in den Augen eines weisen Mannes höchst unbedeutenden Dingen bezwecken müssen. Wie viele Menschen gibt es nicht, die, wenn sie auf eine schöne Tabaks-Dose klopfen, mit goldenen Petschaften spielen, und sich allenfalls mit Diamanten schmücken können, sich zu jedem Geschäfte tauglich fühlen, und mit dem weibisch eitlen Tand zugleich alle Weisheit und Kenntnisse eingehandelt zu haben meinen; auch nicht zu Jenen, konnte man ihn zählen, die keine sonstige Annehmlichkeit kennen, als mit lustigen Kumpanen bey einem Dutzend Flaschen Wein, die Abende in lautem Jubel zu tödten, die kein Mädchen ungeneckt ansehen können, und die Wohnung jedes schamlosen Geschöpfs auswendig wissen. Sein Gemüth, ganz den schönen Empfindungen gewidmet, suchte eine sympathetische Seele, die mit sanftem Tone in sein Wesen stimmte, und fand solche in Antonien, die jede Stunde glücklich nannte, wo sie den guten Wilhelm sah. Ein Mensch von Eitelkeit nach dem sogenannten Bon ton, hätte vielleicht seine Zeit bey dem Mädchen mit lustigen Schwänken und Anekdoten, zwecklosen Tändeleyen, und einem faden Liebesgeschwätz dahingelebt. – Nicht so Wilhelm.

Ich will wohl zugeben, daß das Kosen mit einem weiblichen Wesen, das man innig liebt, ungemein viel Süßes haben mag, daß Liebende, im stummen Empfindungsaustausch, blos mit Seufzen und seelenvollen Blicken, ohne den Mund dabey aufzuthun, schon in Seligkeiten schwimmen können; unmöglich läßt sich indeß glauben, daß dieß zwecklose Spiel einem gebildeten Manne lange behagen solle, seinem Geist eckelt am Ende diese lose Speise eben so gewiß, als seine nach und nach entflammte Sinnlichkeit an, diese fängt an die Küsse ungenügend zu finden, und den Geist quält die Sehnsucht nach intellektuellen Mittheilungen.

Antonie besaß ungemein viel Fähigkeit neben einem schlichten Sinn, ungemein viel geistige Anlagen, hauptsächlich ein gewisses unbestechliches Gefühl des Schönen, des Guten und Nützlichen. Es fehlte bloß, daß die bis jetzt noch nicht entwickelten Keime, die nöthige Pflege bekamen, um den bescheidenen Wünschen eines gebildeten Mannes vollkommen Genüge zu leisten. Wem könnte es wohl gleichgültig seyn, seine Gattinn in Gesellschaften von gewähltem Geschmack – denn in Michelwitz wollte Wilhelm nicht bleiben – wie eine nichts sagende Statue da sitzen, und die tödlichste lange Weile empfinden zu sehen, sobald man nicht eben das beliebte Kapitel vom Gänsestopfen, Leinwandbleichen und Bohneneinmachen abhandelt. Eine geschickte Hand mußte sie nach und nach wecken, und fingen sie an sich zu heben, in ein gedeihliches Sonnenlicht pflanzen, wo keine tölpischen Fäuste mit schaalem – Tugend, Unschuld, Weiblichkeit und das Heiligste, das es hienieden gibt, höhnenden Witze, den Boden umwühlen, und jene Stütze entziehen, die im höchsten Unglück des Lebens uns festhält, schützt und Muth einflößt.

Bey dem einfachen Plane, welchen die Alten beybehielten, mangelten dem Mädchen diejenigen Kenntnisse, die sowohl das Leben insgemein, als auch jede Gattinn an sich selbst schön machen; Kenntnisse, die im Besitz eines guten Weibes von mächtigem Einflüsse auf die geistige und physische Bildung des einst zu hoffenden Ehesegens seyn können.

Wilhelm widmete bald alle seine Mußestunden dem Nachdenken, wie sich, auf eine zweckmäßige und leichte Weise, ohne das gehäßige Ansehen eines pedantischen Schulfuchses zu bekommen, Antoniens Talente wecken ließen, wobey ihm seine Belesenheit ungemein zu Statten kam. Lafontaines Familiengemählde, Iflands Schauspiele flößten dem Mädchen, das bis jetzt noch nichts als den Katechismus und ein Gebethbuch kannte, denn selbst Sundheims kleine Bibliothek enthielt nichts als was auf Amtsgeschäfte Bezug hatte, Neigung zum Lesen ein, wobey die häuslichen Angelegenheiten jedoch nichts litten, sie entwickelten die Empfindungen des Mädchens, dessen Gemüth sich bey manchen Stellen oft, innig bewegt fühlte. Gewöhnlich ließ sich Wilhelm das Gelesene, als etwas ihm noch Unbekanntes mittheilen, sowohl um Antoniens Gedächtniß zu üben, als auch um die Gedankenfolge, den Hauptantheil den sie an diesen und jenen Situationen nähme, zu beobachten, und zugleich nützliche Schlüsse und Aufhellungen mit einfließen zu lassen. – Welch ein weites Feld öffnete sich dabey seinem Anbau. Mythologie, Physik, Pflanzenkunde, die ganze Schöpfung sammt dem Planeten, den uns die Gottheit zum Aufenthalt anwies, sein Umfang, Staateneintheilung, Menschenzahl, in so weit sich diese angeben läßt, und alle die davon abhängenden Wissenschaften, bothen tausend Gelegenheiten, das Mädchen auf eine faßliche, spielende Weise mit Kenntnissen auszustatten. Als nun Antonie nach Wieland und Göthe, einige wohlgelungene Musenalmanache und sonstige gemeinnütze Kleinigkeiten gelesen hatte, konnte sie sich allenfalls mit einem jeden in Pensionsanstalten aufgewachsenen Mädchen in Hinsicht des Wissens messen, sie blieb jedoch so bescheiden als sonst, denn sie selbst sah zu gut ein, wie viel sie noch nicht kenne, um sich einen hochmüthigen Dünkel zu gestatten. – Wilhelms gutem Geschmack dankte auch Antonie, neue Musikalien, die so zu sagen, eine neue Welt voll Wonne schufen, und beyden die seeligsten Genüsse schenkten.

Willig ließen sich Sundheim und seine Gattinn dieß alles gefallen, weil das Mädchen den häuslichen Geschäften, die dem ungeachtet stets die Hauptsache blieben, eben so emsig oblag, wie ehemals, ja sie gestanden sich selbst, daß Antonie unendlich in diesem Umgange gewonnen habe, und Wilhelm sie zu einem fein fühlenden achtunggebiethenden Wesen umgeschaffen habe.

Auf diese Weise schwanden eilf Monathe hin, wie eben so viele Stunden. Beyde liebten sich, beyde wußten es, doch noch Keines von Ihnen hatte das süße Geständniß gewagt, auch den beyden guten Alten konnten die gegenseitigen Empfindungen nicht entgangen seyn und sie fingen jetzt schon an, mit jedem Tage Wilhelms bescheidenem Ansuchen um Einwilligung und Segen entgegen zu sehen, zumahl da Sundheims Gattinn schon längst die Sehnsucht nach einem festen ewigen Bündniß in seinem Auge, wenn es sinnend auf Antonien weilte, beobachtet zu haben glaubte, und endlich mußte ja doch die Geschichte, die schon fleißige Zungen genug im Städtchen beschäftigte, einen Nahmen annehmen.

Wilhelm mochte wohl ziemlich gewiß seyn, daß ihm Sundheims und dessen Gattinn Einwilligung eben so wenig als Antoniens süßes Geständniß entgehen könne, ob jedoch Tante Steinhof keine Umstände machen, auch ganz unbedingt Ja sagen möchte, ließ sich bey den Launen, denen sie bisweilen mit unausstehlichem Eigensinn anhing, nicht so gewiß behaupten, es dünkte ihm nach vielem Nachdenken das Klügste zu seyn, sie von seinem gefaßten Entschlusse geziemend in Kenntniß zu setzen, um dessen Genehmigung zu bitten, und dann bey Sundheims seine Angelegenheit vollends nach Wunsche zu enden.

Wilhelm säumte mit diesem wichtigen Geschäfte absichtlich, bis zum sechs und zwanzigsten July, auf welchen Tag Anna, Madame Steinhofs Nahmensfest fiel, dieß schien dem jungen Manne die schicklichste Gelegenheit, nach einem schmeichelhaften Angebinde und einem schönen Glückwunsche die dann gewöhnlich gut gestimmte und zum Nachgeben geneigte Tante, um die Einwilligung anzugehen.

Laßt sich indeß wohl glauben, daß Madame Steinhof von Wilhelms Liebeshandel mit Antonien noch keine Kenntniß gehabt haben sollte, in Michelwitz, einem Städtchen, wo Niemand an diesem Ende ein Kalb schlachten konnte, ohne daß an jenem nicht alle Leute, den kleinsten Gassenjungen nicht ausgenommen, das Fleischgewicht desselben bis aufs Loth kannten; und man wußte wie viel Schinken im Kamine eines jeden Hauses hingen? Hätte auch Madame Steinhof eine Hauptstadt bewohnt, so müßte sie kein Weib gewesen seyn, wenigstens kein solches, wenn sie nicht gleich beym Anfange des Liebeshandels Wind davon bekommen hätte. Da sie es dem weiblichen Klub zum Hauptbeding machte, jede Kleinigkeit, so neubacken als möglich zu entdecken, wie hätte sie in Angelegenheiten des eigenen Neffen so lange unwissend bleiben können? Allein da sie glaubte, daß ihm diese Besuche blos als Aushülfe gegen die lange Weile bey dem Mangel an sonstigen Gesellschaften dienten, und seine Wahl in solchen Fällen dem eigenen Geschmack anheim stellte, so that sie, als ob sie von allen denen Sachen keine Sylbe wüßte, und meinte: eine kleine Liebschaft schade keinem jungen Menschen, so lange sie sich nicht in eine heftige Leidenschaft umwandle, und deßhalb ließ sie sich nicht bange seyn, weil sie im Neffen stets dieselben Gesinnungen zu finden glaubte, die sie seit dem Wittwenstande, als die Basis alles menschlichen Glücks ansah.

Sie kannte keine sonstige Lebensseligkeit, als wenn sich Wilhelm in eine wohlhabende und bedeutende Familie als Eidam einimpfen ließ, sie schmeichelte sich, daß dieß bald geschehen könne, und machte schon im Stillen so manchen schönen Plan dazu, denn wie sollte ihm einfallen, bey so hinlänglich bemittelten Umständen, und bey allen den Aussichten, die seine Kenntnisse und seine empfehlende Aussenseite ihm bothen, ein solches Glück von sich zu stoßen, und dagegen ein Mädchen ohne Geld und Familie zu wählen? Sie machte also keine kleinen Augen, als Wilhelm am Nahmenstage nach den abgestatteten Glückwünschen, nun auch an seine Bitte um die Einwilligung kam, mit Sundheims Antonien ein eheliches Band knüpfen zu können.

 

Fabelst du Wilhelm? sagte Madame Steinhof, sobald sie sich von dem Staunen etwas gesammelt hatte, wie mag sich ein Mann wie du, dem das schönste und wohlhabenste Mädchen nicht entgehen kann, in den Sinn kommen lassen, dieses nackte Aeffchen, das vielleicht in seinem ganzen Leben nicht tausend Gulden zu hoffen hat, zu ehelichen. Daß du hingingst, ein wenig liebäugeltest, nun das wußte ich wohl, und hatte nichts dagegen, jedoch ehelichen, dich mit dem Bettelvolke behängen; nein, eine solche gemeine uns beschimpfende Wahl hätte ich bey meinem Neffen nie gesucht; meine Einwilligung gebe ich dazu in ganzen Leben nicht, und Wilhelm stand, wie aus den Wolken gefallen da.

Was haben sie beste Tante gegen das Mädchen einzuwenden, ist sie nicht unbescholten, sittsam, tugendhaft? und muß sie mich nicht mit diesen heut zu Tage so seltenen Eigenschaften glücklich machen?

Mein Kind, das sind Possen; unbescholten, sittsam und tugendhaft mag sie meinetwegen seyn, so viel sie will, zum glücklich Leben, hat man jedoch noch etwas nöthig, an das die Jugend selten denkt, weil sie die Welt wie ein in Idyllen gezeichnetes Leben anzusehen geneigt ist, bis die Ehe selbst und die inzwischen gemachte genaue Bekanntschaft des gesellschaftlichen Zustandes hienieden, oft mit ziemlich unangenehmen Empfindungen diese Täuschung benimmt. Es kann noch eine hübsche Zeit hingehen, ehe du eine Anstellung bekommst, die dich in den Stand setzt, eine Gattinn anständig, und das Wilhelm will heut zu Tage viel sagen, leben zu lassen, ein Haus zu machen; die Zinsen deines kleinen Capitals langen ja kaum auf den Gesindelohn, nein, sey klug und glaube, daß ich dein Bestes bezwecke, eine Mamsell Habenichts wolltest du nehmen, indeß ein – Mann wie du, in den angesehensten bemitteltsten Familien eine Gattinn suchen kann? Bedenkst du auch jetzt nicht, wie gut eine bedeutende Mitgift, Ausstattung und Familien-Connexionen zu Statten kommen, so sollst du es schon noch einsehen.

Wozu nützen einem Manne von meinen Gesinnungen alle Schätze des Mamons? Nie möchte ich den Oheimen und Basen meines Weibes, Anstellung, Schutz und Begünstigungen zu danken haben; ich will dem Staate dienen, weil ich ohne die Bescheidenheit zu beleidigen, behaupten kann, die dazu nöthigen Fähigkeiten zu besitzen, nie mag ich jedoch dem gnädigen Schutze eines Oheims das schuldig seyn, wozu ich ohnedieß die gewisseste Hoffnung hege, eine Hoffnung, die sich auf mein eigenes Ich, auf meine Kenntnisse und auf meinen löblichen Willen stützt. Ich wünsche kein glänzendes Loos, dem Neid und Cabale gewöhnlich auf dem Fuße folgen, und entsage allen weitaussehenden Plänen des Stolzes. – Kann man, beste Tante, seinen Empfindungen gebiethen, innig zu lieben ist man in seinen Leben blos einmahl im Stande, und dieses schöne winkende Glück, dem ich so nahe stehe, sollte ich selbst, aus Habsucht und Eitelkeit meiden, dem Eigennutz die Liebe weichen lassen?

Du kannst thun was du willst, Wilhelm. Macht eine läppische Liebeley mit einem mannstollen Mädchen alle Gefühle des Dankes und eines kindlichen Gemüths schweigen, nun so muß ich, da du mein Sohn nicht bist, obschon ich dich stets als einen solchen behandelt habe, gelassen zusehen, du hast mich jedoch von dem Tage, an dem du mit Sundheims Antonien Hochzeit machst, zum letztenmahl gesehen; ich hasse das hochmüthige Bettelpak wie den Tod. – Deinen Entschluß mag ich jetzt, heut nicht wissen, bedenke wohl, ob du keine Pflichten zu achten habest, und solltest du dieß meinen, so sey wenigstens so gefällig, eine Mittheilung, die mich ganz zu Boden beugen muß, auf einige zwanzig Stunden aufzuschieben, damit meine Gäste heut am Nahmenstage, nicht das Leid in meinem Gesichte lesen.

Stumm ging Wilhelm in sein Cabinet, um dem eben kommenden Besuche auszuweichen. Was ließ sich in diesem Augenblicke thun, in welchem seine so empfindlich getäuschten Hoffnungen ihn unfähig machten, einen festen Entschluß zu fassen.

Plötzlich alle diese lachenden Aussichten zum schönsten Glück, die seine glühende Phantasie, ihm so oft schuf, wie Seifenblasen entschwinden zu sehen! welche Standhaftigkeit sollte ihm dieß Schicksal, und welche kindliche Liebe den Eigensinn eines eiteln, geizigen Weibes leidlich machen? –

Sollte Wilhelm sein so ganz an Antonien gekettetes Gemüth losknüpfen, und seinem Glück des Lebens, blos wegen unbilligen Behauptungen und Launen entsagen? Wozu konnten ihm alle Schätze nützen, wenn das edle liebe Wesen sie nicht mitgenoß? Und gesetzt auch, daß es ihm möglich geschienen hätte, dem Mädchen standhaft zu entsagen, wie hätten ihm, wenn es wie eine Blume dahinwelkte, dessen Leiden gleichgültig seyn können? Mußten denn Antoniens Hoffnungen, die sie auf ihn gesetzt hatte, nicht eben so qualvoll schwinden? Daß sie ihn liebte, so innig liebte, wie ein Mädchen zu lieben im Stande ist, wußte Wilhelm, und fand sich schon deßhalb unfähig die Scheidung zu beginnen, doch die Pflichten des Danks, die kindliche Achtung gegen seine Tante, die ihn so innig liebte, so viel an ihm gethan hatte, heischten eben so laut Entsagung. Seine Seele bestand einen nahmenlosen Kampf, aus dem sich stets die schwach glimmende Hoffnung, vielleicht doch noch Madame Steinhof zu bewegen, auf einige Augenblicke hob, um ihn dann in einen neuen Schlund von quälenden Zweifeln zu ziehen. Mühsam gelang es ihm seine Gemüthsbewegung bey dem heutigen Gastmahl den spähenden Blicken des schmäh- und klatschsüchtigen Neides nicht zu zeigen.

* * *

Antonie wußte wohl, daß Wilhelm die zum heutigen Nahmenstage geladene Gesellschaft aus Wohlstand nicht im Stiche lassen könne, um seinen gewöhnlichen Abendbesuch abzustatten, und ahnete demnach nicht im Mindesten, welche Wolken sich zusammengezogen hatten, und den Geliebten schon in die peinlichste Lage setzten.

Wilhelm sann inzwischen den ganzen Tag auf ein Mittel, Antonien wenigstens einen Augenblick zu sehen, und eilte sobald dieß ohne Aufsehen geschehen konnte, weil die vollen Flaschen und die Spieltische den Gästen zu anziehende Gegenstände schienen, um seine Abwesenheit zu beachten, hastig nach Sundheims Wohnung um nach allen den heutigen Qualen noch einmahl den Anblick seines Mädchens zu genießen.

Leise schlich sein Fuß aus dem dunklen Saal in des Amtmanns Hause wo Niemand sich befand, und ging nach Antoniens wohlbekanntem Stübchen. Auch aus diesem leuchtete ihm noch kein Licht entgegen, doch wie schnell machte die ihn beugende, angstvolle Wehmuth, den Empfindungen des Abscheus, des Hasses und dem kältesten Hohne Platz, als sein Blick auf die Glasscheibe des Einganges fiel, und ihm auf dem Sopha einen jungen Mann an Antoniens Seite zeigte, den sie umschlungen hielt, und sich voll Liebe an seinen Busen mit den blondem Lockenköpfchen geschmiegt hatte, das sie eben zu einem Kusse in die Höhe hob.

Sein Blut wandelte sich bey diesem Anblick in Eis, doch im nächsten Augenblick schon mußte jedes Gefühl dem beleidigten mannlichen Stolze weichen. Wilhelm lachte laut auf, und floh aus dem Hause, als wenn die Eumeniden mit Geißeln ihm auf dem Fuße folgten, hin zu den zechenden Gästen in Madame Steinhofs Hause, und suchte den in seinem Busen tobenden Leidenschaften im Genuße des Weines den nagenden Stachel abzustumpfen.

Die Tante sowohl, als die Gäste staunten sein plötzlich so lustiges, beynahe ausgelassenes Wesen an, das wohl auffallen mußte, da man ihn wegen seines Tiefsinns schon den ganzen Tag geneckt hatte, und die etwas betagte Wittwe des gottseligen Amtsphisikus Knoblauch wünschte blos noch mit Gewißheit behaupten zu können, daß sie und nicht die Nichte Knödelweh, ein gelbsüchtiges, eingebildetes, nasenweises Gänschen die Glückliche sey, welche den jungen Mann gefesselt habe, denn diese schien sich den Sieg noch nicht aus den Händen winden lassen zu wollen, und gab ganze Salven von Pfeilen, die jedoch aus Mattigkeit alle in des guten Jünglings Weste stecken blieben.

So lange die Gesellschaft beysammen blieb, die vollen Flaschen winkten, und am Ende die von einem hagestolzen Junggesellen, dem es noch auf seinen alten Tagen einfiel nach Madame Steinhofs Hand und – Geld zu angeln – in Geheim bestellte Musik sich mit einem schmelzenden: » Blühe liebes Veilchen« ankündigte, obgleich dieß Lied auf die Tante allenfalls blos in Hinsicht des ziemlich violetten Gesichts paßte, gelang es Wilhelmen wohl, sein Gefühl zu betäuben, als jedoch das einsame stille Schlafgemach den liebesiechen Jüngling aufnahm, stellte sich das Bild des heutigen Abends seinem Andenken auf, weckte die blos zum Schein beschwichtigten Leidenschaften aufs neue, und mit tausend Gelübden: das falsche meineidige Geschlecht auf ewig zu fliehen, wälzte sich Wilhelm schlaflos in seinem weichen Bette, das ihm heut aus Disteln und Nesseln zu bestehen schien, bis die aufgehende Sonne mit majestätischem Glanze in Osten flammte und ihn hinaus ins Feld, in Gottes schöne Schöpfung lockte.

Ohne dabey an etwas zu denken, vielleicht ohne es zu wissen, blos aus Gewohnheit ging Wilhelm den Weg zwischen dem Bach und den Wiesenhecken zum Hofe hinaus. Man kam auf demselben an einen Seitenflügel des Amtshauses, den Sundheim bewohnte, weil das ziemlich gothische Hauptgebäude blos einige Sessionsstuben, Gefängnisse und Schüttböden enthielt. Schon von weitem blickte sein Auge nach dem zweyten Stock, wo Antoniens wohlbekanntes Cabinetchen, sich mit dem kleinen Altan befand, von welchem aus man eine entzückende Aussicht genoß. – Nein das ist nicht möglich, das ist das Gauckelspiel eines bösen Dämons, so kann sie die Sittsamkeit nicht höhnen, ein buhlendes gefallsüchtiges Geschöpf, dem Tugend, Unschuld und Liebe blos dem Scheine nach eigen sind, mag sie seyn, eine schamlose gemeine Metze? nein beym Ewigen! das glaube ich nicht. – Doch was ließ sich denken? die leibhafte Gestalt des jungen unbekannten Mannes, den Wilhelm bloß von dem zufällig belauschten Tete-a-tete noch kannte, stand auf dem Altan und blickte hinaus in die schöne Gegend, eilte jedoch sogleich in das Cabinet, ohne Zweifel um nicht gesehen zu seyn, als sein Blick den staunenden, noch von Zweifeln gequälten Wilhelm entdeckte.

Liebende, die jemahls ähnliche Höllenqualen empfanden, mögen allein im Stande seyn, sich die tobenden Gefühle des unglücklichen Jünglings bey diesem Anblick, und dem Gedanken einem leichtsinnigen schamlosen Geschöpf, das seine Nase ziemlich unsanft behandelte, so lange als Spielzeug gedienet zu haben, deutlich denken zu können, auch nicht so gebunden, wie es die Tendenz dieses kleinen Buchs heischt, bleibt es allemahl eine nicht leicht zu lösende Aufgabe, jede Empfindung, und diese pflegen in solchen Augenblicken doch gewöhnlich in chaotischen Wogen die Ebbe und Fluth des Oceans nachzuahmen, aufs genaueste zu zeichnen.

Nach einigen Stunden befand sich Wilhelm ohne zu wissen wie dahin gekommen, in einem angenehmen Wäldchen, und sammelte seine Besinnung. Die im Felde beschäftigten und ihm begegnenden Leute hatten ihm, den Kopf schüttelnd, nachgegafft, als sie ihn auf sumpfigen Wiesen und ungebahnten Wegen, keuchend und planlos nach dem Buchenhain eilen sahen. Die Stille dieses schattigen Halbdunkels kühlte sein siedendes Blut ab, doch schon fähig Pläne auf die Zukunft zu bilden, hob sich Wilhelm von dem duftenden Moose und eilte, da die Sonne ziemlich hoch am Himmel stand, mit dem unumstößlichen Entschluß nach Hause, Madame Steinhof noch heut die Nothwendigkeit zu beweisen, in die Hauptstadt zu gehen – um daselbst einen seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenen Posten zu suchen, da das unthätige Leben in Michelwitz zu seinen gemeinnützigen Absichten nicht passe, und ihn anekele, von seinen Entdeckungen in Hinsicht Antoniens jedoch das tiefste Stillschweigen zu beobachten und nöthigenfalls blos zu sagen, daß ihm selbst Madame Steinhofs wohlgemeinte Absichten nach kaltem Nachdenken zu gut einleuchteten, um nicht eine zwecklose Liebeley, die noch lange keine Leidenschaft sey, dem Wunsche: ein nützliches Mitglied des Staats zu seyn, nachzusetzen. Die Tante hätte nun wohl ein entsetzlich einfältiges Weib seyn müssen, wenn sie das so ganz unbedingt glauben und diesen schnellen Wechsel als eine Folge des Nachdenkens, das sie mit weisem Munde geweckt hatte, ansehen sollte. Wie stimmte die allgemein auffallende, beynahe ausgelassene Lustigkeit, mit dem nicht entgangenen Tiefsinn, die jetzige kalte, gleichgültige Nachgiebigkeit, die Absicht, Michelwitz zu meiden, mit den Scenen am Nahmenstage zusammen. Ein Plan sie zu täuschen, konnte dabey unmöglich obwalten, sie hatte Menschenkenntniß genug um einzusehen, daß diese Gleichgültigkeit keine List, die baldige Abwesenheit von Michelwitz kein Spaß sey; es mußte im Gegentheil zwischen den beyden jungen Leuten etwas gegeben haben, jedoch das: wie was wo? lag noch in dichtem Dunkel und dieß so schnell als möglich aufzuhellen, bekam Mamsell Sägewetz, die in demselben Hause wohnte, die ausgedehnteste Vollmacht sämmtliche Damen des löblichen Klatschinstituts sogleich in Bewegung zu setzen.

* * *

Ach das ist ja ein abgeschmacktes Gewäsch, das Mosjöh Kolb wohl blos zusammensudelt um die Bogenzahl voll zu machen, wie kann denn ein Mädchen, von dessen Unschuld, Sittsamkeit, Tugend, Häuslichkeit und wie die schönen Eigenschaften alle heißen mögen, man auf allen Seiten des Buchs den Mund so voll nimmt, wie kann denn so ein Mädchen auf einmahl sich mit solchen zweydeutigen Liebeshändel befassen? Welch ein Pinsel mußte Wilhelm Steinhof seyn, so etwas nicht lange zumahl in Michelwitz entdeckt zu haben? Das ist ja alles so inconsequent als möglich! So denken Sie vielleicht meine schönen Damen schon lange, haben Sie indeß sich entschließen können, so weit zu lesen, so lassen Sie mich vollends Gnade finden und weilen mit den schönen Augen noch ein Stündchen auf dem, was noch kommt. Sie wissen ja, daß man das Beste gewöhnlich auf zuletzt aufhebt.

Antonie, die wohl wußte, daß Wilhelm an Madame Steinhofs Nahmenstage nicht füglich die Gesellschaft meiden könne, um sie zu besuchen, stimmte in Sundheims Wunsch ein, an diesem schönen, einladenden Abend nach dem nicht weit entlegenen Lindenau zu lustwandeln, und sich daselbst bey einem guten Bekannten zu einem kleinen ländlichen Nachtmahl einzuladen. Sie ging also mit den guten Alten, ohne sich einen Augenblick einfallen zu lassen, von wie wichtigen Folgen diese kleine Abwesenheit begleitet sey.

Sie mochten insgesammt noch nicht volle zwey Stunden vom Hause weg seyn, so kam ein Wagen an, in dem sich zwey, Sundheims gewiß ungemein willkommene Gäste befanden. Eine Nichte von ihm, seit einigen Tagen die Gattinn eines jungen gebildeten edlen Mannes eilte nun mit demselben aus den heimathlichen Gefilden, wo man im Familienschosse des hübschen Weibchens, das Hochzeitfest begangen hatte, nach dem neuen Aufenthalte Leipzig, und scheute den kleinen Umweg nicht, obschon des Gatten wichtige Geschäfte wenig Aufschub litten, um den guten Oheim, die beste Tante und das liebe Mühmchen zu sehen, die bey Hymens Weihe nicht hatten zugegen seyn können, weil es die weite Abgelegenheit bey des Amtmanns Dienstgebundenheit nicht gestattete.

Auguste, eine liebliche Blondine, hatte mit Antonien einige Aehnlichkeit, wenigstens in Hinsicht des Wuchses und Ganges, wenn auch nicht den Gesichtszügen nach. Als sie mit dem jungen Gatten in Michelwitz anlangte und Sundheims nicht zu Hause fand, ließ sie es geschehen, daß die Magd nach Lindenau lief, um den angekommenen Besuch zu melden, damit die Familie nicht zu lange ausbliebe, indeß das Stubenmädchen auf den Boden stieg, Betten, Weißzeug, und die sonstigen nöthigen Bequemlichkeiten zusammen suchte, um es wenigstens in diesem Puncte den Gästen an nichts fehlen zu lassen. Antoniens Cabinetchen lag gegen Osten, folglich zog sie jetzt die Kühle und schöne Aussicht, vielleicht auch die stille Heimlichkeit desselben, die Liebenden und achttägigen Eheleuten ungemein lockend scheinen mag, dahin, wo sie kosend auf dem kleinen Sopha Platz nahmen. Diese Umstände machen es ziemlich einleuchtend, daß Wilhelmen Niemand begegnen und kein Mensch von seinem Besuche etwas wissen konnte.

Sobald die Magd die angenehme Bothschaft ganz athemlos Sundheims gemeldet hatte, machte sich die Familie sogleich auf den Weg, um den lieben Gästen mit einem ungehäuchelten Willkommen entgegen zu eilen, und als sie nun endlich zu Hause anlangten, die jungen Leute ihnen mit liebevollen Ungestüm um den Hals fielen, die Küsse und Liebkosungen kein Ende nahmen, saß Wilhelm, dem sein blödes Auge so übel mitgespielt hatte, daß Auguste ihm Antonie zu seyn schien, wobey das blonde Lockenköpfchen, das weiße Kleid und das Dunkel des Cabinets, die Täuschung vollendeten – schon längst bey den zechenden Gästen und suchte im Genuße des Weines fühllose Betäubung gegen seine Qualen.

Constantin Sewald, Augustens Gatte, konnte als Associé eines bedeutenden Handlungshauses in Leipzig, dessen wichtige Geschäfte fast ganz auf ihm lagen, beym besten Willen keinen Tag zugeben, so innig auch die Familie und zuletzt sein Weibchen baten, blos den nächsten noch zu bleiben, und Sundheim, dem Sewald offen gestand, welche höchst wichtige Angelegenheiten seine Anwesenheit in Leipzig heischten, sah sich am Ende selbst genöthigt, sich auf die Seite des jungen thätigen Mannes zu wenden, um ihn aus dem Kampf mit seinen Pflichten und dem allgemeinen Wunsche zu helfen. Die Unmöglichkeit leuchtete nun allen zusammen ein, und Auguste bestellte schnell besänftigt, selbst den Wagen auf den folgenden Tag mit Sonnenaufgang.

Lieschen, Sundheims Stubenmädchen, hatte wohl inzwischen die Bettstellen vom Boden geschafft, die weichsten Pfühle, das schönste Weißzeug ausgesucht, keine Kleinigkeit fehlte, selbst Stiefelknecht, Pantoffeln, Waschbecken und Nachttopf, wesentliche Dinge, die man oft in glänzenden Gasthöfen nicht finden kann, und doch bezahlen muß, standen dienstbefließen da, es handelte blos noch um den wichtigen Umstand, wo sie auf diese Nacht festen Fuß fassen sollten? Sundheims Wohnung bestand blos aus zwey Stuben, einem Saale, dem Cabinetchen, in dem Antonie schlief und einem Gemach in dem Lieschen und die Magd sich befanden; die eine Stube diente den beyden Alten zum Schlafgemach, in die zweyte hatte man eine Menge Victualien gestellt, z. B. Käse, eingesalzenes Fleisch und an was sonst die kluge Häuslichkeit zu denken pflegt. Wollte man nun sich auch die Mühe nehmen, diese Sachen hinauszuschaffen, so ließen sich doch eine Menge Dünste nicht so schnell bannen, die einige dickleibige Käseköpfe in Fülle gespendet hatten.

Im Saal, wo eben die Gäste und die Familie beysammen sich befanden, hätten die Anstalten des Bettaufschlagens beym kosenden Geschwätz, etwas unangenehm seyn müssen, auch ging es deßhalb nicht gut an, weil man blos von dem Saal aus, in das Domestiquen-Gemach kommen konnte, folglich das noch spät beschäftigte, aus- und eingehende Gesinde den Gästen fast alle Augenblicke lästig fallen, und sie im Schlafe hätte wecken müssen.

Antonie wollte mit Augusten im Cabinetchen schlafen und Sewalds Bett, sollte Lieschen in Sundheims Stube aufschlagen. Obschon auch Auguste dieselbe Meinung gefaßt zu haben schien, und sich stellte, als ob sie dieß wünsche, so entgingen dem Amtmann doch die schelmischen Seitenblicke auf den jungen Gatten nicht, dessen Gesicht bey diesem Dislocationsplane einen Längenzusatz von wenigstens zwey Zoll bekam. Ach, geh doch mit deinen Anschlägen, sagte endlich Sundheim lachend, die beyden Leutchen schlafen beysammen in deinem Cabinete und du, heut bey uns, damit ist die ganze Sache abgethan. Auch leuchtete allen ein, daß dieß am bequemsten und schicklichsten sey, ausgenommen Antonien, die vielleicht dem jungen Weibchen alle kleinen Geheimnisse mitzutheilen wünschte und die halbe Nacht von Wilhelm Steinhof geschwätzt hätte.

Die Stunden flohen schnell dahin, man saß noch ganz lustig und wohlgemuth am Tische, als die Glocke schon eilf schlug; da jedoch mit Sonnenaufgang geschieden seyn sollte, mahnte Sundheim selbst ans Schlafengehen und die ganze Familie begleitete leuchtend die neuen Eheleutchen in Antoniens Cabinet, um dann nach einem, wenigstens zwanzigmahl gegenseitig gewünschten Wohlzuschlafen und gute Nacht gleichfalls ins Bett zu steigen.

* * *

Wenn man einen weiten Weg zu machen hat, und eilt, um sobald als möglich an dem Ziele zu seyn, wohin wichtige Angelegenheiten uns winken, ist es gewiß höchst unangenehm von den eigensinnigen Launen dieses und jenes, bisweilen ganz unbedeutenden Menschen abzuhängen. – Man bestelle den Postknecht, um welche Zeit man wolle, und man kann fest glauben, ihn ganz gemächlich und gähnend mit seinen müden, ungeputzten und nach dem Stalle sich sehnenden Gäulen, wenigstens eine halbe Stunde nach dem bestimmten Zeitpunct kommen zu sehen. Niemand, dem es noch nicht an Gelegenheit fehlte, diese Beobachtung in eigenen Geschäften zu machen, möchte demnach wohl etwas gegen meine Behauptung einzuwenden haben, daß man diese Classe von Menschen, wenn man im July mit Sonnenaufgang in den Wagen steigen will, bestellen müßte: mit dem Glockenschlag zwey schon da zu seyn. Hätte Auguste dieß gewußt, so möchte es wohl kaum Sewalden eingefallen seyn, auf den Altan hinaus zu gehen, um sich die Augen nach dem Schlingel von Postillion halbblind zu gucken. Daß ihm dabey nicht in den Sinn kam, sich den Blicken des, tiefsinnig zwischen dem Zaune und dem Bache hin wandelnden, ihm ganz unbekannten, mithin auch gleichgültigen Wilhelm, entziehen zu wollen, läßt sich wohl denken; – ging Sewald in diesem Augenblicke vom Altan, so geschah dieß blos aus Zufall, weil ihm vielleicht eben noch etwas einfiel, und in solchen Fällen ja gewöhnlich die Ungeduld nicht lange auf einem Flecke weilen läßt. Lieschen hatte wenigstens schon fünfmahl nach dem Posthause laufen müssen, und eben wollte Sewald selbst voll Unwillen dahin eilen, als endlich die Gäule sammt dem Postillion ankamen.

Es schlug eben sieben, da die jungen Leute in den Wagen stiegen, und sie von unzähligen Lebewohls und innigen Glückwünschen begleitet, endlich aus Michelwitz gelangten.

Füglich hätte ich diese Auflösung noch ein gutes Weilchen aussetzen können, gewiß stünde sie nach einem Dutzend Seiten am passendsten Platze und kommt jetzt zu zeitig. Bedenken Sie jedoch, meine schönen lesenden Damen, daß ich dieselbe blos Ihnen zu gefallen gab, weil ich keinen Tadel so empfindlich fühle, als den aus einem schönen Munde; – ich Sie ungeduldig zu machen, zu langweilen mich hüthen wollte.

Ich möchte doch wissen, was das Mädchen heut im Sinne hat, sagte Madame Sundheim zum Amtmann, als Antonie den Nachmittag, um die Zeit, wo Wilhelm gewöhnlich seinen Besuch abstattete, binnen zwey Stunden wenigstens fünfzehnmahl, bald aus diesem, bald aus jenem Anlaß, hinauslief und heut um alles Sitzfleisch gekommen zu seyn schien.

Nun was kann sie im Sinn haben? entgegnete Sundheim ganz phlegmatisch, den jungen Steinhof, den sie heut schon den zweyten Tag nicht sieht, und sich deßhalb beängstiget fühlt. – Ist es etwa deinem Auge entgangen, daß sie sich gegenseitig lieben?

Diese Meinung theile ich nicht so ganz, was sollte denn dem jungen Manne im Wege stehen, bey uns um sie anzuhalten?

Seine Tante.

Was kann die gegen Antonien einzuwenden haben? – das möchte ich wissen, ist sie nicht ein sittsames, tugendhaftes wohlgebildetes Mädchen?

Das hätte sie in den Augen manches Menschen nicht einmahl nöthig zu seyn, wenn sie viel Geld besässe, da sie jedoch keines hat, möchte Madame Steinhof wohl kaum die Einwilligung dazu geben, sie einst als Wilhelms Gattinn zu sehen. Ich sehe es schon lange dem guten Manne an, daß es so ein Bewandniß mit ihm habe.

Nimm es nicht übel, wenn ich nicht ganz so denke wie du. Die Steinhof ist wohl ein stolzes hochmüthiges und unausstehliches Weib, das uns auch eben nicht gewogen seyn mag, weil du dich nicht gegen sie bückst, keinen Menschen des Geldes wegen achtest und ich nicht in die Klatschvisiten gehe; wenn es sich jedoch um das Glück des jungen Neffen handelt, möchte sie wohl noch gelinde Saiten aufziehen.

Das thut nie ein Weib wie sie.

Nun und was meinst du denn, daß dann dabey zu thun sey?

Nichts, als das Mädchen auf eine kluge und schonende Weise bedeuten, daß sie sich auf den jungen Menschen keine Hoffnung machen solle, und das ist deine Sache.

Wenn jedoch Steinhof täglich ins Haus kommt? – So laß ihn kommen, ich denke zu delicat, um ihn auf den Gedanken zu leiten, daß ich jemahls glaubte, ihn zu meinem Eydam zu machen, und das Mädchen schickst du auf einige Monathe nach Saalfeld zu seinem Pathen, dem ich es ohnedieß schon lange zugesagt habe; so ist die ganze Sache abgethan.

Das gebe Gott, ich will es wünschen.

* * *

Nun, wie du denkst, sagte Madame Steinhof nach einigem Nachdenken, als Wilhelm auch am folgenden Tage fest bey dem Entschlusse blieb, in die Hauptstadt zu gehen und daselbst eine Anstellung zu suchen; du weißt, daß ich in löblichen Dingen deine Hände nicht binde, zweckmässigen Plänen nichts in Wege lege, gehe nach ***; obschon ich wünschte, um dich bleiben zu können, so beschwichtige ich mich doch, das dieß nun einmahl nicht angeht, bis es meine Angelegenheiten gestatten.

Wilhelm entdeckte nun zugleich die Absicht, schon in zwey Tagen abzugehen, und bath die Tante, dieß so geheim als möglich zu halten, weil ihm alle Lust zu den langweiligen Abschiedsbesuchen fehle, indem sie ja auf seine Abwesenheit eine sonstige schickliche Entschuldigung finden könne. Auch dagegen hatte Madame Steinhof nichts einzuwenden, und schien jetzt beynahe selbst zu wünschen, daß Wilhelm sobald als möglich aus Michelwitz komme, weil sie auf diese Weise alle Gewißheit in Händen zu haben glaubte, daß die Liebschaft mit Antonien zu Ende sey; sie dachte dabey an ein altes Gedicht, das sie als Mädchen oft gesungen hatte, und von dem sie noch einige Zeilen auswendig wußte, die sie heut zum Leidwesen des, an nichts theilnehmenden Neffen, alle Augenblicke, wenn sie sich mit ihm allein befand und sein leidendes, von Unmuth entstelltes Gesicht ansah, aufsagte, sie lauteten:

Hast du ein Liebchen vom Geschick,
Und sollst es künftig meiden,
So begegn ja nicht seinem Blick,
Sonst mußt du zweyfach leiden;
Die liebe Zeit stillt jede Qual,
Und leitet uns auf Wegen,
Wo Mittel blühen ohne Zahl,
Zum wonnevollsten Leben.

Die meisten Menschen lagen noch im süssesten Schlafe, als Mathes schon die muthigen Falben an Madame Steinhofs Wagen spannte, den sie dem Neffen bis auf die nächste Station mitgab, von wo aus Wilhelm den Weg nach *** mit dem Postwagen machen wollte, indem die gemischte Gesellschaft, die man gewöhnlich auf demselben zu finden pflegt, ihm, wie manchem gebildeten Manne, Stoff zu vielen, eben so nützlichen, als belustigenden Beobachtungen gab, die ihm allemahl einen ungemein angenehmen Genuß bothen, den sonst gewöhnlich Gutmann mit ihm theilte. Diesem edlen Mann hatte jedoch nun das Schicksal einen gemeinnützigen Posten angewiesen, indem eine bedeutende Pensionsanstalt in ***, wo eben Wilhelm hin wollte, seine Leitung heischte, mithin zwang seinen ehemahligen Zögling jetzt die Nothwendigkeit, diesen Ausflug in die Welt allein zu machen.

Madame Steinhof gab dem Neffen tausend Segenswünsche auf den Weg, und was wenigstens eben so viel galt, einen vollen Beutel mit Dukaten, denen vielleicht eben so viel an Menschenkenntniß gelegen seyn mochte, als Wilhelmen, dem sich die Gelegenheit dazu schon auf dem Postwagen both, als noch Niemand in Michelwitz seinen Abgang ahnete.

Antonie, die den jungen Steinhof nun schon seit fünf Tagen nicht gesehen hatte, und sein plötzliches Ausbleiben nicht zu deuten wußte, quälte sich selbst mit allen möglichen Muthmassungen, was ihn beleidiget haben könnte? Sie wollte eben mit häuslichen Angelegenheiten beschäftiget in die Küche gehen, als Lieschen aus dem Kaufladen, in dem sie Zimmt holen sollte, nach Hause geeilt kam, um so schnell als möglich die Neuigkeit zu melden, daß Wilhelm heut mit Sonnenaufgang Michelwitz ein ewiges Lebewohl gesagt habe. Lieschens dienstbefliessenes Schnäbelchen schwatzte so hastig und angelegentlich von diesem, das ganze Städtchen in Staunen setzendem Falle, daß das Mädchen nicht einmahl die Todtenbläße, das Leben und Wanken Antoniens zu beobachten Zeit hatte, bis diese ohnmächtig zusammen sank, und nun Lieschens gellende Stimme mit lautem Geheul: Ach um Gotteswillen! die Mamsell, Mamsell Antonie ist todt! das ganze Amthaus in Angst und Bewegung setzte.

Man kann sich leicht denken, welche Empfindung den guten Sundheim und seine Gattinn bey dem Gedanken befiel, das geliebte einzige Kind als eine Beute des Todes zu sehen. Man eilte so schnell als möglich nach Hülfe, und endlich gelang es den angewendeten Essenzen, das scheidende Leben aufzuhalten. Antonie schlug die Augen auf, kannte die Umstehenden, jedoch kam kein Laut, als Wilhelms Nahmen mit dem klagendsten Accente aus dem Munde des liebenden Mädchens, das alles mit sich geschehen ließ, und an nichts als an den geliebten Entflohenen zu denken schien. Man legte sie ins Bett, wo sich bald die Symptome des heftigsten Gemüthszustandes zeigten, den selten die feinen Fäden des menschlichen Lebens auszuhalten im Stande sind. Antonie schwebte gegen fünf Wochen zwischen Leben und Tod.

Inzwischen hatte Madame Steinhof nicht Kaffeh genug im Hause, um alle Neuigkeiten so geschwind zu belohnen, als es sich jedes einzelne Mitglied des weiblichen Klubs angelegen seyn ließ, dieselben pflichtschuldigst, ungesäumt und mit selbst gedichteten Zusätzen, von sich zu geben. Was Madame Tiegel nicht genau wußte, behauptete Mamsell Zungenschlag, und was Muhme Aschenbad blos muthmaßte, gelobte Mamsell Taugenichts mit vielen Eiden.

Es schien gleichsam, als nähme das ganze Städtchen an nichts sonst Antheil, als blos von diesen Angelegenheiten zu schwätzen; in allen Kneipen und Schwefel-Läden handelte man diesen Gegenstand so genau und umständlich ab, daß selbst Madame Steinhofs Magd, nach jedem Ausgange, einen ganzen Pack von Neuigkeiten auftischen konnte.

Wollte sich dann Madame Steinhof von allen den Sächelchen in Gewißheit setzen, so schob die Magd die Aussage auf Jene, Jene auf diese, diese auf die Leute, bey welchen sie diente, und diese Leute endlich auf die Witwe Kolb, die beym Käseschneiden und Schnaps einschenken, einstweilen die Kunden damit beschäftigt hatte.

Kilian behauptete: Mamsell Siegmund befände sich in gesegneten Umständen, Steffel sagte: sie habe dem schon längst selbst abgeholfen, Knopfloch meinte: Wilhelm säße deßhalb schon in Ketten und Banden, genug, was dem Einen am Ganzen fehlte, füllte ein Zweytes aus.

Doch genug davon, man weiß beyläufig ja, wie es in solchen kleinen Städten zu gehen pflegt. – So lange Antonie noch nicht gesund ist, mag uns Wilhelms Ankunft in ***, seine Aufnahme und Aussichten daselbst etwas beschäftigen.

 

Die meisten Staaten Deutschlands befanden sich damahls in etwas mißlichen Umständen, die Finanzen hatten allenthalben einen gewaltigen Stoß gelitten, den man im ***schen Cabinete jedoch am empfindlichsten fühlte, da das Land bey weitem nicht die bedeutenden Hülfsquellen aufweisen konnte, wie die umliegenden Staaten. Nun nach einem blutigen, so eben geendigten Kampfe gegen habsüchtige, nie zu sättigende Feinde die das unglückliche Land vollends ausgesaugt, und die Einkünfte auf undenkliche Zeiten mit Schulden belastet hatten, sah sich König und Volk in dem bedenklichsten Zustande, aus dem, beyden blos gemeinschaftlich weh thuende Entsagungen und Gemeinsinn helfen konnten. Das allgemeine Beste heischte einen baldigen neuen Finanzplan, die Nothwendigkeit desselben sah alle Welt ein, auch beschäftigten sich damit viele seichte und tiefdenkende Köpfe, indeß blieb es allemahl eine ungemein kitzliche Aufgabe, weil die ganz individuelle Lage des unglaublich mitgenommenen Volks, zu viel schonende Billigkeit, als Hauptwesenheit desselben heischte, und Leute von umfassenden Kenntnissen entdeckten gewöhnlich nach Monathe langem Fleiße, und von den besten Willen beseelt, daß bald diese bald jene Umstände es unmöglich machten, die aufgesetzten Pläne geltend zu machen. –

In diesem Zustande befand sich das Land, als Wilhelm gesund und wohl in *** anlangte, denn das Bild, das Andenken des einst so innig geliebten Mädchens suchte sein Stolz aus dem Gedächtniß zu bannen.

In Hauptstädten, zumahl in solchen, wo des Hofes Glanz, die Assembleen des höchsten Adels, Schauspiele, Feste, sammt dem; schon allen Classen und Ständen eigenem Luxus, das Auge des Neulings blenden, nimmt selbst das Elend, eine gefällige Außenseite an, es zeigt wenigstens nicht so öffentlich seine nackte, Entsetzen einflössende Gestalt, und diejenigen, die blos in Hauptstädten lebten, können sich gewöhnlich selten ein passendes Gemählde von dem nothvollen Zustande des platten Landes machen. – Doch *** stellte mit allen seinen schönen Pallästen, jetzt so ein lebendiges Bild des allgemeinen Elends auf, daß alle, die es seit sechzehn Monathen nicht gesehen hatten, zweifeln könnten, ob dieß noch dieselbe glänzende Königsstadt sey, die sonst als ein Sitz des feinsten geistigen und phisischen Genusses in Deutschland galt; und dennoch ließ das Volk den Muth nicht sinken, weil es seinen König liebte, dessen edlen Willen kannte, und auf die Weisheit des Cabinets baute; die Folge hat auch bewiesen, daß es sich in seinen Hoffnungen nicht täuschte, die allgemeine Noth weckte mit dem Gemeingeist hohe Tugenden, und schlang ein schönes Band um alle Stände, die in gleichem Maße an dem Unglück des Landes Antheil nahmen, alles aufbothen, selbst Gut und Blut nicht achteten, um das köstlichste Kleinod, die Unabhängigkeit des Staats damit zu kaufen.

Gutmann entwickelte Wilhelmen ziemlich genau wie ungewiß bey diesen Umständen die Aussicht eines baldigen genügenden Posten in einem Zeitpuncte sey, wo Tausende im jetzigen Augenblicke entlassene, dienstfähige Beamte, denen man nicht einmahl eine kleine Pension zu geben sich im Stande sah, mit Weib und Kind blos auf die unbestimmte Hoffnung hin, daß eine baldige Zukunft sie entschädigen solle, im hülflosesten Elend schmachteten.

So lange Madame Steinhofs Wechsel nicht ausblieben, hatte Wilhelm wohl nicht nöthig mit Aengstlichkeit auf eine Anstellung zu denken, was ihm auch seine menschlichen Gesinnungen sowohl, als seine Bescheidenheit bey diesen Umständen nicht gestattet hätten, um sich ja nicht den Aussichten eines nothleidenden, kenntnißvollen Mannes in den Weg zu stellen. Die Tante schickte fleißig und wünschte bey allem Geiz, dem Neffen lange nicht so sehnlich einen Posten des Einkommens, als eines wohlklingenden, die Eitelkeit kitzelnden Titels wegen, und diese Hoffnung blieb ja stets unbenommen.

Wilhelm befand sich schon seit sechs Monathen in ***, kam selten in Gesellschaften, zählte wenig Bekannte, weil ihm Gutmanns Umgang genügte, und legte sich in Nebenstunden mit vielem Fleiße auf die schönen Wissenschaften, wozu ihm jetzt Muße genug blieb, da die politischen ihn in Unthätigkeit ließen.

Schon eine ganze Woche lang hatten ihm die ungünstigen, naskalten Tage seine gewöhnlichen, ziemlich weiten Motionen in den umliegenden beschneiten Gefilden eingestellet, jetzt nach Weihnachten blickte endlich die Sonne von dem unbewölkten Himmel und lud Jung und Alt ein, sich an dem wohlthätigen Schein zu laben. Wilhelm nahm an einem schönen Nachmittage seinen Stock und wandelte am Fluße hinab, auf eine einsame Mühle zu, um daselbst einen wohlschmeckenden Kaffeh einzunehmen, und achtete nicht sogleich auf einige Knaben, die mit Schlittschuhen in den Händen nach ihm kamen und jubelnd voll kindischen Muthwillen einen Fußsteig links hinabzogen, auf dem man an einen Seitenkanal des Hauptflusses gelangte. Auf einmahl fiel es ihm jedoch ein, daß die Kälte noch nicht anhaltend genug gewesen sey, um dem Eise die nöthige Festigkeit zu geben, mithin die Knaben leicht ein Unglück nehmen, vielleicht den Tod finden könnten. Wilhelm wollte ihnen eben seine Gedanken mittheilen, doch das lustige Völkchen hatte sich schon zu weit von ihm gewendet, und um die unbesonnenen Knaben von einem so tollkühnen Wagestück abzuhalten, eilten seine Füsse jetzt selbst dem Kanale zu. Daß sich heute schon Menschen auf die dünne Eisdecke ohne Nachtheil gewagt hatten, bewiesen wohl einige Fußstapfen auf dem wenigen, vom Winde stellenweise zusammengewehten Schnee des Flußbettes, was ihm jedoch noch lange kein Beweis zu seyn schien, daß das Eis auch allenthalben halte, die Knaben hatten zum Theil schon die Schlittschuh angeschnallt, als Wilhelm beynahe athemlos auf dem Platz anlangte und sie von diesem Wagestücke abzumahnen suchte. Einige von ihnen, standen unentschlossen da und gelobten endlich diese Belustigung wenigstens bis auf den folgenden Tag auszusetzen, wenn die Kälte, wozu es auch den Anschein hatte, noch aushielte, bloß einem jungen nasenweisen Laffen, schien diese Aengstlichkeit eine abgeschmackte Zaghaftigkeit, gieng, seine Gespielen als feige Hasen höhnend, auf das Eis, und sagte eben: da seht daß ich keine solche Memme bin, als das Eis schon wich und das Bübchen seinen unzeitigen Heldensinn zwischen den Schollen kühlte. Nun liefen die sämmtlichen Knaben mit Geheul und lauten Wehklagen davon, und stellten das Schicksal des unglücklichen Gespielen dem Himmel anheim. Wilhelm hatte sich noch nicht zu weit von dem Platze wegbegeben, als die Flucht und das Angstgeheul des Völkchens den Gedanken in ihm weckte, daß man auf sein Abmahnen nicht geachtet haben möge, und nun einem von ihnen, ein Unglück zugestossen sey; wie ein Pfeil auf den Platz hinfliegend, zeigte sich jetzt seinen Augen das entsetzlichste Schauspiel im ganzen Umfange; indeß konnte man es noch als ein seltenes Glück ansehen, daß das Eis kaum fünf Ellen vom Lande schon nachgab, wo die Untiefe des Flußbettes, des Knabens Füsse auf den Boden langen, und mit den Ellbogen sich auf die noch haltende Decke stützen ließen, denn an jedem nicht so seichten Platze, hätte alle Hülfe zu spät kommen müssen.

Wilhelm zog so geschwind als möglich seinen Pelz aus, und wadete im eigentlichen Sinne, denn das Eis sank zusammen, ohne auf sich Fußen zu lassen, bis beynahe an die Hüften, in den kalten Wellen und hob den bebenden Knaben, den die Todesangst schon auf dem Gesichte stand in die Höhe, als eben die letzte Eisstütze wich und seine noch mit den Schlittschuhen beschnallten Füsse zu wanken begannen, löste ihm dieselben am Lande ab, und wollte ihn nun zum schnellen Laufen nöthigen, um so viel als möglich dem schädlichen Einfluß auszuweichen, doch Angst und Kälte hatte den Knaben dazu ganz unfähig gemacht, weßhalb Wilhelm sich genöthiget sah, ihn ohne Aufenthalt in die Mühle, das am nächsten gelegene Haus zu schleppen, und bis man die Kleidungsstücke wechseln konnte, in ein Bett legen und eine Tasse Melissenthee einnehmen zu lassen.

Einige Gäste, die eben auch des guten Kaffehs wegen heut die Mühle besuchten, kannten den Knaben, als den Sohn des Vicomte de Maillac, **schen Gesandten am hiesigen Hofe, und Wilhelm nahm es mit Dank an, als sich Jemand anboth in die Stadt zu gehen, um den beyden Eingenäßten, Kleidungsstücke zu hohlen, den Vicomte so behutsam und schonend als möglich von dem kleinen, noch glücklich genug abgelaufenen Unfall seines Sohnes in Kenntniß zu setzen, und ihm den Wagen zu schicken.

* * *

Des Vicomte von Maillac Excellenz speisten heut zufällig beym Polizey-Intendanten und befanden sich noch an dessen Tafel, als ein Lackey ganz unbesonnen die Neuigkeit vom Tode des jungen Maillac, welche die nach Hause geeilten Knaben schon in Umlauf gesetzt hatten, dem Polizey-Intendanten meldete.

Man kann sich leicht denken, in welche Angst diese Anzeige den unglücklichen Vicomte setzte, und welche qualvolle Minuten ihn peinigten, bis sein Wagen kam, nach dem sogleich einige Bedienten laufen mußten, die jedoch, noch ehe die Equipage sich im Stande befand, schon die angenehme Bothschaft dem Vicomte zu melden eilten, daß: so eben Jemand in sein Hotel gekommen sey, um Wäsche, Kleidungsstücke, und den Wagen in die Buschmühle zu bestellen, wo sein Sohn sich schon ohne sonstigen Unfall befände, folglich nicht todt seyn könne. Seine Excellenz hätte am liebsten den Kutschenbock selbst bestiegen, da dieß in diesem Costüme jedoch nicht füglich anginge, und die Beobachtung des Schicklichen in den Augen des Vicomtes als eine Hauptpflicht galt, so bekam blos Jean auf dem Bocke den wohlgemessenen Befehl, so viel als möglich zu eilen, und die neue Peitsche nicht zu schonen.

Wo ist mein Sohn, lebt mein Otto noch? schallte es schon aus des Vicomtes Munde, als die Equipage kaum im Hofe hielt; man hob ihn aus dem Wagen und begleitete ihn nach dem Stübchen, in welchem Otto schon ganz wohlgemuth im Bette lag, und blos den, vom Hause geheischten Kleidungsstücken entgegen sah. Böses Kind! in welche Angst hast du mich gesetzt, ist das deine Liebe, deine schuldige Folgsamkeit gegen meine Befehle? Nimm diesen, Gott sey Dank! noch so glücklich abgelaufenen Unfall, als eine Witzigung! – Otto küßte die Hand des allzugütigen Papa's und gelobte alles Mögliche. –

Und wo finde ich den edlen Mann, dem ich sein Leben schuldig bin?

Wilhelm saß wie auf Nadeln und hätte längst aus Bescheidenheit gewünscht, sich den Danksagungen des Vicomte entziehen zu können, dieß ging jedoch nicht füglich an, weil die Dienstbefliessenheit jenes, in die Stadt geeilten Gastes, sich ohne Zweifel blos mit dem Hause des Vicomte begnügt haben mochte, denn an ihn kommen keine Kleidungsstücke, und wollte Wilhelm im Nothfalle auch, was sein Pelz wohl gestattet hätte, in den ihm gelehnten Sonntagshosen und dem Hochzeitshemde des alten Thomas in die Stadt gehen; so ließ sich dieß doch nicht in Pantoffeln möglich machen; da ihm des gefälligen Mühlfaßen Schuh und Stiefeln nicht paßten, und die seinigen im jetzigen Zustande auf keines Menschen Fuß zu ziehen gingen, so mußte sich seine Bescheidenheit nolens volens dazu bequemen, zu bleiben, und dem Vicomte noch einmahl auf die bündigste Weise, die ganze Begebenheit mitzutheilen, wobey auch Wilhelm eigentlich blos seine Pflicht gethan hatte, denn einem Knaben zu Hülfe zu kommen, ohne selbst etwas, als höchstens einen achttägigen Schnupfen dabey wagen zu können, ist auch noch lange keine edle Handlung, keine anzustaunende Heldenthat, nichts als bloße Schuldigkeit, die wohl kein Mensch in einem ähnlichen Falle unausgeübt lassen möchte.

Den Vicomte schien jedoch nichts so angelegentlich zu beschäftigen, als seinen Dank dem jungen Manne auf die ausgesuchteste und delicateste Weise, nicht blos mündlich an Tag zu legen. Seine Exzellenz wünschten im Stande zu seyn, diesen Dienst auf eine zweckmäßige, Wilhelms Feingefühl nicht beleidigende Weise zu belohnen, und konnten dazu nicht so schnell die schicklichen Mittel finden, weil man noch nicht wußte, auf welchem Wege dem, so viel Anstand und Bildung zeigenden Jünglinge beyzukommen sey, den seine bescheidene Mittheilung jenes Umfalls, in den Augen des Vicomtes unendlich heben mußte, da Otto sich befließ, seine hoffnungslose Lage, die dabey ausgestandene Angst, Kälte und die Gewißheit zwischen dem Eise umkommen zu müssen, so umständlich und den Edelmuth seines Schutzengels, dessen Abmahnung unbeachtet blieb, so glänzend als möglich zu zeichnen, denn man konnte den jungen Maillac ohne Schmeicheley, einen guten lieben Knaben, von seltenen Anlagen und dem besten Gemüthe nennen, Eigenschaften die seine jugendliche Tollkühnheit, seinen Hang zu Wagestücken, bey etwas Nasenweisheit und dem Dünkel: so gescheut und klug wie ein Mann zu seyn, hoffentlich bey Zeiten heben möchten.

Wilhelm mußte allen seinen Einwendungen und Bedenklichkeiten ungeachtet, sich entschließen mit diesem seltsamen, komischen Aufzuge, in dem Wagen des Vicomte Platz zu nehmen, und in dessen Hotel abzusteigen, inzwischen man einen Bedienten in das Logis sandte, um die nöthigen Kleidungsstücke aus demselben zu holen. Ohne Zweifel hätte ihn die Equipage eben so füglich an seinem Wohnhause aussetzen können; Seine Excellenz wollten jedoch die genaue Bekanntschaft des jungen Mannes machen, und hatten Louis insgeheim befohlen, desen Nahmen, Stand und sonstige Angelegenheiten auf eine feine Weise auszukundschaften, wobey ihm die abzuholenden Kleidungsstücke einen schicklichen Behelf gaben. Da nun Louis die Commission, mit so viel Gewandtheit, als sich von einem so pfiffigen Schelme denken läßt, vollzog, so konnten Seine Excellenz noch ehe die Toilette des Gastes zu Ende kam, wohl wenigstens so viel, als die Leute bey denen Wilhelm im Hause wohnte, zu sagen wußten, von dessen Angelegenheiten, Stand, Nahmen, Beschäftigungen und Aussichten in Kenntniß gesetzt seyn.

* * *

Das Geschlecht des Vicomte de Maillac stammte eigentlich aus Champagne, wo es einst als die angesehenste und wohlhabendste Familie galt. Die allgemeine Umwälzung des Staates, welche viele tausend unschuldige Menschen auf die Guillotine geschleppt hatte, als mit dem Königsthum jedes gesellschaftliche Band sich löste, Wuth, Habsucht und alle die Menschheit beschimpfende Schandthaten, die Stelle des Gesetzes einnahmen, Blut die allgemeine Losung hieß – diese entsetzliche Umwälzung, wie die Geschichte keine ähnliche kennt, entzog dem letzten Vicomte de Maillac sein ganzes Habe, und nicht ohne Mühe und Noth gelang es ihm, mit einem damahls kaum zwanzig Monathe alten Sohn und einem betagten Bedienten dem schmachvollsten Tode von den scheußlichen Händen, des nach Blut lechzenden, entzügelten Pöbels zu entgehen. –

Familien von hohem Stande, suchten zu jenem unglücklichen Zeitpuncte, in dem nothvollsten Zustande – den von Jugend auf an alle Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnte Menschen, gewiß doppelt fühlen müssen – in allen Gegenden Deutschlands, Helvetiens und Italiens, eine bleibende Stätte, ohne sie finden zu können, das Auge des sonst so mitleidigen Deutschen gewöhnte sich nach und nach an diese täglichen Scenen des Hülfe heischenden Elends und bald schien das Unglück mit seinen ausgesuchtesten Tücken, den Flüchtigen auf dem Fuße zu folgen.

Die Gemahlinn des Vicomte, hatte die Sense des Todes schon am letzten Kindbette hingemäht, sie schied, wie wohl mit bangen Ahnungen, jedoch noch im Schooße des Glücks, auf dem schönsten Schloße, das die mit Weinstöcken bepflanzten Hügel in Champagne zeigten, von allem was sie hienieden liebte; sie stammte eigentlich aus Sachsen, und hatte den Vicomte bey dessen Aufenthalt an dem Hofe des Königs August von Pohlen zu *** geehlichet. –

Im Voigtlande lebten noch einige nahe Zweige von des geliebten Weibes Familie, und daselbst wollte Maillac in dem jetzigen, so beugenden Augenblicke, eine Zuflucht suchen; das Leben seines kleinen Eugen, des einzigen Bandes, das dem unglücklichen Mann, noch an diese Welt knüpft, endete, ohne Zweifel aus Mangel an Pflege schon zu Mannheim, und den Leichnam des alten guten Basil, dem seine Hinfälligkeit es unmöglich machte, dem Vicomte noch zehn Stunden weit zu folgen, kaufte die medizinische Facultät (mich däucht zu Giessen) in Hoffnung seines baldigen Todes, schon bey Lebzeiten, weil man seit Stiftung dieses pitoyablen Duodez-Musensitzes die Anatomie blos in den Fleischbänken, an jenem Viehgeschlacht, dessen Genuß das Mosaische Gesetz den Juden nicht gestattet, das jedoch, wie man behauptet, die meiste Aehnlichkeit mit dem Bau des Menschen haben soll, las. Man dankte folglich dem Himmel, endlich einen Menschen gefunden zu haben, dem man blos bis an seinen baldigen Tod Essen und eine Schlafstätte zu geben nöthig hatte, um ihn sodann nach Belieben schneiden zu können, was selbst bey den nicht akademischzünftig abgestochenen Schweinen selten ohne unangenehmen Collisionen ablief.

Nach unsäglichen Mühseligkeiten langte endlich Maillac im Voigtlande an, ohne in diesem Zustande eine günstige Aufnahme zu finden, denn die Familie des geliebten Weibes, zeigte so ziemlich ohne Hehl, wie wenig sie geneigt sey, dem Vicomte einen solchen Schutz angedeihen zu lassen, wie ihn schon sein Stand, ohne die Bande des Bluts in Anschlag zu setzen, von jedem fein fühlenden Menschen geheischt hätte, seine elende Lage bewog sie kaum zu einem höchstnöthigen Anzüge und einem kleinen Viaticum, mithin sah Maillac jetzt seine letzte Hoffnung schwinden, sein tägliches Gebeth flehte vom Himmel einen baldigen Tod, den in den Finthen selbst zu suchen, es ihm gewiß nicht an Muth gefehlt hätte, wogegen sich jedoch sein Glauben an Gott und Ewigkeit stemmte.

Eines Tages wankte Maillac ganz abgemattet an einem Waldsaume hin, um die Nacht im nächsten Flecken zu bleiben, von wo ihm die Abendglocke schon entgegen tönte, und dann seinen Weg nach Chemnitz zu nehmen, in Hoffnung vielleicht daselbst eine kleine Anstellung in einem bedeutenden Handelshause zu finden, mit dem festen Entschlusse seinem, bey diesen Umständen ihm blos lästigen Adel, sodann auf ewig zu entsagen, und einen ganz unbedeutenden Nahmen anzunehmen.

Obgleich Maillac seine volle fünf und fünfzig zählte, so befand sich doch sein Gedächtniß und seine Augen, die sonst eben bey betagten Leuten auffallend abzunehmen pflegen, noch ganz ungeschwächt. Von weitem fielen ihm schon die Gesichtszüge eines, auf ihn zukommenden, vom edlen Jagdgeschäft nach Hause gehenden Waidmanns auf, ihn schon wo gesehen, gekannt zu haben, ließ sich nicht bezweifeln, und auch dieß: wo sammt dem Nahmen fand das seltene Gedächtniß des Vicomte nach wenigen Minuten des Nachdenkens. –

Guten Abend, Wallensee! sagte Maillac zu dem ihm begegnenden Landedelmann, wie geht es Ihnen? – Sie staunen, daß ich Sie beym Nahmen zu nennen weiß, ich, Sie in diesen Gegenden zu finden; als Sie mich in Sezanne besuchten, ließen Sie sich gewiß nicht einfallen, mich auf meine alten Tage in diesem Zustande zu sehen?

Um Gotteswillen! Vicomte de Maillac, dessen Bekanntschaft ich am polnischen Hofe machte, dessen Edelmuth meine in Lyon ausgestellten, schon fälligen Wechsel, löste und mich dem Gefängniß entzog, bey dem ich die schönsten Tage meines Daseyns in Sezanne lebte? – O seyn Sie tausendmahl willkommen! Wallensee fiel dem Vicomte um den Hals und zeugte seine Wonne so ungeheuchelt, ich möchte sagen mit so edlem Ungestüm, daß Maillac die nassen, denkenden Augen, ausgesöhnt mit allen Menschen, gen Himmel hob.

Als endlich nach und nach die tobenden Gefühle, sanften Empfindungen Platz gemacht hatten, und Maillac seine Schicksale mittheilen wollte, hielt ihm Wallensee den Mund zu, und sagte: nicht jetzt auf diesem Flecke, dazu finden Sie Zeit genug in Limbach, meinem Gute, dem Haven, in dem Sie, so gewiß ich kein Hunds ... bin, bleiben müssen; wozu jetzt schon ein so unangenehmes Andenken wecken? Ihnen winkt, von nun an bloß eine lachende Zukunft in meinem Hause, bey meinem guten Weibe und meinen lustigen Buben. Kommen Sie, kommen Sie!

* * *

Wallensee, bey dem Maillac die liebvollste Aufnahme genoß, hatte sechs Söhne; die beyden ältesten dienten schon dem Staate mit Auszeichnung, und auch die kleinen, noch zu Hause befindlichen, konnte man hoffnungsvolle Knaben nennen. Eigene Neigung hatte Guido, den ältesten dem dipplomatischen Fache, Achill, den zweyten, dem Soldatenstand gewidmet. Beyde langten acht Tage nach des Vicomtes Ankunft bey Wallensee, auf einige Wochen in Limbach zum Besuch an, weil Achill ins Feld ziehen, und Guido in wichtigen Angelegenheiten an den ***schen Hof gehen sollte. Beyde gewannen in wenigen Stunden des Vicomtes ganze Liebe und Achtung, doch stieg stets eine gewisse wehmüthige Empfindung in ihm auf, so oft sein Blick auf diese glückliche Familie fiel. Ihm hatte das Schicksal neun Söhne gegeben und genommen, den letzten, den Spätling seines Ehestandes, in Mannheim. – Man schelte diese wehmüthige Empfindung nicht Neid, nicht Mißgunst, sie galt dem Andenken alles dessen, was Maillac einst so innig geliebt hatte, und löste sich allemahl in den heissesten Wunsch auf; die Allmacht möchte keinen Menschen, am wenigsten also diese geliebte Familie, mit ähnlichen Unfällen heimsuchen, im Gegentheile sie schützen, beglücken, segnen.

Es konnte des Vicomtes Beobachtungsgeiste nicht entgehen, daß Guido die Einsamkeit liebe, oft von den geselligen Spielen, in eine dunkle Laube schlich; wo man ihn bisweilen tiefsinnig, wohl auch mit einem benetzten Auge fand. Maillac glaubte aus diesen Symptomen eine unglückliche Liebe leuchten zu sehen, theilte Wallensee seine Bedenklichkeiten mit, und bekam von diesem folgende Aufschlüsse: Guido bethet ein Mädchen an, das ich selbst beynahe – sagte Wallensee – die vollkommenste des weiblichen Geschlechts nennen möchte, sie liebt meinen Sohn auf das innigste, indeß schlägt die stolze Familie Adelheids, dem jungen Menschen die Hand des Mädchens ab, obschon sie nicht das Mindeste sonst gegen ihn einzuwenden weiß, als daß ich nicht wenigstens noch zwey Helme in meinem Wappen habe, genug die hochmüthigen Hohenthals, sehen es als eine Mesalliance an, falls die Comtesse Adelheid einen einfachen, wenn auch noch so stiftsfähigen Edelmann ehelichte. Bey diesen mich auf das empfindlichste beleidigenden Gesinnungen, kann ich nichts thun, als die beyden jungen Leute beklagen; mein Sohn gleicht seit einigen Monathen einem Schatten, das Mädchen welkt wie eine geknickte Blume, und was das schlimmste ist, sie sahen sich fast täglich bey Hofe, ehe ich meinen Guido bewog, den Gesandtschaftsposten in ** anzunehmen; vielleicht möchte diese Abwesenheit beyden von wohlthätigen Folgen seyn.

Maillac entgegnete nichts, als: ich zweifle, weil eben Gesellschaft kam, die Wallensee zu empfangen eilte, indeß beschäftigte sich seine Seele insgeheim mit Nachdenken und Plänen, wie diese beyden jungen Leute glücklich zu machen seyn? Alles Sinnen endete jedoch damit, daß sich Wallensee noch einige Helme auf sein gutes altes Wappen sticken und um die conditio sine qua non, den Titel dazu anhalten sollte.

Wenn auch mein Mann, entgegnete Sidonia, Wallensees Gattinn, die Maillac in sein Geheimniß zog, aus Liebe zu Guido so schwach seyn wollte, es zu thun, so bedenken Sie, was dieß koste, und daß ich noch fünf Söhne mein nenne, denen man es von dem ohnehin nicht glänzendem Habe entziehen müßte. Was nützte ihnen insgesammt dann ein Titel, den alle weise Menschen ohnehin, als einen bloßen Tand ansehen, sobald sie ihn nicht mit dem conventionellen Anstand behaupten können?

Endlich kam Maillac doch auf einen Gedanken, den man ohne Zweifel schon muthmaßt und gegen welchen sich nichts einwenden ließ. Um uns nicht zu lange dabey aufzuhalten, will ich also bloß die Hauptsache ohne alle Weitläufigkeit und ohne mich auf die manigfaltigen Debatten die es dabey gab, einzulassen, mittheilen.

Maillac kaufte ein schönes, nicht weit von Limbach gelegenes Gut von Wallensees Gelde, und empfing mit diesem, da es ihm an Documenten seinen Stand und Nahmen zu beweisen nicht fehlte, das ***sche Inkolat. Nach einigen Monathen nahm Maillac den jungen Guido von Wallensee an Kindesstatt an, und hielt um die dazu nöthige Genehmigung bey Hofe an, wo noch einige alte Bekannte des Vicomte von ehemahligen Zeiten, lebten, und es sich angelegen seyn liessen, alle Steine des Anstosses hübsch aus dem Wege zu schieben, wobey sich nun die Familie Hohenthal am thätigsten bezeugte; genug, man machte auf die einfachste Weise aus dem Guido von Wallensee einen Vicomte de Maillac, gab ihm die so innig geliebte Adelheid, sein Pseudo Papa ließ ihm das gekaufte Gut und lebte bis an sein Ende bey Wallensee, voll Wonne noch am Abend seines Lebens, einige Menschen glücklich gemacht zu haben.

* * *

Die Familie Sundheim hatte seit Wilhelms Abwesenheit von Michelwitz beugende Schicksale und Unglücksfälle genug ausgestanden. Die Geschicklichkeit des jetzigen Amtsphysikus Pille, eines jungen Aeskulaps, hatte wohl Antoniens Uebel in so weit gehoben, daß sie nach sieben Wochen sich aufs Neue den häuslichen Geschäften widmen konnte, jedoch die Wunde, die in des guten Mädchens Busen blutete, und sie gegen jede sonst gefühlte Wonne des Lebens, gleichgültig, unempfänglich machte, ließ sich von ihm nicht heilen, seine ganze Kunst langte nicht hin, mit dem physischen Uebel auch Seelenleiden zu bannen, gegen welche selbst die sonst so wohlthätige Zeit, kein echtes Heilmittel zu biethen schien.

Antoniens leise schwebende Bewegung, die Bläße des Gesichtes, die gesenkten blauen Augen, in denen man, so oft sie sie hob, die sanftmüthige Fügung in den Willen des Himmels las, liehen dem Mädchen das Aussehen eines Wesens aus jenseitigen Gefilden; Sundheims Auge netzte sich, so oft es auf dem leidenden Geschöpfe weilte, und seine Gattinn weinte laut, so oft Antonie mit dem weichsten Accente gelobte, glücklich zu seyn.

Die boshaften Zungen in Michelwitz blieben nicht unbeschäftigt. Madame Steinhof sah wohl ein, daß es zwischen den jungen Leuten etwas gegeben haben müsse, allein dieses was plagte sie nicht wenig. Das ganze Klatschinstitut hatte sich auf Kundschaft gelegt, ohne das Mindeste entdecken zu können, da selbst in des Amtmanns Hause kein Mensch muthmaßte, wie die Sache eigentlich zusammenhing. Am Ende wollte doch Madame Steinhof nicht zeigen, daß sie nichts wisse, setzte ein Geschichtchen zusammen, that, als sey sie von Wilhelm selbst, in die genaueste Kenntniß gesetzt, wolle jedoch schweigen um das hochmüthige Bettelpack (wie sie die Familie Sundheim gewöhnlich zu nennen beliebte) das sie im Leben nicht so schlecht geglaubt hätte, nicht ganz zu Schanden zu machen, ließ indeß dann und wann von dem geschmiedeten Geschichtchen, ohne sonstigen Zusammenhang, etwas fallen, was sogleich die lieben Muhmen und Basen pflichtschuldigst aufhoben und mit eigenen Zusätzen und Combinationen aus einzelnen, Madame Steinhof absichtlich entschlüpften Themas, eben so viele, ganz zusammenhängende Lügen dichteten, daß den Leuten die Köpfe hätten schwellen mögen.

Man kann sich leicht denken, daß dem Amtmann diese pöbelhaften Neuigkeiten, die man im Städtchen auf seine Kosten in Umlauf gesetzt hatte, nicht lange entgehen konnten. Anfangs begnügte sich Sundheim mit einem bemitleidenden Achselzucken, als das Ding jedoch kein Ende nahm, und ihm schon allzutoll schien, lief ihm denn doch die Galle etwas an. Was ließ sich indeß thun; Madame Steinhof belangen? – Die Gesetze heischen Beweise und diese aus einem Gewebe voll Lügen und in die Augen fallenden Abgeschmacktheiten auszusuchen, dazu möchte wohl eine unmenschliche Geduld nöthig seyn, und hieß sich und seine Familie selbst beschimpfen. Sobald die flüchtige Aufwallung sich etwas gelegt hatte, schien ihm nach genauem Nachdenken das zweckmässigste, einen gütlichen Weg einzuschlagen, und dieß sollte sogleich geschehen. Sundheim nahm Hut und Stock und ging zu Madame Steinhof, die nicht wenig staunte, heut einen, noch nie bey sich gesehenen Gast zu empfangen.

Madame, begann Sundheim nach den gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen, ich hege zu viel Achtung gegen Sie, um glauben zu können, daß Sie die boshaften Ausfälle in Umlauf setzen, die man gegen mich und meine unbescholtene Familie, mit elendem abgeschmacktem Gewäsch, das von Mund zu Mund fliegt, wagt. Mein eigenes Gefühl behauptet, daß Sie Einsicht genug haben, um in diesem Geschichtchen, wie alle kluge Leute, nichts, als ein Gewebe von Lügen zu sehen; ich könnte deßhalb dazu schweigen; Sie sind jedoch wenigstens eben so empfindlich beleidigt als ich, weil es Menschen giebt, die kühn genug sind zu behaupten, daß sie das Gesagte aus Madame Steinhofs Quelle schöpften, ich glaube es nicht, indeß fangen jetzt selbst die Gescheutesten an, die Köpfe zu schütteln und messen Ihnen ganz laut die Schuld bey. Es kann Ihnen demnach nicht unangenehm seyn, wenn ich die ** den ** die ** den ** und die ** belange, die Klage, um Ihnen zu beweisen, daß ich Sie des Ihnen beygemessenen keinen Augenblick fähig halte, mit Ihnen gemeinschaftlich abfasse, und uns Beyden Genugthuung und Schutz gegen diese Infamitäten zu schaffen suche. Ich will dieß noch acht Tage anstehen lassen, hat es bis dahin nicht geendet, so hält mich nichts davon ab. – Sie willigen ohne Zweifel ein, und belieben mich gelegentlich von dem genommenen Entschluß in Kenntniß zu setzen, womit ich mich Ihnen bestens empfehle.

Madame Steinhof saß noch lange wie eine Bildsäule, was da Sundheim gesagt hatte, sollte wohl nicht Spott, kein Hohn seyn; das sah sie ziemlich deutlich ein, sie mußte es im Gegentheil als einen so delicat als möglich gegebenen Wink ansehen, daß es ihm ein Leichtes sey, sie gewiß unangenehme Nachwehen empfinden zu lassen, und auch seinen Entschluß dazu gefaßt habe, wenn sie nicht geschwind zum bösen Spiel eine gute Miene mache – ihn und seine Familie in Zukunft nicht ungeneckt ließe. Sie gieng einige Tage nach diesem tete-a-tete aufs Land, wo sie acht Wochen blieb, und damit hatte das Geklatsch sogleich ein Ende.

Sundheim wünschte, daß Antonie mit dem sich bald einstellenden Lenze, auf einige Monathe nach Saalfeld zu dem Pathen ziehe, so wenig Neigung sie dazu zeigte, und so weh es auch Madame Sundheim that, das geliebte einzige Kind von sich zu lassen, so ließ sich doch von diesem Luftwechsel, den neuen, noch unbekannten Gegenständen hoffen, daß sie einen wohlthätigen Einfluß auf des Mädchens Gesundheit haben, und zugleich das Gemüth von den noch quälenden Gedanken ableiten könnte. – Es blieb also dabey, und mit Anfang des May holte ein Sohn des Kaufmann Laube Antonien ab.

Endlich schien noch ein Schlag des Schicksals Sundheimen vollends zu Boden beugen zu wollen. Die weise Häuslichkeit seines guten Weibes hatte nach und nach von dem monathlichen Ausgabegelde, ein kleines Kapital, als einen Nothpfennig, vielleicht auch als Antoniens Mitgabe, auf die Seite gelegt, ein Geheimniß mit dem sie dem Gatten an seinem sechzigsten Wiegenfeste ein Angebinde machte. Diese Summe belief sich auf beynah zwey tausend Gulden, die Sundheim am zweckmässigsten in einem angesehenen, allgemein als solid geachteten Handelshause zu ** anlegte; und nun lief die gewisse Anzeige ein, daß dieses Handelshaus seine Zahlungen eingestellt habe.

Sobald sich nach diesem betäubenden Schlage seine Gedanken etwas gesammelt, und den männlichen Entschluß, seinem guten Weibe nichts davon zu sagen, gefaßt hatten, entblößte Sundheim sein Haupt, und bethete mit andächtig gefalteten Händen: Du hast es gegeben, mein Gott, du hast es genommen, dein Nahme sey gelobt in Ewigkeit.

* * *

Ja, ja, wenn sie keine sonstige Bedenklichkeiten haben, sagte des besagten Vicomte de Maillac Exzellenz, dessen Sohn Wilhelm aus den Eisschollen gezogen hatte, so schlagen Sie ein, in dem jetzigen Zeitpuncte leitet sie die diplomatische Laufbahn am besten zu dem Ziele, das sie sich gesetzt haben. – Sie mögen wählen, was Sie wollen, so müssen Sie sich anfänglich gefallen lassen, von unten auf zu dienen, indeß ist nicht leicht ein Fach zu finden, das so viele Gelegenheit sich auszuzeichnen und seine Talente geltend zu machen, biethet, als das Diplomatische. Haben Sie Lust einsweilen die Stelle eines Legations-Concipisten, die eben vacant ist, zu besetzen, so will ich sogleich bey meinem Hofe dazu um die Bestätigung anhalten, die Ihnen nicht entgehen kann. Sie ziehen in diesem Falle in mein Haus und finden an meinem Tische stets ein Gedeck, ohne daß Sie sich deßhalb zu binden nöthig haben.

Wilhelm, dessen kleine Eitelkeit sich nicht wenig geschmeichelt fand, nahm den angebothenen Posten mit dem innigsten Danke an, bekam eine Wohnung im Gesandtschaftshotel und widmete sich mit Thätigkeit seinen neuen Geschäften.

Madame Steinhof hatte sich wohl gehütet, Wilhelmen von Sundheims eine Sylbe zu melden. Jetzt, da das Schicksal des Neffen eine so glückliche Wendung nahm, wünschte sie ihn in Z** besuchen zu können, und Falls es zweckmässig sey, den künftigen Wohnsitz daselbst aufzuschlagen, um ihn bey Zeiten ein Weibchen, wie sie es wünschte auszusuchen, indeß hielt sie noch die Gelbsucht, die sie seit einigen Wochen angefallen hatte, davon ab. Um diese los zu seyn, nahm sie die Zuflucht zu allen möglichen sympathetischen Mitteln, (aus Haß gegen den Amtsphysikus Pille, weil dessen Gattinn Niemanden beym Nießen Gesundheit wünschte) zu medizinischen Bönhasen vom Fahnenschmiede bis zum Wasenknechte, und kaufte endlich von einem alten Weibe eine Salbe, die gewiß helfen sollte und mußte. – Sie half auch von allem Uebel, denn Madame Steinhof hatte am folgenden Tage schon das Zeitige mit dem Ewigen gewechselt.

Sundheim zeigte, seinem Amte gemäß, diesen Todesfall Wilhelmen an, und schickte zugleich eine Copie des Testamentes mit, das ganz zu seinen Gunsten lautete. Bey den beygefügten Documenten befanden sich einige Wechsel aus Leipzig, schon in einigen Wochen fällig, die jedoch Niemand Wilhelmen abnehmen wollte, weil das Haus, das sie ausgestellt hatte, etwas wankte, und Maillac selbst meinte demnach, daß es wohl, da es sich um so bedeutende Summen handle, am zweckmäßigsten seyn möchte, wenn Wilhelm selbst sich auf den Weg nach Leipzig mache, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es daselbst stehe.

Sundheims Nahme, und die wohlbekannte Hand, die jedoch eine bloße ämtliche Anzeige abgefaßt hatte, weckten in dem Jünglinge tausend wehmüthige Empfindungen. O Antonie! wie glücklich wollte ich jetzt mich schätzen, dachte Wilhelm, wenn ich dich noch lieben könnte, wenn Tugend und Unschuld in deinen Augen nicht als bloße Lockspeisen gälten, den Mann zu angeln.

Einige Kaufleute, die eben auch die Michaelis-Messe in Leipzig beziehen wollten, bothen Wilhelmen eine ungemein angenehme Gelegenheit, diesen Weg in Gesellschaft zu machen, da diese nun aus ziemlich gebildeten Menschen bestand, so both sie auch manchen schönen Genuß, und alle beklagten, als sie in Leipzig ankamen, jetzt von sammen scheiden zu müssen, da die meisten schon bestellte Meßwohnungen bezogen, und bloß Wilhelm in einen Gasthof zu gehen sich genöthigt sah. Ein Jüngling, dessen Familie in Leipzig ein bedeutendes Haus machte, hatte Wilhelmen ungemein lieb gewonnen, und auch diesen flößte ein gewisses unbestimmtes Gefühl eine gegenseitige Neigung zu ihm ein. Maximilian Böhme, so will ich diesen jungen Mann nennen, kam schon am folgenden Tage in Wilhelms Gasthof, und lud ihn zum Mittagessen ein.

Von meinem Cousin, dessen Haus sich eigentlich blos mit Wechselgeschäften befaßt, und dessen Bekanntschaft Sie bey Tische machen sollen, können Sie sogleich die genaueste Auskunft bekommen, was sich in Hinsicht des Falls, wegen welchen Sie nach Leipzig kommen, thun läßt, fügte Böhme hinzu, und ließ Wilhelmen keine Zeit zu Entschuldigungen.

Die Meßzeit biethet gewöhnlich in Leipzig ein buntes Gewühl von allen Nationen und die beyden jungen Leute belustigten sich mit phisiognomischen Entscheidungen, denen es bisweilen nicht an dem attischen Salze, Witz genannt, fehlte.

Nun ich will sogleich sehen, begann Böhme, ob Sie sich nicht täuschen, was sich bey diesen uns ganz unbekannten Leuten nicht bestimmen läßt, in meinem Hause finden Sie jedoch heut eine ziemlich gemischte Gesellschaft, ich kenne die Kauze alle aufs genaueste, und bey denen sollen Sie beweisen, wie viel sich auf die Phisiognomik bauen läßt. Kommen Sie, es ist Zeit, sonst zankt man mich aus.

* * *

Wilhelm fand bey Böhme die schmeichelhafteste Aufnahme. Die eingeladene Gesellschaft hatte sich noch nicht eingefunden, und die Familie ließ es sich deßhalb doppelt angelegen seyn, diesen Gast keine Langeweile empfinden zu lassen.

Nach einem halben Stündchen kam endlich eine Madame Sewald, die Gattinn, von dem Neffen des alten Böhme; eine liebliche Blondine, die plötzlich Antoniens Bild in Wilhelms Seele weckte.

Nun, und sie kommen allein, liebe Cousine begann sogleich Max, nach den gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen, wo haben Sie dann das Männchen gelassen?

Ich glaubte ihn schon bey Ihnen zu finden. Eigentlich komm ich mich blos zu entschuldigen, daß ich die gütige Einladung auf heut nicht annehmen kann, ich habe selbst Besuch bekommen:

Ey wen denn? Sie kommen nicht weg, Cousinchen, machen Sie was Sie wollen, den Besuch hole ich, am liebsten, wenn es ein schönes Mädchen ist.

Nun ohne Spaß, ein gewiß schönes Mädchen, doch möchten Sie sich wohl umsonst bemühen. Sie ist bloß auf einige Tage mit einem Pathen, bey dem sie sich jetzt aufhält, dem Kaufmann Laube aus Saalfeld, nach Leipzig gekommen, um mich zu besuchen. Eine unglückliche Leidenschaft nagt an dem Leben des guten Geschöpfs. Es mögen jetzt fünfzehn Monathe seyn, als ich mit meinem Manne sie in Michelwitz besuchte; (Wilhelms Gesicht bedeckte plötzlich eine Leichenblässe) damahls galt sie noch als das schönste blühendste Mädchen, jetzt glaube ich nicht, daß die gute Antonie auf Weihnachten noch lebt.

Antonie Sundheim? stammelte Wilhelm, und hielt sich bebend am Stuhle.

Um Gotteswillen was fehlt, Ihnen? Sie sind ja Leichenblaß. Alle eilten ihm beyzustehen.

In diesem Augenblicke kam Sewald und staunte diese Scene an. Was gibts, was ist denn geschehen?

Das Auge des, alle Höllenqualen empfindenden Unglücklichen weilte zweifelnd auf ihm. Ja, es ist dieselbe Gestalt, die meinen Himmel stahl, Mann, bey dem ewigen Gotte, den du wie ich anbethest, liebtest du Antonien nie? Wilhelm fiel auf seine Knie und hob die Hände flehend zu Sewald, denk an den 26. Julius, an die Abendstunde zwischen sieben und acht.

Wann Sie oft Anfälle von Wahnsinn haben, sagte Sewald, ohne den Zusammenhang zu ahnen, etwas unwillig, so sollten Sie jede Gelegenheit meiden, solche Scenen den Leuten zum Anblick zu geben.

Heißen Sie Steinhof? fiel Auguste ein, so faßen Sie sich, und entschuldigen Sie meinen Mann, noch ist auch meinem Auge alles dunkel, doch ich fühle, auf dem zum Licht leitenden Pfade zu seyn. Ich bitte dich Constantin, du weißt nicht einmahl, wovon es sich handelt, – um das Leben eines Mädchens, das eine unselige Täuschung dieses Mannes, dem Tode weiht.

Als Wilhelm sich gesammelt und im Stand gesetzt sah, ohne Beschönigungen und Umschweife, jedoch mit den kleinsten Umständen ein Bild jenes Abends aufzustellen, hob sich plötzlich das Dunkel in Augustens, und die Täuschung in Wilhelms Auge.

Sie zweifeln gewiß nicht, meine schönen Damen, daß Steinhof zu den Füssen Antoniens eilte, die ihm auch Gnade angedeihen ließ. Ich könnte da füglich noch eine schmelzende Scene zum Besten geben, indeß da die guten Leute schwatzten wie es ihnen in den Mund kam, ich jedoch den siebenzehnten Buchstaben dabey meiden müßte, so möchte es wohl etwas zu matt ausfallen. Das Finale hieß dann wie in jedem Lustspiel, Schauspiel und den Geschichten von diesem Schlage: Hochzeit, und die mußten Wilhelm und Antonie in Michelwitz begehen, denn Sewald machte sich anhäuschig, das Wechselgeschäft in Leipzig ohne allen Nachtheil abzuthun.

Was Sundheims empfanden, als sie das geliebte Kind gesund und glücklich sahen, läßt sich nicht sagen, so etwas kann man bloß fühlen.

Noch denselben Abend als sie in Michelwitz anlangten, gaben sie auf dem kleinen Sopha, das noch an dem alten Platze stand, dieselbe Scene, die damahls Wilhelmen, so in Wuth gesetzt hatte, damit jedoch nicht etwa Satanas zu einem neuen tückischen Spiele die Glasscheibe benützte, schien es beyden am zweckmässigsten, sie von Innen mit einem dichten dunklen Tuche zu behängen.

Einige Wochen nach dem Hochzeitsfeste ging Wilhelm mit seinem Weibchen nach *** blos um den Abschied nachzusuchen, kaufte sodann ein schönes Gut, nicht weit von Michelwitz, wohin zu ziehen sich endlich auch Sundheims auf inständiges Bitten bewegen ließen. Daselbst lebte die Familie als die glücklichsten Menschen, und so oft die Michaelismesse kam, ließ Wilhelm taufen, und holte die Pathen von Leipzig.


 << zurück