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II.

Ein paar Stunden, nachdem Luschinskij in jener Nacht in seiner Kammer zu Boden gefallen war, beim Anblick des kopflosen Iwans – wurde er von der Ronde aufgesammelt, noch immer bewußtlos, die Mundwinkel weiß von Schaumblasen, schlapp wie ein Waschlappen in den Gelenken.

Sie trugen ihn ins Lazarett hinunter – und dort verbrachte er dann die folgenden acht Tage. –

Den größten Teil dieser Zeit wandten sein Gehirn und sein übriger Korpus zu einem unaufhaltsamen, Schlummer an.

Er war, mit anderen Worten, dem Ganzen so gut wie beständig entrückt: lang ausgestreckt auf dem elastisch federnden Bett liegend, die Spitze der Nase in die Luft hinein, während ihm der Bart gleich einer blauen Entzündung aus der Kinnhaut herauswuchs; ein großes, schwellendes Schnarchkissen tief drinnen in seiner Stirn, den Nacken unablässig durchrummelt von Erdbeben, Gebrülle und Feuer.

Hin und wieder erwachte er teilweise – mit einem Quatschen und einem Heulen, mit Nerven, denen es schwindelte, infolge eines gewissen widerlichen Gefühls von Schlingern und Plätschern; und mit einer ihm ins Ohr dröhnenden Ahnung, als habe er eine Unmenge von Schreien und Seufzern gehört, oder sie vielleicht selbst ausgestoßen, oder hatte er etwa im Schlaf geredet?

Verwirrt hißte er das eine von seinen Augenlidern ein wenig in die Höhe, blinzelte einen Moment zu der weißlackierten Decke hinauf, die sich krumm direkt über seinem Gesicht strämmte, er suchte, den Kopf herumzudrehen und entdeckte dabei eine männliche Gestalt in kreideweißem Rock, die permanent hier neben seinem Lager zu sitzen schien, mit ein paar spitzen Zähnen, die aus irgendeinem Grunde aus dem Munde hervorsahen, und mit einem hellroten Glas in der Hand.

Nach schwachen Kräften schob Peter Romanowitsch den Arm des Burschen beiseite – plötzlich dumpf gewarnt durch eine Art unbestimmter Traumerinnerung daran, wie lebensgefährlich und giftig die Sachen sein konnten, die einem an Bord dieser gegenseitigen Mikroben-Armada zum Trinken geboten wurden:

»Ne ... 'Nege ... Ta'Nge ... nehmen Sie das weg!« lallte er deshalb, und rollte den Nacken auf dem Kissen herum, um sein Gesicht aus dem Bereich des Getränkes zu bringen:

»I' wi' nich'!

Scher' di' zu Teu', Iwa ...!«

Er fühlte ein paar Finger, die über sein Stirnbein hinglitten – und die dabei auch sein anderes Augenlid aufklemmten; und so erkannte er, zögernd noch, ein wenig unsicher, verwirrt und ängstlich: daß es offenbar Doktor Nakinskij war, der dort saß:

»Wa' is' da?« fragte Luschinskij dann auf einmal mit einer himmelhohen Stimme – wie es ihm selbst erschien – und tastete dann wieder nach dem Pokal. »Laß mich in Ruh'!«

Aber dann beugte sich der Arzt vornüber, setzte das Glas an seine Lippen und goß ihm den Inhalt in den Mund.

Peter Romanowitsch gab allen Widerstand auf; der bittere und herbe Geruch der Flüssigkeit erfüllte außerdem seine Nase und erweckte dunkle Erinnerungen an Apotheke und Medizin in seinem Gaumen – und trotz allem drehte er also die Augen im Kopfe herum und würgte einen, zwei, drei Schlucke herunter. Er fühlte gerade noch, wie sie als ein würziger und ellenlanger Eisbeutel ihm herrlich durch den ausgedörrten Hals fielen – und dann verlor er wieder beide Lider über den Augen, seufzte, fühlte seine Hände wegschmelzen: Iwan ... keinen Kopf auf ... Hilf – murmelte er, und wiederum schwand ihm das Bewußtsein ganz ...

Währenddes hatte auch das Schiff hinreichend zu tun.

Wenige Tage, nachdem Luschinskij erkrankt war, ging nämlich die Armada wieder einmal zu einer der gewöhnlichen Übungsfahrten in See hinaus: übrigens sollte dies eine der allerletzten sein, ehe man binnen kurzem allen Ernstes weiter ging, gen Osten und hinüber zu Herr Morgensonne-Togo.

Die Manöver fanden jetzt auf der Höhe der Maoto-Insel statt, die die lila Luft mit ihren grünen und violetten, lotrechten Klippenzinnen zerriß – also außerhalb von der westlichen Küste der Nordspitze von Madagaskar: und sie gestalteten sich diesmal zu einer noch weit erfreulicheren Fahrt als sonst, infolge der ununterbrochenen Reihe von Zyklonen, die in dieser Jahreszeit schreiend und heulend verkündeten, daß jetzt, der Teufel pfeif darauf, die Tage des Monsunwechsels nahten.

Von weit her brausten die Stürme daher, Tag für Tag, kreisend, springend, ungeheuer.

Bald kamen sie, siedend heiß, aus den greulichen Küsten des Negerlandes, mit ihrem Fieber und Brand – bald, schauernd, von den glitzernden Eisbergen des Südpols.

Heute stob er heran, aus der Trockenheit und den Flammen Afrikas. Der ganze Raum ward auf einmal zu Dampf gekocht, unter prasselnden Schauern aus Sand und Scirocco. Die Horizonte verschwammen schwindelnd in Rauch und Pfeifen. Die Nebel wälzten sich vor. Grimmig bäumten sich die Wellen. Die Schiffe stöhnten in Finsternis und Gestöber. Blitze barsten hervor – blutrote Schimmer in dem schwefligen Dampf. Die Leute schwankten wie die Verrückten in der Stockdunkelheit, die herniederfiel; nach Atem schnappend, rissen sie Rock und Hemd ab. Sturm und Staub versengten Augen, Nase und Schlund. Der Meeresgischt biß hinein. Das Gebuller stand gleich einem dröhnenden Haufen da oben in dem Qualm über den Köpfen – betäubend, zermalmend.

Der Nebelhörner geisteskrankes Heulen strich schluchzend umher.

Der Donner schlich grollend herum.

Der Wogen krachender Schlag ...

Aber zur Nacht legte sich der Orkan mit hohlen Dünungen nieder. Er schwieg eine Minute, rang sich dann einen Augenblick wieder hervor, seufzte klagend hin, flackerte von neuem auf.

Und jäh hielt er schließlich inne – hinterließ die Lüfte stumm, heiß und leer. Die Nebel verdichteten sich, sanken hin. Der Himmel schritt auf einmal hervor, dunkelblau da oben und tief, aber rot im Westen – wie eine Welt in Flammen. Der Mond wanderte heraus, wie Phosphor und Blei. Geht zur Ruhe, Leute, beeilt euch, schlaft, ruhet aus, die Mühsal ist beendet ... Jawohl, Herr Kapitän, ach, daß es wirklich so wäre!

Die Leute gingen in die Kojen, todmüde, schnarchend in dem schwülen Wetter; die Augen schmerzvoll groß; die Lungen schurrten heiser. Sie warfen die Decken ab unter wilden Versuchen, zu schlummern; versuchten eine Weile bloß unter den Bettüchern zu liegen, aber auch das ward zu beklommen. Nackend warfen sie sich hin und her, gurgelnd vor Fieber und Durst. Stille, so lieg doch still, Kamerad, stör' mich doch nicht, ich bin müde und krank, mein Knie tut so weh, die Wunde in meinem Nacken treibt und schmerzt ... Ja, ja, aber hörst du denn nicht, Bruder, hörst du nicht: schon heult es in der Ferne, horch: durch die Dielen des Schlummers hindurch kann ich die dumpfen, heulenden Laute vernehmen, ach, Jesus und Gott, sollen wir denn auch diese Nacht nicht schlafen ... Und dann kam es von neuem daher, aus weiter Ferne, gejagt, das gellende Geheul. In zehn Minuten zog sich die Luft naß und kalt zusammen. Der Zyklon schwang sich wieder vor – aus der Kälte der Südsee, und dem treibenden Eis. Der Raum zerbarst mit Seufzern, ward kreischend zu Hagel zersplittert. Die Wasser brachen sich donnernd, turmhoch aufspritzend. Die Blitzflächen wackelten umher, sengend blau.

Der Masten gewaltiges Brüllen stand lärmend da oben, Posaunen aus Frost und Tod.

Der Wolken Gewicht prasselte schäumend hernieder.

Der Nächte schwindelnde Tief' ...

Und die Stürme hielten an, mächtig, wechselnd – geschwollen von Feuer, scharf von Eis.

Die Wogen gingen – Tag aus, Tag ein – steil, donnernd und mit weißen Kämmen dahin, kolossal, wie ein Himàlaya auf der Rundreise. Nächte und Tage wurden zusammengeklatscht zu einem einzigen schreienden Gewirr: pechschwarz von Regenschauern, kreideweiß von Blitzen, zermalmt von Donner, die Kreuz und die Quere zerrissen von Hochsee, Hagel und Heulen.

Die Schiffe krümmten sich, warfen sich mit dröhnendem Stöhnen aus Maschinen und Rümpfen über die ungeheuren, kohlschwarzen Klüfte hin.

Die Stahlspanten krächzten heiser.

Der Lüfte knurrendes Kreischen ...

Die Übung war längst abgebrochen.

Die Hälfte des Geschwaders hatte eiligst ringsumher Heil und Heilung suchen müssen: Maste waren zersplittert, Achterdecke rasiert, Schrauben zerbrochen, Schotte zertrümmert. Und auf Luschinskijs Schiff ereignete es sich dann, an einem der letzten Morgen, nachdem das Unwetter in der Nacht am allerwildesten gerast hatte, daß eine der Vormars-Kanonen mit einem Krach ihre Bolzen sprengte (oder hatte ein Schlingel sie in der Dunkelheit gelöst!). Mit einem Knall zerbrachen die Versteifungen, die Bekleidung des Marses zerriß, und in drei donnernden Sprüngen fiel das Untier herunter. Es zerschlug den Scheinwerfer. Quetschte den Gemeinen 87 flach und tot, ohne ihm Zeit zu einem Seufzer zu lassen – er blieb auf der Kommandobrücke liegen wie ein Lumpen, einen gelben Darm zwischen den Zähnen heraus. Und dann traf es Brust und Hüften des kleinen Unterleutnant Wester, der auf einer der Leitern im Aufstieg begriffen war. Mit einem Stöhnen sank er nieder, die Kanone quer über sich, krachend auf das Verdeck aufschlagend. Und als Leute herzukamen, lag er da mit zertrümmerten Schenkeln, in einer Lache von Rot, wild mit den Resten zuckend, die noch übrig waren.

Aber am nächsten Tage erbarmte sich ja Gott der Herr endlich – und auch dies Schiff bekam sein Teil.

Jawohl.

Gott deichselte es so (ihm sei Lob und Preis), daß der verwirrte Kasten endlich das Glück hatte, sich einen hinreichend ernsten Knacks zuzuziehen.

Ach ja, selbst die Gemeinen konnten, trotz aller Ermattung, erkennen, daß Kolben und Pleyelstangen da drinnen hicksten und hacksten: hol' mich der Satan, Kamerad, kannst du es wohl hören, Freund: stampfend sagt die Maschine: vielen ... Dank, vielen ... Dank, vielen ... Dank!

Außerdem war ein Propellor zerbrochen und ein Kessel nieste arg – solch ein Schweineglück!

Ja: Der Allmächtige schenkte uns in der elften Stunde eine angenehme Havarie in den inneren Teilen – irgendeine Havarie, die selbst auf dieser begnadigten Armada als etwas wunderbar Umfassendes und Ruheerheischendes angesehen werden mußte, nicht wahr?

Auf alle Fälle sah sich Gregorow gezwungen, sich nach seinen vier Nächten ohne Schlaf noch einmal kräftig aufzuraffen; und augenblicklich – um fünfeinhalb Uhr nachmittags – hielt er eine todmüde Schlingerkonferenz ab, mit den mageren Resten des Oberingenieurs Levinsohn und seinen fünf Maschinenmeistern.

Offiziere und Mannschaft erschöpften auf der Stelle ihre letzten Kräfte in einem albernen und mit Speichel durchkauten Gekicher:

Denn schon eine halbe Stunde, nachdem die Konferenz angesetzt war, lag das Ergebnis in zwei Funkentelegrammen vor: eins an den Höchstkommandierenden des Geschwaders, das andere an die französischen Autoritäten in Diego Suarez; und darin suchte der Kommandant die Erlaubnis nach, sich in obengenanntem Nest intim zur Ruhe legen zu dürfen, um eine unumgänglich notwendige Reparatur vornehmen zu lassen, wie beliebt, und U. A. w. g.!

Yes, bitte schön! –

Also erhielt der Panzer dann am folgenden Tage einen ordnungsmäßigen Lotsen an Bord und tastete sich gegen Abend bei feinem Wetter langsam in die schmale Einfahrt zwischen den beiden wohlverschanzten, waffenblitzenden Felseninseln hinein, die gleich einer Stahlspange die Wasser des Hafens abschließen. Lautlos – nur mit einem weißen Wasserstrahl aus dem Steuerbordausguß – glitt er an den schweren, braunen Landbatterien vorüber (Kipp, sagte die Tricolore da drüben; und das Andreaskreuz klatschte sanft als Antwort), fuhr im Bogen unter den hohen gelben Hügel hin, die die Stadt selber tragen – bildete ein leises Ringgekräusel auf der glatten See, und ließ die Anker kreischend fallen ... nur sieben bis acht Faden vom Lande entfernt, mitten im Bassin. –

Luschinskij war zu diesem glücklichen Zeitpunkt so weit erwacht, daß ihn der Doktor Nakinskij am nächsten Morgen – lallend infolge von unzureichendem Schlaf – aus dem Laza-Lazarett entlassen erklärte: namentlich, nicht wahr, wie, hauptsächlich in Anbetracht dessen, daß ja nun mindestens eine Woche gezwungenen Stillebens folgen würde (wie kann es nur kommen, daß ich immer Stille–ben sage, oder will meine verdammte Zunge heute nur nicht gehorchen?) infolge von diesen Nachwehen, dieser Havarie, mit einem Wort:

»Aber, das ist ja wahr, das hätte ich fast vergessen, Verehrtester,« fügte der Arzt hinzu, da unten in dem engen Raum auf seinem niedrigen Stuhl sitzend, die Augen fast geschlossen, in rasender Eile redend, nur um nicht mitten im Satze einzuschlafen. Aber jetzt wurde er wieder ein wenig mehr wach. »Hören Sie, daß ich das nicht vergesse, sehen Sie, hier schreibe ich eine Notiz auf das Papier, daß Sie vorläufig noch als leichtkrank zu betrachten sind.

Gehen Sie also häufig an Land, wie, gehen Sie also häufig an ...

Na, nein, hören Sie, was ich Ihnen sagen wollte!« begann er plötzlich wieder, beugte sich näher heran, ganz wach, weil er jetzt das Richtige gefunden hatte, auf einmal milde unter den geschwollenen Lidern blickend. »Hören Sie, liebster Luschinskij, da ist etwas ganz Bestimmtes, was ich für meine Pflicht halte, Ihnen ...

Hören Sie einmal: Sie haben so unmanierlich im Schlaf geredet, während Ihrer ganzen Krankheit. Verstehen Sie mich, Kraut und Rüben, alles durcheinander, und es waren, weiß Gott, durchschnittlich gerade keine schönen Sachen ... wissen Sie: die Fenster Ihrer Seele haben von einem Morgen bis zum nächsten Morgengrauen sperrangelweit aufgestanden, wie die Türen der Kapellen drüben in Diego! Na, und es waren wahrlich keine Myrrhendämpfe, die Ihren Krypten entstiegen! Namentlich nicht, wenn Ihre intimere Seele Gericht und Urteil über Ihr armes Gehirn abhielt (lieber Freund, lassen Sie uns das Kind beim Namen nennen:) in Sachen einer gewissen Kognakgeschichte mit einem gewissen Burschen Iwan. Oder a propos des armen, kürzlich begrabenen Leonid Ssemenowitsch Gorkin. Peter Romanowitsch, hören Sie zu, ich bin müde und abgespannt, ich kann die Worte nicht recht finden, und vielleicht geht mich diese ganze Sache auch gar nichts an. Wie? Nun ja, aber trotzdem sage ich es Ihnen, weil ja meine Arbeit hier auf dieser Fahrt darin besteht, so weit wie möglich den Leuten ein klein wenig von ihrem Leben und ihren Gliedern zu erhalten. Deswegen bitte ich Sie jetzt, in Zukunft etwas besser auf Ihren Kopf acht zu geben: denn, wie es mir scheint, hängt auch die Wohlfahrt anderer in nicht geringem Maße von Ihrem momentanen Zustand ab, nicht wahr! Ja, ja, Herrgott, Menschen sind wir ja doch alle!

Ja, kurz –« – Nakinskij lehnte sich hintenüber, langsam seine langen Haarsträhnen hin und her wiegend – »und nun kommen wir zu dem Wichtigsten von der ganzen Sache.

Ich glaube, lieber Luschinskij, unter Kameraden, wie Sie und ich es nun doch einmal sind, darf ich mir erlauben, folgendes zu sagen: Während Sie krank waren, haben also Ihre ... Erinnerungen Sie arg geplagt. Ich bin mehr als einmal erbleicht, bei Ihrem Geschrei und Ihrem Geseufze. Aber gerade deswegen bin ich überzeugt, daß, wenn Sie jetzt nur sich selbst geloben wollen, in Zukunft gut mit Ihrer eigenen Gesundheit umzugehen – so kann ich, meinerseits, Ihnen dies eine geloben: daß Sie ganz und gar nicht mehr nötig haben, sich in bezug auf irgend etwas Vorwürfe zu machen! Verstehen Sie mich: wenn es sich zeigen sollte, daß Sie auch im wachen Zustand etwas von diesen Gewissensäußerungen verspüren sollten – so garantiere ich Ihnen als Arzt, als Kamerad, und als Mitmensch, daß Sie ganz ruhig eine nach der anderen überhören und abweisen können!

Denn ich schwöre Ihnen, der liebe Gott ist nicht so unlogisch, zu verlangen, daß ein Mensch auf einmal Soldat sein, und doch ein menschliches Gewissen haben kann. Verstehen Sie?! Denn das ist es ja, was Gott unserem Verstand wieder und wieder einzuprägen sucht: daß jeder Stand und jede Klasse ihr eigenes spezielles Gewissen haben darf: alleinstehende kleine Mädchen müssen das Recht haben, ein klein wenig Unzucht zu treiben, Krieger, zu morden, Kaufleute, zu betrügen, und Tolstoi hat das Recht, über den Himmel zu schreiben, in dem er nie gewesen ist, nicht wahr? Denn der liebe Gott ist nämlich kein Idiot, keine Spur davon!

Nun ja!

Das war das Ganze! ...

Und wenn Sie übrigens die Lust dazu anwandeln sollte, hin und wieder einmal: so kommen Sie nur zu mir herunter, hören Sie, wann Sie wollen: zu einem Gläschen Wein und zu einem Freund. Schließen Sie dann ganz ungeniert Ihren kleinen Saffianschrein von Brustkasten auf und versuchen Sie, den Schlag Ihres Herzens in der Gesellschaft eines Genossen zu besänftigen. Liebster Luschinskij, ich will darauf schwören, daß ich mit meiner Behauptung recht habe: auf einer Armada, wie diese, wo die Lungen bis an den Rand mit Mikroben usw. angefüllt sind, da ist Reden, weiß Gott, Gold, Schweigen aber weit geringer als Silber!

Meinen Sie nicht auch?« schloß der Arzt, indem er sein Gesicht vorbeugte; eine dicke, blaue und grüne Beule lief ihm wie eine gestickte Schnur quer über die ganze Stirn, vom Sturme her – und dabei zwinkerte er mit seinen schwarzen Augen, die in den Ecken gelbe Verzierungen hatten. Seine rechte Schulter hing ein ganzes Ende zu lang herab.

Peter Romanowitsch erhob sich, ein wenig schlotterig in den Knien, von dem Stuhl, auf dem er nach und nach unter der Last von des Doktors Beredsamkeit niedergesunken war; er hatte radikal nicht ein einziges Wort von dem gehört, was zu ihm gesagt worden war, sondern saß nur da und fühlte sein Herz wunderlich weich in dem Bewußtsein, daß Nakinskij seinetwegen so zu reden fortfuhr, ach ja, ein prächtiger Kamerad war dieser Arzt, wahrhaftig, wie!

Jetzt seufzte Luschinskij also erleichtert und spürte zu seiner Überraschung zween Perlen, die langsam aus seinen Augen quollen:

»Sehr wohl! Ich versichere Sie, hören Sie, Doktor, ich verspreche Ihnen, daß – ja ich verspreche Ihnen auf Ehrenwort, alles zu tun, was Sie von mir verlangen!

Sie sind ein famoser Freund und Kollege, weiß Gott, das sind Sie!« stammelte er, drückte Nakinskijs Rechte noch einmal, und wanderte dann auf die Tür zu, noch immer den Busen hoch oben im Halse:

»Beim höchsten Himmel, das verspreche ich Ihnen!« wiederholte er von neuem – aber mehr für sich –, indem er die Tür hinter sich schloß. Und im selben Augenblick fiel es ihm ein, daß er sich auch so unendlich nach dem Wiedersehen mit den anderen Kameraden sehnte, nicht wahr? Es waren ja ganze acht Tage verstrichen, da hatte man höchstwahrscheinlich auch fast vergessen, wie sie aussahen, diese lieben Freunde, die Gott einem gegeben hatte, wie?

Ja, freilich!

Aber was dahingegen den guten, alten, braven Burschen Iwan anbetraf ...

Luschinskij machte einen Augenblick Halt auf seinem Wege durch die Batterie, um auch bei dieser ergreifenden Erinnerung ein wenig zu schluchzen: Iwan, ach, nein, nein, nein! den bekam man nie wieder zu sehen – wie gern man auch wollte! Der war ja längst tot und weg – aber Nakinskij hatte ja selbst gesagt, daß man sich jetzt in der letzten Zeit, während der Krankheit, gut gegen ihn aufgeführt hatte, Gott sei Dank! Ja, der Ärmste: er hatte sündhafterweise Hand an sich gelegt, und der liebe Gott hatte ihn zu sich genommen, den Kopf unterm Arm – ach, Iwan, du ahnst nicht, wie leid es mir tut, daß ich damals, ehe du starbst, so verkehrt gegen dich gehandelt habe ...

Bei diesem Punkt seiner Rührung war Peter Romanowitsch schluchzend bis zu seiner Kammer hinabgelangt – die er bei dieser Gelegenheit voll Dankbarkeit zum erstenmal wiedersah, seit jener Stunde neulich vor einer Woche, als er plötzlich den unvergeßlichen Iwan dort auf dem Stuhl ohne sein liebes Gesicht bemerkt hatte!

Luschinskij ließ aus irgendeinem Grund die Tür hinter sich offenstehen, während er langsam in den Raum hineinging, die Tränen von seiner Wange trocknend.

Er stellte sich schwellend auf, ein paar Schritte von der Tür entfernt; er sah sich wehmütig um, streckte die Hand in einer passenden Stellung aus: Iwan, mein Genosse und Freund, mit Schmerz und Kummer stehen wir hier wieder sozusagen an deinem letzten Lager, und tief ergriffen beschaue ich von neuem diese Decke ... diese Decke und diese Wände, die noch ganz kürzlich Spuren trugen von ...

Aber bei diesen Worten runzelte er auf einmal die Brauen und fing an, um sich zu sehen, auf eine ganz andere Weise als bisher: jawohl, man konnte seinen Burschen entbehren und seiner mit liebevollen Worten gedenken – deswegen brauchte man aber doch nicht den Wunsch zu hegen, allzu häufig an ihn erinnert zu werden, wie? Selbst der beste Freund kann, ohne Kopf, gar zu häufig in euer Haus kommen, das ist doch ganz natürlich!

Sein Blick blieb von neuem an der Stelle der Wand hängen, wo die roten, grauen und wasserklaren Spritzkleckse an jenem Abend gesessen und klebrige Wanzen vorgestellt hatten.

Er trat einen Schritt näher heran, und glitt zögernd mit der Spitze seines linken Zeigefingernagels über die Lackierung, kratzte leicht auf und nieder, um sich gründlich davon zu überzeugen, daß jede Art von Spur jetzt auch wirklich weggeschafft war ... und als er dessen sicher war, erfüllte ihn plötzlich von neuem diese schmelzende Hingerissenheit; tränengeblendet schüttelte er den Kopf über des eigenen Herzens fast zu zärtliche Besorgnis, und sah, mit anderen Worten, keinen weiteren Ausweg, als so schnell wie möglich seinen Dolch zu ergreifen, der dort in der Ecke hing, das rauhe und harte Seidenkoppel, das ihn trug, sich unter den Rock um die Taille zu spannen, die Mütze zurechtzurücken, ein Paar Handschuhe aus der Schublade zu nehmen und nach der Kajüte des Chefs zu wandern, um sich nach § 12 des Reglements persönlich gesund zu melden – und auf diese Weise Trost in neuen Umgebungen zu finden! Ach ja, und er sehnte sich ja auch so unmanierlich nach den Kameraden, nicht wahr?

O Gott, ja – dachte er unterwegs, bekümmert über den leeren Batteriegang hinwegstarrend: und was würde Gregorow nun wohl zu einem sagen, in bezug auf diesen braven Iwan und seinen betrüblichen Heimgang, wie?

Oder sollte der Bursche am Ende nicht nur begraben, sondern auch vergessen sein – während der alles umwälzenden Verhältnisse der letzten Tage?

Müßte man in diesem Falle nicht selber reden und seinen Teil der Schuld auf sich nehmen – fragte er sich, indem er über ein paar unerwarteter und unbekannter dicker Balken hinwegschritt, die schräge über das Deck lagen:

Oder war es seine bittere Zugabe und Pflicht, auch in diesem Punkt dem Arzt zu gehorchen und zu schweigen?

Wie? ...

Luschinskij strauchelte über zwei Heizer, die mit einer schweren Stahlstange zwischen sich geschleppt kamen, er vergaß dabei seine Gedanken, erinnerte sich plötzlich seiner Sehnsucht, den Kommandanten, diesen steifen Stock, wiederzusehen – begrüßte schwimmend die beiden Posten an der Bureautür, steifte seine Knie in die Höhe mit schwellenden Erwartungen, klopfte korrekt an: eins ... zwei, drei, und schritt hinein, holdselig lächelnd: der liebe Gregorow, nicht wahr?

Aber weit davon entfernt, seinem Chef in die Arme zu fallen und einen Kuß von ihm auf jede Wange zu bekommen, vergaß Peter Romanowitsch sogar völlig seine von Süßigkeit erfüllten Wünsche, und wurde gründlich von außen bis ins Innerste abgekühlt.

Jawohl, ach so!

Éhé!

Kk!:

Im selben Augenblick nämlich, wo er und der Kommandant einander erblickten – waren sie alle beide nahe daran, umzutorkeln.

Es lief ein Zucken über Gregorows Antlitz. Seine Blicke sprangen sperrangelweit auf. Er ward steif, starrte und schauderte ... und auch Luschinskij selber spürte, wie sein Herzschlag stockte; er ließ die Arme fallen, die umfangend vorgestreckt waren, fühlte seinen Hals sich ausbeulen und glotzte wild, vollständig gelähmt durch den Anblick des Chefs: Herr Jesus, welch eine abgenagte Fratze der Kommandant sich zugelegt hatte! Die Nase weiß, scharf und spitz. Die Backenknochen beutelten sich vor. Die Augen in dunkelblauen Höhlen. Der Schnurrbart hing ausgefranzt über einem schiefen und bebenden Mund herab!

Gregorow machte eine Handbewegung auf ihn zu:

»Ist das Lu ... ist das ...?« lallte er heiser:

»Warum haben Sie sich weggeschlichen aus dem Laza ...?«

Aber durch diese Bemerkung ward Peter Romanowitsch jäh geweckt. Er kam in einem Nu über die Lähmung hinweg, in die ihn das Äußere des anderen versetzt hatte. So also! Er zog seine Brauen zusammen, noch immer mit schlotternden Beinen, nach Atem ringend, und fühlte, wie seine Pupillen heiß und klein wurden.

»Sind Sie wirklich ... Sie sind jetzt also gesund?« fragte Gregorow weiter, schluckend, die starren Blicke beständig über Luschinskijs Gesicht hinklebend – aber es gelang ihm dennoch, eine zitternde Hand zum Gruß auszustrecken. »Sie haben sich also endlich erholt, wie? Aber Sie sehen, ja, Sie sehen eigentlich ... mehr nach allem anderen aus! Kkké! das hat Sie arg mitgenommen, die Zeit, die Sie gelegen haben! Herrgott! Pfui Teufel!

Aber Sie sind auch wohl bald einen Monat krank gewesen, nicht wahr?

Oder sechs Wochen, wie war es doch gleich? ... einen Monat ... sechs Wochen ... einen Mo ...?«

Peter Romanowitsch schlug die Augen nieder: Was, dachte er: dieser Maxim Michailowitsch! »Sechs Wochen!« Kä! Und so einer, der es nicht einmal auseinander halten konnte, wie lange seine eigenen Offiziere krank gewesen waren, nahm es sich trotzdem heraus, über ihr Aussehen zu reden! Hätte Herr Gregorow nur einen Spiegel hier bei der Hand, so daß man ihm auf der Stelle zeigen könnte, wie leichenähnlich er selbst zu schauen war! Kkk! Und so ein ausgefuselter Schwabber schämte sich nicht, Bemerkungen über einen zu machen; da sollte der Teufel ...

Luschinskij räusperte sich und war kurz davor, sich zu einer Grobheit aufschwingen zu können.

Aber da hatte ihn der Chef offenbar schon wieder ausgeschwitzt.

Jedenfalls wandte er sich ganz ungeniert nach Ingenieur Levinsohn um, der neben ihm auf einem Taburett saß, beide Ellenbogen auf dem Schreibtisch und das Kinn tief unten zwischen den Fäusten:

»Wie?« fragte Gregorow mit seiner sonderbaren und neuen Stimme ohne jeglichen Gaumen, indem er seinen behaarten Schädel in kleinen, deliristischen Rucken drehte, sich selbst mit der rechten Klaue in ekelhafter Weise über seine schwitzige Blase von Stirn strich, und blödsinnig auf die Papiere niederstarrte, die selbständig in der linken Hand raschelten. »Fast einen ganzen Monat, oder sechs Wochen – sagen Sie? Nun! Ja, ja! Sehr wohl! Was meinen Sie? Sie sind sich also klar über die Maschinen, wie – oder haben Sie mir schon gesagt, eine wie lange Zeit die Reparaturen erfordern werden? Einen Reservepropellor haben wir ja noch?

Na, wir gehen nun wohl hinunter und sehen die Kessel gleich nach?

Ist da unten denn alles klar?

Wie?«

Levinsohn warf den Kopf in den Nacken:

»Alles klar!« knurrte er, den schwarzen Spitzbart tief in den Mund hinein und klatschnaß; er schielte wütend. »Hab' ich hier jetzt nicht eine halbe Stunde gestanden, bei Gott, und Ihnen das Ganze erklärt, daß alles verdammt klar ist! Das heißt meschucke ist es!

Klar – fragen Sie?

Jawohl, in acht Tagen ist es klar – und acht Tage später ist es selbstredend wieder unklar; haben Sie denn diese Melodie noch nicht allmählich hier an Bord gelernt?

Nun, so kommen Sie denn, Maxim Michailowitsch!

Lassen Sie uns in die Hölle runterkriechen, hinab in das verfluchte Mistbeet von Heizraum, und dieser Inspektion ein schleuniges Ende machen!«

Es gab einen Knacks in der rechten Seite von Gregorow, als wolle er Kehrt machen und augenblicklich davontraben – aber dann zog er plötzlich seine Hand zurück, strich sich über den Schnurrbart, nickte, zwinkerte mit den Augen:

»Sehr wohl!« bemerkte er langsam, indem er umhersah und sich an den verschwundenen Wangen auf und nieder wischte. »So lassen Sie uns denn in die Hölle runterkriechen, hinab in das verfluchte Mistbeet von Heizraum ... und ein ... schleuniges ...« – dann ruckte es wieder in seinem Kopf, er entdeckte auf einmal Luschinskij, der angewurzelt ein paar Schritte seitwärts stand, streckte seine Hand eine Sekunde nach ihm aus, hißte die Augenlider bis in das Haar hinauf, ließ sie gleich darauf wieder ganz herunterfallen und machte dann eine Bewegung mit dem Arm wie in alten Zeiten:

»Gut! Well! Ich danke Ihnen! Meine Herren, lassen Sie uns jetzt ein bißchen Klemm hinter die Sache setzen! Es hat unter diesen Umständen keinen Zweck, auch nur eine Minute zu vergeuden! Ich liebe es, selbst vollauf zu tun zu haben – und meinen Offizieren das gleiche zu schaffen und meinen Offizieren das gleiche zu schaffen, das gleiche zu schaf ... Vier Tage und vier Nächte habe ich kein Auge geschl ... oder sagen Sie mir doch, Herr ... Herr Maschineningenieur, haben Sie nicht ... haben Sie nicht längst ... bemerkt, daß, je mehr man zu tun hat, um so mehr beschafft man. Hat man aber nur wenig zu tun, so wird nicht einmal das zu Ende geführt, äh, zu Ende geführt ... unter Verhältnissen wie diese hier ... die Arbeit, die man beschafft hat ...

Ö, ö ...

Mnnö ...« – und er riß plötzlich die Äugen auf, rieb sich den Nacken:

»Schau, schau!« sagte er, indem er sich gegen den Rand des Tisches lehnte. »Entschuldigen Sie mein langes Schweigen. Ich will Ihnen nämlich sagen, meine Herren: in den letzten vier Tagen und Nächten, während des Sturmes, habe ich, insofern, nicht recht ausgeschlafen; und über Nacht ... Nun!« dann lächelte er ein ganz klein wenig, blinzelte mit den Lidern, als seien ihm die Augen knochentrocken, drehte den Kopf ein paarmal, um ihn geschmeidig zu machen, klopfte Levinsohn auf die Schulter, schob ihm seine Hand unter den Arm und schwankte zusammen mit ihm aus dem Bureau hinaus.

Luschinskij blieb allein.

Der Lichtschimmer, vom Wasser her, kam durch die beiden großen, runden Bullaugen am hinteren Ende des Raumes herein, lag zitternd auf der Tischplatte und den Papieren dort – und stach ihn in die Pupillen. Die Lafettenbolzen in dem Fußboden, zwischen den Tischbeinen, sahen in ihrer Dunkelheit aus wie graue, warzenförmige Tiere – und veranlaßten ihn, unruhig umherzuschielen. Die Luft stieg und fiel leise vor seinen Ohren.

Er glotzte den beiden Herren einen Augenblick nach – viel zu erstaunt darüber, daß man ihn so völlig vergessen hatte, um auch nur eine einzige Silbe hervorzubringen.

Gleich darauf aber kicherte er freilich so recht gründlich, voll Hohn und Speichel, und warf dann seine Gesundmeldung verächtlich auf den Schreibtisch, von neuem zum Platzen voll von Erinnerungen an den Eindruck, den sein eigenes Aussehen auf Maxim Mikailowitsch gemacht – wie an den, den er selbst beim Anblick Höchstdesselben empfunden hatte!

Der Waschlappen, dachte er: der Mörder, der sich nicht genierte, einem Kameraden sozusagen direkt in die Trommelfelle hineinzubrüllen, daß man dem Tode verfallen ist!

Ach Gott, hatte man wohl jemals etwas Ähnliches von Unbarmherzigkeit und Roheit gehört? Denn selbstverständlich konnte doch nur der Wunsch, sein eigenes Elend zu übertäuben, den Kommandanten veranlaßt haben, so über das Elend eines anderen loszuschreien!

Ja, pfui Satan ...

Und zum vierten oder fünften Male im Laufe dieser Morgenstunde gab Peter Romanowitsch einem Schluchzen und einem schmächtigen Wasserstrom freien Lauf – lehnte sich mit beiden Handballen auf einen Schießbericht, der auf dem Tisch lag, und starrte hinab auf die Blasen und die auseinanderlaufenden Schriftzüge, die sein höchst berechtigtes Tränenwasser auf den Papieren des Chefs hervorgebracht hatten, wie, ki ...: eine Rache, die ihn ein klein wenig belebte, bis ihm auf einmal der Gedanke kam, daß Gregorow in der abgerackerten Verfassung, in der er sich jetzt befand, wahrscheinlich seine frühere Akkuratesse vollständig abgelegt hatte, und diese kleinen Zerstörungen voraussichtlich kaum entdecken würde, wie?

Nein! – und Luschinskij richtete sich deshalb wieder auf, so gut er es konnte, und trocknete das Kinn mit dem Rücken seiner in einem Glacé steckenden Rechten ab: nein, dazu war wohl ein beträchtlich energischerer Protest erforderlich! Wozu in aller Welt war man denn auch vorhin so brav und mausefromm gewesen, daß man nicht stehenden Fußes mit gleicher Rohmünze geantwortet hatte, wie, zu ärgerlich!

Aber, im übrigen: es war ja an und für sich auch jetzt noch Zeit zu dergleichen!

Nicht wahr?

Waren sie nicht jetzt in das verfluchte Mistbeet von Heizraum hinabgestiegen, diese beiden Prachtexemplare, ja, weiß Gott: also, erheben Sie sich in Ihrer ganzen Gewalt, verehrter Herr Luschinskij, und lassen Sie uns, ohne eine Sekunde Zeit zu verlieren, ihnen folgen und der Sache ein schleuniges Ende machen! ...

Ergo drehte Peter Romanowitsch, durch diesen Beschluß noch beleidigter denn je zuvor, tränenerstickt, noch einmal den Kopf nach links und nach rechts – in Fortsetzung seiner unbewußten Nachahmung von Gregorows Worten und Wesen vorhin. Aber bei diesem Blick kam ihm wahrhaftig ein köstlicher Gedanke – und kichernd führte er ihn, hol' mich der Teufel, glücklich auf der Stelle aus:

»Raus mit dir!« sagte er, riß den Korken aus einer großen Tintenflasche, die in einer Ecke des Tisches stand, und kehrte resolut den Boden nach oben, um die Wette mit der Flasche glucksend, vor Lachen und vor noch nicht ganz versiegten Tränen.

Er war darauf den Wellen des violetten Stromes – mittels des Randes eines Löschpapiers – behilflich, sich noch weiter zu ergießen über Zeichnungen, Grundrisse, Skizzen und Protokolle. Er blies obendrein kleine, malerische Nebenflüsse und Seen nach allen Richtungen und Himmelsgegenden auseinander, schuf mit einer Fingerspitze ein Kanalsystem, reicher als das des Mars, verband alle größeren Meere durch Buchten, Meerbusen und Flüsse, baute Brücken aus Bleifedern und Linealen, zauberte auf ein paar von den Gewässern eine schimmernde Eisdecke hervor, durch Benutzung von Dokumenten und dergleichen – kurz, verwandelte die ganze Tischplatte mit Zubehör in eine genaue Kopie aller fließenden Phänomene, alles in zwei oder drei Minuten; knickte darauf in der Mitte ein vor Entzücken, schnappte nach seinem Atem, erwischte ihn, biß sich in einen Nagel vor Lautlosigkeit und Pläsier und trippelte auf den Fußspitzen aus dem Raum hinaus.

»Jawohl, liebe Kinder, Ihr Tapferen!

Gott bewahre, wie famos Ihr auf Maxim Mikailowitsch' Besitztümer paßt!

Gratuliere!« sagte er hicksend zu den Posten, und war unter fortgesetzter Heiterkeit mitten auf das Batteriedeck hinuntergelangt.

Dort aber wurde sein Schritt plötzlich gehemmt, indem er direkt in sechs Gemeine hineinlief, die mit zwei Schritt Entfernung voneinander aufgestellt waren, in blauen Anzügen, mit blanken Knöpfen und Seitengewehren, und von oben bis unten von der Fettperle, dem Bootsmann Uschoff, gemustert wurden.

»74!« brüllte der Unteroffizier mit feuerrotem Kopf, die Luft hinter sich vor Anstrengung verändernd – und zwar in einem solchen Maße, daß Peter Romanowitsch mit einem Kichern und einem Nasenkräuseln sein seidenes Taschentuch hervorzog und sich das Gesicht abwischte, um anzudeuten, daß seiner Ansicht nach seine Nase und seine Luftröhre auf einmal zu einem ganz anderen Ausführungswege geworden seien. »Ach, du Satan, du Hundedarm, das also nennst du ordentlich angekleidet! Das hältst du für ein paar passende Hosen, wenn man fremde Forts, Bastionen und Landbefestigungen bewandern will!

Solch ein Fleck da auf dem Knie! Und das nennst du Teer? Ausgestunkene Lügen, mein Sohn, das ist Dreck – oder bildest du dir am Ende ein, daß du mehr Verstand von Dreck hast als ich, der ich dreiunddreißig Jahre Unteroffizier gewesen bin, Väterchen?

Friß du diese Maulschelle runter – und die dazu!«

Peter Romanowitsch stutzte und trat näher, seinen Witz zum Besten seiner Neugier vergessend.

»Sagen Sie mir doch mal, Sie da: was, zum Teufel, faseln Sie denn da, Uschoff?« fragte er, und packte den Bootsmann an einem Ärmel. »Was meinen Sie damit, daß 74 fremde Forts, Bastionen und Landbefestigungen besuchen soll?

Blühender Blödsinn, weiß Gott, das soll er ja gar nicht!

Heraus mit der Sprache!

Beeilen Sie sich ein wenig, Sie Perle, ich hab' was zu tun!«

»Euer Hochwohlgeboren!« antwortete Uschoff, dieser fette Esel und Heuchler, stets bereit, hunderte von Worten zu machen, wo schon eins zum Überfluß war. Er strich den schwarzen Bart weg, spie seinen Priem aus und verdrehte die Augen, während er noch einmal nach 74 ausholte. »Zu Befehl. Die Sache ist die, mit Erlaubnis, daß diese Schlingel hier, zusammen mit meiner Wenigkeit und Herrn Premierleutnant Alexej Porphiriewitsch Simoff, in ein paar Minuten fort sollen hinunter nach Tanana ... Tana ... oder wie das verdammte Nest heißen mag; ich kann es nicht behalten, nie und nimmer! Jawohl: Seine Hochwohlgeboren Herr Gregorow hat uns nämlich befohlen, heute dahin zu fahren, um einen Kadetten und ein paar andere gemeinere Deserteure abzuholen, die da unten aufgegriffen sind, in diesem verd ...«

Mehr hörte Luschinskij nicht, denn gleich, als Uschoff den Namen des Kommandanten nannte, erinnerte sich Peter Romanowitsch wieder seines Vorhabens: was in aller Welt ging es ihn auch an, ob sich irgendein Flüchtling dumm benommen und sich von diesen kleinen Franzosen, und ihrer allzu prahlenden Dienstbereitwilligkeit dem Zaren gegenüber, hatte fangen lassen! Ach nein, nicht die Bohne ging ihn das an, aber höchst wichtig war es dahingegen, so schnell wie möglich Revanche über Seine Hochwohlgeboren Herrn Gregorow zu erlangen, hol' mich der Kuckuck, nicht wahr, fort, fort ...

Also beeilte sich Luschinskij so sehr er nur konnte, und einen Augenblick später stand er vor einer der gelbgeaderten Stahltüren, die den hinteren Reserveschacht, der zum Heizraum hinabführte, abschloß.

Er riß die Tür auf – so daß das Getöse durch das ganze Schiff hinabrummelte.

Einen Moment zögerte er plötzlich – mit langem Hals, den Kopf auf die Seite gelegt, das Herz schwer hämmernd und mit gerunzelten Brauen: infolge irgendeiner unklaren, aber auffallend dunkel gefärbten Erinnerung (war es nicht etwas mit dem Heizer Zweß, wie, pfui Teufel, jawohl, und etwas mit einer warmen Stange, ja, ich danke!) – das Aufzucken einer häßlichen Erinnerung also, das er unter einem Westenknopf empfand, im selben Nu, als er sein Gesicht und den Oberkörper über die Dunkelheit des engen quadratischen Raumes lehnte, der so tief war, wie das Treppenloch in einem vierstöckigen Hause, und so schmal wie ein Schornstein. Die kleinen eisernen Henkel – die Stufen vorstellten, und die aus allen vier Wänden herausstachen, untereinander in einer unendlichen Reihe bis hinab – schimmerten weißlich und blank. Ganz unten erschienen sie so dicht nebeneinander, als wenn die Wände des Loches nichts anderes seien, als ein gestreiftes Metallband ohne Stütze für den Fuß.

Drei Petroleumlampen erzeugten drei gelbe Kugeln aus Licht in dem schwarzen Rohr: eine hier gleich an der Mündung; die nächste, scheinbar halb so groß, in der Mitte des Abstiegs; die letzte war nur ein schimmernder Punkt im Boden der Tiefe.

Luschinskij legte den Nacken hintenüber, erinnerte sich selbst einmal wieder an die Verhöhnung, die er vor kurzem erlitten hatte: zum Teufel auch, Schnickschnack, Herr Zweß, und seine private Spießgeschichte, nicht wahr, dagegen hat sich aber Herr Kommandant Gregorow sehr übel benommen, und die Rache ist süß, allons de la patrie, ki ... und derart von neuem angespornt zur Tatkraft, begann er, wenn auch langsam und ziemlich tastend, hinabzusteigen.

Die beiden Stahltrossen, die lose durch die Mitte des Schachts hinabhingen, schmatzten sich windend durch seine Hände.

Das Geräusch seiner Stiefel klappte leise, während er sich mit dem Oberkörper von rechts nach links biegend, einen Fuß nach jeder Seite, hinabschaukelte, Stufe für Stufe.

Die Luft siedete in seinen Ohren, ausgedörrt und süßlich von den Petroleumflammen – immer schwerer und stickiger, je weiter er hinabkam.

Tief unter sich erblickte er einmal die niedrigste der drei Laternen; gleich einer glühenden Spitze saß sie da unten und sengte ... und bei diesem Anblick blieb er jäh stehen, plötzlich keuchend, machte seine Knie stramm, klemmte die Finger um die Taue zusammen, so daß die Knöchel hervortraten, und schloß die Augen: Jawohl, ja, jetzt erinnerte er sich ... Ja, jetzt erinnerte er sich jäh, weiß Gott, mehr als deutlich, was für ein schmutziges und blutiges Ereignis das mit Zweß gewesen war: ja, vor einem Monat war da ja ein kleiner Krieg im Gange gewesen zwischen dem besagten Gorilla von Heizer und dem vierten Maschinenmeister Trifon Kalganoff; sie neckten und ärgerten einander ein paar Wochen hindurch, nach vollen Kräften: Kalganoff versetzte Fußtritte, schimpfte und schlug, stellte Zweß bei den widerwärtigsten Arbeiten an, ließ ihn Stunden hintereinander in gekrümmter Haltung in irgendeinem der weitgeöffneten Feuerlöcher herumkratzen, bis die Haut in seinem geschwollenen Gesicht infolge der Hitze in feine Risse zersprang; und der Heizer seinerseits tröstete sich, indem er, sobald der Meister in der Nähe war, derartig mit den Kohlen umherschmiß, daß diesem die Splitter zu Dutzenden in die Augen flogen; oder auch er fuhr ihm, infolge eines erfreulichen Versehens, recht häufig mit der gefüllten Schubkarre über die Zehen, und so weiter in demselben Stil. Aber schließlich konnte Zweß es nicht mehr aushalten, ganz spleenig von dem Feuer und der unbefriedigten Wut, und eines schönen Morgens – vor ungefähr vierzehn Tagen – hatte er ein paar von diesen mörderisch schweren Kohleneimern über den Rahmen von einer der Türen da unten aufgestapelt – in der zärtlichen Hoffnung, daß sie dem Meister, wenn er hereinstolzierte, den Kopf zerschmettern sollten. Gewiß, der Plan ließ nichts zu wünschen übrig, aber Kalganoff kam trotzdem mit heiler Haut davon. Denn, von schlauen Instinkten geleitet, polterte er gerade bei dieser einen Gelegenheit nicht in die Tür herein, so wie er es zu tun pflegte – sondern stieß sie vor sich mit dem Fuß auf; und begnügte sich also damit, höhnisch zu kichern und ein paar sanfte Verheißungen von sich zu geben, während die Kasten ihm rasselnd vor die Füße stürzten und lange Splitter aus der Türschwelle schlugen. Natürlich machte dies Malheur Zweß ja ganz kollerig. In einem Nu ward er schwarzblau im Gesicht, von Blut. Er stürzte geradeswegs auf eine der Feuerstellen los. Riß eine ellenlange Schürstange heraus, die darin steckte. Und lief spornstreichs hinter dem Meister her, das weißglühende Ende der eisernen Stange nach ihm schwingend. Teufel und Tod, du Schurke, komm her ... komm du mal her ... komm du bloß mal her ... ich will dich bei meiner Seligkeit ... Aber Kalganoff »kam«, den Teufel auch, keine Spur, zu ihm hin, nein, im Gegenteil: er toste rund herum, toll vor Entsetzen. Zweß hinter ihm drein, durch den ganzen Raum hindurch. Kalganoff erreichte den Schacht hier und, eins, zwei, drei, fing er an, sich hinaufzuwiegen. Zweß ihm beständig auf den Fersen, die Stufen hinaufgaloppierend, mit dem rauchenden, blauweißen, vier Ellen langen Poker nach ihm stechend ... aber dann strauchelte der Heizer auf einmal, hoch oben in der Röhre, kurz davor, den anderen einzuholen. Er verlor seine Schürstange: sie rasselte hinunter und klemmte sich mit einem Schneppen fest, das kalte Ende in einer der Stufen da unten hineingekeilt; sie blieb stehen und zitterte, die rote Spitze mitten in der Schachtöffnung. Aber im selben Augenblick hatte Kalganoff von da oben her seinen Plan gemacht: er rutschte ein paar Stufen hinab, klemmte sich mit den Händen fest und knallte seine beiden Stiefelabsätze mit aller Macht dem anderen auf den Schädel. Mit einem Brüllen verlor Zweß den Halt und quatschte hinunter, gerade auf das glühende Ende des Pokers ... der Meister hörte, plötzlich bebend, den Laut, den das gab: ein zirpendes Zischen, ein Platzen, ein Heulen ... und dann war es auf einmal still ...

Luschinskij versuchte eine Sekunde lang ein klein wenig zu kichern.

Er lehnte den Kopf hintenüber und dachte einen Augenblick daran, so schnell wie möglich wieder hinaufzuklettern ... aber dann entsann er sich, daß Zweß ja gerade auf dem Wege nach oben gestrauchelt war, wie, pfui, war es da denn doch nicht viel besser, so schnell wie möglich hinabzukommen und diese ganze brenzlige Erinnerung loszuwerden, indem man seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung brachte ...

Er atmete tief auf, und schaukelte also weiter hinab: ja, bei meiner Seelen Seligkeit, jetzt wollte er, weiß Gott, seine Rache haben! Nichts in der Welt sollte ihn mehr daran verhindern, wie? Das fehlte auch noch! Trip–trip–trip, so, jetzt nur noch drei Stufen, und dann sind wir da ... Pfui Kuckuck, was für ein Geruch ist denn das hier unten, halten sie sich hier etwa beständig verbrannte Gedärme zum Heizen, statt der Kohlen, wie, kiss, na, ja!

Der ungeheure Heizraum, der sich durch die Hälfte der Länge des Schiffes erstreckte – eng, mit schwindelnden Wänden, die sich nach oben zu einander näherten, als seien sie im Begriff, einem über den Schädel zusammenzustürzen –, schien Peter Romanowitsch eine auffallende Ähnlichkeit mit einem gigantischen Leichenschrein zu haben, jaha, und das war auch vermutlich der Grund, weswegen die Herren Heizer in ihren Witzen immer so leichenhaft und todbringend veranlagt waren, wie, verdammt und verflucht, nicht für eine Milliarde würde man ihn dazu bringen, sich darauf einzulassen, monatelang hier unten zu bleiben, Tag aus und Nacht ein ...

Der geschwollene übersüße Gestank von Qualm und Fett machte ihm den Mund essigsauer, legte sich ihm bitter und klumpig in die Brust hinein, und ließ die Luft bläulich erscheinen, wie noch eine Erinnerung an Zweß und an andere Arten von Fäulnis, Grab und Verderben.

Obwohl die Feuer heute selbstredend gelöscht sein mußten, da die Kessel inspiziert werden sollten – schien ihm das lange schmale Dach vor Hitze zu schwanken und zu schlingern. Die kolossalen, runden Mündungen der Ventilatorröhren standen da oben, hier und da, kohlschwarz. Er wandte das Gesicht da hinauf, einen Augenblick, spürte auf seinen Backenknochen den schwachen Hauch einer fernen Kühle, und sein Ohr erfüllte der dumpf kochende Laut, der dorther kam: Ja, ja, kocht nur und singt nur, was ihr könnt, ihr mächtigen Kehlen da oben! Summt und erzählt, was ihr nur wißt, von den lieblichen Lüften des Himmels! Spielet den Ärmsten was vor, die hier unten leben, jahraus, jahrein, fern von allem – als säßen sie in Eisen geschmiedet, in den treibenden Festungskellern, unter Peter-Pauls Milliarden von Steinen! Oh, flötet ihnen die Melodie der Sonne vor, von Wind und Licht und Ozon – von Morgen, Mittag und Abend! Wie, nicht wahr, ach Gott, ihr Armen, Verlassenen, ihr elenden Schlacken und Asche der Tiefe! ...

Die weißblauen Nernstlampen drehten sich langsam und wenig, an ihren unsichtbaren Schnüren. Wie greuliche Medusen aus Feuer schwammen sie träge in der dicken Atmosphäre.

Noch einmal wurde Peter Romanowitsch dadurch für eine Sekunde an den verstorbenen Herrn Zweß und an jene weiße Blume an der äußersten Spitze des Pokers erinnert, an der zu niesen der Heizer also Kalganoff eingeladen hatte – an der er aber schließlich selbst versehentlich zu eifrig geschnüffelt hatte, obendrein mit dem verkehrten Ende, wie, Herr Jesus, das Unglückswurm, ja, ja, lassen wir ihn jetzt in Frieden ruhen, hussssch, man wird obendrein nur schlotterig in den Knien, wenn man daran denkt ...

Ergo steckte er beide Hände in seine Jackentaschen, schlenderte obstruiert abermals vorwärts, bemüht, den schlimmen Kloß hinunterzuschlucken, der ihm um das Kernhäuschen des Adamsapfels saß – strauchelte im selben Augenblick über eine bis an den Rand mit blanken Kohlen gefüllte Schubkarre, benutzte diese Gelegenheit zu einem Fluch, um sich dadurch von seinen früheren Gedanken zu befreien, hustete ein klein wenig infolge des Kohlenstaubes, den er mit seinen Flüchen einsog, runzelte die Stirn und steuerte weiter, durch den Raum hindurch.

An den Wänden entlang, ungefähr in Kniehöhe, saßen die schweren eisernen Luken zum Heizen.

Ihre Bolzen und Beschläge erschienen schleimig im Lichtschein.

Luschinskij schielte bitter zu ihnen hinüber, kicherte ein wenig, ohne zu wissen, weshalb: Jawohl, hol' mich der Teufel, wenn diese Luken einen nicht an die Gefängnisportieren aus Stahl und Rost in Peter-Paul erinnerten, wie, hehe, sehr wohl; na, dies verdammte Mistbeet von Heizraum, aber wo in aller Hölle waren sie nur einmal, die Herren Gregorow & Co.

Eine Schar Heizer hing schwälend gerade vor ihm und sperrte ihm Weg und Aussicht.

Sie stützten sich auf ihre Schaufeln, oder auf die langen, hinreichend bekannten Poker; ohne Spur von Kleidern auf den klatschnassen Oberkörpern mit Rippen, Narben und Haaren. Die blauen Leinwandhosen mit den schwarzen Knien beutelten sich leer bis zu den schwarzen Füßen hinab. Die Münder standen ihnen sperrweit offen. Die Arme hatten sie an den Seiten fallen lassen; die Adern schwollen dunkel daran, wie die Spuren von Peitschenhieben oder Schlägen. Ihre weißen Augen bewegten sich stumpf und kriechend. Ihr Atem hörte sich heiser an: mit einem leisen Röcheln stieg er ihnen hüstelnd aus dem Halse; er sog sich tödlich und todmüde auf und nieder in ihren knochenmageren Brustkästen; er bubbelte, brach sich, keuchte: als hätten sie sich, alle wie ein Mann, hier unten in dem schwindelnden Stahlkäfig längst daran gewöhnen müssen, auf diese schwächlingsartige Weise zu atmen: um ohne allzuviel Zappeln ersticken zu können, um mit so wenig Qual und Schmerz wie nur möglich in dem gurgelnden Meer ertrinken und sterben zu können: sie, die in bezug auf den Tod immer in erster Reihe standen, wenn dem Schiff ein Unglück zustieß ...

Peter Romanowitsch klemmte seine Backenzähne zusammen, hielt seinen Atem an, fühlte, wie sein Kinn blaß und kalt wurde.

Er machte sich ganz besonders dünne und flach, ging auf den Fußspitzen, gerade vor sich hinstarrend ... kam so durch den Haufen hindurch, und atmete erst dann wieder ordentlich auf: Nun ja, schau, schau, dort endlich ...

Der Kommandant und die Maschinisten standen vor einer der Feuerstellen. Der Deckel war geöffnet. Eine breite Planke ragte daraus hervor. Es war Licht da drinnen – das sah Peter Romanowitsch, als er sich herabbeugte, plötzlich ganz in Anspruch genommen von diesen Merkwürdigkeiten, weswegen er auch seine Pläne noch eine kleine Weile hinausschob.

»Ist ... ist der Maschineningenieur da drinnen?« fragte er.

Niemand antwortete.

Gleichzeitig aber entdeckte er selbst: tief drinnen im Ofen, der gleichsam in Glut und Flammen war, jawohl, da lag Levinsohn, wie in einem Krematorium, nackend, auf dem Rücken, ausgestreckt auf das Brett, das auf dem grauen, mächtigen Rost ruhte.

Luschinskij sah ihm gerade zwischen den Beinen hinauf, und augenblicklich lief ihm der Mund voll Wasser: Herr Gott, so also sah ein Mensch von unten gesehen aus!

Der Ingenieur richtete sich da drinnen ein wenig auf, eine Glühlampe in der linken Hand, und begann, daraufloszukratzen an den dicken Wasserrohren, die massenweise in dem Ofen entlang liefen, oben an der Decke, schräge aufwärts, nach hinten zu. Es war offenbar Wasser in diese Röhren gepumpt, wie Peter Romanowitsch bemerkte: denn Levinsohn hustete und spie für Zweie, während er mit seinem Taschenmesser schabte. Luschinskij begriff, daß da also, mit anderen Worten, Risse und Lecke in den Rohrwänden gesprungen waren, und die Lage dieser Verletzungen zu konstatieren, damit war der Ingenieur jetzt beschäftigt, nicht wahr: jawohl, aber das war an und für sich nur ein schwacher Grund, die traurigen Wunden zu vergessen, die dieser Herr plus der Kommandant einem in der eigenen Gerührtheit beigebracht hatten, wie, ké, wie beliebt, komm also heraus aus deiner Peter Pauls-Zelle, du gräßlicher Kerl ...

»Gut!« wurde im selben Augenblick mit klangloser Stimme von da drinnen gerufen. Sehr wohl, dachte Luschinskij: sicher »gut«; jetzt nahte nämlich mit Satisfaktion die Stunde der Revanche ...

Ein paar Heizer kamen herzu; jetzt beugten sie sich über die Planke; ihr Rückgrat sprang hervor – wie ein krummer Knotenstock, gleich einer Rundsäge zackte es sich aus ihrem Fleisch heraus; sie griffen langsam zu mit ihren ungeheuren Fäusten ohne Nägel, fingen vorsichtig an, das Brett herauszuziehen, das leise durch die enge Öffnung kroch – und einen Augenblick später stand Levinsohn mitten im Halbkreis.

Luschinskij streckte seinen Arm aus, drängte sich vor und wollte loslegen.

Sobald aber sein Blick den Ingenieur erreicht hatte – vergaß er völlig seine Rachepläne.

Sein Herz versetzte ihm einen Faustschlag in die Brust – bei dem Anblick, der sich ihm bot.

Sein Atem blieb ihm mit einem Hicksen weg.

É-é-é« ...

Denn das letztemal, als er den Ingenieur nackend gesehen hatte – vor ungefähr vier Monaten, in jenen Tagen bei Tanger, als Levinsohn prahlend seine täglichen Bäder nahm, indem er von der Kommandobrücke oder von den Rahen hinabsprang: da war er breit wie eine Mauer über den Schultern, hatte Arme wie Schlagbäume, hohe und schnurgerade Beine, überall hart wie Eisen, und einen Magen so fest und flach, an dem der untere Rand der Bauchmuskeln hervortrat wie eine Falte in einem Panzerhemd: genau so wie an den alten Statuen, meine Herren, pflegte Levinsohn selbst zu sagen:

Aber jetzt,

hier,

wo sich der Ingenieur mühselig von der Planke erhob, grummetig von Asche und Wasser, das Gesicht schief und scheckig, der Hals verdreht und krumm, die Schultern schräge und hängend, mit den Kniescheiben wie Knauste einander zugekehrt, die knotigen Schenkelknochen ganz oben als rotränderige Geschwülste sichtbar ... und vor seinem geschwollenen Bauch, an dem die Haut stockfleckig herabhing, als sei er viele Monate lang in Erde begraben gewesen, da blähte sich sein gräßliches Fleisch gleich einem Haufen ungeheurer, entsetzenerregender Würmer:

Ja, bei diesem Anblick war Luschinskijs Gehirn auf einmal zersprengt von diesem einzigen Gedanken, der sich steil aufbäumte wie ein Geheul:

daß so also einer von den Männern aussah, denen noch vor fünf Minuten der Atem ausgegangen war, bei seinem, Peter Romanowitsch', Anblick: ach Gott, wie muß ich da selber aussehen, wie muß ich da, wie ...

Unter diesen Umständen schwankte Luschinskij blind, rein instinktiv, so schnell wie nur möglich, lallend, zwischen den Heizern hindurch, die sich in einem Kreis rings um die Feuerstelle herumklebten.

Er eilte, strauchelnd, zu den Leitern hin, die in die Höhe führten, schluchzend kletterte er hinauf, auf den Stufen ausgleitend, schlingernd, wild – und erreichte, ohne zu wissen wie, seine Kammer.

Und dort – auf seinem Sofa umgesunken, während sein Nacken über den Rand des Kopfkeils hing, und ihm das Herz ganz bis hinten in den Rücken hackte – dort entdeckte er dann, nach und nach, von Grauen gejagt, den ersten Schimmer der Wahrheit, von der ihm diese Morgenstunde schon zwei Andeutungen beschert hatte:

Es fiel ihm nämlich plötzlich ein, daß er jetzt wohl den eigentlichen Grund von all der funkensprühenden Wut begriff, die sie während der letzten Monate alle erfaßt hatte! Jawohl! Ach Gott, ach Jesus und Maria ... Ja, ké, jetzt war er, kéhé, jetzt war er, weiß Gott, jeder Ungewißheit in bezug auf diese Sache überhoben!

Die Erklärung war ganz einfach die, daß man sich in eine tolle Wut hineinarbeitete, um die Angst zu decken! Gewiß! Um zu verbergen und zu vergessen, daß man bange davor war, selber ungefähr ebenso verdorben auszusehen, wie die anderen! Selbstverständlich! Ach Gott, ach Gott ... ja, ja, jedes einzige Mal, wo man nur das kadaverische Gesicht eines Kameraden mit seinem Blick streifte, bekam man eine gemeine und schreckliche Ahnung davon, daß all diese Scheußlichkeit, die man da sah: die war wohl nur ein kreideweißes und geschwollenes Spiegelbild der eigenen, persönlichen Wurmvollheit! Ja, ja, und darum also schlug der eigene Selbsterhaltungstrieb so rasend Lärm, darum also heulte das Herz so vor Haß, sobald einem dergleichen Andeutungen unter die Nase gerieben wurden! Sicher! Ja! Einzig und allein aus diesem Grunde lag man einander beständig auf der Lauer, bläute man einander durch, meuchelmordete man einander! Einzig und allein aus diesem Grunde wurde man einander zu ... Mikroben, wie der Arzt sagte: Restlos wollte man diese Kerle ausrotten, die einem tagtäglich bewiesen, wie greulich man selber zugerichtet war!

Ja!

Ach Herr mein Gott, mach' End', mach' Ende!

Laß mich in Gnaden heim zu dir kommen, in deine Arme!

Nimm mich weg von diesem allen hier, das Entsetzen ist und Wahnsinn und Tod! ...

Peter Romanowitsch schlug schluchzend seine Hände vor das Gesicht; er saß da, die Ellenbogen auf den Knien und wiegte sich hin und her; er fühlte die Tränen, die ganz warm waren, wenn sie zwischen den Fingern hindurchsickerten, aber auf der Außenfläche der Hand waren sie schon kalt und rauh; er wimmerte leise.

Ja, ja, jetzt begriff er es völlig, erst jetzt: wie gräßlich, wie tötend es immer für ihn gewesen war, die anderen anzusehen! Erst jetzt verstand er den tiefsten Grund von seiner und Gorkins Prügelei, von ihrem gegenseitigen Haß! Erst jetzt faßte er die allerintimste Ursache, weswegen Lwow Mikael tötete, und weswegen er selber ...

Aber wozu, ja wozu sollte er nun in Zukunft greifen?

Wie sollte er es anfangen, um dem Anblick dieser Kameraden zu entgehen, die einem sofort nach dem Leben trachteten – und bei deren Anblick man selber auch schwindelig und mörderisch werden würde!

Hatten sie etwa auch ... wie? hatten etwa auch sie dieselbe Entdeckung gemacht, zu der er jetzt gelangt war?

War das der Grund, weshalb er noch nicht einen einzigen von den Kameraden zu Gesicht bekommen, während der ganzen Stunde, die vergangen sein mußte, seit er das Lazarett verlassen hatte – und war das die Ursache, daß ihn nicht ein einziger seiner Freunde besucht hatte, solange er da unten gelegen hatte, wie, war es das?

Aber konnte man sich denn nicht dahin einigen – nach und nach, auf alle Fälle –, konnte man nicht eine allgemeine Vereinbarung treffen, daß man sich für sich halten, daß man einander meiden wollte ...

Konnte man denn das nicht tun?

Der Arzt hatte ihm ja auch befohlen, sich zu ruhen, häufig an Land zu gehen. Und sie hatten ja alle Ferien, für einige Tage wenigstens, solange die Reparaturen währten! Und in ganz kurzer Zeit ging es ja weiter, hinüber gen Osten, fern von hier, weg von diesem allen! Ach, Gott sei Dank, jawohl, nicht wahr? Wie? Kéké! Diese abscheuliche Wartezeit hinter sich zu lassen, in die offene See hinauszukommen, den wechselnden Tagen entgegenzusehen, wie? Ja, ja, selbstverständlich, natürlich, absolut, das mußte gehen können! Man mußte Mittel finden können, um sich zu befreien von dem Anblick der gegenseitigen Gräßlichkeiten, der gegenseitigen weinerlichen Fratzen, der gegenseitigen schwärenden Augen ..

Luschinskij, der noch auf dem Rande seines Sofas saß, erhob sich plötzlich, als er bis zu diesem Gedanken gelangt war, er schielte nach allen Seiten, ging auf den Fußspitzen an seinen Schrank, drehte den Schlüssel leise herum und kramte seinen Rasierspiegel heraus. Noch einmal sah er um sich, dann stolperte er nach dem Diwan zurück, zögerte einen Augenblick, warf das runde Glas weg, auf den Mahagonitisch, lehnte seinen Nacken gegen die Wand zurück, streckte plötzlich den Arm wieder aus, langte von neuem nach dem Griff des Spiegels, setzte sich mit einem Ruck aufrecht hin, klemmte seine Augen zu, hielt ihn vor das Gesicht, kicherte jäh, klappte seine Lider auf – und sah.

Das Herz brach ihm mit einem Seufzer.

Er fühlte, wie ihm der Metallrahmen glatt aus den Fingern glitt.

Und dann entdeckte er auf einmal, nach einer Weile, daß er noch dasaß, ganz vornübergebeugt, den Kopf zwischen den Knien, kichernd, mit dem Rücken seiner Hände auf dem rauhen Fußboden herumwühlend.

Geschwind war er auf den Beinen, setzte seine Mütze auf den Kopf und gelangte bis an die Schiebetür.

Dort aber blieb er stehen, machte Kehrt, sammelte den Spiegel auf – und begann dann langsam, sich näher darin zu betrachten. Hinter dem Bilde seines Gesichts spiegelte sich das Bullauge rund, tief und blau darin wieder. Eine weiße Wolke glitt vorüber: geh' weg und lass' die Sonne scheinen, ké!

Ach ja – dachte er, aus irgendeinem Grunde mit ein paar hellblauen Fingerspitzen an seinen dunklen Zähnen herumfummelnd – ksss!

Solch eine strahlende Heliosfratze, so interessant, wie?

Ach Gott, oder wissen Sie wohl noch, wie Eudoxia immer mein Gebiß aus Porzellan und Perlen bewunderte?

Ja freilich, und so ein reizendes Gesicht, wie man jetzt hat, so einnehmend, frisch und belehrend, wie, habe ich nicht Recht, höllenmäßig Recht, mein Freund?

Oder, sagen Sie mir doch, Verehrtester, wie war es doch gleich: Sie haben doch den Heizer Zweß nach seinem spitzen Tod nicht gesehen, wie? Eh bien, aber statt dessen haben Sie am Ende ... sagen Sie mir, ja, hören Sie einmal! Ja, sind Sie dahingegen zufällig ... sind Sie jemals in der sonderbaren Lage gewesen, einen lieben, aber politisch veranlagten Bekannten und Kameraden zu sehen, wenn er wieder heraus kommt, nachdem er – in Veranlassung irgendeiner Rede, eines Buches oder eines Artikels – vom Staate die Erlaubnis erhalten hat, sich fünf oder sechs Jahre unten in den Festungskellern zu Peter-Paul, oder anderswo, an einem Orte gleichen Kalibers, ungestört zu rekreieren, wie, nicht? – aber ich bin in dieser Lage gewesen! Hol' mich der Teufel: ich habe einmal einen solchen Burschen gesehen. Er hatte da unten im Stockdunkeln fünf, sechs Sommer und Winter in Nacht und Finsternis Grillen gefangen, mein armer Schulkamerad Daniel Barisitsch Karsoff, zweiundsechzig Monate hindurch. Das Grundwasser plätscherte melodisch zu ihm herein, durch den Fußboden hindurch; es kitzelte ihn schelmisch an den Waden auf und nieder, sobald er seine Schlafpritsche verließ. Die Zähne marschierten ihm nach und nach alle wie ein Mann aus dem Zahnfleisch heraus, das heißt: sie verdunsteten peu à peu infolge von Schimmel, Gestank und Kloake; sie verschwanden allmählich, ja das taten sie – und hinterließen nur eine grünliche Geschwulst rund herum im Munde. Er hörte übrigens während dieser kurzen Zeit nicht eine menschliche Stimme – Tag und Nacht dahingegen auf das lieblichste konversiert von Ratten, Läusen und Verwesung ... und als er dann herauskam, durch irgendeinen Zufall, dessen ich mich nicht mehr entsinne, da hätten Sie sein Gesicht sehen sollen, als er plötzlich merkte, daß er sich nicht einmal mehr auf das Sprechen besinnen konnte! Er spürte obendrein selbst, ununterbrochen, die bläuliche Pest, die aus seinem mürben Maul herausquoll – er erbrach sich täglich jedesmal, wenn er gegessen hatte, so voll war er inwendig von dem Dunst seiner eigenen Exkremente, die monatelang hintereinander das Zimmer mit ihm geteilt hatten, in einem Eimer ohne Deckel! Jawohl, ohne Spur von Fleisch auf den Wangen, und die Haut aufgedunsen und koloriert, wie es sich für den Schauplatz einer jahrelangen, jede Stunde des Tages und der Nacht aufgefrischten Prügelei zwischen Hunger, Entbehrung und Geisteskrankheit geziemt! Seine Augen speichelten betrüblich und gelblich da oben unter den fetten Wunden, die Lider vorstellten – freilich, sie flennten, weiß Gott, Eiter, sobald sie nur dem Tageslicht begegneten ... É-é-é, ach Daniel Karsoff, éhé, tsé, ksss! Kkkk! Jawohl! So sah ich dich einmal, vor vielen Jahren, daheim in Sankt Petersburg, und ich vergesse dich nie wieder, weiß Gott; und genau ebenso sehe ich jetzt also selber aus, ich bemerke es ja hier im Spiegel, wie, nicht wahr, ja gewiß! ... Oder nein, noch besser, jetzt entdecke ich erst das Ganze, jetzt sehe ich auf einmal die wahre Ähnlichkeit: ich gleiche ja Zweß! Ja, sicher! So sah Zweß aus, als sie ihn damals von der Stange heruntergezogen hatten, jawohl: der Mund saß ihm unten unterm Kinn, von einem einzigen Heulen. Die Augen vor Blut, Schmerz und Tod geplatzt. Die Nase kreideweiß und kurz – von dem, was ihm vergönnt gewesen war, in dem einen Bruchteil eines Augenblickes zu fühlen, ehe das Leben ihn zischend verließ, ach ja, ja, ja, kéhé! Ja, ich danke! Wie beliebt? Jawohl! Kkk! Kä! S-s-se-sehr gut, tsé, wie! Llffff! Ach so ... und was würde wohl Eudoxia sagen, wenn sie mi' jetz' säh' ...

Luschinskij nahm abermals einen unfreiwilligen Platz auf seinem Sofa ein, ließ seinen Spiegel aus den Fingern gleiten, barg sein verdorbenes Gesicht in den Kopfkissen. Seine Lungen klemmten ihm das Herz dünn in der Brust. Alles in ihm ward zu Wasser und Jammer mit einem Hicksen, sein Gesicht wurde in einem Augenblick klatschnaß, und er schluchzte wild:

Ja, so wie Zweß und Daniel Karsoff, die Ärmsten, die Elenden, die Gemordeten!

Ach, hil-hil-hilf mir, mein Gott!

Ach, Eudoxi-hoxia!

Ah, hah-hah! ...

Er streckte die Beine lang vor sich hin, fühlte einen Moment, wie seine Fußspitzen gekrümmt den Fußboden scharrten; rief sich – ohne selbst zu wissen weshalb – abermals die Gesichter das Heizers und des Schulkameraden in das Gedächtnis zurück, damit sie seinem Busen zu einem erlösenden Weinen verhelfen sollten, und dann schmolz alles von ihm weg, es legte sich; er löste sich auf, verschwand, glitt leise dahin, ward zu Nebel ...

Und Traum ...

Und Vergessen ...

Aber dann ward er schließlich aufgeschreckt, indem er hastige Schritte vor seiner Kammer vernahm.

Er schnellte vom Diwan in die Höhe, versuchte seinen Atem endlich in Ordnung zu bringen, scheuerte mit beiden Händen schnell über sein Gesicht hin, starrte verwirrt auf den Türgriff, fühlte seine Augen geschwollen und schwammig – und wartete hicksend, was geschehen würde.

Und dann wurde die Tür aufgeballert.

Premierleutnant Simoff schwankte herein, kreideweiß – mit Armen und Beinen schlingernd.

Blitzschnell sah er sich in dem Raum um, schob die Tür hinter sich zu, machte mit beiden Händen Zeichen des Schweigens, und glitt lautlos auf das Sofa nieder, an Luschinskijs Seite:

»Hören Sie, hören Sie nur, hören Sie mal her, liebster Peter Romanowitsch!« stammelte er, den rechten Ellbogen auf die Schulter des Kameraden legend, in den Knien hüpfend, mit der linken Hand ausschlagend, lachend, mit verstörten Augen. »Gott sei Dank, nicht wahr, daß Sie sich wieder aufgerappelt haben. Ich bin im Lazarett gewesen. Eben jetzt. Sie waren nicht da! Gut, daß ich Sie hier endlich finde! Hören Sie: ich komme, um Ihnen ... um Ihnen auf Wiedersehen zu sagen! Verstehen Sie: Sie und ich, wir sind immer gute Freunde gewesen. Und darum komme ich hierher, offen gestanden, um Ihnen auf Wiedersehen zuzurufen. Liebster Romanowitsch, ja, hören Sie: ich finde mich hier ein, um Abschied von Ihnen zu nehmen! Um Ihnen Lebewohl zu sagen – verstehen Sie, Sie sind der einzige, dem ich es erzählen will! Ich war jetzt eben unten im Lazarett: Sie waren nicht da! Gott sei Dank, daß ich Sie endlich hier finde!

Ja, ja, hahaha, ach Gott, Herr Luschinskij, ich komme ganz einfach, um Sie zum Abschied zu umarmen, denn ich ... ich kann es, hol' mich der Teufel, nicht mehr aushalten! Hören Sie, was ich Ihnen zu erzählen habe: Seit sechs Wochen haben die Schlingel vergessen, meine Briefe abzusenden, an meine Braut! Verstehen Sie mich: ich habe es erst gestern entdeckt, ganz zufällig: ich war unten bei Gregorow, in irgendeiner idiotischen Veranlassung, und da liegt dort ein ganzer Haufen Briefe in einer Ecke des Ordonnanzzimmers hingeworfen, und ich kenne doch meine eigene, liebliche Klaue, sollt' ich meinen, und da schreie ich denn natürlich! Der Teufel soll mich frikassieren, was ist das für eine Schweinerei, Ihr Schurken – brülle ich dem Kerl von Schreiber gerade ins Ohr! Hol' mich der Satan, ich gab ihm einen Fußtritt gerade vor den Arsch, verstehen Sie, té-té ... llffff ... Verstehen Sie, ja, seit sechs Wochen nicht ein einziges Wort an Andruschka abgesandt, und dann begreifen Sie vielleicht, wie es seither um mich bestellt gewesen ist! Ach Gott, Sie können mir glauben ... ich will Ihnen sagen, wochenlang bin ich hier herumgegangen und hab' mir den Kopf aus dem Leibe herausspekuliert, um auszurechnen, was es doch nur einmal sein konnte mit Andruschka in ihren Briefen in der letzten Zeit! Begreifen Sie: denn nicht ein einziges Mal hat sie es übers Herz gebracht, sich zu beklagen! Sie erzählt mir nur ... Hören Sie hier – ich glaube, ich habe ihren letzten Brief zufällig bei mir in der Tasche, hahaha, ich habe nur vergessen, ihn wegzulegen, nicht wahr ... hören Sie einmal, ein ganz kleines Stück dürfen Sie wohl hören, Gott sei Dank, daß ich Sie getroffen habe; es ist mitten aus dem Brief heraus, aber Sie können den Zusammenhang doch wohl verstehen: ›Liebster Alexej Porphiriewitsch,‹ schreibt sie – beachten Sie das: › liebster Alexej Porphiriewitsch‹: und dabei hat sie doch seit anderthalb Monaten nicht einen einzigen Muck von mir bekommen: › ... ja, liebster Alexej Porphiriewitsch, mein einziger Freund, und daher sind für Mutter und mich ja Deine Briefe das Schönste von allem in der Welt. Du weißt nicht, wie wir glücklich sind, wenn der Postbote damit kommt, und Du ahnst nicht, wie viele Male ich sie alle zusammen lese. Jeden Abend liege ich hier und lese alles, was Du mir geschrieben hast, namentlich alle die vielen, die ich bis zu Monat Januar erhielt‹ (hören Sie es, Peter Romanowitsch, verstehen Sie, wie liebevoll sie ihre Angst und Sorge verbirgt, um mich nicht betrübt zu machen: ›die vielen Briefe bis zum Januar‹ – aber nicht ein Wort, daß sie seit dieser Zeit nicht einen einzigen bekommen hat, ach Gott, hören Sie jetzt hier, hören Sie jetzt weiter) ... in den letzten Wochen haben wir ja auch eine Menge anderer kennen gelernt, Offiziersfrauen, Bräute und Mütter, und das freut uns natürlich sehr. Jetzt kennen wir einander ja allmählich alle, denn wir kommen jeden Tag auf die Post, um zu hören, ob etwa heute etwas für uns da sein sollte; zuweilen reden wir auch ein wenig miteinander, und dann sagen wir ja immer alle zusammen: daß wir es so gut verstehen können, daß es für Euch schwer sein muß, Zeit zum Schreiben zu finden. Aber in der Regel sprechen wir übrigens nicht sehr viel – namentlich diejenigen nicht, die nur selten Briefe bekommen ... ach, Alexej, Du weißt nicht, wie sie alle diejenigen anstarren, die oft Briefe bekommen ...‹ ... hören Sie, bei Christi Tod, Sie wissen nicht, Sie wissen nicht, Sie wissen nicht, wie es inwendig in mir aussieht, diese Schlingel, die vergessen haben, meine Briefe abzusenden. Ach, Peter Romanowitsch: bedenken Sie nur, daß ich ihr geschworen habe, daß ich sie liebe, nicht wahr, ich habe so viele Male vor ihr auf den Knie gelegen, das Kinn auf ihren Beinen, und habe geflüstert und gelacht und sie geküßt und gesagt, es gäbe keine einzige in der Welt außer ihr, und nie und niemals würde ich sie auch nur eine Stunde vergessen können ...

Ach Gott, kennen Sie wohl jemand, der dies aushalten könnte, dies alles?

Ich sage Ihnen ... ja, Tod und Teufel, was schert es mich, Offizier zu sein, wenn sie nicht mal mein Gekritzel an Andruschka weiterbesorgen können! Ach was, Unsinn! ... Ich weiß recht gut, daß es feige von mir ist – vielleicht, nein, das heißt, ich weiß es gar nicht; ich glaube es gar nicht: Aber das eine weiß ich: ich kann es nicht aushalten. Und es ist auch eine ausgestunkene Lüge, daß sie das Recht haben, uns zu Schlächtern zu machen! Jawohl! Sie können Gift darauf nehmen, Peter Romanowitsch, ich durchschaue, weiß Gott, das Ganze, von einem Ende zum anderen, hol' mich der Teufel: gerade darum nennen sie uns Hochwohlgeboren und hängen uns Gold auf die Schultern und Putz und Orden und Prahlerei: bloß, weil sie uns als Meuchelmörder und Schurken und Schlingel für ihre eigenen Zwecke gebrauchen wollen! Jawohl! Haha! Nicht wahr? Hab' ich nicht recht? ...

Hören Sie, hören Sie jetzt einmal, Sie sind der einzige, dem ich das alles erzählen will, Sie und ich, wir sind immer Freunde und Kameraden gewesen: verstehen Sie, gestern abend war da ein Kadett – Sie kennen ihn gut: Andreas Stern, der mit dem gelben Haar und dem Mädchengesicht: nicht wahr – der und drei verrückte, dammelige Matrosen, die sind gestern abend desertiert; im Laufe der Nacht sind sie ausgerissen; sie konnten es nicht aushalten, die Laute des Landes zu hören, das da drinnen wächst, wie, und dann flohen sie, verstanden ... aber eben, vor einer Stunde, bekommen wir ein Telegramm aus Tananabozuke, daß sie sie da gekriegt haben, alle vier, auf der französischen Militärstation, nicht wahr, Sie begreifen doch? Und da schickt der Chef zu mir – hol' mich der Kuckuck, ist das nicht geradezu ein Fingerzeig von Gott: und sagt, er beabsichtige, mich sofort hinzuschicken, um sie zurückzuholen, diese Burschen! Verstehen Sie mich jetzt: aber ich komme nie wieder zurück! Ein Rindvieh, wenn ich das täte! Bei Gott im Himmel, Peter Romanowitsch, sagen Sie nur, daß ich feige bin. Zum Teufel auch, was schert mich die Meinung anderer Leute, wenn es sich darum handelt, zu Andruschka zu kommen!

Sie ahnen nicht, was es für mich sagen will, daß sie nun daheim umhergeht, hören Sie, meine kleine Taube, mein Mädchen geht daheim umher, kreideweiß im Gesicht geht sie auf die Post und stirbt vor Tapferkeit, weil sie es nicht übers Herz bringen kann, mir die Haut vollzuschelten! Peter Romanowitsch, vielleicht ist es verkehrt, daß ich es sage, aber ich will es Ihnen doch erzählen: erst jetzt, auf der Fahrt, nachdem ich ein paar Monate von ihr getrennt war, erst jetzt entdecke ich, daß Andruschka und ich nie in einem Verhältnis zueinander gestanden haben! Hören Sie! Wir lieben uns nur ... ich habe niemals andere Frauen gekannt, denn wir sind ja, seit wir Kinder waren, zusammen gewesen – wir sind ja zusammengebrachte Kinder, das wissen Sie ja schon. Mein ganzes Leben lang habe ich gewußt, daß ich Andruschka liebte, und es ist immer so wunderbar zwischen uns gewesen, ich kann es nur nicht erklären, wissen Sie: Wenn wir zusammen spazieren gingen, hatte ich ihre geballte Hand in der meinen, der Nagel an ihrem Daumen bewegte sich so wunderbar da drinnen; sie saß immer neben mir, wenn wir aßen, jeden Abend spielte sie mir vor und sang, so daß es war, als ob mein Herz sich vor Wonne aufrichtete und dastand und die Melodie unhörbar mitflötete, nicht wahr? Und wir haben oft Stunde für Stunde draußen auf dem breiten, steinernen Balkon vor dem Hause gestanden, in den blanken Winternächten, die durchsichtig sind wie schwarzes Eis, und haben hinausgeschaut nach der sternenblinkenden Dunkelheit des großen Himmels, oder über den Schnee, der hellblau im Mondschein wurde – und haben einander ohne Aufenthalt geküßt: es ist immer, als ob ihre Lippen plötzlich anfangen, so unsagbar zu duften, wenn der Nachtwind ihren Mund streift! Ach Gott, wenn daheim bei unseren Eltern Besuch war, und wir einen ganzen Tag hindurch weder miteinander reden noch unsere Hände berühren konnten, so hatten wir hundert Methoden, uns zu erzählen, wie sehr wir uns sehnten: sowohl wenn wir plauderten, als wenn wir tranken und wenn wir lachten! Hören Sie: oh, Andruschkas Lachen! Sie lacht so gern, ihr Lachen ist so wunderbar; wenn sie lacht, klingt es ganz wie Schlittenschellen weit weg! Ihr Lachen ist weiß und tief, sie pflegt den Kopf in den Nacken zu werfen, und dann kann man das Lachen schwellend durch ihre Kehle rinnen sehen ... wir sind immer und ewig so glücklich gewesen, alle beide ... und binnen ganz kurzer Zeit hätten wir Hochzeit feiern sollen, aber erst jetzt habe ich das alles entdeckt.

Ach Gott, aber nun fliehe ich. Das ist mein Plan – denn ich habe ein klein wenig dänisch gelernt, einmal, in Kopenhagen und Fredensborg – und dann fliehe ich hinunter zu den norwegischen Missionaren, eine halbe Meile südlich von Tananabozuke, und ich komme nie wieder hier auf das Schiff zurück ...

Hören Sie, Peter Romanowitsch, ich weiß es sehr gut, und ich schwöre es Ihnen: ich habe das Recht, nach Hause, zu ihr, zu gehen ...

Nicht wahr, wenn man in seinem ganzen Leben nur eine einzige Frau geliebt hat! ...

Und bedenken Sie, daß wir nie in einem Verhältnis zueinander gestanden haben – vielleicht ist es wahr, was man überall hört, daß wir bis jetzt also noch gar nicht wirklich wissen, welch eine Wonne es ist, sich zu lieben! Vielleicht ist es richtig, was Starck mir einmal sagte, neulich: daß etwas Sonderbares und Geheimnisvolles in unserem Wesen liegt, das erst bei der Umarmung ersteht! Daß es gleichsam ein ganz bestimmter, unsichtbarer Engel ist, der erst zum Leben erwacht, wenn zwei Liebende einander zum erstenmal umfangen – und dann kann er nie mehr sterben! Er sagt, daß seine Schwingen aus ihrer weißen Haut geboren werden, die die Dunkelheit noch leuchtender macht, und die die Hitze der Wollust erbleichen läßt! Sein Blut entsteht aus ihrem Erröten und ihrer Scham! Seine Augen aus der brennenden Wonne, die sie beide empfinden – seine Stimme aus allen ihren geflüsterten Seufzern! Er sagt, daß dieser stumme und sanfte Dämon auch am Tage, selbst wenn die beiden Liebenden weit voneinander entfernt sind, uns hoch emporzuheben vermag über jeden Mißmut, jeden Kummer! Er macht auch unsere Angst zu etwas Wunderbarem, unseren Schmerz macht er tiefer und mehr süß, unsere Unruhe und unser Sehnen werden gleichsam zu einer durchsichtigen, sammetweichen Nacht voll Schnee und Mondlicht und Duft von meilenfernen, berauschenden Blumen! Und selbst wenn unsere Lippen einmal hinwelken und erfrieren, so wird ihre Kälte doch noch immer klar und hoch und rein verbleiben wie in unseren jungen Tagen – und ihre Küsse beständig ein holdseliger Trank, der alle Sehnsucht labt! Mein Gott, und nun finde ich auch selbst, daß ich plötzlich ganz bestimmt merken kann, daß er recht hat! Hören Sie! Ja, jetzt weiß ich, daß es alles wahr ist! Ich kann inwendig in mir fühlen, daß ich dazu gelangen werde, das alles mit Andruschka zu durchleben! Ich will nach Hause!

Peter Romanowitsch, leben Sie wohl, ich will heim zu Andruschka!

Ich will heim und unser Leben leben!

Ich will nach Hause!

Leben Sie wohl! ...« – und Simoff warf sich bei diesen Worten Luschinskij um den Hals, preßte ihn einen Augenblick an sich, versengte ihm die rechte Schläfe mit dem Wasser seiner Augen, küßte ihn auf die Wange und war eine Sekunde später zum Zimmer hinausgaloppiert.

Peter Romanowitsch erhob sich, bebend, mit ausgestreckten Händen, wild, und wollte ihm nach:

»Ich will auch nach Hause! Ich will mit!

Ich will mit dir gehen ...

Warte, nimm mich mit ... ich will fort von hier ... ich will nach Hause, zu Eudoxia, nach Rußland!

Nach Hause!

Ich wi' auch na' Hau'!«

Aber dann gab er es ebenso plötzlich auf, ließ sich wieder in das Sofa zurücksinken ... und im selben Augenblick kam ihm der Gedanke, daß er hier, mit anderen Worten, abermals eine Gelegenheit versäumt habe! Gewiß! Hatte Simoff den Einfall haben können, auszureißen – so hätte er ihn doch auch wohl selbst haben können, ach, wie sich alles zusammengewoben hatte, ihn zu ärgern, nicht wahr?!

Aber dann fiel ihm ein, daß es, verdammt und verflucht, an und für sich vielleicht sehr gut war, daß er an Bord blieb, wer konnte wissen, was dies Desertieren im Gefolge haben mochte, wie? Möglicherweise saß Alexej Porphiriewitsch morgen schon im Loch und Eisen, und dann war an uns die Reihe, sich die Hände kolossal zu reiben und mit allen zehn Fingern über ihn zu lächeln, gelinde gesprochen, wie? Ach ja, denn niemand kennt, hol' mich der Teufel, das Schicksal und dessen schiefe Absichten, nein, nicht im geringsten!

Freilich: im tiefsten Innersten wünschte man Simoff ja natürlich das allerbeste – schon allein um dieser lachlustigen Andruschka willen, selbstredend, aber ...

Ja, ja ... vielleicht hatte diese Dame auch Eudoxias Bekanntschaft gemacht, dort auf diesem Postamt, wovon Alexej faselte: Großer Gott, Eudoxia, die Ärmste, mit ihren weißen Tulpen von Brüsten, wie niederträchtig schweinemäßig war es doch, daß man ihr in den letzten sieben – acht – zehn – zwanzig Wochen nicht ein einziges Mal geschrieben hatte! Ja, weiß Gott, pfui Kuckuck, wie abscheulich ... obgleich, auf der anderen Seite: was in aller Welt sollte man denn auch niederkritzeln, wo doch nur um einen herum nichts war als Bosheit, Gekläffe, Teufelei, wie? ...

Und um einer Fortsetzung dieser mißliebigen Gedanken zu entgehen – wie auch um oben vom Deck herab Herrn Simoff, dem jungfräulichen Bräutigam, noch ein letztes Lebewohl und glückliche Reise zuzuwinken – machte Luschinskij endlich Ernst daraus.

Er quetschte die Mütze fest auf seinen Schädel, steckte sein Zigarettenetui in die Tasche, spie auf seine beiden Zeigefinger, putzte seine Augen gründlich mit dieser heilenden Medizin, und wanderte dann – freilich ein wenig schwer und müde, mit filzigem Rückgrat – in seiner weißen Uniform die eisenbeschlagenen Mahagonistufen hinauf, um es sich auf der Kommandobrücke unter dem Sonnensegel dort in Ruhe bequem zu machen, und auf diese Weise zu versuchen, sich von allen diesen höchst enervierenden Erscheinungen jeglicher Art unter Deck, zu befreien.

Gleich, als er da hinauf gekommen war, bemerkte er, daß die Yolle schon klar dalag, äußerlich blank und braun, inwendig aber weiß und blank: jawohl, aber im übrigen war da, weiß Gott, keine Spur von dem ebenso sonnengebräunten und ebenso weiß beseelten Monsieur Alexej Porphiriewitsch zu entdecken, und also konnte man den Augenblick passenderweise dazu verwenden, sich ein wenig umzusehen in diesen Umgebungen, die einem jetzt wenigstens für eine Woche als Wohnsitz dienen sollten, wie beliebt, Gott sei gedankt dafür – vielleicht! ...

Also lehnte er beide Ellbogen auf das rundstangige Geländer, kniff das linke Auge zusammen, um es gegen den Tabaksqualm zu schützen, der aus dem entsprechenden Mundwinkel sickerte, stellte den linken Fuß auf die rechte Seite des rechten hinüber, sank gemächlich in die Hüften nieder, und entsandte darauf den Blick zwinkernd nach achtern hinaus: quer über die graue Kuppeldecke des Panzerturms, über das niedrige Achterdeck mit hellbraunen Skylights und Sonnengeglitzer auf den Fensterscheiben, vorbei an der kleinen Flaggenstange, die da stand und sehnsuchtsvoll in die Luft hinaufragte, und über das liebe, blaue Wasser hinaus. Ein kleiner Windhauch veranlaßte ein paar Haare in seinen Schläfen ihn in den Ohren zu kitzeln. Tief unten im Schiff ramenterten die Maschinenschmiede.

Gerade hinter dem Fahrzeug, in weiter Ferne, sah man die schmale Einfahrt zwischen den Felseninseln: der Himmel hing wie eine hellviolette Portiere davor herunter: ach ja, wenn man doch gleich diese seidene Decke zurückziehen, frei hinaustreten, die Mütze in den Nacken schieben und mit einem erleichterten Seufzer den Aufenthalt hier unten als eine eben beendigte Vergnügungsreise betrachten könnte, um spornstreichs die Nase heimwärts zu wenden, wie! Heimwärts zu Eudoxia, dem weißen und brennenden Kinde – um mit körperlichen Zärtlichkeiten das häßliche Unrecht wieder gutzumachen, das man begangen hatte, indem man ihr keine Briefe zugestellt hatte! Na, hol' mich der Teufel, ach Gott, aber das hat ja noch lange Aussichten ...

Und dies letzte Wort schaffte Luschinskij sogleich einen plausiblen Grund, aufs neue seine Augen anderwärts hinzurichten.

Er drehte den Kopf nach rechts, dem Lande zu, in Backbordrichtung. Seine Blicke glitten ziemlich ungeniert über ein Stück glatter See mit Sonne hin. Drei Piroguen lagen wie Spinnen auf dem Spiegel und ließen sich treiben; ein paar Neger wanden sich glänzend darin – gleich kleinen, schwarzen Wachswürmern. Es war ihm fast, als könne er ihren Duft ganz bis hier hinauf spüren: nach Seifenschaum und Hyänenfett, pfui, wie war es doch gleich: rochen die Frauenzimmer doch nicht etwas weniger gewürzig? – Eine Negermaid stand auf alle Fälle draußen auf der Spitze der Anlegebrücke, die mit ihren grauen Pfählen breitspurig von dem Ufer hinausschritt. Sie war vom Nacken bis zu den Fersen in einen dunkelbraun-gelbgrüngestreiften Mantel ohne eine einzige Falte gehüllt: kurz, eine auf das Hinterteil gestellte Wespe. An dem knallweißen Strand wälzten sich schreiend einige kohlschwarze Kinder. Landeinwärts zog sich ein unendlich langes, ehemals weißes Gitter hin; dahinter lag eine Gruppe Palmen – wie Farrenkräuter auf Stielen ... und dort, gerade unter dem gefranzten Zipfel des Sonnensegels, mitten in einem schmutzigen Haufen verfallener Baracken, dort entdeckte er ja das spitze, rotbraune Hüttendach der Fuselfrau, Madame Mura-o-a. Es erinnerte einen, Gott sei's geklagt, in unkeuscher Weise an eine stehende Brustwarze, ké, so was Unanständiges, was, ach Jesus, ja, diese Weibsleute, man denke doch nur, wie Andruschka, obwohl sie es nicht übers Herz bringen konnte, auf Simoff zu schelten, und obwohl sie niemals diese betörende Metamorphose, die man Umfangen nennt, gekostet hatte, dennoch vermocht hatte, Alexej ganz wild und kullerig zu machen, nicht wahr – wann er wohl kam?

Luschinskij machte Kehrt, schielte wieder nach dem Boot hinunter, konstatierte zum zweitenmal, daß sich der Bursche noch nicht gezeigt hatte – und setzte darauf seine topographischen Beobachtungen fort.

In einem Viertelkreis rund um das Schiff herum, in einer Entfernung von tausend Schritten, lag, mit anderen Worten, Diego selbst mit seinen weißgetünchten Häusern und Schuppen, oben auf seinem gelben Hügel. Aufwärts aus der Sandgrube hier am Vorstrande ragten die zwei blanken Schienen der Décauville lotrecht am Abhang in die Höhe gleich zwei Feuerstangen, in den versilberten Palisanderbäumen endend, die die ganze Stadt umgaben. Der Himmel wogte, fern dahinter. Die Sonne blendete. Man konnte übrigens die Menschen da drinnen sehr gut unterscheiden: drei, nein, vier Kreolenweibchen schwammen in diesem Augenblick langsam auf der Schattenseite der Rue-so-und-so umher; sie sahen aus wie große und flatterhafte Blüten in zwei Etagen, weiß Gott: oben die ungeheuren Hüte mit zitronengelben Bändern und darunter die marineblaue oder blutrote Lamba. Die kleinen Schweine, ké, wie man sagte, waren sie ewig bereit, sich auf den Rücken zu werfen, mit einem verzerrten Mannsgesicht über ihren Augen, zur Hölle mit ihnen, diese eifersüchtigen, durch und durch verdorbenen Viecher – wenn man eine Andruschka oder Eudoxia da drüben hat, voll von Rußland, Weiße und Heimat – wie Simoff einmal sehr richtig gesagt hatte, wie!

Na!

Und ein wenig weiter zurück nach rechts und links, an den Enden des Halbkreises, lagen ergo die französischen Küstenwerke, ehern, zu unvergeßlichem Andenken an die Faschoda-Affäre, aus der kein Sterblicher klug werden konnte. Beständig sah man dort Reihen von winzig kleinen Leuten, drinnen in den Forts herumkrabbeln: sie standen schräge gegen den Himmel vor einer Schubkarre, oder sie wanderten langsam mit einem Spaten über den Schultern dahin; der blanke Stahl der Gerätschaften blitzte in der Sonne so wonnevoll ... ach, du Geliebte, wer nur eine kleine Versetzung erlangen könnte, wie beliebt, so daß man sie gemeinsam mit Eudoxia absitzen konnte, da drüben, zwischen den braven, mörderlich dicken Landkanonen, statt sich auf das heimtückische Blau verlassen zu müssen und mutterseelenallein zu sein ...

Unten zu Luschinskijs Füßen, endlich, trieben sich ein Dutzend Matrosen auf dem Deck herum; sie sollten die Planken waschen.

Sie lagen in ihren unbestimmbaren Drellhosen auf den Knien und rakten langsamerweise um sich herum mit den Schwabbern – die, gelinde gesprochen, einer dreckigen Ausgabe von Eudoxias hellhaarigen Mädchenzöpfen glichen. Bootsmann Borstuscheff lehnte sich schlingernd gegen einen eisernen Pfeiler; man sah ihm gerade in das Käppchen hinunter; sein gelber Kinnbart sah aus, als gehöre er mit zum Mützenschirm:

»Bitte recht sehr, 94, ein wenig alert!« sagte er, dem Gnom, der ihm zunächst lag, mit einem Knall gegen den Hintern tretend – »oder hast du am Ende schon das rote Roastbeef vergessen, daß ich den Posaunenbacken in deinen Hosen gestern servierte, wie?«

Und dann schmierte der Mann weiter mit seinem Mauerstein, so daß das dreckige Wasser von den funkelnagelweißen Beinkleidern des Unteroffiziers abspritzte, kä – du Platschteufel!

Von ganz unten her, von den Kasematten herauf, bammelten schon die Hammerschläge von der Reparatur.

GONG-gong, sagten sie, hol' sie der Teufel, sie bimmelten einem in den Ohren, bis man die fixe Idee bekam, daß man an einem höllendonnernden Kopfschmerz litt ...

Peter Romanowitsch watschelte nach dem anderen Ende der Kommandobrücke und warf seinen Zigarettenstummel in die Höhe – so daß er oben auf das Sonnensegel fiel, und ihm dadurch das kurze Vergnügen verschaffte, seinen Schatten, der als kleiner, dunkler Strich auf der hellgrauen Leinwand lag, betrachten zu können.

Aber er war doch ein wenig von dem Mißmut von vorhin ergriffen – mochte nun die Ursache in dem nach dem Lande Hinübersehen im allgemeinen zu suchen sein, oder weil speziell Frau Mura-o-as lasterhaftes Haus einen ununterbrochen an Dinge, Personen und Handlungen erinnerte, die zu vergessen zurzeit ungleich besser war ... oder endlich, möglicherweise, weil Alexej Porphyriewitsch so lange auf sich warten ließ, hol' mich der Teufel, dieser Deserteur, konnte er sich denn jetzt nicht ein wenig tummeln ...

Also eilte Luschinskij abermals an seinen früheren Platz zurück, von wo aus er die Yolle beobachten konnte – und entdeckte dann, daß Simoff, Uschoff und die Leute, weiß Gott, schon drunten Platz genommen hatten; jetzt stießen sie ab, und holten mit den weißgelben Rudern aus. Die sechs blanken und nassen Flächen gingen auf und nieder. Wenn sie aus dem Wasser heraus waren, verwandelten sie das ganze Boot auf einmal in eine golddurchwirkte Libelle in der Sonne.

Peter Romanowitsch fühlte plötzlich, wie sein Herz sich bewegte; es drehte sich ihm schwer im Halse herauf, und klemmte ihm die Augen naß: lebe wohl, lebe wohl, ach, Simoff, mein Freund, jetzt segelst du von dannen, kreideweiß vor Spannung und Sehnsucht! Gott gebe, daß dir dein Weg gelingen möge! Kehre heim, beeile dich: kehre heim zu deinen Geliebten, zu Andruschka und zu Rußland ...

Ja, reise heim, aber vergiß nicht deinen Bruder, Peter Romanowitsch, der allein zurückbleibt!

Ach Gott, mein Leben rinnt rettungslos dahin!

Eudox ...

Er wandte sich um, infolge irgendeines strauchelnden Geräusches unter ihm, raffte sich auf, ließ das Geländer schleunig los, und wollte nicht mehr hier sein, wollte seine Wege gehen, fort von hier – da aber hörte er Fußtritte, die hinaufkamen auf eben der Leiter zu der Brücke, auf der er hinab wollte.

Er schnob schnell einmal auf, holte sein Zigarettenetui aus der hinteren Tasche, pfiff falsch vor sich hin und ging dann, so schnell es sich mit der Situation vereinigen ließ, an der zertrümmerten Scheinwerferstange vorüber, die den Kopf hängen ließ, die Treppe auf der entgegengesetzten Seite hinunter: hol' mich der Teufel, so ein Pech – dachte er, während er nach links abbog, vorbei an den beiden 15,2-Zentimetern, und fing an, die sechs Stufen hinabzuwaten, die auf Deck niederführten; beständig den Schritt des anderen hinter sich drein, weswegen er weiter eilte, um in seiner persönlichen Kammer Zuflucht zu suchen: man hatte doch geglaubt, daß man sich da oben zu dieser Zeit des Tages in Ruhe und Frieden würde aufhalten können! Wer konnte nur einmal so frech und so roh sein, hinzukommen und einen Mann zu stören, der da steht, und heimlich Glück und Erfolg auf einen reisenden Freund und Kollegus herabfleht!?

Luschinskij wollte es jedoch nicht riskieren, den Kopf umzuwenden, um zu sehen, wer der Verbrecher war. Die Fußschritte waren ihm obendrein ziemlich nahe gekommen – und er riß deswegen seine Tür mit einem Ruck auf, schlüpfte hinein und wollte sie im Handumdrehen hinter sich schließen.

Aber es war bereits zu spät, offenbar.

»Guten Morgen, lieber Peter Romanowitsch!« sagte nämlich im selben Augenblick eine Stimme, dicht an der Türspalte, und die war Praxins.

Luschinskij steckte ganz im privaten die Zunge aus – nur in seine eigene Backe hinein, also, denn sonst hätte man es ja sehen können – öffnete aber dennoch die Tür ganz und nickte:

»Jawohl! Herein! Guten Morgen! Ei, ei!« erwiderte er, indem er sich flott gegen seinen Tisch lehnte, die Zigarette zwischen den Lippen, den Kopf auf der Seite, beide Hände in den Taschen, mit den Augen zwinkernd – plötzlich mit einer unklaren Erinnerung an all das, was er vorhin über das Aussehen seiner Kameraden gedacht hatte: Huh! auch Praxin sah nicht allzugut aus, pfui, aber eigentlich erschrecken konnte man nicht mehr über dergleichen, wie: »Na, Sie waren es also, der mich da oben störte. In meinem Winken. Ich hatte mich, weiß Gott, fest darauf verlassen, daß ihr anderen noch nicht mit dem Frühstück da unten fertig wäret!

Freilich, ich stand da und winkte Alexej Porphyriewitsch, meinem Freund, zum Abschied zu!« wiederholte Luschinskij, sich im stillen über diese ablenkende Schlauheit à propos Simoffs Reise ergötzend; gleichzeitig war er indessen auch selbst stark gerührt über diesen Beweis kameradschaftlicher Gesinnung, und konnte sich deswegen nicht enthalten, die Sache noch ein wenig mehr breit zu treten:

»Haben Sie ihm etwa Adieu gesagt? Ich bezweifle es, und lese jetzt obendrein ein Nein in Ihrem interessanten Gesicht – Sie sollten überhaupt nur wissen, was ich beobachtet habe, in bezug auf unsere gegenseitigen Fratzen, ké, pfui Kuckuck! Na, beschäftigen wir uns nicht weiter damit!

Sie haben mich hier aufgesucht, lieber Freund, und weshalb?

Wohin soll Simoff eigentlich?

Er kam herunter ... ich sprach zwei Worte mit ihm in der Batterie, meine ich, vor ganz kurzem, er unterbrach gerade meine ergötzlichen Betrachtungen über Ihr, und mein, und der anderen Aussehen und Äußeres, haha! Aber ich kann nicht recht klug daraus werden, wohin er, zum Teufel auch, fahren soll!

Wollen Sie mir etwa darüber Aufklärung geben?

Wie beliebt?

Kkkk!« Und damit war Luschinskijs Gerührtheit und Erregung verflogen, ebenso schnell, wie sie gekommen waren; er fühlte sich wieder, ohne zu wissen warum, schlaff und verlassen, und ließ sich stumm auf seinen Diwan fallen.

Der Graf antwortete nicht.

Dahingegen trat er plötzlich ein paar Schritte zurück, auf die geschlossene Tür zu – die Brauen hoch in die Stirn hinaufgezogen – und legte das Ohr an die Füllung, als wenn er lauschen wolle, ob jemand in der Nähe sei da draußen.

Ein oder zwei Minuten blieb er dort stehen.

Peter Romanowitsch hatte sich während dieser kleinen Ewigkeit so weit besonnen, daß er so bei kleinem anfing, seine Observationen fortzusetzen; und dadurch wurde er sich gleich völlig klar darüber, daß Praxins Aussehen sich faktisch, seit er ihn zuletzt gesehen, sonderbar verschlechtert hatte: er war länger geworden als früher, oder kam das nur daher, daß sein aristokratisches Gesicht noch ein letztes bißchen Fleisch verloren hatte? ... Da hing übrigens auch ein höchst merkwürdiges und törichtes Lächeln, in einigen Falten um seinen Mund angebracht; das linke Auge hatte sich ein gutes Stück hinabgesenkt, als wenn der Backenknochen da drinnen zu Kleinholz zerschlagen sei, und so einer Senkung der oberen Teile Platz mache. Jawohl, die beiden Sehwerkzeuge des Grafen machten außerdem den Eindruck, als verkröchen sie sich hinter irgendeiner trüben Haut, die nur hin und wieder in die Höhe fuhr und einen roten Blitz herauszuflitzen gestattete; lieblich gewitterschwarz waren übrigens ihre Umgebungen nach unten zu – alles in allem etwas, das einen auf zahlreiche, nächtliche Erlebnisse seltsamer (oder selbstsamer, wie, ké) Art zu deuten schien, nicht wahr? Und seine Hände waren noch unkluger, gelber und abgemagerter, denn je zuvor, bei meiner Seligkeit ... Ja, und wie stellte sich der Mensch jetzt nur einmal an?

Es fiel Peter Romanowitsch ein, daß der Graf vielleicht ganz einfach im Begriff war, einem etwas Ähnliches anzuvertrauen, wie das, was Simoff vor ganz kurzem erzählt hatte: sollte es wirklich möglich sein, den Teufel auch, das fehlte auch noch gerade!

Luschinskij runzelte wütend die Brauen bei diesem Gedanken und richtete sich halbwegs auf.

Aber dann fuhr sich der Graf greinend mit dem Arm in den Rücken, zog sein prahlerisches goldenes Etui hervor, steckte eine Papyros in den schwarzen Bart hinein, wo sie augenblicklich klatschnaß wurde, und forderte Peter Romanowitsch auf, einen Whisky-and-Soda zu spendieren. Und eine Minute später, als sie sich beide einen Pokal von diesem herben Getränk bereitet hatten, machte Praxin eine Bewegung mit der Hand, um anzudeuten, daß Luschinskij auf seinem Stuhl Platz nehmen solle; er selber plumpste auf das Sofa nieder, gerade gegenüber:

»Mon cher ami! Liebstes Kind! Gott segne den Tag, der Sie in dem Maße wiederhergestellt und gesund sieht, Sie sehen aus wie ein Posaunenengel, strotzend, männlich, ich danke meinem geliebten Gott in Ihrem Namen! Und hören Sie nun einmal, ich habe sozusagen einen Ehrenposten, der brillant für Sie passen wird!« sagte der Graf in einem Zuge, indem er noch länger an den Rand des Diwans hinausrückte, so daß sich seine Knie mit denen Luschinskijs vermischten, so nahe saßen sie einander gegenüber. Er hatte seine weiße Uniform an, die seinem schwarzen Schnurrbart immer wie einen Kohlenstreif erscheinen ließ. An seiner linken Wange konnte man sehen, daß er ein paar von den großen Zähnen im Unterkiefer verloren hatte. Peter Romanowitsch mußte seine Augen eine Sekunde schließen; er spürte den siedenden Atem des Grafen wie eine Glut unter seiner Nasenspitze.

»Doktor Nakinskij war es, der mich vor zehn Minuten mit der Nachricht erfreute, daß Sie wieder frisch geworden seien! Sie sehen ja aus wie ein Landjunker, so gesund und stark, gratuliere!« fuhr Praxin fort, sich mit seinen Vogelhänden gegen die hohlen Schläfen klatschend, offenbar, um den Stahlspektakel unten von der Reparatur her zu übertäuben. Luschinskij blieb der Atem kurz vor Erwartung. »Daher suche ich Sie jetzt auf, das Herz voll Freude. Ich habe grenzenlos an Sie gedacht – und für Sie! Sie sind mein einziger Freund – hier auf dieser Welt, auf alle Fälle! Mein irdisches ein und alles. Ich will Ihnen einen Rat geben – in bezug auf den neuen Burschen, den Sie sich jetzt wählen sollen! Iwan können Sie ja leider nicht länger behalten, wie? Glauben Sie mir: ich begreife vollkommen Ihren Kummer über diesen ... unerwarteten Todesfall, wie, nicht wahr, fnsss, mon dieu, je vous admire – voilà tout!

Aber!« und abermals stellte der Graf sein Glas hin, war mit einem Satz an der Tür, ohne einen Laut, und legte sein braunes Ohr an die Füllung. Dann kehrte er ebenso stumm wieder an seinen Platz zurück, lächelte einen Augenblick zu Peter Romanowitsch hinüber, der ihn wirr anstarrte – beugte sich noch mehr vor, und fuhr mit einem Flüstern fort:

»Mon cher! Sagen Sie mir ganz offen:

Entsinnen Sie sich noch jenes Abends einmal, vor einer Jahresmillion, bei einem gewissen idiotischen und nächtlichen Schlittschuhwettlauf die Newa hinauf, hol' mich der Teufel, wozu ich Ihnen eine Einladung verschaffte, um Ihnen eine Freude zu bereiten!?

Eh bien: aber dann erinneren Sie auch vielleicht noch, daß ich, unterwegs, kurz nach Hereinbruch der Stockfinsternis, in der rabenschwarzen Nacht, plötzlich einen ... daß ich auf einmal ... ja, daß ich jählings von einem gewaltsamen Unwohlsein, ich kann sagen, überwältigt wurde: von Übelkeit, Lahmheit, Epilepsie oder Podagra, nennen Sie es, wie Sie wollen! Nicht wahr? Ich sah mich, mit wenigen Worten, gezwungen, auf meine glänzenden Chancen, die Palme zu erringen, zu verzichten. Fluchend sah ich ein, daß ich, verdammt und verflucht, so schnell wie möglich an Land eilen und ärztliche Hilfe suchen müsse ... nun, und dann geschah es, daß ich, während ich mich in der Schwarzheit vorwärts tastete, plötzlich mit einem Fluch leeren Raum unter den Füßen fühlte, und in der nächsten Sekunde stürzte ich kopfüber in eines dieser vermaledeiten Fischlöcher hinein – ich glaubte ja nämlich gar nicht, daß sich auf dem Punkt, bis zu dem ich gelangt war, etwas derartiges befinden könne! Selbstredend! Aber die Tatsache war nur, daß ich, statt das Ufer sicher zu erreichen, in den grauenvollen, wirbelnden Fluß hineinplumpste! Kkkk! Nun ja, ich war schon dem Tode nahe. Nicht wahr? Das eiskalte Wasser schlug mich in einem Nu flach. Nur mit drei Fingern, mit diesen drei Fingern hing ich fest an dem Rande des Eises, an dem Leben ... da kamen Sie vorübergesaust! Sie hörten den scherzenden Fluch, den ich ausstieß, scheinbar in der Form eines witzigen Hilfeschreis; Sie achteten nicht all der persönlichen Unbequemlichkeit, und im selben Augenblick, wo meine Kräfte erschöpft waren, wo ich bereits meinen letzten Halt losgelassen hatte, da waren Sie unter dem Eis, packten mich, zogen mich in Sicherheit, trugen mich an Land, brachten mich in ein Haus ... mein Herr, kurz, eh bien: so ist meine Erinnerung an Ihre und meine Begegnung in jener Nacht!

Nun ja!

Sie hören also, daß ich das Ganze vollauf anerkenne! Laut räume ich ein, ja, behaupte ich: daß Sie mein Leben retteten! Schnick, schnack, wohl tue ich das! Ich gestehe ohne Spur von Scheu oder Scham, daß ich in Ihrer Schuld stehe! Ich lasse Ihnen volle Gerechtigkeit widerfahren! Ich erhebe Ihren Mut zum Himmel! Ich schenke Ihnen meine Bewunderung ganz und komplett, nicht wahr!?

Gut: aber dann habe ich auch das Recht zu verlangen, daß Sie mir gegenüber ebenso offen sind!

Es ist übrigens nur eine Kleinigkeit, um die ich Sie bitten will! Schließlich handelt es sich nur um Ihre militärische Pflicht, die zu erfüllen ich qua älterer Kollege Sie inständig auffordern will! Im Grunde nur ein Ehrenposten, den ich Ihnen anbiete ... ké, meine natürlich: einen Ehren schuldposten, den einzulösen ich Ihnen eine angemessene Gelegenheit geben will!

Aber halten wir uns nicht mit Formalitäten auf! Wenn Sie und ich zusammen reden, so ist das wie unter Geschwistern, zwischen Vater und Sohn!

Also!« und damit legte Praxin los, und entwickelte – schwindelnd verwickelt – seine tausenderlei verborgenen Absichten, von einem Ende zum anderen. Er sprach noch schneller als bisher, mit Bergen von Worten, Ozeanen von Gekicher, wehenden Palmenwäldern von Handbewegungen – und unter seinem schwarzen Haar sprangen seine Blicke umher wie Schwärme von Sternschnuppen, Wetterleuchten und roten Protuberanzen.

Luschinskij, der zu Anfang vollständig verloren und verwirrt gewesen war in diesem Weltenraum von Beredsamkeit, gelang es endlich, hier und da ein paar Lichtpunkte zu erhaschen, und so vermochte er denn schließlich, ganz nach und nach, sonderbarerweise, den Sinn des Ganzen zu erfassen.

Na-na, hol' mich der Teufel, wie kühn!

Der Plan des Grafen ging, so weit man ihm also folgen konnte, auf nichts geringeres hinaus, als daß es jetzt Ernst werden sollte! Jetzt war die Zeit gekommen, wo an den Offizieren die Reihe war, sich zu vereinigen, energisch einzugreifen und eine ausgeprägte Meuterei anzustiften – aber selbstredend absolut, ohne daß sich ihre Teilnahme hinterher, wenn man nach Hause gekommen war, nachweisen ließ! Denn sonst wurde ja keine Spur bei dem Ganzen gewonnen, wie? Sonst würden sie ja nur von dieser Gefängnisfahrt in ein anderes Loch gesteckt werden – zum Beispiel in Sibirien oder Sachalin, nicht wahr?

Und die Sache sollte daher auf folgende Weise eingerichtet werden: daß man auf der einen Seite eine desperate Verzweiflung bei der Mannschaft hervorzwang; daß man sie auf eine gewisse verschmitzte und systematische Weise dazu entflammte, endlich ihren dunklen Willen durchzusetzen und wirklich das Schiff nach Hause umzuwenden! Und gleichzeitig sollte man sämtliche Befehlshaber so bearbeiten, daß sie sich den Absichten der Mannschaft weder widersetzen wollten noch konnten!

Ja, so wahr mir Gott helfe, ein gerissener Bursche, dieser Praxin, glänzend war seine Idee!

Ach ja, sehr wohl, ei, ei, so also, jetzt begriff man ja endlich, wo er hinaus wollte: höchst verblüffend übrigens, daß sich der Graf plötzlich so darauf einließ, fast ohne vorsichtige Umschweife zu reden, wie? War er denn betrunken oder verrückt ... oder bedeutete seine Offenheit etwa ganz einfach, daß die Sache faktisch schon so weit gediehen, daß keine Gefahr mehr damit verbunden war, sie unverschleiert zu nennen, wie, lassen Sie uns so schnell wie möglich mehr davon hören und uns dann eine Ansicht bilden, nun ja ...

Ergo gelang es Peter Romanowitsch in einem kurzen Anfall von Energie, alle privaten Gedanken ganz und gänzlich beiseite zu legen, und sich so weit aufzuraffen, daß er ein wenig zusammenhängender lauschte.

»Aber deswegen sehen Sie auch wohl ein –« fuhr Praxin fort, ihn an einem Knopf ziehend, »daß wir alle miteinander einig sein müssen! Ein einziger Verräter oder Nichtteilnehmer kann uns alle ins Verderben stürzen, wenn er nach unserer Rückkehr aus der Schule schwatzt! Wir müssen alle ohne Ausnahme ganz und total einig sein! Alle füreinander einstehen, einer für alle, alle für einen!

Und dies ist nun der Punkt, weswegen ich mich an Sie wende, liebster Freund!

Denn es ist ja leider noch eine kleine Schar hier an Bord, die nicht das geringste von diesem allen begreift! Nämlich ungefähr ein Dutzend von den ganz jungen Leutnants und Kadetten! Verstehen Sie mich: da sind noch ein zehn, zwölf Stück von diesen Milchbärten, denen die Augen auch nicht eine Spur für den wirklichen Zustand der Sache aufgegangen sind: sie stolzieren umher und befinden sich ganz brillant – selbst jetzt, wo alle wir anderen doch sozusagen unsere letzten Kräfte fast erschöpft haben, unter der intensiven Geistesanstrengung, einen Ausweg zu finden, der uns alle erretten kann! Aber diese Grünschnäbel gehen reizend unbeirrt umher und glauben steif und fest, daß, wenn sie diese Fahrt nur als Tanzball und Pläsier betrachten, sie die Affäre sicher ins Reine bringen werden – solche Schlingel und Toren, wie? Solche schlappe Bengels, nicht wahr, ohne Funken von Sinn für den Ernst, den ein redlicher Offizier besitzen muß! Zum Teufel auch: es ist doch in erster Linie eine Wissenschaft, so wie alle anderen, heutzutage Krieger zu sein – hab' ich nicht recht? Ein Ehrenposten ... hätt' ich beinahe gesagt, wie beliebt?

Eh bien! und gegen diese Schnappenlicker also wollen wir jetzt den letzten Schlag führen!

Verstehen Sie mich: den letzten Schlag, sage ich: voilà, ganz einfach, weil der Anfang schon gemacht ist!

Ich will Ihnen erklären, wie!

Hören Sie einmal!

Während des letzten Monats haben nämlich ich selbst, wie auch Starck, Tscherikoff, Bjelostskij, Oremyckin (dieser wurmförmige und bleichfette Herr, schlapp wie ein Darm überall) und eine ganze Menge anderer verständiger und pflichtgetreuer Offiziere uns mächtig ins Geschirr gelegt! Vom Morgen bis zum Abend, im Beisein der Mannschaften, Tag für Tag, Stunde für Stunde, haben wir die besagten widerspenstigen Jungen auf das heftigste ausgeschimpft! Wir haben sie nach jeder Richtung hin durchgehechelt. Wir haben sie um jedwede Ehre und Ansehen gebracht. Wir haben sie in ihren eigenen Augen zu Idioten reduziert. Kurz, wir haben sie jetzt so weit heruntergemacht, daß wir faktisch die Hoffnung nähren können, ihnen unsere Prinzipien einzubläuen, die ich Ihnen gegenüber vorhin schon erwähnte: Daß das Schiff in die Heimat zurückgeführt werden muß! ...

Es ist jetzt, mit anderen Worten, nur noch das eine und letzte übrig: diese genannte Einimpfung vorzunehmen!

Und zu dieser Arbeit auch Ihr Teil beizutragen, dazu fordere ich Sie also auf!

Wie?« Der Graf lehnte sich mit einem Ruck in das Sofa zurück, starrend. Auf der Brust seines Rockes war allmählich ein ganzes, blankes Gitterwerk von Nassem entstanden, das seinen Ursprung teils in dem Whisky und Sodawasser, teils in Praxins eigenem, persönlichem, fortgesetztem Gekicher und Geschnaube hatte.

Peter Romanowitsch hing auf seinem Stuhl, diese Überschwemmung anglotzend, die Arme an beiden Seiten herabhängend, abermals vollständig wirr im Kopf von dem Strom des anderen, stumm und hicksend.

Bei der letzten Bemerkung des Grafen beeilte er sich nur, seine Blicke einzuziehen – gänzlich ratlos, was er auf diese Frage antworten sollte:

»Ké!« sagte er gleichzeitig. »Jawohl, ganz gewiß, aber ...«

»Sie denken vielleicht daran« – unterbrach ihn Praxin, mit seiner klatschnassen Zigarette im Gesicht herumwühlend, ohne das Loch finden zu können. »Sie meinen möglicherweise, daß diesen jungen, glattkinnigen, rundwangigen und klaräugigen Burschen gegenüber die Sache einfach genug ist? Es gibt dort eine ganz bestimmte ... Hintertür, durch die wir hinein müssen, wenn wir ihnen so die Saat unserer privaten Ansichten einpfropfen wollen! Etwas Ähnliches wie die Methode, die Ehemänner anzuwenden pflegen, wenn sie ihre Gattin so richtig dazu hätscheln wollen, dasselbe zu meinen, wie sie, was, haha, kissss!? Eventuell haben Sie sich gar schon den einen oder den anderen gelbhaarigen und mädchengesichtigen Jungen zu der Richtung ausersehen, wenn ich mich so ausdrücken darf, peut-être – si si: einen diesbezüglichen Ehrenposten will ich Ihnen anbieten, liebster Peter Romanowitsch, ja, ich will Ihnen ein märchenhaftes und göttliches Erlebnis erzählen, das mir in der letzten Zeit allabendlich widerfahren ist, wenn die Dämmerung sich naht, wenn die Sterne den Weg uns weisen, wenn der Himmel sich mit einem ungeheueren Schauern vor mir auftut ... ké, Wisch-Wasch, träume ich etwa plötzlich, oder der ich, kurz gesagt, auf einmal im Schlaf, hahaha, Schnick-Schnack, zur Sache, nicht wahr, keine den Kern umgehende Redensarten ...

Nun, und was meinen Sie denn: haben Sie sich schon einen Lieblingsjüngling ausersehen, den Sie persönlich zu präparieren wünschen – mit Ihren eigenen Ansichten, auf die vorhin erwähnte Manier, wie?

Ist es das, worüber Sie so nachgrübeln?

Reden Sie nur offen heraus!

Oder sollte es ... hol' mich der Teufel, sollte es gerade das Gegenteil, trotz allem ...« – und der Graf schob plötzlich sein nasses Kinn vor, runzelte die Brauen und sprach langsam und mit großem Nachdruck, die Pupillen klein wie Nägel – »sollte es denkbar sein, daß Ihr tiefstes Innere in diesem Augenblick ganz im Gegenteil bei Lwow und seinem unkameradschaftlichen Benehmen verweilt?!

Ich möchte ungern so etwas von Ihnen denken, liebster Peter Romanowitsch, hören Sie!

Und auf alle Fälle will ich Sie verteufelt daran erinnern, daß dergleichen Experimente, wie die des Timon Wladimirowitsch, dieses Schurken, die können absolut nur einem gelingen! Die können nicht wiederholt werden! Die würden sofort durchschaut werden! Verlassen Sie sich auf mich: wenn eine Kopie überhaupt ausführbar gewesen wäre, so hätte ... ja, so hätten andere sich wohl schon lange nach der Richtung hin versucht! Lwow ist also schlauer gewesen, als wir anderen, insofern! Das heißt, er ist gewissenlos gewesen und unkameradschaftlich, meine ich! Er hat nur daran gedacht, sein eigenes Leben zu retten – da, wo wir anderen in Gemeinschaft gehandelt haben, als Männer und Offiziere, verflucht sei er da unten im Lazarett!

Nicht wahr, m'ami?«

Luschinskij starrte ihn aufgelöst an:

»Was Sie sagen: Timon Wladimirowitsch ein schlauer Schurke im Hospital?? Ei, ei!

Aber ich habe ja doch nicht das allergeringste von der Sache gehört, und begreife also nicht recht –« – beeilte er sich hinzuzufügen – »aber lassen Sie mich wenigstens hören, was Sie eigentlich meinen!

Und nun haben Sie auch schon zum dritten Male davon geredet, daß Sie mir einen Ehrenp ...«

Praxin aber unterbrach ihn auf der Stelle mit einem Lächeln.

Er klopfte Peter Romanowitsch zärtlich auf die Schulter, antwortete gar nicht auf die Frage bezüglich des versprochenen Postens, sondern bemerkte nur in fliegender Eile: daß er hiervon ja von Anfang an fest überzeugt gewesen sei, selbstredend! Er habe, um sich kurz zu fassen, das unerschütterlichste Vertrauen zu seinem Freund, er sei stets sicher gewesen, daß Peter Romanowitsch niemals, ksss, nie im Leben auf so etwas, wie das mit Lwow, habe verfallen können – und daher wolle er auch keine Zeit verlieren, sondern unverzüglich den blutroten Faden in seinem Bericht wieder aufnehmen, nicht wahr, mein eigener Busenfreund:

»Und nun verstehen Sie mich also!

Alles ist bereit, wir können den letzten Schlag führen: nämlich damit anfangen, Eindruck zu machen ... den rechten Eindruck auf diese jungen, jetzt hautlosen Idioten zu machen!

Das Feld ist bestellt, es ist dräniert und gedüngt – es fehlt jetzt nur das Ausstreuen der Saat!

Ké!

Ja, ich habe sogar so ein klein wenig, hier und da, so im voraus einen Versuch nach dieser Richtung hin gemacht. Ein- oder zweimal habe ich die erwähnte Befruchtung des ganzen Wesens dieser mädchenhaften Burschen schon versucht, um auf diese Weise meine vorhin angedeuteten Ansichten bei ihnen zum Wachstum zu bringen. Ich habe, mit anderen Worten, bereits ein paar Generalproben abgehalten, sowohl geistig, als auch körperlich – hätt' ich fast gesagt. Wie – hahaha! So ein Witz, nicht wahr, verstehen Sie mich trotz meiner Metaphern?!« – und Praxin leerte sein Glas zum drittenmal – in einem Zuge. Er beugte sich jäh vornüber, den Kopf fast bis in den Magen von Peter Romanowitsch hinein, vor Entzücken, eine Sekunde lang.

Luschinskij glotzte ihn noch immer an, mit weitgeöffnetem Munde, trockenem Gaumen, sich auf dem Stuhl hin und her wiegend, auf einmal sonderbar kühl in den Lungenspitzen, höchst unruhig ums Herz, noch nicht ganz im klaren bezüglich der Bedeutung von des Grafen letztem Satz – im übrigen aber ohne sich eines schweinischen Gekichers vor dunkler Erwartung enthalten zu können.

Aber dann wurde Praxin von neuem beinahe ernsthaft.

Er schlingerte noch näher als bisher an Peter Romanowitsch heran, speichelnd.

Sein Atem strich wie die Douche aus einem Spiritus-Rafraichisseur über Luschinskijs Gesicht hin und machte ihn im Busen brennbar:

»Voilá!

A propos diese auch körperlichen Kameradschaftsbeweise, Saatprojekte und Bekehrungsversuche mit den jungen ...:

Sagen Sie mir ganz offen, in Scherz und Vorübergehen: ist es Ihnen niemals aufgefallen, daß diese Kadetten einen im Grunde an kleine Mädchen erinnern, kä? Zuweilen so sehr, daß es einem beinahe ein wenig schwer wird, sich zu enthalten sie ... in Übereinstimmung mit einer solchen Verwechslung zu behandeln, wie? Was sagen Sie? Nicht wahr? Pardieu!

Si si, Sie haben recht!

Sie haben ganz unumstößlich recht!

Sie haben zum allermindesten göttlich recht – in dem, was mir Ihre Blicke ohne Vorenthalt in diesem Moment anvertrauen: freilich, ja, ja, allerdings, diese Bengel können einem wirklich das Herz und dergleichen zum Schwellen bringen, so erinnern sie uns an die Jungfrauen daheim! Ihre Eudoxe la belle – entbehren Sie die nie? Oder sind Ihre zärtlichen Augen und so weiter trotz allem komplett unempfindlich dafür, wie sonderbar Sekondeleutnant Feodor Maximilianowitsch Weronoff ihr gleicht?!

Ach ja, Eudoxia, das wunderbare Kind mit dem Seidenbusen, pardon!

Unvergeßlich die Stunden, die Sie, Eudoxia und ich hin und wieder in Ihrer bescheidenen, wenn auch gemütlichen Junggesellenwohnung in der Kaserne verbracht haben! Sie macht Ihrem Geschmack Ehre! Großfürst Peter, dieser Kenner und Gastronom auf jenem Gebiet, hat mir mehr als zehnmal in bezug auf sie gesagt: Tod und Teufel, lieber Praxin – sagte er: Gott helfe mir, wie doch dies Weib ... ja, wie dies Weib ein Weib unter Weibern ist ...! Und Weronoff ist ihr ja, Zug für Zug, wie aus den Augen geschnitten – wenigstens im Gesicht, was, haha, und was die anderen Punkte anbelangt, so hat er ja eher mehr als sie, nicht wahr? Kssss! Das sollte ich nur sein der ... ja, der den Ehrenposten hätte, ihr Geliebter zu sein! Hahaha! Was sagen Sie dazu? Das geht Ihnen wohl glatt runter! Cher ami! Comment! Sehr gut! Gottes Lust und herrliches Blut!« und Praxin lehnte auf einmal seine linke Wange gegen Luschinskijs Schulter.

Sein Atem drang Peter Romanowitsch wie ein Feuerhauch ins Ohr.

Der Graf lachte plötzlich ein ganz klein wenig und kniff dabei die Lider halb über seine glänzenden Augen herunter: als wolle er auf einmal verbergen, wie ekstatisch ihre Blicke allmählich geworden waren, und Luschinskij doch zugleich andeuten: daß, wie offen bisher auch geredet war, doch erst jetzt, in den kommenden Worten, die abenteuerliche und wunderbar schöne Intimität der Sache enthüllt werden sollte:

»Ja!« fuhr er fort, indem er sein Gesicht erhob und die rechte Hand hoch über Peter Romanowitsch' Stirn ausstreckte. Sein Flüstern war so leise und scharf, daß Luschinskij einen Augenblick gar nicht wußte, woher der Laut kam – oder sprach da überhaupt jemand, war es nicht nur eine Stimme, die von dem Raum geboren wurde:

»Aber das alles ist nur Gerede für Kinder!

Unleugenbar!

Aber hören Sie jetzt, und antworten Sie mir einmal, wenn Sie wollen! Ich bin nicht darauf erpicht, Ihren Dank, Ihren Anschluß zu fordern: denn ich weiß, das wird schon kommen! Wie Moses vor dem Lande Kanaan will ich Ihnen die gewaltigsten Ausblicke ins Leben erschließen! Mit Festigkeit und Edelmut will ich Ihnen einen Einblick in meine verborgensten Ahnungen und Pläne gewähren! Ich habe ein ungeheures, ein übermenschliches Amt, das ich mich erbiete, Ihnen zu schenken ...

Sagen Sie mir ... ja, nicht wahr, lassen Sie uns von der Wurzel an beginnen, liebster Peter Romanowitsch: selbstredend wissen Sie – Eudoxias beneidenswerter Liebhaber: Sie wissen, vielleicht noch besser als irgend jemand von uns anderen: daß das Süßeste von allem für einen Mann das Bewußtsein des Herrschens ist! Einen anderen Menschen unter seinen Willen zu beugen, ihn völlig zu beherrschen! Die angebetete Frau dahin zu bringen, daß sie in allem und jedem ein jubelnder Wiederklang von uns selber wird – habe ich recht oder nicht? Die Geliebte dahin zu bringen, daß sie sich lind und licht und glücklich in unsere Ansichten, unter unsere Pläne und Urteile hineinschmiegt!

Jawohl, die wonnevoll stolze Gewißheit: daß sie eins mit mir geworden ist!

Nicht wahr, diese Sache ist ganz klar! Peter Romanowitsch, ich sage Ihnen: diese Sache ist ja ganz deutlich! Zu Tausenden von jeder Million kennen wir das, wozu wir selbst gelangt sind!

Aber beantworten Sie mir dann nur das eine:

Wenn es ein so seliger Triumph für unseren männlichen Stolz ist, eine Frau in unser eigenes Bild umwandeln zu können – wie göttlich da, einen Mann zu modeln!

Eh?« sagte der Graf, indem er Luschinskij an einem Rockaufschlag packte.

Und damit stürzte Praxin, blitzend von vollkommener Verrücktheit, in einen noch unerhörteren Haufen von falscher Logik und unechtem Räsonnement. Er redete sich in immer größere Erregung hinein, bis ein Dunst von Fieber aus jedem Fleck seines Wesens hervordrang. Er wälzte alles, was man in Deliriumsphantasien an Übertreibung und Größenwahn denken kann, über das Haupt des verwirrten Peter Romanowitsch, der blinzelnd, stumm und ratlos das Ganze ohne irgendwelchen Protest hinnahm:

»Fangen Sie jetzt an, mich zu verstehen?

Königlich glücklich der, der einer Frau das Leben schenken kann – aber ein Gott ist der, der einen Mann zu bilden vermag!

Und nun hören Sie, nicht genug damit:

Dankbar und demütig huldigen wir der Kraft, die imstande ist, die Natur zu unterdrücken, sie in ihrem Dienst zu verwenden: dem tiefsinnigen Erfinder des Dampfschiffes, der Eisenbahn, des Telegraphen – und dem Arzt, dem Gelehrten! Freilich! Ja! Ach Gott, aber was ist das alles – gegen die Tat, über die Natur zu herrschen! Ihre uralten Gesetze zu zersplittern, ihre ewig alten Absichten und Zwecke zu zermalmen! Seinen einzelnen Willen durch alles hindurch, gegen die Regeln der Milliarden hindurch zu trotzen!

Jahrtausende hießen uns die Frau lieben! Pflanzen, Tiere und Menschen – alle streben sie gehorsam, blind, unterwürfig, dem Ziele der Fortpflanzung nach!

Sie setzten Foltern und Strafen auf alles andere!

Mißgünstig verfolgten sie mit Schwert, Brand und Feuer den einzelnen Kühnen, der dies Joch von seinen Schultern schüttelte, der den Mut hatte, allein zu stehen!

Der Mannliebhaber ward zu Tod und Hölle verdammt!

Nun gut:

Aber gerade deswegen ist dies ja das höchste von allem!

Eine schwindelnde Zinne, nur der Seele der Männer zugänglich, ja sogar nur für die allermutigsten unter uns: das ewige Gebot der Natur sprengen zu können, so wie es sonst nur Gott vermag! Männer in dem Bilde seines Wesens zu schaffen, so wie es auch nur der Weltherr kann!

Und all den Reichtum, all diese Macht – das alles will ich Ihnen schenken!

Diesen ungeheuren Posten, diesen funkelnden Ehrenposten, unter dem nächsten Kreis der Gottheit – gewiß: Ihnen biete ich ihn hier an! Einen Platz, an dem Sie über allen anderen stehen, grenzenlos hoch – nur mit mir als alleinigem Vorgesetzten!

Denn ich selbst, ich bin ...

Mich hat Gott ...

»Ja!« Praxin hatte sich erhoben, mit einem zitternden Lächeln von Glück und Erröten. Seine Blicke schwangen sich heraus, heiß und blank aus der pechschwarzen Tiefe der wahnsinnigen Augen. Er stand da, die Fingerspitzen der linken Hand auf Luschinskijs Schulter, die Rechte zur Decke empor:

»So hören Sie denn mit Beben und Furcht, was mir in den letzten Wochen hier unten, Tag für Tag, Himmlisches widerfahren.

Ich will Ihnen alles sagen – in einem Gesang von Gott – über mein großes Erhöhungsgeschick! ...

Jeden Abend, zur Nacht, wenn die Dunkelheit flüsternd sich senkt. Wenn am Himmel die Sterne brennen. Wenn der Mond schreitet selig hervor, durch der Wölbung hellblauen Spalt. Wenn die schauernde Stille sich naht ... dann liege ich schweigend dort unten ausgestreckt auf dem Bett, und die Brust mir keucht vor Erwartung.

Ich spann im Gebet die Gedanken zum Höchsten hinauf!

Ich wache und lalle dem Herrn entgegen

Ich starr' mich zu Gott empor! ...

Dann entstürzet jäh ein Frost meinen Lenden. Es zucket ein Schrei durch mein Fleisch. Meine Stirn sich spaltet mit Stöhnen ...

Und leuchtend teilt sich der Himmel.

Gleich einer flammenden Brück' die Blitze prasseln herab.

Mein Herz wird zu Feuer entzündet.

Und droben, in purpurnem Schimmer, seh' ich die gewaltigen Scharen, in unendlicher Schönheit und Pracht!

Sie lächeln und rufen. Sie singen und winken. Ihre Stimmen spinnen mir im Blut mit Seide und Süße. Sie machen mich leicht und frei.

Posaunen und Geigen sich schwingen herab, in brausendem Wurf. Ich spüre den sterbenden Hauch in der Haut.

Und da werd' ich emporgehoben, auf dem schwellenden Sturm von Gesang.

Ich schwindle dahin, ich schwebe im Flug'.

Die gähnenden Weiten des Weltalls durchflieg' ich.

Abgründe stürzen vorüber an mir mit Gekrache – bodenlos. Ich fühl' ihren Schlund, wie kochendes Saugen, das unter den Fuß sich mir klebt.

Ich schwanke und jammere, wild klammer' ich mich an, ich zitt're bei den Engeln, die mich tragen ... da aber wiegen mein Haupt sie und singen: still, Kindchen, sei ruhig und sicher, wir tragen dich wohl, durch die Nacht des Allbeginns auf zum Himmel, zu Gott!

Die Welten wälzen dahin sich in dröhnendem Sausen, hinab in dämmernde Schluchten.

Die Weltkugeln prasseln vorüber.

In weiter Ferne seh' ich sie kommen, wie Schauer von Funken und Blitzen. Sie rasen auf mich zu – des Alldunkels flammende Augen. Sie schielen glutenrot. Sie wachsen und schwirren. Sie bahnen sich brüllend den Weg. Sie zerreisen den Raum in Wirbeln von Flammen. Ihr donnernder Lärm zermalmt mir das Ohr. Sie sengen ein feurig Gewitter von Schwefel und Brand um mich her. Ich keuche und stammle: hilf mir, mein Gott ... deine Sphären ... verbrennen meine Seele! ...

Dann aber seh' ich sie sinken, die krachenden Sterne, in rasender Hast, tief unter mir, tief, sie werden klein, sie werden zu Funken und Gluten, zu Flimmer und Schimmer, verdunkeln, verschwinden.

Der kohlschwarze Schlund umgibt mich von neuem und meinen steigenden Flug. Seine Urkälte trifft gleich zersplitterndem Stahl mein Fleisch. Seine Unendlichkeit und Finsternis steht mir pochend unter dem Herzen.

Tief unten, da schreien die sprachlosen Stimmen der Jahresmillionen. Fern schimmern die glühenden Kreise der Systeme – gleich Ringen von Gold an den Fingern des Raumes.

Meine Wange lächelt jäh, unter den klingelnden Tönen der Sterne ...

Und da sehe ich wieder empor zum Paradiese, das jetzt mir ganz nah ist.

Mir schwindelt, ich bebe.

Meine Sehnsucht lacht hell bei der schimmernden Fahrt.

Meine Augen öffnen sich weit, bis, geblendet, sie weinen. Mein Blut, das schluchzte und flüstert, es strecket die unzähligen Träume vor, es gleitet und stirbt ...

Und dann gelang' ich hinauf, in das zitternde Licht des Himmels.

Seine Strahlen umfließen mich mild, mit rieselnden Hymnen in Glut. Sie rinnen in mich hinein, mit Fluten von Düften. Sie sickern in mich hinab, und flammen in Küssen, die niemals erlöschen.

Und ich weiß es auf einmal, ich bin nackend und neu.

Gott der Herr mir entgegen erhebet die Hände:

Geliebter, ach komm', ach Stepan, ach, eil' dich und komme, dein Platz ist ja hier, an dem ewigen Feuer meines Herzens! Ewiglich gepriesen sei dein Name von Glück und Lächeln – du, der du, wie ich, ein Schöpfer bist und ein Herrscher!

Siehe – singt Gott, mit seiner seligen Stimme; er schlingt seinen Arm von mächtiger Wonne um den Hals mir: du bist es, an dem ich Wohlgefallen nur habe! ...

Er öffnet seine Seele, die gewaltige Welt von Kraft ... und unter mir höre ich, leise und heiß, schwellend und still, die himmlische Schar: sie singt meinen Namen in Flammenmelodien: Jehovas Auserkorener! Gesegnet seist du! Bis an der Zeiten Ende reiche dein Wesen und Leben!

Des Allschöpfers Freude! ...« und Praxin rang, noch eine Sekunde, seine Finger wild zu der Decke empor. Sein kreideweißes Gesicht wurde glühend rot. Seine Augen füllten sich mit Weinen und Lächeln:

»Ja ... Herr ...

Jetzt!

Ich bin dein! ... Dein! ...« – ein Seufzer drang aus seiner Brust. Er schwankte, sank auf den Rand des Sofas nieder. Ein Zucken sprang über seine Schulter. Ein Stöhnen entrang sich seinem Munde, ein Röcheln, ein Schrei ... und dann lag er auf einmal still da ...

»BANG-bang« sagten im selben Augenblick die Hammerschläge, gleichsam zu ihnen hereinschwebend, durch das offene Bullauge.

Der Sonnenzylinder, der auch hier hereinstand, und die Luft zischend und heiß machte, hatte sich ein wenig gedreht: jetzt lag er zwischen Peter Romanowitsch' Ellenbogen und den Flaschen, mitten auf der Mahagoniplatte: rund, tief und rot – als sei auch er, sowie Praxin, ké, kiss, eins der Himmelslichter, wie beliebt, bin ich verrückt, oder ist er es; was, zum Teufel, hat er nur einmal? Hätte ich seinem letzten Gefasel etwa genauer lauschen sollen, toll ist der Bursche!

Luschinskij kicherte verlegen, und stopfte sich eiligst eine Zigarette zwischen die Lippen:

Ja, was in aller Welt sollte das doch nur bedeuten?

War es Praxin, oder war man es selbst, der ganz urplötzlich total betrunken war, hol' mich der Teufel, ach so, und das also waren die nächtlichen Erlebnisse, die so selbstsame und göttliche Fingerabdrücke unter des Grafen Augen hinterlassen hatten! Oder war das Ganze vielleicht nur eine der gewöhnlichen viel zu pikanten Geschichten selbigen Edelmanns, erzählt in der Hoffnung auf gegenseitige Inflammation, der Teufel trau' ihm!

Aber in diesem Augenblick fing Praxin an, eine Bagatelle mit den Armen zu fechten. Das Leder des Sofas knarrte beantwortend. Er rang nach Atem, machte dabei eine der Federn des Diwans mit einem Seufzer erklingen – und erhob sich dann mit schlotternden Knien:

»Ké! ké! ... krrr! ... ké! Wie?« lallte er, während seine Blicke, die noch schleimdicker als bisher waren, wirr umherschweiften; und griff nach einer Stütze um sich. »Wa' ... wa' is denn ... wa' is denn los?«

Da erblickte er die Whiskyflasche, schenkte klirrend sein Glas halb voll, trank einen großen Schluck, schlabberte an seinem Bart, lachte und patschte Luschinskij zitternd in die Schultergegend:

»Was? Haha! Ich glaub', weiß Gott, ich hab' gewiß dagestanden und riesig gefaselt!

Ich hab' Ihnen, bei meiner Seligkeit, eine ausgestunkene Lüge eingebildet, nicht wahr, leugnen Sie es, wenn Sie können, haha, danke sehr, wahrhaftig, Sie gingen auf den Leim, ebenso hübsch, Gott, wie mir das ähnlich sieht! Sie können mir glauben: ich bin bis an den Rand angefüllt mit Schnurren, Scherzen und Späßen!

Vom Morgen bis zum Abend!

Von der Dämmerung bis zum Frührot!

Den ganzen lieben, langen, lichten Tag hindurch!« Dann holte er seine Streichholzschachtel hervor, brach ein paar Stück ab bei vergeblichen Versuchen, kam auf den Einfall, sich hinzusetzen, erreichte es auf die Weise schließlich, seine Zigarette in Brand zu bekommen – und klopfte Peter Romanowitsch noch einmal: diesmal an die Innenseite des Beines, ziemlich hoch hinauf. »Ke,« sagte er währenddes.

Er schüttelte mit dem Kopfe und nickte nochmals ein klein wenig, schauderte, schüttelte sich, kicherte mit geschlossenen Augen, klemmte seine Lider auf einmal ganz auf, streckte die Hand nach seinem Glas aus, spielte eine kurze, aber muntere Melodie mit seinen blauen Vorderzähnen darauf, trocknete die Lippen an seinem weißen Rockärmel ab, greinte einen Moment und begann dann plötzlich weiter zu reden:

»Verstehen Sie mich jetzt?« fuhr er fort, ohne auch nur die geringste Notiz zu nehmen von seiner langen Paranthese über die allnächtlichen, göttlichen Genüsse, und daher ganz einfach bei dem Punkte fortsetzend, von dem er, vor einer Weile, mit einem Zittern vor Pornographismus, mit seiner nicht mißzuverstehenden Andeutung bezüglich der Ähnlichkeit zwischen Eudoxia und Weronoff herausgerückt war. Luschinskij gab auf der Stelle jeden Versuch auf, die Ursache zu diesem Benehmen des Grafen zu ergründen: ob Praxin selber wirklich nichts von seiner gemeinen, blasphemischen Einlage ahnte, oder ob er die Sache faktisch nur als einen Witz gemeint hatte, oder endlich, ob er vielleicht nur wünschte, daß Peter Romanowitsch sie als einen solchen betrachten sollte:

»Nun ja!« sagte er also, auf alle Fälle:

»Gerade auf die Weise können wir den notwendigen Einfluß auf diese Knaben erlangen – und einzig und allein auf diese Weise!

Und ich will Ihnen sagen –« und Praxin beugte sich ganz nahe heran, und sprach wieder so leise, daß Luschinskij vergaß, zu atmen, und plötzlich den Einfall bekam, daß man heute gewiß überhaupt nur seine eigenen verkehrten Phantastereien hörte, wie, sollte das wohl möglich sein?: »ich will Ihnen sagen, daß ich einen einzelnen ernsteren und durchgeführteren Versuch bereits gemacht habe!

Ké!

Kisss!

Nämlich mit einem gewissen kleinen, gelbhaarigen und blauäugigen Burschen, Sie kennen ihn, bei Gott, ganz gut, Andreas Stern heißt er, ein blindgeborener Bengel, der die Sachen nicht mit gesundem Blick sehen will! Voll Übermut, Prahlerei, Stolz und Selbstvertrauen – das heißt, bis ich vor ein paar Wochen anfing, ihn bei den Übungen in Behandlung zu nehmen!

Und endlich wirkte es ja auch! Selbstverständlich!

Jetzt sollen Sie einmal hören: gestern abend um sieben Uhr, gerade als wir die Anker hier im Hafen hatten fallen lassen, da fand ich ihn allein umherschwankend, vorne auf der Back, wild und verrückt – zerflügt und gefurcht vor Angst und Haß, über all die niederträchtige Behandlung, die ich ihm im Beisein der Leute hatte zuteil werden lassen. Eh bien, ich ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein. Ich entfaltete mein Wesen gänzlich. Ich sprach freundlich und gut: junger Mann, bei meiner Seligkeit, was haben Sie nur einmal? Sie lassen den Kopf hängen, warum? Sehen Sie mich an, freilich, Sie sind einsam und bange, hören Sie mal, Sie müssen nicht verzagen, sie haben Ihre Fehler, nun ja – und ich bin gezwungen gewesen, Sie darauf aufmerksam zu machen: aber, mein Gott, Fehler haben wir alle, denn wir haben sie ja, um sie zu verbessern, nicht wahr? Kommen Sie mal her, gehen Sie mit mir, dann will ich ...

Kurz: seine Scheu ward zu Hellhörigkeit, seine Furcht zu Untertänigkeit – unter der milden Wucht und Kraft meiner Rede!

Um acht Uhr saßen wir beide in meiner Kajüte, ein paar volle Flaschen Champagner auf dem Tisch, herablassend versprach ich ihm, mich seiner anzunehmen, ihn eine Menge zu lehren, seine Kindlichkeiten auszurotten, ihn zu einem berühmten Offizier zu machen, seine Karriere zu sichern (kisss), ihn von neuem in meinem Bilde und Gleichnis zu schaffen! Wie beliebt?

Als die Uhr neun zeigte, war die eine Bouteille geleert, wir hatten die Frage erschöpft, meine Worte waren Weisheit für ihn. Scherzend verschloß ich die Tür – und fing an, von Paris zu erzählen, von allem, was ich da gesehen und erlebt habe – meinen Arm um seinen Hals. Seine Augen brannten wie Fackeln und Sterne. Glückseliges Zittern ging von seinem Körper aus. Ein ganz feiner, blasiger Schaum stand ihm aus dem Munde, mein Herz richtete sich auf und weinte, ich küßte seine Tränen fort ... nun wohl, eh bien, hören Sie: Peter Romanowitsch, ich schwöre es Ihnen, als die Uhr zehn schlug, waren alle Flaschen geleert, die Lampen gelöscht und er kannte in der Welt nur mich!

Er gehorchte nur meinen Geboten!

Vermochte nur meine Pläne zu sehen!

Ich war der Herr, der Gebieter seines Körpers und seiner Seele! Er fürchtete sich zitternd vor meinem Zorn! Er war bebend klar darüber, was geschehen mußte – wenn das ruchbar wurde, was soeben zwischen ihm und mir vorgefallen war!

Er war mein erster Proselyt für das große Ziel!

Einig mit uns in einem und allem, der erste Jünger: aber, Sie können glauben, keineswegs der letzte! Denn sein Beispiel wird weit mehr wirken, als Sie ahnen! Warten Sie nur! Sie werden schon sehen! Ich verspreche uns mit Recht das Beste!

Tag für Tag werden auch andere tun, wie er, einer nach dem anderen!

Nacht für Nacht!

Eh bien!

Antworten Sie mir jetzt!

Was sagen Sie nun hierzu?« Und Praxin lehnte den Kopf auf die Seite, ließ einen langen Streifen Speichel fallen, kicherte und starrte.

Luschinskij fühlte sich abermals – und in noch höherem Maße denn je zuvor – äußerst merkwürdig und unwohl. Es saß ihm plötzlich eine arge Blase unter dem Herzen. Die Wangen liefen ihm voll von Übelkeitswasser. Aha, dann war also das der Grund, weshalb der kleine Midshipman Stern über Nacht ausgekniffen war, wie ihm Simoff erzählt hatte: zähneklappernd vor Jammer und Mannesscham, zitternd und todkrank vor Qual und Grauen ... sehr wohl, se–hr wohl, und ... ké ... kurz, zu so etwas wollte einen der Graf veranlassen, zum Teufel auch ... Und im selben Augenblick fing Peter Romanowitsch von neuem an, ungeheuer aus dem Schlünde herauszuzischen, diesmal alle fünf Finger der linken Hand unverblümt in seinem Munde, die Augen zugeklemmt, eiskalt am ganzen Körper,

Dann hob er die Rechte in die Höhe:

»Hören Sie mal, Sie Mordbrenner, hol' mich der Kuckuck, so was Abscheuliches hab' ich doch noch nie im Leben gehört ...« begann er, halberstickt, die Blicke aus dem Kopf heraussengend, ohne zu wissen, was er weiter sagen wollte.

Aber gleichzeitig war Praxin offenbar der Meinung, daß seine eigene Pause lange genug gewährt hatte.

Jedenfalls versetzte er Peter Romanowitsch einen Klapps übers Knie:

»Stimmt auffallend!« sagte er, greinend. »Ja, ja! Ich sehe bis auf den Tiddel voraus, was Sie sagen wollen! Nämlich etwas Ähnliches, wie Sie vorhin andeuteten, als wir von der Ähnlichkeit zwischen Eudoxia und dem Sekondeleutnant sprachen, dem deliziösen Sujet für die Kraft und das Amüsement eines göttlichen Schöpfers! Ja, selbstredend: Sie haben wieder einmal recht! Nicht im geringsten kann ich Ihre Meinung widerlegen! Und was noch mehr sagen will: ich bin ganz auf Ihre Seite übergegangen! Sie haben mich die Dinge in einem funkelnagelneuen Altarlicht erblicken lassen – aber in dem richtigen! Sie haben mich total überzeugt! Jetzt sind wir in allem einig! Gerade dies ist ein Ausweg für uns alle! Ich verstehe Ihre Pläne so ganz! Just auf die Weise kann alles Böse rechtzeitig abgewendet werden – von uns selber! Ihr Plan ist genialisch: nicht mehr ein bestimmter Bursche, nein, ça va sans dire: denn was nützt das unter den jetzigen Umständen, einen einzelnen Mann zu Tode zu ärgern! Als Einleitung und zur Übung war es ganz gut, seinerzeit – als Mittel, unsere Technik zu verschärfen, freilich, ich will keineswegs den Dienst verringern, den Sie uns allen erwiesen haben, in bezug auf Iwans langsamen Tod und Heimgang, wir schulden Ihnen beständig Dank für diese Tat – aber jetzt! Nein, Sie haben völlig recht: jetzt müssen wir jeden Tag einen neuen Kerl in Bearbeitung nehmen! Sie, Peter Romanowitsch, besorgen die Gemeinen – ich und die anderen nehmen uns der Kadetten an, nicht wahr? Juchhe: Vom Morgen bis zum Mittag traktieren wir sie unerhört mit Prügeln – genau so, wie wir es bereits angefangen haben! Des Vormittags rotten wir mit Pflug und Rechen jede Spur von Starrheit und Eingebildetheit aus – und während der übrigen Zeit, ké, bon, ganz so, wie Sie vorhin durchschimmern ließen, natürlich: wählen Sie die Schönsten für Ihren eigenen Mund, für Ihre persönlichen und göttlichen Bestrebungen als Schöpfer und Beherrscher – nur jeden Tag einen neuen! Und die anderen, die, aus denen wir selbst uns nichts machen, die schicken wir allabendlich an Land mit Geld zum Amüsieren! Und täglich einen frischen! Im Laufe eines Monats dreißig behandelt!

Ja, ja, damit hätten wir, verdammt und verflucht, das ganze Programm!

Wir machen sie zu Freunden jedes beliebigen Erdbodens – und zu Todfeinden des Schiffes hier!!!

Alle sind wir emsig bei der Sache – Sie, ich und die anderen Kameraden: und der Ausfall ist sicher und gewiß!

Nicht wahr? ...

Und nun – nun weiß ich also, daß Sie das Ganze begriffen haben!

Daß wir nur auf die Weise gerade das durchführen können: was Sie selber in diesem Augenblick zu tun entschlossen sind, um Ihr eigenes Leben zu retten – wenn Togo kommt!

Ja!

Sie haben recht!«

Praxin erhob sich. Sein Gesicht glühte wie ein Brand vor Luschinskijs Augen. Und noch einmal war er plötzlich ganz nahe an Peter Romanowitsch' Ohr, zischelnd, heiß:

Ȃa y est!

Denn das, was ich hier gesagt habe – dies ist der einzige Weg!

Das einzige Mittel – um das zu erreichen, worauf Ihre allertiefsten Gedanken jetzt hinzielen!

Nicht wahr!?« – Er preßte den Nagel eines Fingers eine Sekunde lang hart gegen Luschinskijs Schläfe – und dann war er zur Tür hinaus.

Aber erst spät nachher entdeckte Peter Romanowitsch dies –:

»Au, zum Teufel, lassen Sie das nach!« sagte er reizbar.

Dann sah er auf, wandte den Kopf von rechts nach links, kicherte überwältigt und beschämt, schlug sich unentschlossen auf die Beine, fühlte sich glühend warm im Nacken von Sonne, Sodawasser und Schweinerei: Ein glänzendes Genie, dieser Praxin, wie!

Höchst sonderbar übrigens, daß er sich schließlich so komplett enthüllt hatte: gerade heraus hatte er ja erklärt, daß das Ganze darauf hinausging, die Armada dazu zu bringen, entweder auf der Stelle umzukehren oder sich zu übergeben, wenn der Feind kam, nicht wahr! Ja, bei meiner Seligkeit: der Graf hatte ja genau dasselbe gesagt, was man persönlich bei sich gedacht hatte! Kkkk! Gottlob! Soviel war doch also schon erreicht, daß man ohne Umschweife miteinander redete! Daß man alle heuchlerische Konvenienz verachtete!

Schau, schau!

Also sowohl Starck, Tscherikoff als auch Oremyckin (der aalförmige Herr!) waren sich bereits in bezug auf dies alles mit Praxin einig! Sehr wohl! Aber Bogduroff – den hatte der Graf gar nicht genannt: warum wohl nicht?!

Und Lwow ... ja, was hatte Praxin doch von dem gesagt: »daß er ein gerissener und unkameradschaftlicher Schurke sei«? Kä, Herr du meines Lebens, du alter Timon Wladimirowitsch, mein Genosse aus den letzten hundert Jahren, wer hätte das nur von dir geglaubt?! Schon vor langer Zeit, noch vor dieser merkwürdigen Geschichte mit Iwan, warst du ja im Grunde ziemlich töricht und verrückt! Bist du denn jetzt nur gesund geworden, um einen Schurkenstreich zu begehen? Und worauf bist du nur einmal verfallen, du Armer?

Und Andreas Stern, der ja heute morgen gefangen genommen war, da unten in Tananabozuke, und den nicht zu holen, Simoff jetzt da hinunter gereist war ...

Es fiel Peter Romanowitsch ein, daß es ja durch alle diese Umstände auf die eine oder die andere Weise bewiesen war, daß Graf Praxin, wenn es schließlich darauf ankam, keineswegs ein so durch und durch guter Mensch war, wie man bisher naiv geglaubt hatte, wie, ach nein, ach Gott, dieser Mann, auf den man so vielerlei gebaut hatte! Oder war der Graf ganz einfach verrückt geworden von Haß, Hurerei und Hitze, worauf man nach seinen Traumberichten sehr wohl schließen konnte? – Aber ein dreckiger Kerl war er auf alle Fälle, eine Schande für uns alle!

Ach Gott, und Alexeij Porphyriewitsch, der von mir weggereist ist und niemals wiederkommt nicht einmal mit einen Gruß von Eudoxia!

Und Lwow, der ein Schlingel geworden ist und mich im Stiche läßt!

Und Stern, der geflohen und ergriffen ist, und der uns andere alle verflucht!

Und Bogduroff, der nicht mit uns einig ist, der sich ganz für sich hält und auf uns herabsieht ... ach Jesus, mein Gott, ach Hilfe! Hilfe! was hab' ... i' Böses geta' ... daß sie mi' alle ver ... ver ... verla–ssen?!

Und damit sank Luschinskij in seinem permanenten Rekonvaleszenzflennen auf dem Sofa um und weinte sich in Schlaf:

Géhé, mein Herz ist einsam und weiß!

Mein Sinn ist feucht von Tränen!

Eudoxia, ich komme!

E – hé – hé ... – –

 

Das allererste, in bezug auf das Peter Romanowitsch in den folgenden Tagen zu einer verhältnismäßig unklaren Erkenntnis kam, war: daß es, weiß Gott, eine verzweifelt schwierige Sache war, sicher darüber zu werden, ob er richtig geschlußfolgert hatte oder nicht, in bezug auf seine Kameraden – und ihr Wesen und Treiben untereinander.

Hatten etwa auch sie den verborgenen Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Äußeren – und den bitterbösen Wutanfällen entdeckt, die sie alle zusammen in früherer Zeit in so reichem Maße von sich gegeben hatten, sobald sie einander nur betrachteten, wie?

Oder wie sollte man sich denn sonst nur folgendes doppelte Phänomen erklären können: auf der einen Seite, daß diese bisherigen Schimpfereien, Schlägereien und Überfälle faktisch nicht mehr stattfanden – und auf der anderen, daß alle Kameraden sich trotzdem nicht immer allzu viel bemühten, ihren gegenseitigen Anblick zu vermeiden!

Hatten sie also wirklich den verzweifelten Sinn des Ganzen eingesehen – oder waren sie nur zu schlaff und zu stumpf, um überhaupt noch wütend zu werden wie vorhin?

Wie, zum Teufel, verhielt es sich hiermit? ...

Jawohl, es war unüberschaulich schwer, bezüglich dieser Sache ins Reine zu kommen!

Eins stand auf alle Fälle fest: eine Veränderung war vor sich gegangen – in bezug auf das gegenseitige Verhältnis der Offiziere zueinander!

Zweifellos!

Denn sowohl bei den Mahlzeiten, als auch bei anderen Gelegenheiten – namentlich bei den Übungen und dem theoretischen Unterricht, die jetzt wieder vom Morgen bis zum Abend auf dem Schiff abgehalten wurden, damit der Mannschaft nicht zu viel Zeit blieb, um sich zu amüsieren und auf tolle Streiche zu verfallen – früh und spät sah Peter Romanowitsch ganz deutlich ein, daß man sich ganz anders benahm, als in alten Zeiten.

Während man die Übungen inspizierte, kalberte man auf die allerurbanste und gemütlichste Weise miteinander – am liebsten so recht in der Nähe der Mannschaft.

Aber bei Tische – wenn man mit den Kameraden allein war – da glotzte man bei Gott dafür auch doppelt so toll und töricht auf seinen Teller herunter, ließ sich auf absolut nichts weiter ein, als ohne allen Grund zu kichern, und den Löffel oder die Gabel auf und nieder zu führen; oder man vertrödelte eine Viertelstunde damit, über das Wetter zu plaudern, während man vier, fünf Gläser irgend eines Likörs herunterschlürfte!

Mit anderen Worten: wenn man der Mannschaft gegenüberstand, so genierte man sich nicht im geringsten, schwatzte man grinsend darauf los, über Himmel und Erde – aber sobald man aufeinander angewiesen war, so hielt man plötzlich, offenbar ganz instinktiv, auf das Sorgfältigste die Augen von den gegenseitigen Fratzen ab!

Aber zanken tat man sich weiß Gott nie mehr! Keine Spur! Nein!

Und so schnell, wie man es irgendwie verantworten konnte, zog man sich mit einem abermaligen Kichern zurück; man verschwand, albern – in der Regel ein wenig wirr im Kopf, und vom Trinken mitgenommen:

»Meine verehrtesten ... meine allerverehrtesten Gentlemen, erlauben Sie mir, fnssss, daß ich mir die Freiheit nehme, mich in meine, kssss, in meine ... Kammer einzukerkern, wie!

Kähä!

Wie beliebt!«

Oder man begab sich in Gemeinschaft zur Stadt – und mied einander trotzdem da drinnen, indem man ein paar Stunden oben in dem sonnendurchglühten Schuppen zubrachte, der Café de Paris hieß, in Gesellschaft einiger jodoformduftenden Schönheiten mit dem lieblichsten, faden Quecksilberatem und bodenlosen Beinkleidern; oder man saß da, gähnend, und ellenlang aufragend über ein Dutzend von den kleinen, fahlen, schwarzbärtigen und goldärmeligen französischen Offizieren, die einen Absinth mit Zucker schlürften; kurz: man verkicherte seine zwei, drei Stunden in der ersten, schlechtesten Gesellschaft – gleichviel wo, wenn nur der Champagner einen dazu brachte, sich bezaubernd aus allen Sorgen herauszuhicksen. Oder man schlenderte ja in seine Privatkammer hinunter, um dort in schwitzender Einsamkeit zu sitzen, und über, der Teufel mochte wissen, was, nachzugrübeln – bis der Dienst oder eine neue Mahlzeit einen wieder zwangen, von neuem die Kameraden zu besehen.

Jawohl, dies alles war, weiß Gott, erklärlich genug, dieses Gebaren untereinander: die Lösung war ja ganz einfach die, daß man beständig, trotz aller Entdeckungen oder trotz aller gemeinsamen Albernheit doch befürchtete, plötzlich wutentbrannt beleidigt (und darauf vollständig totkrank) zu werden, im selben Augenblick, wo man allen Ernstes eins der gewöhnlichen übelriechenden Hyänengesichter rings um sich her erblickte!

Ja, selbstredend, ja:

Aber warum, zum Teufel auch, benahm man sich denn so ganz anders in Gegenwart der Matrosen, hol mich der Satan, so ein gemeiner Rebus, nicht wahr?!!!

Können wohl Sie etwa, Verehrtester, können Sie mir etwa die Frage beantworten: Ist dies eine neuentfaltete Schlauheit und Besonnenheit – oder ist es im Gegenteil noch ein Zeichen mehr von irgendeiner extra unanständigen und argen Teufelei, von Tod oder Totschlag, die in uns allen hausen; wie beliebt?

Nun ja.

Schwamm über das Ganze! Jetzt geb ich's, weiß Gott, auf, in bezug auf diese Sachen ins Reine zu kommen, und übrigens scheren sie mich nicht im allergeringsten, ich tue, was ich kann, und nicht mehr ...

Sobald dies alles also angefangen hatte, Luschinskij zu verwickelt zu werden, um sich da hindurch zu finden, gab er – ganz gegen seine frühere Manier – einfach diese Durchschauungsversuche auf (oder gaben sie möglicherweise ihn etwa auf, wie, ké!?) und beschränkte sich klugerweise darauf, im übrigen, kurz und gut, dem physischen Beispiel der Kameraden zu folgen.

Schon längst hatte er nur dafür gesorgt, Nakinskijs Rat, häufig an Land zu gehen, zu vergessen – denn was, zum Teufel auch, sollte man dort, wenn man eine Eudoxia oder Andruschka da drüben hat, voll von Rußland, Liebe und Heimat – wie Simoff einmal mit Recht gesagt hatte!

Und ergo verbrachte er tout simplement wieder und wieder seine Stunden unten in seiner Kammer, auf seinem ewigen Schlummerplatz ausgestreckt, ohne Spur von Grund gerade zu der Decke emporglotzend, seine Zigaretten rauchend, hin und wieder an seinem Whisky nippend, einen oder zwei Augenblicke auf irgendein Dröhnen unten aus dem Maschinenraum lauschend, oder auf ein Plätschern von Rudern und Negergeschrei da draußen, oder auf die kleinen, kurzen Pufflaute aus dem Motorgig ... er fühlte, wie das Gehirn ihm langsam aus der Nase herausröchelte, fiel auf einmal in Schlaf, erlebte darin alle möglichen grauenvollen Dinge, und erwachte nach einer kleinen Weile ebenso plötzlich, halb erstickt, krächzend, den ganzen Mund voll Schleim und Schnaps – und mit einem großen Brandloch in dem Kopfkeil, von der Zigarette.

Dann ließ er die Füße vom Sofa herabgleiten, stützte die Ellbogen auf die Knie, das Kinn in die Handfläche, und fing an, so zu tun, als versuche er, sich darüber klar zu werden, was er geträumt hatte. Aber selbstverständlich würde er sich schön hüten, in bezug auf diese Untersuchungen tiefer zu gehen, als hinsichtlich anderer: denn natürlich war es irgend etwas mit Iwan, nicht wahr? Oder, Unsinn, sicher nicht, kein Funke davon, ganz im Gegenteil, es war nur irgendein beliebiger, gemeiner und roher Bursche, den man da im Schlaf geschaut hatte; einer mit einer ungeheuren Fratze, die nur im Augenblick nicht zu sehen war, nicht wahr, ké ... oder, ach nein, nicht einmal das war richtig: ach ne, man hatte ja nur von seinem Freund Praxin geträumt, ja, ja, jawohl, wohlan, vertreten wir uns dann die Füße ein wenig, man wird ja ganz stumpfsinnig von all dem Schlafen!

Er zog die Gardinen vor das Bullauge, so daß ihn ein Halbdunkel umgab, drehte den Schlüssel die anderthalbmal im Schloß herum, ohne zu wissen, weshalb.

Er stellte sich mitten in der Kammer auf, mit gespreizten Beinen, beide Hände an den Seiten herabhängend, kicherte langsam, und tat nicht das geringste. Er ließ seine Gedanken lose entschweben, nach und nach. Glotzte starr empor, in seine eigenen geschlossenen Augenlider hinein, so daß ihm alles Bewußtsein stückweise entschwindend durch das Rückgrat hinabwiegte – mit einem plötzlichen hinterrückschen und kalten Gefühl vom Gehirn heruntergleitend, an den Schulterblättern vorbei und von da bis in die Kniekehlen hineinsickernd. Er hielt den Atem an, bis die Schläfen dröhnend anfingen, bullller-bulller-buller zu singen und der Kopf auf einmal begann, schichtenweise und glatt abzusplittern, wie Schieferplatten und kalte Gelee, und hielt auf ewig den Mund:

Still! ...

Fühle, wie mein Nacken kühl und stumm wird. Noch pocht es leise da drinnen, ganz gedämpft und wenig ... aber nun ist es auf einmal still. Sanft fühle ich meine Nägel erfrieren, die Finger schwinden prickelnd hin, die Hände welken so jäh.

Jetzt fangen meine Beine an, einzuschlafen, lautlos schnurrend. Meine Lenden werden mit einem seufzenden Hauch zu Gummi und Dampf. Mein Herze rührt sich nicht ... ich bin zu einem flüsternden Kochen geworden, zu einer schwebenden Blase aus Luft.

Ich taumele ... ich sinke ...

und platze ... und ...

sterbe ...

Aber dann zersprang die Stille um ihn her, mit einem Dröhnen.

Er empfand auf einmal die Einsamkeit in sich.

Er schrie und mußte Gesellschaft haben.

Weiß und schäumend wälzte er sich hintenüber, griff nach der elektrischen Klingel und läutete darauf los, wild, mit weit aufgesperrten Augen, mit allen seinen zehn geschwollenen Nägeln auf den nassen Knopf drückend, bebend – bis der Messediener Bobr erschien.

»Komm!

Komm her!

Na so tummle dich doch!« stammelte Luschinskij dann, an den Händen zitternd, auf dem Sofa zusammenbrechend. – »Zieh die Gardine zurück! Verdammt und verflucht, was ist hier für 'ne Dunkelheit, in der ich hier sitze! Sag mal, Bobr, sag mal: hast du das Geheul gehört, das vorhin das Schiff zerriß, ké, haha, ein Schrei aus Grauen und Blut, ich zittere, bin ich nicht wohl, hab' ich selbst etwa geschrien – im Traum?

Hör, Bobr: mach, daß du nach meinem Schrank hinkommst, hol' die Flasche heraus.

Jawohl: die!

Und ein Glas, mein Freund, aber geschwind, es eilt!

Hab' Dank, danke ... sei so gut und schenke mir auch ein! Ah – h! Das tut gut, nicht wahr! Noch eins!

Ha, ha!

Du, sag mir mal, sag mir mal, Bobr: warum hast du denn solche Eile?

Warum hast du solche Hast, wieder hinauszukommen?

Eile mit Weile!

Nicht wahr!

Was macht das wohl!? Kann ich mir vielleicht unseren alten Bohle nicht einladen, um mit ihm über Träume zu plaudern, ké, freilich! Hol mich der Teufel, komm mal her: krieg dir noch einen Becher heraus, keine Widerreden, mein Schatz, natürlich, setz dich hin, setz dich hier auf den Stuhl, mir gerade gegenüber, ich habe dich schon immer so gern gehabt! Schenk ein, prost, Bohle! Laß uns für eine Minute den Abstand zwischen dir und mir vergessen, wir sind ja doch beide Diener des Zars! Schenk ein, sage ich, mir und dir auch! Prost! ...

Nein, sag mal!

Warte doch einen Augenblick, geh noch nicht. Hast du mir nichts zu erzählen? ...

Du, ich will dir nur sagen: ich habe die gräßlichsten Träume, sobald ich allein bin! Von Tod und Rache, träume ich jeden Tag und jede Nacht! Von einigen Schlingeln, die ihren Kopf weggeworfen haben, und nun kommen sie hier hereingekrochen, um ihn wieder zu suchen, hörst du, ké, sie krabbeln mir in meine Nasenlöcher hinein, sie hantieren da oben in meiner Kehle herum, hol mich der Teufel, k-k-k ... komm her, keine Wiederrede, wenn ich selbst dir einen Schnaps anbiete! Ich will dir auch noch was anderes erzählen, wovon ich vorhin geträumt habe: Da waren plötzlich ungeheure Flammen, die kamen durch den Fußboden herauf, hörst du, sie verbrannten mein Herz zu Kohle, ach Bobr, du ahnst nicht, wie das war: mein Herz, das zersprang mit einem Geheul! mit einem Schrei von Brand und Qual zerbrannte mein Herz! Meine Adern prasselten wie Flüsse aus Feuer in meinem Fleisch ... und im selben Augenblick stand Iwan hier, mit seinem bebenden Hals von Rot und Pulver ... was, haha, Unsinn, ich kenne, weiß Gott, keine Menschenseele, die Iwan heißt! Quatsch!

›Iwan‹ – was für ein Gewäsch ist das! Das ist ja nicht mal ein Name, wie?! Keine Spur! Frauenzimmergeschichten und Lächerlichkeit das Ganze! Ne, da solltest du bloß hören, was Praxin mir zitternd erzählte von der Kälte und der Feuersbrunst des Urraums ... Komm her! Kisss! Noch ein Glas!

Ah–ha!

Ah–h!

Wie gut das tut, so ein rieselnder Schluck!

Fühl nur, wie er ganz wie die Gesellschaft eines treuen Freundes lodernd heiß durch den Busen geht! Merkst du, wie er sich sanft zurecht legt, wie ein liebliches Mädchen, in dein Mark und deinen Magen?! Spürst du, wie er gleich einem heiligen Geist lindernd durch Nerven und Blut schreitet! Prost, noch mal! Zum Kuckuck noch mal zu, hahaha! Nun, lieber Bobr, hast du mir denn gar nichts zu erzählen, Schweinsauge und verschmitzt wie du bist, komm mal her, ist da nicht irgendeine Lustbarkeit, irgendein Saufgelage, wovon du mir berichten kannst, wie – ja ja, laß mich aber doch mal hören, was du gestern abend in Diego vorgehabt hast, du Schurke, ich sah dich über Nacht an Bord kommen, lieber Freund, du schwanktest so stumm und leer, sag doch mal: wie hieß sie, wo wohnte sie, was für Preise hat sie, und welches ist ihre Spezialität! Kisss, du schwiemelnder Trunkenbold, mein Freund, mein Kind, du Feind der Frauentugend, komm her, raus mit der Sprache, bei Gott, sind wir nicht denn alle zusammen Söhne unseres Schöpfers?!«

Luschinskij streckte seine schwankende Rechte aus, stieß mit dem Burschen an.

Bobrs Augen kicherten sich in einem Nu aus seinem runden Kopf heraus, er machte einen Kratzfuß und hickste und gluckste wie eine Henne vor bescheidener Wonne, er hustete vor Vergnügen und Ehrerbietung, er knickte in den Lenden ein vor Pläsier und in süßer Erinnerung der nächtlichen Erlebnisse.

Sie schlangen einander die Arme um den Hals, beide speichelnd, küßten einander zum Zeichen der Freundschaft und Brüderlichkeit – und saßen, halberstickt vor Entzücken, ohne weder erzählen noch lauschen zu können, schließlich nur alles austauschend, was sie an lieblichen Worten kannten, sich gegenseitig überall puffend ...

Oder Peter Romanowitsch fühlte plötzlich, daß auch diese Gesellschaft nicht genug war: wieder und wieder ertappte er sich dabei, auf einmal an allen Fingern zitternd, daß er abermals im Begriff war, von seinen Träumen zu erzählen.

Also beeilten er und Bobr sich, noch einen Becher zu leeren. Sie nahmen einen ergreifenden Abschied voneinander, am Rande des Glases, mit Umarmungen und Hicksen – oder sie wurden alle beide ebenso plötzlich beleidigt und feindlich, schulend und versteckt.

Und dann schlingerte Luschinskij nach vorne auf das Aufbaudeck.

Entweder zu einer Übung, die zu inspizieren er sich den Anschein gab – oder nur auf die erste, beste Gruppe von Matrosen los, die da saßen und Gewehre putzten oder Kanonen reinigten.

Dort traf er in der Regel schon diesen oder jenen von den Kameraden, der ihm zuvorgekommen war, von eben denselben Motiven geleitet wie er: zum Beispiel Starck, Bjelostskij oder Praxin, hin und wieder auch Boruffkin oder Gowitz.

Vereint begannen sie dann die niedlichsten Geschichten aufzutischen, die sie mit Keuchen und Kichern herausputzten.

Unter dem Vorwand, vertraulich und konversierend miteinander zu plaudern, gaben sie ellenweise die wärmsten Witze von sich, lauter und lauter meckernd, damit die Leute auch wirklich jedes Wort hören konnten.

Nach und nach vergaßen sie ganz, Komödie zu spielen, sie schwatzten immer unverhüllter direkt zu den Matrosen hinüber – und endeten schließlich damit, daß sie mitten in der Gruppe standen, schielend, schulend und schnaubend, ihre eigene Lebensführung bis auf die Socken herab entblößend, weit und breit davon erzählend, welch Pläsier und welche Lustbarkeit sie, hol mich der Teufel, über nacht drinnen in der Stadt erlebt hatten; schelmisch die Gemeinen ermunternd, sich auch ein wenig zu amüsieren: weiß Gott, Leute, es sei fern von mir, eure Moral untergraben zu wollen, aber ihr habt es verflucht sauer, Tag aus, Tag ein, mit all den Übungen und den Schwitztouren, die wir euch, leider Gottes, angedeihen lassen müssen – und da wir ja nun doch mal diese paar Tage und Nächte hier liegen, und sintemal wir in einer Woche allen Ernstes von hier weggehen sollen, um hinüberzufahren und ohne zu lachen für den Zaren und das Vaterland zu sterben, darum scheißt auf das Ganze, Kinderchen, amüsiert euch, hol mich der Teufel, ich sag es gerade heraus, wer von euch 'ne Nachtkarte haben will, der soll sie dann auch bekommen: wer weiß, ob der Chef nicht bald ein Verbot ergehen läßt, so daß ihr überhaupt nicht mehr an Land kommen könnt, nicht wahr? Und wenn ihr ein paar Kopeken braucht, um euch zu amüsieren, na ja: auch die könnt ihr bei mir kriegen, vertrete ich nicht Vaterstelle an euch, hahaha! Ach 94, du kolossaler Kanonier, den Satan auch: fehlt es dir an Munition oder an 'ner Schießscheibe mit Haut und Haar und Hals? Hahaha ...

Aber dann kam Pope Woldugirow vorübergeschritten, weiß unter dem Bart, die schwarzen Äugen groß von Himmel, Gott und Gericht – oder man hörte auf einmal Gregorows langsame Stimme, die da unten peinlich schimpfte – oder man sagte zufällig selbst irgend etwas, das einem von Neuem an all das erinnerte, was man vergessen wollte ... und dann hielt man jäh mitten in den Worten inne.

Man erwachte gleichsam plötzlich mit einem Ruck. Sah sich verwirrt und verlegen um. Konnte auf einmal, sozusagen rücklings, alles hören, was man hier von sich gegeben hatte – in Gegenwart aller dieser fremden Menschen.

Man fühlte in einem Nu seinen Kopf zu einem flammenden Feuer werden. Die Brust brach mit einem Getöse zusammen. Man beeilte sich, in seine Kammer zu kommen – ohne begreifen zu können, wie das Ganze vor sich gegangen war, wie, kssss, war man denn voll wie eine Strandhaubitze gewesen, oder von Sinn und Verstand? Oder hatte man das Ganze mit Haut und Haar geträumt? wie? Nie im Leben hab' ich doch ...

Und ein paar Stunden später trug sich nach jeder Richtung hin genau dasselbe zu. –

Ja, allerdings!

Mit einem permanenten und albernen Gekicher entdeckte auch Luschinskij wahrhaftig das eine Mal nach dem anderen, daß er in Wirklichkeit, ohne sich so recht klar darüber zu sein, ganz instinktiv, auf diese Weise im Begriff war, im vollen Galopp, in allem und einem, genau auf das loszusteuern, was ihm Graf Praxin neulich anempfohlen hatte!

Er zog augenblicklich seine Oberlippe ganz bis an die Nase hinauf bei dieser flauen Erkenntnis, fühlte sein Herz geniert schluchzen und fluchte gleich darauf: daß das selbstverständlich das letzte, unwiderruflich das allerletzte Mal sein sollte, daß ihm so etwas passierte!

Weiß Gott, dieser Graf ging mit Kadett Sterns Seele umher, die ihm in Form von Ausschlag und Ekzem auf seiner Fratze saß!

Und seinem Rat sollte man bestialischerweise Folge leisten!

Was!

Haha!

Hol' mich der Deubel, pfui! Ja, da konnte man nun so recht sehen, wie schlau, wie hinterlistig dieser Edelmann war!

Nicht wahr?! ...

Und gleich begann Peter Romanowitsch wieder, vollgepfropft von Verblüffung und anderer Merkwürdigkeit, von neuem jene ganze Unterredung mit dem Grafen und sich selber zu erwägen:

Tod und Tortur, welch ein niederträchtiger, verräterischer Missetäter dieser Praxin doch war! Und eine recht schmutzige Anempfehlung, die er einem damals gegeben hatte, das weiß Gott: daß man auf die unaussprechlichen Körperteile der Leute einwirken sollte! Pfui Kuckuck! Ein Verfahren, das eine ewige Schande für einen selbst war und für die Gefühle, die man als Mann hatte obendrein – und außerdem gänzlich verwerflich aus rein menschlichen Gründen!

Widerlich und infam, kurz ausgedrückt!

Ja, freilich, aber auf der anderen Seite: also man mußte einräumen, daß gerade dies ein Beweis dafür war, wie schlau und klug der Graf war: wenn man bedachte, daß man trotz so vieler Gründe zu einem Protest, dennoch, ohne eine Spur davon zu ahnen, einzig und allein aus eigenem blinden Triebe, es einmal über das andere gerade so machte, wie Praxin es einem anempfohlen hatte, wie?

Gott segne ihn, so eine Menschenkenntnis, wie der Mann haben mußte!

Ganz ungeheuer!

Unter den obwaltenden Umständen war es wahrhaftig über allen Zweifel erhaben, daß gerade seine Ratschläge die fruchtbarsten und feinfühligsten von allen waren!

Ach ja, ein göttlicher Einfall, untergrabend auf die Ethik der Mannschaft einwirken zu wollen, gerade indem man jeden Vormittag ihre Männlichkeit mit Prügeln brach – und dann den Rest davon allabendlich auf Glatteis und Bummelleben lockte, in der Hoffnung, sie da drinnen in dem ersten, schlechtesten, giftigen Frauenzimmerrock gänzlich zu ersäufen!

Selbstverständlich!

Unvergleichlich!

Aber was dahingegen den anderen Teil anbetraf – dachte Luschinskij weiter, indem ihm plötzlich einfiel, daß ihn der Graf ja zu zwei verschiedenen Dingen ermuntert hatte: also betreffs dieses Vorschlags, sich auch rein körperlich auf dergleichen Abenteuer mit den Kadetten oder den Gemeinen einzulassen:

Nein, das war freilich nicht so günstig!

Gott behüte und bewahre mich davor!

Das heißt: selbstredend war es keineswegs die Moral, die einen daran verhinderte, nicht im geringsten!

Hatte nicht alle Welt, gleich seit den ersten Monaten an Bord, ein wenig über Kadett Puschkin gelächelt, wenn er dasaß und Kapitän Bernikoff, dem Navigationsoffizier errötende Blicke zuwarf, die dieser seinerseits stets mit derselben goldenen Münze erwiderte, nicht wahr! Oder wenn der Kapitän weich und wiegend seinen Abendspaziergang machte und in der lila Tropendämmerung hier unten verschiedene Tiefen peilte in der letzten Zeit, den Arm um die Schulter des besagten, süßen Jungen geschlungen! Oder Tag für Tag, wo Bernikoff gleich einem Vater in jeder Hinsicht für den Jüngling sorgte, sowohl in bezug auf Essen, Trinken, Belehrung, Unterhaltung usw.! Und wenn sie beständig nacheinander fragten: Sagen Sie mir doch, Luschinskij, wissen Sie nicht, wo Puschkin geblieben ist, wir wollen ja an Land und mit der Straßenbahn nach Camp d'Ambre fahren, er und ich, heute nachmittag, ich habe versprochen, ihm die sonnenbeschienene Aussicht von dort über Wälder, Wolken und weite Fernen zu zeigen ... Oder: Hören Sie mal, Peter Romanowitsch, haben Sie nicht vielleicht Kapitän Bernikoff gesehen, er ist vor kurzem in die Kommandantenkajüte hinuntergegangen, und ich wollte mir so gern diese Stelle im Dragomiroff von ihm erklären lassen! ... Ja, oder wenn die beiden Herren, wie es in den letzten Wochen ihre Gewohnheit gewesen war, jeden Morgen den Gott werden ließ, zusammen aus der Kammer des Kapitäns herauskamen (wo sie die ganze Nacht paarweise geschlummert hatten) Arm in Arm, mit roten Wangen, großen Augen, frech, geniert und witzvoll zugleich – genau so wie Braut und Bräutigam auf der Hochzeitsreise ... ach ja, Hunderte von Malen hatte man die deutlichsten Anspielungen auf dies alles gemacht, immer unverfälschter werdend, je weiter die Zeit fortschritt!

Na ja!

Und auch wohl nicht ein einziger war auf der anderen Seite blind in bezug auf das, was Praxin vorhatte, wenn er Abend für Abend in diesen letzten Wochen den einen oder den anderen kleinen Leutnant zu großen Trinkgelagen eingeladen hatte – oder wenn er sich erbot, ihnen ein wenig Unterricht ganz von vorne an in der französischen Mundart zu erteilen, in der der Graf selber so perfekt war, in seiner verschlossenen Kajüte! Wahrhaftig, nicht einmal neulich, als man erfuhr, daß sich Kadett Stern, der verirrte Deserteur, an seinen Hosenträgern aufgehängt hatte, da unten in dem französischen Gefängnis: nicht einmal bei der Gelegenheit hatte sich irgend jemand auch nur im geringsten um Praxin gekümmert, obgleich mindestens jeder zweite von allen Kameraden nicht hatte umhin können, zu bemerken, wie der Graf gleich einige höchst sonderbare, gleichzeitig erschrockene und großmaulige Blinkblicke nach allen Seiten hinwarf, so bald Sterns Name genannt wurde.

Nein!

Über moralische Rücksichten war man, Gottlob, zollhoch erhaben!

Es waren, weiß der Himmel, nicht dergleichen Alteweiberstreiche, die Peter Romanowitsch zurückhielten!

Im übrigen war man wohl auch alt genug, um längst selbständig über dergleichen gedacht zu haben! Zum Kuckuck auch: wenn die Frauenzimmer – die doch delikater und klüger sind als wir – wenn die sich nicht genieren, einen Mann oder auch mehrere zu lieben, dann brauchten wir doch wahrlich kein Hehl daraus zu machen, eh? Und der liebe Gott hat uns doch obendrein alle diese amüsanten Betätigungen da unten nicht gegeben – damit man acht Monate auf einem Schiff aus Stahl herumlaufen soll, ohne etwas zu haben, was einem wenigstens einen geringen Trost gewähren kann, für diesen Mangel an Mull und Atlas, bei meiner Seelen Seligkeit!

Nein, nein!

Nein, aber die Sache war die, daß jeder Mann ja nun einmal seine eigene Lust hat, nicht wahr?

So traurig es klingt, es gibt doch faktisch Dinge, die man seinem Magen nicht bieten kann – selbst wenn man noch so hungrig und ausgezehrt ist, habe ich recht oder nicht, aber natürlich habe ich völlig recht! ...

Und deswegen geschah es ja, daß jedesmal, wenn Luschinskij die Augen zu dem mehrfach erwähnten Sekondeleutnant Fedor Weronoff erhob (und von anderen als von ihm konnte selbstredend zu diesem Zweck keine Rede sein!), ja: jedes gottgeschaffene Mal, daß Peter Romanowitsch Weronoff ansah, mußte er spornstreichs an das denken, was der Graf gesagt hatte: daß Fedor Eudoxia gleiche!

Ach ja, Luschinskij sah im selben Augenblick Eudoxia vor sich: mit ihren großen und langsamen Augen, blau wie Juwelen und Seide; und er sah ihre kurze Nase, die lachte; und Eudoxias kleine, lächelnde Wangen, und ihren Mund, der gleich einem großartigen und feuerroten Paragraphzeichen quer in ihrem unschuldigen Gesichtchen saß, um ihren Anblick ein klein wenig ernsthafter zu machen!

O ja, Eudoxia, die immer so holdselig schlank in der Taille gewesen war – und dabei ihre breiten Hüften hatte, wie ein Lehnstuhl oder eine Wiege für mich geformt!

Eudoxia, die einen goldigen Schoß hatte, und ihre großen, weißen und blühenden Brüste – an denen die Knospen so empfindsam waren, wie, ach ja, du Warme, du Wunderbare, du ewig Entbehrte, du Unersetzliche ...

Ja, ja, jedesmal, daß Luschinskij schräge zu Weronoff hinüberguckte mußte er – sozusagen auf jammervolle und schmerzliche Weise – an Eudoxia denken: ganz, als sei sie einst, vor langen Zeiten, seine geliebte Gattin gewesen, sein ewiges Weib vor Himmel und Erde ... aber nun war sie fort und tot, Herr Jesus, mein Gott: sie lag in einem marmorweißen Kleide tief unten in der schwarzen Erde mit einem silbernen Kreuz, einem Kranz mit Glasperlen ... Ach ja, so erinnerte er sich ihrer: und darum wurde ihm sauer im Munde, er bekam Krämpfe und Stiche im Busen und schalt augenblicklich diesen schnöseligen Bengel von Weronoff überirdisch aus: ihn, mit seinen Knabenhüften, seiner flachen Brust und den Beinkleidern voll widerwärtiger Männlichkeiten, dieser Laffe, der sich einbildete, daß er Eudoxia glich, kä, scher dich zur Hölle! ...

Nein, wahrlich, was diesen Teil von Praxins Ermunterungen betraf, so fielen sie keineswegs in Luschinskijs Geschmack!

Nicht die Spur!

Freilich war er in höchstem Maße bereit, alles mögliche zu tun, damit man das erreichen konnte, worüber sich der Graf in so ehrlicher Weise unverblümt ausgesprochen hatte: nämlich, eine vollständige und tödlich verwirrte Einigkeit an Bord zu schaffen, und auf diese Weise das Geschwader (oder auch nur das Schiff hier!) unter dem Druck der Matrosen zur Heimkehr zu zwingen – – – jawohl, gewiß, aber dies mit Weronoff wollte er denn doch nicht, nicht im geringsten, obwohl er ja also, auf der anderen Seite, keinen irgendwie vernunftmäßigen oder an sich plausiblen Grund für seine Weigerung finden konnte, außer dem einfachen: daß, wenn die anderen diesen Teil der Arbeit besorgten, er es ja nicht nötig hatte!

Wie?

Nein – schloß Peter Romanowitsch seine Erwägungen, nachdem er allmählich bis an den allerletzten Teil von des Grafen weisen Worten gelangt war: nein, dann war da ein anderer Gehalt in der Aufforderung, die auch Starck, Tscherikoff und andere wohlhabende Offiziere vorbrachten: daß man nämlich so viel von den jungen Bengels wie nur möglich, zu Jungfrau Mura-o-a einladen, sie ihre glutheiße Bekanntschaft nach jeder Richtung hin machen lassen – und sie auf diese Weise unauflöslich festleimen solle: entweder an den tropischen Erdboden bei ihr, oder doch wenigstens an den edlen Spender des Tractements! nicht wahr! ...

Gewiß – diese Sache sagte Luschinskij weit mehr zu.

Namentlich jetzt – vier, fünf Tage nachdem die Reparaturen begonnen und wo sämtliche Kameraden zur Genüge ihr Bedürfnis bekundet hatten, nicht zu viel allein miteinander zusammen zu sein.

Die Offiziere waren deswegen immer und ewig an Land, jetzt – jeden Nachmittag und Abend, wenn die Brandblicke der Sonne sich ein wenig verschleiert hatten, wenn die Schatten einem das Klima erschlossen, wenn die Menschen dadrinnen bei dem Abendwind mit einem Seufzer erwachten.

Starck und die anderen warfen mit ihren Sparrubeln um sich, weit ärger als in jenen früheren Zeiten der Zusammenschließungsversuche.

Täglich luden sie – in Übereinstimmung mit ihren dunklen Plänen – drei oder vier von den jungen Leuten ein. Denn Madame war ja augenblicklich ihren Absichten entgegengekommen; nämlich indem sie ihre Preise ein gutes Stück über die Summe hinausschob, die sich die Gage oder das Taschengeld so eines jüngeren Herren gestatten konnten: da es sich ja aber um unser allgemeines Bestes handelte, und da sie nebenbei allerdings an und für sich das Geld wert war, so ...:

»Unsinn! Ei was! Keine Redensarten! Bringt eure Gläser mit und kommt her!« stammelte Starck also eines Tages bei dem Likör nach Tische, da unten in der Messe, indem er sich notgezwungen im selben Augenblick wieder niedersetzen mußte, weil seine Beine sich weigerten, ihn recht lange auf einmal zu tragen. Er fuhr sich über den weißen Mund, der ganz leise bebte – sah sich um, verdrehte seine Augen ruckweise, als sei da überall Licht, das ihn in den Kopf hineinschnitt. Er begann plötzlich mit seiner neumodischen, schluchzenden Stimme drauf los zu reden:

»Wahrhaftig! Verschont mich mit Widerreden! Selbstredend fahrt ihr mit übers Wasser! Durch Sonne an Land – zu Nacht und Brand!

Oder habt ihr etwa ... ja, ja, habt ihr etwa bereits eure seufzenden Träume an Liebe und Lust eingebüßt?!

Ist die Jugend von heutzutage taub, gegen der ewig verlangenden Sehnsucht Klage?

Wie?

Oder, sagt, habt ihr nur vergessen: antwortet, vergaßt ihr denn ob der Last und Arbeit des Tages, was wir älteren mit brennenden Lippen euch vorgefabelt haben von der Dame da drinnen, von Frau Mura-o-a?

Wie, zum Teufel?

Das fehlte ja nur noch, nicht wahr?

Aber dann hört einmal!

Ehé!

Kommt dicht zu mir heran, nehmt die Benediktinerflasche mit, setzt euch mit einem Schwupp nieder!

Vertraut mir offen heraus: habt ihr denn niemals Kapitän Lester, den Poeten, gehört, wenn er – totmüde am Körper, die Seele aber von Morgendämmerung umstrahlt – knurrend von ihr dort drüben heimkehrte!? Habt ihr ihn niemals fluchen und sein blutiges Lied singen hören – das solchermaßen beginnt: bei Zeus und Gott, sie war eine Feuersbrunst, ein Mord in meinem Herzen! ...

Wie, nicht wahr, ja, ja! Ja, beim Andenken an meine Mutter: Mura-o-a machte auch mein Gemüt ehemals bluten und sterben! Ach, du meine Stundenjungfrau da drüben! Du bist glatt und braun, in den Schatten dunkel und grausam, wie Opium und Äther! Ja, so wahr ich lebe: zum erstenmal in meinem Leben geschah es mir, daß mein Fleisch sich selbst vergaß, und meine Seele flammend meinem Schlünde entfuhr – als ich neulich nachts in ihren Armen gelegen!

Das geschah mir noch nie zuvor!

Noch nie zuvor!« – Er warf den Kopf in den Nacken. Es hob sich auf einmal gleichsam ein neues Lid von seinen Augen; sie brannten sich glühend hindurch. Er griff sich mit allen zehn Fingern über die Ohren. Es hüpfte ein Zittern über seine Mundwinkel hin:

»Nie zuvor ... obwohl ich doch, ja, haha, obwohl ich doch alles auf der Welt gekostet habe, an Liebe und Begierde!

In Japan hab' ich ein Kind von Körper besessen, nur dreizehn Jahre alt – aber ihr heißer Geist wußte alles, erinnerte sich der uralten Künste und Kniffe von Generationen. Luschinskij: erzählen Sie, wenn Sie wollen, alles, was ich Ihnen damals anvertraut habe, eines Abends, bei Unwetter, Wind und Wolken: von Uruma, meiner sammetweichen Blume in der Sonne: meinem gelben Becher, meinem frohen Pokal, dessen Durst allnächtlich so wild warf Herr, flüsterte sie mir zu mit dem Feuer ihrer Lippe: mein Geschlecht ist eine Raubtierrose, eine Orchidee, die dein Mark einsaugt in die Krone!

Die Mädchen in China ... ich entsinne mich ihrer noch deutlich, meine Haut wird wie Pelüche und Cayenne, sobald ich nur ihrer gedenke: rasiert und glatt, wie ein Grübchenmund waren sie alle geschaffen. Sie versengten die Lenden mir mit Fackeln von Lust. Ach Gott, ich erinnere mich noch, meine Herren, ich erinnere mich noch ihrer fremden Stimme, die die Brust mir heißer umklammert, die feucht und kurz meinen Gaumen gemacht. In dem großen Moment da raste ich blind, berauscht und toll – von ihrem tropischen Duft voll Tang, Terebinthe und Tee ... es schwindelte rot mir, ich versank.

Und die Spanierinnen, ach: die kannten mich nur bei Nacht. In die Arme sie sanken mir zischend, wie Schwärme von Phosphor und kochendem Dunkel. Ihr blaues Haar war kühl, es knitterte spitz; meine Nägel schauderten drin: ich zittert' vor Schwere und Durst. Doch am Tage, wenn ich auf der Straße sie sah, und die Lippen in höhnischem Lächeln sie kräuselten, dann weint ich vor Fieber nach der Nacht!

Ja, auch in Danimarca hab' ich umfangen – das grünende Land aus Wiesen und Wasser, die kleine Reseda in dem hellblauen Meere: ja, auch da schenkten die Frauen mir Wonne: zuerst lagen sie still, anschmiegend, mir unter der Brust. Ihre Antlitze erbleichten sanft. Sie rührten sich unruhig unter der Last. Sie lächelten furchtsam und leise. Dann baten sie mich weich, mit lautlosem Seufzer: Ach bleibe, mein Freund; ich lasse dich nimmer, du machst mich so froh, so tief!

Jawohl! In Allerwelt Reichen fand ich die Freude der Nächte!

Von Land zu Land!

Aber das alles war nichts – gegen die da drüben! Die anderen waren Funken – wo sie eine Glut ist! Die anderen waren Asche – wo sie eine Flamme! Jetzt weiß ich auf einmal, sie war die erste von allen! Die einzige, die mich keusch gemacht und bange und zornig und ... ké, wie beliebt, was erzähle ich da, Unsinn, haha, hört, saget mir ... erzählt mir einmal, vertraut es mir an: habt ihr wirklich nie ... habt ihr noch nie Lester im Busen schluchzen hören? Ach, Mura-o-a – sang er neulich: Du bist als würden meine Adern mit Chartreuse und Absinth gefüllt, und als würde eine süßlich-sengende Räucherglut dazu entfacht! ...

Haha!

Hört mal her!

Wäre das nicht ... wäre das nicht was für Sie, Kadet Pavel Andrejewitsch Owen: Sie Jüngling, Zyclop, Sie sehnsuchtsvolles Kind! Ja, wahrhaftig, jetzt bemerke ich, wie ihre Pupillen sich erweitern! Ja, ja! Sie haben recht, junger Freund und Mann! Bei Maria und Georg: als ich gestern da drinnen war, ich glaubte mich selig auf dem Wege zu Gott! Ich glaubte einen Augenblick, daß ich schreiend in ein märchenhaftes Meer stürzte – in einen See aus siedendem Bernstein, so golden und heiß war ihre Haut unter der meinen!

Wie eine Sonne aus Gold und Brand – so ward mein Herz auf einmal!

Es brannte sich wach – und lachte!

Es sengte sich zum Leben – und weinte!« – und Starcks Augen gingen im Blitze aus seinem Gesicht heraus. Seine Wangen waren weiß im Feuer. Er erhob die Hände und preßte sie zitternd über sein Antlitz. Stöhnen wälzte sich aus seinem Mund heraus. Seine Brust hob sich krampfend unter seinem Rock.

»Nun ja!« sagte Praxin, indem er sich vorbeugte, flüsternd, und an seinen Arm puffte – »fahren Sie fort! Warum halten Sie hier inne! Bedenken Sie doch ...

Erzählen Sie!

Die Jungen warten und lauschen, éhé, ihre Lippen glühen und beben!

Was weiter?

Vorwärts!«

Starck lachte jäh. Seine Stimme stieg und fiel:

»Hört her. So hört denn! Ich entsinne mich ... ich weiß ... so kommt denn her! Reicht mir mein Glas mit Benediktiner! Und schenkt mir ein frisches ein! Pardieu! Aha! Gewiß, natürlich erzähle ich alles, vom Alpha bis zum Omega ... von meinem ersten und – letzten Besuch dadrinnen! Noch einen Schnaps! Warum, zum Teufel, sollte ich euch nicht das Ganze anvertrauen? Welchen Grund sollte ich wohl haben, zu zögern und zu schweigen? Unsinn! Bewahre! Mit Stumpf und Stiel sollt ihr es hören!

So lauscht meinem traurigen Lied, von meiner nächtlichen Wonne bei ihr!

Es war Abend und finster. Es war Dämmerung und still.

Ich tastete mich dadrüben vorwärts.

Ich strauchelte über dunkle Tiere, über schwarze Neger, die schliefen – ich weiß nicht, was.

Aus weiter Ferne schon sah ich ihr Haus. Ich erkannt es sofort – an den kreideweißen Blüten, die sich bleich, rauchend an der Mauer hinaufwinden. Ich erreichte ihre Tür. Und hielt eine Sekunde inne – ich weiß nicht mehr, warum, trocken im Halse und krank ... ach, Mura-o-a, du Gelbe, du Wilde, fühl wie das Herzblut mir pocht!

Dann riß ich den Vorhang zurück – den einzigen Verschluß des Zimmers.

Ich stand, kurzatmig, und stotterte heiser, in olivbraunem Halbdunkelschein ... von einer kleinen Lampe dadrinnen:

Mura-o-a, antworte mir, hast du Raum für einen Gast heute nacht! Für einen Fremden, der hier steht und wartet? Wo bist du ... ich kann dich nicht sehen ...

Aber nach einer kleinen Weile sah es aus, als erwache der rote Lehmboden da drüben, in der Ecke, die am weitesten von mir entfernt war. Es wiegte sich und kroch. Mein Nacken schnellte mit einem Ruck in die Höhe, ich starrte. Ich hörte eine Stimme, die leise flüsterte. Eiskalt ging sie durch mein Ohr hinein. Sie schlich sich schaudernd über die Haut meines Antlitzes ... sie klang wie die wandernden Schuppen einer Schlange, als lausche ich ängstlich dem Blute, das sickernd in mir selber rann!

Und dann unterschied ich sie: gelb wie Porphyr glitt sie über den blutenden Boden. Nackend von der Schulter bis zur Ferse. Wie ein Schwelen von Rauch über dem Erdboden. Eine schreitende Glut ... ihr Haar war schwarz und blank.

In einem Nu umschlang ihr Arm meinen Hals.

Ihr Mund fraß sich in den meinen hinein.

Sie nahm meinen Atem.

Mura-o-a! Wehe dir! Du entzündetest meine Seele in jener Nacht! erst bei dir ist's geschehen, daß mein Herz getötet – und dadurch wieder zur Geburt erweckt ward!

Ich ward zum Manne in deinen Armen! Was ich sonst gekannt, es waren nur Chimären über dich! Du erst gabst mir in Wahrheit das, was Sehnsucht und Träume bisher nur ahnten!

Du Jungfrauen-Witwe von Tausenden, du wurdest mein Leben – in einer einzigen Stunde!

Du branntest mein Fleisch zu Seele!

Ach, Mura-o-a! Bleib bei mir, Tage und Nächte! Verlaß mich doch nicht! Werde die meine! Nie eines anderen, nur mein! Fliehe mit mir von hier! Werde allein die Meine!

Komm!

Ich sehne mich und hungere und weine!« – Starck hielt mit einem Schluchzen inne. Er sah seine Hände, die zitternd vor seinem Gesicht in die Luft aufragten. Er riß die Augen weit auf und sah um sich – wo die anderen starrend saßen, die Blicke abgewendet.

»Eh bien!« flüsterte Praxin mit einem Kichern, die eine Hand auf Owens Schulter – »nun ja, und was dann? was weiter? Drauf los!

Continuez!

Sie hören ja gerade an der schönsten Stelle auf, wozu das, nur immer weiter, fahren Sie fort, wie beliebt?

Oder vergessen Sie etwa ganz Ihre Pflicht – die Pflicht, die wir Männer alle den jungen gegenüber haben?!

Erzählen Sie weiter!«

Starck wurde noch weißer als bisher. Seine Lippen trennten sich auf einmal, sie wurden flach und grau. Ein Laut entsprang seinem Halse. Seine Augen füllten sich mit Wasser.

Aber in demselben Moment hatte er den Arm schon wieder ausgestreckt, plötzlich speichelnd, schluchzend, mit feuchten und roten Blicken in dem erbleichten Gesicht mit Krampf –:

»Jawohl! selbstverständlich! sie will ja nicht ... sie will ja nich' die Mei' allein sei' ... kä! Ich mein' ... ich sag' ... ké, ja! Ich erkauf mein Leben mi' ...! Nun ja! Nun ja, mehr Schnaps! Und dann komm her, du Grünschnabel, du Laffe, du Kadett!« stammelte er, gurgelnd, mit einem Kloß im Halse, indem er sich ganz über Owens kleines Ohr beugte, ihn unaussprechlich mit seinen zitternden und sommersprossigen Fäusten betastete, während die Zähne tief in seinem Greinen knirschten – »Ja! kähä! Und alles das ... alles das ... alles das hab' ich für hundert Rubel bekommen!

Ruhig! hören Sie doch, Sie Knabe und Tier!« flüsterte er sengend, so dicht neben Pawel Andrejewitschs Wange, als wenn seine Zungenspitze in den Gehörgang des Kadetten hineinreiche – »und wenn Sie selbst das Blutgeld in dieser Sekunde nicht haben, wohlan, so vollziehen Sie den Schritt nur gleich ganz und borgen Sie sich den Lumpenmammon bei mir! Ja! Sie können es mir glauben, Sie können Gift drauf nehmen, jetzt denke ich allen Ernstes daran, Dutzenden von Ihren hündischen Kameraden dieselbe intime Verwandtschaft mit uns anderen allen zu schaffen! zur Hölle mit euch, samt und sonders, und mit der Dirne da drüben! Zu Dutzenden, nein Hunderte sollen sie tot und fahl und häßlich betasten! kkk! ach, hätte sie doch eine Erbschaft von Pest und Tod für euch alle! Eine Erinnerung aus der Hölle und dem Pfuhl!

Hören Sie zu!

Füllen Sie mein Glas geschwind! ...

Sie zögern und schwanken, Herr Owen! – wissen nicht, ob Sie mein Anerbieten, Ihnen Geld zu leihen, abweisen sollen oder nicht! Haha! Jaja! Ich verstehe Sie sehr wohl! Ich fasse vollständig, was Ihnen in diesem Augenblicke durch die Gedanken geht: Sie sitzen da und erinnern sich, wie ich Sie in der letzten Zeit im Dienst behandelt habe! Sie sind im Begriff, törichterweise zu überlegen, ob Sie es auch mit Ihrer Ehre vereinigen können, Geschenke von mir anzunehmen! Ké! Noch haben Sie mit anderen Worten nicht ganz vergessen, wie ich Sie heute morgen ausgeschimpft habe, während Sie wie gewöhnlich wieder einmal wie ein Dösbattel zwischen den Gemeinen standen! Pfui! Ich hab' Sie bis auf den Grund verhöhnt! Ich entsinne mich dessen genau! Ich erinnere mich dessen mit Wonne in dieser Sekunde! Ich fragte – während die Leute es hörten: ob Sie nicht lieber gleich nach Hause reisen wollten, hahaha, ob Sie nicht Erlaubnis bekommen könnten, unter den Röcken und Hosen Ihrer Mutter zu wohnen, kä, hol' mich der Teufel: unter der lapisfleckigen Chemise Ihrer Mutter, sagte ich: denn die Kanonade dort sei gewiß die einzige, die für Ihre kriegerischen Aspirationen geeignet sei ... das schrie ich Ihnen heute morgen zu, während die Mannschaft es mit anhörte! Haha! Und ich wiederhole es jetzt hier, in der Schar der Kameraden! Ihr Blut heulte und rüttelte dabei in Ihnen – genau so, wie meines es jetzt tut! Gleiches mit Gleichem! Und warten Sie jetzt nur bis morgen, ja, warten Sie nur, bis Sie da drinnen gewesen sind, bei meiner Gelieb ... ja, Sie können mir glauben, ... ich will schon ... ich will sicherlich ... ich erkaufe mein Leben mit ...

Unsinn, nicht wahr, Sie begreifen mich wohl? Sie verstehen ja deutlich, was ich will, hören Sie nur zu: was Ihnen augenblicklich fehlt, sind ja gerade einige Erlebnisse nach der vorhin erwähnten Richtung! Fragen Sie Praxin, den Schlingel und Schurken, der das Ganze ordnet! Hä! Sie werden sehen: ein Besuch bei ihr wird Ihnen gut tun! Sie werden ein Mann werden, durch Ihr Wissen. Sie werden mit einem Schlage ein Hüne werden, unter der schwindelnden Qual ihrer Lippen! Sie wachsen zum Heros in einem Nu ...

Ach Jesus, mein Gott: töte ihn heute, ehe er da hinüber gelangt!

Hahahaha! ... verzeih mir, Mura-o-a!

Kssss ... ich rase, ich sterbe!

Nicht wahr?

Was sagen Sie nun?

Kommen Sie nur her! Fahren Sie nun hinüber und sabbeln Sie meine Geliebte tot! Ich erkaufe mein Leben mit meinem Tode!« ...

Sehr richtig.

Die ganze Allewelt ging allmälig an Bord der Motorpinasse, Starck da draußen krank wie eine Leiche hinterlassend, an Land hinüberfahrend, um seine Dame mit Geld und Mark zu besuchen – und ein paar Stunden später kamen sie zurück. Sie schwankten strauchelnd das Fallreep hinauf, mit krummen Hüften, als sei ein Automobil über ihre Lenden dahingefahren. Ihr Antlitz lag ohne Lebenszeichen gedunsen auf ihrer Brust. Ihre Hände waren bleich, wie Schleim. Aber im Grunde ihres Busens saß ein erstickender Rauch aus Erinnerung und Glut, der da drinnen fraß.

Kurz: das Ganze war so, wie es sein sollte! –

»Hatte ich nun nicht recht, trotz allem?« fragte Praxin kichernd, indem er Luschinskij puffte. Sie standen, gegen Abend, alle beide auf der Kommandobrücke, mit nassen Stirnen unter der Mütze. An den Stellen, wo ihre Handflächen das Geländer umfaßt hatten, waren perlige Streifen von Feuchtigkeit zurückgeblieben. Das Gesicht des Grafen hing wie ein Fleck aus Nebel und Greinen lose in der Dämmerung. – »Kommen Sie mit, dann fahren auch wir an Land, während die anderen da sind!

Wir schleichen, in der Dämmerung, hinter das Haus der Dame! Wir legen keuchend unsere Ohren gegen die dünne Wand aus Palmenblättern, Rippen und Lehm – wir ergötzen uns billig, mit Hilfe und Steifmachung der Gehörfähigkeit, habe ich recht, oder nicht, ja, sicher!

Nicht wahr?

Wollen wir das tun?

Kommen Sie nur mit, Herzensfreund!«

Peter Romanowitsch antwortete selbstredend, während ihm die Knie schlotterten, mit einem Kichern und einem lautlosen Kopfnicken.

Aber wenn sie dann an den Strand hinüberkamen; und wenn Praxin, auf einmal grün im Gesicht, sabbelnd, mit den Armen schlackernd, anfing, sich auf den Fußspitzen durch die violette Nacht zu schleichen, an der Hüttenstraße entlang, wo der weiße Sand rauchte und glitt, und die Luft sauer war von Negern, wo die schwarzen Gestalten kamen und entwichen, mit kreideblauem Lächeln der Zähne ... dann endete es jedesmal damit, daß sich Luschinskij plötzlich eiskalt und mit einem Gefühl des Erstickens, kurz weigerte, weiterzugehen und an der Hauswand zu lauschen:

»Quatsch und Unsinn!« flüsterte er, mit trockenen Lippen, naßkalt im Rücken, und schwulstigem, heißem Halse. Es stiegen unbestimmte und dunkle Erinnerungen an Eudoxia in ihm auf, in eben derselben bejammernswerten Weise, die er sich in letzter Zeit ohne zu wissen weshalb, zugelegt hatte:

»Nein!

Lassen Sie mich!

Ich mag wirklich nicht!

Ich hab' mir nie was aus dieser Person, Mura-o-a, gemacht! Zum Teufel auch, kssss! Lassen Sie die anderen sich amüsieren, wann sie wollen! Oder haben Sie doch niemals Starck gesehen, der tagtäglich vor Eifersuchtsqualen weint! Wie? Unsinn! Und Ihr eigener lieber Gott, den Sie jede Nacht lieben, kéké! Oder denken Sie wenigstens an Eudoxia, die Ärmste, die längst tot und von den Würmern verzehrt ist, Gott verzeih' mir, daß ich nie dazu kam, ihr zu schreiben, ehe sie heimging! Nicht wahr? ...

Ké!

Und wenn ich mir nun also nicht das geringste aus der da drinnen mache, keine Spur, keinen Funken, so würde es ja eine Sinnlosigkeit, ein Paradoxon sein, wenn ich tun wollte, wozu Sie mich auffordern! Freilich, haha, nicht wahr, jawohl: Ein Paradoxia, müßte es heißen! Ein Para-Eudoxia, allerwenigstens! Kä! Wie beliebt? Was sagen Sie dazu, mein Freund! Gar nicht so übel, meiner Treu! Hahaha! Ja, kä! Ein Para-Eudoxia, hol' mich der Teufel, ich lache so, daß mir die Augen voll Tränen stehen, halten Sie also nur Ihren Mund, Sie Schlingel und Schurke, Sie Besudler des Herrn, halten Sie das Maul, haben Sie Lwow und Stern schon vergessen, lassen Sie mich in Frieden, machen Sie daß Sie wegkommen, tun Sie was Sie wollen – ich tue, was ich will!«

Und damit warf sich Luschinskij am Rande des Waldes hin, mit den Augen zwinkernd. Seine Brust ging hicksend auf und nieder, und er bemühte sich, mit Schaum vor dem Munde, zu lachen.

Die steifen Blätter da oben in den Palmen ringelten sich leise in der Dunkelheit. Die Stämme knarrten sacht. Der veilchenblaue Himmel hing lautlos herab, in lichten Fetzen und Nebeln. Die ewigen Sterne schritten stille dahin. Der Wind rührte sich heiß. Die Rhododendronsträucher standen kohlschwarz da; sie strömten stumm ihren bitteren Duft aus. Und der süße Geruch der Kakteen schlich sich hin und wieder empor, aus der Tiefe der kreideweißen Kelche.

Oben auf dem Abhang hinter ihm, wo die europäische Stadt lag, ragten die bläulichen Garben von den Bogenlampen hoch in die Luft hinauf, flackernd. Von Zeit zu Zeit ertönten Stimmen von da oben her. Oder Frauengekreisch bäumte sich zu einem Pfiff. Die Makies sangen mit Geschrei und Gemurmel da drinnen im Hain. Die tiefen Stimmen der Chamäleons glucksten, lallend, trübselig. Draußen von der See her kamen die kleinen Wellen geglitten; sie zischelten einen Augenblick im Sande und verstummten.

Ein rotes Licht blinkte draußen auf dem Schiff; dann und wann ließ es einen blutgefüllten Tropfen ins Wasser hinabfallen.

Die Erde unter seiner Seite und seinem Ellbogen war warm und fein.

Er hörte das grenzenlos kleine Geräusch, wenn irgend ein Käfer auf der Flucht zehn oder zwanzig unsichtbare Staubkörner um eines Fingers Tiefe in eine Rille, eine Fußspur hinein sinken machte.

Und Peter Romanowitsch flennte sich langsam in den Halbschlummer hinein, von allem eingelullt, die Nase bebend von dem Laut seines Atems, das Gehirn platzend von Träumen, die weinten ...

Bis die Nacht mit Raballer zersprang – wenn einer von den Decauville-Kippwagen, vollgepfropft von französischen Unteroffizieren, donnernd den Abhang hinabfuhr und plötzlich mit einem Geheul auf den Schienen dicht hinter ihm stehen blieb ... um diese Messieurs in das Dirnen- und Trinkviertel hinabzubefördern.

Da richtete sich Luschinskij wie zerschlagen auf, todmüde an Knochen und Sinn.

Er schwankte, leise rufend, in der Dunkelheit umher – zwischen den Hütten, die auf einmal kohlschwarz vor ihm standen, hier und da; zwischen den weißen Gittern, die bleich seine Schritte hemmten; unter den Kronen der zischelnden Palmen, ein kochender Schleier von Finsternis; unter den getünchten Stämmen der Palisander:

»Praxin!

Wo sind Sie?!

Es ist hier auf einmal stockdunkel und einsam! Ste-pan! Wo sind Sie, ich will nach Hause wieder, zurück nach dem Schiff!«

Dann war der Graf plötzlich an seiner Seite, schlaff in allen Gelenken, mit abgestorbenen Augen, stöhnend.

Sie gingen zusammen, Arm in Arm, wortlos, murmelnd, strauchelnd, die Rücken kalt von Nacht und Grauen, bebend, an den Vorstrand hinab. Sie humpelten stolpernd, sich mit der freien Hand an das Geländer anklammernd auf die schlingernde Landungsbrücke hinaus; ihr Holz stieß heiser gegen ihre Tritte. Sie riefen die Gig an, mit Stimmen, die sie selbst nicht kannten, und kamen an Bord.

Dort versuchten sie, ein oder zwei Minuten, ihren Humor pflichtschuldigst wieder aufzubrüllen, um eventuell Umherstehende dadurch hinters Licht zu führen:

»Que diable, Peter Romanowitsch, nur von all dem, was ich da drinnen mit angehört habe, brennt mein Blut, weiß Gott, noch! J'ai eu deux spasmes là-bas, fulgurants et longs, ils m'ont vidé les couilles!

O là, là!

Morgen sehen wir uns wieder!«

»Ké!« entgegnete Luschinskij, kichernd mit Schaum, indem er versuchte, sich auf die Schenkel zu klatschen – »ké!

Jawohl! demain! bei Gott! Nie werde ich dies vergessen!

Nein, nie werd' ich dies vergess ...

Nie-ie ...« – und dann schlichen sie beide, sich an Geländer und Stange klammernd, tastend in ihre Kammer hinab.

Bobr hatte das Bett für Peter Romanowitsch gemacht – in einer Viertelstunde war er daher entkleidet und krabbelte in die Koje.

Aber damit waren die Sache und der Tag noch lange nicht vorbei!

Ach nein, erst jetzt kamen die schlimmsten Stunden!

Die grenzenlosen, nämlich.

Die der Einsamkeit:

Luschinskij lag stundenlang da und konnte nicht einschlafen.

Ohne sich zu rühren starrte er langsamerweise zu der Decke empor, mit bebenden Lippen, das Ohr auf der Wache.

Drinnen in seinem Innern schritten Tausende von schwermütigen Gedanken dahin: sie tauchten auf, tief drinnen in seinem Nacken ... sie schlichen sich zitternd vor ... stellten sich auf vor seinen vom Weinen weißen Blicken ... und versanken schwankend nach einer Weile, um anderen Platz zu machen.

Ach, sein Wesen tastete sich jammernd hindurch durch alles, was in seinem Leben geschehen war.

Durch alle die Dinge, die gesagt und getan waren, im Laufe von Tagen, von Wochen, von Monaten und Jahren:

Alle seine Kameraden stiegen vor seinen Augen auf, mit verblaßten Gesichtern, mit bodenlos elenden Blicken, fahl und weinend ... Er sah Iwan vor sich, mit dem abgeschnittenen Hals wie ein rotes Plakat zwischen den breiten Schultern. Er fühlte in seinem eigenen Innern die Rache und das Grauen, die ihm das Gesicht des Burschen gezeigt haben würde, wenn es nicht weg gewesen wäre. Er hörte am Rande seines Ohres die gehässigen Worte, die Iwan gesagt haben würde, wenn sein Mund noch existiert hätte ... Und Seine Exzellenz Luschinskijs Vater wanderte herbei mit den morschen Händen wie Milch, mit dem Grau der verstummten Lippen, mit allen den weißen Haaren ... Und Eudoxia erhob sich schwer, mit einem Seufzer, aus ihrer Erde; starrte vor sich hin, mit ihren ewigen Augen aus Grab und Würmern.

Sein Gehirn kauerte da oben hinter seiner Stirn – und murmelte seine stundenlangen, geistlichen Lieder vor sich hin, eintönig, Musik der Klage und des Kopfschüttelns ... ja, ja, eine traurige Begleitung zu allen den viel zu lebenden Bildern:

Ach Herr, mein Gott, hör' mein Schluchzen und Weinen!

Sieh, ich habe mein Leben verloren, habe mein Selbst vergessen, wo ist meine Seele?

Ach, die Nacht ist lang, sie steht wie ein Berg vor meiner Brust!

Mein Gott, siehe in Gnaden und Trost auf mich herab! Was habe ich denn Böses getan? Soll ich um Iwans Tod niemals von hier entrinnen? ...

Schleunigst begann er an andere Dinge zu denken, wagte nicht bei der Erinnerung an den Burschen zu verweilen ...: wie mochte es Simoff wohl ergehen, à propos des Entrinnens?

Jetzt war er schon vier Tage weg gewesen, dieser verliebte Herr ... und heute vormittag hatte man angefangen, allen Ernstes darüber zu murmeln, unten am Frühstückstisch: warum, zum Kuckuck auch, er doch nicht längst heimgekehrt wäre? Schon vorgestern bekamen wir ja das Telegramm, daß Stern kaput sei, der Suizidist! Und es sind doch wahrhaftig nicht mehr als zwei Tagereisen, alles in allem, hin und wieder zurück, plus Pause und Ruhe, bis nach Tananabozuke, allerhöchstens, nicht wahr? War Herr Alexej Porphyriewitsch denn unterwegs von dem dicken Uschoff gemordet worden, ké? war er in einem Hain erdrosselt worden, von den Betsimisaraken? War er nach dem Willen und Beschluß der Vorsehung in einem Wasserfall ertrunken? Oder, zum Teufel auch, sollte es möglich sein, daß der sanfte Liebhaber auf einmal die Maske abgeworfen hatte und ausgekniffen war!? Verdammt und verflucht! Höchst sonderbar! Ei, ei! Auf alle Fälle ein reizendes Benehmen, dieser Tagedieb, während wir anderen uns hier abrackern müssen! Wie? Und so einen Kerl haben wir so lange Kamerad genannt, und dann ist er doch nicht um ein Haar besser, als der Schurke Lwow – sagte Praxin.

Luschinskij zog seine Brauen auf der Stirn zusammen, bemüht, sich die Karte über den Weg weiter südwärts von Tananabozuke ins Gedächtnis zurückzurufen: wie weit mochte Simoff jetzt wohl gekommen sein? War er in diesem Moment im Begriff, mit vorgestreckten Späherhals durch die schwammigen Wälder zu waten, wie ein totkranker Flamingo? Hing er in diesem Augenblick vielleicht fest an den blanken, braunen Wirbeln von Stacheln irgend eines dornigen Zitronengestrüpps, toll von Blut und Mühsal – oder hatten ihn die zähen Mimosenbüsche eingefangen, mit einem kichernden Flüstern ihrer Blätter? Saß er in einem Baum, mit verdoppelten Augen, hoch oben, mit seinem Säbelriemen an dem Stamm festgebunden, und hielt Nacht und Siesta – hicksend vor Hunger, das Ohr auf der Hut nach den Lauten und Schreien der Finsternis, der Ärmste! Waren Uschoff und die vier Gemeinen noch immer mit ihm zusammen – oder gingen sie ein jeder für sich, alle sechs? Würde er jemals da hinab gelangen, zu diesen norwegischen Missionaren, von denen er gefabelt hatte? Andruschka: würde sie ihn jemals wiedersehen? Würden die Negerräuber ihn etwa unbeschädigt an ihrer stinkenden Spur vorüberpassieren lassen – oder würden sie mit einem Geheul ihre Luntenbüchsen und Ta'Ngena an ihm versuchen ...

Abermals bemerkte Peter Romanowitsch, bei diesen letzten Worten, daß er wohl von neuem auf verkehrte Gedanken gekommen war.

Aber da er nun doch einmal bei den Entweichungsversuchen angelangt war, so fing er an, sich dessen zu erinnern, was Praxin über Lwow gesagt hatte: ach ja, der bejammernswerte Timon Wladimirowitsch! Er, den der Graf kurzweg als unkameradschaftlichen Banditen und Simulanten bezeichnete: aber da tat man ihm sicher unrecht, meiner Treu! denn Peter Romanowitsch hatte schon vor ein paar Tagen die ganze Geschichte von dem Reservearzt Mugin, dem Quatschkopf, erfahren: wie Lwows Gehirn – vor gut einer Woche, mitten während der ärgsten Stürme auf der letzten Übungsfahrt, als Luschinskij selber also krank lag – schließlich ganz und gar kaput gesprungen war! Ach Gott, jawohl! Schon seit längerer Zeit hatte Timon ja – ja, seit dem Mord an seinem Bursch ... an Herrn Mikael, seinem Freund – mehr und mehr in Verlangen nach weiteren Mord- und Gewalttaten geschwelgt und geschäumt, und nach Mitteln, wie er Mikaels, des Begrabenen, abermals habhaft werden könne, um sich noch einmal an ihm zu kühlen! Tage und Nächte faselte er ausschließlich davon; ununterbrochen, gleichgültig ob er Zuhörer hatte oder nicht; prahlte schäumend damit, was er getan haben würde, wenn er des Burschen wieder hätte habhaft werden können, auf irgendeine abenteuerliche Weise! Und des Nachts (das stellte sich später heraus) da war er denn schließlich auf die feine Idee gekommen, einige scherzhafte, sonst längst vergessene Versuche aufzufrischen, wie man sie ausnahmsweise einmal in der Messe vorgenommen hatte: seine Fingerspitzen ganz leicht auf eine Tischplatte zu legen, die Namen von Verstorbenen anzurufen, und durch mystisches Klopfen in den Tisch Antwort zu erlangen. Jawohl, Herrgott, der Ärmste: Nacht für Nacht saß Lwow in seiner Kammer, mutterseelenallein, krähend vor Freude über seinen Einfall, alle zehn bebende Finger über das Mahagoniholz ausgespreizt, mit leuchtenden Augen, schäumend, und raste nach Gefallen und Geschmack gegen den Verstorbenen ... bis sie ihn eines Morgens fanden: da sprang er auf Sofa und Stühlen umher, tanzte in seiner Kammer herum, in Pulverdampf und Funken gehüllt, heulend, mit seinem Revolver paffend, lustig auf die Tischplatte herunter feuernd: sieh, da steht er, weiß Gott, wieder, der Schlingel und Schurke! Komm her! Du ewiges Gespenst, ich treffe dich mitten ins Gesicht! Da, nimm das! Und noch einen Tropfen von Blei, heiß und stark, kéhé, haha, drauf los, bumm-bumm, jawohl! Ich seh dich so leibhaftig, du Geist! Du grinsest und zitterst! Ich treffe mit jedem Schuß! bumm-bumm! ... Und spornstreichs mußten sie ihn mit Stricken binden, und ihn, mit einer Freimarke vom Arzt versehen, nach dem Hospitalschiff hinübersenden, total verrückt, furor animae et sanguinis, geifernd ... nein, das war wahrhaftig keine Schlauheit oder irgendein simulanter Versuch, nach Hause zu gelangen, ach Christus, nein, nein, es war ganz einfach das alte Wort des Doktors, das sich bewahrheitet hatte: daß früher Lwow Mikrobe für Mikael gewesen war – während jetzt Mikael Lwows Mikro ...

Mit einem Hicksen fing Luschinskij an zu greinen, um so schnell wie möglich diesen Gedanken zu vergessen, der ihm schon halbwegs die Luft benommen hatte, mit seiner unwillkürlichen Fortsetzung und Analogie: in bezug auf ihn selbst und Iwan ... und es gelang ihm, dank des Ernstes der Situation, wirklich alles Denken in einer Sekunde von sich zu schieben.

Er klemmte die Augen wieder fest zu, lauschte dem grenzenlos schwachen Pulsieren der Lichtmaschinen, die da unten auf den Zehenspitzen wanderten ... nun ... nun ... nun ... nun ...

Er schnüffelte die Nachtluft ein, die rund war und voll von See, Land und Stadt: ja, ja, man spürte den Geruch von Salz und Tang, und die kleinen bitteren Körner von dem Rauch aus den Schornsteinen des Diego-Elektrizitätswerkes; und nun kam da ein Streif von den Tamarinden, süß und herbe, wie Wermut; und dies ... ja, jawohl: dies war der Atem der Gummibäume, wie nach Haar oder Haut, nicht wahr, aber ... er fuhr in die Höhe, plötzlich schweißtriefend, über irgendein rilliges Geheul, das sich weit hier hinaus fächelte, aus den Gassen der Stadt und dem französischen Lotterleben; er murmelte ein paar fast unbewußte Worte: daß es also Gottlob, nicht Iwan war, der schrie, ké, bei meiner Seligkeit, denn der Laut kam ja ... ja, der Laut kam ja von da drinnen vom Lande her, ké, vom Lande her ... er gähnte einmal, war ganz weg, schlug jäh mit beiden Armen um sich, hörte sich selbst grunzend schnarchen, erwachte teilweise, atemlos, durch die polternden Tritte der Ronde, die vorüber patroullierte, na ja, dem Herrn sei Dank, nichts weiter als das, jawohl, nur die Ronde, die patroullierte ... die patr ... die pa ...

Aber schon gleich darauf – sobald er wirklich in den tiefen Schlaf gefallen war – da begannen alle diese Dinge, an die er vor kurzem gedacht hatte, von neuem sein Bewußtsein in Träumen zu erfüllen.

Nur ein klein wenig verändert.

Nur ein ganz klein wenig umgemodelt, hier und da.

So, daß es nicht mehr der verstorbene Mikael war und der verrückte Lwow, die gegeneinander rasten, mit Schüssen und Geschrei ... und es war ja auch nicht mehr Simoff, der durch die dunklen Wälder von Sümpfen, Tieren und Lianen, flüchtete, wild heimwärts zu Andruschka strauchelnd ... nein, jetzt sah man es ja, ja, ach Gott, es war ja Luschinskij selber, der dahin jagte, heulend, plätschernd, keuchend ... und es war Iwan, der donnernd hinter ihm drein flenste, riesengroß, schäumend, die Luft durchbebend mit Rache und Zähnen, dröhnend von Blut und Pulver ...

Luschinskij warf sich klatschnaß im Bett hin und her.

Seine Brust zog sich zusammen und bubbelte. Das Herz schurrte heißer. Sein Gehirn ballte sich zu Geschwüren zusammen.

Und er erwachte mit einem Ruck.

Die Luft erzitterte von Schießen und Lärmen – von Knallen, Heulen und Dröhnen ... das langsam dahingellte, verhallte, verschwand. Nur in weiter, weiter Ferne erklang ununterbrochen ein spinnender Faden von Seufzern und Jammern.

Er begriff, plötzlich kichernd und erleichtert: daß dies natürlich, wie gewöhnlich um diese Zeit, irgendeine Schar Matrosen von da draußen waren, die eine Nachtkarte für Diego hatten, und die nun – nachdem sie sich da drinnen in den Fusel- und Niggerhöhlen, die sich Wirtschaften nannten, totbesoffen vollgetüllt hatten – im Begriff gewesen waren, sich ein wenig Pläsier und Totschlag zum Gutenachtschnaps zu bereiten; oder auch sie waren mit einem Trupp von Legionären, diesen Mördern in Uniform, ins Handgemenge geraten; oder sie waren dabei eine Dirne und ihre schwarzäugige Bastardmannsperson zu plündern, jawohl! Der Teufel hole sie! Was geht ihr Kreischen und Paffen mich an? Aber diese singende Saite von Klage und Beben, die man beständig aus weiter, weiter Ferne hört, was mag das nur sein ... Nun, einerlei, Schwamm über das Ganze, halt's Maul, laß mich in Frieden, ich will schlummern ... und schlummmerrn ... und schlummmmerrrrn ...

Aber es währte nicht lange, da war er wieder mitten in denselben Träumen wie vorhin.

Wieder war Iwan hinter ihm drein, mit einem Paar ungeheurer, sich blähender, feuerroter Nasenlöcher an seiner Spur entlang schnüffelnd, näher denn je zuvor, durch die Wälder prasselnd ... Luschinskij gewahrte im letzten Augenblick eine Hütte. Er stürzte dahin, riß den Vorhang zurück, der den einzigen Verschluß des Zimmers bildete. Sah einen Schimmer von Praxin, der nackend, in Extase, grinsend hinter dem Hause stand ... Auf dem Fußboden lag ein Frauenzimmer und wälzte sich. Ein gelber Rauch entstieg ihrem Mund. Peter Romanowitsch sank um, außerstande nur noch ein Glied zu rühren, denn es war gewiß ein Automobil über seine Lenden gefahren. Er lachte vor Angst – da draußen hörte er Iwan umherschleichen. Oben über seinem Kopfe stand unsichtbar eine Windharfe und sang; ihre Stimme war Stöhnen und Klage. Sie ging bis auf den Grund durch ihn hindurch, mit einer Luftröhre von Jammer und Glucksen. Er vernahm Iwans heißes Flüstern: »Wo hat er sich versteckt, wo ist er geblieben, laß mich ihn nur finden, hier ist es stockfinster und einsam, wo ist er geblieben ...« Und dann richtet das Frauenzimmer sich auf. Sie hat Weronoffs Gesicht. Sie reicht ihm ein leuchtendes Glas hin mit ihrer Hand: »Trink!« sagt sie ... und Luschinskij weiß auf einmal, daß es Ta'Ngena ist, was er hinunterschmatzt, aber es fehlt ihm an Mut, es nicht zu tun; ein Hagel von Poltern und Schreien fährt durch ihn hindurch ...

Er riß die Augen auf, zitternd, mit schmerzenden Beinen – und sah, daß er auf den Knien vor der Kammer lag ... wie so? ... warum? ... ich begreife nicht ...

Das Deck über ihn bullerte, mit Dröhnen und Rufen.

Stimmen schlugen empor – lallend. Gebrüll. Ein Schuß auf einmal. Ein Kommando ... und von neuem blieb nur die bebende Stange von Schmerz und Weinen zurück ... mein Gott, wo kam die nur einmal her?

Peter Romanowitsch erhob sich, warf seinen Mantel um sich, und schwankte aus der Kajüte hinaus, um genaueren Bescheid über das alles zu bekommen. Die Laternen leuchteten halb. Das Deck schimmerte. Drinnen an Land war es überall dunkel.

»Jawohl! Ja! Sehen Sie hier! Sehen Sie! Euer Hochwohlgeboren!« sagte der Patrouillenführer, grinsend, mit langen Zuckungen in den Armen. Seine Nase und sein Kinn waren im Licht, hüpfend. Er erhob sein Gewehr ein paar Zoll vom Boden, und plumpste den Kolben hart nieder. Hinter ihm, in Entfernung von einigen Schritten, fast im Dunkeln, standen vier Gemeine über einen Mann im Hemd gebeugt, der da lag. Weiter nach vorne wurde gepoltert, geschleppt und geschimpft:

»Sie haben sich nämlich ein bißchen geprügelt. Um eine von ... na ja, um ein rundliches Mädchen, eine Schwarze, von da drinnen! 541 zerquetschte die Fratze, kä, kähä, Euer Hochwohlgeboren, mit einem Fuß zertrat er Bootsmann Barstschij, der im bloßen Hemd kam und vermitteln wollte, das Maulwerk. Aber ich habe ihn dafür gleich niedergeknallt. Kä! Kissss!! Bei Maria und Georg! Mit einem einzigen Schuß mit dem da traf ich 541 gerade in den Rüssel, er sagte keinen Muck mehr, sondern fiel, Euer Hochwohlgeboren! Er fiel ... Soll ich meinen Rapport schreiben, er sagte keinen M ...

Nicht wahr!?«

»Sehr gut!« antwortete Luschinskij mit einem Kichern.

Er schob die Schultern nach vorne, und sah im selben Nu ein: daß mit anderen Worten Praxins Pläne mehr und mehr in Erfüllung gingen, überall, kä, mein Gott:

»Sehr wohl! Schreiben Sie Ihren Rapport, zum Teufel auch, was schert das mich?

Nur immer zu!

Schießen Sie nur drauf los!

Und dann schreiben Sie drauf los!

Ich kenne einen Grafen, den schlausten Mann von der Welt, einen Geliebten Gottes ... Scheren Sie sich zum Teufel, was stehen Sie da und lauern! Verschwinden Sie!

Morgen ist wieder ein Tag, von eben derselben Sorte!

Die Sache geht vorwärts!

Bei meiner Seligkeit!«

Aber dann fiel ihm ein, gleich nachher, auf dem Wege nach seiner Kammer: daß ja leider Gregorow heute den Befehl erlassen hatte, daß die Mannschaft unter keiner Bedingung mehr an Land kommen solle: jetzt habe er wahrhaftig vollauf genug von Desertionen und Trunkenheit und Prügeleien, und allen möglichen anderen klimatischen Krankheiten, Sie verstehen wohl ...

Luschinskij zögerte noch eine Sekunde an der Tür zu seiner Kammer:

Er legte den Nacken hintenüber und lauschte, während sich sein Herz spitz bewegte: Ei, ei; also vom Lazarett her kam dieses bibbernde, geistliche Lied aus Schluchzen und Jammern: von Dysenteristen und Fiebertollen, von ihrem gurgelnden Elend und Schnauben! Es hing einem gleich einem zitternden Tränentropfen, gleich einem tönenden Gesang aus Leid über dem Kopf – gleich einer eiskalten Zithermusik aus den Steppen Rußlands, aus Hunderten von bebenden Mutterherzen daheim, ké, jawohl, ach Jesus, mein Gott, zum Teufel auch ...

Er riß die Tür beiseite, zündete das Licht mit einem Knips an, sperrte den Schrank auf, griff zu einer Flasche und trank.

Zwischen den Schlucken hörte er, fern vibrierend, die kreideweiße Säule von Klage, da unten aus dem Busen der Kranken und Sterbenden.

Er grinste und trank.

Fing dabei an zu husten, klemmte Augen und Ohren zu, und trank ...

 

Unter solchen Verhältnissen, also, verbrachte Peter Romanowitsch die ersten vier, fünf Tage seiner besänftigenden Rekonvaleszenz.

Und gegen Abend des sechsten Tages geschah es dann – selbstverständlich – daß Kapitän de Terville, der goldbeschlagene Adjutant des Oberst Chambert, des Kommandanten von Diego, an Bord kam.

Er meldete: daß sie gestern morgen früh, Herr Kapitän, die dienstliche Mitteilung erhalten hätten, daß eine größere Schar schwarzer Affen ein halbes Dutzend Deserteure in den Wäldern südlich von Tananabozuke in die Finger bekommen haben. Eh bien! selbstredend schickten wir sofort ein Detachement hinunter, ihnen nach. Aber nun, heute nachmittag, als die Betreffenden hier ankamen, stellte es sich heraus, tant pis, ich beklage es sehr mein Herr: daß es keine französischen Soldaten waren, diese Flüchtlinge – sondern dahingegen nichts geringeres, als ein Premierleutnant, ein fetter Bootsmann und vier Gemeine hier vom Schiff; darf ich bezüglich hierauf mir die Frage erlauben, mon commandant, wann es Ihnen angenehm sein würde, diese ... Gesellschaft abholen zu lassen, augenblicklich sitzen sie ja solide im cachot da drinnen! Und im übrigen, Monsieur, vous savez: vive la Russie, soeur éternelle de la France adorée et belle! ...

In einem Nu schwamm die Neuigkeit mit einem ranzigen Gekicher über das ganze Schiff.

»Je pleure!« äußerte Praxin so schnell wie möglich. Er war in den letzten paar Tagen noch mehr laubfarben im Gesicht geworden. Er holte de Terville auf der untersten Stufe der Fallreeptreppe ein und befummelte ihn ganz ungewöhnlich in den braunen Glacees – »Äh, ich vergieße ein paar Dutzend Tränen der Trauer und Scham im Namen meiner Kameraden, daß eine solche Sache die Veranlassung ist, daß Sie und ich einander heute begrüßen!

Und doch: wie gut, nämlich im Interesse der Disziplin, kisss, daß Simoff gefaßt wurde, wie beliebt, n'est-ce-pas?

Übrigens!« fügte er hinzu, sich plötzlich mit spitzem Mund näher zu dem Kapitän hinüberneigend, der einen Augenblick stehen blieb, sich wiegend, den linken langen Lackstiefel unten auf der Reeling seines weißen Bootes, seinen schwarzen Schnurrbart zum »au revoir« streichend – »wenn wir uns bald wiedersehen sollten, so hoffe ich zu der Zeit einen Ehrenposten zu haben, den ich Ihnen anbieten kann, qui sait!

Ich will interimistisch nur betonen, daß ich ... ja, kurz, daß ich ein Wesen kenne, dessen Geschlecht ein turmhoher Obelisk ist! hoch über den Wolken ragt es auf, schwindelnd, mächtig! Sein Kopf ein blutroter Rubin! Berge und Wald zu seinen Füßen ... Jeden Abend, wenn die Nacht hereinbricht, wenn sich die Dunkelheit flüsternd senkt ... haha, wie, na ja, wohlan, ich will Sie nicht länger aufhalten!

Auf Wiedersehen! denken Sie an meine Worte – ich erwarte außerdem, daß Sie diskret sind!

Gehen Sie mit Gott, Monsieur!«

Gregorow stand oben an der Treppe und grüßte, weißer denn je, mit seinen uralten Augen schwer wie Blei, grau wie Asche. Er erhob die Hände und sah langsam der Reihe nach, die vier, fünf Kameraden neben sich an:

»Meine Herren! Es ist also Simoff ... meine Herren, der arme Alexej Porphy ...« – stammelte er, mit zuckendem Gesicht, nach seinem Schnurrbart haschend, mit nassem Kinn. – »Ich meine selbstredend: der Arm des Gesetzes, ja, der Arm des Gesetzes hat also Simoff erreicht, trotz allem.

Ja. Ich pflege alles von meinen Offizieren zu verlangen!

Je mehr man zu tun hat ...

Was sagen Sie, Starck?

Mir war, als sagten Sie etwas zur Verteidigung Sim ...

Oder war es nur eine innere Stimme in mir selber, ein Hicksen, kehe, ein Aufstoßen ... é-é, ké, wie beliebt?«

Die anderen wiegten kichernd die Köpfe:

»Sie haben, weiß Gott, recht, Herr Kapitän, vollkommen!« äußerte Bjelostskij, seine Mütze ganz in die Stirn hineinschiebend, den gelben Bart wie Eiter über die Brust hinab, keuchend: »Ja, danke! Alexej Porphyriewitsch er ... ja, er entfloh von hier, um schneller heimzugelangen, als wir anderen! Ké, und nun erreicht er, weiß Gott, auch seine Absicht: er ist in diesem Augenblick allerhöchstens zwei Tagereisen von unserer aller Wohnort entfernt – nämlich von dem lieblichen Garten des Paradieses ... Wo ist der?

Mit einem Rauch, einem Blitz unter dem Hintern – fährt er auf und bekommt eine Wolke plus einen Sonnenstrahl als Sitz!

Kissss!

Sagen Sie mir einmal, Maxim Mikailowitsch, jetzt, wo Bogduroff anscheinend krank am Malalalaria ist, ké, der Kuckuck trau ihm, so hoffe ich denn, daß Sie mich Beisitzer in den Verhören über Simoff sein lassen. Es würde ... es würde mich nämlich mächtig fesseln, ihn in dieser Gastrolle zu sehen, als modernen Casanova, der aus der Bleikammer – hier aus Stahl – flüchtet!

Meiner Seel!«

»Kä!« sagte Oremyckin, der schlängelnde Wurm, und stopfte augenblicklich fünf darmartige Finger in seinen zahnlosen Schlund aus Gaumen und Bleichheit hinein – »krrrähä, Bjelostskij, ganz brillant!

Sehr richtig, Herr Kapitän, wohl haben Sie recht!

Und was ist denn nun Ihre stets verständige Meinung, Freund Gowitz?«

Luschinskij fühlte seine Unterlippe beben. Er schudderte sich auf einmal, ohne zu wissen warum; schob die rechte Hand tastend unter den Verschluß am Busen, schnob, und glotzte dabei von dem einen zu dem anderen hinüber – bis seine Blicke einen Moment mit den Augenhöhlen Gregorows zusammentrafen, die ebenso hautlos waren wie die seinen. –

 

Zwei Stunden später, als die Dunkelheit sausend hereingebrochen war, glasschwarz und blank. Als das Kreuz des Südens langsam seine glotzende Melancholie da drüben im Dunkel angezündet hatte. Als das Schiff, ungeheuer, schwarz, auf dem schweigenden Wasser lag – mit den flackernden Monden der Laternen hier und da. Als die Kühle einem wie kleine herbe Knospen aus der Haut hervorsproßte ... da kamen sie mit Alexej Porphyriewitsch an Bord.

Sein weißes Antlitz hing lang herab in der Nacht, wiegte sich. Seine nackten Füße schmatzten leise auf den Stufen des Fallreeps – rote Platten aus Rissen und Wunden. Um die Knöchel sah man ein paar steife Reste der Strumpfschäfte, grau. Ein ganz schwacher Gestank von Fäulnis und Keller entstieg seiner schmutzigen Uniform.

Die beiden Matrosen, die ihn zwischen sich hatten, strauchelten und fluchten, weil er ihnen zu schwer war.

Sein linker Unterarm, von dem der Ärmel abgerissen, war in einem geschwollenen Strich vom Ellenbogen bis zum Handgelenk hinab gespalten.

Zwischen jedem Schritt hörte man das winzig kleine Tropfen des Blutes, das davon herabfiel.

Der Abendwind rührte sich mit einem Seufzer ...

Peter Romanowitsch hatte sich anfänglich in seiner Kammer versteckt, von neuem inwendig flennend und zitternd, mitten in dem langgestreckten Gekicher, das er vorhin bei einigen Whiskys, unten in der Messe, unter den fortgesetzten Witzbemerkungen der Kameraden bezüglich des vergeblich geflüchteten Bräutigams begonnen hatte. Aber schließlich, als er hörte, wie das Boot geprait wurde und begriff, daß sie nun mit Simoff da waren – da stürzte er auf einmal, ohne sich dessen so recht bewußt zu sein, aus seiner Kajüte heraus und auf Deck.

Und da stand er in der Dunkelheit, schlingernd, vier, fünf Ellen vom Fallreep entfernt, gerade außerhalb des Lichtkreises der Laterne, gegen die Reeling gelehnt und streckte die Hände nach Simoff aus, als er heraufkam:

Ach, Alexej Porphyriewitsch, mein Bruder, mein Bruder, mein Freund ... ich stehe hier und weine, meine Brust tut mir so weh, ich denke an Andruschka, dein Weib, deine Freundin, deine Schwester ... Alexej, é-é, Simoff, es ist ... es ist nicht meine Schuld, daß sie dich fingen ... ich habe nichts gesagt, ich habe alles Gute gewünscht ... nicht ein einziges Wort verraten ... aber es ist Gott, es ist Gott, hörst du, es ist Gott, der uns alle verläßt ...

Eudoxia, wir sehen uns nicht wieder!

Mein Leben entrinnt mir hilflos.

Ké!

Kéhé!

Simoff, du Feigling, du Lump, du Schurke, wie konntest du es uns doch antun, daß du dich fangen ließest! Warum flogest du nicht ganz heimwärts, im Schwunge der Sehnsucht und des Willens!

Du raubtest meiner Seele die letzte Hoffnung!

Alles ist vorbei ...!

 

Schon im Laufe des nächsten Tages waren die Verhöre abgeschlossen.

Es herrschte nicht die leiseste Spur von Zweifel in bezug auf irgend etwas: Premierleutnant Alexej Porphyriewitsch Simoff, R. S. II, wurde – auf Grund von Desertion unter Kriegszustand, Anstiftung dazu, und Mißbrauch der obrigkeitlichen Gewalt zu gleichem Zweck – verurteilt zum Verluste seines Offiziersrangs und zum Tode durch Erschießen, zusammen mit der Perle Uschoff und den übrigen. –

Am folgenden Morgen, um sechs Uhr, war das Fahrzeug also drei-, vier Viertelmeilen in See gegangen und lag in dieser diskreten Einsamkeit zur Exekution bereit.

Die Sonne stand knallweis hinter der Kommandobrücke und sengte.

Von der gezackten Linie des blauen Landes kam – weich, warm, süß – der Duft der vielen Pflanzen herüber, die sich, zu dieser Zeit des Jahres, heftig rührten.

Da unten auf dem Vorderdeck, wo die kleinen Wellen kypl-kypl murmelten, – da waren die Gefangenen, die Mannschaft und alle Offiziere in einem mächtigen, langen Viereck an den Reelingen entlang aufgestellt.

Ganz vorne, dicht an dem grauen Geländer, standen Simoff und die anderen Verurteilten.

Uschoff und die vier Gemeinen hatten Binden vor den Augen; und sie hatten Handeisen an, die höchst sonderbar klirrten in der glitzernden Luft: mit einem leisen, schellenden Laut, der einen an Schlitten, an Schnee, an Russias endlose Steppen aus Weiß, Wind und Heimat erinnerten.

Aber Simoff hatte, in seiner Eigenschaft als ehemaliger Offizier und in Rücksicht auf sein bescheidenes Benehmen während der Verhöre, von Kapitän Gregorow die Erlaubnis erhalten, ohne Fesseln oder Binde erschossen zu werden.

Er stand also – wie die anderen Bleikandidaten mit blauen Leinwandhosen und blauem Hemd bekleidet – das Kinn weit vorgestreckt, den Mund geschwollen und grau, sich um die Lippen leckend, die linke Hand auf der bloßen Brust wühlend, da. Seine nackten Zehen krümmten sich in kleinen Sprüngen gegen die Planken, die schon heiß vom Tage waren. Jedesmal, wenn eins der Eisen an den Handgelenken der Genossen klirrten, wurden seine Nasenlöcher groß, eine dünne Schicht hob sich von seinen Blicken, seine Lungen pfiffen kurz, und er hob das Gesicht mit einem Ruck empor. Und wenn er so vorwärts sah, entdeckte er jedesmal von neuem – zwinkernd: in einer Entfernung von hundert Metern, oben über der Kommandobrücke, weit hinter dem vorderen Mast und den Schornsteinen, hoch oben in der Luft, den obersten Teil des Achtermastes, mit einer langen Querrahe, frei in der Luft schwebend, in der Sonne glitzernd ...

Der Feuerpope Woldugirow bewegte sich sacht zwischen den Sechsen. Sein großer Bart war kohlschwarz unter dem bleichen Gesicht; hin und wieder schimmerte ein Haar, das von seinem Kopf nach der Seite abstand. Das goldene Gefäß in seiner Hand funkelte rot. Seine Stimme murmelte leise: Herr ... schenke diesen Sterbenden Frieden ... gib diesen Sterbenden deine Vergebung und deine Gnade ... Gewähre diesen Sterbenden Anteil und Wohnung in deines Herzens mächtigem Haus.

Rechts und links wurden die beiden langen Seiten des Vierecks von der Mannschaft gebildet, die in vier dicht geschlossenen Reihen an jeder Reeling entlang standen, backweise – gleich schweren, blauen Mauern, die einen breiten, sonnenweißen Graben zwischen sich bildeten, hart am Panzerturm beginnend, bis nach ganz vorne hin, zu den Delinquenten.

Die geschwollenen Fratzen der Leute glänzten naß. Es hüpften kleine Zuckungen darin umher unter den zitternden Brauen. Ihre dicken Finger fummelten schleimend an den Gewehren auf und nieder. Ihr Atem war noch heiserer und hastiger als sonst. Die Bajonette brannten blitzend. Die Gewehrkolben füllten gleichsam die Zwischenräume aus, zwischen allen den vielen, blanken Stiefeln, die unaufhaltsam hin und her bewegt wurden. – Aus den zusammengepreßten Haufen heraus sickerte der bittere und schwiemelnd süße Geruch ihrer Dünste – wie von dem Fieber einer Verrücktheit, von einem blutvollen Delirium.

Offiziere und Unterbefehlsmannschaften schwankten auf ihren Plätzen davor.

Ihre Augen waren ganz zusammengekniffen wegen des blendenden Lichts, sie hatten übrigens auch keine Lust, ihren ehemaligen Kameraden – den Deserteur, Simoff, Alexej Porphyriewitsch anzusehen, ihn, den Gefährten vieler Monate oder Jahre, der sie doch zweimal im Stich gelassen hatte: zuerst indem er floh, und dann, weil er sich fangen ließ. – Jeden Augenblick steckte bald dieser, bald jener die rechte Hand unter den Rock und weitete den Hosenbund ein oder zwei Minuten aus – als fühlten sie sich in ihrem Unterleib beengt, oder als seien ihre Eingeweide geschwollen und wund.

Als vierte Seite des Parallelogramms, gerade vor dem Turm, standen die Schützen – vierundzwanzig Mann, Gewehr bei Fuß. Und unmittelbar zur Linken davon, in derselben Linie, die sechs Spielleute in einer Reihe; das gelbe Messing brannte, die weißen Schnüre leuchteten blendend; die Trommelstöcke staken schwarz und blank aus den Lederfutteralen an dem blauen Bandelier heraus. Premierleutnant Starck, der kommandieren sollte, trocknete seine Stirn ununterbrochen unter dem Mützenschirm, und sprach mit sich selbst, lautlos.

Das Todesurteil war bereits verlesen, von neuem.

Gregorow, der sich da oben auf der Brücke wild gegen das Geländer lehnte, schlug zitternd mit der rechten Hand aus und befahl Starck, in Gottes, des Zaren und der Gerechtigkeit Namen, Herr Premierleutnant, die Exekution in Übereinstimmung mit dem Reglement auszuführen!

»Zu Befehl!« antwortete der Offizier, plötzlich blau im Gesicht, wankend, den Säbel senkend.

Dann wandte er sich zu den Schützen. Die Sonne blitzte in seinen Knöpfen und flammte in der Klinge. Es war auf einmal atemlos still ringsumher. Tief unten pulsierte nur irgendeine Maschine: Surrr, surrr, surrr.

»Legt an!« kommandierte er, den Degen schwingend.

Die Leute erhoben ihre Gewehre langsam. Die vierundzwanzig schimmernden Läufe hoben sich gleichzeitig – gleich einer wagerechten, gerillten Platte aus strahlendem Stahl. Einer von den Verurteilten fiel auf die Knie. Hinter ihm sah man das Blau des Meeres. Uschoff gab einen Jammerton von sich, und brach in Tränen aus.

»Wirbel!« rief Starck, heiser, sich räuspernd, den Kopf nach den Spielleuten umdrehend – »Wirbel!«

Die Trommeln schlugen an.

Rasselnd zerrissen sie die Luft.

Krachend lärmten sie sich empor, empor.

Klatschend rattelten sie auf ... Raballer von Erz gegen Erz.

»Fertig! ...« schrie Starck, und seine Lippen formten sich zu dem Wort: »Feuer!«

Aber da ereignete sich eine unerwartete Bagatelle.

Auf einmal:

Aus dem Glied rechts schwankte ein Gemeiner hervor. Er ließ die Knarre aus den Fingern fallen, stöckerte zwei Schritt auf Deck vor, und stürzte glatt nieder ... ein Aufstoßen brach aus seinem Schlund hervor, ein Bubbeln, ein weißgelber Strahl von Erbrechen.

Starck wandte mit einem Ruck sein Gesicht dorthin. Ein paar von seinen Leuten senkten die Büchsen wieder, zögernd, unsicher.

Und im selben Moment war Simoffs Antlitz brennend rot.

Seine Augen schrien.

Er machte drei Sprünge vorwärts, ergriff das Bajonett an einem der Gewehre der Schützen, entwand es dem Manne. Mit einem Geheul schwenkte er den Kolben vor sich hin und her. Die Reihen barsten auseinander. Und dann war er schon weg, unter die Kommandobrücke, nach achtern, in Sprüngen wie ein Tier, aus dem Halse herausgellend. Ein anderer Matrose hatte sich nach ihm umgedreht, den Stutzen an der Wange, ihn mit seinem Zielen folgend. Ein Knall brach hervor. Ein Splitter flog von dem Rande der Brücke ... Einer von den Trommelschlägern wirbelte noch: ohne – von all dem Lärm – begriffen zu haben, was geschehen war.

Erst jetzt hielt er auf einmal inne; die Trommelstöcke ragten in die Luft auf.

Eine Sekunde war wieder lautlose Stille.

Surr, surr ...

Da lösten sich die Glieder überall auf. Ein Dutzend Leute stürzten vorwärts, nach beiden Seiten des Turms, nach achtern, hinter Simoff her. Vier, fünf andere liefen hin und hoben den Kranken auf. Plötzlich ging von der ganzen Masse ein Schrei aus. Gregorow focht mit den Armen, leichenfahl. Das Schiff stampfte schwer.

Alle Gesichter wendeten sich in diesem Augenblick nach achtern:

»Da!« schrie einer und zeigte wild – »da oben!

Seht!

Da ist er! ...«

Alles wälzte sich weiter nach vorne, nach rechts hinüber, um zu sehen.

Und dann erblickten sie Simoff auch wirklich – jawohl, ganz hinten, auf dem Großmast! Auf den Steigeisen, die wie Stufen saßen, fuhr er in den Topp hinauf. Hoch oben in der Luft sahen sie ihn, weit weg, oben über der Kommandobrücke. Er flog empor, aufwärts, hinauf zu der obersten, blanken Rahe – ganz klein zu sehen, eine zappelnde Puppe. Der Karabiner baumelte um seine Hüfte.

Dann war er hinauf gelangt, bis an die Rahe.

Er schlug das eine Bein darüber, preßte die Schulter als Stütze gegen den Mast, holte die Waffe heraus, schlug an. Eine blaue Wolke entfuhr ihrer Mündung, ein Paff – Starck stieß einen Schrei aus und spie: in seine Wange war ein blutrotes Loch geschlagen:

»Feuer!« brüllte er, »er hat mich getroffen!

Er hat noch eine Patrone!

Feuer!«

Die Schützen schossen, nach oben zielend: die Knalle fielen hastig hintereinander. Der feine Rauch sickerte nieder, verschwand in einem Nu.

Aber Simoff schwang seine Schießwaffe. Sie hörten sein Hohngelächter.

Wieder legte er an und feuerte ab. Dann warf er die Flinte weg. Sie tummelte durch die Luft hinab. Der Kopf des ersten der Verfolger kam unter ihm zum Vorschein, links vom Schornstein, den Mast hinauf. Aber Alexej warf den Oberkörper vor, streckte die Arme aus, und im nächsten Augenblick hing er im Raum, kletterte vorne am Stag entlang – der nach der Vorstänge führte, und endete dort, wohl zwanzig Fuß über dem Mars, wo Sekondeleutnant Smerdiakoff und vier Mann an der Mitrailleuse standen, die auf den Exekutionsplatz gerichtet war:

»Feuer!« gellte Bjelostskij da hinauf, seinen Säbel schwingend – »knallt ihn nieder!«

Und im plötzlichen Chor hallte ein ungeheures Gebrüll aufwärts, von jedem einzelnen Mann da unten:

»Knallt ihn nieder ... nieder ... ihn nieder ... knallt ihn nieder!«

Smerdiakoff riß seinen Revolver aus dem Gehänge, da oben in dem runden Balkon des Mars und zielte. Simoff schlingerte gewaltsam am Stag. Es sah aus, als hüpfe er abenteuerlich, auf allen Vieren liegend, den Rücken dem Deck zugewendet, in mächtigen Sprüngen über den Boden des kreideweißen Himmels hin.

Der Sekondeleutnant schoß. Die flachen Laute bellten: eins, zwei, drei, vier ... und dann wieder zwei, fast wie einer. Er warf die leere Waffe weg, griff nach der Kanone, die die vier Gemeinen zu drehen im Begriff waren.

Aber dann war Alexej Porphyriewitsch bis an den Mast gelangt, dort hoch oben über dem kreisrunden Mars, und fing an hinabzugleiten.

Die Matrosen verließen die Mitrailleuse, sprangen in einem Zirkel rund um die schwere, lotrechte Stange herum, die Arme nach oben ausgestreckt, um ihn zu greifen, wenn er kam. Aber er guckte hinunter, ließ jäh Hände und Beine los, fiel mitten unter sie und umklammerte im selben Moment mit beiden Fäusten Smerdiakoffs Kehle.

»Feuer!« schrie Starck, den Rücken der linken Hand gegen die Wange klemmend – vergessend, daß man nicht da hinaufschießen konnte, ohne Gefahr zu laufen, auch den Sekondeleutnant und die vier Gemeinen zu treffen.

Aber die Schützen schossen bereitwilligst.

Smerdiakoffs Nacken zerplatzte mit einem Knall, er fiel röchelnd hinten über, gegen den niedrigen Rand des Mars – die Arme in Krämpfen um Simoff geschlungen, dessen Gesicht rot bespritzt wurde. Ein paar von den Matrosen daneben sanken um. Die beiden anderen schrien, fochten um sich. Alexej kämpfte wild, um sich von dem Griff des Leutnants zu befreien – aber im nächsten Augenblick stürzten sie beide herunter, die dreißig Fuß durch die Luft. Eines ihrer Beine streifte mit einem Krachen das Geländer der Kommandobrücke – und dann fielen sie, plumps, Smerdiakoff zu unterst, auf das breite Dach des Panzerturms. Simoff erhob sich mit einem Gebrüll. Er stand sonderbar schief: über dem linken Knie ragte der gebrochene Knochen heraus, durch Fleisch und Zeug – ein kalkweißer Splitter mitten in Hochrot, ein Zahn:

»Schießt!« heulte er, schwankend, schlingernd – »schießt drauf los! Alle Mann! Das Schiff ist unser! Leute! Schießt drauf los! Ich führe euch heim nach Rußland, zu Freiheit und Frieden!

Nieder mit den Offizieren!

Tötet sie!

Tod über die Offi ...« – weiter kam er nicht, denn da reckte sich Oremyckin mit einer Biegung der Schulter und einem lautlosen Greinen, ellenlang über die Brücke hinaus und leerte seinen Browningrevolver auf Simoffs Schädel.

Aber es war, als habe die Mannschaft einzig und allein auf Alexejs Worte gewartet.

Als hätten sie, ohne es selbst zu ahnen, schon lange, vor Monaten, das Ganze verabredet und geplant: den einzigen Weg, der sie auf einmal alle wie einen Mann, über ihre Sorgen, ihr Grauen hinweg bringen konnte.

Und ein jeder von den sechshundert Mann an Bord stieß einen gellenden Schrei aus, aller Augen wurden zu Schüssen, in einem blitzgeschwinden Nu war das Deck ein dröhnender Wirrwarr von Handgemenge.

Schreiend schwangen sie jäh die Arme, Fäuste, Muskete – und wälzten sich aufeinander. Ein sengendes Schauer von Funken und Blut. Ein bullerndes Unwetter von Schlägen und Brüllen.

Ein Orkan von Totschlag und Mord.

Leutnant Ssumichin war der erste, der fiel. Er schleuderte ein grenzenloses Geheul aus seinem Halse, schlug mit beiden Händen in der Luft herum: seine Fratze war von einem Kolben zerschmettert. Bjelostskij wühlte bubbelnd herum, in einem Knäuel von Matrosen, er grinste weiß, der Revolver puffte rot und blau.

Gewehrschüsse prasselten hämmernd nieder.

Tscherikoff tanzte wie ein Bär auf einem zwei Ellen großen Fleck, von vier Mann umsprungen, ein fünfter lag heulend unter ihm, piekte mit dem Bajonett nach seinem Leben. Gowitz hing mitten in einem Schwarm; zwei Flintenkolben quatschten nieder und zerquetschten seinen Nacken; aber er stelzte trotzdem hoch über der Menge, in die Höhe geschroben. Der Bootsmann Borstuscheff gackerte heiser, mit dem Absatz zerstampfte er das Brustbein eines Matrosen, der gestrauchelt war – seine Daumen hatte der Unteroffizier einem anderen in die Mundwinkel gehakt, jetzt riß er sie auseinander, nach beiden Seiten auf einmal, mit einem Geschrei und der ganzen Kraft seiner Muskeln ... so daß die Wangen des Mannes gesprengt wurden, ein einziges, rottriefendes Maul bildeten, von einem Ohr zum anderen; bis ganz an den Ellenbogen hinan wurde Borstuscheff davon mit Purpur durchnäßt.

Alle Mann rasten wahnsinnig darauf los. Als wisse ihr Fleisch auf einmal, daß dies das einzige Mittel sei. Das einzige in der Welt, was imstande sei, ihre Angst zu erschöpfen. Sie unterließen es – ganz ohne selbst es zu ahnen, ohne daß sie auch nur einen Moment zum Nachdenken, zum Zielen nötig hatten – ganz von selbst unterließen sie es, die gegenseitigen Punkte zu treffen, die man sonst bei einer Schlägerei, bei einem Streit zu suchen pflegt. Schäumend griffen sie nach den scheußlichsten Stellen: nach den Augen, dem Mund und zwischen die Beine.

Das Ganze ein geiferndes Grauen, das sich selbst in Gräßlichkeit überbieten wollte – eine tödliche Todesangst, die sich selbst zu Leibe wollte.

Ein wahnsinnig machendes Entsetzen, das sich selbst morden mußte, um in Stumpfsinn, in Stummheit, in Frieden verwandelt werden zu können.

Die Luft zerbarst gellend.

Gewehrläufe flammten.

Luschinskij stand ganz vorne, den Dolch in der Hand, stumm, in zwei Wirbel eingeklemmt, die Zähne hervor. Ein Bajonett blitzte vor ihm auf, dann fühlte er dessen Stahl wie pfeifendes Eis in seiner Schulter, seine Klinge fuhr wie ein Aufleuchten nieder, und erst da er es weiß und blutig um die Schneide aufbobbeln sah, wußte er in einem speichelnden Grunzen, daß er ein Auge getroffen hatte. Zwei Matrosen hatten einen Kanonier gefaßt, dröhnend warfen sie ihn unter sich und trampelten knurrend auf seinem Bauch herum; mit einem Quatschen fuhr ein gelbliches Gewinde aus seinem Mund heraus. Der Gemeine 87 jagte sein Bajonett von hinten durch den kleinen Kadetten Gartsch und schwenkte ihn darauf in die Höhe, die Spitze der Waffe stand treibend blank durch den Schluß der Hose empor – aber im selben Augenblick schwankte er blökend und fiel hin, von einem Schuß getroffen. Starck richtete sich Zähne fletschend auf den Zehen auf, schwang sein Gewehr wie ein Rad; es gab einen bellenden Laut, wenn der Schaft niederschlug. Praxin kroch miauend umher, den Säbel wieder und wieder bis auf den Grund stoßend, sobald jemand fiel – sein Maul stand an der rechten Wange bebend offen. Struïn setzte balzend in einem ellenlangen Sprung über die drei Matrosen hinweg, die er mit den bloßen Fäusten getötet hatte; sie lagen zusammengewühlt da in einem Knäuel aus blauen Kleidern und Fratzen, mit weit aufgerissenen Augen, die Zungen aus dem Munde heraus. Nun vergrub er seine linke Hand enorm in die Brust der Bluse des gewaltigen Gemeinen Darre, die Finger der Rechten wickelte er mit einem Schwupp in den wehenden Kinnbart des Matrosen, und dann drehte er mit einem krachenden Ruck seinen Kopf nach hinten herum, bis das Gesicht verrückt zwischen den Schulterblättern herausglotzte: die Halsmuskeln sprangen schwellend heraus, in dicken, schrägen Falten, sich beulend, windend, plötzlich feuerrot, und barsten mit einem Knall: Blut und Fleisch stürzten heraus. Darre tastete einmal mit den Händen, dann sank er mit einem Seufzer zusammen, sich selbst den Rücken hinunter starrend – und fauchend machte Struïn kehrt, um seine Krallen in den nächsten zu schlagen.

Das Ganze eine knirschende Sturmflut von Zähnen und Wahnsinn.

Ein donnernder Ausbruch von Knochen und Kolben.

Eine Eruption von Mord.

Woldugirow stand auf einmal da oben auf dem Dach des Panzerturms, schwankend, kohlschwarz und lang – eine Rauchsäule, über Simoffs Leiche hinwegschreitend:

»... Haltet ein ...

... raset gegen Gott ...

... Straf ...«

Niemand hörte danach.

Aber dann zerriß der Pope seine schwarze Soutane, vom Hals, bis zu den Füßen. Die Kleider stoben von ihm, Stück für Stück.

Er schleuderte die Arme in die Höhe – nackend, ohne einen Faden auf seiner Haut: knochenmager, gelb und groß – eines Kraters lotrechte Flamme:

»Sehet!« – Seine Stimme schlug an, mit dem Donnern von Vulkanen.

In einem Sprung fuhr er auf das Deck hinab, eine Flamme mitten in den sausenden Kampf hinein.

Die Nächsten wichen wild zurück, und sahen in einem Nu: daß sein ganzer Körper ohne ein Haar war! Ja! Ja! Ohne eine einzige Daune! Unter dem kohlschwarzen Bart war sein Körper der eines Knaben, eines Gottes, eine schimmernde Säule aus Feuer und Gold! ... Da sprang ein Ruck durch ihr Herz und ihre Kehle – ein Gurgeln, ein Röcheln.

Und in einer Sekunde hatte es die anderen erreicht, rings umher. Das eiskalte Grauen befiel lähmend das walzende Deck:

»Höret mich!« schrie der Pope, die Hände gewaltig zum Himmel erhoben – »Gott der Herr hat euch verdammt!

Gott der Herr hat sein Antlitz von euch gewandt!

Gott der Herr hat ...«

Es war auf einmal lautlos still.

Alle starrten und schwiegen.

Leichenblaß.

Aber der Gigant, 517, wälzte sich brüllend vor, aus dem Haufen zur Rechten:

»Lügen ...« brüllte er. Sein Gewehr heulte in der Luft, während er es schwang. Und dann stürzte der Kolben zwischen des Popen erhobene, gestrammte Arme, schlug mit einem Bellen gegen seine Stirn.

Die Augenbrauen saßen auf einmal ganz unten an Woldugirows Mund.

Die Zunge steckte heraus, blasig rot.

Aber mit Stöhnen schwankte der Riese in der nächsten Sekunde auf die Knie:

Denn sehet!

Ach, Jesus Maria!

Hilf, Herr Zebaoth ...:

Sehet, der Pope fiel nicht!

Sehet, der Pope sank nicht um, nein, nein, o, Wunderzeichen des Himmels!

Sehet! Woldugirow blieb aufrecht stehen, rank, mit den Knoten der gespannten Muskeln an Beinen und Lenden – die Arme steif zur Sonne erhoben. In seine grenzenlose Nacktheit gehüllt, in ein Gewand aus Unschuld und Gott. Aus seinen zerspalteten Schläfen floß das Blut streifenweise herab – wie unter dem Biß einer Dornenkrone – über das Kinn, über die gelben Rillen der Brust, zwischen die dunklen Stigmata der Warzen.

Klirrend rasselten die Gewehre ihnen allen rings umher aus den Händen.

Schluchzend schmolzen sie in die Knie, ihr Antlitz und ihr Weinen verbergend ... und erst da, ganz langsam, schien Jehovas Zorn sich zu mildern: die leuchtende Gestalt des Popen wackelte auf dem bebenden Deck, und glitt stumm zu Boden.

Von den Toten, die zu allen Seiten lagen, auf dem Rücken, mit geballten Fäusten fechtend, schäumend, mit rauchenden Quetschungen und Wunden – von ihnen hörte man jäh die Klage, die gen Himmel stieg, bebend, lang und dünn; sie biß einem die Augen voll Wasser, und ward brennend, herbe und erstickend im Busen empfunden: ein spröder Stengel von bitterem Rauch, der sich leise blaffend zu dem Blau emporspann.

Und da schlugen sich die anderen alle wie ein Mann vor die Brust, von Reue und Schmerz zermalmt, erbleichend vor maßloser Angst und Mattigkeit, vor eisigem Schweiß an Leib und Seele:

Herr, Herr, vergib uns unsere Schuld, hörst du, denn wir wußten selbst nicht, was wir taten!

Herr, nicht um zu töten, erschlugen wir unsere Kameraden hier!

Herr, es geschah, um selbst zu sterben, wir konnten das Leben nicht länger ertragen!

Ver ... verz ... verzeih uns, Herr! ...

 

*

 


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