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Attentate.

Eine geschichtliche Skizze

(Nachdruck verboten.)

Die meuchelmörderische That des Amerikaners Czolgosz gegen das Leben des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika lenkt die Aufmerksamkeit abermals auf jene verabscheuungswürdige Gesellschaft, die die »Propaganda der That« auf ihr Panier geschrieben hat und von Zeit zu Zeit, die Welt mit Entsetzen und Entrüstung erfüllend, den Arm gegen irgend ein Staatsoberhaupt erhebt. Häufig genug begegnet man der Ansicht, es könnten nur Wahnsinnige sein, die die Hand zu einem derartigen fluchwürdigen Verbrechen bieten. Indessen liegt in ihren Plänen doch zuviel Methode, als daß man sie schlechthin als Irrsinnige von der Verantwortlichkeit ihrer Handlungsweise freisprechen könnte. Eine gewisse Großmannssucht mag jedem dieser Mordbuben eigen sein. Das sollte indessen nie und nirgends hindern, daß die ganze Strenge des Gesetzes gegen sie zur Anwendung gelangt.

Narren freilich, verbrecherische Narren sind alle diese Attentäter. Denn wären sie es nicht, sie müßten sich doch sagen, daß ihre Handlungsweise eine durchaus thörichte und zwecklose. Selbst wenn ein solcher Meuchelmörder für seine That sogenannte »politische Motive« in Anspruch nimmt, muß er wissen, daß er nie das erreicht, was er durch das Attentat bezweckt, sondern immer gerade das Gegenteil. Wenn er sein Land »befreien« will und auf das Staatsoberhaupt ein Attentat macht, so erreicht er unter allen Umständen nur, daß um so strengere Maßregeln und Schritte von Seiten der Regierung getroffen werden. Das letzte Jahrhundert war sehr reich an solchen Attentaten, leider auch an gelungenen. Da die letzten dieser abscheulichen Verbrechen aber noch in frischer Erinnerung sind, begnügen wir uns hier, eine Uebersicht der Attentate von 1800-1850 zu geben, eine Uebersicht, welche lehrreich genug ist.

Am 24. Dezember 1800 wollte sich Napoleon Bonaparte, damals erster Konsul der französischen Republik, in die Oper begeben. Von den Tuilerien, wo er bereits Wohnung genommen hatte, wollte er nach dem für ihn reservierten Eingang in der Oper, in der Rue Saint Niçaise, fahren. Als der Wagen, dem eine Eskorte voraufritt, in die Rue Saint Niçaise einbog, war der Eingang in dieselbe auf eigentümliche Weise versperrt. Auf der einen Seite des Straßeneinganges hielt ein Fiaker, auf der anderen Seite stand ein kleiner Planwagen, mit einem Pferde bespannt. Ein Soldat der Spitzen-Eskorte zwang den Fiakerkutscher, unter Drohung mit dem Säbel, schleunigst auszuweichen. Einen Augenblick wurde die Passage frei; die Eskorte, und hinter ihr der Wagen des ersten Konsuls, jagten hindurch. Als die den Zug schließende Eskorte durch die Lücke sprengte, erfolgte eine entsetzliche Detonation. Ein grauenhafter Schrei aus Tausenden von Kehlen antwortete. Dann gab es ein Rauschen, Krachen, Splittern und Sausen in der Luft. Sechsundvierzig Häuser stürzten ein oder wurden mehr oder weniger beschädigt. Ein Hagel von Steinen, Glas und Holz fiel auf die ganze Umgebung nieder, Rauch, Pulverdampf und Flammen erfüllten die Luft. Eine Höllenmaschine war explodiert, und es handelte sich um ein Attentat gegen den ersten Konsul. Jener kleine, mit einem Pferde bespannte Planwagen, der jetzt vollständig verschwunden war, hatte die Höllenmaschine enthalten. In dem Memorial von St. Helena berichtet Napoleon selbst über dieses Attentat:

»Diese höllische Erfindung wurde von den Royalisten ausgeführt, nach einem von den Jakobinern entworfenen Plane: Etwa ein Hundert wütender Jakobiner, die Reste der Septembermörder, der Schlächter vom 10. August, hatten sich entschlossen, den ersten Konsul wegzuschaffen. Sie hatten dazu eine Art Haubitzen erfunden, 15 bis 16 Pfund im Gewicht, die, in den Wagen geworfen, zerspringen und alles umher zerschmettern sollten. Um ihres Wurfes sicher zu sein, wollten sie eine Anzahl Fußangeln in den Weg werfen, welche die Pferde hemmen und den Wagen stillstehen machen sollten. Der Handwerker, bei welchem man diese Fußangeln bestellte, schöpfte indessen Verdacht und benachrichtigte die Polizei davon. Man kam den Leuten bald auf die Spur und ergriff sie auf der That selbst, als sie außerhalb Paris, am Jardin des Plantes, die Wirkung dieser Maschine, die furchtbar war, probierten.

Der erste Konsul, der es sich zum System gemacht, von den zahlreichen Verschwörungen, deren Ziel er war, so wenig wie möglich Aufhebens zu machen, wollte auch nicht, daß man diese verfolge; er begnügte sich damit, die Schuldigen einsperren zu lassen. Bald ließ man von der anfänglichen Strenge gegen sie nach, und, der einsamen Haft entlassen, erhielten sie im Gefängnis eine gewisse Freiheit. In demselben befanden sich auch einige Royalisten, welche den ersten Konsul mit Windbüchsen hatten erschießen wollen. Diese beiden Banden machten gemeinschaftliche Sache und teilten ihren Freunden draußen den Plan zu einer Höllenmaschine mit, die allen übrigen Mitteln vorzuziehen wäre.

Es ist merkwürdig, daß der erste Konsul am Abende der Katastrophe einen Widerwillen empfand, auszufahren. Madame Bonaparte und einige seiner Vertrauten wollten durchaus, daß er an einem Auditorium, das an jenem Abend stattfand, teilnehmen solle. Er war aber schon auf dem Kanapee eingeschlafen und es kostete viel Mühe, ihn zu wecken. Einer brachte ihm den Degen, der andere den Hut. Im Wagen selbst fiel Napoleon wieder in Schlaf. Als er die Augen öffnete, glaubte er im Tagliamento zu schwimmen. Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß er, einige Jahre früher, als General der italienischen Armee, des Nachts in seinem Wagen den Tagliamento passiert hatte, gegen den Rat derer, die um ihn waren. Im Feuer der Jugend, und von Hindernissen nichts wissend, hatte er diesen Uebergang versucht, umgeben von hundert Bewaffneten mit Fackeln und Feuerbränden. Aber plötzlich fing der Wagen zu schwimmen an. Er lief die größte Gefahr und hielt sich wirklich für verloren. Daher, als er in diesem Augenblicke mitten unter Flammen und einer furchtbaren Erschütterung erwachte und den Wagen unter ihm sich erheben fühlte, kehrten alle Eindrücke der nächtlichen Fahrt über den Tagliamento ihm zurück. Es dauerte aber nur eine Sekunde, denn jetzt erdröhnte der entsetzliche Knall. »Wir sind in die Luft gesprengt,« waren seine ersten Worte, die er an Lannes und Bessieres richtete, die im selben Wagen fuhren. Diese wollten augenblicklich halten lassen, aber er rief ihnen zu, sie möchten sich hüten. Der erste Konsul kam in der Oper an, als wäre nichts vorgefallen. Er war gerettet worden durch die Kühnheit und Schnelligkeit seines Kutschers. Die Maschine erreichte nur ein oder zwei Leute.

Die allertrivialsten Umstände haben oft die ungeheuersten Folgen. Der Kutscher war betrunken, und es ist sicher, daß diese Trunkenheit die Tage des ersten Konsuls verlängert hat. Der Kutscher hielt die furchtbare Explosion für Salutschüsse.«

Im ganzen waren zweiundzwanzig Personen durch die Höllenmaschine getötet worden, sechsundfünfzig waren verstümmelt. In den Kaffeehäusern neben der Oper wurde es plötzlich Nacht; die anwesenden Gäste sanken in Betäubung und Bewußtlosigkeit nieder, und als sie erwachten, waren sie zum Teil erblindet, ihre Glieder waren zerschmettert, Glasstückchen waren ihnen über den ganzen Körper in das Fleisch gedrungen. Man sah noch lange nach der entsetzlichen Begebenheit die unglücklichen Bewohner der Rue Saint Niçaise sich wie Gespenster längs der Schutthaufen ihrer zerstörten Häuser hinschleppen, ohne Arme oder Beine, mit furchtbar zerstörten Gesichtern, so meldet uns ein Zeitgenosse noch aus dem Jahre 1848. Viele dieser Leute waren völlig kindisch geworden. Erst am 18. November 1811 starb eine Frau auf ihrem Schmerzenslager, Madame Pasquier, welche eine der schönsten und liebenswürdigsten in Paris gewesen war. Die Explosion hatte sie, mit ihrem Kinde im Arm, gegen die Decke des Zimmers geschleudert. Das Kind war bald gestorben, sie selbst war ein Schreckbild von erschütternder Häßlichkeit geworden, behaftet mit derartigen Leiden, daß sie sich den Blicken der Menschen entziehen mußte.

Es war zuerst keine Spur von den Verbrechern zu entdecken, aber das Entsetzen über die grausige That war in Paris allgemein. Es meldeten sich von selbst Leute, die der Polizei bei Entdeckung der Verbrecher Hilfe leisteten, und nach wenigen Tagen wußte man, daß besonders drei Personen, Carbon, Saint-Rejan und Limoesau die That vorbereitet und ausgeführt hatten. Die Drei waren ausnahmslos Mitglieder der Legitimisten-Partei, und sie hatten bei Damen der legitimistischen Partei Hilfe, Förderung und nach dem Attentat ein Versteck gefunden. Limoesau gelang es, zu entwischen, Carbon, Saint-Rejan und die männlichen und weiblichen Helfershelfer, welche indirekt das Verbrechen gefördert und unterstützt hatten, kamen auf die Anklagebank. Carbon und Saint-Rejan starben auf der Guillotine, die anderen Beteiligten wurden zu mehr oder weniger schweren Freiheitsstrafen verurteilt. –

Im Jahre 1796 kam Kaiser Paul I. von Rußland zur Regierung. Er war der Sohn Katharinas II. und des unglücklichen Peters III. Letzterer war von den Verschworenen, welche Katharina II. auf den Thron brachten, ermordet worden, und das unglückliche Schicksal seines Vaters lastete auf seinem unglücklichen Sohn Paul Zeit seines Lebens. Aber auch Katharina II. fürchtete einen Gewaltstreich ihres Sohnes gegen sie. Sie hielt ihn daher in engster Abgeschlossenheit, unter strengster, heimlicher Bewachung, duldete nicht, daß er in die Oeffentlichkeit trat, und ging sogar mit dem Plan um, ihn von der Thronfolge auszuschließen. Diese Absicht der Kaiserin kam aber nicht zur Ausführung. Als sie starb, war Paul I. dreiundvierzig Jahre alt und hatte zwei erwachsene Söhne, Alexander und Constantin. Er war in zweiter Ehe verheiratet mit einer württembergischen Prinzessin, einer liebenswürdigen, tüchtigen Frau, welche sich nur leider zu sehr den Launen und Kleinlichkeiten des Gatten fügte. Den größten Teil der dreiundvierzig Jahre seines bisherigen Lebens hatte Paul I. damit zugebracht, um eine kleine Truppe unglücklicher Soldaten zu drillen und an ihnen dienstlich herumzunörgeln. Er brachte es auch noch als Kaiser fertig, stundenlang durch ein Fernrohr entfernte Wachtposten zu beobachten, um zu sehen, ob sie auch das Gewehr genau so trugen, wie die Vorschrift verlangte. Der unglückliche Vater Pauls I., Peter III., war unzweifelhaft geistesgestört gewesen, und ebenso unzweifelhaft ist es nach unseren heutigen Begriffen, daß auch Paul I. geistig nicht normal war. Seine ersten Regierungshandlungen waren indes sehr verständige. Er schaffte drückende Verordnungen und Gesetze seiner Mutter ab, er behandelte die Günstlinge seiner Mutter liebenswürdig, er rächte sich nicht einmal an den Mördern seines Vaters und ordnete nur an, daß die ausgegrabene Leiche desselben gleichzeitig mit der Leiche seiner Mutter noch einmal beerdigt würde, und daß beiden Leichen die gleichen kaiserlichen Ehren dabei zu teil würden. Dann kam aber eine Flut von Verordnungen und neuen Gesetzen, welche nicht mehr Freude, sondern Kopfschütteln verursachten. Hunderte von Verfügungen ergingen allein wegen der Uniformierung der Soldaten, und die Offiziere, welche nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden sich nach der neuesten Uniformierung richteten, prügelte der Kaiser eigenhändig durch, schickte sie nach Sibirien, ließ sie in die Gefängnisse werfen oder zu Tode knuten. Er erließ eine Verordnung, daß hinfort nicht mehr die Worte »Magazin« und »Revolution« in Rußland gebraucht werden dürften. Er erließ eine Verordnung, daß kein Mensch einen runden Hut tragen dürfte. Das Wort »Freiheit«, das Wort »kahl« und das Wort »stumpf« wurden ebenfalls im öffentlichen, mündlichen und schriftlichen Verkehr bei strengster Strafe verboten. Furcht, Grausamkeit und kleinliche Nörgelei bestimmten alle Handlungen des Kaisers. Er hatte nur einen Günstling, einen türkischen Knaben, den die Russen bei der Einnahme von Bender gefangen genommen hatten. Dieser Knabe wurde Diener Pauls I., später Kammerdiener, endlich Stallmeister und allmächtiger Günstling. Diesem Menschen traute er allein. Vor allen anderen Leuten fürchtete er sich, und insbesondere glaubte er daran, daß seine Söhne und seine Frau ähnlich gegen ihn handeln könnten, wie seine Mutter gegen seinen Vater. Wenige Wochen nach der Thronbesteigung ließ er in der Nacht seine beiden Söhne zu sich in das Schlafzimmer kommen und zwang sie, auf die Bibel und das Kruzifix ihm zu schwören, daß sie nichts Böses gegen ihn im Schilde führten, daß sie ihn nicht töten wollten, und daß sie nicht beabsichtigten, ihn zu entthronen. Mit Hilfe des Günstlings kamen die verbannten Mitglieder der Familie Subow, die schon unter Katharina II. eine große politische Rolle gespielt hatten, wieder an den Hof. Graf Pahlen, der Gouverneur von Petersburg, schloß mit ihnen Freundschaft. Man gewann den Grafen Talitzin, den Obersten des vornehmsten Garderegiments der Preobashenski, ferner den General Bennigsen und endlich den Artillerie-General Tatschiwill. Diese Großwürdenträger beschlossen die Entthronung Pauls I. Nicht nur im Innern brachten nämlich die Verfügungen des Zaren Unheil, sondern auch nach außen. Er erklärte Spanien den Krieg, er wollte England vernichten, weil es ihm Malta nicht ausliefern wollte, nachdem er sich zum Großmeister des Maltheserordens gemacht hatte und seinen Kammerdiener und Stallmeister zum zweiten Großmeister. Auch die Söhne des Kaisers wußten, daß man ihren Vater entthronen wollte. Nur zögernd hatten sie die Zustimmung gegeben, sich jedoch ausdrücklich ausbedungen, daß ihm nicht das Leben genommen würde.

Der Zufall spielte auch bei dieser Katastrophe, wie meist im Leben, eine große Rolle. Wo sich Paul I. auch befand, ob in Petersburg oder in einer Sommerresidenz, stets lagerten in dem Schlosse, in dem er wohnte, mehrere Regimenter Soldaten, die er in schlaflosen Nächten, in denen ihn die Furcht quälte, öfter probeweise alarmieren ließ. Ein Jahr vor seinem Ende und vier Jahre nach Antritt seiner Regierung, gab es in einer Nacht auf dem Lustschloß Pawlowsk eine unglaubliche Scene. Das Alarmsignal ertönte, und mit Windeseile stellten sich die alarmierten Truppen bewaffnet im Hofe des Residenzschlosses auf. Kaiser Paul hatte aber das Alarmsignal nicht gegeben. Er nahm an, es handele sich um eine Verschwörung gegen sein Leben, er schloß sich in seinem Zimmer ein und betrug sich derartig kopflos und feige, daß man sich sagen mußte, er würde bei jeder anderen Gelegenheit sich auch nicht zu helfen wissen und sich nicht zu retten verstehen. Es kam schließlich heraus, daß Paul an dieser Alarmierung indirekt Schuld trug. Er hatte befohlen, daß die russischen Postillone, gleich den deutschen, Posthörner mit sich führen und bei der Abfahrt und Ankunft auf den Stationen Signale geben sollten. Diese Verordnung war noch nicht allgemein bekannt, und als in der Nacht die erste Extrapost von Petersburg in Pawlowsk eintraf, und der Postillon sein Signal blies, hatten dies die Wachen für das Alarmzeichen gehalten. Die ganze Scene hatte den Verschworenen bewiesen, wie leicht der Kaiser zu überrumpeln war, wie andererseits dem Kaiser klar wurde, daß er selbst seiner nächsten Umgebung nicht sicher war, weil diese Leute bei dem Alarm eine zweideutige Rolle gespielt hatten. Er beschloß, den durch seine Roheit und Grausamkeit berüchtigten General Araktschejew, der schon einmal Gouverneur von Petersburg gewesen war, und an den die Petersburger nur mit Entsetzen dachten, in seine Nähe zu berufen. Er schrieb heimlich einen Brief an Araktschejew, in dem er ihn beschwor, zu ihm zu kommen, und betraute mit der Zustellung des Briefes einen besonderen Courier. Nun durfte aber kein Courier aus Petersburg heraus, der nicht einen von Graf Pahlen, dem Gouverneur, unterzeichneten Paß besaß. Der Courier wurde angehalten, zu Graf Pahlen gebracht, und als dieser die Adresse des Generals Araktschejew sah, wußte er, was die Glocke geschlagen hatte. Er erbrach den Brief und sah, daß er abgesetzt und daß Araktschejew sein Nachfolger werden sollte. Er ließ daher kurzer Hand den Kourier einsperren, so daß Araktschejew niemals Nachricht vom Kaiser erhielt. Dann rief Pahlen die Verschworenen zusammen und sagte ihnen, daß gehandelt werden müsse. In der Nacht zum 24. März (russischen Stils, 4. April neueren Stils) 1801 sollte Paul I. in seinem Schlafzimmer überfallen und mit Gewalt zur Abdankung, zu Gunsten seines ältesten Sohnes Alexander, gezwungen werden. Alexander wußte um den Plan, bat Graf Pahlen aber flehentlich, den Vater zu schonen und ihm nicht das Leben zu nehmen. Dem Großfürsten Konstantin, dem Bruder Alexanders, der für unzuverlässig galt, wurde erst eine Stunde vor Ausführung des Planes Mitteilung gemacht.

Noch einmal spielte der Zufall eine merkwürdige Rolle. Am Morgen des 23. März ritt der Kaiser mit seinem Leibstallmeister spazieren. Es näherte sich dem Kaiser ein Mann, der ihm einen Brief übergeben wollte. Dieser Brief enthielt die vollständige Enthüllung des Komplotts gegen den Kaiser. Der Leibstallmeister nahm den Brief ab, steckte ihn in seine Uniform und vergaß ihn, als er nach Hause kam und sich umkleidete.

Am Abend des 23. März alten Stils fanden sich die Verschworenen beim General Talitzin, dem Chef der Preobashenskischen Garde, zusammen. An einer gut besetzten Tafel hielt man die letzte Besprechung. Fast sämtliche Offiziere der Preobashenskischen Garde waren mit im Komplott, und um Mitternacht brachte Graf Pahlen noch zwei Dutzend junger Leute aus den besten Familien, die vor einigen Tagen infolge einer Laune des Kaisers in grausamster Weise geknutet und ins Gefängnis geworfen worden waren. Aus dem Gefängnis hatte sie Graf Pahlen selbst geholt, um sie als Rachekorps gegen den unglücklichen Kaiser zu verwenden. Eine halbe Stunde nach Mitternacht brachen die Verschworenen auf. Es waren ungefähr sechzig und sie teilten sich in zwei Haufen, welche vom Grafen Pahlen und von Subow geführt wurden. Durch zwei verschiedene Eingänge drangen sie in das Winter-Palais, und die Wachen und Posten ließen sie passieren, da die ihnen bekannten Großwürdenträger an der Spitze standen und den Posten erklärten, der Kaiser habe sie zu einem eiligen Kriegsrat berufen.

Kaiser Paul war in seinem Schlafzimmer eingeschlossen. Dieses war von zwei anderen Zimmern flankiert, in dem sich ein Adjutant mit einer Anzahl Kammerhusaren aufhielt. In weiter vorgelegenen Zimmern befanden sich Soldatenwachen, ebenso standen Soldaten-Piketts auf den Treppen, die von zwei Seiten zu der Etage führten, in der das Schlafzimmer lag. Die Soldatenwachen erwiesen den Generälen die Honneurs und ließen sie passieren. An das Zimmer des diensthabenden Adjutanten klopften die Verschworenen und sagten ihm, er solle den Kaiser wecken, es sei Feuer in der Stadt. Der Adjutant klopfte an die Schlafzimmerthür Pauls, und dieser schob durch einen Mechanismus, den er über seinem Bette leicht erreichen konnte, den Riegel an der Thüre zurück. Der Adjutant trat ein, aber gleichzeitig drangen die Verschworenen in die Vorzimmer. Der Kaiser hörte das Geschrei und flüchtete, im Hemd und nur mit einem Degen bewaffnet, hinter einen Bettschirm. Aber kaum hatten die Verschworenen das Zimmer betreten, als sie ihn auch in seinem Versteck entdeckten. Subow wandte sich an ihn mit folgenden Worten:

»Sie sind Gefangener des Kaisers Alexander, und wenn Sie keinen Widerstand leisten, haben Sie für Ihr Leben nichts zu befürchten. Unterschreiben Sie augenblicklich diese Urkunde, durch welche Sie zu Gunsten Ihres Sohnes dem Throne entsagen!«

Paul I. begann fürchterlich zu schimpfen und drang mit dem Degen auf Subow ein. Schon wichen einzelne der Verschworenen zurück. General Bennigsen aber schrie ihnen zu, zu bleiben, da sonst alles verloren sei. Gleichzeitig warf sich General Tatschiwill mit einigen betrunkenen jüngeren Offizieren auf den Kaiser, der zu Boden stürzte. Die Nachtlampe fiel mit dem Tische um, auf dem sie stand, und tiefe Finsternis herrschte im Zimmer. »Konstantin, Konstantin!« hörte man noch den unglücklichen Kaiser schreien, dann ging das Schreien in ein Gurgeln über, und als man Licht brachte, lag Paul I. erdrosselt am Boden.

Seine Frau und deren Umgebung, die in der Nähe seiner Zimmer wohnten, hatten nichts von alledem vernommen. Mit Zittern und Beben aber hatten die beiden Großfürsten, die eine Etage unter dem Kaiser wohnten, den Skandal über ihren Köpfen gehört. Bennigsen begab sich zu Alexander, um ihm mitzuteilen, daß er Kaiser aller Reußen sei. Als Alexander hörte, daß sein Vater ermordet war, gab er sich aufrichtigem Schmerze hin. Er war außer sich, daß sein Regierungsantritt durch diese Gewaltthat befleckt war. Aber es galt, zu handeln. Noch in der Nacht wurden die Truppen alarmiert und schwuren dem neuen Kaiser Treue, und ganz Petersburg jubelte am nächsten Tage, als man erfuhr, daß ein neuer Kaiser an Stelle des despotischen, launenhaften Paul getreten war. –

Der Feldzug des Jahres 1809 hatte Napoleon I. neue Triumphe gebracht. Er hatte Oesterreich gedemütigt, und als Triumphator hielt er am 13. Oktober 1809 bei dem königlichen Lustschloß Schönbrunn in der Nähe von Wien eine große Heerschau über seine siegreichen Truppen ab. Als Napoleon im Kreise seiner Offiziere vor der Front der Truppen stand, nahte sich ein junger Mann von fast knabenhaftem Aussehen, der ein Bittschreiben trug, das er dem Kaiser allein übergeben wollte. Der General Rapp, einer der ältesten Freunde Napoleons, hatte jedoch eine besondere Unruhe an diesem auffallend jungen Menschen bemerkt. Er fragte ihn, was er wolle, und als der junge Mann verlegene Antworten gab, ließ ihn Rapp sofort abführen und ihn untersuchen. Man fand bei dem Jüngling ein langes, scharf geschliffenes Küchenmesser. Ohne weiteres gab der junge Mann zu, daß er mit diesem Napoleon habe erstechen wollen. Napoleon sei ein Tyrann, der Deutschland geknechtet und unglücklich gemacht habe, und er müsse durch einen Deutschen getötet werden, der sein Leben zum Opfer brächte, gleich einem der römischen Helden, die für ihr Vaterland zu sterben wußten.

Dieser junge, schwärmerische und etwas konfuse Mann hieß Friedrich Stapß. Am 14. März 1793 in Naumburg geboren, war er also zu dieser Zeit erst siebzehn und ein halbes Jahr alt. Er war in Leipzig als Kaufmann in Stellung und hatte hier den Plan gefaßt, Napoleon zu ermorden. Zu diesem Zwecke war er nach Wien gereist und von dort nach Schönbrunn geeilt. Napoleon hatte Mitleid mit dem jungen, schwärmerischen Manne und ließ ihn zu sich bringen.

»Ich werde Sie begnadigen!« erklärte Napoleon. »Was werden Sie thun, wenn ich Sie Ihren Eltern wieder zurückgebe?«

»Ich werde aufs neue den Versuch machen, Sie zu töten!« war die Antwort. Damit sprach sich Stapß sein Todesurteil. Napoleon konnte ihn jetzt nicht mehr begnadigen. Am 17. Oktober wurde Stapß erschossen.

Man hat versucht, aus Stapß einen deutschen Nationalhelden zu machen. Mit Unrecht! Denn der politische Meuchelmord bleibt unter allen Umständen etwas Verwerfliches. Man kann die Handlung des unglücklichen Stapß mit seiner Jugend, seiner schwärmerischen Vaterlandsliebe, seinem Idealismus entschuldigen, aber man darf sie unter keinen Umständen billigen! –

Es war im Jahre 1820. In Frankreich regierte König Ludwig XVIII., der 1814 zum zweiten Male durch die Hilfe der Alliierten auf den französischen Königsthron gekommen war. Der König war alt und kinderlos; die Hoffnung des Landes beruhte auf dem Neffen des Königs, dem Herzog von Berry, einem überaus beliebten Mann, der zu den edelsten Mitgliedern der Bourbonen-Familie gehört hat. Er war zweiundvierzig Jahre alt, vermählt mit einer Prinzessin von Sizilien, und Vater eines kleinen Mädchens. Am 13. Februar 1820 besuchte der Herzog von Berry mit seiner Frau die Oper. Es war ein Fastnachtssonntag. Kurz vor elf Uhr wollte sich die Herzogin von Berry zu einem anderen Feste begeben, während der Herzog das Ballett im Opernhause bis zum Schlusse sich anzusehen gedachte. Der Herzog begleitete seine Gemahlin die Treppe hinunter bis zum Wagen. Kaum hatte sie mit Hilfe ihres Gemahls das Gefährt bestiegen, und dieser war eben im Begriff, durch den für die königliche Familie bestimmten Separateingang in das Opernhaus zurückzukehren, als sich durch seine Umgebung ein kleiner Mann drängte, der ihn mit seiner linken Hand an der linken Schulter faßte und ihm mit der rechten einen derartigen Dolchstoß in die rechte Seite versetzte, daß das Eisen in der Wunde stecken blieb.

»Ich bin ermordet!« schrie der Herzog und sank gegen die Mauer. Mit einem gellenden Schrei sprang die Herzogin aus der Kutsche, aus welcher sie die schreckliche Scene gesehen hatte, heraus und fing ihren sinkenden Gatten in ihren Armen auf. Man schaffte den Herzog in das Theater, in ein kleines Zimmer im Parterre, und holte Aerzte.

Der Mörder hatte sich geflüchtet, er war im Gewühl verschwunden. Aber einige Gendarmen eilten ihm nach. und obgleich er im langsamsten Schritt, und wie ein harmloser Spaziergänger, die Boulevards hinunterging, wurde er verdächtig. Ein Kaffeehauskellner hielt ihn fest, und die Gendarmen nahmen ihn in der Rue de Richelieu gefangen. Der feige Meuchelmörder hieß Louvel und war im Jahre 1783 zu Versailles geboren. Er hatte die Republik mitgemacht und war ein begeisterter Republikaner. Dann war er ein ebenso fanatischer Anhänger und Bewunderer Napoleons geworden, und deshalb haßte er die Bourbonen, die nach dem Sturze Napoleons wieder auf den Thron gekommen waren. Er gestand sein Verbrechen ohne weiteres ein und erklärte, daß er schon im Jahre 1814 den Plan gehabt habe, Ludwig XVIII. oder den ersten besten Prinzen zu ermorden. Seit sechs Jahren hatte er den Morddolch bei sich getragen, hatte er die königliche Familie umschlichen, hatte er besonders die Theaterzettel genau studiert, um zu wissen, wann der König oder einer der Prinzen in einem Theater sein könnte. Louvel hatte den verrückten Plan, alle Bourbonen zu ermorden, und mit dem Herzog von Berry oder mit dem Könige wollte er den Anfang machen.

Sein schändlicher Anschlag war nur zu gut geglückt. Der Herzog von Berry war tödlich verletzt. Man konnte ihn nicht einmal aus dem kleinen Zimmer im Theater forttransportieren. Hier nahm er Abschied von seiner Tochter, die man herbeigebracht hatte, und von seinen Getreuen. Nach Mitternacht kam Ludwig XVIII. und kniete weinend an dem Bette des Neffen nieder, der die Hoffnung der Bourbonen-Familie gewesen war und mit dessen Tode der Mannesstamm der Bourbonen erlosch. Eine rührende Scene zwischen dem Sterbenden und dem König spielte sich ab. Der Herzog bat flehentlich den König, dem Attentäter zu verzeihen und ihn zu begnadigen. Der König antwortete ausweichend, indem er fortwährend darauf hinwies, der Zustand des Herzogs sei nicht so gefährlich. Aber der Herzog kannte seinen Zustand besser. Er klagte nicht über diesen, sondern nur darüber, daß er nicht auf dem Schlachtfelde gestorben sei, sondern von der Hand eines Franzosen fallen müsse. Er beklagte sehr, daß sein Tod neues Blut, das des Mörders, fordern würde. Gegen Morgen starb der unglückliche Herzog von Berry.

Louvel behielt sein trotziges Wesen auch vor Gericht bei. Er war zwar Soldat gewesen, und man hatte ihn in der napoleonischen Zeit trotz seiner Schwächlichkeit zum Soldaten gemacht, aber man mußte ihn wieder entlassen, da er den Strapazen des Soldatenlebens nicht gewachsen war. Er war Landwirt, hatte aber sein Vermögen in den letzten Jahren verbraucht, weil er nichts that, sondern nur noch die königliche Familie umschlich. Louvel wurde zum Tode verurteilt; er weigerte sich hartnäckig, sich von einem Geistlichen trösten zu lassen, als er am 7. Juni 1820 hingerichtet werden sollte. Wahrscheinlich, um seine Strafe zu verschärfen und um ihn die Todesangst gründlich auskosten zu lassen, wurde die Hinrichtung von sechs Uhr morgens auf acht Uhr, dann auf zehn Uhr und endlich auf sechs Uhr abends verschoben. Um sechs Uhr abends starb Louvel endlich, bis zum letzten Augenblicke trotzig, ein Fanatiker, der mit seinem Mut und seiner Thatkraft an anderer Stelle vielleicht dem Staate recht gute Dienste hätte leisten können. –

Am 9. Oktober 1831 fiel der Präsident der griechischen Republik Kapodistrias als Opfer eines Attentats. Kapodistrias war ein Korfiote. Er hatte sich als Staatsmann bewährt, war früher in russischen Diensten und hatte mit russischer Hilfe an der Befreiung Griechenlands mitgearbeitet. Um Griechenland zu einem angesehenen Staate zu machen, glaubte Kapodistrias mit großer Strenge gegen alle Revolutionäre vorgehen zu müssen, glaubte er verpflichtet zu sein, alle die Verschwörer streng zu behandeln, welche doch seit Jahrhunderten nichts anderes als Verschwörungen und Revolutionen im Interesse des Vaterlandes gekannt hatten. Kapodistrias fiel schließlich nicht einmal aus politischen Gründen, sondern als Opfer einer Familienrache. Zu den aufsässigsten Notabeln Griechenlands gehörte der Mainotenfürst Petro Mauromichalis. Kapodistrias sah sich veranlaßt, ihn gefangen zu setzen. Der Präsident hielt sich damals in Nauplia auf, wo er unter dem Schutz der russischen Flotte residierte. Die neunzigjährige Mutter des Mauromichalis bat um Freilassung ihres Sohnes; aber Kapodistrias lehnte dies ab. Der Bruder des Mauromichalis, Constantin, und der Sohn des Gefangenen, Georg, drohten darauf dem Kapodistrias mit der Blutrache. Der Präsident ließ auch diese beiden gefährlichen Fanatiker einsperren, aber sie bestachen die Wärter, und als sich Kapodistrias am 9. Oktober 1831 nach der Heilig-Geistkirche begab, standen an der Thür derselben Constantin und Georg Mauromichalis in Begleitung ihrer bestochenen Wärter. Auf eine Entfernung von zwei Schritt schoß Constantin Mauromichalis den Präsidenten mit einer Pistole durch den Kopf, und Georg rannte ihm seinen Dolch wiederholt in den Leib. Kapodistrias verschied nach wenigen Minuten; Constantin wurde vom Volke zerrissen und sein Leichnam in das nahe Meer geworfen, während Georg nach dem Hause des französischen Residenten entkam, der ihn indessen den Behörden auslieferte. Der Nachfolger und Bruder des Kapodistrias Augustin erzwang die Bestrafung dieses Schuldigen, indem er erklärte, die Leiche seines ermordeten Bruders nicht früher begraben zu lassen, bis Georg Mauromichalis bestraft sei. Unter den Mauern des Kerkers, in dem sein Vater saß, vor den Thoren Nauplias, wurde Georg Mauromichalis am 20. Oktober erschossen. –

Ein erfolgloses Attentat beging am 9. August 1832 der ehemalige Hauptmann Franz Reindl gegen Ferdinand V., den Sohn Kaiser Franz' I. von Oesterreich. Ferdinand V. war seit 1830 König von Ungarn. Er war einer der liebenswürdigsten, rücksichtsvollsten Menschen, allerdings auch ein schwacher Charakter. Reindl hatte von dem ungarischen Könige eine große Geldsumme erbeten, und da ihm diese nicht gewährt wurde, beschloß er, sich für die Absage zu rächen. In seiner Herzensgüte setzte Ferdinand es durch, daß sein Vater den Unglücklichen nicht hinrichten ließ, sondern ihn zur Einsperrung verurteilte. Als 1835 Ferdinand von Ungarn unter dem Namen Ferdinand I. von Oesterreich auf den Kaiserthron kam, ließ er sogar den Attentäter sofort frei. –

Im Jahre 1830 hatte Louis Philipp, der ›Bürgerkönig‹, den Thron von Frankreich bestiegen. Sein Regierungsantritt hatte nicht den allgemeinen Beifall der Franzosen gefunden. Gegen ihn arbeiteten gleichzeitig die Legitimisten, die Bonapartisten und die Republikaner, und selbst seine Anhänger spalteten sich in verschiedene Parteien, die sich unter einander auf das heftigste befehdeten. Die 18 Jahre, während deren Louis Philipp in Frankreich regierte, waren eine Zeit beständiger politischer Aufregungen, und so ist es eigentlich kein Wunder, daß in dieser Zeit ungefähr ein Dutzend Attentate gegen ihn verübt wurden, von denen indes kein einziges ihm besonderen Schaden gebracht hat. Als er am 19. November 1832 nach der Kammer fuhr, um hier einer Sitzung beizuwohnen, wurde, kurz bevor er in dem Kammergebäude eintraf, ein Pistolenschuß auf ihn abgefeuert. Der Thäter ist niemals entdeckt worden. Der König selbst erklärte, er habe die Kugel nicht pfeifen hören, und seine Gegner behaupteten, die Polizei habe dieses Attentat absichtlich in Scene gesetzt und damit eine Komödie gespielt. Die darauf folgenden schweren Attentate haben indes bewiesen, daß sich wohl Leute fanden, die Louis Philipp nach dem Leben trachteten. Am 28. Juli 1835, am Jahrestage der Juli-Revolution, die Louis Philipp zum Könige gemacht hatte, hielt dieser auf den Pariser Boulevards eine große Heerschau ab. 30 000 Mann Linie und 20 000 Mann Nationalgarden waren aufmarschiert. Die letztere stand auf dem Boulevard du Temple. Als der König, gefolgt von den Prinzen und Generälen, bis zur 8. Legion der Nationalgarden gekommen war, erfolgte eine ungeheuerliche Explosion. Wehegeschrei erfüllte die Lüfte. Personen lagen am Boden. Generäle, Offiziere, Nationalgarden, Frauen, Kinder, harmlose Zuschauer, Hofbeamte waren tot oder verstümmelt. Der König selbst und die Prinzen blieben am Leben, ersterer wurde überhaupt nur leicht verwundet. Es war eine Höllenmaschine zur Explosion gebracht worden, und zwar bestand dieselbe aus 24 über- und nebeneinander angeordneten Flintenläufen die mit sehr starker Pulverladung und vielen Kugeln gefüllt waren. Von den 42 getroffenen Personen waren 19 tot. Unter ihnen befand sich leider der Marschall Mortier, der auf so vielen Schlachtfeldern dem Tode entgangen war und ihn hier durch die nichtswürdige That eines Meuchelmörders finden mußte. Hinter der Höllenmaschine fand man den Mann, der dieselbe abgefeuert hatte, selbst in schwerverletztem Zustand. Es war ein gewisser Fieschi, ein Korse, ein verlumpter, moralisch verkommener Mensch, der unter Napoleon gedient hatte, dann in Italien Soldat, Spion und Verschwörer gewesen war. Als er nach dem Untergang des Königreichs Murats nach Korsika zurückkam, wurde er dort wegen vielfacher Diebstähle zu zehnjähriger Gefängnisstrafe verurteilt und kam bei Ausbruch der Juli-Revolution nach Paris, wo er sich unter dem Vorwand, er sei ein politischer Märtyrer, eine Pension zu erschwindeln wußte. Er erhielt auch eine Anstellung, die ihm aber wegen seiner Unehrlichkeit wieder abgenommen wurde. Als man ihn wegen seiner notorischen Lumpenhaftigkeit nirgends mehr anstellte, beschloß er, sich an dem Könige zu rächen. Zu diesem Zweck setzte er sich in Verbindung mit ein paar anderen Leuten, die dem Könige nicht wohlwollten, harmlosen Handwerkern, von denen der eine ein Sattler, der zweite ein Klempner, der dritte ein Buchbinder, während der vierte Mitschuldige ein kleiner Kolonialwarenhändler war. Der schwerverletzte Fieschi, der so viele unschuldige Leute hingemordet hatte, erwies sich nach seiner Gefangensetzung als ein außerordentlicher Feigling. Er beschuldigte vor allem seine Komplizen und suchte sich selbst weiß zu waschen. Wie weit die Leute, die um seinetwillen starben, überhaupt schuldig waren, wird schwer nachzuweisen sein. Fieschi beschuldigte sie, ihn angestiftet zu haben; seine Mitschuldigen wollten aber von der Sache nichts wissen, sondern behaupteten, nur von den Plänen Fieschis gehört zu haben. Sie hatten aber keine Anzeige geleistet, weil sie ihm die Verrücktheit des Attentats nicht zutrauten. Die Gerichtsverhandlung brachte das Todesurteil für Fieschi, den Sattler Morey, einen Greis von 61 Jahren, und für den Kolonialwarenhändler Pepin, einen Mann von 35 Jahren und Vater von vier Kindern. Der Klempner Boireau wurde zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt, der Buchbinder Bescher freigesprochen. Sanson, der berühmte Henker, berichtet in seinen Memoiren, daß sich Fieschi wie ein Komödiant betrug, nicht nur im Gefängnis und am Tage vor der Hinrichtung, sondern auch auf dem Gang zum Schafott selbst. Als er kurz vor der Hinrichtung am 19. Februar 1836 mit seinen beiden Komplizen zusammenkam, die mit ihm zum Tode gehen sollten, wollte er ihnen die Hand reichen; aber sie wiesen verächtlich jede Gemeinschaft mit ihm ab und kehrten ihm den Rücken. Der greise Morey bestieg zuerst das Schafott, und sein Haupt fiel unter der Guillotine. Ein Polizeibeamter drang am Fuße des Schafotts noch in Pepin, andere Mitschuldige zu nennen; dieser erklärte aber, überhaupt an der Sache unschuldig zu sein, bestieg gefaßt das Schafott und wurde geköpft. Fieschi betrat zuletzt die Plattform. Er wendete sich an das Publikum – die Hinrichtungen fanden damals noch öffentlich statt – und hielt eine Rede, in der er erklärte, er habe mit Recht seine Komplizen beschuldigt und er kenne keine Furcht vor dem Tode. Dann aber erblaßte er und sank ohnmächtig in die Arme der Henkersknechte. Wohl ohne Bewußtsein wurde er geköpft.

Schon elf Monate später wurde auf Louis Philipp abermals ein Attentat verübt, und zwar durch den sechsundzwanzig Jahre alten ehemaligen Soldaten Louis Alibaud. Dieser schoß auf den König, als er aus dem Wagen stieg, traf ihn aber nicht. Es wurde beschlossen, um den sich mehrenden Attentaten entgegenzutreten, eine außerordentlich schnelle Justiz gegen Alibaud zu üben. Schon am 11. Juli wurde er geköpft. Er hatte stets erklärt, ohne Mitschuldige zu sein und aus Patriotismus gehandelt zu haben. Der König unterdrücke die Freiheit und sei ein Tyrann, von dem das Volk befreit werden müsse. Er ging zum Schafott barfuß, im Hemd und das Haupt mit einem schwarzen Schleier umhüllt. Es galt dieses Kostüm für eine Verschärfung der Strafe, die besonders gegen Vatermörder angewendet wurde. Alibaud benahm sich bis zum letzten Augenblicke außerordentlich mutig.

Im Dezember desselben Jahres machten der Commis Meunier und ein gewisser Huber schon wieder ein Attentat gegen Louis Philipp. Sie kamen mit lebenslänglicher Einsperrung davon.

Es folgte dann eine Pause von vier Jahren. Am 15. Oktober 1840 schoß von einem Fenster aus mit einem Gewehr auf den vorüberfahrenden König Louis Philipp Marius Darmès, ein dreiundvierzigjähriger Mann aus Marseille. Der König wurde nicht getroffen, es wurde niemand verletzt. Am 31. Mai 1841 wurde Darmès hingerichtet, und auch er schritt barfüßig, im Hemd und das Haupt mit einem schwarzen Schleier bedeckt, zum Schafott. Unter den darauf folgenden Komplotten und Attentaten gegen Louis Philipp ist noch das vom 16. April 1846 zu erwähnen, welches der Forstwärter Lecomte beging. Lecomte war ein früherer Soldat, ein ganz braver Unteroffizier, der die Stelle eines Waldwärters bekommen hatte. Aus dieser wurde er, wie er behauptete, zu Unrecht entlassen, und um sich Recht zu verschaffen, beging er das Attentat gegen den König, das er mit dem Tode auf dem Schafott büßen mußte. Schon drei Monate später plante der Fabrikant Henry ein Attentat, das ihm lebenslängliches Zuchthaus einbrachte. – Wie bereits erwähnt, wurde Louis Philipp durch dieses Dutzend Attentate, das gegen ihn geplant oder ausgeführt wurde, nicht geschädigt. Trotzdem mußte er im Jahre 1848 flüchten und seinen Thron aufgeben.

Noch gegen zwei Monarchen wurden in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wiederholt Attentate verübt, und zwar gegen die junge Königin Victoria von England und gegen Friedrich Wilhelm IV.

Die im Jahre 1819 geborene Victoria war im Jahre 1838 Königin geworden und hatte sich im Jahre 1840 mit dem Prinzen Albert von Koburg-Gotha verheiratet. Das junge Ehepaar pflegte allabendlich auszufahren, und gewöhnlich ging der Weg vom Buckingham-Palast nach dem Hyde-Park. Als gegen Abend am 10. Juni 1840 das junge Ehepaar in einem Wagen aus dem Buckingham-Palast gefahren kam und der Wagen am sogenannten Konstitutionshügel, einer Wegerhöhung, etwas langsamer fuhr, feuerte ein junger Mensch plötzlich ein Pistol auf die Königin ab. Niemand wurde getroffen und der Prinzgemahl erhob sich im Wagen, um nach dem Thäter zu sehen. Da er jedoch niemand erblickte, setzte er sich im nächsten Augenblick nieder, und nun zielte der junge Mann zum zweitenmal auf die Königin. Diese bemerkte es, bückte sich und der Schuß ging über sie hinweg. Der Attentäter wurde ergriffen und es stellte sich heraus, daß es ein Kellner Namens Oxford sei. Die Polizei hatte entschieden an ihm einen großen Fang gemacht, denn man fand in seinem Besitz, wenigstens in seiner Wohnung, Waffen, Larven und Masken, die Statuten einer geheimen Gesellschaft, ein Namensverzeichnis und eine Korrespondenz sehr gravierender Art. Aus dieser Korrespondenz geben wir nachfolgende kleine Probe:

»Jung-England, den 16. Mai 1839.

Sir!

Unser Oberbefehlshaber war sehr erfreut, als er fand, daß Sie seine Fragen so offen beantworteten. Sie werden den 21. dieses Monats kommen müssen, da wir einen von den Provinzialagenten in wichtigen Geschäften in der Stadt erwarten. Kommen Sie sicher.

A. W. Smith, Sekretär.

Adresse:
Mr. Oxford, bei Mr. Minton,
Haystreet Marylebone.

P. S. Sie dürfen von dem Jungen keine Notiz nehmen und ihn nicht fragen.«

 

»Jung-England, den 14. November 1839.

Sir!

Es freut mich sehr, zu hören, daß Sie sich in Ihren Reden so sehr verbessern. Die Rede, welche Sie das letzte Mal hier hielten, war schön. Gestern abend wurde ein anderer von Leutnant Mars eingeführt, ein hübscher, langer, gentlemanisch aussehender Gesell, und es heißt, daß er ein militärischer Offizier wäre, aber sein Name ist noch nicht bekannt geworden. Bald nach seiner Einführung wurden wir durch ein heftiges Klopfen an der Thür alarmiert. Augenblicklich waren unsere Gesichter bedeckt, wir spannten die Pistolen und standen mit gezogenen Säbeln da, um den Feind zu empfangen. Während der eine mit den Papieren am Feuer stand, war ein anderer mit der angezündeten Fackel bereit, das Haus in Brand zu stecken. Hierauf schickten wir die alte Frau hinab, um die Thür aufzumachen, und es erwies sich, daß es einige kleine Jungen gewesen waren, die an der Thür geklopft hatten und dann davon gelaufen waren. Nächsten Mittwoch müssen Sie kommen!

A. W. Smith, Sekretär.

Adresse:
Mr. Oxford bei Mr. Parv,
Hut und Federn, Goswellstreet.«

Man war überzeugt, einer großen Verschwörung auf die Spur gekommen zu sein. In England hatte man bisher die Attentäter nicht ernst genommen. Besonders gegen Georg III., der von 1760 bis 1810 regierte, war eine Unzahl von Attentaten verübt worden, ohne daß der König jemals beschädigt worden war. Er übte merkwürdigerweise eine große Anziehungskraft auf verrückte alte Frauen und Offiziere aus, die infolge von Kopfverletzungen den Verstand verloren hatten, und nur ein einziges Mal kam es bei den Attentaten gegen ihn zu einer Verhandlung, wobei sich aber herausstellte, daß auch dieser Attentäter, ein ehemaliger Offizier, geistesgestört war. Nun war man aber einem großartigen Komplott auf die Spur gekommen. Oxford erklärte, auf die Königin geschossen zu haben, weil er Admiral werden wollte. Er war allerdings nicht Seemann, sondern Kellner, aber er blieb bei seiner Erklärung. Nach einigen Wochen einer außerordentlich eifrigen Untersuchung entdeckte man aber, daß man es auch in Oxford mit einem Verrückten zu thun hatte. Die Briefe, die man bei ihm fand, hatte er an sich selbst geschrieben; die große geheime Gesellschaft bestand nur aus ihm allein; er war Präsident, Vizepräsident, Schriftführer und Mitglied dieser geheimen Gesellschaft. Die Verschworenen, vor die er gestellt wurde, sprachen ihn wegen Unzurechnungsfähigkeit frei und Oxford wurde einer Irrenanstalt überwiesen, in welcher er vierzig Jahre saß, um dann als geheilt entlassen zu werden.

Im Jahre 1842 feuerte an derselben Stelle, an der Oxford das Attentat verübt hatte, am Konstitutionshügel, ein neunzehnjähriger junger Mensch, Namens Francis, wieder auf die Königin. Es war keine Kugel zu finden. Der Attentäter hatte die Pistole jedenfalls mit einem Kieselsteine geladen gehabt. Er wurde verurteilt, gehängt und gevierteilt zu werden. Aber er zeigte sich so kindisch, so gebrochen, so vernichtet durch das Todesurteil, er erwies sich als ein so erbärmlicher Maulmacher, daß das Ministerium der Königin beschloß, ihn zu begnadigen. Er wurde auf Lebenszeit deportiert.

Kaum war dies geschehen, als ein buckliger Bursche, Namens Williams Bean, erst siebzehn Jahre alt, ein Attentat auf die Königin verübte, als diese vom Buckingham-Palast auf dem Wege zur Kapelle war. Dieser Bursche wollte indes nur die Aufmerksamkeit auf sich lenken; er hatte deshalb sein Pistol nur mit Pulver und einem Werchpfropfen geladen. Nachdem er zu zweijährigem Gefängnis verurteilt worden, beschloß die Umgebung der Königin, vor allem der Premierminister Peel, die Gesetzgebung gegen die Leute zu ändern, welche Attentate auf die Königin verübten. Ein gewisser Pate, ebenfalls ein verrückter junger Mensch, verübte kurze Zeit darauf wiederum ein Attentat, und da es sich anscheinend um eine Manie und geistige Epidemie bei diesen Attentaten handelte, wurde von dem englischen Parlament einstimmig ein Gesetz angenommen, durch welches zur Sicherung und Beschützung der Person der Königin verfügt wurde, daß jedermann, der irgend eine Art von Feuergewehr auf die Königin richtete, »gleichviel, ob dasselbe einen explosiven oder zerstörenden Stoff enthält oder nicht«, mit derselben Strafe wie wegen schweren Diebstahls belegt werden sollte, daß aber der Attentäter, je nach dem Belieben des Gerichtshofs, ein- bis dreimal öffentlich ausgepeitscht werden durfte. Diese entwürdigende Strafe half. Es kamen in den nächsten Jahrzehnten Attentate gegen die Königin nicht vor, und die verrostete Pistole, die ein gewisser O'Conner im Jahre 1850 auf die Königin richtete, um sie zu zwingen, eine Bittschrift zu lesen, die er ihr im Garten übergab, war nicht einmal geladen. Gegen diesen Verrückten wurde auch das neue Gesetz nicht in Anwendung gebracht. –

Am 26. Juli 1844 wollte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit seiner Gemahlin Elisabeth morgens um acht Uhr nach Schlesien abreisen. Die Hofequipage war am ersten Portal des Schlosses vorgefahren. Eine große Menge Publikum hatte sich angesammelt, welches den König und seine Gemahlin sympathisch begrüßte. Die Königin stieg zuerst ein, ihr folgte der König. In dem Augenblick, in dem er sich niedersetzte und der Lakai den Wagenschlag schloß, trat ein Mann in einem langen Mantel dicht an den königlichen Wagen heran und feuerte zwei Pistolen rasch hintereinander auf den König ab. Das Volk stürzte sich auf den Attentäter und wollte ihn lynchen; aber der König wehrte selbst ab. Er erhob sich, um dem Publikum zu zeigen, daß er unverletzt war, und fuhr nach dem Schlesischen Bahnhofe. Erst hier entdeckte man, daß beide Kugeln im Mantel des Königs stecken geblieben waren. Der Attentäter war ein ehemaliger Bürgermeister Tschech. Er war in Schlesien im Jahre 1789 geboren als Sohn eines Superintendenten. Er hatte eine gute Bildung genossen und die Universität Breslau besucht, um dort die Rechte zu studieren. Aus irgendwelchen Gründen aber brach er das Studium ab und kam 1810 nach Berlin. Hier schlug er sich als Kaufmann durch, heiratete 1815 eine ziemlich vermögende Waise, brachte aber das Geld seiner Frau, mit der er zwei Mädchen hatte, bald durch und bewarb sich dann um eine Anstellung bei dem Aichungsamt. Um der Kränklichkeit seiner Frau willen wünschte er eine Stellung als Bürgermeister in einer kleinen Stadt. Er bestand das dazu notwendige Examen in Potsdam und wurde im Jahre 1832 Bürgermeister in Storkow in der Mark. Seine Frau starb, noch bevor er seine Bürgermeisterstellung antrat, und die älteste Tochter folgte der Mutter bald ins Grab. Waren es diese Unglücksfälle, die Tschech erbittert hatten, oder besaß er überhaupt eine unverträgliche Natur, kurzum, er hatte in seiner Stellung als Bürgermeister, die er acht Jahre lang bekleidete, viele Skandale und Reibereien. Er lebte in Zwiespalt mit der Bürgerschaft, mit dem Landrat. mit der Regierung und war doch, wie man nicht leugnen kann, ein ganz tüchtiger Verwaltungsbeamter. Er hat manche Einrichtungen getroffen, die sehr wohlthätig wirkten. Er war aber eine rechthaberische, gewaltthätige Natur und behaftet mit außerordentlichem Eigensinn. Im Jahre 1840 mußte er seine Stellung als Bürgermeister von Storkow aufgeben und kam nun nach Berlin. Hier versuchte er eine neue Anstellung zu erhalten, aber die Unannehmlichkeiten, die er in seiner früheren Stellung gehabt, standen ihm überall im Wege. Tschech wurde nunmehr ein Querulant. Er überhäufte die Minister mit Petitionen, er war stets in den Vorzimmern der Minister anzutreffen, um, wie er behauptete, sich gegen das Unrecht, das man ihm anthat, zu verteidigen. Er überhäufte schließlich den König und sämtliche Prinzen des königlichen Hauses mit Bittschriften, drängte sich zu Audienzen und beschloß, als er mit Rücksicht auf seine ewige Streitsucht und Unverträglichkeit überall abgewiesen wurde, sich Recht zu verschaffen, indem er den König ermordete. Nach heutigen Begriffen war auch Tschech nicht normal. Er litt an Querulantenwahnsinn und hätte nicht auf das Schafott, sondern in das Irrenhaus gehört. In damaliger Zeit bauschte man die Tschechische Angelegenheit zu einer Verschwörung auf. Man verhaftete auch seine 16jährige sehr excentrische Tochter und wollte aus dieser durchaus irgendwelche Geheimnisse herausbringen. Am 14. Dezember 1844 wurde Tschech in einem Wagen aus der Hausvogtei in Berlin nach Spandau transportiert und dort geköpft. Seine Tochter wurde zur Zwangserziehung zu einer Pastorenfamilie in Kamen in Westfalen gebracht. Von dort aber entwischte sie, ging nach Straßburg und von da nach der Schweiz, worauf sie eine sehr phantastische Lebensbeschreibung und Verteidigungsschrift ihres Vaters herausgab.

Am 22. Mai 1850 wurde auf dem Potsdamer Bahnhof gegen Friedrich Wilhelm IV. abermals ein Attentat verübt, und zwar traf diesmal der Attentäter, der mit einer Pistole auf zwei Schritt Entfernung schoß, den König am rechten Arm und verletzte ihn ziemlich schwer. Der Vorfall erregte um so größeres Aufsehen, als der Attentäter die Soldatenuniform trug. Er war ein Feuerwerker, Namens Sefeloge. Man vermutete, erregt durch die Vorfälle von 1848, eine großartige Verschwörung, und selbst der damalige Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., geriet, wie Augenzeugen berichten, in höchsten Zorn, als man behauptete, Sefeloge sei wahnsinnig. Der Prinz fand es unerhört, derartige schwere Verbrecher durch Wahnsinn entschuldigen zu wollen. Aber Sefeloge war in der That ein Verrückter. Er war erblich belastet, denn sein Vater war im Säuferwahnsinn gestorben. Sein Vater, ein erbärmlicher Lump, der durch alle Korrektionshäuser Norddeutschlands gegangen war, hatte den Knaben, dem die Mutter schon starb, als das Kind erst ein Jahr alt war, sich selbst überlassen, und durch wohlthätige Leute war der kleine Sefeloge in eine Unteroffizierschule gekommen. Brennender Ehrgeiz verzehrte den Knaben. Er kam nach Berlin auf die Feuerwerkerschule und besuchte die Anstalt mit außerordentlichem Erfolge. Er arbeitete so viel, daß er sich um den Verstand brachte. Er wurde als wahnsinnig in das Lazarett gebracht. Hier behielt man ihn einige Monate und entließ ihn dann als ungeheilt, aber als unschädlich. Da Sefeloge bei seinen Vorgesetzten und Kameraden sehr beliebt war, gewährte man ihm freie Wohnung in der Artilleriekaserne, damit er nicht ganz zu Grunde ging. Es wurden auch Unterstützungen für ihn zusammengebracht, und alle Welt wußte, daß Sefeloge verrückt war. Er bildete sich ein, großartige Erfindungen gemacht zu haben, für welche ihm der Staat und speziell der König viele Millionen schuldete. Er war größenwahnsinnig und glaubte der Erfinder der Schokolade, des Kaffees und verschiedener neuer Kanonen zu sein. Er hielt sich für den Bai von Tunis und besuchte Rechtsanwälte, um sie zu veranlassen, gegen seinen verstorbenen Vater Prozesse zu führen, weil ihm dieser das Gehirn aus dem Kopfe genommen habe. Von einer der letzten Geldspenden, die ihm von wohlthätiger Hand gemacht worden waren, kaufte er sich zwei Pistolen, um damit, wie er seinen Bekannten sagte, Walfische zu schießen. In seinem verrückten Kopfe hatte sich aber der Gedanke festgesetzt, er müsse sich an dem Könige rächen, weil dieser ihm die vielen Millionen, die er (Sefeloge) für seine Erfindungen zu beanspruchen hätte, nicht auszahlen wollte. Deshalb ging er auf den Potsdamer Bahnhof, drängte sich hier auf dem Perron dicht an die Thür, die zu den königlichen Zimmern führte, und als der König auf den Perron heraustrat, feuerte Sefeloge das Pistol aus ihn ab. Man sah ein, daß man es mit einem absolut Verrückten zu thun hatte, und Sefeloge kam in die Irrenanstalt nach Halle, wo er bald darauf starb. Vor Ablauf der Jahrhunderthälfte, und zwar im Jahre 1849, wurde auch gegen den Prinzen von Preußen, den späteren Kaiser Wilhelm, ein Attentat verübt. Der Verüber dieses Attentats ist nicht bestraft worden. Es war die erregte Zeit, als der Prinz von Preußen 1849 sich nach Baden begab, um das Oberkommando gegen die badischen Insurgenten zu übernehmen. Die »Darmstädter Zeitung« aus jener Zeit meldet:

» Mainz, 13. Juni. Gegen den gestern Abend um 7 Uhr hier abgefahrenen Prinzen von Preußen hat ein schändliches Attentat stattgefunden. Als in Nieder-Ingelheim die Pferde gewechselt wurden, hatten sich ziemlich viel Neugierige hervorgedrängt und sollen mehrfach aufregende Worte gefallen sein, ohne daß man übrigens ahnen konnte, daß Böses beabsichtigt sei, indem die Meisten gar nicht wissen konnten, wer der Reisende sei. Nachdem die zwei vierspännigen Wagen, die den Prinzen von Preußen und sein Gefolge führten, umgespannt waren, schlugen sie die Richtung nach Kreuznach ein. Sie hatten eben einige hundert Schritte von dem letzten Hause des Ortes zurückgelegt, als sich plötzlich ein Mann im Korn aufrichtete und auf den zweiten Wagen, in welchem der Prinz vermutet wurde, feuerte. Der Schuß traf den Postillon, welcher, tödlich verwundet, von vorüberkommenden Fuhrleuten in das Dorf zurückgebracht wurde, worauf sich die Wagen im raschen Laufe gegen Kreuznach zu entfernten. Auf die hierher gelangte Nachricht eilte heute früh der Dirigent der Regierung von Rheinhessen, von Dalwigk, und der großherzogliche Staatsprokurator, Dr. Kuyp, nach Ingelheim, um dort an Ort und Stelle die Untersuchung einzuleiten. Ohne Zweifel dürften diese Herren aber unerwarteten Widerstand gefunden haben, denn nachdem um 11 ½ Uhr eine Stafette bei dem Gouverneur eingetroffen war, jagte schon um 12 Uhr eine ganze Schwadron Dragoner mit verhängten Zügeln zum Münsterthore die Straße nach Ingelheim hinaus. Als dringend verdächtig des verabscheuungswürdigen Attentats gegen den Prinzen von Preußen wurde von der Untersuchungskommission zu Nieder-Ingelheim arretiert und am 18. nach Mainz gebracht der 26jährige Adam Schneider, Sohn eines Schneidermeisters in Nieder-Ingelheim. Man fand bei demselben eine frisch abgeschossene Büchse, in welche die bei dem Postillon vorgefundene Kugel vollkommen paßte; das schmutzige Schuhwerk hielt mit den verfolgten Fußstapfen im Felde gleiches Maß, und Zeugen bekräftigten, denselben gleich nach jenem Verbrechen in sehr verwirrtem Zustande getroffen zu haben, aus welchen Indizien sich wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen läßt, daß dieser Mensch der Thäter war. Die nach Nieder-Ingelheim entbotene Schwadron scheint nur eine Vorsichtsmaßregel wegen Transportierung des Verhafteten gewesen zu sein. Der großherzogliche Regierungsdirigent ist in Begleitung des Staatsprokurators am 13. abends sofort von Nieder-Ingelheim nach Kreuznach abgereist, wahrscheinlich um Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen von Preußen das Resultat der bisherigen Untersuchung mitzuteilen und von dessen Gefolge weitere Notizen einzuziehen.«

Der verhaftete Schneider wurde in Mainz vor die Geschworenen gestellt; indes sprachen ihn diese frei, da seine Schuld nicht erwiesen sei. Der Urteilsspruch wurde in jener Zeit sehr verschiedenartig kommentiert; es gab Leute, welche von der Schuld Schneiders fest überzeugt waren. Unmittelbar nach der Freisprechung wanderte Schneider nach Amerika aus und soll dort als Musiker bei einem Regiment der Konföderierten in dem Bürgerkriege zwischen den Nord- und Südstaaten Amerikas in einer Schlacht gefallen sein.


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