Wolfgang Kirchbach
Die Hosen des Baron Werdau
Wolfgang Kirchbach

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3.

Die Frau Baronin war außer sich. So recht mit Gelassenheit, Muße und künstlicher Berechnung aller Wirkungen hatte die Köchin ihr die Geschichte von der Verhöhnung ihres Mannes erzählt, hatte jede Kleinigkeit haarklein berichtet und auch noch Einiges hinzugedichtet, wovon sie glaubte, daß es die Baronin besonders aufregen würde. Die Baronin hörte so wie so niemals gern von der großen Dickheit ihres seligen Gemahls sprechen; schon bei seinen Lebzeiten war es ihr immer entsetzlich gewesen, wenn dieses Uebel scherzhaft oder ernsthaft erwähnt wurde. Sie hätte am liebsten überhaupt nichts davon gewußt. Und nun mußte diese 44 Köchin ihr eine Geschichte erzählen, die sie an der empfindlichsten Seite ihres Gemüths aufs tiefste verletzte. Aufgeregt ging sie in ihrem Zimmer auf und ab; ihr Stolz war nicht wenig vor Allem deshalb verletzt, weil diese Schuster und Schneider, diese Handwerker es gewagt hatten, ihren Adel damit zu verhöhnen, daß sie sogar die Hosen des Verstorbenen angezogen und sich dahinein vermummt hatten. Sie verlangte Genugthuung; sie verlangte eine exemplarische Sühne.

Sie ließ endlich ihren Wagen anspannen und fuhr zu ihrem Rechtsanwalt. Dieser Herr, ein etwas unruhiger und gezierter Junggeselle, der auf einem Auge ein wenig schielte, empfing sie mit außerordentlicher Zuvorkommenheit auf seiner Amtsstube, tänzelte um sie herum und fragte nach ihrem Anliegen. Sie erzählte ihm aufgeregt die ganze Geschichte, wie sie dieselbe aus dem Munde der Köchin hatte, daß man sich über den verstorbenen Baron lustig gemacht habe, daß man ihn durch ein allgemeines Ah! verhöhnt, ja, sogar geäußert habe, daß er bankerott gestorben sei, weil er seine Schneiderrechnungen nicht bezahlt habe. Das Gleiche habe in Gegenwart der Köchin der junge Bäcker gesagt, der sogar geäußert habe über den Verstorbenen, daß ihn der Teufel holen solle. Natürlich sei kein Wort wahr von den Schneiderrechnungen; das wüßten diese 45 Schuster und Schneider selber besser, denn sie seien immer richtig bezahlt worden.

Der Rechtsanwalt zog die Augenbrauen hoch und schien beinahe zu weinen. Er hatte diese Angewohnheit, wenn er ein inneres Lachen zu verbergen suchte. Doch faßte er sich, legte sein Gesicht wieder in ernste Falten und räusperte sich. Dann meinte er, es wäre doch vielleicht das Beste, man lege diesem Vorfall weniger Gewicht bei.

46 Die Baronin aber mochte sich damit nicht zufrieden geben. Die Sache sei so arg gewesen, daß eine junge Dame, welche ihren Bräutigam in den Hosen des Barons sah, diesem jungen Manne sogar deshalb die Verlobung gekündigt habe. Man dürfe daraus wohl schließen, daß die Beschimpfung eine arge gewesen sei. Sie verlange Rath, wie man hier eine Bestrafung von Rechtswegen erlangen könne.

Jetzt machte der Rechtsanwalt auf einmal eine sehr nachdenkliche Miene, duckte sich zusammen und sagte:

»Man könnte allerdings – man könnte, wenn Sie den öffentlichen Weg in der Sache nicht scheuen – wegen § 189 des Strafgesetzbuchs des deutschen Reichs, d. h. wegen der Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen, Strafantrag beim Amtsgericht stellen –«

»Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen! Das ist das rechte Wort! Giebt es so einen Paragraphen?«

»Jawohl,« sagte der Rechtsanwalt. »Es stehen sogar unter Umständen bis zu sechs Monaten Gefängniß darauf –!«

»Sechs Monate –! Herr Rechtsanwalt, bringen Sie diesen Strafantrag ein! Verklagen Sie die Rädelsführer, verklagen Sie womöglich den ganzen Klub; ich 47 muß die schwer gekränkte Ehre meines verstorbenen Gemahls wieder herstellen.«

»Sie sprachen da, gnädige Frau, von Schneiderrechnungen, wenn ich nicht irre. Wenn sich erweisen ließe, daß diese Behauptung von Seiten des Herrn Schwenke und Mehrig – so hießen ja wohl diese Herren – wider besseres Wissen –«

»Wider besseres Wissen –! Ja, das ist es! Dafür habe ich Zeugen, dafür habe ich die Quittungen –«

»Also dann bitte ich mir dieses Material zur Verfügung zu stellen. Ich werde die Sache in die Hand nehmen und bitte nur um Ihre Vollmacht. Hier – ich bitte hier zu unterschreiben –«

Er legte der Baronin eine Vollmacht vor, tauchte ihr die Feder ein und reichte sie ihr mit einer höflichen Verbeugung. Die Baronin stand einen Augenblick mit klopfendem Herzen wie die Königin Elisabeth, ehe sie das Todesurtheil der Marie Stuart unterzeichnete.

Endlich meinte sie: »Sechs Monate Gefängniß stehen darauf! Ah – worauf sechs Monate stehen, das muß ein arges Verbrechen sein; das kann man nicht unbestraft lassen, das ist arg, das ist unverantwortlich. Ich werde unterzeichnen.«

Und damit setzte sie mit einem starken, energischen Federzug ihren Namen unter das Schriftstück, nahm 48 ihren Schleier wieder vor den Hut, empfahl sich dem Rechtsanwalt und fuhr in noch größerer Aufregung, als sie gekommen war, nach Hause. Der Rechtsanwalt aber kratzte sich hinter den Ohren, tänzelte in seinem Zimmer herum, zuckte über die Baronin, dann über sich selbst die Achseln, und endlich meinte er bei sich: »Na, interessant wird die Sache auf alle Fälle; es wirbelt Staub auf; mein Name als Rechtsanwalt wird genannt. Ich habe ihr abgerathen! Wenn sie nicht anders will, so ist das ihre Sache!« Und nun begann ihn die Angelegenheit von der scharfsinnigen Seite selber anzuziehen und er verlor sich in der Erwägung, wie weit es wohl möglich wäre, den Rechtsfall zu begründen. –

Kurze Zeit darauf erließ Herr Kaufmann Schwenke in dem verbreitetsten Anzeigeblatte der Stadt unter dem Wahrzeichen des Klubs folgende Aufforderung:

»B. K. Dienstag, d. 6. 9: Außerordentliche General-Versammlung. Vollständiges Erscheinen aller Mitglieder dringend erwünscht. Der Vorstand. Schwenke.«

Wenige Zeilen weiter war in dem Blatte eine Invektive zu lesen mit großen, fetten Buchstaben, besonders eingerahmt durch einen größeren leeren Raum, den der Setzer oben und unten hatte freilassen müssen. Die Worte lauteten: »Das ist niederträchtig!!!!!« und fünf 49 dicke Ausrufungszeichen dahinter. Auf der nächsten Spalte standen dieselben Worte noch einmal und endlich war in der letzten Ecke der Blattseite noch Folgendes zu lesen: »Ist eine solche Handlung zu rechtfertigen?«

Die Leser des Blattes zerbrachen sich wohl beim Morgenkaffee vergeblich den Kopf darüber, was eigentlich »niederträchtig« sei, da aber die Behauptung, daß irgend etwas niederträchtig sei, mit solcher Bestimmtheit auftrat, so fühlten sie sich der gleichen Ansicht und legten das Blatt mit dem Gedanken bei Seite, daß diese Zeitung doch immer einen interessanten Inhalt habe. Die Leser ahnten nicht, daß es Herr Schwenke war, der seiner grenzenlosen Ueberraschung, Empörung und Angst dadurch öffentlichen Ausdruck verlieh. Er hatte am Tage vorher auf seinem Rechenpult eine Klagezufertigung vorgefunden von Seiten des Gerichts, in welcher ein Rechtsanwalt mit allen Anzeichen sittlicher Entrüstung über den ganzen Klub, insbesondere aber über Herrn Schwenke, Bäckermeister Mehrig und Frau Schneidermeister Redlich, auf zwanzig 50 großbeschriebenen Folioseiten ausführte, daß an dem und dem Tage der ganze Klub, die Betreffenden besonders, zweifelsohne den Namen des verstorbenen Baron Werdau nach § 189 des Strafgesetzbuches beschimpft hätten und er daher, im Namen der Klägerin, der Frau Baronin Werdau, Strafantrag gegen die Betreffenden stelle. Schwenke sonderlich wurde noch verleumderischer Behauptungen geziehen, alle anderen Mitglieder einzeln genannt und gegen sie Strafantrag gestellt. Das Schriftstück war Herrn Schwenke und dem Klub zur Klagebeantwortung zugestellt worden, und die Folge war die schleunigste Einberufung der außerordentlichen Generalversammlung durch den Vorstand. Herr Schwenke hatte sofort, energisch wie er war, zunächst aus seiner Tasche die drei Invektiven in die Zeitung gegeben, gleichzeitig aber den Betrag sich quittiren lassen, um diese Auslage mit Genehmigung des Klubs aus der Klubkasse sich zurücknehmen zu dürfen.

Am Dienstag Abend fanden sich die Klubgenossen sehr zahlreich, die Meisten mit etwas neugierigen und beklommenen Mienen, im Klubzimmer des »Prager Gartens« ein. Unter der Hand hatte sich schon das Gerücht verbreitet, es schwebe irgend eine Klage gegen den Klub, man wüßte nur noch nicht warum. Endlich saßen sie Alle beisammen: Fleischermeister Gottlieb, 51 Bäckermeister Mehrig senior und junior, Schneidermeister Redlich, der Schlossermeister Habicht und Klempnermeister Uhlig, sowie die Anderen. Alle saßen etwas verlegen in ihren Stühlen, zündeten ihre Pfeifen und Cigarren an und jeder überblickte im Stillen seinen Lebenslauf und sein Verhalten im Klub im Besonderen, um sich klar zu werden, womit er etwa eine gerichtliche Klage verdient haben könnte. Der Fleischermeister Gottlieb war besonders geknickt, denn es fiel ihm ein, daß er in letzter Zeit, wenn er selber im Laden war, immer schlecht gewogen hatte, konnte aber nicht glauben, daß man ihn deshalb etwa in Anklagezustand versetzen sollte.

Endlich schlug Herr Schwenke an sein Glas, der gegen seine Gewohnheit schweigsam dagesessen und nur manchmal mit einem überlegenen Lächeln, das seine heimliche Beklemmung verbergen sollte, sich stumm im Kreise der Klubgenossen umgesehen hatte. Er erhob sich, athmete tief und sprach: »Silentium! Meine Herren, ich bin in der beklagenswerthen Lage diese außerordentliche Generalversammlung einberufen zu haben, weil wir Alle sozusagen wegen Schändung des Andenkens Verstorbener vor Gericht gestellt sind.« Dabei lächelte er etwas ängstlich. – Herr Schneidermeister Redlich glaubte, Schwenke wolle einen Spaß einleiten und meinte: »Das muß ein Irrthum sein. 52 Schändung des Andenkens Verstorbener hat sich unter uns nur Herr Fleischermeister Gottlieb schuldig gemacht, indem er sein Schlachtvieh, wenn er das Fleisch verkauft, regelmäßig als das Fleisch von Ochsen, Kälbern und Schöpsen ausgiebt, ja, pietätlos genug ist, manche von diesen unglücklichen Wesen einfach Schweine zu nennen.«

Um den ganzen Tisch erhob sich ein wieherndes Gelächter. Gottlieb zeigte einen beinahe geschmeichelten Ausdruck, daß dieser geistreiche Witz sich auf ihn bezogen hatte; die beiden Bäckermeister Mehrig saßen mit kollernden Leibern da. Nur der Jüngere verstummte ganz plötzlich. Herr Schwenke aber gerieth, ganz gegen seine Gewohnheit, in eine unsinnige Wuth über das Gelächter der Anderen und rief aus, indem er sein Glas wiederholt auf den Tisch niederschlug: »Ich bitte mir aber aus, in einer so ernsten Angelegenheit keine faulen Witze! Ich habe diese Vorstandschaft überhaupt schon gehörig satt; ich opfere mich hier für alle Anderen, besorge Alles, rede Alles, muß Alles ausbaden und Ihre Gesetzesübertretungen womöglich persönlich vertreten und ich dulde nicht, daß man hier Witze macht für nichts und wieder nichts, wo wir hier Alle auf dem Spiele stehen!« Auf einmal rang er, mit dem Ausdruck ehrlichster Verzweiflung, seine Hände und jammerte 54 laut auf, wobei seine Stimme fast wie eine Weiberstimme klang: »Ach, Du mein lieber Gott, ich wollte, ich wäre niemals in diesen Klub hereingekommen, meine Frau hat mich auch schon immer gewarnt; hätte ich das voraussehen können, als ich die Vorstandschaft übernahm, daß ich hier Ihre Gemeinheiten und Nichtswürdigkeiten gegen einen Verstorbenen gerichtlich verantworten müsse, ich wäre sonst wo geblieben. Wie konnten Sie sich aber nur auch so weit vergessen! Sie mußten sich doch sagen, daß die Geschichte weiter geredet werden würde, und wenn ich den erwische, der sie weiter geredet hat – o dem, dem will ich –!«

Er wurde unterbrochen durch das erschrockene Gerede und Fragen der Mitglieder, was denn eigentlich los sei. Schwenke machte eine kurze Pause, dann fing er an, den versammelten Klub mit dem Ausdrucke all seiner Autorität ganz gehörig abzukanzeln wegen der Verhöhnung des Barons Werdau und seiner Hosen. Er machte den Mitgliedern mit heftigen Gebärden den Vorwurf, sie hätten alle erlaubten Grenzen des Anstandes überschritten. Herrn Mehrig junior fragte er, wie er es nur habe fertig bringen können, diese Hosen anzuziehen und darin herumzutanzen, er sei doch sonst so ein gesetzter, ordentlicher Mensch, der sich niemals einen Exceß zu Schulden kommen lasse. Sie hätten 55 sich ja Alle miteinander des groben Unfugs schuldig gemacht und nun sei die Bescheerung da, nun wäre richtig eine Beleidigungsklage gegen das Andenken eines Verstorbenen eingelaufen und sie riskirten sechs Monate Gefängniß unter Umständen.

»Aber das sage ich,« setzte er empört hinzu, »wenn einer von Ihnen wegen der Sache auch nur einen Tag sitzen muß, dann trete ich aus, dann lege ich nieder, denn mit Zuchthauskandidaten verkehre ich nicht. Dann hat die ganze Herrlichkeit ein Ende und ich bin am längsten Ihr Vorstand gewesen.« Er sprach's und schlug die Anklageschrift heftig auf den Tisch nieder.

Die Klubgenossen saßen sprachlos da, denn abgesehen von dem Schreck, der ihnen Allen über die Klage selbst in die Glieder gefahren war, wurden sie dermaßen verblüfft durch die Abkanzelung von Seiten ihres Vorstandes, daß ihnen zunächst jedes Wort im Halse stecken blieb. War Schwenke denn nicht gerade der Aergste gewesen? Er hatte doch selber den ganzen Spaß mit den Hosen gemacht und alle Reden gehalten, die gegen den Baron gefallen waren, hatte Mehrig selber aufgefordert, in die Hosen zu steigen, und nun hielt er ihnen mit dem Ausdruck ehrlicher sittlicher Verzweiflung diese Standrede! Da hörte aber doch Verschiedenes auf. Endlich stieß der Fleischermeister den 56 Klempner mit dem Ellenbogen an, blinzelte ihm zu, sah sich im Kreise um und sagte verwundert: »Nanu!«

»Was?« entgegnete Schwenke scharf.

»Wie? Ich habe nichts gesagt!« erwiderte der Fleischer eingeschüchtert. »Nee aber –« klang es auf einmal von der andern Seite des Tisches. Es klang etwas schüchtern und man konnte auch nicht herausbekommen, wo es herkam. Aber es drückte doch die Empfindungen auch der Anderen aus. Mehrig wechselte einige Blicke mit seinem Nachbar, und dieser sagte nur mit leiser unterdrückter Stimme: »Nu freilich.«

Schwenke sah sich wieder um und machte auf einmal ein äußerst ängstliches Gesicht. Endlich faßte er sich und fragte kalt: »Hat hier Jemand vielleicht noch was zu bemerken?«

Alles verhielt sich mäuschenstill. Das ängstliche Gesicht des Herrn Vorstandes hatte auch die Anderen ängstlich gemacht; man wagte kein Wort gegen ihn laut werden zu lassen.

Endlich erhob sich der Klempnermeister und sagte: »Ich bitte ums Wort. Ich ersuche den geehrten Herrn Vorstand, da wir nun einmal uns die Geschichte zu Schulden kommen ließen und es auch gar nicht etwa auf andere Leute schieben wollen« – er betonte das Wort »andere Leute« sehr nachdrücklich und die Folge 57 war, daß man sich am Tische räusperte und heimlich anstieß – »also da wir es auch gar nicht auf andere Leute schieben wollen, die eigentlich selber die ganze Suppe eingerührt haben – aber ich will damit gar nichts gesagt haben – also ersuche ich den Herrn Vorstand, gefälligst die Anklageschrift zu verlesen.« Schwenke warf dem Redner einen Blick stillschweigender Verachtung zu, dann aber sagte er: »Dieser Antrag versteht sich ja ganz von selbst, und ich werde daher lesen, bitte aber um Aufmerksamkeit und daß die Herren ihre Notizen und Einwände gleich machen, denn ich habe keine Verpflichtung, die Klage Ihnen etwa ein zweites oder gar ein drittes Mal vorzulesen.« Und in sehr ungnädigem Tone las er nun: »Im Namen Sr. Majestät des Königs u. s. w.« Er war im Verlesen gar nicht weit gekommen, als er sich genöthigt sah, inne zu halten und sich den Schweiß langsam abzuwischen. Es stand da nämlich sein Name in der Anklageschrift als der des Hauptübelthäters und Urhebers des ganzen Unfugs. Er zuckte die Achseln und fuhr fort zu lesen, wobei ein Ausdruck stillen Triumphes über die Gesichter seiner Tischgenossen ging. »Natürlich,« unterbrach Herr Schwenke sein Lesen, »ich soll Alles gewesen sein; mir wird die ganze Geschichte aufgehalst.« Dann lachte er höhnisch, nachdem er ein weiteres Stück der 58 Beweisführung gegen sich selbst gelesen hatte und meinte: »Das kommt davon, wenn man Vorstand ist, auf den wird Alles geschoben.« Als aber der junge Bäckermeister Mehrig genannt wurde als derjenige, welcher durch seine Gebärden und sein Trampeln den Baron verhöhnt habe und später in Gegenwart von Fräulein Marie Gottlieb und der Köchin der Baronin sogar den Baron zum Teufel gewünscht und eine verleumderische Behauptung über Schneiderrechnungen aufgestellt, nahm Schwenkes Stimme den Ausdruck erhöhter Entrüstung an und endlich frug er:

»Ja, nun sagen Sie einmal, Mehrig, wie konnten Sie sich nur unterstehen, eine solche Behauptung auszusprechen?!«

»Was?!« schrie Mehrig auf, dem Schwenkes Hochmuth nun doch zu arg wurde. »Was?! Sie haben dies Gerede ja selber aufgebracht, Sie haben ja selber eine lange Geschichte erzählt, daß der Baron auf seinem Leibe so viel Kleiderstoff verbraucht, daß er die Schneiderrechnungen nie bezahlen konnte! Der Verleumder sind also Sie, wenn's nicht wahr ist, Sie mit ihrem großen Vorstandsmaul, das Sie auch bloß aller vierzehn Tage einmal waschen.«

Fuchswild fuhr Schwenke auf, während die Klubmitglieder nun auch losbrachen und Mehrigs Behauptung 59 bestätigten und großes Getümmel entstand. Schlossermeister Habicht spannte seine rauhe, rußige Hand auf, legte sie mit dem Handteller auf den Tisch, zog die Finger zusammen und sagte: »Na warte, Du Korinthenschlucker, wenn ich erst Dich zwischen die Finger kriege!«

60 Da begann Schwenke seine Vorstandsklingel zu schütteln, daß der Kellner erschreckt ins Zimmer stürzte, und schrie:

»Ich bitte um's Wort! Stille! Mit Herrn Mehrig beschäftige ich mich gar nicht mehr, behalte mir aber vor, wegen Beleidigung Strafantrag zu stellen. Das aber muß ich sagen, daß es denn doch ein kolossaler Unterschied ist, ob ich etwas über dem Baron seine Schneiderrechnungen sage oder Mehrig. Denn Mehrig hat geglaubt, es wäre wahr; ich aber habe bloß einen Witz gemacht und ich fordere Sie hiermit Alle zu Zeugen auf, daß ich als Witzmacher bekannt bin und Alles bloß im Interesse des Vereins und seiner Unterhaltung gethan habe. Aber natürlich, wenn man von allen Anderen im Stich gelassen wird und wenn Andere dann so einen Spaß für Ernst nehmen und ihn weiter sagen, da muß jedes Vertrauen schwinden, denn mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Was mich anlangt, so werde ich mich hüten, in gewisser Gesellschaft jemals wieder etwas zur Unterhaltung beizutragen mit meinen Witzen. Es giebt ja vielleicht andere Leute, die noch viel mehr Witz besitzen, ich habe mir nie etwas darauf eingebildet.«

»Na, ebendeshalb sind Sie ja gerade strafbar,« fuhr Uhlig dazwischen, »weil Sie nur einen Witz machen. Mehrig, der hat im guten Glauben geredet, Sie aber 61 wider besseres Wissen und darum werden Sie von Allen die höchste Strafe mit Ihren Witzen bekommen, wenn Sie die Sache nicht anders ins Gleiche bringen können. Das Richtigste wäre, wenn nicht Ihr Geschäft und unser Aller Geschäfte bei der sauberen Angelegenheit zu Schaden kommen sollen, daß Sie im Namen des Vereins zur Baronin gehen und gegen eine Genugthuung sie zur Zurückziehung des Strafantrags veranlassen.«

»Was? Ich? Niemals meine Herren. Das könnte ich nun und nimmermehr mit der Ehre des Vereins verantworten, daß wir uns vor so einer Dame demüthigen.«

Hierüber begann neuer Streit. Alle Klubmitglieder hielten eine heftige Umsprache und stimmten überein, man solle eine Deputation an die Baronin senden, um sie im Guten zur Zurücknahme der Klage zu veranlassen. Schwenke legte das ganze Gewicht seines Ansehens dagegen in die Waagschale; er erklärte es mit seiner Würde als Vorstand unvereinbar. Das Ansehen des Vereins gestatte ihnen nicht nachzugeben. Lieber Unrecht dulden, als sich demüthigen, müsse die Losung sein. Aber er wurde von Allen überstimmt. Um seinen letzten, höchsten Trumpf auszuspielen, sagte er endlich:

»Meine Herren, wenn man unter Ihnen so wenig 62 gilt mit seiner Meinung, so kann man auch nicht Ihr Vorsitzender sein. Ich erkläre hiermit, daß ich mein Amt als Vorsitzender des Neustädter Bürgerbillardklubs niederlegen muß, wenn man eine Deputation an die Baronin beschließt.«

»Angenommen!« klang es von allen Seiten. Herr Schwenke blickte starr um sich. Das hatte er nicht erwartet. Endlich schüttelte er mit einem wehmüthig-mitleidigen Lächeln das Haupt und erklärte mit leiser Stimme:

»Meine Herren, da es Ihr Wunsch zu sein scheint, daß ich im Interesse Ihres Vereins nicht mehr an Ihrer Spitze stehen soll, so lege ich hiermit mein Amt nieder und ersuche Sie, einen neuen Präsidenten zu wählen, der gewiß mit gleicher Aufopferung, Umsicht, Geschicklichkeit und angeborenem Taktgefühl Sie in Ordnung halten und zu Ihrer Unterhaltung beitragen wird. – Ich, meine Herren, verzichte ein für alle Mal darauf.«

Er setzte sich mit gekränktem Ausdruck nieder und versuchte leise zu pfeifen. Durch Handaufheben wurde einstimmig Mehrig junior als Vorsitzender erwählt; er war der Erste gewesen, der der tyrannischen Selbstherrschaft Schwenkes mit einem muthigen Worte entgegengetreten war; er war der richtige Mann, den Klub auch ferner gegen die Uebergriffe Anderer zu vertheidigen.

63 Kaum hatte der dicke junge Mann zum Zeichen seiner Amtseinsetzung die Klingel in die Hand genommen, so erhob sich Schwenke wieder und rief: »Ich bitte um's Wort zu einem Antrag.«

Mehrig ertheilte ihm achselzuckend das Wort. Schwenke sagte mit einem Tone, in dem Aengstlichkeit und Hochmuth gemischt waren:

»Ich stelle also hiermit den Antrag, daß der Verein eine Deputation an die Frau Baronin entsendet und wir sie ganz einfach um Vergebung ersuchen und unsere Geschäftsempfehlungen bei ihr abgeben. Wir müssen sie bitten, ihren Strafantrag zurückzuziehen.«

Ein schallendes Gelächter brach los. Schwenke, der eben erst sein Amt gegen diesen Antrag in die Waagschale gelegt, brachte ihn nun selber ein. »Ich bitte nicht zu lachen,« meinte er gekränkt. »In meiner Eigenschaft als Vorsitzender war es meine Pflicht, dagegen zu sprechen, da ich als solcher die Ehre des Vereins zu vertreten habe. Ich habe mich selber für den Verein aufgeopfert, indem ich durch meinen Rücktritt die Bahn freimachen wollte, damit auch eine andere Meinung, als meine Meinung in der Vorstandseigenschaft, zum Durchbruch gelangen könnte. Jetzt aber, nach dieser freiwilligen Aufopferung bin ich nur Mitglied und als solches habe ich lediglich praktische Interessen 64 zu vertreten. Diese erheischen nach meiner Meinung aber, daß die Sache schnell und ohne Aufsehen in Güte geordnet werde und ich stelle daher den Antrag.«

Man sah sich verwundert an. Uhlig meinte: »Erlauben Sie, Schwenke, das ist mein Antrag.«

»Bitte sehr, der meine. Ich hatte die Idee desselben schon zu der Zeit, wo ich noch Ihr Vorsitzender war, wo ich sie nur nicht aussprechen durfte. Jetzt aber ersuche ich den Herrn Vorsitzenden, sofort über meinen Antrag abstimmen zu lassen.«

Herr Mehrig war ganz verwirrt über Schwenkes Sicherheit und sagte daher nur: »Wer für den Antrag Schwenke ist, hebe die Hand auf.« Alle, außer Uhlig, der sich zurückgesetzt fühlte, stimmten für den Antrag, der damit angenommen war. Schwenke blickte mit überlegenem Lächeln umher; der erste Antrag, den er als bloßes Mitglied eingebracht, war sofort angenommen; er sah, daß er noch immer die Situation beherrschte. Er konnte Frau Schwenke erzählen, daß seine Absetzung eine reine Formsache gewesen sei, seine wahre Meinung habe doch gesiegt. Er hatte den Antrag aus lauter Angst eingebracht, daß er doch ziemlich arg bestraft werden könnte, er fürchtete sich, wie er vor seiner Frau und allen Damen des Klubs dastehen würde, nachdem er nicht mehr Vorstand hieß. Da hatte er mit der 65 ihm eigenen Geistesgegenwart schnell Partei genommen gegen seine erste Meinung und er war es nun auch, der mit großer Aengstlichkeit des Weiteren für die Deputation sprach, denn als Hauptschuldiger hatte er die meiste Ursache, eine friedliche Erledigung der Sache zu wünschen. – Endlich warf man die Frage auf, durch wen eigentlich der ganze Scherz verrathen worden sei. Da erhob sich Schwenke nochmals und sagte: »Meine Herren, das geht ganz einfach aus der Klageschrift selbst hervor. Als Zeugen gegen uns sind die Köchin der Frau Baronin und Fräulein Marie Gottlieb namhaft gemacht. Letztere kann allein die Verrätherin sein, denn sie war beim Stiftungsfest zugegen.«

Er setzte sich. Der junge Mehrig war blaß geworden und versuchte einige Worte zur Vertheidigung Mariens zu sprechen. Aber es gelang ihm nicht. Ihre Schuld war zu offenbar. Er stotterte nur. Endlich sagte er wie Jemand, der an gebrochenem Herzen sterben will: »Wenn es so ist, meine Herren, daß Fräulein Marie . . . dann will ich nur Alles gleich auf mich selber nehmen und an der Spitze der Deputation zur Baronin gehen. Außerdem bin ich jetzt Vorstand, nicht Herr Schwenke,« sagte er energisch, »und ich allein habe zu entscheiden, was man in der Sache thun kann. Ich nehme Alles auf mich, meine Herren, und werde es 66 schon der Baronin so darzustellen wissen, verstehen Sie. Das aber sage ich hiermit: Mit meinem Willen wird Herr Schwenke niemals wieder Vorstand dieses Klubs, denn daß Sie es nur wissen, ihm verdanken wir nicht nur diese ganze Bescheerung, sondern ich auch den Verlust einer heißgeliebten Braut, die mir nun auf ewig verloren ist.«

Bei diesen Worten brach der junge Vorstand in Thränen aus, legte sein dickes, rundes Gesicht in die Hand des fest aufgestemmten Armes und schob die Präsidentenklingel schmerzlich weit von sich weg. Man wollte ihn trösten, er sollte die Sitzung weiter führen, aber er mochte nicht mehr. Er weigerte sich weiter zu präsidiren und endlich erhob er sich und sprach mit schwacher Stimme:

»Meine Herren, ich muß die Sitzung schließen. Ich kann nicht mehr. Es ist zu elend, wenn man wegen ein paar Hosen um sein ganzes Lebensglück gebracht 67 ist und ich vertage hiermit die Versammlung. Lassen Sie mich nur, ich werde schon Alles auf mich nehmen, denn um mich ist es doch nicht schade.«

Nach diesen Worten gingen die Klubmitglieder in ziemlich beklommener Stimmung auseinander. –

 


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