Wolfgang Kirchbach
Die Hosen des Baron Werdau
Wolfgang Kirchbach

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1.

Der Billardklub feierte das zwanzigste Stiftungsfest. Der rührige Vorstand, Herr Kolonialwaarenhändler Schwenke, hatte für diesen Abend das Billardzimmer des »Prager Gartens« gemiethet und drei Nachmittage lang in seinem Kontor über seinen Rechnungsbüchern gesessen und gedichtet. Am ersten Nachmittage verfaßte er einen Toast auf den Vereinsschatzmeister, Herrn Klempnermeister Uhlig, am zweiten Nachmittage dichtete er eine große, ernsthafte Schauerballade von einem König, der, um seine Unterthanen kennen zu lernen, in Verkleidung auf die Felder ging und Kartoffeln stahl, hierauf mit einem Soldaten auch in die königliche Hofküche schlich, um diese zu bestehlen, und dabei anhören mußte, wie der Minister dem Koch befahl, ein Giftpulver auf die Austern zu streuen, um ihn, den König, zu vergiften. Am dritten Tage dichtete Herr Schwenke eine kurze Ballade von den üblen Folgen des Bitterwassers für einen Lieutenant, der 6 mitten im Dienst von der Heilwirkung des Getränkes überrascht wurde. Dies Gedicht sollte zur besonderen Erheiterung der Damen dienen, unter welchen die dicke und umfangreiche Frau Bäckermeister Mehrig, die magere und blonde Frau Fleischermeister Gottlieb und die stille, aber schalkhafte Frau Schneidermeister Redlich besonders hervorzuheben sind. Am Abend vor dem Feste hatte Herr Schwenke sich noch alle Taschen mit kleinen Scherzsachen vollgesteckt, mit denen er auf dem Feste glänzen wollte. Mit Frau Schneidermeister Redlich hatte er sogar eine vertrauliche Besprechung, und was sie zusammen besprachen, das sollte der Glanzpunkt des Festes werden.

Das Gas brannte trübe durch den Cigarrenrauch, den die Klubbrüder um sich verbreiteten, denn der erste Theil des Stiftungsfestes bestand in einigen Billardparthien, während diejenigen, welche den Skat liebten, an einem anderen Tische beisammen waren und bei bayrischem Bier die Kartenblätter aufschlugen. An einer langen weißgedeckten Tafel saßen die Damen, die sich in stiller Eintracht zur Feier des Tages an einer Ananasbowle labten, andächtig ihre Gläser der Frau Kolonialwaarenhändler Schwenke reichten, welche die Bowle ausschöpfte, die Gläser zurückgab und gelegentlich eine Bemerkung mit ihrer Nachbarin austauschte. Einige der Damen waren noch im Theater gewesen und traten 8 jetzt nach neun Uhr ein. Die Frau Bäckermeister Mehrig brachte eine halbe Bäbe mit und legte den in Papier eingeschlagenen Kuchen vor sich auf den Tisch; Frau Fleischermeister Gottlieb aber hatte schon vorher eine Wurst ausgepackt, welche sie aufgeschnitten und den Damen zugetheilt hatte.

Sie hatten Alle schon einen kleinen Spitz, und nachdem die Damen erst ganz ehrbar, still und zurückhaltend die ersten Gläser geleert hatten, reichten sie dieselben jetzt häufiger hinauf, wo die große Getränkschüssel stand, lachten, ohne recht zu wissen warum, und schwatzten lauter Dinge, die ihnen höchst komisch erschienen, während sie Anderen weniger komisch vorgekommen wären, wenn sie davon vernommen hätten. Die jungen Mädchen, die zugegen waren, Mariechen, die älteste Tochter des Herrn Fleischermeisters, ein liebes Jungfräulein von achtzehn Jahren, und ihre kleinere Schwester Lina, welche die Haare lang und noch kurze Röcke trug, saßen beisammen und kicherten leise untereinander.

Dies war der Zeitpunkt, mit dem Herr Schwenke zu glänzen begann. Er hatte auch schon einen kleinen Spitz, denn er hatte bald aus dem Glase der Frau Schneidermeisterin, bald aus dem der jungen Mädchen getrunken, dazwischen auch sein Bier nicht vergessen, so daß er sich in der nöthigen gehobenen Stimmung fühlte.

9 Als die dicke Frau Bäckermeisterin eintrat, spielte er zuerst den Ritter, nahm ihr das Kopftuch und den Mantel ab und bot dann der Dame eine Schnupftabaksdose an, indem er sagte. »Eine Prise gefällig, gnädige Frau?!«

Die große, ansehnliche und heitere Dame pflegte nicht ungern zu schnupfen, besonders wenn sie glaubte, sie würde einen Schnupfen bekommen und sie spitzte 10 daher ihre Finger zusammen, um sich aus der Dose etwas zu nehmen. Sie fuhr aber erschrocken zurück mit dem Finger, als Herr Schwenke die Dose aufklappte und ihr aus derselben ein schwarzes Mäuschen entgegenfuhr, das auch noch quiekte, als Herr Schwenke es auf den Schwanz drückte.

Herr Schwenke klappte die Dose wieder zu, that äußerst verlegen und sagte: »Ach, entschuldigen Sie nur, Frau Mehrig, ich hatte ja die falsche Dose erwischt.«

Aus der anderen Tasche aber zog er schnell eine große Düte voll Zuckerplätzchen, die er nun der Dame bot, welche gnädig lächelte und statt des Schnupftabaks mit ein paar Zuckerplätzchen fürlieb nahm. –

Der nächste Witz, den der Herr Vorstand machte, bestand darin, daß er der Frau Mehrig ihre Bäbe entwendete und mit derselben an seinen Platz eilte neben der Frau Schlossermeister Habicht, der er heute den Hof machte. Diese Dame war schon in den allerbesten Jahren, hatte ein vertrocknetes Gesicht und ließ es mit verschämtem Lächeln geschehen, daß Herr Schwenke seinen Arm um ihre Schulter legte, aber schleunigst zurückfuhr, als er sah, daß Herr Habicht einen scharfen Zug an seiner Cigarre that und herüberblickte. Herr Habicht wollte die Hand erheben, um seiner Frau scherzhaft zu drohen, ließ aber die zugehaltene Hand wieder auf den 11 Tisch sinken, weil ihm einfiel, daß seine Hand auf der inneren Seite, trotz aller Seife, die er angewendet hatte, ganz schwarz war. Er hatte schon den ganzen Abend seine Hand auf dem Skattische liegen gehabt und die Innenfläche auf dem Tische verborgen gehalten. Sie waren nämlich heute alle im schwarzen Rocke und hatten die schönsten, frischgestreiften Hemden und Kragen an; dem Herrn Bäckermeister und Fleischer sah man an der Hand überhaupt nichts von ihrem Handwerk an, und weil nun die Damen zugegen waren, so schien es Herrn Habicht selber nicht fein und vornehm genug, seinen schwarzdurchfurchten Handteller sehen zu lassen. Er rauchte daher etwas verlegen weiter.

Herr Schwenke legte hierauf die Bäbe vor sich auf den Tisch, zählte die anwesenden Damen ab und suchte in der Tasche nach seinem Messer. Er brachte zur großen Erheiterung der Damen aber erst eine Anzahl anderer Gegenstände zum Vorschein, eine Pefferbüchse, eine Lichtscheere, einen Kamm seiner Frau, endlich eine Tournüre und eine Schachtel Stecknadeln. Endlich fand er das Messer, machte neun Einschnitte in den Kuchen und schnitt säuberlich die Kuchenscheiben auf. Er vertheilte den Kuchen und nur Frau Mehrig bekam nichts davon. – Das war der zweite Witz.

»Silentium! Ruhe! Stille!« schrie jetzt der Vorstand 12 mit mächtiger Stimme und brachte ein beschriebenes Blatt aus der Tasche heraus.

Sämmtliche Herren ließen vom Spiel ab und setzten sich mit an die lange Tafel. Die Gläser wurden neu gefüllt und Herr Schwenke las den gereimten Trinkspruch auf den Kassirer ab.

»Wo ist er denn?« fragte er aber mitten in seinen Versen. Alle blickten sich um, wo der Schatzmeister wäre. Der hatte sich abseits an einen Tisch gesetzt und aß gerade eine Mahlzeit Sülze. Um ihn daran zu verhindern, ging einer der Herren an den Ofen, nahm den Kohlenkasten und setzte ihn vor den Schatzmeister auf den Tisch und legte die Kohlenschaufel daneben. Dies erheiterte alle außerordentlich und erhöhte die Feststimmung.

Herr Schwenke las den Trinkspruch auf den braven Kassirer zu Ende und ließ ihn hoch leben. Alle erhoben sich und, weil ihnen der gereimte Spruch sehr gut gefallen hatte, riefen sie Alle, statt auf den Schatzmeister anzustoßen: »Hoch Schwenke! hoch, Dichterlob.«

Das dichterische Talent des Herrn Schwenke genoß in diesem Kreise das größte Ansehen. Seine Verse reimten sich fast immer, und da sie meistens von ungleicher Länge waren und in verschiedenem Takte klangen, so hörte man mit besonderer Andacht zu, wie Herr 13 Schwenke das Gleichgewicht über der verschiedenen Last seiner Verse herzustellen suchte.

Kaum hatte man sich daher nach dem Trinkspruche gesetzt, als Herr Schwenke wiederum »Silentium« schrie und eine zweite lange und blätterreiche Handschrift aus der Tasche holte. Es wurde mäuschenstill; Schwenke las die Ballade von dem stehlenden König. Sie war sehr lang und nach dem Versmaß von Bürgers »Kaiser und Abt« abgefaßt. Man erfuhr daraus, daß der König den Soldaten, der mit ihm stehlen gegangen war, ohne zu wissen, daß er König sei, ersucht hatte, ihm seinen Hut zu geben, der beim Einbrechen beschädigt worden war. Das hatte der Soldat gethan. Der König wollte den Hut ausbessern lassen. Am anderen Tage war der Soldat ohne Hut zum Exerzierplatz gekommen. Es war aber schon höherer Befehl ergangen, daß wenn ein Soldat ohne Hut erscheinen würde, solches nicht bemerkt werden solle von den Vorgesetzten. Hierauf wurde der Soldat ins königliche Schloß beordert, wo der König gerade an der Tafel saß. Der Koch brachte die vergifteten Austern, der König warf sie dem Minister vor die Füße, verurtheilte den Minister zum Tode und überreichte dem erstaunten Soldaten, der mit ihm stehlen gegangen war, als ausgebesserten Hut einen – Federhut. Und so war der Soldat General geworden.

14 Diese lange Ballade, die Herr Schwenke, trotzdem er mehrfach über seine eigenen Verse stolperte, sehr ernst und feierlich vortrug, erregte große Bewunderung aller Frauen. Kein Mensch wußte zwar, warum und wozu Herr Schwenke sie vorgetragen hatte, aber man sah daraus, daß er ein Dichter war, der keinen anderen neben sich aufkommen ließ. Nach einer Weile brachte er ein drittes Papier zum Vorschein und gab die Geschichte von dem Lieutenant zum Besten.

Alle Reden, welche an diesem Abend zu halten waren, hatte Herr Schwenke übernommen, und Herren und Damen fanden, daß er gerade deshalb der beste Vorstand war, den man haben konnte. –

Jetzt folgte nun der Glanzpunkt des Festes, über den sich der Vorstand zuvor mit Frau Schneidermeister Redlich ins Vernehmen gesetzt hatte. Herr Schwenke stellte plötzlich die sonderbare Frage: »Hat denn keine der Damen ein Paar Beinkleider bei sich?!« worauf eine Stimme laut und vernehmlich rief: »Hier! Hier!« und Frau Schneidermeister Redlich zog unter dem Tisch ein Paar hellblaue, leinene Beinkleider von unnatürlicher Größe und Gestalt hervor. Die Hosen wurden über den Tisch geworfen, aufgefaltet und geschüttelt unter unendlichem Gelächter aller Männer, Mädchen und Frauen. Herr Schwenke hielt sie ausgebreitet vor sich hin und rief:

16 »Meine Herren, dieses sind die Hosen, in welchen selbst der Größte und Stärkste unter uns als ein armer Waisenknabe erscheinen wird! Ich ersuche Herrn Bäckermeister Mehrig junior in diese Hosen hineinzusteigen, aber sich in Acht zu nehmen, daß er nicht auf der anderen Seite unten herausfällt.«

Am Ende der Tafel saß der Größte und Stärkste. Herr Mehrig junior maß die Länge eines wohlgebildeten Thürpfostens, war breit wie ein Scheunenthor und verfügte über außerordentlich vollkommene Gliedmaßen. Sein blondes, rothwangiges Gesicht erröthete aber beinahe mädchenhaft, als er die Hosen sah und den Gedanken fassen lernte, daß er in dieselben hineinsteigen sollte. Er blickte sich etwas verworren um und schaute ängstlich auf das Fleischer-Mariechen, welches halb verschämt auf die Hosen hinüber schielte und nicht recht zu wissen schien, ob es schicklich sei, daß sie lache.

»Immer hinein ins Vergnügen!« forderte Herr Schwenke von Neuem auf. »Was ist das für eine Jugend! Wenn Sie erst ahnten, von wem diese Hosen sind, meine Herren und Damen, Sie würden sich darum reißen, in dieselben hineinzuverschwinden. Aber diese Ueberraschung kommt nachher! Immer hinein, Herr Mehrig junior

»Einsteigen! Einsteigen!« riefen jetzt die Männer 17 im Chor. »Nur keine falsche Schamhaftigkeit, meine Damen!«

Der große, dicke, junge Mann erhob sich zögernd; Herr Schwenke eilte zu ihm hin und hielt ihm die Hosen entgegen. Als nun aber der Dicke langsam hineingestiegen war, erwies sich zur unendlichen Heiterkeit aller Zuschauer, daß selbst ihm diese Hosen viel zu weit waren. Frau Redlich trug einen Korb herbei, den die Männer 18 in das Sitztheil als »Tournüre« stopften, ein Kissen wurde zum Vorschein gebracht, das vorn den Leib auszufüllen hatte, und einige Herren, welche besonders übermüthig waren, versuchten Bierseidel und Kohlenschaufel gleichfalls zur Füllung in das Kissen zu wickeln. Hierauf schnürte Herr Schwenke den Hosenbund über den Leib zusammen, während Mehrig junior halb verschämt, halb ängstlich auf sich und seine bunten Beinkleider herabblickte. Um nun auch etwas zur Erheiterung beizutragen, begann er langsam in diesem Aufzug umherzutanzen, wobei der Korb im Sitztheil der Hose wackelte. Die Mädchen und Frauen wollten zerspringen vor Lachen, hielten die Taschentücher vor den Mund und machten anzügliche Bemerkungen über den jungen Mann, der aussah wie ein Tanzbär, dem man ein Paar Hosen angezogen hat.

Nur Mariechen, die auch in Lachen ausgebrochen war, hielt plötzlich inne und wurde auf einmal ernst. Sie wußte gar nicht, warum ihr plötzlich in ihrem Inneren etwas so weh that, daß ihr alles Lachen verging und eine Art von verzweiflungsvollem Aerger in ihr aufstieg. Es kam und ging; und dann lachte sie von Neuem, aber es war ein gezwungenes Lachen.

Während nun der junge Riese in den blaugestreiften Hosen einhertanzte, die ihm viel zu kurz waren, erklärte Herr Schwenke feierlich:

19 »Wissen Sie denn nun auch den eigentlichen Witz bei der Sache, meine Herren und Damen? Nun, rathen Sie einmal! Das sind die leibhaftigen Originalhosen nämlich, die der Herr Baron Werdau selig zu tragen pflegte; es sind seine Sommerhosen, die er anzog, wenn's ihn zu sehr schwitzte. Meine Herrschaften, Sie haben ihn ja alle gekannt; erst vor vier Wochen ist er gestorben an der Fettsucht, der unglückliche Mann. Ja, meine Damen, er liegt im kühlen Grabe, seine Hosen aber überleben ihn auch übers Grab hinaus. Seine Hosen überleben ihn und geben Zeugniß von dem, was an ihm groß und unübertrefflich war, denn niemals hat es einen so dicken Mann gegeben. Wenn er in seine Equipage stieg, so schwankte die, wie ein Schiff im Seesturm; in seiner letzten Zeit war er so dick, daß er überhaupt nicht mehr gehen konnte und sich an den Häusern anhalten und weitertasten mußte und die Füße nur langsam schob, denn seine eigenen Waden kamen ihm zwischen die Beine. Seine Arme konnte er nur schräg vom Leibe vor sich halten« – der dünne Herr Schwenke machte die entsprechende Gebärde – »denn er war auch unter den Schultern so dick, daß seine Arme wie auf Polstern lagen. Wie ungeheuer aufgegangen aber sein Leib und seine Beine waren, davon zeugen diese Hosen, in welchen Herr Mehrig junior, trotz seiner 20 Abgerundetheit, das reine Seepferdchen ist, ein mageres Dreierbrödchen, das der Bäcker vom Teig abgeknapst hat, weil das Mehl doch alle Tage theurer wird und die Bäcker immer ärmer!«

Die letztere Bemerkung des Herrn Schwenke und ihre feine Anspielung auf den Stand des Herrn Mehrig junior erregte erneutes Gelächter. Der junge dicke Mann trampelte indessen verlegen auf einem Flecke herum und der Korb auf der Rückseite wackelte immer weniger, denn Herr Mehrig stand gerade vor Fräulein Mariechen und Mariechen war ganz ernst geworden, blickte weg von ihm und machte ein so weinerliches Gesichtchen, daß Mehrig sich plötzlich außerordentlich vor dem Mädchen schämte, ohne zu wissen warum.

Mariechen war deshalb so ernst geworden, weil sie an den armen todten Baron denken mußte und weil es 21 ihr abscheulich schien, daß Mehrig junior den Gestorbenen auch noch auf diese Weise verspotten half. Auch sie hatte den Baron schon als Kind gekannt; wenn sie vor seinem Garten oder mit den Gärtnerskindern im Schloßgarten des Barons gespielt hatte, war der arme, dicke Herr manchmal nicht vorbeigegangen, ohne ihr die Wange zu klopfen und nun tanzten seine Hosen hier vor ihren Augen herum und derjenige, der darin steckte, war selber schon sehr dick und ihre Eltern hatten ihr oft angedeutet, daß er wohl ein hübscher, passender Mann für sie wäre und sie selbst hatte gefunden, daß das wohl richtig sein könnte, denn Mehrig junior hatte ein ruhiges und treuherziges Gemüth. Und jetzt trampelte er in den Hosen eines Todten vor ihr herum, und kein Mensch konnte voraussehen, ob er nicht in späteren Jahren auch noch so dick werden konnte wie derjenige, über dessen Hosen man sich so erlustigte. Dieser letzte Gedanke kam wie ein rascher, entsetzlicher Traum über sie; gleich darauf hatte sie den Gedanken freilich vergessen; aber statt dessen blieb ein plötzlicher Abscheu und eine Art von verzweiflungsvollem Haß gegen den jungen Bäcker in ihr sitzen, daß sie sich mit beleidigender Gebärde von ihm abwandte, ihm den Rücken kehrte und nach einer Weile leise und unterdrückt in ihr Taschentuch zu weinen begann. Alle anderen glaubten, sie lache in ihr 22 Taschentuch, und es war ihr auch ganz Recht, wenn man so dachte; sie mochte den Bäckermeister niemals mehr ansehen und fühlte geradezu einen Ekel vor ihm. Der dicke Mann aber hatte wohl etwas gemerkt, daß seine stille Angebetete sich über seinen lächerlichen Anzug entsetzte und darum stiegen seine tanzenden Beine ganz langsam hin und her, und die große Falte, welche die Hosen des todten Barons rücklings über den Korb warfen, bewegte sich mit einer Art von traurig-verlegenem Ausdruck. Weil aber alle Anderen ganz übermäßig lachten und die Freude auf ihrem Höhepunkt war, so konnte er nicht gut inne halten, sondern mußte noch ein Weilchen weitertrampeln, was gerade so aussah, als wenn ein Elephant sich wehmüthig und unbeholfen auf seinen faltigen Beinen wiegt.

Herr Schwenke brach von Neuem los: »Meine Damen, meine Herren! Nachdem Sie dieses non plus ultra von einer Hose gesehen haben, fordere ich Sie auf, mit mir das Andenken des verstorbenen Inhabers dadurch zu ehren, daß wir sämmtlich unser Erstaunen durch ein einstimmiges Ah! zu erkennen geben. Ich bitte einstimmig, meine Verehrten –«

Alle Anwesenden mit Ausnahme von Fräulein Marie und dem jungen Bäcker sagten und riefen im Chore Ah! Ah! sehr feierlich, sehr erstaunt und die 23 Heiterkeit über diesen witzigen Einfall des Vorsitzenden entsprach der Zahl der Gläser Bowle, welche Männlein und Weiblein genossen hatten.

»Denn, meine Herren und Damen, diese Hosen waren sein Stolz, seine Lieblingshosen, sie waren sein Ideal, welches ihn, wenn er es ansah, sozusagen an seine eigene Vollkommenheit erinnerte. Und wie sehr es ihm gelungen ist, dem Vollkommenen nachzustreben, das ist in diesen Hosen der Nachwelt auf ewige Zeit überliefert. Ja, ich weiß, meine Damen, aus guter Quelle, daß der verstorbene Baron Werdau in großen Schulden und unter vollständigem Bankerott deshalb gestorben ist, weil er nicht im Stande mehr war, die umfangreichen Schneiderrechnungen zu bezahlen, welche nöthig waren, seine Gliedmaßen mit den entsprechenden Meterlängen Stoff zu umgeben. Und darum, meine Herren, erhebe ich mein Glas auf das Wohl derjenigen, welche uns heute Abend den Genuß dieses erhabenen Anblicks verschafft hat. Denn bei Herrn Schneidermeister Redlich hat der Baron arbeiten lassen, und diese Hose ist nach dem gewöhnlichen Maß des Barons, das Herr Redlich noch hat; ja, diese Hose war die Musterhose, welche bei neuen Bestellungen mitgeschickt wurde, um alle anatomischen Eigenthümlichkeiten des Barons entsprechend berücksichtigen zu können, und nach seinem Tode 24 hat diejenige, welche ich meine, diese Hosen als Andenken aufbewahrt: Sie lebe hoch, Frau Schneidermeister Redlich lebe hoch! Vivat hoch!«

Und unter Gläserklirren, Lachen und verständnißinnigem Neigen ließ man die Schneidermeisterin leben, welche ob dieser Ehre ganz verschämt vor sich niederblickte. Hierauf zog Herr Mehrig junior die Hosen wieder aus; die Frau Schneidermeisterin faltete sie zusammen und verbarg sie rasch unter ihrem Platz, und es trat nun nach dem vielen Lachen, Kichern und Jubeln eine gewisse Erschöpfung ein, so daß der Rest des Stiftungsfestes nicht mehr die frühere Heiterkeit erreichte, zumal die Damen allmählich schläfrig und müde geworden waren. Ja, die dicke Frau Mehrig begann nach einiger Zeit sogar ihre Arme im Schoße zusammenzulegen und ihren Kopf langsam auf den Busen herabsinken zu lassen, wobei sich ihre Unterkehle wie ein sanftes Ruhekissen unter ihrem Kinn herausdrückte; sie nickte ein wenig ein und weil sie nickte, nickten auch einige andere Damen mit. Mariechen aber erhob sich plötzlich, als das Schlafen anzustecken anfing, wischte rasch einige Thränen aus ihren Augen, warf ihr Kopftuch um und ging mit einem bitterbösen und wehleidigen Gesichtchen aus der Gesellschaft fort und nach Hause. Erst spät sah man dann einzelne Ehepaare im Mondschein mit unsicheren Schritten 25 über die einsamen Straßen nach Hause schwanken. Und das war das unvermeidliche Ende dieses ereignißvollen Stiftungsfestes.

 


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