Rudyard Kipling
Dunkles Indien. Phantastische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Der Mann, der König sein wollte

»Verkehre mit einem Fürsten wie mit einem Bruder und mit einem Bettler als Kamerad, vorausgesetzt, daß er es verdient.«

Eine schöne Lebensregel in der Tat, aber nicht leicht zu befolgen! Der Kamerad eines Bettlers war ich des öftern, aber die Umstände erlaubten beiden Teilen nicht, herauszufinden, auf wessen Seite die Würdigkeit lag. Der Bruder eines Fürsten zu werden steht mir noch bevor, obwohl ich einmal dicht daran war, in solche Verwandtschaft zu geraten, und nicht nur das: sondern auch Premierminister eines zu gründenden Königreichs zu werden mit der Armee unter mir, dem Staatssäckel, der Justiz und der gesamten Außenpolitik. Heute freilich habe ich allen Grund, anzunehmen, daß es Essig damit ist, denn der König ist bereits tot, und wenn ich Lust verspüren sollte, mir eine Krone zu ergattern, wird mir wohl nichts übrigbleiben, als mich selbst auf die Beine zu machen.

Begonnen hat die ganze Geschichte in einem Eisenbahnzug auf der Strecke von Ajmir nach Mhow. Ein spürbarer Mangel in meinen Finanzen zwang mich, nicht etwa zweiter Klasse, die immer noch die Hälfte der ersten kostet, zu reisen - Gott bewahre: nein, sondern direkt im Schindluder-Kupee, was eine scheußliche Angelegenheit ist. In diesen »Letzte-Klaß-Wägen« gibt es keine Kissen, und die Passagiere sind selbst so etwas wie Schindluder, nämlich Eurasier oder Eingeborene, was bei einer langen Fahrt sehr lästig werden kann, oder sie sind Vagabunden. Da letztere meistens betrunken sind, ist die Sache in diesem Fall bisweilen erheiternd. Letzte-Klaß-Passagiere kaufen grundsätzlich nicht in den Erfrischungsräumen; sie ziehen es vor, Nahrungsmittel in Bündeln und Töpfen mit sich herumzuschleppen, hie und da bei eingeborenen Zuckerbäckerständen einige Süßigkeiten zu erwerben und Wasser aus den Stationsbrunnen zu trinken. Kein Wunder daher, daß man dergleichen »Schindluder-Reisende« bisweilen als Leichen aus den Kupees herausholt, zumal wenn heißes Wetter herrscht; aber auch bei normaler Temperatur bieten sie einen seltsamen Anblick.

Zufälligerweise blieb der Letzte-Klaß-Wagen, in dem ich saß, leer bis Nasirabad, wo ein dicker Gentleman mit schwarzen Augenbrauen und aufgekrempelten Hemdärmeln einstieg. Der Sitte gemäß, die unter solchen Eisenbahnpassagieren eingebürgert ist, blieb er den ganzen Tag hindurch in diesem Aufzug sitzen. Er war ein Landstreicher - ein Vagabund - wie ich, hatte aber eine ausgesprochene Vorliebe für Whisky. Er erzählte eine Menge Geschichten von Erlebnissen, die er teils mit angesehen, teils selbst gehabt hatte, und wußte von Abenteuern zu berichten, bei denen er, lediglich der Nahrung für einige Tage wegen, sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

»Wenn's noch mehrer solche gäb, wie Sie und ich, die net wissen, wie die Raben, wo's Fressen hernehmen für morgen, - net siebzig Millionen Refenüh könnt' das Land abwerfen, statt siebenhundert, wie jetzt«, sagte er; und ich stimmte ihm zu, nachdem ich einen Blick auf sein Kinn und seinen Mund geworfen hatte.

Wir schwätzten über Politik - über die Politik der Vagabunden nämlich, die gewohnt sind, offene Wunden zu sehen und nicht das hübsch glatte Pflaster darüber, schwätzten von der Post und ihren Einrichtungen, denn mein Freund gedachte, ein Telegramm von der nächsten Station nach Ajmir zurückzusenden, dem Umschlagplatz zwischen Bombay und Mhow, wenn man westwärts reist, hatte aber kein Geld, von acht Annas abgesehen. Ich selbst besaß ebenfalls keines, dank dem erwähnten Loch in meinem Budget, und konnte ihm daher nicht aushelfen.

»Bliebe nichts übrig, als einen Stationsvorstand mit dem Tod zu bedrohen, bis er ein Telegramm auf Kredit abschickt«, sagte mein Freund, »aber das könnte Scherereien nach sich ziehen für Sie und für mich, und ich habe gerade jetzt alle Hände voll zu tun. Sagen Sie mal, fahren Sie in den nächsten Tagen wieder zurück?«

»In zehn Tagen«, erwiderte ich.

»No und acht lassen sich nicht draus machen?« forschte er »Wann i bloß net so a Masse dringende Gschäft vorhätt!«

»Ich könnte Ihr Telegramm innerhalb dieser zehn Tage abschicken«, machte ich mich erbötig.

»I trau mi net recht mit einer solchen Depeschen«, meinte er. »Er fährt am 23sten von Delhi nach Bombay, das ist die Gschicht! Das heißt soviel wie: er kommt durch Ajmir durch in der Nacht vom 23sten.«

»Ich gehe nämlich in die Indische Wüste« erklärte ich.

»Ausgezeichnet«, rief mein Freund, »da müssen Sie in Marwar umsteigen; anders geht's net - und ›er‹ kommt in der Früh durch am 24sten mit dem Bombayzug. Können Sie um diese Zeit auf ihn in Marwar warten? Es wird Ihnen nix ausmachen, denn ich weiß: aus diesen indischen Zentralstaaten dort in der Gegend läßt sich hübsch was rauszupfen, - gar wenn Sie sagen, Sie sind Korrespondent der Hinterwäldler-Zeitung.«

»Haben Sie dies Rezept schon ausprobiert?« fragte ich.

»No und wie oft!« war die Antwort. »Freilich, erwischen darf man sich nicht lassen, sonst werden Sie ins Loch gesteckt, bevor Sie noch Zeit haben, jemand das Messer in den Bauch zu rennen. Aber sprechen mir lieber von meinem Kollegen! Ich hab ihm mein Ehrenwort geben müssen, daß ich ihn auf dem laufenden halt und ihn wissen laß, wohin er sich wenden soll. Ich möcht es Ihnen hoch anrechnen, wenn Sie rasch von Zentralindien zurückkommen würden, damit Sie ihn noch in Marwar erwischen und ihm sagen: ›Er - (ich nämlich) ist diese Woche im Süden.‹ Er hat einen roten Bart, ist ein großer Mann und auch sonst ein Mordsgigerl.

Er wird natürlich schlafen, mit seinem ganzen Gepäck rundum, kurz: wie ein Gentleman und zwar in der zweiten Klaß.

Aber Sie brauchen sich deshalb nicht vor ihm zu fürchten. Lassen Sie ganz einfach das Kupeefenster herunter und sagen Sie ihm: ›Er ist im Süden diese Woche.‹ Er weiß nachher schon! Na, und Ihnen kost's j a höchstens zwei Tage Aufenthalt, Ich bitte Sie also um die Gefälligkeit, wie man eben als Fremder bittet, der - nach dem Westen geht!«

»Und woher kommen Sie?« fragte ich.

»Aus dem Osten«, sagte er, »aber net wahr, Sie trichtern ihm ein, was ich gsagt hab? Ich dank Ihnen im voraus und im Namen Ihrer Mutter.«

Engländer haben's im allgemeinen nicht gern, wenn man Erinnerungen an ihre Mütter weckt, aber ich sagte nichts und nickte nur zustimmend.

»Es handelt sich um eine nicht geringe Sache«, erklärte mein Freund, »sonst würde ich Sie nicht bemühen, aber ich seh ja, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Also passen S' noch mal auf: Zweites Klaß-Kupee in Marwar, und ein Mann mit einem roten Bart, der wo drin schläft! Werden Sie's auch nicht vergessen? Ich steig bei der nächsten Station aus und muß dort warten, bis er kommt oder mir Nachricht gibt oder mir sonstwas schickt.«

»Ich werde ihm alles ausrichten, vorausgesetzt, daß ich ihn erwische«, versprach ich, »aber jetzt möchte ich Ihnen - auch im Namen Ihrer Mutter - einen Rat geben: Vermeiden Sie die zentralindischen Staaten, wenn Sie wieder mal, wie jetzt, als Korrespondent der Hinterwäldler-Zeitung reisen! Die Sache ist dort brenzlich, und es könnte für Sie schief ausgehen.«

»Ich dank Ihnen«, sagte er schlicht, »aber wo eine Sau sonst fangen? Soll der Mensch zusehen und verhungern, wann ihm eine übern Weg lauft? Ich möcht halt gar so gern den Degumber Radscha packen wegen der Gschicht mit der Witwe seines Vaters und ihm eins auswischen.«

»Was hat er denn mit der Witwe seines Vaters angefangen?« – wollte ich wissen.

»Ach Gott, mit rotem Pfeffer hat er sie halt angefüllt und dann, wie sie an einem Balken gehängt hat, totgeprügelt. Ich hab das herausgeschnüffelt; ich bin überhaupt der einzige Mensch, der's weiß und sich getraut, hinzugehen in seinen Staat und ihm ein gehöriges Schweigegeld herauszuziehen. Man wird natürlich versuchen, mich zu vergiften, wie schon einmal in Chortumna, als ich Beute machen ging. Aber werden Sie meinen Auftrag in Marwar dem mit dem roten Bart auch gut ausrichten?«

In einer kleinen Station stieg er aus, und ich überließ mich meinen Gedanken. Des öftern schon hatte ich von Leuten gehört, die es lieben, sich als Zeitungskorrespondenten auszugeben, um kleinen Eingeborenenstaaten unter Androhung von allerhand skandalösen Enthüllungen zur Ader zu lassen, aber begegnet war ich bisher noch keinem aus dieser Kaste, Sie führen ein hartes Leben, das wußte ich, und erleiden oft einen schnellen Tod. - Die Eingeborenenstaaten haben nämlich einen heillosen Respekt vor englischen Zeitungen und leben beständig in der Furcht, durch sie könnten gewisse Regierungsmethoden an den Tag kommen, die das Licht nicht recht vertragen; deshalb tun solche Staaten ihr Bestes, sich Korrespondenten mit Champagner oder sonst welchen das Bewußtsein gründlich störenden Flüssigkeiten vom Halse zu schaffen; sie haben keine Ahnung, daß es niemand auch nur im Traume einfällt, sich um interne Staatsangelegenheiten zu kümmern, solange Unterdrückung und Verbrechen sich in verschämten Grenzen halten und der betreffende Regent nicht gerade vom 1. Januar bis 31. Dezember ohne Unterbrechung besoffen oder sonstwie unzurechnungsfähig ist. In diesen dunklen Flecken der Erde herrscht gewöhnlich eine alles Maß übersteigende Grausamkeit; auf der einen Seite laufen Eisenbahnen und Telegraph, auf der anderen Seite herrschen die Zustände aus den Tagen Harun al-Raschids. Bei mir standen die Sachen so: einmal hatte ich Geschäfte mit Königen, und in acht Tagen wechselte das Bild auf schier unglaubliche Weise. Einmal trug ich Abenddreß, verkehrte mit Fürsten und Politikern, trank aus Kristall und speiste aus Silber, das nächste Mal schlief ich auf dem Boden in Lumpen, wie ein Kuli, verschlang Kräuter und Quellwasser. Wie es eben der Tag so mit sich brachte.

Jetzt hatte ich mir die Große Indische Wüste auserkoren und die Eisenbahn setzte mich in Marwar ab - mitten in der Nacht - von wo eine winzige, lächerliche »Gehste-oder-gehste-nicht«-Lokalbahn, von einem Eingeborenenheizer gelenkt, nach Jodhpur rattert. Der Bombay-Expreß macht halt, wenn er von Delhi kommt, in Marwar. Er fuhr gerade ein, als ich ankam, ich fand kaum Zeit, übers Geleise zu laufen und die Kupees zu durchsuchen. Zum Glück gab es nur einen Zweiteklaß-Waggon. Ich zog das Fensterrouleau hoch und erblickte einen roten Bart, der wie eine Flamme leuchtete und zur Hälfte mit einer Eisenbahndecke verhüllt war. Kein Zweifel: das war mein Mann, tief schlafend, wie angekündigt. Ich versetzte ihm einen gelinden Rippenstoß, den er mit einem Grunzen quittierte, worauf sein Antlitz auftauchte. Es war groß und strahlend.

»Schon wieder die Billetten!« brummte er.

»Nein«, sagte ich. »Ich soll Ihnen ausrichten: er ist die Woche über im Süden!«

Der Zug begann sich wieder in Bewegung zu setzen. Der Rotbart rieb sich die Augen.

»Hm, also im Süden ist er diese Woche!« wiederholte er vor sich hin. »Das sieht ihm wieder mal ähnlich. Hat er gesagt, ich soll Ihnen was geben? Paßt mir gar nicht.«

»Hat nichts gesagt«, gab ich zur Antwort, sprang rasch ab und blickte den roten Lichtern des Zuges nach, wie sie rasch in der Ferne entschwanden. Es war schauderhaft kalt, denn der Wind wehte von der Wüste herüber; ich kletterte wieder in meinen eigenen Zug; diesmal war's kein »Schindluder-Kupee«, und ich streckte mich zum Schlafen aus.

Hätte mir der Mann eine Rupie als Trinkgeld gegeben, ich würde sie als Erinnerung an dieses sonderbare Erlebnis mir aufgehoben haben, so aber mußte ich mich mit dem Bewußtsein als Lohn begnügen, mein Versprechen eingelöst zu haben.

Später sagte ich mir: Wenn zwei Gentlemen, wie meine beiden Freunde, sich, als Zeitungskorrespondenten verkleidet, auf die Walz und auf Schwarzfahrten nach Zentralindien und die kleinen Rattenfallenstaaten von Süd-Radschputana begeben, so wandeln sie wahrscheinlich nicht auf einwandfreien Wegen und müssen gewärtigen, daß ihnen allerhand ernste Unannehmlichkeiten zustoßen; ich wollte deshalb bei ihrer Personalitätsbeschreibung sehr vorsichtig sein - insbesondere Leuten gegenüber, von denen ich annehmen durfte, daß sie sich für sie interessierten. Wie ich später erfuhr, war es mir gelungen, sie von einem Ausflug ins Degumber-Gebiet abzuhalten.

Dann ging mir die Gelegenheit noch mehr im Kopf herum, und ich begab mich in die Redaktion meiner Zeitung, die sämtliche »königlichen« und sonstigen Tagesfragen in Evidenz hielt. Eine Zeitungsredaktion übt eine merkwürdige Anziehungskraft auf alle erdenklichen Arten von Menschen aus, die keine Ahnung von Disziplin haben. Zenana-Missionsdamen finden sich ein und verlangen, daß der Herausgeber des Blattes auf der Stelle alles stehen- und liegenläßt, um einen Artikel über ein Preisausschreiben der Christengemeinde in irgendeiner Religionsbude eines vollkommen unerreichbaren Gebirgsdorfes zu verfassen; Oberste, die das Kommando beim Avancement übergangen hat, sitzen herum und skizzieren Entwürfe für zehn, zwölf oder vierundzwanzig Leitartikel über das Thema: »Altersrangklasse oder willkürliche Beförderung?«; auf dem trockenen sitzende Theatergesellschaften treten vollzählig an und geben die Erklärung ab, sie könnten zur Zeit zwar nicht die Kosten eines Inserates bestreiten, interessierten sich jedoch brennend dafür, sobald sie von Neuseeland oder Tahiti zurückkämen; Erfinder- und Patentinhaber von selbsttätigen Punkah-Fächelmaschinen, Waggonkuppelungen, unzerbrechlichen Schwertern und Achsenwellen nehmen, alle Taschen voll mit Spezialzeichnungen, Stunden für sich in Anspruch; Teegesellschaften dringen in das Büro ein und arbeiten mit Redaktionsfedern Prospekte aus; Sekretäre von Ballkomitees wünschen dringend, daß der Glanz dieses oder jenes Schlußtanzes prunkvoller geschildert werde; fremde Ladys rauschen herein und zwitschern: »Ich muß sofort hundert Damenkarten haben!« - denn sie zu beschaffen, ist doch selbstverständlich die Aufgabe einer Zeitung! - zum Schluß verlangt dann irgendein streunender Berufsraufbold von der Gasse eine Anstellung als Korrekturenleser. Die ganze Zeit über klingelt rastlos das Telephon, Könige auf dem Kontinent werden ermordet, Kaiserreiche schmeißen um, Mister Gladstone bestreut die Britischen Dominions mit Bimssteinpulverphrasen, und die kleinen schwarzen Zeitungsjungen summen wie müde Bienen ihr kaa-pi chay-ha-ye?[Blatt gefällig?] durcheinander. Am nächsten Morgen aber ist die Zeitung so blank wie der Schild der Jungfrau von Orleans.

Doch dieses Treiben ist noch der weitaus unterhaltlichste Teil des Jahres. Es gibt nämlich noch sechs weitere Monate, wo zwar niemand erscheint und Wünsche vorträgt, aber das Thermometer Zoll um Zoll steigt, bis kein Platz mehr in der Röhre ist. Dann herrscht eine Dunkelheit im Redaktionszimmer, daß man kaum mehr lesen kann, die Druckereimaschinen fühlen sich an wie glühendes Eisen, und nur noch Berichte über Vergnügungsveranstaltungen in den Gebirgsstationen oder Todesanzeigen erscheinen. Zu solchen Zeiten wird das Telephon zum Schreckensverbreiter: man liest vom plötzlichen Hinscheiden von Männern und Frauen, die man genau gekannt hat, die herrschende Hitze ist so ziemlich die einzige Kleidung, die der Berichterstatter trägt, wenn er in seinem Stuhl sitzt und schreibt: »Aus dem Khuda-Janta-Khan-Distrikt wird gemeldet, daß die herrschende Krankheit in leichter Zunahme begriffen ist. Sie kommt meist sporadisch vor und dürfte dank den energischen Bemühungen der Distriktsautoritäten bald erlöschen, immerhin müssen wir mit Trauer feststellen, daß XYZ uns durch den Tod entrissen wurde, etc.«

Später bricht dann die gemeldete Epidemie mit Heftigkeit aus, und je weniger das Blatt darüber meldet, desto besser hat es der Leser, denn es stört seinen Frieden nicht. Die Könige und Kaiser hingegen verharren wie früher in Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit: sie sterben und schmeißen um; der Redakteur meint, öfter als einmal des Tages brauche das Blatt doch wahrhaftig nicht zu erscheinen, aber das Publikum in den Bergstationen ist anderer Ansicht - mitten im angeregtesten Lesen ruft es: »Gott im Himmel, warum bietet die Zeitung so wenig Anregung? Es muß doch in der Welt weit mehr vorgehen!«

Das ist die dunkle Seite des Mondes; man muß es an sich selbst erfahren haben, um es voll würdigen zu können!

In jener Saison - und es war eine besonders üble Saison - gab das Blatt seinen Schlußwochenbericht in der Nacht vorn Samstag auf den Sonntag heraus, wie das auch in London zu geschehen pflegt. Das war sehr angenehm, denn das Blatt wurde fertiggestellt zu einer Zeit, wo das Thermometer während einer halben Stunde von 96 Grad auf 84 Grad fällt, was einem vorkommt wie Eiseskälte. Es war eine pechschwarze Samstagnacht, so erstickend heiß, wie eben nur eine Juninacht sein kann, und der loo, der glühende Westwind, heulte in den zundertrockenen Bäumen und log uns vor, ein Regen folge ihm auf dem Fuße.

Hie und da fiel auch wirklich ein Tropfen beinahe heißen Wassers auf den Staub herab, patschend wie ein Frosch, aber es war, wie wir wußten, nur die Vorspiegelung eines leeren Versprechens. Im Redaktionszimmer war es um einen Schatten kühler als im Empfangsraum, und deshalb hatte ich mich hineinbegeben und saß dort, während die Maschinen klapperten, der Nachtwind an den Fenstern rüttelte und die fast nackten Schriftsetzer sich den Schweiß von der Stirne wischten oder nach Trinkwasser schrien. Irgend etwas war schuld, daß wir nicht Schluß machten - ich weiß nicht mehr, was; der loo begann einzuschlafen, die letzte Type war gesetzt und die ganze Erde schien stillstehen zu wollen, den Finger auf der Lippe, als erwarte sie irgendein plötzliches Begebnis. Ich döste, in Gedanken, ob der Telegraph wirklich ein Segen sei und ob diesem oder jenem Sterbenden, oder diesem oder jenem kriegführenden Volk auch zum Bewußtsein käme, welche Unannehmlichkeiten sie einem bereiteten. Es lag kein Grund vor - außer der Hitze und meiner Müdigkeit - Pausen in der Arbeit eintreten zu lassen, aber erst, als die Hände der Uhr zum Schlage der dritten Stunde ausholten und die Druckmaschinen ihre Schwungräder ein paar Probedrehungen machen ließen, zum Beweis, daß alles in Ordnung sei, konnte ich mich aufraffen und das Zeichen geben: los!

Gleich darauf zerbiß das Brüllen und Rasseln der Räder die Stille in kleine Stücke. Ich erhob mich, um zu gehen, da standen plötzlich zwei Männer in weißen Anzügen vor mir. Der eine sagte: »Des is er!« Der zweite: »No, freilich.« Dann lachten sie beide fast so laut, wie die Maschine brüllte, und kratzten sich die Stirnen. »Mir hamm gsehn, daß a Licht über d'Straßen nüberscheint, wie mir so im Graben gschlafen haben wegen der Kühle, und da hab ich zu meinem Freund gsagt: die Zeitung is noch offen. Geh mer nei und sprechen mer mit ihm, der wo uns vom Degumberstaat gewarnt hat«, sagte der Kleinere der beiden Männer. Es war derselbe, den ich im Mhow-Zuge getroffen hatte, und sein Gefährte war der Rotbart aus Marwar. Die Augenbrauen des einen und der Bart des andern ließen mir keinen Zweifel.

Erfreut war ich nicht, denn ich gedachte, zu schlafen und nicht mit Vagabunden zu quasseln. »Was wollen Sie?« fragte ich, kurz angebunden.

»A halbe Stund mit Ihna reden drin in der Kühlen und in bequeme Sessel«, sagte der Rotbärtige. »Wir hätten gern was zum Trinken - brauchst net so schauen, Peachey: der Kontrack is noch net unterschrieben! Was mir nämlich von Ihnen brauchten, is ein Rat. Geld brauchen mir net. Wir erbitten uns ein Gespräch mit Ihnen, weil mir herausgefunden hamm, daß Sie uns einen schlechten Rat gegeben haben, was den Degumberstaat betrifft.«

Ich führte die beiden in das erstickend heiße Wartezimmer, in dem große Karten an den Wänden hingen, und bot ihnen Stühle an. Der Rotbärtige rieb sich die Hände; »das laß ich mir gefallen!« sagte er, behaglich gestimmt, »einen bessern Laden hätten mir gar net finden können. Aber jetzt, Herr, wollen mir uns vorstellen: Bruder Peachey Carnehan, das is der da, und Bruder Daniel Dravot, das bin ich; je weniger wir über unsern Beruf sprechen, um so besser is es. Früher sin mir Soldaten gewesen, Seeleute, Komponisten, Photographen, Korrekturenleser, Straßenprediger und, wenns grad nötig war: Korrespondenten der Hinterwäldlerzeitung. Der Carnehan is vollkommen nüchtern und ich ebenfalls. Wann Sies nicht glauben, bitte, schauen S' uns an! Sie müssens schon an meiner Sprache merken. Mir nehmen uns jetzt jeder eine von Ihre Zigarren; Sie sollen sehen, wie mir dabei aufleben!« Ich machte die Probe: tatsächlich, beide waren nüchtern. Ich gab also jedem einen lauwarmen Whisky mit Soda.

»So weit gut«, sagte der Garnehan mit den Augenbrauen und wischte sich die Tropfen vom Schnurrbart, »laß jetzt mich reden, Dan! Wir haben ganz Indien bereist, meistens natürlich zu Fuß. Wir sind Kesselflicker gewesen, Lokomotivführer, Kleinlieferanten und so. Kurz: mir hamm herausgefunden, daß Indien für Leute wie wir nicht groß genug is.«

Allerdings, das Wartezimmer war für die beiden nicht groß genug; Carnehans Schultern füllten die eine Hälfte des Raumes aus, und Dravots Bart die andere, wie sie so um den Riesentisch herumsaßen. Carnehan fuhr fort: »Die halbe Gegend freilich is noch nicht ausgebeutet, denn die, wo die Regierung in der Hand haben, lassen einen nicht hinein. Sie verschwenden ihre ganze Zeit mit Regieren und lassen einen nicht das Schwarze unterm Nagel verdienen; nix kannst unternehmen, nicht einen Brocken kannst auflesen, ohne daß das Gouvernement nicht sofort schreit: ›Schau, daß d' weiterkommst! Regiern tun mir!‹ Daher ham mir beschlossen, wir kehren ihnen den Rücken und suchen uns einen Ort, wo der Mensch noch kein Herdentier ist und zu sich selber kommen kann. Wir sind keine Krüppel, in keiner Hinrichtung, und fürchten nichts auf der Welt außer das Saufen; aber diesbezüglich haben mir bereits einen Kontrack mit einander abgeschlossen. No, was soll ich lang reden: mir haben vor, Könige zu werden!«

»Könige nach unserer eigenen Verfassung!« murmelte Dravot.

»Gewiß, ich verstehe«, sagte ich: »Ihr habt euch viel in der heißen Sonne herumgetrieben und heute ist eine schwüle Nacht. War's nicht besser, ihr überschlaft diese Schnapsidee? Kommt morgen wieder!«

»Wir sind weder betrunken, noch hamm mir den Sonnenstich. No und - überschlafen haben mir die Idee ein halbes Jahr lang. Was mir brauchen, sind Landkarten und Atlasse; mir hamm uns nämlich überlegt, daß es nur einen Ort auf der Erde gibt, wo zwei starke Männer wie wir ›sarawacken‹ können. Mer heißts im Volksmund: Kafiristan, Meiner Ansicht nach liegt's gleich rechts von Afghanistan, höchstens dreihundert Meilen von Peshawur entfernt. Sie haben dort zweiunddreißig Götzenbilder, und wir werden das dreiunddreißigste und das vierunddreißigste sein. Es is eine gebirgige Gegend, und die Weiber sind wunderschön.« - »Halt!« rief Carnehan, »das ist gegen den Kontrack! Weiber und Schnaps gibt es nicht, Daniel!«

»Das is alles, was mir wissen«, fuhr Dravot fort, »außer höchstens, daß noch kein Mensch nicht dort war, und daß dort immer gekämpft wird. Aber, wo gekämpft wird, da is auch jemand nötig, der die Leute abrichtet, und das verstehen mir besser als irgendeiner. Wir werden also in diese Gegend gehen und, wenn wir dort einen König treffen sollten, ihm sagen: ›Willst d' deine Feinde schlagen?‹, und dann werden wir ihm zeigen, wie man Leute abrichtet. Dann werden wir ihn stürzen und selber den Thron besteigen und auf eigene Faust eine Dünastie gründen.«

»In Stücke wird man euch reißen, noch ehe ihr fünfzig Meilen über der Grenze seid!« rief ich. »Ihr müßt durch Afghanistan, um in jene Gegend zu gelangen. Es ist ein Gebiet voller Berge und Gletscher, und noch nie ist es einem Engländer gelungen, hinzukommen. Die Menschen sind dort wie die wilden Tiere, aber selbst, wenn ihr hinkämet, würdet ihr nichts ausrichten.«

»So was hör ich gern«, sagte Carnehan. »Halten S' uns nur für verrückt! Das macht uns einen Mordsspaß. Aber mir sind hier, damit Sie uns ein Buch über die Gegend zu lesen geben und uns Landkarten zeigen. Von mir aus sagen S': mir sin Narren, aber zeigen S' uns Ihre Bücher!« Und er stand auf und ging zum Bücherschrank.

»Ja, meinen Sie denn das alles im Ernst?« fragte ich erstaunt.

»Freilich, allerdings«, flötete Dravot. »Und eine recht große Landkarten muß es sein, auch wenn alles drauf weiß ist, wo Kafiristan liegt. Und bitte, alle Bücher, die Sie haben! Lesen können mir, wenns auch mit der Schulbildung hapert.«

Ich sperrte den Schrank auf, nahm die große Strategische Karte heraus und zwei kleinere Grenzgebietlandkarten, sowie den Band »Inf - Kan« der Encyclopädia Britannica und legte es den beiden vor.

»Da, hier!« sagte Dravot und preßte seinen Daumen auf die Karte. »Hinauf nach Jagdallak. - Peachey und ich kennen den Weg. Mir waren dort mit der Armee von Lord Roberts. - Mir müssen dann bei Jagdallak rechts nüber ins Laghmann-Territorium. Nachher gehts übers Gebirg - vierzehntausend Fuß - fufzehntausend Fuß -, eine kalte Gschicht wird des werden; aber nach der Karten scheints net sehr weit.«

Ich gab ihm Woods Werk über die Quellen des Oxus. Carnehan hatte sich in die Encyclopädia vertieft.

»Da steht eine Masse dummes Zeug drin«, sagte Dravot versonnen, »was brauchen mir wissen, wie die Volksstämme alle heißen! Kriegerisch sind's, und mehr brauchts net für uns. - Von Jagdallak nach Ashang! Hm!«

»Alles, was da über die Gegend steht, ist doch nur skizzenhaft!« wendete ich ein. »Kein Mensch weiß etwas Genaues. Hier der Bericht der United Services Institution. Lesen Sie, was Bellew schreibt!«

»Ich pfeif auf den Bellew!« murrte Garnehan. »Dan! A stinkete Heidenbande sind's, des is gwiß, aber da steht, sie bilden sich ein, daß sie mit die Engländer verwandt sin.«

Ich blies Tabakwolken vor mich hin, während die beiden unentwegt über den Werken von Raverty und Wood und den Landkarten hockten und in der Encyclopädia nachschlugen.

»Sie brauchen fein net warten!« sagte Carnehan aufblickend, »mir hamm jetzt vier Uhr. Vor sechse gehn mir net, und wenn Sie schlafen wollen - stehlen tun mir nix! Bleiben S' doch net auf! Mir san zwei harmlose Narren. Wann Sie morgen abend ins Serai kommen, werden mir uns von Ihnen verabschieden.«

»Weiß Gott, ihr seid wirklich zwei Narren!« sagte ich. »Man wird euch entweder gar nicht über die Grenze lassen oder euch die Kehle durchschneiden. Braucht ihr Geld oder eine Empfehlung bis Peshawur? Eine Woche kann ich euch schließlich durchhelfen.«

»Dank schön«, sagte Dravot, »die nächste Woche werden mir alle Hand voll zu tun haben: es ist nicht so leicht, König werden, wie sichs von weitem anschaut. Aber wenn wir unser Reich in Ordnung gebracht haben, dann schreiben wir Ihnen; Sie können nachher hinaufkommen und uns regieren helfen.«

»Glauben Sie vielleicht, daß zwei Narren einen solchenen Kontrack aufsetzen würden?« fragte Carnehan mit schlecht verhehltem Stolz und wies mir einen großen halben Bogen Schreibpapier, auf dem folgendes zu lesen stand. - Ich kopierte es wegen seiner Seltsamkeit:

»Diesen Kontrack ham mir aufgesetzt und unterschriehben, Gott zum Zeugen anruffend. Amen.

Erschtens: daß mir, er und ich, die Sache deichseln werden, nämlich Könige von Kafiristan zu werden.

Zweitens: daß mir, solange die Sache gedeichselt wird, keinen Schnaps und kein Weibsbild nicht anrühren werden weder ein weißes, noch ein schwarzes, oder ein braunes.

Drittens: daß mir uns mit Würde und Diskretion aufführen werden, und wenn einer von uns in den Saft kommt, muß ihm der ander beistehen.

Unterzeichnet von Dir und Mir am heutigen Tag.
Peachey Taliaferro Carnehan.
Daniel Dravot.
Beides Ehrenmänner in jeder Hinrichtung.

»Der Schlußsatz hätt natürlich gar nicht dastehen brauchen«, erklärte Carnehan und errötete züchtig; »denn so was versteht sich von selber. Sie wissen jetzt, was für eine Sorte Menschen die Landstreicher sind! Und mir sin Landstreicher, der Dan und ich, bis mir Indien im Rücken haben. Glauben Sie noch immer, daß mir einen solchen Kontrack unterzeichnet hätten, wann mirs nicht im Ernst meinen täten? Mir hamm auf die zwei Dinge verzichtet, die wo das Leben lebenswert machen!«

»Ihr werdet euch des Lebens nicht lang erfreuen, wenn ihr nicht bald euer verrücktes Vorhaben aufgebt!« sagte ich. »Setzt die Bude gefälligst nicht in Brand und geht noch vor neun Uhr weg.«

Dann ließ ich sie allein mit den Landkarten und störte sie nicht weiter im Notizenmachen, wobei sie die Rückseite auf ihrem »Kontrack« beschmierten. »Vergessen S' nicht, morgen auf den Serai zu kommen!« waren ihre Abschiedsworte.

Der Kumharsen-Serai ist der große viereckige Menschheitsschmutzwinkel, auf dem ganze Herden von Kamelen und Pferden aus dem Norden beladen und entladen werden. Alle Nationen Zentralasiens kann man dort vertreten finden; Balkh und Buchara kommt dort mit Bengalen und Bombay zusammen, um sich gegenseitig übers Ohr zu hauen, bis die Augen triefen. Die meisten sind natürlich Inder. Man kann im Serai Ponys kaufen, Türkise, persische Katzen, Satteltaschen, Fettschwanzschafe und Moschus, auch allerhand sonderbare Dinge - für fast nichts. Am Nachmittag ging ich hin, um zu sehen, ob meine Freunde wirklich Wort zu halten gedächten, oder es vorzögen, betrunken dort herumzuliegen.

Ein Priester, gehüllt in Fragmente aus Bändern und Lumpen, in der Hand eine papierene Kinderwindmühle, stelzte mit feierlicher Miene umher. Hinter ihm sein Diener, keuchend unter der Last eines Packkorbes, gefüllt mit schmutzigem Spielzeug. Dann beluden sie damit ein Kamel, während ihnen die Leute des Serais zusahen und vor Lachen brüllten.

»Der Priester ist verrückt«, schrie mir ein Pferdehändler zu, »er will nach Kabul, um dem Emir Spielzeug zu verkaufen. Er glaubt, man wird ihm dort eine Ehrenstelle geben. Den Kopf werden sie ihm abschneiden! In der Früh ist er hergekommen und hat sich seitdem wie ein Narr benommen.«

»Wahnsinnige stehen unter dem Schütze Gottes!« stam melte ein flachwangiger Usbeg in gebrochenem Hindi, »sie können die Zukunft voraussagen.«

»Warum haben sie mir denn dann nicht vorausgesagt, daß meine Karawane von den Shinwaris abgefangen werden würde, gerade in dem Augenblick, als ich fast schon in dem schützenden Schatten des Passes angelangt war!« - grunzte der Eusufzai eines Radschputana-Warenhauses, dessen ganzes Hab und Gut einst in die Hände von Räubern, knapp an der Grenze, gefallen war und der seitdem die Zielscheibe des Bazars geworden war. »Ohé, Priester, woher kommst du und wohin ziehst du?«

»Von Roum bin ich gekommen«, gellte der Priester und ließ seine Papierwindmühle spielen, »von Roum, wo der Atem von hundert Teufeln über den See bläst! O ihr Diebe, ihr Räuber, ihr Lügner, der Segen Pir Khans ruht auch auf Säuen, auf Hunden, auf Beschwörern! Wer von euch nimmt den Schützling Gottes mit sich nach Norden, damit er dem Emir Zauberamulette verkaufen kann? Seine Kamele sollen nicht wund werden und seine Söhne nicht krank; seine Weiber sollen ihm treu bleiben, solange er fort ist! Das wird mein Segen sein für den, der mich mitnimmt. Wer will mir beistehen, dem König der Roos goldene Pantoffel zu bringen mit silberner Ferse? Der Segen Pir Khans wird auf seinem Unternehmen sein!« - und feierlich breitete er die Ärmel seines »Regenmantels« aus und vollführte mitten unter den aneinandergekoppelten Pferden einen phantastischen Tanz.

»In zwanzig Tagen geht eine Karawane vonPeshawur nach Kabul ab, Huzrut!« sagte der Eusufzai. »Meine Kamele gehen mit. Tue desgleichen und bring uns Glück!«

»Jetzt auf der Stelle will ich gehen!« schrie der Priester. »Reisen werde ich auf meinen beschwingten Kamelen und in einem Tage in Peshawur sein! Ho! Hazar Mir Khan«, gellte er seinen Diener an, »treib die Kamele heraus, aber zuerst will ich mein eigenes besteigen.«

Das Tier kniete nieder, und er stieg in den Sattel; dann wandte er sich zu mir und rief: »Komm auch du, Sahib, eine kleine Strecke mit, ich will dir ein Amulett verkaufen, das dich zum König von Kafiristan machen wird.«

Da erst ging mir ein Licht auf, und ich folgte den beiden Kamelen aus dem Serai hinaus, bis wir die offene Straße erreichten, wo der Priester Halt machte.

»No, was sagen S' jetzt?«, fragte er mich auf englisch. »Der Carnehan kann die Sausprach net, drum hab ich ihn zu meinem Diener gemacht. Fein schaut er aus, was? Ja, so ganz umsonst hab ich mich nicht vierzehn Jahr lang in der Gegend herumgeschlagen! Mir werden uns einer Karawane in Peshawur anschließen, bis mir nach Jagdallak kommen, dort wollen mir schauen, ob mir unsere Kamel gegen Esel vertauschen können, und nach Kafiristan nüber rutschen. Kinderwindmühlen für den Emir, Himmel Sakra! Stecken S' amal die Hand unter den Kamelsattel und sagen S', was S' dort spüren!«

Ich fühlte den Kolben eines Martini-Stutzens und noch einen und noch einen.

»Zwanzg Stück hamm mir«, sagte Dravot ruhevoll, »und an Haufen Munition zum ›korrespondieren‹ unter dene Windmühlen und die Dreckpuppen.«

»Gott steh euch bei«, rief ich, »wenn man das Zeug bei euch findet! Ein Martini ist sein Gewicht in Silber wert bei den Pathans.«

»Fufzehnhundert Rupien Kapital - jede Rupie zsamm gebettelt, zsamm geborgt oder zsamm gestohlen - sin jetzt infestiert in zwei Kamelen und der Last!« sagte Dravot stolz. »Uns derwischens net! Mir gehen übern Khaiberpaß mit einer Karawane. Wer wird einen armen Priester anrühren?!«

»Habt ihr auch alles, was ihr braucht?« fragte ich, jetzt wirklich von Staunen erfüllt.

»Heut noch nicht, aber mir Werdens schon kriegen. Geben S' uns eine Erinnerung an ihre Freundlichkeit, Bruder! Sie haben mir gestern eine Gefälligkeit erwiesen und damals eine in Marwar. Mein halbes Königreich steht zu Ihrer Verfügung, wie man so sagt.« Ich löste einen kleinen Anhängekompaß von meiner Uhrkette und reichte ihn dem Priester.

»Servus!« sagte Dravot und reichte mir vorsichtig die Hand. »So bald werd' ich wohl keinem Engländer die Hand schütteln können! Gib auch du ihm die Hand, Carnehan!« schrie er, als das zweite Kamel an mir vorüberkam.

Carnehan beugte sich herab, und wir reichten uns die Hand. Dann zogen die Tiere die staubige Straße weiter, und ich blickte ihnen verwundert nach. - Der Plan ist tadellos ausgeheckt, sagte ich mir; ich konnte keinen Fehler entdecken. Die Szene im Serai war dem Verständnis und der Denkungsweise der Eingeborenen ausgezeichnet angepaßt gewesen. Carnehan und Dravot hatten wirklich alle Chancen, unbehelligt und unerkannt durch Afghanistan hindurchzuommen; darüber hinaus, freilich –, ich war überzeugt: sie würden einen sichern und schrecklichen Tod finden.

Zehn Tage später berichtete mir ein eingeborener Korrespondent aus Peshawur: »Großes Gelächter erregt hier ein verrückter Priester, der die fixe Idee hat, Spielzeug und andern Plunder Seiner Königlichen Hoheit, dem Emir von Buchara, als Amulette zu verkaufen. Er kam durch Peshawur und schloß sich einer Sommerkarawane an, die nach Kabul geht. Die Kaufleute freuen sich darüber, denn sie meinen in ihrem Aberglauben, solche Wahnsinnige brächten Glück.«

Waren die beiden also doch heil über die Grenze gekommen! Wer weiß, vielleicht hätte ich nachts für sie gebetet, aber da kam die Nachricht, ein König - ein wirklicher nämlich - sei in Europa gestorben, und das bannte mich an den Schreibtisch.

Immer die gleichen Phasen durchläuft das Rad der Welt; der Sommer schwand, der Winter kam, schwand ebenfalls dahin. Die Zeitung lebte, und ich lebte mit ihr. Im Laufe des dritten Sommers senkte sich wieder einmal eine heiße Nacht hernieder, und abermals galt es, eine Abendausgabe des Blattes fertigzustellen; wiederum ein müdes Warten auf irgendein Telegramm von der andern Hälfte des Erdballes. Alles spielte sich ab genau wie damals: ein paar große Männer waren im Verlauf der letzten zwei Jahre gestorben, die Druckmaschinen ratterten, und man schwitzte. Nur die Bäume draußen waren ein paar Fuß höher geworden; das war der einzige Unterschied. Ich ging hinüber in die Druckerei; genau dasselbe Bild, wie einst! Die Nervenanspannung war noch größer als damals; ich fühlte die Hitze womöglich noch quälender als vor zwei Jahren. Um drei Uhr schrie ich: Fertig? Los! und wandte mich zum Gehen, da kroch an meinen Stuhl heran das Überbleibsel eines Menschen.

Es war zusammengekrümmt wie ein Bogen, der Kopf lag zwischen den Schultern und seine Füße traten übereinander, wie die eines Bären; ich konnte kaum unterscheiden, ob er ging oder kroch - dieser in Lumpen gehüllte, winselnde Krüppel, der mich mit meinem Namen ansprach und mir vorgreinte, er sei - zurückgekommen. »Können Sie mir einen Schnaps geben?« wimmerte er, »um Gotteswillen, geben Sie mir was zu trinken!«

Ich ging in die Kanzlei hinüber; der Mann folgte mir, stöhnend vor Schmerzen, und ich schraubte den Docht der Lampe hoch.

»Kennen Sie mich nicht mehr?« keuchte er und ließ sich in einen Sessel fallen; dabei drehte er sein von einem wirren Schopf grauer Haare fast gänzlich bedecktes Gesicht in den Schein des Lichtes.

Ich musterte ihn scharf. Einmal im Leben hatte ich bei jemand Augenbrauen gesehen, dicht über der Nase und fast einen Zoll breit, aber wann und wo konnte das gewesen sein?

»Nein, ich kenne Sie nicht«, sagte ich und reichte ihm einen Whisky hin. »Was kann ich für Sie tun?«

Er stürzte den Inhalt des Glases hinunter und - schauderte trotz der fürchterlichen Hitze im Zimmer.

»Ich bin zurückgekommen«, wiederholte er; »und ich bin König von Kafiristan gewesen - ich und der Dravot; gekrönte Könige sin mir gewesen. Hier in dieser Stube haben mir's gedeichselt, und Sie sin hier gsessen und haben uns die Bücher gegeben. Ich bin der Peachey Taliaferro Carnehan, und - und Sie sin die ganze Zeit über hier gsessen - o Gott, barmherziger!«

Ich war nicht wenig erstaunt und gab meinen Gefühlen in diesem Sinne Ausdruck.

»Ja, wahr is«, sagte Carnehan und hustete trocken, seine in Lumpen gewickelten Füße streichelnd, »wahr wie's Evangelium. Könige sin mir gwesen und Kronen hamm wir auf die Köpf ghabt - ich und der Dravot, armer Dan - oh, armer, armer Dan; er hat keinen Rat annehmen wollen, sosehr ich ihn auch angefleht hab!«

»Trinken Sie noch Whisky!« redete ich ihm zu, »und lassen Sie sich Zeit. Erzählen Sie mir alles, an das Sie sich erinnern können, in Ruhe von Anfang bis zu Ende, Sie sind damals über die Grenze hinüber mit den Kamelen; Dravot war als verrückter Priester verkleidet und Sie als sein Diener. Entsinnen Sie sich noch?«

»Damals war ich nicht verrückt, aber – ich werds bald sein. Natürlich erinner ich mich. Schauen S' mich immer fest an, sonst verlier ich den Faden und weiß dann nix mehr.«

Ich beugte mich vor und faßte ihn, so unverwandt ich konnte, ins Auge. Er ließ eine seiner Hände auf den Tisch fallen, und ich ergriff sie am Gelenk: sie war verkrümmt wie eine Vogelklaue und trug eine zerrissene, rote rautenförmige Narbe.

»Nicht dorthin schauen! Mich anschauen!« sagte Carnehan schnell. »Das kommt später dran; um Gotteswillen, lenken S' mich net ab! Also, mir sin losgezogen mit der Karawane, ich und der Dravot, und haben allerhand dummes Zeug gemacht zur Unterhaltung unserer Begleiter. Der Dravot hat alle zum Lachen bracht am Abend, wanns ihr Essen kocht ham - ihr Essen kocht ham - ja - aber was hams nachher gmacht? Ja, sie haben kleine Span anzünden - und die haben s' dem Dravot in den Bart gsteckt, und dann haben mir alle glacht, wie verrückt. Kleine rote Feuer warens, die haben den roten Bart vom Dravot ergriffen - es war zum Lachen.« Seine Augen schweiften von den meinigen weg, und er lächelte irr.

»Sie sind also bis Jagdallak mit der Karawane gezogen«, half ich nach, »als Sie die Feuer - angezündet hatten? Ich verstehe zwar nicht recht, was Sie sagen, aber Sie hatten doch gewiß vor, in Kafiristan einzudringen?«

»Nein, wir wollten das nicht. Wovon sprechen Sie überhaupt? Mir sin noch vor Jagdallak abgebogen, denn mir haben gehört, daß die Straßen gut sin. Aber sie waren doch nicht gut genug für unsere Kamele - das meinige und das vom Dravot. Wie mir dann fort waren von der Karawane, hat der Dravot alle seine Kleider weggeschmissen und die meinigen dazu und hat gsagt, wir müßten jetzt Heiden sein, denn die Kafirs reden net mit die Muhamedaner. Mir ham uns nachher anders anzogen und hergricht, und der Dravot hat ausgschaugt, na sowas! Ich möcht's gar nimmer sehen. Er hat sich den halben Bart abbrennt und sich über die Schul tern ein Schafsfell gegeben und sich den Schädel büschelweis rasiert. Mich hat er auch rasiert und mir ganz verrückte Sachen umghängt, damit ich ausschau wie ein Heide. Das war in einer furchtbar gebirgigen Gegend; unsere Kamele haben nimmer mitkönnen, so steil war's. Sie sin groß und schwarz gwesen, und wie ich wieder heimgekommen bin, da hab ich gsehen, wie sie gekämpft haben wie die wilden Ziegen - und - und ja - 's gibt eine Masse wilde Ziegen in Kafiristan. Und auch die Berg halten net amal still, net mehr als die Ziegen. Alleweil rumorens und lassen einen in der Nacht net schlafen.«

»Trinken Sie noch einen Whisky!« ermahnte ich ihn, damit er wieder klarer rede, »was haben Sie getan, als die Kamele wegen der schlechten Straßen, die nach Kafiristan führen, nicht mehr weiter konnten?«

»Was mir dann getan haben? No, da war doch der Peachey Taliaferro Carnehan, der mit dem Dravot ausgezogen war auf die Expedition. Von ihm soll ich Ihnen erzählen? Krepiert is er da droben in der Kälten! Von der Gletscherbrücken is er runtergfallen, der alte Peachey, und hat mit die Hand um sich gschlagen wie eine Kinderwindmühle, die man dem Emir verkauft. Zwei Stück haben drei halbe Pence gekostet oder' ich müßte mich irren –. Und da die Kamele für uns nutzlos waren, hat der Peachey zum Dravot gsagt: um Gotteswillen, kehrn mir um, bevors uns die Köpf abschneiden! Und dann haben die zwei die Kamele gschlachtet mitten in den Bergen, da s' nix mehr zu essen ghabt haben. Aber vorher habens die Koffer mit den Gewehren und der Munition heruntergnommen. Und da sin zwei Menschen dahergekommen, die haben vier Maulesel ghabt. Sofort is der Dravot aufgsprungen und hat zum Singen angfangt vor ihnen. ›Verkaufts uns eure vier Mulis !‹ hat er gsagt. ›So, so? A Geld habts?‹ hat der Vorderste von die Leut gsagt, ›da werden mir euch berauben !‹ Aber bevor er noch hat zu seiner Flinten greifen können, hat ihn der Dravot beim Hals ghabt und hat ihm's Genick übers Knie brochen. Dann hat der Carnehan, da der andere Eseltreiber davon glaufen is, die Mulis mit den Martini-Stutzen beladen. So sin mir dann zusamm in die bitterkalten Berge hinein, wo kein Weg breiter is als Ihr Handrücken.«

Er hielt einen Augenblick inne, und ich fragte, ob er sich an die Gegend genauer erinnern könnte.

»Ich erzähl' Ihnen, so gut ich kann«, war die Antwort, »aber mein Kopf ist nicht in Ordnung; sie haben mir Nägel hineingschlagen, damit ich mich besser erinnere, wie der Dravot gstorben is. Die Gegenden waren gebirgig und die Mulis widerspenstig und die Bewohner spärlich und Einsiedler. Mir sind einmal hinauf und dann wieder heruntergstiegen und nochmal runter und der Carnehan hat zum Dravot gsagt, er soll doch net immer pfeifen und singen, damit net was Schreckliches passiert. Aber der Dravot hat gmeint, wenn ein König net amal mehr singen kann, stünds überhaupt net dafür, König zu sein. Er hat die Mulis angspornt, aber mir ham für zehn kalte Tage keine Hütten mehr zu sehen gekriegt. Dann sin mir in eine tiefe Schlucht gekommen, aber die Mulis waren so hin, daß mir sie geschlachtet haben, weil mir ihnen nix mehr haben zum fressen geben können. Mir ham da auf unsere Koffer gsessen und ham mit die Patronen, die rausgfallen sin, ›gradungrad‹ gspielt.

Nacher sin zehn Mann gekommen mit Pfeil und Bogen un sin durch die Schlucht geloffen; zwanzig Mann hinterdrein. Es war eine mordsmäßige Verfolgung.

Es waren prachtvoll schöne Leut, schöner noch als Sie oder ich, mit blondem Haar und großartig gewachsen. ›Jetzt geht unser Gschäft an‹, hat der Dravot gsagt und hat die Gewehre ausgepackt, ›mir werden für die zehn Mann kämpfen.‹ Einen hat er auf zweihundert Meter gleich runtergschossen von dem Felsen aus, auf dem er gsessen is. Die andern haben zum laufen angfangt, aber der Carnehan und der Dravot haben sie - einen nach dem andern - von ihre Koffer aus erlegt. Dann sin mir auf die zehn Mann zu, die auch übern Schnee gelaufen sin, und da habens einen Pfeil auf uns abgschossen. Der Dravot hat über ihre Köpf hinübergfeuert und da sins vor Schrecken umgfallen. Dann is er hingangen, hat sie mit dem Fuß gstoßen, hat sie dann aufghoben und einem nach dem andern die Hand gschüttelt, um sie freundlich zu stimmen. Er hat ihnen die Koffer zum tragen geben und hat gnädig mit der Hand gewunken, als ob er schon König war. Sie haben die Koffer genommen und ham uns über die Schlucht hinübergeführt auf einen Hügel in ein Kieferngehölz; dort ham sechs große Steingötzen gstanden. Dravot ist zu dem ersten Götzen hingegangen, Imbra heißt der Kerl oder so, hat eine Flinten vor ihm niederglegt und eine Patrone, hat dann die Nasen an der seinigen grieben und vor ihm salutiert. Dann hat er sich zu die Leut umdreht, hat mit dem Kopf gnickt und gsagt: ›So is recht! Ich kenn ihn schon lang und die andern alten Vogelscheuchen auch; sie sin meine Freunde!‹ Dann hat er 's Maul aufgrissen und mit die Finger hineinzeigt. Wie ihm der erste Mann was zum essen bracht hat, hat er gsagt: ›Nein!‹ und wie ihm der zweite was zum essen bracht hat, hat er auch gsagt: ›Nein!‹; erst, als der alte Priester aus dem Dorf und der Bürgermeister was zum essen bracht ham, hat er gsagt: ›Ja!‹ und hats langsam gfressen. Des war, bevor mir in unser erstes Dorf gekommen sin; man hat uns kein Haar gekrümmt, als ob mir vom Himmel gfallen wären. Mir sin aber net vom Himmel gfallen gewesen, sondern nur einmal von einer von die verdammten Hängeseilbrücken im Gebirg. Aber da gibt's nix zum lachen, wanns auch noch so lang her is.«

Ich ermunterte den Mann, noch einen Whisky zu trinken und fortzufahren. »Das war also das erste Dorf, in das Sie kamen! Wie aber sind sie König geworden?«

»Ich war nie König«, erklärte Garnehan, »der Dravot war König, und fein hat er ausgschaut mit der goldenen Krone auf dem Kopf und so. Er und der Carnehan sin dann eine Zeit lang in dem Dorf geblieben und der Dravot hat sich jeden Morgen neben den Imbra gesetzt und das Volk hat anbeten kommen müssen. Eines Tags sin eine Masse Kerle angerückt gekommen, aber der Carnehan und der Dravot haben sie mit dem Gewehr empfangen, bevor sie noch gemerkt haben, was eigentlich los is, und dann sin mir in die Schlucht hinein und auf der andern Seiten wieder hinauf und haben noch ein Dorf gefunden, dort ist das Volk gleich auf das Gesicht gefallen, und der Dravot hat gesagt: ›Warum bekämpft ihr euch eigentlich?‹ Da ham die Leut auf ein blondes Weib gedeutet, die wo geraubt worden war. Der Dravot hat sie wieder zurückgeführt und auf die Toten gedeutet - es waren acht Stück. Für jeden Toten hat er ein bissel Milch auf die Erde gegossen, hat die Arme bewegt wie eine Windmühle und hat gesagt: ›So, jetz is recht! ‹ Dann ham mir die beiden dicken Bürgermeister der beiden Dörfer beim Arm gepackt, sin in die Schlucht hinunter und ham mit einem Speer in den Sand eine Grenze gezogen und jedem von ihnen einen Batzen Erde gegeben zum Zeichen, wem das Land gehört. Da sin die Bewohner herbeigeströmt und ham gschrien wie die Teufel, und der Dravot hat gsagt: ›Gehet hin und pflüget die Erde; seid fruchtbar und vermehret euch!‹ Des ham sie dann gmacht, wenn sie seine Worte auch nicht verstanden haben. Dann ham mir gfragt, wie die Sachen in ihrem Kauderwelsch heißen: Brot, Wasser, Feuer, Götzenbilder und so, und der Dravot hat die Priester von jedem Dorf zu die Götzen geführt und ihnen befohlen, dort Gericht zu halten über das Volk, und wann einer net folgen möcht, so würde er erschossen.

Schon in der Woche drauf haben alle das Land im Tal umgepflügt so still wie die Bienen, und die Priester ham die Beschwerden der Leute angehört und dem Dravot in stummer Zeichensprache erzählt, worum sichs dreht. ›Der Anfang macht sich‹, hat der Dravot gsagt, ›sie halten uns für Götter!‹ Dann ham mir zwanzig stramme Burschen ausgesucht und ihnen gezeigt, wie man eine Flinten abschießt und sich zu viert anstellt und in einer Linie vorrückt; sie habens auch gleich begriffen und sich mordsmäßig gfreut. Sodann hat er seine Pfeife herausgezogen und seinen Tabaksbeutel und hat das eine in dem einen Dorf und das andere im andern Dorf gelassen und mir sin zu zweit losgezogen, obs nicht sonst noch Ansiedelungen gab. Mir ham bald eine gfunden, aber es war alles kahler Fels, und da hat derCarnehan gsagt: ›Man sende die Leute in das fruchtbare Tal, auf daß man ihnen Land gebe, das noch keinem nicht gehört, und sie es bebauen.‹ Es waren blutarme Teufel, und mir ham ihnen einen Hammel abgstochen als Fest, bevor sie in das neue Königreich einzogen. Mir ham des gmacht von wegen dem guten Eindruck und damit sich die Leut besser vertragen beim Ansiedeln. Dann is der Carnehan dem Dravot nach in ein anders Tal, da war lauter Eis und Schnee und überhaupt nur Gebirge.

Menschen waren keine dort, und unsere Armee hat net weiter wollen, aber der Dravot hat einen von ihnen zsammgschossen und mir sin dann weitergezogen, bis der Dravot auf Leute gestoßen is in einem Dorf; und die Armee hat ihnen bedeutet, daß sie alle umgebracht würden, wenn sie sich unterstehen sollten zu schießen, diese Leut ham nämlich Luntengewehre gehabt. Mir haben dann bald mit den Priestern der Gegend Freundschaft geschlossen und der Carnehan is allein zurückgeblieben und hat jeden einzelnen Mann zum Soldaten abgerichtet, bis ein Mordskerl von einem Häuptling über den Schnee herübergekommen is mit Kesselpauken und Hörnerblasen, denn es hat sich herumgesprochen gehabt, daß ein neuer Gott auf die Erde herabgekommen sei. Da hat dann der Carnehan dem Häuptling einen Boten entgegengeschickt und ihm sagen lassen, er soll sofort ohne Waffen kommen und mit ihm sich die Hände schütteln, sonst gehts um seinen Kopf. Der Häuptling is auch gleich gekommen, und der Garnehan hat ihm die Hand geschüttelt und mit den Armen gefuchtelt, wie er es vom Dravot gelernt hatte. Der Häuptling war darüber damisch erstaunt und hat seine Augenbrauen angestarrt. Dann hat der Carnehan den Häuptling beiseite genommen und hat ihn in der Taubstummensprache gefragt, ob er nicht einen Feind hat. ›Ja, natürlich‹ hat der Häuptling gsagt, und dann hat der Carnehan ihm seine Leute gedrillt, bis sie nach vierzehn Tagen haben manövrieren können wie Freiwillige. Dann bin ich mit ihm auf ein großes Bergplateau hinauf, und seine Armee hat ein Dorf erstürmt; ich und meine zwei Leibsoldaten haben mit den Martinis mitten hineingepfeffert und haben so mit das Dorf erobert. Nacher hab ich dem Häuptling einen Fetzen von meinem Rock gegeben und ihm gsagt: ›Du bist jetzt hier Statthalter, bis ich wiederkomm!‹ Mir ham des schriftlich abgmacht. Ja, da fallt mir grad ein: Ich und die Armee waren noch keine achtzehnhundert Yard weg, da hab ich ihm eine Kugel vor die Fuß gschossen, wie er so auf dem Schnee gstanden is, und seine Leut sind sofort flach aufs Gsicht gefallen. Dann hab ich dem Dravot einen Brief geschrieben und ihm nachgeschickt.«

Auf die Gefahr hin, den armen Teufel aus dem Konzept zu bringen, unterbrach ich ihn mit der Frage: »Wie konnten Sie denn dort oben etwas schriftlich abmachen oder gar einen Brief schreiben?«

»Einen Brief? Brief!?« war die verwirrte Gegenfrage. »Bitte, schauen Sie mir immer fest zwischen die Augen! - Ja, ich weiß jetzt: es war ein Strick mit Knoten drin als Brief; mir haben das gelernt unterwegs von einem blinden Bettler im Punjab.«

Ich erinnerte mich: Eines Tages war in die Kanzlei ein blinder Mann gekommen, der wickelte auf besondere Weise einen Strick um einen mit Knorren versehenen Stock und hatte sich damit eine Art Schrift zurechtgelegt. Nach Stunden und Tagen konnte er daraus ganze Sätze wieder herunterlesen, die wir ihm diktiert hatten.

Sein Alphabet bestand aus elf primitiven Lauten; er versuchte mir sein System begreiflich zu machen, damals - aber ich konnte es nicht verstehen.

»Ich hab also dem Dravot einen Brief geschrieben«, fuhr Carnehan fort, »und darin gesagt, er soll sofort zurückkommen, denn das Königreich wird mir zu groß und ich kenn mich nicht mehr aus, wie mirs weiterregieren. Ich bin dann wieder in das erste Tal heim, um nachzusehen, ob die Priester auch ihre Pflicht tun; das Dorf, das ich mit dem Häuptling erobert hab, hat Bashkai geheißen, und das erste Dorf: Er-Heb. Die Priester in Er-Heb ham tadellos funktioniert, aber sie ham eine Masse Fälle zu erledigen gehabt, und in der Nacht, so haben sie mir berichtet, hätten Männer aus dem Nachbardorfe Pfeile herübergeschossen. Ich bin auch gleich hin und hab mir das Nachbardorf angeschaut und auf tausend Meter vier Salven drauf abgeben lassen. Das hat den Rest meiner Munition gekostet, aber es hat meine Leute beruhigt. Ich hab dann warten müssen auf den Dravot, der zwei oder drei Monate fort war.

No, und eines Morgens hab ich einen Höllenspektakel gehört von Pauken und Hörnern, und der Dravot ist mit seiner Armee anmarschiert den Berg herunter und hinter ihm eine Menge Menschen - viele hundert; aber was das erstaunlichste war: er hat eine goldene Krone auf dem Kopf ghabt! ›Mein Gott, Carnehan,‹ hat er zu mir gsagt, ›das ist ein Riesengeschäft, und ich bin so weit vorgedrungen, als es sich verlohnt hat. Ich bin der Sohn des Alexander mit der Königin Semiramis, hab ich ihnen eingeredet, und du bist mein jüngerer Bruder und ein Gott, wie ich. Es ist die allergrößte Sache, die mir jemals gedeichselt ham; sechs Wochen bin ich mit meiner Armee marschiert, und jedes kleine Drecknest auf fufzig Meilen in der Runde ist gekommen, um mir zu huldigen. Aber das ist noch gar nix: ich hab den Schlüssel in der Hand zu dem ganzen Gemurx, wie du gleich sehen wirst; und ich hab dir auch eine Krone mitgebracht. Ich hab zwei Stück davon machen lassen in Shu, wie der Ort heißt; ich sag dir: Gold liegt dort im Gestein, wie Fett im Hammelfleisch. Gold hab ich dir gsehn! Mit dem Absatz hab ich Türkisen aus dem Felsen getreten und im Flußsand liegen die Granaten nur so umanand. Da hast ein Trumm Ambra! Ein Kerl hat mirs gebn. Ruf jetzt die Priester zusammen, Peachey, und da hast deine Krone!‹ hat er gesagt.

Und sofort is einer von den Leuten des Dravot vorgetreten und hat mir einen schwarzen Haarbeutel hinghalten und ich hab die Krone herausgefischt. Sie war zu klein und zu schwer für mich, aber ich hab sie doch aufgesetzt, des Ruhmes wegen. Aus gehämmerten Gold is sie gwesen, fünf Pfund schwer und wie der Ring von einem Geschützlauf.

›Du Peachey‹, hat mir der Dravot noch gsagt, ›weißt d', daß mir gar nimmer kämpfen brauchen? Mit der Freimaurerei können mirs be-streiten‹ - und dabei schleppte er den Häuptling heran, den ich in Bashkai zurückgelassen hab. Billy Fish ham wir ihn später genannt, weil er so ausgsehen hat wie der Billy Fish, der damals in alten Tagen in Mach am Bholanfluß die große Dampfwalze geführt hat. ›Gib ihm die Hand!‹ sagt der Dravot, und ich geb ihm die Hand - und fall fast um: er macht mir den ›Lehrlingsgriff‹! Ich sag kein Wort und Versuchs mit dem ›Gesellengriff‹. Er kennt auch den, und ich mach den ›Meistergriff‹, aber da hats net gstimmt! ›Geselle‹, sagt der Dravot, ›is er.‹ - ›Kennt er das Wort?‹ - ›Er weiß es‹, sagt der Dravot, ›und alle Priester wissens. Es ist ein Wunder! - Die Häuptlinge und die Priester können eine Gesellenloge abhalten, genau nach unserm Ritus, und haben die ›Zeichen‹ auf den Felsen eingegraben; aber den dritten Grad, den kennen sie nicht, möchten ihn aber gar zu gern wissen. Bei Gott, es is die Wahrheit! Ich habe schon vor vielen Jahren gehört, daß die Afghanen alles wissen bis zum Gesellengrad; es is das reinste Wunder! Ich hab ihnen gsagt: ich bin ein Gott und ein Großmeister in der ›Kunst‹, und daß ich eine Loge im dritten Grad errichten will und die Oberpriester und Häuptlinge der Dörfer einweihen.‹

›Aber das is gegen das Gesetz, Daniel‹, sag ich, ›eine ungedeckte Loge abhalten ohne Bewilligung! Und du weißt doch, wir ham von keiner Loge eine solche Bewilligung erhalten!‹

›Ach was!‹ sagt der Dravot, ›ein politisches Meisterstück is es aber! Des heißt soviel, wie die ganze Gegend einseifen, wie der Barbier die Kundschaft. Auch können mir jetzt gar nimmer einhalten, oder das Volk steht gegen uns auf. Ich hab vierzig Häuptlinge auf dem Buckel, hab sie fallenlassen oder ausgezeichnet je nach Verdienst. Fang deine Leute in den Dörfern ein und schau, daß mir rasch irgendeine Loge zusammkriegen. Der Tempel von dem Imbra langt schon für ein Logenzimmer. Und die Weiber sollen Freimaurerschürzen machen, wies du ihnen angibst. Ich halt diese Nacht a Häuptlingsversammlung ab und morgen eröffne ich die Loge.‹

No, und ich bin gleich davon gestürzt, so schnell ich hab können, denn ich bin net so dumm, daß ich nicht gsehen hätt, was für einen Mordsvorteil uns so ein Freimaurergschäft eintragen tat. Also, ich zeig den Priesterfamilien, wie die Schürzen für die verschiedenen Grade ausschauen; nur für die vom Dravot haben die blauen Borten und Zeichen aus Türkisen sein müssen auf weißer Menschenhaut statt auf Stoff. Dann ham mir einen großen vierecketen Stein in den Imbratempel hineingeschafft als Sessel für den Meister vom Stuhl und kleinere Steine für die Beisitzer und ham den schwarzen Fußboden mit weiße Quadraten bemalt und ham uns eine damische Müh gebn, daß alles schön ausfallt.

Bei dem Leweh, was der Dravot abends gegeben hat oben auf dem Berg mitten unter großen Festfeuern, hat er verkündigt, daß mir Götter sin und Söhne vom Alexander und Großmeister in der ›Kunst‹ und gekommen sind, auf daß Kafiristan ein Land werde, in dem jeder in Frieden essen kann und in Ruhe trinken und uns gehorchen darf. Dann sind die Häuptlinge aufgestanden und haben uns die Hand geschüttelt, und sie waren alle so haarfein und weiß und blond, daß mir war, als seien sie alte Freunde mit mir. Mir ham ihnen dann Namen gegeben, je nachdem sie Leuten ähnlich gsehen haben, die mir früher gekannt ham: Billy Fish, Holly Dilworth und Pikky Kergan, der wo Bazarmeister gwesen is, als ich noch in Mhow war, und so weiter und so weiter.

Aber die allergrößten Wunder sind in der Nacht darauf in der Loge geschehen. Einer von die alten Priester hat uns nicht aus den Augen gelassen und mir is schon recht schwummrig zumut geworden, denn ich hab gewußt, irgendwie müssen mir jetzt die Loge windbeuteln, aber ich hab doch nicht gewußt, wie weit die Leute die Sache kennen und wie weit nicht. Der alte Priester war ein Priester von weit her jenseits des Dorfes Bashkai. In dem Augenblick zieht der Dravot die Meisterschürze an, die ihm die Mädeln gemacht ham, und da stößt der alte Priester einen Schrei aus und ein Mordsgebrüll und versucht, sich zu dem Stein hinzudrängen, auf dem der Dravot sitzt. ›Jetz is alles aus‹, sag ich, ›das kommt davon, wenn man in die Maurerei hineinpanscht und kennt sich net recht aus!‹ Aber der Dravot zuckt nicht mit der Wimper, wie zehn Leut Miene machen, über den Meisterstuhl herzufallen - das heißt: eigentlich über den Steinsockel vom Imbra. Gleich darauf wischt der alte Priester am untern Ende von dem Sockel den schwarzen Schmutz weg und da wird das Meisterzeichen - dasselbe, das der Dravot auf der Schürzen hat - sichtbar; die andern haben gar nicht gewußt, daß es in den Stein eingemeißelt war! Und sofort fällt der Alte vor dem Dravot aufs Gesicht und küßt ihm die Füße. ›Glück ham mir wieder gehabt!‹ sagt der Dravot zu mir hinüber über die Loge, ›sie sagen: es ist das ›verlorengegangene Wort‹, dessen Sinn keiner versteht.

Jetzt sin mir ganz sicher!‹ Dann stößt er den Gewehrkolben auf den Boden, verschafft sich Ruhe und spricht: ›Dank der Würde - die ich mir selbst mit meiner Rechten erworben und mit Hülfe von dem Peachey - ernenne ich mich selber zum Großmeister aller Freimaurer in Kafiristan in dieser Mutterloge des Landes und zum König so wie auch den Peachey !‹ Dabei setzt er sich die Krone auf, und ich setz die meinige auf - ich war Senior-Türhüter - und mir eröffnen die Loge in aller Form. Es war ein Wunder! Die Priester gingen die zwei ersten Grade durch, fast ohne ein Wort zu sprechen; sie wußten alles auswendig. Dann hat der Peachey und der Dravot die, wo würdig waren, im Rang erhoben - die hohen Priester und die Häuptlinge aus den fernen Dörfern. Billy Fish war der erste, und ich kann Ihnen sagen: mir ham die Seele aus ihm herausge scheucht! Im ganzen harn mir bloß zehn von die Wichtigsten im Rang erhoben, denn mir ham net wollen, daß der Meistergrad vulgär wird. Es war natürlich ein Mordsgereiß um die Würde.

›In sechs Monaten«, sagt der Dravot zu ihnen, ›werden mir wieder eine Versammlung abhalten und schauen, wie ihr gearbeitet habt!‹ Dann fragt er sie aus nach ihre Dörfer und erfährt, daß sie alle im Krieg miteinander sin, es aber schon dick satt haben. Und wenn sie nicht grad selber miteinander raufen, nacher kämpfens mit die Muhammedaner. ›Wenn die Muhammedaner kommen‹, sagt der Dravot, ›ja dann könnts kämpfen! Nehmts jeden zehnten Mann aus euern Stämmen und bildets eine Schutztruppe, und schickts jetzt immer zweihundert her ins Tal, damit mir sie abrichten. Keiner wird erschossen oder aufgespießt, solang er pariert, und ich verlaß mich drauf, daß ihr mich net anschmiert, denn ihr seid Weiße - Söhne vom Alexander - und nicht wie die gemeinen schwarzen Muhammedaner! Ihr seid: Mein Volk! Und bei Gott‹, - des hat er auf englisch gesagt - ›ich will eine verdammt feine Nation aus euch machen, oder darüber verrecken!‹

Ich kann Ihnen nicht erzählen, was mir noch alles gemacht haben in den nächsten sechs Monaten, weil der Dravot so viel zu tun ghabt hat, daß ich es mir nicht gemerkt hab, aber er hat ihre Sprache so gründlich gelernt, wie ich es nicht imstande war. Meine Aufgabe war, den Leuten das Pflügen beizubringen und hie und da mit meiner Armee in den Dörfern nach Ordnung zu sehen und dafür zu sorgen, daß Hängeseilbrücken über alle Abgründ angelegt werden, die dort einfach schauerlich sin.

Der Dravot war immer sehr freundlich zu mir, aber wenn er so auf und ab gegangen is im Kiefernwald und hat sich sein feuerroten Bart mit beide Pratzen zerwühlt, da hab ich gespannt: er denkt über Pläne nach, für die er meinen Rat nicht braucht, und hab gschwiegen und auf seine Befehle gewartet. Vor dem Volk hat er mich nie in Mißreschpekt gesetzt. Vor mir haben sie sich gfürcht und vor der Armee, aber ihn hams geliebt. Mit den Priestern und den Häuptlingen war er auf dem freundschaftlichsten Fuß, und keiner is über die Berge gekommen mit einer Bitte, die der Dravot nicht geduldig angehört hätt; dann hat er immer die Priester versammelt und ihnen gesagt, was zu geschehen hat.

Meistens hat er den Billy Fish aus Bashkai kommen lassen und den Pikky Kergan aus Shu und einen alten Häuptling, den mir Kafuzelum geheißen ham, weil des so ziemlich sein wirklicher Name war, und mit ihnen Beratungen abgehalten, wenn das Raufen in den kleinen Dörfern wieder angfangt hat. Das war sein Kriegsrat und die vier Priester aus Bashkai, Shu, Khawak und Madora waren sein Privatkonzil. Nachher bin ich mit zwanzig Mann und Gewehren und sechzig Trägern, beladen mit Türkisen, in die Ghorband-Gegend marschiert, um die handgemachten Martinistutzen einzukaufen, die aus der Werkstatt vom Emir in Kabul kommen und den Herati-Regimentern gehören, die sich die Zähn ausm Maul rausreißen, wanns Türkisen derwischen können.

In Ghorband bin i an Monat bliem und hab dem Gufernöhr einen Batzen aus meiner Taschen gebn als Bestechung und dem Oberschten vom Regiment grad soviel, und dafür ham mir hundert Martinis kriegt, weitere hundert gute Kohat Jezails, die auf sechshundert Meter noch eine damische Durchschlagskraft ham, und vierzig Trägerlasten Munition von einer hundsmiserabeln Beschaffenheit. Wie ich heimkommen bin, hab ich alles unter die Leut verteilt, die wo uns die Häuptlinge zum Abrichten geschickt haben. Der Dravot hat viel zuviel zu tun ghabt, als daß er auf alles des hätt achten können, aber die alte Armee, die wir gegründet hatten, hat mir beim Drillen geholfen, so daß mir bald fünfhundert Mann ghabt ham, die selber haben abrichten können, und zweihundert, die alles in Ordnung ghalten ham. Sogar die Stöpselzieher von handgemachten Flinten waren für sie das reinste Wunder. Der Dravot hat nacher immer das Maul voll ghabt von zu gründenden Pulvermagazinen und Gewehrfabriken, wenn er auf und abgloffen is im Kiefernwald, wie der Winter kommen is. ›

Nicht nur eine Nation solls werden‹, hat er gsagt, ›nein, ein Kaiserreich! Diese Leute sind keine Nigger nicht, sie sind Engländer! Schau bloß hin, wies dastehn, schau auf ihren Mund! Schau ihnen in die Augen! Auf Sesseln sitzens in ihre Häuser! Sie sin die verschollenen Stämme, oder so was, - aber auswachsen tun sie sich als Engländer! Ich werd eine Volkszählung veranstalten im Frühjahr, wanns die Priester nicht stiert. Zwei Millionen wirds von ihnen gebn in diesen Bergen! In den Dörfern wurlns nur so umanand - die kleinen Kinder! Denk amal: zwei Millionen Leut! Das sin zweihunderttausend Krieger und lauter Engländer! Sie brauchen bloß Flinten und den Drill. Zweihunderttausend Mann, fertig, um den Russen in die rechte Flanke zu fallen, wanns in Indien eindringen wollen! Peachey!‹ hat er gsagt und ganze Bissen von sein roten Bart zerkaut, ›Peachey! Mensch! Kaiser werdn mir noch werdn - Kaiser der ganzen Erde! Der Radscha Brooke is ein Dreck dagegen. Mit dem Vizekönig werd ich auf ›Du und Servus‹ stehn. Ich werd ihm sagen lassen, er soll mir zwölf Engländer schicken - ausgsuchte -, die wo ich selber persönlich kenn, damits uns ein bissel regieren helfen. Da war, zum Beispiel, gleich der Madkray, der pensionierte Sergeant in Segowlie; manches feine Mittagessen hat er mir gebn und seine Frau ein paar Hosen. Dann war da noch der Donkin, der Portier von Tounghoo Jail, und hundert andere, auf die ich mich hab verlassen können, als ich noch in Indien war. Der Vizekönig soll das für mich besorgen. Ich werd einen Mann hinunterschicken im Frühjahr, und mir die Leute bringen lassen. Ich werd ihm einen Brief an die Großloge mitgeben um Dispens für das, was ich als Großmeister hier angestellt hab. Und alle die alten Snidergewehre braucht ich, die weggeschmissen werden, wenn die Eingeborenentruppen in Indien die Martinis fassen. Sie werden voller Dreck sein, aber für den Krieg in den Bergen hier reichts noch. Zwölf Engländer, hunderttausend Sniders, und mir zerlegen die Untertanen vom Emir in kleine Bestandteile - ich begnüg mich mit zwanzigtausend Menschen im Jahr - und bald sin mir dann ein Kaiserreich.

Wenn nacher alles klappt, dann überreich ich der Königin Viktoria auf den Knien die Krone - die Krone, die wo ich jetzt auf dem Haupte trage - und sie wird sagen: ›Erheben Sie sich, Sir Daniel Dravot!‹ Ja, das is eine dicke Sache! Eine ganz dicke Sache, sag ich dir! Wenn nur net soviel zu tun wäre überall - in Bashkai, in Khawak, in Shu und überall da drüben!‹ ›No, is denn weiter soviel zu tun?‹ sag ich. ›

Diesen Herbst kommen keine Leut mehr zum Abrichten. Da schau: die fetten schwarzen Wolken am Himmel! Sie bringen Schnee.‹

›Darum handelt es sich jetzt nicht‹, sagt der Dravot und legt mir die Hand schwer auf die Schulter, ›und ich will auch nichts gegen dich sagen, denn kein anderer Mensch war mir gefolgt und hätt so viel für mich gewagt, wie du, Peachey! Du bist Oberbefehlshaber über die Armee, und das Volk weiß das; aber es is ein riesiges Land, und in allem kannst du mir nicht helfen, so, wie ich gern möcht!‹

›Geh halt zu deine damischen Priester!‹ sag ich, gleich drauf hats mich greut, daß ichs gsagt hab, aber es hat mich halt gfuchst, daß der Daniel so von obenrunter gsprochen hat; wo ich doch die Leut drillt hab und alles tan hab, was er mir angschafft hat.

»Streiten mer uns net, Peachey«. sagt der Daniel und bleibt ganz ruhig, ›du bist auch ein König, und die Hälfte von dem Reich ghört dein; aber einsehen mußt: mir brauchen geschicktere Leut, als mir selber sin, drei oder viere, die wo mir rumschicken können als Deputierte. Es is halt ein ungeheurer Staat und ich kann net überall nach dem Rechten sehen und hab auch die Zeit nicht dazu, alles so zu machen, wies sein sollt, gar jetzt, wo der Winter kommt.«

Und dabei hat er sein halbeten Bart - so rot war er wie das Gold seiner Krone - in den Mund genommen und zerkaut. ›

Es tut mir leid, Daniel‹, sag ich, ›aber ich hab alles getan, was ich hab können: ich hab die Leut gedrillt und ihnen gezeigt, wie der Weizen besser geschobert wird, und hab Flinten verschafft aus Ghorband rüber - aber ich kann mir schon denken, was mit dir los is: ich glaub, es sin die Sorgen, die alle Könige haben!‹

›Es is noch was anders«, sagt der Dravot und geht dabei auf und ab. ›der Winter kommt, und die Leut werden uns jetzt wenig Arbeit machen; und wenns auch war, mir können nicht rumreisen wegen dem Schnee. Was ich brauch, is -: ein Weib!‹

›Um Gotteswillen!‹ schrei ich, ›laß die Weibsbilder steh! Wir ham alls gmacht, was mir ham können, oder ich bin ein Narr. Denk an den Kontrack und halt dich von die Weibsen fern!‹

›Der Kontrack hat bloß Gültigkeit ghabt‹ sagt der Dravot und wiegt seine Krone in der Hand, ›solang mir noch keine Könige waren; nimm dir halt auch ein Weib, Peachey, - a hübschs, stämmigs, fleischigs Mädel, die dich schön warm hält im Winter. Sie sin hier netter als die englischen Mädeln, und mir ham a feine Auswahl. Kochs a paarmal in heißem Wasser aus und sie kommen raus wie die Hähndeln.‹

-›Führe mich nicht in Versuchung!« sag ich. ›Ich will mit die Frauenzimmer nix zu tun ham, selbst wenn mir noch viel sicherer wären als jetzt. Ich hab gschafft für zwei Männer und du für drei. Laß mer die Weiber Weiber sein und schau mer liaber, daß mir an bessern Tawack kriagn aus Afghanistan und an Schnaps, - bloß kane Weiber net!‹ -

›Wer redt denn glei von mehrere Weiber?‹ sagt der Dravot. ›Ich rede von einer Gemahlin - einer Königin, die wo einen Königsohn ausbrütet für den König! Eine Königin aus dem stärksten Stamme, wodurch dann eine Blutsverwandtschaft geschaffen wird - eine, die einem an der Seite liegt und berichtet, wie das Volk denkt, und seine Bedürfnisse kennt. Sowas braucht ich!‹

›Denk an die Bengalin‹, sag ich, ›die, wo ich mir aufzwickt hab im Mogul Serai, wie ich noch Schienenleger gwesen bin! A gut unterspickts Trumm Mensch is's gwesen, freilich, und hat mir den Eingeborenendialekt beigebracht und noch a paar solchene Sachen, aber was is nachher gescheh? Davon gloffen is's mer mit dem Diener vom Stationsmoaster und mit meim halben Monatslohn. Und dann in Dadur hat sie sich rumtriebn mit einem Mischling und hat noch die Frechheit gehabt zu sagen, sie sei meine angetraute Gemahlin! Und noch dazu bei die Maschinenführer in der Werkstatt !‹

›Des paßt net her«, sagt der Dravot, ›die Weiber hier sin weißer, als du und ich; a Königin will ich ham für die Wintermonate!‹

›Zum letzten Mal bitt ich dich, Dan‹, sag ich, ›laß des bleibn! Es wird uns nur Unglück bringen! In der Bibel steht: Könige sollen ihre Kräfte nicht an Weiber verschwenden, gar, wenns ein neues, noch nicht recht fertiges Königreich unter sich ham.‹ -

›Und ich sag dir zum letztenmal: ich will!‹ schreit der Dravot, und davon is er durch den Kiefernwald wie a roter Teifel, den Glanz der Sonne auf seinem Bart und auf der Krone und so.

Aber es war nicht so leicht, ein Weib kriegn, wie der Dan gmeint hat. Er hats in der Versammlung vorgetragen, und alle ham gschwiegen, bis der Billy Fish gmeint hat, es war des gscheiteste, er fraget halt die Mädeln selber. Der Dravot hat gflucht wie narrisch.

›Was is denn an mir schlechts?‹ hat er geschrien und sich neben den steinernen Imbra gstellt, - ›bin ich ein Hund oder bin ich leicht nicht Mann genug für eure Schlampen? Hab ich nicht den Schatten meiner Hand gehalten über dieses Land? Wer hat denn den letzten Afghaneneinfall abgewehrt, was? (Eigentlich bin i des gwesen, aber der Dravot in seiner Wut hats halt vergessen.) Und euch Flinten bracht, was? Und wer hat die Brücken repariert, was? Und wer is denn nachher der Großmoaster mit dem Zeichen da auf dem Steinsockel, was?‹ und dabei hat er auf den Stein gewiesen, auf dem er immer gsessen is, wann grad eine Loge abgehalten wurde. Der Billy Fish hat nix mehr gsagt und die andern scho gar net. ›Gib halt nach, Dan‹, sag ich, »und frag halt die Mädeln! Drüben is ja auch Sitte, daß mer in aller Form anhalten tut, und hier is das Volk so gut wie englische ›

Die Heirat des Königs ist eine Staatsangelegenheit!‹ sagt der Dravot, rotglühend vor Zorn, denn er hat natürlich innerlich gespürt, daß er gegen seine bessere Überzeugung spricht. Dann is er hinaus aus dem Beratungszimmer, und die andern sin still dagsessen und ham auf den Boden gschaut.

›Billy Fish‹, sag ich zu dem Häuptling aus Bashkai, ›woran haperts eigentlich? Gib einem treuen Freund eine offene Antwort!‹

»Du weißt es‹, sagt der Billy Fish, »wie kann ich einem, der alles weiß, etwas sagen? Können denn die Töchter der Menschen Götter oder - Teufel heiraten? Es geht nicht an!‹

Mir is eingefallen, daß etwas ähnliches in der Bibel steht; aber, solang sie uns für Götter halten, hab ich mir denkt, kann ich sie doch nicht aufklären. »Ein Gott kann alls‹, sag ich; ›wenn ein Gott ein Mädel gern hat, wird sie nicht dran sterben.‹

›Doch! Sie wird! ‹ sagt der Billy Fish. ›Es gibt alle Arten Götter und Teufel hier in den Bergen und bisweilen erwählen sie sich ein Mädchen, aber es verschwindet für immer aus unserer Mitte. Und dann: Ihr beide kennet die Bedeutung des Zeichens hier auf dem Stein! Nur Götter kennen sie. Wir hielten euch für Menschen, bis ihr das Meisterzeichen uns gewiesen habt.‹

›Hätten mir doch nur alles gesagt - damals - über das verlorene Geheimnis der Freimaurerei!‹ denk ich bei mir und schweig. Die ganze Nacht hindurch war Hörnergeblase in einem kleinen dunkeln Tempel auf einem Bergabhang, und ich hab ein Mädchen schreien hören in Todesangst; einer der Priester hat gsagt; man bereitet sie vor, den König zu heiraten.

›Ich will diesen Unsinn nicht‹, sagt der Dravot; ›ich misch mich nicht in eure Sitten, aber ich will mir ein Weib nehmen, wie mirs paßt!‹ ›Das Mädchen fürchtet sich‹, sagt der Priester; ›sie glaubt, sie muß sterben. Sie - ermuntern sie drüben im Tempel.‹

›Ermuntert sie aber gefälligst zart und freundlich!‹ sagt der Dravot. ›Oder ich werd euch mit dem Flintenkolben ermuntern, daß euch Hören und Sehen vergeht!‹

Und er leckt sich die Lippen, der Dravot, und geht die halbe Nacht erregt auf und ab und denkt wahrscheinlich an das Weib, das ihm am Morgen zugeführt wird. Mir war nicht recht geheuer zumut, aber ich hab mir denkt: was kann denn viel geschehen, wann ein anerkannter gekrönter König in einer fremden Gegend sich mit einem Frauenzimmer einlaßt?! In der Früh bin ich zeitlich aufgstanden, während der Dravot noch gschlafen hat, und da hab ich gsehen, wie die Priester mit einander geflüstert ham und die Häuptlinge, und wie sie mich aus die Augenwinkel heraus belauert haben.

›Was gibts denn eigentlich‹ frag ich den Billy Fish; er hat prachtvoll ausgschaut in seinem Pelz.

›Ich weiß es selbst nicht recht‹, sagt er, ›aber, wenn du dem König den Unsinn mit der Heirat ausreden könntest, so erwiesest du ihm und dir und mir einen großen Dienst!‹

›Des glaub i net‹, sag ich, ›aber hör jetzt zu, Billy Fish: mir ham doch gegeneinander gekämpft und für einander! Ich versicher dir: der König und ich sin nicht mehr und nicht weniger als die zwei allerfeinsten Burschen, die der allmächtige Gott erschaffen hat, sonst aber auch nix! Kannst es mir glauben !‹

›Kann sein‹, sagt der Billy Fish, ›und doch wäre ich traurig, wenn es so wäre!‹ Und dann läßt er seinen Kopf auf seinen großen Pelzmantel sinken und denkt nach - eine Minuten lang. ›König‹, sagt er, ›ob du nun ein Mensch bist, oder ein Gott, oder ein Teufel, ich harre heute bei dir aus. Ich habe zwanzig Mann bei mir, die mir treu ergeben sind. Wir werden nach Bashkai gehen, wenn es zu stürmen beginnt.‹

Ein wenig Schnee war gefallen in der Nacht, und alles war weiß bis auf die grauen schweren Wolken, die herangejagt sin aus dem Norden, eine nach der ändern. Dann kommt der Dravot heraus mit der Krone auf dem Kopf, windmühlt mit die Hand und stampft mit die Fuß, - fideler hat er ausgschaut wie der Hanswurst selber.

›Zum letztenmal warn ich dich, Dan, laß die Gschicht fallen!‹ flüster ich ihm zu. ›Der Billy Fish meint, es gibt einen Tanz!‹

›Einen Tanz? Unter meinem Volk?!‹ lacht der Dravot. ›Das gibts nicht. Peachey, du bist ein Narr, daß du dir nicht auch ein Weib nimmst! - Wo ist das Mädchen?‹ brüllt er mit einer Stimme, so laut wie das Heulen eines Schakals. ›Man rufe die Priester und die Häuptlinge herbei und lasse den Kaiser sehen, ob sein Weib ihm gefällt!‹

Die Leut zu rufen war nicht nötig; sie sin in der Lichtung von dem Kiefernwald umeinandgstanden, auf ihre Gewehre und ihre Speere gelehnt. Dann sin mehrere Priester in den kleinen Tempel hinuntergeloffen, um das Mädel zu bringen, und ham auf den Hörnern geblasen, als möchten sie die Toten erwecken. Und da macht sich der Billy Fish verstohlen an den Daniel heran, ganz in seine Nähe, und hinter ihm stehen die zwanzig mit ihren Steinschloßgewehren. Alles Männer von sechs Fuß. Auch ich war in der Nähe vom Dravot mit zwanzig Leuten der regulären Armee. Da kommt das Mädchen, und ein strammes Mensch wars, über und über behängt mit Silber und Türkisen, aber so weiß wie der Tod; zurückgschaut hats alle Augenblicke nach die Priester.

›Sie gefällt mir‹, sagt der Dan und er frißt sie mit die Augen. ›Komm her, Mädel, gib mir einen Kuß!‹ Und er umschlingt sie mit den Armen. Sie schließt die Augen, quietscht ein bissel auf und begräbt ihr Gesicht von der Seiten in dem Dravot seinen feuerroten Bart.

›Das Luder hat mich gebissen!‹ schreit der Dravot, fahrt mit der Hand ins Genick und zieht sie gleich darauf blutbedeckt wieder zurück - und sofort reißen ihn der Billy Fish und zwei von seinen Leuten zu sich in die Mitte der Bashkaisoldaten. Aber schon brüllen die Priester in ihrem Kauderwelsch: ›Kein Gott, kein Teufel, ein Mensch ist er!‹ Auch ich werd zurückgestoßen, ein Priester pflanzt sich vor mich hin und meine Armee fangt zum schießen an, aber - auf die Bashkaileute!

›Gott, Allmächtiger !‹ sagt der Dravot, ›was geht hier vor?‹

›Zurück! Fort! Fort!‹ sagt der Billy Fish. ›Verderben und Meuterei, das geht hier vor! Wir müssen nach Bashkai durchbrechen, wenns möglich ist!‹

Ich such noch Befehle an meine Leute von der regulären Armee zu geben, aber es is umsonst, und so pfeifet ich halt mit meinem Martini mitten unter das Gesindel hinein, schlag drei von den Viechern zu Boden. Das ganze Tal is erfüllt von heulenden, gellenden Kreaturen, und ein jeder schreit: ›Kein Gott, kein Teufel, nur ein Mensch ist er!‹ Die Bashkais halten treu zu Billy Fish, aber was können sie machen mit ihren Steinschloßgewehren gegen die KabulHinterlader! Und viere von ihnen fallen. Der Dan brüllt wie ein Ochs und is außer sich vor Wut, und der Billy Fish kann ihn kaum zurückhalten, daß er sich nicht mitten in die Menge stürzt.

›Wir können nicht mehr standhalten‹ sagt der Billy Fish, ›brechen wir durch ins Tal hinunter; alles ist gegen uns.‹ Da sin dann seine Leut hinunter und wir mit, sosehr sich der Dravot auch gsträubt hat. Gschworen und gflucht hat er wie ein Wahnsinniger und immerfort gschrien, er ist ein König. Die Priester haben große Steine auf uns herabgerollt und die reguläre Armee hat fest gefeuert, und so sin nur sechs Mann lebendig unten angekommen außer dem Dan, dem Billy Fish und mich.

Dann hams zum feuern aufghört, und die Hörner in die Tempel ham zum blasen angfangt.

›Kommt fort um Gotteswillen, kommt fort!‹ schreit da der Billy Fish, ›sie werden Eiltruppen in alle Dörfer schicken, ehe wir nach Bashkai kommen! Dort kann ich euch beschützen; hier ist alles umsonst.‹

Ich glaub, der Dan is von jener Stund an nicht mehr recht im Kopf gwesen; er hat um sich gstarrt wie ein abgestochenes Schwein. Dann wieder hat er umkehren wollen, ganz allein, und die Priester mit die bloßen Hand erdrosseln, und er wärs auch imstand gwesen. ›Ein Kaiser bin ich‹, hat er immerfort gsagt, ›und nächstes Jahr ein Baronet der Königin!‹

›Schon recht, Dan‹, sag ich, ›aber jetzt komm mit, solangs noch Zeit is!‹

›Deine Schuld is‹, schreit er; ›hättst besser Obacht gebn auf deine Armee! Die Meuterei hat in ihnen gsteckt, aber du hast nix gmerkt. Du verdammter Hans Dampf, du Schienenleger, du Hund von einem Pfaffenspeichellecker!‹ Dabei is er auf einem Felsen gsessen und hat mich mit jedem Schimpfnamen belegt, der ihm grad auf die Zungen kommen is; ich war viel zu todtraurig, als daß ich mich drum kümmert hätt. Seine Schuld wars doch, daß mir so in den Saft kommen sin!

›Tut mir leid, Dan, sag ich, ›aber was hilft das Schimpfen? Mit unsern Gschäft is gar und aus! Kann sein, mir derfangens noch und richtens wieder auf, wenn mir in Bashkai sin!‹

›Also geh mer halt nach Bashkai‹, sagt der Dan, ›aber wenn ich jemals wieder hierher zurückkomme, so will ich dieses Tal wegfegen, daß auch nicht eine Wanze mehr am Leben bleibt!‹

Wir sin marschiert den ganzen Tag und die ganze Nacht, und der Dan is durch den Schnee gstampft und hat vor sich hinbrummt.

›Keine Hoffnung mehr!‹ sagt der Billy Fish plötzlich. ›Die Priester haben Eilboten in die Dörfer geschickt mit der Nachricht, daß ihr nur Menschen seid. Warum habt ihr euch nicht noch eine Zeit lang als Götter aufgespielt, bis jede Gefahr ausgeschaltet war! Jetzt bin ich ein toter Mann!‹ und damit wirft er sich in den Schnee und fangt zum beten an zu seine Götter.

Am nächsten Morgen waren mir in einer schauderhaften Gegend, alles drunter und drüber, kein fester Boden nicht unter den Füßen und nix zum fressen. Die sechs Bashkais ham den Billy Fish hungrig angschaut, als möchtens ihn um was bitten, aber keiner hat kein Wort nicht gsagt. Am Nachmittag sin mir auf den Gipfel von einem flachen Berg gekommen, aber was sagst: wie mir naufkrallen durch den Schnee, wer steht dort? Die ›Armee‹ und erwartet uns!

›Die Eilboten sind uns zuvorgekommen‹ sagt der Billy Fish und lacht kurz auf. ›Sie erwarten uns.‹

Da eröffnen drei oder vier Mann drüben das Feuer und eine Kugel trifft den Daniel ins Bein. Das bringt ihn zu sich; er schaut hinüber und sieht die Martinistutzen, die mir ins Land gebracht ham.

›Aus is mit uns‹, sagt er, ›die Leut sin wie die Engländer - mein verfluchter Unverstand hat euch in den Saft gebracht. Geh zurück, Billy Fish, und nimm deine Leute mit; du hast alles getan, was möglich war. Jetz geh! Und du, Carnehan‹, sagt er, ›reich mir die Hand und zieh mit Billy! Vielleicht kommst du mit dem Leben durch. Ich geh ihnen allein entgegen. Ich hab alle Schuld; ich allein, der König!‹

›Was?‹ schrei ich, ›was? Fahr zur Hölle, Dan! Ich bin und bleib bei dir! Billy Fish, schau daß d' weiterkommst; mir zwei gehen dem Gesindel entgegen.‹

›Ich bin ein Häuptling‹, sagt der Billy Fish kalt und ruhig, ›ich bleibe bei euch; meine Leute können gehen.‹

Die Bashkais ham sich des net a zweitsmal sagen lassen und sin auf und davon. Dann sin mir nüber - der Dan und ich und der Billy Fish -, wo die Trommeln trommelt ham und die Hörner blasen. Es war kalt - ganz entsetzlich kalt. Ich hab die Kälten jetzt noch im Genick; ich hab einen Eisklumpen im Kopf.«

Die Punkah-Kulis waren schlafen gegangen. Zwei Kerosin-Lampen blakten in dem Office, und der Schweiß strömte mir übers Gesicht, fiel in Tropfen auf das Schreibpapier, als ich mich vorbeugte. Trotz der fürchterlichen Hitze schauderte Carnehan, und ich fürchtete, er werde jeden Augenblick das Bewußtsein verlieren. Ich wischte mir das Gesicht ab, faßte die verstümmelte Hand des Unglücklichen und fragte: »Was ist dann geschehen?«

Mein Wegschauen hatte ihn bereits den Faden verlieren lassen.

»Was, bitte, haben Sie gesagt?« greinte er. »Ja, ja -. No, sie ham uns mit sich genommen, stumm, ohne Laut. Totenstill is alles bliebn - in dem Schnee, trotzdem der König den ersten niederschlagen hat, der Hand an ihn hat legen wollen - trotzdem der alte Peachey seine letzte Patrone mitten unter sie neigfeuert hat. Nicht einen Laut hams ausgstoßen, die Sau! Sie ham uns gleich fest in die Mitte gnommen. Es war net zum Aushalten, so ham ihre Pelz gstunken. Was der Mann gwesen is, der wo Billy Fish gheißen hat - der gute Freund von uns -, dem hams die Gurgel durchgschnitten, Herr, von da bis da, wie einem Schwein. No, und der König, der hat mit dem Fuß in dem blutigen Schnee gscharrt und hat gsagt: ›Eine verdammt feine Reise ham mir gemacht für unser Geld. Wohin gehts jetzt?‹ Er hat seinen Kopf eingebüßt - das sagt Ihnen der Peachey Taliaferro aber nur ganz im Vertrauen, denn eigentlich is es anders. Also: der König hat seinen Kopf eingebüßt auf einer von die verfluchten Seilbrücken. Borgen S' mir amal Ihr Papiermesser, Herr! Die Gschicht is so gangen: sie sin mit ihm über den Schnee gangen bis zu einer Seilbrücken, die wo über einen Abgrund gspannt war mit einem Fluß tief unten. So was ham Sie schon gsehn! Von hint hams ihn vorwärts gstoßen wie einen Ochsen. ›Gott verdamm eure Augen!‹ hat der König gsagt, ›glaubts vielleicht, ich könnt nicht sterben wie ein Gentleman?‹

Und umdreht hat er sich nach dem Peachey - der Peachey hat gflennt wie a Kind! ›Ich habe dich in diese Lage gebracht, Peachey‹, sagt der König, Herausgerissen aus der Sonne des Lebens, auf daß du hier sterben mußt in Kafiristan! Wo du einst der Befehlshaber gewesen bist von des Kaisers Streitkräften! Sag, daß du mir verzeihst, Peachey!‹ -›Ich verzeih dir‹, sagt der Peachey, ›voll und von selbst verzeih ich dir, Dan!‹ - ›Reich mir die Hand, Peachey !‹ sagt er. ›Ich gehe jetzt.‹ – Und vorwärts is er gangen; hat weder rechts noch links gschaut. Und wie er nachher mitten auf dem schwankenden Seil gstanden is, da hat er laut geschrien: ›Losschneiden, ihr Bettlersklaven!‹ - Da hams das Seil durchgschnitten, und - und der alte Dan is gefallen, rundumadum und rundumadam hat er sich dreht, zwanzigtausend Meilen tief! Eine halbe Stund hats braucht, bis er unten angekommen is; ich hab seinen Leib noch sehen können, wie er zerfetzt an einem Felsen gehängt hat, die goldene Krone neben ihm.

Aber wissens, was sie mit dem Peachey gemacht ham zwischen zwei Föhren? Gekreuzigt ham sie ihn, Herr! Sie sehens jetzt an seiner Hand. Sie ham ihm hölzerne Pflöck durch die Hand und die Fuß getrieben. Ham ihn aufgehängt und gegeißelt, aber er hat nicht sterben können. Wie sie am nächsten Tag nach ihm geschaut ham, da hats geheißen, es is ein Wunder, daß er nicht tot is. Dann hams ihn heruntergenommen - den - armen, alten Peachey, der ihnen doch nie kein Leid nicht zugefügt hat - nein, nein, nie–mals k-kein L-leid nicht ---.«

Er rückte hin und her auf seinem Sessel und weinte bitterlich, wischte sich mit seiner verkrüppelten Hand die Tränen aus den Augen und schluchzte wie ein Kind, wohl zehn Minuten lang. Dann fuhr er fort:

»Sie sin grausam genug gwesen, ihn wieder aufzupäppeln im Tempel, denn sie ham gsagt, er sei eher noch ein Gott als der alte Daniel, der bloß ein Mensch war. Dann ham sie ihn in den Schnee hinausgejagt und ham ihm gsagt, er soll heimgehn. Und er is heimgekommen, der Peachey, in einem Jahr. Er hat sich auf den Straßen durchgebettelt und nix is ihm gschehn, denn der Daniel Dravot is immer vor ihm hergeschritten und hat gesagt: ›Komm, Peachey‹, hat er gesagt, ›komm! Wir haben eine große Tat vollbracht! ‹ Die Berge ham über dem Peachey getanzt in der Nacht, aber wenn sie ham auf ihn fallen wollen, da hat der Dan die Hand über ihn gehalten und er is heil hinübergekommen. Niemals hat der Peachey die Hand von dem Dan losgelassen und hat auch seinen Kopf nicht hergegeben! Die Priester im Tempel ham dem Peachey den Kopf geschenkt zum Gedächtnis, daß er niemals nicht wiederkommen darf, und dazu die Krone aus lauterem Golde; und obgleich sie aus lauterem Golde war und der Peachey oft beinahe verhungert wäre, hat er sie dennoch nie nicht verkauft. Und nie würde sie der Peachey nicht verkaufen. Sie ham den Dravot gekannt, Herr! Den verehrungswürdigen Bruder Dravot! Wollen Sie ihn sehen?«

Carnehan wühlte in seinen Lumpen, zog einen schwarzen, silberdurchwirkten Roßhaarbeutel hervor und schüttete auf die Tischplatte: den verwitterten, vertrockneten Kopf Daniel Dravots! Die Strahlen der Morgensonne hatten längst das Licht der Lampen verdrängt, sie fielen jetzt auf den roten Bart und die eingesunkenen Augen des Schädels, fielen auf einen breiten goldenen Reifen, verziert mit Türkisen! Zärtlich drückte Carnehan die Krone über die eingefallenen Schläfen des Totenkopfs.

»Schauen Sie jetzt!« sagte er, »so hat er ausgesehen, der Kaiser, als er noch am Leben war - der König von Kafiristan mit der Krone auf dem Haupte. Armer, alter Daniel, ein Monarch bist du einst gewesen!«

Ich schauderte, denn trotz der furchtbaren Entstellung erkannte ich deutlich den Kopf des Mannes aus Marwar. Carnehan wollte aufbrechen. Ich versuchte ihn zurückzuhalten; er schien mir noch nicht fähig, gehen zu können. »Geben S' mir den Wisky mit und ein bissel Geld!« keuchte er. »Auch ich war einst ein König! Ich will zum Deputatskommissär gehen und ihn bitten, daß ich im Armenhaus unterkommen kann, bis ich wieder gesund bin. Nein, dankschön, ich kann nicht warten, bis Sie mir einen Wagen holen! Ich hab dringende Privatgeschäfte - im Süden - in Marwar.«

Und er tastete sich hinaus aus dem Office und schlich in der Richtung zum Deputatshaus fort. Am Nachmittag mußte ich über die glühheiße Promenade fahren, und da sah ich einen Krüppel durch den weißen Staub des Wegrandes kriechen, den Hut in der Hand; er summte kläglich vor sich hin, wie es die Straßenbettler in der Heimat zu tun pflegen. Weit und breit war keine Seele zu sehen und nirgends ein Haus in Hörweite! Dennoch sang er - durch die Nase und dabei den Kopf hin und herwiegend. Ich verstand:

»Des Menschen Sohn zieht in den Krieg,
Eine Krone aus Gold zu erringen;
Das blutrote Banner weht zum Sieg -
Kommt mit: es muß gelingen!«

Ich hörte das Lied nicht bis zu Ende an, lud das arme Geschöpf in meinen Wagen und fuhr mit ihm zum nächsten Missionshaus, damit man ihn von dort in ein Asyl schaffe. Er wiederholte die Strophe noch ein paarmal und schien nicht die leiseste Ahnung zu haben, wer ich war. Noch im Missionshaus sang er weiter.

Zwei Tage später erkundigte ich mich nach seinem Befinden im Spital bei dem Superintendenten.

»Als man ihn herschaffte, hatte er den Sonnenstich«, hieß es. »Gestern früh ist er gestorben«, sagte der Superintendent. »Ist es wahr, daß er eine halbe Stunde lang barhäuptig mittags umherging?«

»Ja«, sagte ich; »aber, bitte, hat man bei ihm nichts gefunden?«

»Nein«, sagte der Superintendent, »nicht daß ich wüßte.«

Damit endete die Geschichte.

 


 


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