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Rothund

Rothund oder Dole, ein zur Familie der Hunde gehörendes, in großen Rudeln jagendes, gefürchtetes Tier.

Yalahi, unsre wilden Rennen in weißer, wohliger Nacht!
Weit spüren, scharf äugen, schlau schleichen, gut Jagd!
Yalahi, das Wittern der Spur, noch frisch im tauigen Naß,
Yalahi, im Satz durch den Nebel, die stutzende Beute, – faß'!
Yalahi, der Gefährten Geheul, und der Hirsch, der sich keuchend stellt,
Yalahi, Wagnis und lärmender Kampf der Nacht!
Yalahi, Schlaf am Tag vor der Höhl' am Feld –
Yalahi, es gilt, in die Schlacht, in die Schlacht! Yalahi, oh, Yalahi!

 

In Moglis Leben begann nach der Zerstörung des Dorfes durch das Dschungel die heiterste Zeit. Er hatte das befriedigte Bewußtsein einer gerecht gezahlten Schuld und war gut Freund mit dem ganzen Dschungel, weil das ganze Dschungel ihn fürchtete. Was er auf seinen Wanderungen von einem Volke zum anderen hörte, sah und tat, mit oder ohne seine vier Gefährten, würde Stoff zu vielen Geschichten geben, jede vielleicht so lang wie diese. So wirst du zum Beispiel nie erfahren, wie er dem tollen Elefanten von Mandla begegnete und entkam, der zweiundzwanzig Ochsen, die mit elf Karren geprägten Silbers nach der Regierungs-Schatzkammer fahren sollten, getötet und die glänzenden Rupien im Staube verstreut hatte. Auch nicht, wie er in den Morästen des Nordens eine ganze lange Nacht sich mit Dschacala, dem Krokodil, herumschlug und sein Jagdmesser an den Rückenplatten der Bestie zerbrach, – noch wie er ein neues und längeres Messer fand, das um den Nacken eines vom wilden Eber getöteten Mannes hing. Und nicht, wie er diesem Eber folgte, ihn tötete und so den Preis für das Messer zahlte. Ich kann nicht erzählen, wie er während der großen Hungersnot in die umherschweifenden heißen Wildherden geriet und fast zu Tode gequetscht wurde – wie er Hathi, den Schweigsamen, vor einer Falle mit einem Spieß am Boden bewahrte, und wie er tags darauf selbst in eine sehr geschickt versteckte Leopardenfalle geriet, und Hathi die dicken Holzpfähle über ihm in Stücke brach – wie er die wilden Büffelkühe in den Sümpfen melkte, wie – – – – aber man muß eine Geschichte zur Zeit erzählen.

Vater und Mutter Wolf starben; Mogli verschloß mit einem herbeigeschleppten Pfahl den Mund der Höhle und sang das Totenlied über ihnen. Balu wurde alt und steif, und selbst Baghira, der Nerven von Stahl und Muskeln von Eisen hatte, schien langsamer beim Jagen. Akilas Farbe wurde vor Alter von Grau zum Milchweiß; seine Nippen traten hervor, er ging, als wäre er aus Holz, und Mogli tötete für ihn. Aber die jungen Wölfe, die Rinder des aufgelösten Sionie-Packs, gediehen und vermehrten sich, und als ihrer ungefähr vierzig waren, führerlose, flinkfüßige Fünfjährlinge, befahl Akila ihnen, sie sollten sich zusammenhalten, dem Gesetz gehorchen und unter einem Führer rennen, wie es dem freien Volk geziemt.

Mogli gab keinen Rat in dieser Sache; er sagte: »Ich habe saure Frucht gegessen und kenne den Baum, an dem sie wächst.« Aber als Phao, Sohn des Phaona (sein Vater war der graue Pfadfinder in den Tagen von Akilas Hauptmannschaft) seinen Platz als Führer des Packs, nach dem Gesetz, erkämpft hatte, und als unter den Sternen die alten Rufe und die alten Gesänge wieder ertönten, da kam Mogli zu dem Beratungsfelsen, um der Erinnerung willen. Sobald es ihm einfiel, zu sprechen, wartete das Pack, bis er geendet, und er saß auf dem Felsen, an Akilas Seite, über Phao. Dies waren Tage guter Jagd und guten Schlafes. Kein Fremder wagte in die Dschungel einzubrechen, die Moglis Volk, wie sie das Pack nannten, zugehörten, und die jungen Wölfe wurden fett und stark, und viele Wölflinge waren vor die Musterung zu bringen. Mogli war bei jeder Musterung zugegen, denn er erinnerte sich der Nacht, als der schwarze Panther ein nacktes, braunes Baby vor das Pack brachte, und der alte Ruf: »Schauet, schauet scharf, o Wölfe!« ließ sein Herz erbeben in wunderbaren Gefühlen. Sonst war er meist weit weg in den Dschungeln, Neues schauend und schmeckend, berührend und empfindend.

Eines Tages im Zwielicht schlenderte er durch die Baumwege, um Akila die Hälfte eines Bockes, den er getötet, zu bringen – seine vier Wölfe trabten hinter ihm, balgten sich und kollerten übereinander aus lauter Freude am Leben – da hörte er einen Schrei, wie er ihn seit den bösen Tagen Shier Khans nicht gehört. Es war, was sie im Dschungel den »Phial« nennen, eine Art Gekreisch, wie es der Schakal ausstößt, wenn er hinter dem Tiger jagt, oder wenn eine große Beute auf dem Wege ist. Wenn ihr euch ein Tongemisch von Haß, Triumph, Furcht und Verzweiflung vorstellen könnt und ein Hohngelächter, das durch all dies hindurchklingt, dann habt ihr einen Begriff von dem »Phial«, der anschwoll und sank und schwankte und zitterte, von fern über der Waingunga her. Den vieren sträubte sich das Haar, und sie heulten. Moglis Hand griff an das Messer, und er stand starr, als sei er in Stein verwandelt.

»Kein Gestreifter würde hier zu jagen wagen,« sagte er zuletzt.

»Das ist nicht der Schrei des Vorjägers,« rief Graubruder. »Es ist ein großes Töten. Horch!«

Es brach wieder los, halb schluchzend, halb lachend, als ob der Schakal weiche, menschliche Lippen hätte. Da atmete Mogli tief auf und rannte dem Beratungsfelsen zu, eilende Wölfe vom Pack auf seinem Wege überholend. Phao und Akila waren oben auf dem Felsen, und unter ihnen, jeden Nerv gespannt, saßen die anderen. Die Mütter und die Wölflinge galoppierten nach ihren Lagern; denn wenn der »Phial« schreit, ist es für schwache Dinger nicht an der Zeit, draußen zu sein.

Sie hörten anfangs nur das Gurgeln der Waingunga im Dunkel und den Abendwind in den Baumwipfeln, als plötzlich, über den Fluß herüber, ein Wolf rief. Es war kein Wolf vom Pack, denn die waren alle auf dem Felsen. Der Ruf wurde zu einem langen, verzweifelten Bellen; und »Dole« sagte es, »Dole«, »Dole«, »Dole«! Nach einigen Minuten hörten sie müde Füße auf dem Felsen, und ein hagerer, triefender Wolf, mit blutigroten Streifen auf den Flanken, mit zerfetzter rechter Vordertatze und weiß schäumendem Rachen, stürzte sich in den Kreis und lag keuchend zu Moglis Füßen.

»Gute Jagd? Unter wessen Führung?« fragte Phao ernsthaft.

»Gute Jagd! Won-tolla bin ich,« war die Antwort.

Er wollte damit sagen, daß er ein Einsiedlerwolf sei, der mit seiner Wölfin und seinen Jungen im einsamen Lager lebt. Won-tolla bedeutet »Auslieger«, einer, der von jedem Pack getrennt lagert. Wenn er Atem schöpfte, sahen sie sein Herz ihn hin und her schütteln.

»Was regt sich?« fragte Phao. So fragt das ganze Dschungel, wenn es den »Phial« gehört hat.

»Der Dole, der Dole vom Dekkan, Rothund, der Mörder! Sie kommen nordwärts, vom Süden her; ›der Dekkan ist leer,‹ sagen sie und töten alles auf dem Wege. Vier gehörten zu mir, als dieser Mond neu war, meine Wölfin und drei Junge. Auf den Weideplätzen lehrte sie die Jungen töten, sich verstecken, um den Bock zu erjagen; so machen wir es, die in der Lichtung leben. Um Mitternacht hörte ich sie noch vollzüngig auf der Fährte. Beim Morgenwind fand ich sie steif im Gras – vier, freies Volk, vier, da dieser Mond neu war! Da suchte ich mein Blutrecht und fand die Dolen.«

»Wie viele?« fragte Mogli. Die Wölfe knurrten tief in ihren Kehlen.

»Ich weiß nicht. Drei von ihnen werden nicht mehr morden; aber zuletzt trieben sie mich, wie den Bock; auf drei Beinen trieben sie mich. Seht her, freies Volk!«

Er streckte seine zerrissene und mit dunklem, getrocknetem Blut bedeckte Vorderpfote aus. Grausame Bisse waren tief unten auf seinen Flanken, und seine Kehle war geschunden und zerfetzt.

»Friß,« sagte Akila und stand auf von dem Fleisch, das Mogli ihm gebracht. Der Auslieger stürzte sich heißhungrig darauf.

»Dies soll kein Verlust für euch sein,« sagte er demütig, als seines Hungers Schärfe genommen war. »Gebt mir ein wenig Kraft, freies Volk, und ich will mit euch töten! Da dieser Mond neu war, war mein Lager voll – jetzt ist es leer – und die Blutschuld ist noch nicht ausgezahlt.«

Phao hörte seine Zähne an einem Hüftknochen krachen und knurrte beifällig.

»Diese Kinnladen können wir brauchen,« sagte er. »waren ihre Jungen mit den Dolen?«

»Nein, nein. Rote Jäger alle, ausgewachsene Hunde von ihrem Pack, schwer und stark.«

Das bedeutet, daß die Dolen, die roten Jagdhunde vom Dekkan, zum Kampfe sich aufgemacht hatten, und die Wölfe wußten wohl, daß selbst der Tiger seine frische Beute den Dolen überläßt. Die brechen mitten durch das Dschungel, und was sie treffen, reißen sie nieder und in Stücke. Wohl sind sie nicht so groß und nicht halb so schlau wie der Wolf, aber sie sind sehr stark und zahlreich. Die Dolen z. B. nennen sich erst beim vollen Hundert ein Pack, während vierzig Wölfe schon ein anständiges Pack bilden. Moglis Wanderungen hatten ihn bis an die Grenze der grasreichen Hochebene des Dekkan geführt, und oft hatte er zwischen dem Gestrüpp und den kleinen Schlupflöchern, die den furchtlosen Dolen als Lager dienen, diese schlafen, spielen und sich kratzen gesehen. Er verachtete und haßte sie, weil ihr Geruch nicht dem des freien Volkes glich, weil sie nicht in Höhlen lebten, weil sie Haar zwischen den Zehen hatten, während er und seine Freunde reinfußig waren. Aber er wußte – Hathi hatte es ihm gesagt – wie schrecklich ein Jagepack von Dolen ist. Hathi selbst geht ihren Reihen aus dem Wege, und bis sie vertilgt sind oder die Beute spärlich wird, gehen sie vorwärts und morden, wo sie gehen.

Akila wußte auch genug von den Dolen; er sprach ruhig zu Mogli: »Besser ist es, im vollen Pack zu sterben, als allein und führerlos. Es ist gute Jagd und meine letzte. Aber Menschen leben lange, und du, kleiner Bruder, hast noch manche Nacht und manchen Tag vor dir. Gehe nordwärts und lege dich nieder, und wenn ein Wolf am Leben bleibt, nachdem die Dolen fort sind, soll er dir Nachricht von dem Kampf bringen.«

»Aha,« sagte Mogli ganz ernsthaft, »muß ich nach den Morästen wandern, kleine Fische fangen, in den Bäumen schlafen, oder soll ich das Affenvolk um Hilfe angehen und Nüsse knacken, indes das Pack hier unten kämpft?«

»Es geht auf den Tod,« sagte Akila. »Du bist niemals dem Dolen, dem roten Mörder, begegnet. Selbst der Gestreifte – – «

»Aoua! Aoua!« rief Mogli spöttisch. »Einen streifigen Affen habe ich getötet! Höre nun: Ein Wolf war mein Vater, eine Wölfin meine Mutter, und ein alter grauer Wolf (weise ist er gerade nicht, aber weiß ist er jetzt) war mir Vater und Mutter. Deshalb sage ich – er erhob seine Stimme – ich sage: Wenn und wann die Dolen kommen, wird Mogli und das freie Volk in diesem Kampf nur eine Haut haben, und ich sage: Bei dem Bullen, der mich loskaufte, bei dem Bullen, den Baghira für mich zahlte, in den alten Tagen, deren ihr vom Pack euch nicht entsinnen könnt, ich sage, und die Bäume und der Fluß sollen es hören und gut behalten, wenn ich es vergesse – ich sage: Dieses, mein Messer, soll für das Pack ein Zahn sein, und ich denke, kein stumpfer! Dies ist mein Wort, und ich habe gesprochen.«

»Du kennst die Dolen nicht, Mensch mit der Wolfszunge,« rief Won-tolla. »Ich hoffe nur ihnen meine Blutschuld zu zahlen, bevor sie mich in Stücke reißen. Sie rücken langsam vorwärts und morden alles aus um sich her. In zwei Tagen aber werde ich wieder ein wenig Kraft haben, dann gehe ich aus auf meine Blutschuld. Euch aber, freies Volk, rate ich, geht nordwärts und begnügt euch mit wenig Futter, bis die Dolen fort sind. Denn bei dieser Jagd gibt es keinen Schlaf.«

»Hört den Auslieger!« rief Mogli lachend. »Freies Volk, wir müssen nordwärts gehen, Eidechsen und Ratten vom Ufer fressen, damit wir ja nicht den Dolen begegnen. Der Dole soll unsere Jagdgründe ausplündern, indes wir uns im Norden verstecken, bis es ihm gefällt, uns unser Eigentum zurückzugeben. Er ist ein Hund, und der Balg eines Hundes, rot, gelb-bäuchig, lagerlos und haarig zwischen jeder Zehe. Sechs und acht Junge zählt er auf den Wurf, wie Tschikai, die kleine Springratte. Sicherlich, freies Volk, wir müssen fortlaufen und bei den Leuten im Norden um den Abfall von toten Rindern betteln. Ihr kennt die Redensart: ›Im Norden das Gewürm, im Süden die Läuse.‹ Wir sind das Dschungel! Wählt nun! O wählet! Es ist gute Jagd! Für das Pack – für das volle Pack – für das Lager und den Wurf, für das Heim- und Draußentöten; für die Wölfin, die die Hirschkuh treibt, und für den kleinen, kleinen Wölfling in der Höhle – es ist gute Jagd – es ist gute Jagd!«

Das Pack antwortete mit einem einzigen tiefen, krachenden Gebell, das durch die Nacht scholl, als stürzten Bäume nieder. »Es ist gute Jagd!« schrien sie.

»Bleibt bei diesen,« rief Mogli seinen Vieren zu. »wir haben jeden Zahn nötig, Phao und Akila müssen die Schlacht vorbereiten. Ich will fort und die Hunde zählen.«

»Es ist dein Tod!« schrie Won-tolla, sich halb aufrichtend, »was vermag so ein Haarloser gegen den Rothund. Selbst der Gestreifte – denk' daran –«

»Du bist in der Tat ein Auslieger,« rief Mogli zurück, »aber wir werden uns sprechen, wenn die Dolen tot sind. Gute Jagd allen!«

In wilder Erregung stürzte er fort, in die Dunkelheit hinein, kaum achtend, wohin er den Fuß setzte, und die natürliche Folge war, daß er strauchelte und der Länge nach über eine von Kaas großen Ringeln hinfiel.

Der Python lag in einer Wildfährte auf der Lauer.

»Kssha!« zischte Kaa ärgerlich. »Ist das Dschungelart, so zu springen und zu stampfen und eine ganze Nachtjagd zu verderben, noch dazu, wenn das Wild so reichlich kommt?«

»Mein ist die Schuld,« sagte Mogli, sich aufraffend. »In der Tat, dich, Plattkopf, suche ich, und jedesmal, wenn ich dich treffe, bist du um meines Armes Länge größer und breiter. Dir ist keiner im Dschungel gleich, weise, alte, starke, wunderschöne Kaa!«

»Nun, wohin soll diese Fährte führen?« Kaas Stimme klang sanfter. »Der Mond war noch nicht voll, da kam ein Menschling mit einem Messer, warf Steine nach meinem Kopf und gab mir schlechte, kleine Baumkatz-Namen, weil ich schlafend in der Lichtung lag – – «

»Und das aufgetriebene Wild in alle Winde scheuchtest – Jawohl! und Mogli war auf der Jagd, und dieser selbe Plattkopf war zu taub, um seinen Pfiff zu hören und die Wildfährte freizugeben.« Und Mogli setzte sich gemächlich zwischen den buntschillernden Ringeln nieder.

»Nun kommt dieser selbe Menschling mit süßen Kitzelworten zu selbigem Plattkopf, erzählt ihm, daß er weise, stark und wunderschön ist, und dieser selbe alte Plattkopf glaubt ihm und ringelt einen Platz zurecht – so – für diesen selben steinwerfenden Menschling und – hast du es so bequem? Könnte Baghira dir ein so weiches Ruhekissen machen?«

Kaa hatte, wie gewöhnlich, aus sich eine Art von weicher Hängematte für Mogli gemacht. Der Knabe griff in die Dunkelheit hinein und zog den weichen, kabelgleichen Nacken zu sich her, bis Kaas Kopf auf seiner Schulter ruhte, und dann erzählte er alles, was in dieser Nacht im Dschungel vorgegangen war,

»Weise bin ich vielleicht, aber taub bin ich sicherlich,« sagte Kaa, als Mogli zu Ende war, »sonst hätte ich den »Phial« gehört. Kein Wunder, daß die Grasesser unruhig waren. Wie viele mögen der Dolen sein?«

»Ich habe sie noch nicht gesehen. Ich kam heißfüßig zu dir. Du bist älter als Hathi. Aber, o Kaa – Mogli grinste vor Freude – es wird eine gute Jagd! Wenige von uns werden einen neuen Mond sehen.«

»Bist du mit bei dieser Arbeit? Bedenke, du bist ein Mensch, und bedenke, welches Pack dich ausgestoßen hat. Mag das Wolfspack mit den Hunden fertig werden. Du bist ein Mensch.«

»Letztjährige Nüsse sind diesjährige schwarze Erde,« sagte Mogli. »Es ist wahr, ich bin ein Mensch, aber es ist in meinem Magen, daß ich diese Nacht sagte: »Ich bin ein Wolf!« Ich rief die Bäume und den Fluß zu Zeugen. Zum freien Volk gehöre ich, Kaa, bis die Dolen vertrieben sind.«

»Freies Volk,« grunzte Kaa; »freie Diebe! Und du hast dich eingeknüpft in den Todesknoten um das Andenken an tote Wölfe! Dies ist keine gute Jagd.«

»Es ist mein Wort, das ich gesprochen habe. Die Bäume wissen es, der Fluß weiß es. Nicht bevor die Dolen verjagt sind, kommt dies mein Wort zu mir zurück.«

»Ngssh! Das ändert alle Fährten! Ich dachte, dich mit mir zu nehmen nach den nördlichen Marschen, aber das Wort – selbst das Wort eines kleinen, nackten, haarlosen Menschlings – ist das Wort. Nun, ich, Kaa, sage –«

»Denk' wohl nach, Plattkopf, daß du dich nicht selbst in den Todesknoten einschlingst. Ich brauche kein Wort von dir, denn ich weiß––«

»Gut denn,« sagte Kaa. »Ich will kein Wort geben; aber was hast du in deinem Magen vor, zu tun, wenn die Dolen kommen?«

»Sie müssen durch die Waingunga schwimmen. Ich dachte sie in den seichten wassern mit dem Messer anzugreifen, das Pack hinter mir, und so mit Stechen und Stoßen sie stromabwärts zu wenden oder ihren Schlund ein wenig zu kühlen.«

»Der Dole dreht nicht um, und sein Schlund ist heiß,« sagte Kaa. »wenn diese Jagd vorbei ist, da wird weder Menschling, noch Wölfling übrig bleiben, nur trockene Knochen.«

»Alala! Wenn wir sterben, sterben wir. Es wird die schönste Jagd. Aber mein Magen ist jung, und ich sah noch wenig Regenzeiten. Ich bin nicht weise, nicht stark, Hast du einen besseren Plan, Kaa?«

»Ich habe hundert und hundert Regenzeiten gesehen. Bevor noch Hathis Milchzähne durchbrachen, war meine Spur schon groß im Staube. Bei dem Ur-Ei! Ich bin älter als viele Bäume, und was das Dschungel getan, alles habe ich gesehen.«

»Aber dies ist neue Jagd,« sagte Mogli. »Niemals bevor kreuzte der Dole unseren Pfad.«

»Was ist – war schon, was sein wird, ist nicht mehr als ein vergessenes Jahr, das rückwärts kommt. – Liege still, indes ich diese meine Jahre zähle.«

Eine lange Stunde lag Mogli, mit seinem Messer spielend, zwischen den Ringeln, während Kaa, den Kopf regungslos an der Erde, alles überdachte, was sie gesehen und gekannt seit dem Tage, da sie aus dem Ei kroch. Das Licht schien langsam aus ihren Augen zu weichen, bis diese undurchsichtigen Opalen glichen, und hie und da machte sie mit dem Kopfe kurze, steife Stöße nach rechts und links, als jagte sie im Schlafe. Mogli begann leis zu schlummern; er wußte, daß vor dem Kampfe nichts so wichtig ist als Schlaf und war gewöhnt, ihn zu jeder Stunde, bei Nacht und Tag, herbeirufen zu können.

Plötzlich fühlte er Kaa unter sich größer und breiter werden. Der ungeheure Python blähte sich auf, zischend mit einem Geräusch, als ob ein Schwert aus einer Stahlscheide gerissen würde.

»Ich habe alle die toten Jahreszeiten gesehen,« sagte Kaa endlich, »und die großen Bäume und die alten Elefanten und die Felsen, die kahl und scharfspitzig waren, bevor das Moos sie bedeckte. Menschling, bist du noch am Leben?«

»Der Mond ist erst vor kurzem aufgegangen,« sagte Mogli. »Ich verstehe nicht – –«

»Hssh! Ich bin wieder Kaa! Ich wußte, – es war nur kurze Zeit. Nun wollen wir zum Flusse gehen, und ich werde dir zeigen, was gegen die Dolen geschehen muß.«

Sie drehte sich pfeilgestreckt dem Hauptarm der Waingunga zu, und etwas oberhalb des Pfuhls, der den Friedensfelsen birgt, tauchte sie hinein, Mogli ihr zur Seite.

»Nein, schwimme nicht. Ich bin rascher. Auf meinen Rücken, kleiner Bruder!«

Mogli klammerte sich mit der linken Hand um Kaas Nacken, legte den rechten Arm fest an den Leib und streckte die Füße. Dann schwamm Kaa gegen den Strom, wie nur sie es konnte; die weiß schäumenden Wellen des gestauten Wassers umgaben gleich einer Halskrause Moglis Nacken, und seine Füße wurden hin- und hergeworfen vom Wasserwirbel zu beiden Seiten des dahinschießenden Leibes des Python.

Ungefähr eine Meile oberhalb des Friedensfelsens wird die Waingunga eingeengt durch eine Schlucht von achtzig bis hundert Fuß hohen Marmorfelsen, und der Strom stürzt, wie in einer Mühlenschleuse, zwischen und über alle Arten von Steingeklüft hinweg. Aber was kümmerte Mogli das Wasser – kein Wasser der Welt hätte er auch nur einen Augenblick gefürchtet. Er schaute sich die Schlucht nach beiden Seiten an und schnüffelte unbehaglich, denn es war ein süßlich saurer Geruch in der Luft, ähnlich dem Geruch eines großen Ameisenhügels bei starker Hitze. Instinktmäßig duckte er sich im Wasser, nur den Kopf zum Atmen emporhaltend. Kaa legte sich vor Anker, indem sie einen gesunkenen Felsblock mit dem Schwanz doppelt umschlang und Mogli in einer ihrer Ringeln festhielt, während das Wasser vorbeiraste.

»Dies ist der Platz des Todes,« sagte der Knabe. »Weshalb sind wir hierher gekommen?«

»Sie schlafen,« sagte Raa. »Hathi weicht nicht zur Seite vor dem Gestreiften. Aber Hathi und der Gestreifte zusammen weichen den Dolen aus; und der Dole, sagt man, weicht vor nichts zurück. Und das kleine Volk von den Felsen, wem weicht dies aus? Sag' mir, Meister des Dschungel, wer ist Meister des Dschungel?«

»Diese,« flüsterte Mogli. »Es ist der Platz des Todes. Laß uns gehen.«

»Nein, schaue wohl hin, denn sie schlafen. Es ist heut', wie es war, als ich noch nicht deines Armes Länge hatte.«

Die gespaltenen und verwitterten Felsen der Waingunga-Schlucht waren seit Beginn des Dschungel im Besitz des kleinen Volkes der Felsen – der geschäftigen, wütenden, schwarzen, wilden Bienen Indiens, und – Mogli wußte es wohl – alle Fährten wendeten sich eine halbe Meile weit von ihrem Bereiche ab.

Jahrhundertelang hatte das kleine Volk in den Felsen hier zusammengebaut und von Spalte zu Spalte geschwärmt und wieder geschwärmt. Der weiße Marmor war fleckig von vertrocknetem Honig, und ihre Waben, groß, tief und schwarz, waren in die dunklen, inneren Höhlen hineingebaut, und weder Mensch, noch Tier, noch Feuer und Wasser hatte sie jemals berührt. Die Schlucht war in ihrer Länge auf beiden Seiten behangen wie mit schimmernden, schwarzen Samt-Gardinen, und Moglis Herz sank, als er hinschaute, denn dies waren die klumpigen Millionen der schlafenden Bienen. Das Antlitz der Felsen war wie beschlagen mit Klumpen, Girlanden und Dingern gleich verrotteten Baumstumpfen – den alten Wabenstöcken vergangener Jahre – oder neuen, im Schatten der windstillen Schlucht gebauten Städten – und ungeheure Massen von schwammigem, verwestem Unrat waren heruntergerollt und steckten zwischen den Bäumen und Schlingpflanzen, die sich an den Felsen geklammert hatten. Mogli lauschte und hörte mehr als einmal das Gleiten und Rauschen von honigschweren Stöcken, die umstürzten oder irgendwo in die dunklen Galerien hineinfielen, und dann ein Dröhnen von wilden Flügelschlägen und das monotone Trip Trip Trip des verschütteten Honigs, der abwärts rann, bis er auf eine Schicht im Freien fiel und träge niedertröpfelte auf die Zweige. Da war ein kleiner, kaum fünf Fuß breiter Ufersaum an einer Seite des Flusses, pfahlhoch gehäuft mit dem Abfall ungezählter Jahre. Da lagen tote Bienen, Drohnen, vertrocknete Honigwaben, Flügel von herumschweifenden Nachtfaltern, Käfer, die dem Honig nachgegangen waren – alles aufeinandergehäuft zu weichen Lagern von feinstem schwarzen Staub. Der bloße scharfe Geruch davon genügte, um alles abzuschrecken, was keine Flügel hatte oder wußte, was das kleine Volk bedeutet.

Kaa bewegte sich wieder stromaufwärts bis zu einer sandigen Uferbank am Ende der Schlucht.

»Hier sind die Reste der Beute vom letzten Jahrgang,« sagte sie. »Siehe.«

Auf der Bank lagen die Skelette einiger junger Rehböcke und eines Büffels. Mogli konnte sehen, daß weder Wolf noch Schakal die Knochen berührt hatten, die rein abgeschält waren.

»Die sind über den Strich hinausgegangen,« flüsterte Mogli. »Die wußten nicht. Und das kleine Volk tötete sie. Laß uns gehen, ehe sie erwachen.«

»Die erwachen nicht vor der Dämmerung,« sagte Kaa. »Nun will ich dir erzählen: vor vielen, vielen Regenzeiten kam ein gejagter Bock vom Süden hierher. Er kannte das Dschungel nicht, und das Pack folgte seiner Spur. Toll vor Furcht sprang er hier von oben herunter, und das Pack rannte blindlings, in heißer Wut, seiner Fährte nach. Die Sonne stand hoch, und das kleine Volk war sehr zahlreich und sehr wütend. Auch viele vom Pack versuchten den Sprung in die Waingunga, aber sie waren tot, ehe sie ins Wasser kamen. Die, die nicht sprangen, starben ebenfalls oben zwischen den Felsen. Aber der Bock blieb am Leben.«

»Wie denn?«

»Weil er zuerst kam, um sein Leben rannte – hinuntersprang, ehe das kleine Volk es merkte, und im Flusse war, bevor sie zum Mord sich zusammengeschart hatten. Das nachjagende Pack erlag vollständig der Wucht des kleinen Volkes, das durch des Bockes Fußtritte erst geweckt war.«

»Der Bock lebte?« wiederholte Mogli nachdenklich.

»Wenigstens damals starb er nicht, obgleich ihn beim Hinunterspringen kein starker Leib erwartete, der ihn sicher über dem Wasser hielt, wie ein gewisser alter, fetter, tauber, gelber Plattkopf es für einen Menschling tun würde – jawohl – und ob auch alle Dolen vom Dekkan auf seiner Fährte wären. Was ist in deinem Magen?«

Kaas Kopf lag auf Moglis nasser Schulter, ihre Zunge zitterte an seinem Ohr. Ein langes Schweigen folgte – dann flüsterte Mogli:

»Es heißt, den Tod am Barte zupfen, aber – Kaa, du bist wahrhaftig weiser, als das ganze Dschungel.«

»Das haben schon viele gesagt. Sieh nun, wenn die Dolen dir folgen sollten––«

»Das werden sie tun! Ho! Ho! Ich habe viele kleine Stacheln unter meiner Zunge, die ihre Haut prinkeln sollen.«

»Wenn sie dir folgen, heiß und blind, nur nach deinen Schultern glupend, werden die, die nicht da oben sterben, in das Wasser springen, hier oder weiter unten, denn das kleine Volk wird sich erheben und sie bedecken. Nun, die Waingunga ist hungriges Wasser, und sie werden keine Kaa haben, sie zu halten, – und die am Leben bleiben, werden abwärts treiben bis in das seichte Wasser bei den Sionie-Lagern, und da mag dein Pack sie bei der Gurgel fassen.«

»Ahai! Eowawa! Besseres kann es nicht geben, bis die Regen fallen in der trockenen Jahreszeit. Bleibt nur noch das bißchen Rennen und Springen. Ich will mich den Dolen bemerklich machen, so daß sie mir ganz dicht folgen sollen.«

»Hast du die Felsen über dir von der Landseite aus betrachtet?«

»Nein, wirklich – das vergaß ich –.«

»Geh' denn und sieh'. Es ist alles verrotteter Grund, gespalten und voller Höhlen. Setzest du einen deiner plumpen Füße achtlos nieder, so ist die Jagd zu Ende. Sieh', ich lasse dich hier, und um deinetwillen allein will ich den Wölfen Nachricht bringen, damit sie wissen, wo sie die Dolen treffen können. Was mich betrifft, ich bin nicht von einer Haut mit irgendeinem Wolf.«

Wenn eine Bekanntschaft Kaa mißfiel, konnte sie unangenehmer werden, als sonst irgend jemand vom Dschungel, Baghira vielleicht ausgenommen. Sie schwamm stromabwärts, hielt dem Felsen gegenüber und sah Phao und Akila, den Geräuschen der Nacht lauschend.

»Hssh! Hunde,« sagte sie leichthin; »die Dolen werden den Strom herunterkommen. Wenn ihr euch nicht fürchtet, könnt ihr sie in den seichten Wassern anpacken.«

»Wann kommen sie?« fragte Phao. »Und wo ist mein Menschenjunges?« fragte Akila.

»Sie kommen, wenn sie kommen,« antwortete Kaa. »Warte und sieh. Und was dein Menschenjunges angeht, dem du sein Wort abgenommen und es so dem Tode offen vorgelegt hast, dein Menschenjunges ist bei mir, und wenn es noch nicht tot ist, so ist das nicht deine Schuld, verbleichter Hund! Warte hier auf die Dolen und sei froh, daß das Menschenjunge und ich auf deiner Seite stehen.«

Blitzschnell schwamm Kaa wieder stromaufwärts und legte sich in der Mitte der Schlucht vor Anker und schaute aufwärts nach der Reihe der Felsen. Alsbald sah sie Moglis Kopf sich gegen den Sternenhimmel erheben, ein »Wiss–s« ging durch die Luft – dann der deutliche, heftige Plumps eines Körpers, der, die Füße voraus, herunterfiel. Im nächsten Augenblick kam der Körper zur Ruhe in Kaas Umschlingung.

»Das ist kein schöner Jagdsprung für die Nacht,« sagte Mogli ruhig. »Zweimal so hoch bin ich schon zum Vergnügen gesprungen. Aber das ist ein böser Platz dort oben – niedriges Gestrüpp und Löcher, die tief hineingehen – alles voll vom kleinen Volk. Dicke Steine habe ich, einen auf den andern, zu Seiten von drei Löchern gelegt. Die will ich beim Rennen mit meinen Füßen hinunterstoßen, und das kleine Volk wird wütend hinter mir aufsteigen.«

»Das ist Menschenlist,« sagte Kaa. »Du bist weise, aber das kleine Volk ist immer wütend.«

»Nein, im Zwielicht ruhen alle Flügel, nah und fern, eine Weile. Im Zwielicht will ich mit den Dolen spielen, denn der Dole jagt bei Tage besser. Jetzt folgt er Won-tollas Blutspur.«

»Tschil läßt nicht von einem toten Ochsen, und der Dole nicht von einer Blutspur,« sagte Kaa.

»Ich will ihm eine frische Blutspur machen – von seinem eigenen Blut – und ihm Dreck zu fressen geben. Willst du hier bleiben, Kaa, bis ich mit meinen Dolen komme?«

»Ei wohl, aber wenn sie dich töten, oder das kleine Volk dich tötet, ehe du hinunter in den Fluß springen kannst?«

»Wenn Morgen kommt, wollen wir morgen jagen,« sagte Mogli, einen Dschungelspruch anführend; »und – wenn ich tot bin, ist's früh genug, das Totenlied zu singen. Gute Jagd, Kaa!«

Er löste seinen Arm vom Nacken des Python und trieb durch die Schlucht, wie ein Brett, stromabwärts, steuerte auf das ferne Ufer los, wo er seichtes Wasser fand, und lachte vor reiner Glückseligkeit. Nichts, wie er selbst sagte, liebte Mogli so sehr, als »den Tod am Barte zu zupfen« und dem Dschungel zu zeigen, daß er der Oberherr war. Er hatte, mit Balus Hilfe, oft Bienennester auf einzeln stehenden Bäumen ausgeraubt und wußte, daß das kleine Volk den Geruch des wilden Knoblauchs nicht verträgt. Er sammelte ein Bündel davon, band es mit einem Rindenstrick zusammen und folgte dann Won-tollas Blutspur, die etwa fünf Meilen weit, südwärts nach den Lagern, sich hinzog. Mogli betrachtete sich die Bäume von der Seite und schüttelte dann den Kopf.

»Mogli, der Frosch, bin ich gewesen,« sagte er zu sich selber. »Mogli, der Wolf, bin ich, wie ich gesagt. Nun muß ich Mogli, der Affe, sein, bevor ich Mogli, der Bock, werde. Zuletzt aber bin ich Mogli, der Mensch! Ho!« und er ließ seinen Daumen über die achtzehn Zoll lange Schneide seines Messers gleiten.

Won-tollas, mit dunklen Blutflecken besprenkelte Fährte leitete durch einen nordostwärts sich erstreckenden Wald von dicken, dicht zusammenstehenden Bäumen, die, zwei Meilen von dem Bienenfelsen, anfingen, weiter und weiter auseinanderzutreten. Von dem letzten Baum bis zu dem niedrigen Gestrüpp der Bienenfelsen war offenes Land, wo kaum ein Wolf sich hätte verstecken können. Mogli trottete unter den Bäumen hin und prüfte die Entfernungen zwischen Zweig und Zweig, kletterte hin und wieder auf einen Stamm und machte einen versuchsweisen Sprung von einem Baum auf den anderen, bis er auf den freien Grund kam, und den studierte er wohl eine Stunde lang sehr sorgfältig. Dann wendete er um, nahm Won-tollas Fährte, da, wo er sie verlassen, wieder auf, stieg auf einen Baum mit einem etwa acht Fuß über dem Boden weit herausragenden Ast, hing sein Bündel Knoblauch an eine sichere Stelle, setzte sich ruhig nieder und schärfte sein Messer an seiner Fußsohle.

Etwas vor Mittag, da die Sonne heiß brannte, hörte er das Trampeln von Füßen und roch den abscheulichen Geruch des Dolenpacks, das fest und unbarmherzig dahintrottete auf Won-tollas Spur. Von oben gesehen, erscheint der rote Dole nicht halb so groß wie ein Wolf, aber Mogli wußte, wie stark seine Füße und Kinnladen sind. Er beobachtete den spitzigen, rotbraunen Kopf des Führers, der an der Spur schnüffelte, und bot ihm »Gute Jagd«.

Das Tier sah nach oben, und seine Gefährten hielten hinter ihm; Horden und Horden von Rothunden mit niederhängenden Schwänzen, schweren Schultern, schwachen Lenden und blutigen Schnauzen. Die Dolen sind für gewöhnlich ein schweigsames Volk und haben keine Manieren, selbst in ihrem eigenen Dekkan nicht. Volle zweihundert mußten sich unten angesammelt haben, und Mogli konnte sehen, daß die Anführer hungrig an Won-tollas Spur schnüffelten und versuchten, das Pack vorwärts zu treiben. Das durfte nicht sein; sonst würden sie bei hellem Tageslicht noch die Lager erreichen, und Mogli wollte sie hier, unter seinem Baum, bis zum Zwielicht festhalten.

»Wer hat euch erlaubt, hierher zu kommen?« fragte Mogli.

»Alle Dschungel sind unser Dschungel,« war die Antwort, und der Dole, der sie gab, zeigte seine weißen Zähne. Mogli blickte lächelnd nieder und ahmte genau das scharfe Tschitter-Tschatter Tschikais, der Springratte vom Dekkan, nach – das sollte den Dolen bedeuten, daß sie nicht besser als Tschikai wären. Das Pack drängte sich rund um den Baumstamm, und der Führer bellte wütend und schalt Mogli: Baumaffe. Als Antwort streckte Mogli sein nacktes Bein hinunter und bewegte seine haarlosen Zehen hin und her, gerade über dem Kopf des Leiters. Das war genug und mehr als genug, um das Pack zu toller Wut zu treiben. Die, die Haare zwischen den Zehen haben, wollten nicht daran erinnert sein. Mogli zog den Fuß zurück, als der Führer aufwärts sprang, und rief zärtlich: »Hund, roter Hund! Gehe nach dem Dekkan zurück und friß Eidechsen. Geh' zu Tschikai, deinem Bruder, Hund, Hund, roter Hund. Haar hat er zwischen jeder Zehe!« Er fingerte wieder mit seinen Zehen.

»Komm herab, ehe wir dich aushungern, haarloser Affe,« brüllte das Pack, und das war gerade, was Mogli wollte. Er streckte sich auf dem vorspringenden Ast aus, legte die Wange auf die Rinde, hielt den rechten Arm frei und hielt den Dolen eine fünf Minuten lange Rede über das, was er von ihnen wußte: von ihren Manieren, ihren Sitten, ihren Hündinnen und ihren Jungen. Keine Sprache der Welt ist so gehässig und so kränkend als die des Dschungelvolks, wenn es Verachtung oder Hohn ausdrücken will. Denkt man darüber nach, wird man finden, daß dies so sein muß. Wie Mogli es Kaa gesagt: er hatte viele kleine Stacheln unter der Zunge, und langsam und bedachtsam trieb er die Dolen vom Schweigen zum Knurren, vom Knurren zum Heulen und vom Heulen zu heiserer, schäumender Raserei. Sie versuchten, seine Schmähungen zu erwidern, aber ein blindes Hündchen hätte in seinem Zorn ebensowohl versuchen können, Kaa zu insultieren. Und während der ganzen Zeit lag Moglis rechte Hand geballt an seiner Seite, zur Tat bereit, und seine Füße um den Ast geklammert. Der große, rotbraune Führer hatte mehrmals einen Luftsprung gewagt, aber Mogli wollte keinen unsicheren Griff riskieren; schließlich spornte die Wut das Tier zu einem sieben bis acht Fuß hohen, über seine Kräfte gehenden Sprung. Da schoß Moglis Hand vorwärts, wie der Kopf einer Baumschlange; er packte den Dolen am Genick, und der Ast krachte unter der doppelten Last, so daß Mogli fast auf die Erde geschleudert wurde. Aber er ließ nicht los, und Zoll auf Zoll zerrte er das Tier, das wie ein ertrunkener Schakal herunterbaumelte, auf den Ast hinauf; mit der Linken faßte er das Messer, schnitt den roten, buschigen Schwanz ab und schleuderte den Dolen auf die Erde hinunter. Mehr brauchte er nicht zu tun. Die Dolen gingen jetzt nicht vorwärts auf Won-tollas Fährte, bis sie Mogli oder Mogli sie getötet haben würde. Er sah sie sich in Kreisen niedersetzen, mit einem Beben der Schenkel, das Rache bis auf den Tod verhieß; er aber kletterte auf einen höheren Ast, stützte seinen Rücken bequem an und – schlief ein.

Nach drei bis vier Stunden erwachte er und zählte das Pack. Sie waren alle da, schweigsam, hartnäckig, durstig, mit Augen wie Stahl. Die Sonne begann zu sinken. In einer halben Stunde würde das kleine Volk von den Felsen aufhören zu arbeiten, und, wie ihr wißt, der Dole kämpft nicht gut im Zwielicht.

»Solch' zuverlässige Wächter hatte ich kaum nötig,« rief er, sich auf dem Aste aufrichtend, »aber ich will es euch gedenken. Ihr seid echte Dolen, aber mich dünkt, ihr seid einander zu gleich. Aus diesem Grunde gebe ich dem dicken Eidechsenfresser seinen Schwanz nicht zurück. Freut dich das nicht, Rothund?«

»Ich selbst will dir den Magen herausreißen,« heulte der Führer, in den Fuß des Baumes beißend.

»Aber bedenke doch, weise Ratte von Dekkan, jetzt wird mancher Wurf von kleinen, schwanzlosen roten Hunden folgen, ho! ho! mit rohen, roten Stümpfen, die schmerzen, wenn der Sand heiß ist. Geh' heim, ruf es aus, daß ein Affe das angerichtet hat. Du willst nicht? Komm denn mit mir; ich will dich weise machen.«

Nach Affenart bewegte er sich vorwärts, auf den nächsten Baum, und so fort auf den nächsten und den nächsten, und das Pack folgte ihm mit aufgehobenen Köpfen und hungrigen Augen. Ab und zu tat er so, als ob er fallen wollte, dann polterte das Pack übereinander, um beim Sturz zur Stelle zu sein. Es war ein seltsamer Anblick, der Knabe mit dem Messer, das in dem durch die hohen Zweige huschenden Abendlicht glitzerte, und unten das schweigsame Pack, mit den im Sonnenlicht rötlich flammenden Rücken, das, sich drängend, ihm folgte. Als er an den letzten Baum kam, nahm er das Knoblauchbündel und rieb sich sorgfältig über den ganzen Körper damit ein. Die Dolen heulten wütend: »Affe mit der Wolfszunge, willst du deinen Geruch fälschen? Wir folgen dir doch bis zum Tod.«

»Hier hast du deinen Schwanz wieder,« rief Mogli, ihn werfend. Das Pack wich vor dem Blutgeruch etwas zurück. »Und nun – folgt mir zum Tode.«

Er schlüpfte von dem Baum herab und flog wie der Wind mit seinen nackten Füßen den Bienenfelsen zu, ehe die Dolen es recht merken konnten. Ein tiefes Geheul folgte; dann setzte das Pack sich in den kurzen Dauergalopp, der zuletzt alles Lebendige niederrennt. Mogli wußte, daß ihr Packlauf doch viel langsamer als der der Wölfe ist, sonst hätte er wohl nicht ein zwei Meilen weites Rennen, in voller Sicht, gewagt. Sie waren sicher, daß der Knabe zuletzt ihre Beute werden würde, und er war sicher, daß er nach Belieben mit ihnen spielen konnte. Er mußte sie nur so, in heißer Wut, hinter sich festhalten, damit sie nicht zuletzt abwichen. Er rannte gerade, geschickt, elastisch wie eine Sprungfeder, vorwärts, der schwanzlose Führer kaum fünf Meter hinter ihm, und das Pack, wohl über eine halbe Meile sich ausbreitend, toll und blind vor Blutgier, hinterdrein. Durch das Gehör hielt er sich stets in derselben Entfernung und sparte seine Kräfte für den Sturz über die Bienenfelsen.

Das kleine Volk war seit dem Beginn des Zwielichts im Schlaf, denn es war nicht die Zeit der spät blühenden Blumen; aber als Moglis erste Fußtritte hohl auf dem hohlen Grunde widerhallten, hörte er einen Ton, als wenn die ganze Erde summte. Da rannte er, wie er im Leben noch nie gerannt, stieß mit dem Fuß einen – zwei – drei Steinhaufen in die dunkeln, süßlich riechenden Löcher, hörte ein Tosen, wie das Tosen der See in einer Höhle, sah aus dem Winkel des Auges die Luft hinter sich dunkel werden – sah tief unten den Strom der Waingunga – und einen platten, wie Diamant schimmernden Kopf im Wasser, sprang auswärts mit seiner höchsten Kraft, sah noch im Sprung den schwanzlosen Dolen in der Luft nach seiner Schulter schnappen und erreichte, Füße voraus – atemlos und triumphierend – den sichern Fluß. Nicht ein Stich war auf seinem Körper; der Geruch des Knoblauchs hatte das kleine Volk gerade für die wenigen Sekunden zurückgehalten, die er brauchte, über die Felsen hinwegzukommen. Als er im Wasser emporkam, stützte ihn Kaas Leib – und über den Rand der Klippen stürzten, wie Senkblei, große Massen von scheinbar gehäuften Bienen herab, und wenn ein Klumpen das Wasser berührte, flogen die Bienen aufwärts, und der Körper eines Dolen wirbelte im Strom abwärts. Von oben hörte man kurze wütende Schreie, die erstickt wurden von einem Getöse wie Donnerrollen – dem Getöse der Flügel des kleinen Volks von den Felsen. Viele Dolen waren auch in die Löcher gefallen, die zu den unterirdischen Höhlen führten, zappelten, schnappten und erstickten unter den umfallenden Honigwaben – wurden tot wieder emporgetragen von den unter ihnen sich hebenden Wogen der Bienen – schossen aus irgendeiner Höhle an der Stromseite hervor und rollten abwärts auf die Schutthügel. Andere waren zu kurz, nur bis in die Bäume an den Klippen, gesprungen, und die Bienen bedeckten sie von Kopf zu Fuß.

Aber die größte Zahl hatte sich, durch die Stiche rasend gemacht, in den Fluß gestürzt; und – wie Kaa sagte – die Waingunga war hungriges Wasser.

Kaa hielt Mogli fest, bis der Knabe zu Atem kam.

»Wir dürfen hier nicht bleiben,« sagte er dann. »Das kleine Volk ist tüchtig aufgewacht. Komm!«

Niedrig schwimmend, und so oft er konnte, untertauchend, trieb Mogli stromabwärts, das Messer in der Hand.

»Langsam, langsam!« rief Kaa. » Ein Zahn kann nicht Hunderte töten, es sei denn einer Kobra Zahn. Viele Dolen stürzten sich rasch ins Wasser, als sie das kleine Volk sich erheben sahen, und die sind unverletzt.«

»Um so mehr Arbeit für mein Messer also. Hai! wie das kleine Volk nachfolgt.« Mogli tauchte wieder. Die Oberfläche des Wassers war bedeckt mit wilden, tückisch summenden Bienen, die alles, was sie fanden, stachen.

»Schweigen hat noch niemals geschadet,« sagte Kaa – kein Stachel konnte durch ihre Haut dringen – »und du hast die lange Nacht zum Jagen vor dir. Hör', wie sie heulen.«

Die Hälfte des Packs beinahe hatte die Falle bemerkt, in die ihre Gefährten fielen. Sie wendeten rasch seitwärts und stürzten sich, da wo die Schlucht jäh abfällt, ins Wasser. Ihr Wutgeschrei und ihre Drohungen gegen den »Baumaffen«, der sie in solche Schande gebracht, mischten sich mit dem Geheul der vom kleinen Volk Gepeinigten. Am Lande zu bleiben, war sicherer Tod, das wußte jeder Dole. Das Pack wurde vom Strom dahingefegt, abwärts und abwärts, den Felsen des Friedenspfuhls entgegen; aber selbst dorthin folgte ihnen das wütende kleine Volk und zwang sie vom Lande wieder ins Wasser hinein. Mogli hörte die Stimme des schwanzlosen Führers, seinem Volke befehlend, sich zusammenzuhalten und jeden Wolf in Sionie zu morden. Aber horchen wäre Zeitverschwendung gewesen.

»Es mordet einer hinter uns im Dunkel,« keuchte ein Dole, »Hier ist das Wasser blutig.«

Mogli tauchte vorwärts wie eine Otter, packte einen zappelnden Dolen unterm Wasser – dunkle, ölige Kreise zeigten sich auf der Oberfläche des Friedenspfuhls, und der Körper eines Dolen plumpste aufwärts und drehte sich auf die Seite, ohne daß ein Laut gehört wurde. Die Dolen versuchten umzudrehen; aber der Strom trieb sie vorwärts, und das kleine Volk stürzte sich auf ihre Köpfe und Ohren, und sie horten den »Wer da«-Ruf des Sioniepacks tiefer und lauter dröhnen in der zunehmenden Dunkelheit. Wieder tauchte Mogli, und wieder sank ein Dole unter und kam tot wieder nach oben, und wieder brach im Nachtrab der Dolen das Geschrei los: »Es wäre besser, aufs Land zu gehen.« Andere riefen dem Führer zu: »Er sollte sie nach dem Dekkan bringen,« und wieder andere drohten Mogli Mord und Tod.

»Jeder Dole kommt zum Kampf mit zwei Magen und vielen Stimmen,« sagte Kaa. »Das übrige mögen deine Brüder dort unten tun. Das kleine Volk kehrt jetzt um und will schlafen, und ich auch. Ich helfe keinen Wölfen.«

Ein Wolf rannte am Ufer entlang auf drei Beinen, sprang auf und nieder, legte sich platt auf die Seite, machte einen Buckel und fuchtelte mit den Füßen in der Luft, als spielte er mit seinen Jungen. Es war Won-tolla, der Auslieger, und er sagte kein Wort, aber trieb sein schauriges Spiel, zur Seite der Dolen, fort. Die waren nun lange im Wasser, schwammen mühsam, ihr Fell war durchgeweicht und schwer, ihre buschigen Schwänze schleppten, wie Schwämme, hinten nach – so müde und ermattet waren sie, daß selbst sie schweigsam das funkelnde Augenpaar anstarrten, das ihnen zur Seite sich fortbewegte.

»Dies ist keine gute Jagd,« sagte endlich ein Dole.

»Gute Jagd,« sagte Mogli, als er kühn an der Seite des Tieres emporkam, sein Messer ihm zwischen die Schultern rannte und fest nachstieß, um dem Todesschnappen vorzubeugen.

»Bist du da, Menschenjunges?« rief Won-tolla vom Ufer her.

»Frage die Toten, Auslieger,« antwortete Mogli. »Sind keine den Strom herabgekommen? Ich habe diese Hundemäuler mit Dreck gefüllt; ich habe im hellen Tageslicht meine Possen mit ihnen getrieben, und ihr Führer hat einen Schwanz nötig – aber es sind noch einige für dich übrig geblieben – wohin soll ich treiben?«

»Ich will warten,« sagte Won-tolla. »Die lange Nacht ist vor mir, und ich werde scharf sehen.«

Näher und näher kam der Ruf der Sioniewölfe: »Für das Pack, für das volle Pack! es ist gute Jagd!« Und eine Krümmung des Flusses trieb die Dolen vorwärts in das sandige, seichte Wasser, gegenüber den Sionielagern. Nun bemerkten sie ihren Irrtum. Sie hätten eine halbe Meile weiter oben landen und die Wölfe auf trocknem Boden überfallen sollen. Es war zu spät. Das Ufer war bedeckt mit flammenden Augen, und, ausgenommen den gräßlichen Phialschrei, der seit Sonnenuntergang nicht ausgesetzt hatte, war kein Laut im Dschungel. Es schien, als ob Won-tolla sie einladen wollte, an Land zu kommen, und –: »Dreht euch und packt!« schrie der Führer. Das ganze Pack schoß zum Ufer, drängend und stoßend und durch das seichte Wasser platschend, daß das Antlitz der Waingunga weißschäumend zerrissen war und die großen Wellen von einer Seite zur anderen rollten, wie Bugwellen von einem Schiff. Mogli folgte dem Gedränge und schnitt und stieß, als die Dolen zusammengehudelt, wie eine Woge, auf das Ufer stürzten.

Und nun begann der große Kampf – zusammengedrängt und wieder getrennt – auseinandergerissen und wieder genähert – sich ausbreitend über den nassen, roten Sand und über und zwischen den verschlungenen Baumwurzeln, und durch und zwischen dem Gestrüpp, und ein und aus auf den Grasflecken; denn selbst jetzt noch kamen auf einen Wolf zwei Dolen. Aber Wölfe standen ihnen gegenüber, die für alles, was das Pack war, kämpften, und nicht nur die kurzen, tiefbrustigen, weißzahnigen Jäger vom Pack, nein, auch die wildaugigen Lahinis – die »Wölfinnen von der Höhle«, wie es heißt – die für ihren Wurf fochten – an ihrer Seite hier und da ein Jährlingwolf, noch im ersten halbwolligen Rock, krabbelnd und zerrend. Ein Wolf, müßt ihr wissen, packt an der Gurgel an oder schnappt nach den Flanken, während der Dole mit Vorliebe tiefer beißt. So waren die Wölfe im Vorteil, da die Dolen, sich aus dem Wasser ringend, die Köpfe nach oben halten mußten. Auf trocknem Boden litten die Wölfe; im Wasser aber wie auf dem Lande arbeitete Moglis Messer in gleicher Weise ... Die vier hatten sich zu ihm durchgeschlagen. Graubruder schmiegte sich zwischen des Knaben Knie und deckte ihm den Bauch – die anderen schützten ihm Rücken und Seiten oder standen über ihm, wenn der Anprall eines heulenden, springenden Dolen, der sich selbst auf das Messer stürzte, ihn niederwarf. Im übrigen war alles ein verwickelter Wirrwarr – ein dichter, sich herumzausender Knäuel, der sich von rechts nach links über das Ufer wälzte und sich langsam rund und rund im eignen Kreise drehte. Hier hob sich ein lebendiger Hügel, wie eine Wasserblase in einem Wirbelpfuhle – platzte auseinander wie eine Wasserblase und warf vier oder fünf verstümmelte Hunde aus, die sich dann wieder nach dem Mittelpunkte durchdrängten – dort wurde ein einzelner Wolf von zwei oder drei Dolen niedergezerrt, schleppte sie aber mit sich vorwärts, bis er selber fiel. Hier wurde ein Wölfling – bei Beginn des Kampfes getötet – durch den Druck ringsum emporgepreßt, indes seine Mutter, wahnsinnig vor Wut, schnappend sich überschlug und weitergeschleppt wurde – und in der Mitte des dichtesten Kampfes ein Wolf und ein Dole, die, alles um sich her vergessend, sich zu packen suchten – und hinweggeschwemmt wurden von einer Woge heulender Kämpfer. Einmal stieß Mogli auf Akila, der, einen Dolen an jeder Flanke, seine fast zahnlosen Kinnladen über den Lenden eines dritten geschlossen hielt; und einmal sah er Phao, seine Zähne in der Gurgel eines Dolen verbissen, das sich sträubende Tier vorwärtszerren, bis die Jährlinge ihm den Rest gaben. Der ganze Kampf war jetzt ein wildes Durcheinandergezerre im Dunkel, nach vorn, nach hinten, im Kreise – brennende, blinde Wut – Stoß, Fall, Sturz – Geheul, Gestöhn.

Wie die Nacht fortschritt, mehrte sich noch die schnelle, schwindelerregende Rundbewegung. – Aber die Dolen waren ermattet, fürchteten sich, die stärkeren Wölfe anzugreifen, und wagten trotzdem noch nicht zu fliehen; Mogli sah das Ende kommen und beschränkte sich darauf, die Dolen kampfunfähig zu machen. Die Jährlinge wurden kecker, es war Zeit, Atem zu schöpfen, und ein Blitzen des Messers genügte bald, einen Dolen fortzutreiben.

»Das Fleisch ist nicht weit vom Knochen,« jappte Graubruder. Er blutete aus einer Menge Wunden.

»Aber der Knochen muß erst zerkrachen,« sagte Mogli. »Aowawa! So machen wir's im Dschungel.« Die rote Klinge fuhr, wie eine Flamme, an der Flanke eines Dolen nieder, dessen Hinterteil von einem, sich an ihn klammernden Wolf verdeckt war.

» Meine Beute!« schnob der Wolf durch die gekrampften Nüstern. »Lasse sie mir!«

»Ist dein Magen noch leer, Auslieger?« rief Mogli. Won-tolla war furchtbar mitgenommen, aber sein Biß hatte den Dolen gelähmt, daß er sich nicht drehen und ihn nicht erreichen konnte.

»Bei dem Bullen, der mich loskaufte,« rief Mogli mit bitterem Lachen, »es ist der Schwanzlose!« Und wirklich war es der große rotbraune Anführer.

»Es ist nicht weise, Wölflinge und Lahinis zu morden,« fuhr Mogli philosophierend fort, indem er sich das Blut aus den Augen wischte – »wenn man nicht zugleich den Höhlenvater mordete, und in meinem Magen ist mir so, als ob dieser Höhlenvater dich morden wird.«

Ein Dole sprang dem Führer bei, aber bevor seine Zähne Won-tollas Flanke fanden, war Moglis Messer in seiner Brust, und Graubruder tat das übrige.

»Und so machen wir's im Dschungel,« sagte Mogli. Won-tolla sagte nicht ein Wort – sein Leben floß hin, aber seine Kinnladen schlossen sich fester und fester über den Rückenknochen, während ihn das Leben verließ – der Dole schauderte, sein Kopf sank nieder, er lag still, und Won-tolla fiel über ihn hin.

»Hush! Die Blutschuld ist gezahlt,« sagte Mogli. »Sing' dein Lied, Won-tolla.«

»Er jagt nicht mehr,« murmelte Graubruder, »auch Akila schweigt schon lange Zeit.«

»Der Knochen ist zerkracht!« donnerte Phao, Sohn des Phaon. »Sie fliehen! Tötet, tötet ohne Gnade, o Jäger vom freien Volk!«

Dole nach Dole schlich hinweg von dem nassen roten Sand, nach dem Fluß, ins dichte Dschungel, Strom auf oder Strom ab, wo sie einen Ausweg fanden.

»Die Schuld! Die Schuld!« schrie Mogli. »Zahlt die Schuld! Sie haben den Einsiedelwolf gemordet! Laßt keinen Hund entkommen!«

Er flog nach dem Flusse, Messer in der Hand, um jeden Dolen, der ins Wasser gelangte, niederzustechen, als unter einem Hügel von neun Toten hervor Akilas Kopf und Vorderteil sichtbar wurde. Mogli warf sich neben dem Leitwolf auf die Knie.

»Sagte ich nicht, es wäre mein letzter Kampf?« keuchte Akila. »Es ist gute Jagd. Und du, kleiner Bruder?«

»Ich lebe, viele habe ich getötet.«

»Ich weiß es. Ich sterbe, und ich wollte – ich wollte bei dir sterben, kleiner Bruder.«

Mogli hob den schrecklich verwundeten Kopf auf seine Knie und legte seine Arme um den zerrissenen Nacken.

»Sie sind lange her, die alten Tage, da Schier Khan lebte, und ein Menschenjunges, nackt, im Staub sich rollte,« hustete Akila.

»Nein, nein, ich bin ein Wolf. Ich bin von einer Haut mit dem freien Volk,« rief Mogli. »Es ist nicht mein Wille, daß ich ein Mensch bin.«

»Du bist ein Mensch, kleiner Bruder, Wölfling meiner Hut. Du bist ein ganzer Mann, sonst würde das Pack vor den Dolen geflohen sein. Mein Leben danke ich dir, und an diesem Tage hast du das Pack gerettet, wie einst ich dich rettete. Weißt du es noch? Alle Schuld ist nun gezahlt. Gehe zu deinem eignen Volk. Ich sage es dir noch einmal, Auge meines Auges, diese Jagd ist zu Ende. Gehe zu deinem eignen Volk.«

»Ich werde niemals gehen. Allein will ich im Dschungel jagen. Ich habe gesprochen.«

»Nach dem Sommer kommen die Regen, und nach den Regen kommt der Frühling. Gehe zurück, bevor du getrieben wirst.«

»Wer wird mich treiben?«

»Mogli wird Mogli treiben. Gehe zurück zu deinem Volk. Gehe zu den Menschen.«

»Wenn Mogli Mogli treibt, wird Mogli gehen.«

»Nicht mehr kann ich dir sagen,« sprach Akila. »Zu meinem Geschlecht muß ich noch reden. Kleiner Bruder, kannst du mich auf meine Füße richten? Ich auch bin ein Leiter des freien Volkes.«

Sehr vorsichtig und sanft richtete Mogli Akila auf, hielt ihn mit beiden Armen, und der Führerwolf atmete tief und begann das Totenlied, das jeder Leiter des Packs singen muß, wenn er stirbt. Der Sang hob und hob sich kräftiger, daß er weit über den Fluß hinschallte, bis er an das letzte »Gute Jagd« kam, da schüttelte Akila sich von Mogli frei, sprang in die Luft und fiel rückwärts – tot – auf seinen letzten und furchtbarsten toten Feind.

Mogli saß, den Kopf gegen die Knie geneigt, da, achtlos für alles um ihn her, indes die letzten der sterbenden Dolen von den erbarmungslosen Lahinis niedergerissen wurden. Nach und nach erstarb das Geschrei. Die Wölfe kamen hinkend mit starrenden Wunden zurück, um über die Toten Überschau zu halten. Fünfzehn vom Pack und ein halbes Dutzend Lahinis lagen tot beim Flusse, und von den übrigen war nicht einer ohne Wunden. Mogli saß still bis zum kalten Tagesgrauen, wo Phaos nasse rote Schnauze sich in seine Hand legte, und Mogli beiseite rückte, um ihm den hageren Leib Akilas zu zeigen.

»Gute Jagd!« rief Phao, als ob Akila noch lebte, und dann, über seine zerfleischte Schulter hinweg, den anderen zu: »Heult, Hunde! Ein Wolf starb diese Nacht!«

Aber von dem vollen Pack der zweihundert Jagedolen, Rothunden vom Dekkan, die sich damit brüsten, daß kein lebendes Wesen im Dschungel ihnen standzuhalten wagt, kam nicht einer zurück zum Dekkan, der die Geschichte hätte erzählen können.


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