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Eine Vorbemerkung.

Es gibt ein Wort, welches mir öfter in den Sinn gekommen ist, das Wort eines Mannes, dem ich zwar in Rücksicht auf das Christentum gewiß nichts zu verdanken habe – es war ja ein Heide – dem ich aber doch persönlich sehr viel zu verdanken glaube; eines Mannes, der auch unter Verhältnissen lebte, die, nach meinem Dafürhalten, ganz den Verhältnissen unserer Zeit entsprachen: ich meine den einfältigen Weisen des Altertums. Von ihm wird erzählt, daß, als er vor dem Volke angeklagt war, ein Redner zu ihm kam, der ihm eine sorgfältig ausgearbeitete Verteidigungsrede überreichte mit der Bitte, davon Gebrauch zu machen. Der einfältige Weise nahm und las sie. Darauf gab er sie dem Redner zurück und sagte: das ist eine hübsche und gut ausgearbeitete Rede; also nicht weil die Rede verfehlt, weil sie schlecht gewesen wäre, gab er sie zurück; aber fuhr er fort, ich bin nun siebzig Jahre alt geworden, so dünkt mich, es zieme sich nicht für mich, von der Kunst eines Redners Gebrauch zu machen. Was meinte er? Er meinte erstens: mein Leben ist zu ernst, als daß ihm damit gedient sein könnte, von der Kunst eines Redners unterstützt zu werden; ich habe ein Leben daran gesetzt; auch wenn ich nicht zum Tode verurteilt werde, habe ich doch ein Leben daran gesetzt, und im Dienste des Gottes habe ich meinen Auftrag ausgerichtet: laß mich denn nun nicht im letzten Augenblick den Eindruck meiner selbst und meines Lebens mit Hilfe von Kunstrednern oder Rednerkünsten zu nichte machen. Demnächst meinte er: die Gedanken, Vorstellungen, Begriffe, die ich nun zwanzig Jahre lang, denn so lange war es, von jedem gekannt, von euren Lustspieldichtern lächerlich gemacht, für einen Sonderling angesehen, von »Namenlosen« angegriffen, in der Unterredung mit dem ersten besten auf dem Markte entwickelt habe – diese Gedanken sind mein Leben, haben mich früh und spät beschäftigt; haben sie niemand anders beschäftigt, mich haben sie unendlich beschäftigt; und wenn ich, was eure besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, mitunter einen ganzen Tag habe stehen und vor mich hinstarren können, so waren es diese Gedanken, die mich beschäftigten: so denke ich denn auch, daß ich ohne Hilfe von Kunstrednern und Rednerkünsten, falls ich überhaupt am Gerichtstage etwas zu sagen gedenke, ein paar Worte werde sprechen können; denn der Umstand, daß ich mutmaßlich zum Tode verurteilt werde, thut nichts zur Sache; was ich sage, wird natürlich dasselbe sein und über dasselbe und auf dieselbe Weise werde ich reden, wie bisher, und so wie ich eben gestern mit einem Gerber auf dem Markte sprach; die paar Worte denke ich wohl ohne Vorbereitung oder den Beistand anderer sprechen zu können. Es versteht sich, daß ich nicht ganz unvorbereitet bin; ich habe mich zwanzig Jahre lang vorbereitet, und ganz ohne Beistand bin ich auch nicht, da ich auf den Beistand des Gottes rechne. Aber, wie gesagt, die paar Worte ... ja, ich läugne nicht, es kann auch weitläufiger werden; wenn ich noch zwanzig Jahre zu leben hätte, würde ich fortfahren können, über dasselbe zu reden, worüber ich beständig geredet habe; aber Kunstredner und Rednerkünste sind nichts für mich. – O Du Ernster! Verkannt mußtest Du den Giftbecher leeren! Du wurdest nicht verstanden. So starbst Du denn. Mehr als zweitausend Jahre bist Du bewundert worden; »aber ob ich wohl verstanden bin?« es ist wahr!

Und nun predigen! Sollte das nicht auch so ernst sein! Wer predigen will, soll in den christlichen Gedanken und Vorstellungen leben, sie sollen sein tägliches Leben sein – wenn dem so ist, so wirst Du, nach der Meinung des Christentums, Beredsamkeit genug haben, und gerade die Beredsamkeit, die erfordert wird, um frischweg und ohne besondere Vorbereitung zu reden. Unwahre Beredsamkeit ist es dagegen, wenn jemand, ohne sich im übrigen mit diesen Gedanken zu beschäftigen, ohne darin zu leben, sich mitunter einmal erst hinsetzt und mühsam solche Gedanken, vielleicht auf dem Felde der Litteratur, sammelt, und sie darauf zu einer wohl durchdachten Rede verarbeitet, die dann vortrefflich auswendig gelernt und vortrefflich gehalten wird, sowohl hinsichtlich der Stimme und des Vortrags, als hinsichtlich der Armbewegungen. Nein, wie man in gut eingerichteten Häusern nicht die Treppen hinunterzusteigen braucht, um Wasser zu holen, sondern es mittels Hochdrucks schon oben hat und bloß den Hahn umdreht, so ist derjenige ein echt christlicher Redner, der, weil das Christliche sein Leben ist, in jedem Augenblick die Beredsamkeit, eben die wahre Beredsamkeit, gegenwärtig, gerade bei der Hand hat; – doch folgt es natürlicherweise von selbst, daß hiermit nicht den Schwätzern der Ehrenplatz angewiesen werden soll, ob es auch noch so gewiß ist, daß sie ohne Vorbereitung schwatzen. Ferner, die Schrift sagt: Ihr sollt allerdinge nicht schwören, eure Rede sei Ja und Nein, was darüber ist, das ist vom Übel: so gibts auch eine Kunst der Beredsamkeit, die vom Übel ist, wenn sie zum Höchsten gemacht wird, da sie das Niedere ist. Denn die Predigt soll nicht entzweiend die Scheidung zwischen den Begabten und den nicht Begabten befestigen, sie soll in des Heiligen Geistes Einigkeit die Aufmerksamkeit einzig und allein darauf lenken, daß gethan werde nach dem Gesagten. Du Einfältiger – und wärest Du auch der von allen Beschränkteste – wenn Dein Leben das Wenige ausdrückt, was Du verstanden hast: Du redest mächtiger, als aller Redner Beredsamkeit! Und Du, o Weib, ob Du auch ganz verstummest in lieblichem Schweigen – wenn Dein Leben ausdrückt, was Du hörtest: Deine Beredsamkeit ist mächtiger, wahrer, überzeugender, als aller Redner Kunst!

So ist es. Aber laßt uns achtgeben, daß wir nicht zu hoch greifen; denn daraus, daß es wahr ist, folgt noch nicht, daß wir es zu thun vermögen. Und Du, mein Zuhörer, Du wirst bedenken, das das Religiöse, je höher genommen, desto strenger wird; aber daraus folgt nicht, daß Du es tragen kannst; Dir würde es vielleicht sogar zum Ärgernis und zum Verderben gereichen. Vielleicht bedarfst Du gerade diese niedere Form des Religiösen, daß eine gewisse Kunst auf die Darstellung verwandt wird, um es anziehender zu machen. Des streng Religiösen Leben ist wesentlich Handlung – und seine Darstellung ganz anders anpackend und fassend als die sorgfältiger ausgearbeitete Rede. Mein Zuhörer, bist Du dieser Meinung, so nimm dies hin und lies es zu Deiner Erbauung. Nicht wegen meiner Vollkommenheit und nicht wegen Deiner Vollkommenheit ist die Rede so ausgearbeitet, im Gegenteil, dies ist, geistlich verstanden, eine Unvollkommenheit und Schwäche. Ich bekenne, und sogar Dir, meine Schwäche; nicht wahr, da wirst Du auch, – nicht mir, nein, nein, das wird ja gar nicht einmal von Dir verlangt, – aber Dir selber und Gott die Deinige bekennen. Ach, wir, die wir uns doch Christen nennen, wir sind, christlich verstanden, so verweichlicht, so weit davon entfernt, das zu sein, was das Christentum doch von denen fordert, die sich Christen nennen wollen: der Welt abgestorben, – kaum haben wir wohl einmal eine Vorstellung von solchem Ernst; wir können noch nicht des Künstlerischen und seiner mildernden Wirkung entbehren, ihm entsagen, können nicht den wahren Eindruck der Wirklichkeit ertragen: nun, so laßt uns wenigstens aufrichtig sein und dieses bekennen. Versteht jemand vielleicht nicht gleich, was ich hier sage und meine: er sei langsam zu urteilen, er gebe Zeit, wir werden wohl näher auf die Sache kommen. Wer Du auch seiest, o habe Zutrauen, gib Dich hin; es kann ja nicht die Rede davon sein, daß ich Gewalt brauchen könnte, ich, der ohnmächtigste von allen, aber es soll auch nicht die geringste Überredung oder List oder Lockung angewandt werden, um Dich vielleicht so weit hinauszuführen, daß es Dich verdrießen möchte, Dich hingegeben zu haben (was doch gewiß eigentlich nicht der Fall sein dürfte, und, wenn Dein Glaube größer wäre, es auch nicht sein würde); glaube mir (ich sage es zu meiner eigenen Beschämung), auch ich bin nur allzu verweichlicht.

Ep. St. Jakobi Kap. 1, V. 22-27.

Seid aber Thäter des Worts, und nicht Hörer allein; damit Ihr Euch selbst betrüget. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Thäter, der ist gleich einem Manne, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschauet: denn nachdem er sich beschauet hat, geht er von Stund an davon, und vergißt, wie er gestaltet war. Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharret, und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter, derselbe wird selig sein in seiner That. So aber sich jemand unter Euch lasset dünken, er diene Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführt sein Herz, des Gottesdienst ist eitel. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der: Die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt erhalten.

Gebet.

Vater im Himmel! Was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß Du Dich seiner annimmst –und in jeder Weise, in jeder Hinsicht! Wahrlich, in nichts hast Du Dich unbezeugt gelassen; und zuletzt gabst Du ihm Dein Wort. Mehr konntest Du nicht thun; ihn zwingen, es zu benutzen, zu lesen oder zu hören, danach zu thun, das konntest Du nicht wollen. O, und doch thust Du mehr. Denn nicht bist Du wie ein Mensch; der gibt selten etwas umsonst, und gibt er etwas umsonst, so will er wenigstens keine Mühe davon haben. Dagegen Du, o Gott, Du gibst Dein Wort als eine Gabe, das thust Du, unendlich Erhabener – und wir Menschen haben nichts zum Entgelt zu geben. Und findest Du dann nur einige Willigkeit bei dem einzelnen, da bist Du gleich bereit, und bist zuerst der, der mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld sitzt und mit dem einzelnen buchstabiert, daß er das Wort recht verstehen möge; und dann bist Du demnächst der, der wieder mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld, ihn gleichsam an der Hand faßt und ihm hilft, wenn er strebt, danach zu thun – Du unser Vater im Himmel!

*

Die Zeiten sind verschieden; und, obschon es oft mit den Zeiten geht, wie mit einem Menschen: er verändert sich ganz, aber es bleibt ebenso arg mit ihm, nur in neuer Weise: so ist's doch gleichwohl wahr, daß die Zeiten verschieden sind, und verschiedene Zeiten fordern Verschiedenes.

Es gab eine Zeit, wo das Evangelium, die »Gnade«, in ein neues Gesetz verwandelt war, strenger gegen die Menschen, als das alte. Alles war peinlich, knechtisch und unlustig geworden, fast als wäre – trotz dem Gesang der Engel beim Kommen des Christentums – keine Freude mehr weder im Himmel noch auf Erden. In kleinlicher Selbstquälerei hatte man – so rächt sich das! – Gott ebenso kleinlich gemacht. Man ging ins Kloster, man blieb da – ja, es ist wahr, es war freiwillig, und doch war es Knechtschaft, denn es war nicht in Wahrheit freiwillig, man war nicht ganz einig mit sich selbst, nicht froh darüber, dort zu sein, nicht frei; doch hatte man auch nicht Freudigkeit, es sein zu lassen oder das Kloster wieder zu verlassen und frei zu werden. Alles war Werk geworden. Und wie von ungesunden Auswüchsen verdorben, von Heuchelei, eingebildeter Verdienstlichkeit, Müssiggang! Gerade darin lag der Fehler, nicht so sehr in den Werken. Denn laßt uns nicht übertreiben, nicht den Irrtum einer vergangenen Zeit zu neuem Irrtum benutzen. Nein, nehmt diese Ungesundheit und Unwahrheit weg von den Werken, und laßt uns dann nur die Werke behalten in Aufrichtigkeit, in Demut, in heilbringender Thätigkeit. So sollte es nämlich mit diesen Werken sein, wie wenn ein kriegerischer Jüngling angesichts eines gefahrvollen Unternehmens selbst freiwillig kommt und den Obersten bittet: »o darf ich da nicht auch mitgehen!« Wenn auf diese Weise ein Mensch zu Gott sagen würde, »o, darf ich nicht all meine Güter den Armen geben; nicht, daß es etwas Verdienstliches sein sollte, nein, nein, ich erkenne tief gedemütigt, daß, wenn ich einmal selig werde, ich es dann aus Gnaden werde ganz wie der Missethäter am Kreuze, aber darf ich's nicht thun, damit ich ganz für die Ausbreitung des Reiches Gottes unter meinen Mitmenschen wirken könne?« – dann, ja dann ist dies, daß ich mit Luther rede, trotz dem Teufel, den Blättern, dem geehrten Publikum, denn des Papstes Zeit ist ja jetzt vorbei, trotz aller klugen Männer und Frauen verständigen, geistlichen und weltlichen Einwendungen, dann ist dies Gott wohlgefällig. Aber so war es nicht in der Zeit, von der wir reden.

Da trat ein Mann auf, Martin Luther, von Gott gesandt und mit dem Glauben; mit dem Glauben, denn wahrlich, dazu war Glaube notwendig, oder durch Glauben setzte er den Glauben in seine Rechte ein. Sein Leben drückte die Werke aus, laßt uns das nie vergessen, aber er sagte: ein Mensch wird selig allein durch den Glauben. Die Gefahr war groß. Wie groß sie in Luthers Augen war, dafür weiß ich keinen stärkeren Ausdruck, als daß er beschloß: um Ordnung in die Sache zu bringen, muß der Apostel Jakobus zur Seite geschoben werden. Denke Dir Luthers Ehrfurcht vor einem Apostel – und dann dies wagen zu müssen, um den Glauben zu seinem Rechte zu verhelfen!

Indessen, was geschah? Es gibt beständig eine weltliche Sinnesart, die wohl den Namen eines Christen haben will, aber um so billigen Preis wie möglich Christ zu werden wünscht. Diese weltliche Sinnesart wurde aufmerksam auf Luther. Sie hörte, – aus Vorsicht hörte sie noch einmal, daß sie nicht falsch gehört haben möchte, darauf sagte sie: »vortrefflich, das ist etwas für uns; Luther sagt, es kommt allein auf den Glauben an; daß sein Leben die Werke ausdrücke, fügte er selbst nicht, und da er nun tot ist, so hat das nichts mehr zu bedeuten. Also nehmen wir sein Wort, seine Lehre – und wir sind frei von allen Werken. Es lebe Luther! wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang, der bleibt ein Narr sein lebenlang. Das ist die Bedeutung des Lebens Luthers, dieses Mannes Gottes, der das Christentum zeitgemäß reformierte.« Und ob auch nicht alle ganz so weltlich mit Luthers Wort leichtfertig umgingen – es ist in jedem Menschen eine Geneigtheit vorhanden, entweder, wenn die Werke auch bleiben sollen, ein Verdienst haben zu wollen, oder, wenn Glaube und Gnade geltend gemacht werden sollen, dann auch, so weit möglich, ganz von den Werken frei sein zu wollen. Der Mensch, diese vernünftige Kreatur Gottes, läßt sich wahrlich nicht zum besten haben, ist nicht wie ein Bauer, der zu Markt kommt, er sieht sich vor. Nein, »eins von beiden«, sagt der Mensch, »sollen's die Werke sein, wohl, dann muß ich mir auch den mir gesetzlich zukommenden Vorteil von meinen Werken ausbitten, daß sie verdienstlich sind. Soll's die Gnade sein, wohl, dann muß ich auch bitten, daß ich von den Werken frei werde, sonst ist's ja nicht Gnade. Sollen's Werke sein und gleichwohl Gnade, das ist ja Tollheit.« Ja wohl ist es Tollheit, das war das wahre Luthertum auch, es war ja Christentum. Die Forderung des Christentums ist: Dein Leben solle so angestrengt wie möglich die Werke ausdrücken; dann wird noch eins gefordert, daß Du Dich demütigst und bekennst: aber es ist gleichwohl Gnade, daß ich selig werde. Man verabscheute den Irrtum des Mittelalters: das Verdienstliche. Wenn man tiefer in die Sache hineinblickt, wird man leicht sehen, daß man eine vielleicht noch höhere Vorstellung davon hatte, daß die Werke verdienstlich seien, als das Mittelalter; aber man brachte die »Gnade« so an, daß man sich von den Werken freisprach. Wenn man dann die Werke abgeschafft hatte, konnte man doch nicht leicht in die Versuchung kommen, die Werke, die man nicht that, für etwas Verdienstliches anzusehen. Luther wollte die Werke der »Verdienstlichkeit« berauben und sie in eine andere Stellung bringen, nämlich so, daß sie für die Wahrheit des Glaubens zeugen sollten; die weltliche Sinnesart aber, die Luther aus dem Grunde verstand, nahm die Verdienstlichkeit fort – samt den Werken.

Und wo sind wir jetzt? Ich bin »ohne Gewalt«; D. h. ohne Amtsgewalt, keiner von den angestellten Geistlichen. fern sei es von mir, einen einzigen zu richten. Aber da ich doch diese Sache aufgeklärt wünsche, so will ich mich selbst vornehmen und mein Leben prüfen nach nur einer lutherischen Aussage über den Glauben: »der Glaube ist ein unruhig Ding«. Ich nehme denn an, daß Luther aus seinem Grabe aufgestanden ist; daß er schon mehrere Jahre, aber ungekannt, unter uns gelebt hat; daß er auf das Leben geachtet hat, welches von uns geführt wird, und, wie auf alle anderen, so auch auf mich aufmerksam gewesen ist. Ich nehme an, daß er nun eines Tages mich anredet und sagt: »bist Du ein Gläubiger, hast Du den Glauben?« Jeder, der mich als Schriftsteller kennt, wird wissen, daß ich doch vielleicht der wäre, der von allen am besten durch ein solches Examen kommen würde, denn ich habe ja beständig gesagt: »ich habe den Glauben nicht«, – wie ein Vogel, der angstvoll flieht vor einem Unwetter, so habe ich ausgedrückt, daß ich Unrat merke, »ich habe den Glauben nicht«. Dies könnte ich also Luther sagen, ihm sagen: nein, lieber Luther, ich bin doch so ehrerbietig zu sagen: »ich habe den Glauben nicht«. Doch das will ich nicht geltend machen, sondern, wie alle anderen sich Christen und Gläubige nennen, so will ich auch sagen: »ich bin ein Gläubiger«, denn sonst erhalte ich ja über das keine Aufklärung, was ich aufgeklärt wünsche. Also ich antworte: »ja, ich bin ein Gläubiger«. »Wie«, antwortet Luther, »davon habe ich Dir nichts angemerkt, und ich habe doch auf Dein Leben geachtet. Du weißt, der Glaube ist ein unruhig Ding. Wo hat der Glaube, von dem Du sagst, daß Du ihn habest, Dich unruhig gemacht; wo hast Du für die Wahrheit gezeugt und wo gegen die Unwahrheit; welche Opfer hast Du gebracht, was von Verfolgung erlitten für Dein Christentum; und daheim in Deinem häuslichen Leben, wo ist Deine Selbstverläugnung und Entsagung zu merken gewesen?« »Ja, aber, lieber Luther, ich kann Dir versichern, ich habe den Glauben.« »Versichern, versichern, was ist das für eine Rede? Den Glauben betreffend bedarf es keiner Versicherung, falls man ihn hat, denn der Glaube ist ein unruhig Ding, und gleich zu merken; und keine Versicherung kann helfen, falls man ihn nicht hat.« »Ja, aber glaube mir doch nur, ich kann Dir so feierlich wie möglich versichern ...« »Ach halt doch ein mit dem Geschwätz, was kann Deine Versicherung nützen!« »Ja, aber wenn Du doch nur eine von meinen Schriften lesen wolltest, so würdest Du sehen, wie ich den Glauben darstellen kann; so weiß ich denn auch, ich muß ihn haben.« »Ich glaube, der Mensch ist toll! Wenn dem so ist, daß Du den Glauben darstellen kannst, so beweist das nur, daß Du ein Dichter bist, und wenn Du es gut machst, daß Du ein guter Dichter bist, aber es beweist nichts weniger, als daß Du ein Gläubiger bist. Vielleicht kannst Du auch weinen, wenn Du den Glauben darstellst; das würde dann beweisen, daß Du ein guter Schauspieler wärest; Du erinnerst Dich wohl der Geschichte von dem Schauspieler im Altertum, der in dem Grade das Gerührtsein darzustellen vermochte, daß er sogar weinte, wenn er vom Theater nach Hause kam, und mehrere Tage nachher weinte – das bewies nur, daß er ein guter Schauspieler war. Nein, mein Freund, der Glaube ist ein unruhig Ding; er ist Gesundheit, aber stärker und heftiger als das hitzigste Fieber, und wie es nicht hilft, daß ein Kranker versichert: ich habe das Fieber nicht, wenn der Arzt es am Pulse fühlt, und anderseits, daß ein Gesunder sagt: ich habe Fieber, wenn der Arzt am Pulse fühlt, daß es nicht wahr ist – ebenso, wenn man nicht den Puls des Glaubens in Deinem Leben fühlt, so hast Du den Glauben nicht. Wenn man dagegen des Glaubens Unruhe als Deines Lebens Puls vernimmt, so kann von Dir gesagt werden, Du habest den Glauben und Du »zeugest« vom Glauben. Und das heißt dann wieder im eigentlichen Sinne predigen; denn predigen heißt weder den Glauben in Büchern darstellen, noch ihn in »stillen Stunden« als Redner darstellen, – es sollte ja, wie ich in einer Predigt gesagt habe, eigentlich »nicht in der Kirche, sondern auf der Gasse gepredigt werden«, – und der Prediger soll auch nicht ein Redner sein, sondern ein Zeuge, das heißt: »der Glaube, dies unruhige Ding, soll in seinem Leben erkennbar sein«.

Ja, der Glaube ist ein unruhig Ding. Laß mich, um doch in dieser Hinsicht ein wenig aufmerksam zu machen, des Glaubens Unruhe in einem solchen Glaubenshelden oder Wahrheitszeugen darstellen. So nimm die Wirklichkeit vor Augen; die ist ja da in jedem Augenblick. Diese Tausende und aber Tausende und Millionen, sie gehen jeder seinen Geschäften nach: der Beamte den seinigen, der Gelehrte den seinigen, der Künstler den seinigen, der Gewerbetreibende den seinigen, der Verläumder den seinigen, und der Müssiggänger, nicht minder in Anspruch genommen, den seinigen, und so weiter, jeder geht seinen Geschäften nach in diesem bunten Spiel der Mannigfaltigkeit, aus dem die Wirklichkeit besteht. Inzwischen sitzt, wie Luther in einer Klosterzelle oder auf einem abgelegenen Zimmer, kurz für sich allein ein einsamer Mensch in Furcht und Zittern und vieler Anfechtung. Ein einsamer Mensch! Ja, es ist Wahrheit. Es ist Unwahrheit, was diese Zeiten erfunden haben, daß die Majorität, die Menge, oder das geehrte gebildete Publikum es sei, von dem Reformationen ausgehen – das heißt religiöse Reformationen, denn in der Straßenbeleuchtung und im Fuhrwesen gehen sie doch vielleicht am besten vom Publikum aus; aber daß eine religiöse Reformation vom Publikum ausgehe, ist Unwahrheit, und, christlich geredet, eine aufrührerische Unwahrheit. Also da sitzt ein einsamer Mensch in Anfechtung. Vielleicht genieße ich doch einige Anerkennung bei der Gegenwart als Seelenkundiger; ich kann bezeugen, ich habe Menschen gesehen, von welchen ich sagen darf: sie sind gewiß Versuchungen sehr ausgesetzt gewesen; aber noch nie habe ich jemand gesehen, von dem ich sagen durfte: er hat die Anfechtung erduldet. Und doch, ein Jahr der Versuchung ausgesetzt zu sein, ist nichts gegen eine Stunde Anfechtung. So sitzt denn jener einsame Mensch da; er sitzt, oder, wenn du willst, er geht vielleicht die Diele auf und ab, wie der gefangene Löwe im Käfig; und doch, es ist zu verwundern, worin er gefangen ist, er ist von Gott und durch Gott in sich selber gefangen. – Nun soll das in die Wirklichkeit eingeführt werden, wofür er in der Anfechtung gelitten hat. Glaubst Du, daß er Lust dazu hat? Wahrlich, jeder, der diese Wege jubelnd gegangen kommt, sei überzeugt, er ist nicht berufen. Es ist keiner unter den Berufenen, der nicht am liebsten hatte davon frei sein wollen. Keiner, der nicht für sich gebeten hätte, wie ein Kind für sich bitten und betteln kann, aber es half nichts, er muß vorwärts. – So weiß er, indem er nun den Schritt thut, wird sich das Entsetzen erheben. Nach Matth. 7, 28. Mark. 1, 22. A. d. Üb. Wer nicht berufen ist – dem wird, indem das Entsetzen sich erhebt, so angst, daß er zurück flieht. Aber der Berufene – o, mein Freund, nur zu gern möchte er zurück, schaudernd vor dem Entsetzen; aber wie er sich schon umgedreht hat, um zu fliehen, sieht er – er sieht den noch größeren Schrecken, der hinter ihm ist, den Schrecken der Anfechtung; er muß vorwärts – so geht er denn vorwärts; er ist nun ganz ruhig, denn der Schrecken der Anfechtung ist ein furchtbarer Zuchtmeister, der wohl Mut geben kann. Das Entsetzen erhebt sich. Alles, was ganz der Wirklichkeit angehört, waffnet sich gegen diesen Mann der Anfechtungen, dem man doch nicht bange machen kann, und wunderbar genug, gerade weil ihm so bange ist – vor Gott; sie greifen ihn an, hassen ihn, verfluchen ihn. Die wenigen, die ihm ergeben sind, rufen ihm zu: »o schone Dein selbst, Du machst Dich und uns alle unglücklich, so halt nun inne, laß nicht das Entsetzen sich stärker erheben, hemme das Wort, das Dir auf der Lippe schwebt, rufe lieber das letzte zurück.« O, m. Z., der Glaube ist ein unruhig Ding.

So predige ich denn vielleicht Tumult, allgemeine Umwälzung, Unordnung? Wahrlich, nein. Wer meine schriftstellerische Thätigkeit nicht kennt, muß sich mit dieser Versicherung begnügen. Wer meine schriftstellerische Thätigkeit kennt, muß wissen, daß ich in entgegengesetzter Richtung gearbeitet habe.

Aber in christlichem Sinne gibt es zwei Arten der Unordnung. Die eine ist der Tumult, der Lärm des äußerlichen Wesens. Die andere Unordnung ist die Totenstille, das Ausgestorbensein; und diese ist vielleicht die gefährlichste.

Gegen die habe ich gewirkt, und gewirkt um Unruhe zur Verinnerlichung zu wecken. Laß mich genau bestimmen, wo ich, so zu sagen, bin. Es ist unter uns ein hochwürdiger Greis, der oberste Geistliche dieser Kirche; Der 1854 verstorbene Bischof Mynster A. d. Üb. was er, was seine »Predigt« gewollt hat, dasselbe ist es, was ich will, nur mit schärferer Betonung, was in der Verschiedenheit meiner Persönlichkeit liegt, und was die Verschiedenheit der Zeit erfordert. Es gibt unter uns einige, die darauf Anspruch machen, im strengsten Sinne des Wortes Christen zu sein: an sie habe ich mich nicht anschließen können. Teils meine ich, daß ihr Leben nicht dem Maßstabe entspricht, den sie selbst beanspruchen oder den anzulegen sie andere nötigen, indem sie so stark betonen, daß sie Christen sind – doch dies ist mir das minder Wichtige; teils bin ich zu wenig Christ, um mich an jemand anschließen zu dürfen, der solchen Anspruch macht. Bin ich auch vielleicht ein wenig – ja wäre ich auch sogar bedeutend weiter gefördert als verschiedene unter uns, die dem Durchschnitt angehören, ich bin nur im Dichterischen weiter gefördert, das heißt, ich weiß besser, was Christentum ist, weiß es besser darzustellen; aber dies ist, denke an das was Luther mir sagte! ein gar unwesentlicher Unterschied. Wesentlich gehöre ich dem Durchschnitt an. Und hier ist's, wo ich gearbeitet habe, um Unruhe zur Verinnerlichung zu wecken.

Denn in christlichem Sinne gibt es zwei Arten wahrer Unruhe. Erstens die Unruhe in den Glaubenshelden und Wahrheitszeugen, welche darauf abzielt, das Bestehende zu reformieren. So weit habe ich mich nie hinausgewagt, das ist nichts für mich; und sofern jemand in der Gegenwart scheinen konnte, sich gar so weit hinauswagen zu wollen, war ich nicht abgeneigt, gegen ihn zu kämpfen, um dazu beizutragen, daß es offenbar werden möchte, ob er der Berechtigte sei. Die andere Art Unruhe ist die auf Verinnerlichung abzielende. So ist ja auch ein wahres Verliebtsein ein unruhig Ding; aber es fällt dem Liebenden nicht ein, das Bestehende verändern zu wollen.

Für diese auf Verinnerlichung abzielende Unruhe habe ich gearbeitet. Aber »ohne Gewalt«. Anstatt mich selbst leer aufgeblasen für einen Wahrheitszeugen auszugeben, und auch andere zu veranlassen, vermessen dasselbe sein zu wollen, bin ich ein einfacher Dichter, der durch die Ideale zu rühren sucht. Dies aber etwa auf folgende Art, damit ich gleich ein Beispiel gebe und zugleich zeige, wie ich u. a. auch die Glaubenshelden benutze. Du, m. Z., Du nennst Dich ja einen Christen. Nun, und Du weißt, daß, was das Gewisseste von allem, aber zugleich das Ungewisseste ist: der Tod, daß der auch Dir sich einmal nahen wird, und daß es Dein Tod wird. Doch du bist ein Christ: Du hoffst also und glaubst, daß Du selig werdest, ebenso selig, wie irgend ein Wahrheitszeuge oder einer von des Glaubens Helden, die doch nach einem ganz andern Maßstabe es haben erkaufen müssen, Christ zu sein. Vielleicht würde daher auch einer, der Amtsgewalt hätte, hier anders zu Dir sprechen, Dir zum Entsetzen sagen, daß Du in einem Wahne seiest mit der Meinung Christ zu sein, und daß Du zur Hölle fährst. Fern sei es von mir, dies als eine Übertreibung dessen, der Gewalt hat, darzustellen, nein, ich verstehe es nur allzuwohl, welche Anstrengung erfordert wird, um wagen zu dürfen, ein solches Entweder-Oder auf einen anderen anzuwenden. Aber ich, dem keine Gewalt gegeben ist, ich darf nicht so sprechen; ich glaube, daß Du ebenso selig werden wirst, wie irgend ein Wahrheitszeuge, irgend einer von des Glaubens Helden. Aber dann sage ich zu Dir: halte nun einmal Dein Leben und das Leben eines solchen neben einander. Bedenke, was er hat opfern müssen, er, der alles opferte, das, was zu opfern, im ersten Augenblick am schwersten wird, und das, was geopfert zu haben, auf die Länge am schwersten wird! Bedenke, was er gelitten hat, wie schmerzlich und wie langwierig! O, wenn Du glücklich lebst in einer geliebten Heimat, wenn Dein Weib Dir anhanget von ganzem Herzen und von ganzem Gemüte, wenn Du Freude hast an Deinen Kindern: bedenke, was es doch heißen will, so Tag für Tag in diesem Frieden und dieser Ruhe zuzubringen, die wohlthätig ist für die Seele eines Menschen, wohlthätiger, als die schwache Beleuchtung des späteren Nachmittages für den, dessen Augen schmerzen: und bedenke, daß dies Dein tägliches Leben ist – und dann denke an den Wahrheitszeugen! Und wenn Du lebst, nicht in Müssiggang, keineswegs, aber so, daß Deine Thätigkeit, die Deine Zeit, Deinen Fleiß, Deine Kraft in Anspruch nimmt, sie doch nur so in Anspruch nimmt, daß sowohl Ruhe genug von der Arbeit da ist, als auch die Arbeit selbst manchmal als ein Zeitvertreib erfrischt; und wenn Du lebst, wo nicht in Überfluß, doch so, daß Du Dein reichliches Auskommen hast; und wenn Du Zeit hast zu so manchem Genuß, der erquickend die Zeit ausfüllt und neue Lebenslust gibt, und wenn, kurz und gut, Dein Leben ein stiller täglicher Genuß ist – o, sein Leben war ein tägliches peinliches Leiden: und dann sterbet Ihr beide, und Ihr werdet einer so selig wie der andere! Und wenn Du in glücklicher Verborgenheit Dich des Leben freuen kannst, ungestört und unbemerkt dahin gehen und ganz Dir selbst sein darfst; und wenn Du, gerade weil Du unbemerkt lebst, so oft Gelegenheit bekommst, die Menschen von ihrer besseren, ihrer guten, ihrer liebenswürdigen Seite kennen zu lernen; und wenn Du, unter der Menge verkehrend, entweder dem Fremden begegnest, der Dich gar nicht kennt, oder dem wohlwollenden teilnehmenden Blicke derer, die Dich kennen; und wenn Du, wo Du Gelegenheit findest, einem anderen Menschen einen Dienst, eine Wohlthat zu erweisen, mit so viel Freude belohnt wirst, daß es die Frage ist, ob Du nicht Dir selbst einen Dienst, eine Wohlthat erweisest; und wenn Du, leicht verstehend Dein Leben, mit dem anderen leicht im Verständnis bist, und auch leicht verstanden wirst; o, er mußte tagaus tagein, was von einem solchen Wirken unzertrennlich ist, sich gleichsam verzehren und fressen lassen von dieser Faselei der Menschen, die stets hungrig, stets nach etwas begehren, wovon sie schwatzen können; er war jahraus jahrein täglich veranlaßt ja gezwungen, die Menschen von der, milde gesprochen, bestialischen Seite, mitunter von der Seite des tiefen Verderbens kennen zu lernen, er mußte fort und fort sich überzeugen, daß er von jedem gekannt sei, und dies daran erkennen, daß er in den Blicken eines jeden dem Unwillen, dem Widerstande, der Verbitterung, dem Hohne begegnete, er that einer ganzen Gegenwart wohl, und ihm wurde mit den Verwünschungen einer ganzen Gegenwart gelohnt; in den Qualen der Anfechtung mußte er das Verständnis seines Lebens erwerben, und dann mußte er mühsam Tag für Tag sich durch alle Mißverständnisse der Mitlebenden und durch alle Qualen dieser Mißverständnisse hindurcharbeiten; – dann sterbet Ihr beide, und Ihr werdet einer so selig wie der andere! Bedenke dies, und nicht wahr, dann wirst Du zu Dir selbst sagen, was ich zu mir sage: sei es, daß ich mich nun wirklich nicht so weit hinauswagen soll, oder daß ich mich selbst verhätschele und mich gar nicht hinauswage: Eines will ich thun, und ob ich auch im übrigen noch so viel zu thun hätte, ich will Zeit finden, dieser herrlichen Männer Tag für Tag zu gedenken. O, mir scheint, daß es doch ein himmelschreiendes Unrecht ist, daß wir einer so selig werden wie der andere! Aber jedenfalls, mein Leben soll eine Erinnerung an sie sein! – Und siehe, da hast Du gleich ein Beispiel einer Bewegung, welche Unruhe zur Verinnerlichung ist.

Und diese Unruhe, sie ist das geringste, die mildeste, die unterste Form der Frömmigkeit. Und doch glaubst Du, wir seien so vollkommen, daß wir nicht bedürfen, daß in der Hinsicht gearbeitet werde? Erinnere Dich wie es mir mit Luther ging! Ob es den andern ebenso gehen würde, wenn Luther zu ihnen käme, das weiß ich nicht.

Aber denke Dir Luther in unserer Zeit, aufmerksam auf unsern Zustand, glaubst Du nicht, er würde sagen, wie er in einer Predigt sagt: »Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer, wenn man ihm von der einen Seite auf's Pferd hilft, so fällt er von der andern wieder hinunter«. Glaubst Du nicht, er würde sagen: der Apostel Jakobus muß ein wenig hervorgezogen werden, nicht wegen der Werke im Gegensatz zum Glauben, nein, nein, das war doch auch nicht die Meinung des Apostels, sondern wegen des Glaubens, um, wo möglich, zu bewirken, daß das Bedürfnis der »Gnade« tief gefühlt werde in wahrer demütiger Innigkeit, und um, wo möglich, zu verhindern, daß mit der »Gnade«, daß mit Glauben und Gnade als dem allein Rechtfertigenden und allein Seligmachenden nicht ganz leichtfertig umgegangen und sie zum Schalksdeckel sogar für eine raffinierte Weltlichkeit gemacht werden. Luther – dieser Mann Gottes, diese ehrliche Seele! – übersah oder vergaß doch vielleicht ein gewisses Etwas, was eine spätere, was besonders unsere Zeit vielleicht allzusehr einschärft. Er vergaß – noch einmal, Du Ehrlicher! – er vergaß, was selbst zu wissen er zu ehrlich war, nämlich welche ehrliche Seele er selbst war, was ich aber, und nicht um meiner Tugend, sondern um der Wahrheit willen hervorheben muß. Das Lutherische Prinzip ist vortrefflich, es ist die Wahrheit; ich habe gegenüber diesem vortrefflichen Lutherischen Prinzipe nur ein Bedenken. Dasselbe betrifft nicht das Lutherische Prinzip, nein es betrifft mich selbst: daß ich mich nämlich überzeugt habe, daß ich nicht eine ehrliche Seele, sondern ein schlauer Kerl bin. So wird es denn gewiß am richtigsten sein, auf den Untersatz (die Werke, die Existenz, das Zeugen und Leiden für die Wahrheit, die Werke der Liebe u.s.w.), auf den Untersatz im Lutherischen Prinzip ein wenig genauer zu achten. Nicht als sollte nun der Untersatz zum Obersatz gemacht, der Glaube und die Gnade abgeschafft oder heruntergesetzt werden, das verhüte Gott, – nein, gerade wegen des Obersatzes, und dann, weil ich ein solcher bin, wie ich bin, wird es gewiß am richtigsten sein, etwas genauer auf den Untersatz im Lutherischen Prinzip zu achten; – denn gegenüber »ehrlichen Seelen« braucht nichts gethan zu werden.

Und Jakobus sagt: seid nicht allein Hörer des Worts, sondern Thäter.

Doch um Thäter zu werden, muß man ja erst Hörer oder Leser sein, was Jakobus auch sagt.

Und nun stehen wir bei unserem Texte.

So wollen wir denn davon reden:


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