Sören Kierkegaard
Drei Beichtreden
Sören Kierkegaard

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III.

Luc. 7, 36-50. »Das Weib soll schweigen in der Gemeinde« und insofern nicht lehren – doch grade das Schweigen vor Gott gehört ja hauptsächlich mit zur wahren Frömmigkeit und das muß man also von dem »Weibe« lernen können.

Von einem Weibe lernst Du daher auch das Außerordentliche demütig glauben, demütig glauben wie Maria, die sagte »siehe ich bin des Herrn Magd« – sie sagte es, aber sieh', dies sagen ist recht eigentlich schweigen. Von einem Weibe lernst Du recht auf das Wort hören, von Maria, die obschon sie »nicht verstand das Wort, das gesagt wurde« es doch »behielt in ihrem Herzen«, also nicht verlangte zuerst zu verstehen, sondern schweigend das Wort an der rechten Stelle bewahrte; denn das ist ja die rechte Stelle, wenn das Wort, die gute Saat, »behalten wird in einem feinen und guten Herzen«. Von einem Weibe, lernst Du die stille, tiefe, gottesfürchtige Trauer die vor Gott schweigt; denn wol drang, wie vorausgesagt war, ein Schwert durch ihre Seele, aber sie verzweifelte nicht, weder über die Ankündigung noch da es geschah. Von einem Weibe lernst Du die Bekümmerung um das eine Notwendige, von Maria, der Schwester des Lazarus, die still zu Jesu Füßen saß und das Eine, was not ist, wählte.

So kannst Du auch von einem Weibe die rechte Sorge um die Sünde lernen, von der Sünderin, deren viele Sünden längst, längst vergessen sind, aber welche selbst ewig unvergessen bleibt.

So laß uns denn achten auf die Sünderin und darauf, was wir von ihr lernen können.

Zuerst können wir lernen: wie sie zu werden, gleichgiltig gegen alles Andere in unbedingter Sorge um unsere Sünden, doch so, daß Eins uns wichtig und zwar unbedingt wichtig ist, nämlich – Vergebung zu finden.

Mein Zuhörer! Bekümmerte Menschen sieht man oft genug im Leben, die bald über dies bald über Jenes sich bekümmern, zuweilen über Vielerlei zu gleicher Zeit; ja auch solche, die selbst nicht recht wissen, worüber sie bekümmert sind: aber schon selten sieht man Einen, der nur um Eins bekümmert ist und um dies Eine so unbedingt, daß alles Andere ihm unbedingt gleichgiltig wird.

Doch ist dies zu sehen, wenn auch nicht gewöhnlich; ich habe gesehen, und Du vielleicht auch, den der in Liebe unglücklich wurde und dem dann Alles für immer oder eine Zeit lang gleichgiltig wurde; aber das war ja nicht Sorge über seine Sünde. Ebenso den, dessen kühne Pläne in einem Nu an unerwartetem Hindernis strandeten, und dem dann Alles, eine Zeit lang oder für immer gleichgiltig war; aber das ist nicht Sorge über seine Sünde. Auch den, der mit der Länge der Zeit kämpfte und lange kämpfte; er hielt aus, noch gestern hielt er aus, heute blieb die Erneuerung im Innern aus, er sank zusammen, Alles wurde ihm gleichgiltig; aber das ist nicht Sorge über seine Sünde. Ich habe – und Du wol auch – den Schwermütigen gesehen und wie er Alles fremd und gleichgiltig betrachtet; Alles ist ihm zu leicht, weil sein Sinn so schwer ist; aber Sorge über seine Sünde ist das nicht. Und den, der mit schrecklicher Lebenslust Jahr um Jahr Verbrechen auf Verbrechen häufte, dessen meiste Zeit hingebracht wurde mit sündigen – bis er vernichtet dastand und Alles ihm gleichgiltig wurde aber wahrlich, Sorge über seine Sünde war es nicht – es waren Sünden genug, Sorge über die Sünde aber war nicht da. Es giebt Eins, das ist ganz allgemein, es findet sich bei Allen und bei Jedem, bei Dir wie ich es bei mir selbst finde: Sünde und Sünden; und es giebt Eins, das ist seltener: Sorge über seine Sünde.

Doch ich habe gesehen, und Du vielleicht auch – den, der unbedingt nur über Eins sorgte und über seine Sünde. Sie folgte ihm überall, ja, sie verfolgte ihn am Tage und im Traume in der Nacht, bei der Arbeit und nach der Arbeit wenn er vergebens Ruhe suchte, in der Einsamkeit und wenn er vergebens Zerstreuung suchte in der Gesellschaft Anderer. Sie verwundete ihn von hinten, wenn er sich zur Zukunft wendete, und von vorn, wenn er sich zur Vergangenheit wendete; sie lehrte ihn den Tod wünschen und das Leben fürchten und dann wieder den Tod fürchten und das Leben wünschen, sie tödtete ihn nicht, aber sie nahm ihm doch das Leben, sie machte ihn bangen vor sich selbst wie vor einem Gespenst, sie machte ihm Alles, Alles unendlich gleichgiltig – aber sieh, diese Sorge war Verzweiflung. Es giebt eben Eins, das ist ganz allgemein, Du kannst es finden bei Allen und bei Jedem, bei Dir selbst, wie ich es bei mir selbst finde: Sünde und Sünden; und es giebt Eins, das ist sehr selten: die wahre Sorge über seine Sünden, weshalb es wol nötig wäre, daß jeden Sonntag in der Kirche gebetet würde »daß wir lernen möchten um unsre Sünden zu sorgen«. Wohl dem, bei dem sich diese wahre Sorge über seine Sünde findet, dem alles Andere unendlich gleichgiltig geworden ist und nur Eins unbedingt wichtig. Wohl ihm, seine Gleichgiltigkeit gegen alles Andere ist wie die tödtliche Krankheit des Lazarus, die doch durchaus nicht zum Tode war, sondern grade zum Leben, weil das Leben in dem Einen ist, welches ihm unbedingt wichtig ist, nämlich in der Vergebung.

Achte daher auf die Sünderin, daß Du von ihr lernen mögest. Ihr war Alles gleichgiltig geworden, sie hatte keine Bekümmerung, nur die über ihre Sünde; jede andere Bekümmerung war als wäre sie nicht, weil jene Sorge ihr allein wichtig war. Diese Sorglosigkeit gegen alles Andre ist, wenn Du so willst, der Segen darüber, daß man nur um Eines sorgt und das Kennzeichen dafür, daß man nur eine Sorge hat.

So bei der Sünderin. Aber wie anders meist im Leben! Wenn ein Mensch, der doch nicht frei von Sünde und Schuld ist, zugleich andere Bekümmerungen hat und dadurch beschwert und gebeugt ist, da verwechselt er es vielleicht und will diese Bedrücktheit als Bekümmerung über seine Sünde gelten lassen, als würde bloß verlangt, daß der Mensch bekümmert sei, während gefordert wird, daß er über seine Sünde bekümmert sein soll und nicht über Anderes; aber er verwechselt das und merkt nicht, daß er die andern Bekümmerungen weniger oder gar nicht fühlen würde, wenn er um seine Sünde sorgte; daß grade das leichtere Tragen dieser andern Bekümmerungen der Ausdruck für die wahre Sorge über die Sünde wäre. Vielleicht versteht er es nicht so, sondern wünscht vielmehr von seinen andern Bekümmerungen frei zu sein und dann allein über seine Sünde zu sorgen. Ach da versteht er kaum recht, was er begehrt, denn dann würde ihm die Sache wol eher gar zu streng werden. Denn wenn Gott im strengen Gericht die Sünde eines Menschen heimsuchen will, da macht er es zuweilen so, daß er gleichsam sagt: ich will diesen Menschen von jeder andern Sorge frei machen, Alles soll ihm lächeln, Alles sich ihm fügen, Alles glücken, was er anrührt – um so weniger soll es ihm glücken zu vergessen, um so stärker soll er vernehmen, was nagt. So ist die Entschuldigung nicht wahr, die man öfter hört, daß man wegen der andern Sorgen nicht recht um seine Sünde sorgen könne. Nein »die andern Sorgen« sind grade eine Gelegenheit um wahre Sorge über die Sünde auszudrücken, indem man die andern Sorgen leichter trägt; diese andern Sorgen sind keine Verschärfung sondern eine Linderung; dann bleibt kein Raum zum Verirren und Verlaufen, sondern man hat gleich eine Aufgabe, wie man die Sorge über die Sünde ausdrücken soll, nämlich so, daß man die andern Bekümmerungen geduldiger, demütiger und leichter trägt.

Und der Sünderin war Alles gleichgiltig geworden; alles Zeitliche, Irdische, Weltliche, Ehre, gute Tage, ihre Zukunft, die Verwandten, die Freunde, das Urteil der Menschen; und alle Sorgen, wie sie auch heißen mögen, die hat sie leicht getragen fast wie Nichts, denn sie beschäftigte in Bekümmerung nur Eins unbedingt: ihre Sünde. Um diese sorgte sie und nicht um deren Folgen; nicht um Schande, Unehre, Demütigung, nein, sie verwechselte die Krankheit nicht mit dem Heilmittel. Ach, wie selten ist ein Mensch, der, auch wenn es die Vergebung der Sünden gilt, willig wäre zu leiden, daß er vor Menschen ganz offenbar würde, daß sie ihm in seine Seele hineinschauen und jede geheime Schuld sehen könnten. Ach, wie selten wird wol Einer so unbedingt gleichgiltig. Dieselbe Schuld, um derenwillen er sich selbst verdammt und für welche er Gott um Vergebung bittet, dieselbe Schuld verbirgt er vielleicht so ängstlich, wie ein Geiziger seine Schätze, daß keiner sie sehen soll.

Der Sünderin dagegen war Alles gleichgiltig geworden. Es war ein Gastmahl und im Haus der Pharisäer. Sie konnte die ganze Welt durchwandern und gewiß sein nirgends ein so strenges Urteil zu finden wie dort. Dort erwartete sie die kalte Vornehmheit der Pharisäer oder ihr grausamer Spott – ja die Stelle war ja wie eine uneinnehmbare Festung, grade so befestigt, daß ihr Eindringen unmöglich war, wenn ihr nicht alles Andere wäre gleichgiltig gewesen. Eine andere Frau, die sich nicht bewußt war eine Sünderin zu sein, die also weniger Gefahr lief, hätte es vielleicht nie gewagt; sie wagte es, sie, der Alles gleichgiltig geworden war.

Und doch nein, es ist nicht ganz so, sie wagte es, weil ihr Eins unbedingt wichtig war, nämlich: Vergebung zu finden. Und die war darinnen zu finden – deshalb wagte sie es; dies trieb sie auf und zog sie vorwärts, aber daß ihr alles Andre gleichgiltig geworden war, das machte, daß sie selbst kaum merkte, wie schwer es war. »Das ist der Mut der Verzweiflung« wirst Du sagen. Ja, aber wahrlich, sie ist weit entfernt von Verzweiflung. Oder ist etwa der verzweifelt, dem Eins unbedingt wichtig ist, wenn dies Eine das unbedingt Wichtige ist! Sie hat die Kräfte der Verzweiflung; die machen sie gleichgiltig gegen Alles und stärker als allen Widerstand, so stark, daß sie vor Scham nicht ermattet, vor Spott nicht flieht. Aber sie, die diese Kräfte hat, ist nicht verzweifelt sondern gläubig. Und so tritt sie ein, gleichgiltig gegen alles Andere. Doch erregt diese ihre unbedingte Gleichgiltigkeit kein Aufsehen, keinen Lärm, denn sie ist eine Gläubige und deshalb so still, so bescheiden, so demütig, so unbemerklich in ihrer unendlichen Gleichgiltigkeit gegen Alles, so daß sie durch ihr Eintreten keine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es war ihr ja auch nicht im mindesten wichtig, ihre Gleichgiltigkeit gegen Alles zu zeigen, aber Eins was ihr unendlich wichtig: Vergebung zu finden. Doch wäre ihr dies Eine nicht in dem Grade wichtig gewesen, daß alles Andere ihr unbedingt gleichgiltig wurde, so hätte sie nicht den Weg in jenes Pharisäerhaus gefunden – wo sie dann Vergebung fand.

Demnächst kannst Du von der Sünderin lernen, was sie verstand, daß sie selbst gar nichts zu thun vermag, um Vergebung zu finden.

Sollen wir ihr ganzes Benehmen von Anfang bis zuletzt bezeichnen, so müssen wir sagen: sie thut gar nichts. Sie zögert nicht in jenes Haus zu gehen, wo sie den Erlöser und die Erlösung finden wollte, sie wartete nicht, bis sie sich würdig fühlte. Nein, dann wäre sie lange ausgeblieben und vielleicht niemals dahingekommen. Sie beschließt gleich zu gehen in ihrer Unwürdigkeit; grade das Gefühl ihrer Unwürdigkeit treibt sie; sie versteht, daß sie selbst nichts zu thun vermag. Kann dies stärker ausgedrückt werden als so, daß grade das Gefühl der Unwürdigkeit sie bestimmt?

So bereitet sie sich zu gehen – doch nicht auf das, was sie sagen will oder dergleichen, nein; sie kauft ein Alabastergefäß mit Salböl um es mitzunehmen. So befolgt sie das Wort der Schrift: »wenn Du fastest, so salbe Dein Haupt und wasche Dein Angesicht, daß nicht die Menschen Dich fasten sehen, aber Dein Vater, der im Verborgenen ist.« Festlich geht sie zum Gastmahl – wahrlich, wer sollte raten, was ihre Absicht war, oder was der Eintritt in jenes Haus für sie bedeutete! Doch sie versteht ganz, daß sie selbst gar nichts zu thun vermag. Anstatt sich vielleicht der Selbstplagerei hinzugeben, als würde sie damit Gott wohlgefälliger und käme ihm näher – statt dessen verschwendet sie (so nannte es Judas,) sie verschwendet leichtsinnig (wie der Selbstplager meint) was irdisch zur Festlichkeit gehört; sie nimmt ein Alabastergefäß mit Salböl mit sich, das zum Gastmahl paßt.

Sie tritt ein. Sie versteht ganz, daß sie selbst Nichts zu thun vermag. Sie ergeht sich daher nicht in leidenschaftlichen Selbstanklagen, als brächte sie dies der Erlösung näher, als machte sie dies Gott wohlgefälliger; sie übertreibt nicht, wahrlich, dessen soll sie Niemand beschuldigen können. Nein, sie thut gar nichts, sie schweigt – sie weint.

Sie weint. Vielleicht wird Einer sagen, so that sie doch Etwas. Nun ja, sie konnte die Thränen nicht zurückhalten. Doch wäre ihr der Gedanke gekommen, daß die Thränen aussehen könnten, als wollten sie etwas bedeuten, so hätte sie wol auch die Thränen zurückhalten können.

Also sie weint. Sie hat sich zu Jesu Füßen gesetzt; da sitzt sie weinend. Doch laß uns nicht die Festlichkeit vergessen, welche sie auch nicht vergaß, grade weil sie verstand, daß sie selbst gar nichts zu thun vermag, um Vergebung zu finden. Sie vergißt nicht die Festlichkeit, und auch nicht das Salböl, welches sie mitgenommen hat; sie versteht dies recht eigentlich als ihr Werk; sie salbt Jesu Füße mit Salböl und trocknet sie mit ihrem Haar und weint.

Kannst Du, wenn Du es nicht schon weißt, raten was dies Bild bedeutet? Ja, da sie nichts sagt, ist es in gewissem Sinn unmöglich; und für sie fließt es ja in Eins zusammen, das Salben seiner Füße, das zur Festlichkeit gehört, und das Weinen, das zu ganz Anderem gehört. Doch was es bedeutet, das geht ja auch keinen Andern an als sie, und sie versteht ganz, daß sie selbst gar nichts zu thun vermag, um Vergebung zu finden und dann Ihn, von dem sie ganz versteht, daß er Alles, Alles vermag.

So hört sie ihn mit den Gästen reden. Sie versteht ganz gut, daß er von ihr redet, da er von dem Unterschied der Schuldner redet, wie Einer fünfhundert Groschen schuldig ist, ein Anderer fünfzig, aber wie es auch billig ist, daß der Erste mehr liebt als der letzte, wenn Beide Vergebung finden. Sie versteht gut wie – ach – das Eine und wie – Gott sei Dank – auch das Andere auf sie paßt; aber sie versteht zugleich, daß sie selbst Nichts zu thun vermag. Sie mischt sich deshalb nicht in das Gespräch, sie schweigt und hält auch die Augen bei sich selbst oder bei dem Werk, das sie übt; sie salbt seine Füße, trocknet sie mit ihrem Haar und weint. O, mächtiger und wahrer Ausdruck dafür, daß sie Nichts vermag. Sie ist wie abwesend, obschon sie gegenwärtig ist, ja obschon sie es ist, von der die Rede ist.

Obschon sie gegenwärtig ist, ist es als wäre sie abwesend, es ist, als verwandelte er sie in ein Bild, in eine Parabel, als sagte Er: Simon, ich habe Dir etwas zu sagen: Es war einmal ein Weib, die war eine Sünderin. Da des Menschen Sohn eines Tages zu Tische saß im Hause eines Pharisäers, kam auch sie hinein. Die Pharisäer spotteten über sie und richteten sie, daß sie eine Sünderin sei. Aber sie setzte sich zu seinen Füßen, salbte sie mit Salböl, trocknete sie mit ihrem Haar und küßte sie und weinte – Simon, ich will Dir etwas sagen: ihr wurden ihre vielen Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt. Es ist fast wie eine heilige Erzählung – und doch geschieht in demselben Augenblicke dasselbe wirklich.

Sie hört die Worte: »denn sie hat viel geliebt« aber die verstören sie nicht: sie meint wol eher zu hören, daß Er viel geliebt habe, daß er von seiner Liebe rede und davon, daß ihre vielen Sünden vergeben werden, weil er so unendlich liebt. Das kann sie herrlich verstehen; es ist als könnte sie selbst es sagen.

Dann spricht er auch zu ihr: »Dein Glaube hat Dir geholfen, gehe hin in Frieden.« So geht sie wieder heim, eine stumme Person in diesem Auftritt. Wer sollte raten, was dieser Gang für sie bedeutet hat, dieser Gang, da sie dorthin ging mit Sünden und Sorgen und da sie hinwegging mit Vergebung und Freude.

Also was thut dieses Weib, von dem wir lernen sollen? Nichts! sie thut gar nichts; sie übt die hohe und seltene und äußerst schwierige, echt weibliche Kunst: gar nichts zu thun, oder zu verstehen, daß man selbst gar nichts thun kann, um Vergebung zu finden. »Wie leicht!« ja, wenn nicht grade in der Leichtigkeit die Schwierigkeit läge. Einer erobert Städte und gilt für groß, aber größer ist, wer sich selbst überwindet; Einer setzt Alles in Bewegung um doch selbst etwas zu thun und erregt Aufsehen, aber wahrlich, größer ist vor Gott, wenn es sich um Vergebung der Sünde handelt, wer ganz stille bleiben kann, um gottesfürchtig Gott Alles thun zu lassen, indem er versteht, daß er in dieser Hinsicht selbst gar nichts zu thun vermag, da Alles, Alles, was der Mensch zu thun vermag, und wäre es das Herrlichste und Erstaunlichste, in dieser Hinsicht unendlich Nichts ist. Denn so ist es ja; auch wenn es etwas, menschlich geredet wirklich Gutes wäre, es trägt doch nicht das Mindeste auch nicht in entferntester Weise bei zur Erwerbung der Sündenvergebung, da es vielmehr in eine neue Schuld bringt, in die Schuld der Dankbarkeit für die unendliche Gnade, die obenein dies glücken ließ. Nein, bei Erwerbung der Vergebung der Sünden oder vor Gott vermag der Mensch gar nichts; wie sollte das auch möglich sein, da er ja auch im Geringsten nichts vermag außer durch Gott.

Endlich lernen wir von der Sünderin – zwar nicht direct von ihr, aber indem wir unsere Stellung mit ihr vergleichen – daß wir einen Trost haben, den sie nicht hatte.

Vielleicht möchte Jemand sagen, ja sie hatte es leicht die Vergebung ihrer Sünde zu glauben, sie hörte es ja aus Christi eigenem Munde. Daß ein Wort von ihm für alle Ewigkeit heilt – wie muß sie das nicht vernommen und empfunden haben, da sie das heilende Wort aus seinem eignen Munde hörte!

An diesem Punkte herrscht allerdings ein allgemeines Mißverständnis, daß man von der Einbildung betrogen sich die Sache nicht recht gegenwärtig macht, und daher vergißt, daß Gleichzeitigkeit mit Christus grade in einem Sinn das Glauben am schwierigsten machte. Aber freilich, wer dann trotz der Gefahren und Schwierigkeiten wirklich glaubte, der hatte auch vor jedem Späteren den Vorzug, das Wort aus Christi eigenem Munde zu hören, nicht so wie wir es im Allgemeinen lesen, daß in Christus Vergebung der Sünde ist, sondern er hörte es von Christus zu sich selbst gesagt, so daß kein Zweifel war: es gilt mir, ich bin gemeint, ich habe meiner Sünden gnadenvolle Vergebung – so wenig wie ein Zweifel daran sein konnte, daß es Jesu eignes Wort war.

Aber dann hat die Sache wieder eine andere Seite. Es giebt einen Trost, der noch nicht da war, während Christus lebte, den er also selbst nicht darbieten konnte: den Trost aus seinem Tode als der Versöhnung, als dem Pfand dafür, daß die Sünden erlassen sind. Während seines Lebens auf Erden ist Christus für seine Zeitgenossen wesentlich das Vorbild, obgleich er der Erlöser ist, und obgleich sein Leben schon Leiden ist, so daß man sagen kann, er trug auch in seinem Leben die Sünden der Welt; aber im Vordergrunde steht, daß er das Vorbild ist. Und das Christentum ist keine Lehre, bei der es gleichgiltig ist, wer sie verkündigt hat; es liegt grade der Nachdruck darauf, wer der Verkündiger ist und wie wahr sein Leben die Lehre ausdrückt. Daher zeigte sich auch, daß wenn Christus das Christentum verkündigt und als Vorbild dasteht, so kann es kein Mensch ganz mit ihm aushalten, sie fallen ab, selbst die Apostel.

Aber dann stirbt er und sein Tod verändert Alles unendlich. Nicht als verwischte sein Tod seine Bedeutung als Vorbild, nein, aber sein Tod wird der unendliche Trost, der unendliche Vorschuß, mit dem man nun zu streben beginnt. Daß unendliche Genugthuung geleistet ist, daß dem Zweifelnden, dem Verzagenden das höchste Unterpfand geboten wird – unmöglich ist etwas zuverlässigeres zu denken! Daß Christus gestorben ist um ihn zu retten, daß Christi Tod die Versöhnung, die Genugthuung ist! Diesen Trost hatte die Sünderin nicht. Sie hörte aus seinem eigenen Munde, daß ihre vielen Sünden ihr vergeben waren, das ist wahr, aber sie hatte nicht seinen Tod zu ihrem Trost, wie die Späteren. Denkst Du Dir die Sünderin in einem späteren Augenblick vom Zweifel angefochten, ob ihr nun wirklich ihre vielen Sünden erlassen sind, da würde sie, wenn sie es nicht wieder von ihm selbst hören könnte, Ruhe finden, indem sie Christus gleichsam sagen hörte: glaube es doch, Du hast es ja aus meinem eigenen Munde gehört. Wird dagegen Einer, der viele Jahrhunderte nach Christus lebt, von dem Zweifel angefochten, ob auch ihm seine Sünden vergeben sind, so wird er Trost finden indem er Christus gleichsam sagen hört: glaube es doch, ich habe ja mein Leben gelassen, um Dir die Vergebung Deiner Sünden zu erwerben; so glaube es doch, eine stärkere Versicherung ist unmöglich. Zu seinen Zeitgenossen kann Jesus nur sagen: ich will mich hingeben als ein Opfer für die Sünde der Welt, auch für die Deine. Ist dies nun leichter zu glauben, als wenn er es gethan hat, als wenn er sich hingegeben hat? Keine Liebe ist größer als die, welche ihr Leben hingiebt für einen Andern; aber wenn ist dies am leichtesten zu glauben und wenn ist der Trost am größesten? wenn er sagt: ich will es thun – oder wenn er es gethan hat? Nein, erst wenn Christus sich geopfert hat als Opfer der Versöhnung, erst da ist der Zweifel an der Vergebung der Sünden so unmöglich gemacht, ja so unmöglich, wie es geschehen kann, denn dieser Trost ist nur für den Glauben.

 

Außer für die Übersetzung mit ihren Kürzungen trage ich auch die Verantwortung für die Zusammenstellung, insbesondere dafür, daß die Rede über die Sünderin der ursprünglichen Sammlung vertauscht ist mit der etwas späteren »erbaulichen Rede« vom 12. Dec. 1850, wobei diese jedoch durch einige Sätze aus jener ergänzt ist. Sie ist von Kierkegaard nicht Beichtrede genannt, trägt auch nicht das Gepräge einer solchen – doch schien sie geeigneter diese kleine Sammlung abzurunden. Da die dritte Rede der ersten Abteilung an der Sorge über die Sünde vorübergeht als an zu Schwerem, mag die abschließende Rede grade von dieser Sorge sprechen. »Von der Kanzel soll wesentlich Christi Leben verkündigt werden, aber bei dem Altare sein Tod« – so thut ja auch diese Rede; sie redet von Christi Tod zu denen, die ihre Schuld sahen, da sie auf sein Leben achteten - oder da sie auf Lilie und Vogel achteten, die doch nur sinnbildlich einen Teil von dem ausdrücken, was sein Leben predigt.

Halberstadt, Karfreitag 1885.

A. B.


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