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[Vorwort]

Wer Walther Rathenaus Bedeutung ermessen will, wird immer genötigt sein, seine Persönlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen und diese zu allem, was er gesagt und getan hat, hinzuzuaddieren oder – denn auch diese Möglichkeit darf nicht ausgeschlossen sein – davon abzuziehen. So hat er es selbst gewollt. Wissenschaftliche Beweise für seine Konstruktionen hat er immer verschmäht, ihre Richtigkeit allein auf die Sicherheit seines Auges, seiner Phantasie, seiner Intuition gestützt. Er präsentierte sein Weltbild der Menschheit nicht als großer Intellektueller, der von Beweis zu Beweis, von Statistik zu Statistik, von Erfindung zu Erfindung eilt, sondern als Künstler, der das Ganze mit einem Ruck, eben als Ganzes, als Abbild einer einmaligen inneren Vision hinausstellt. Von innerlich erschauter Form geht bei ihm alles aus, in sie führt alles zurück und wächst dort organisch zusammen, wie ein Kunstwerk in den Sinnen, den Nerven, der Phantasie, der Persönlichkeit seines Schöpfers. Wie ein Künstler gibt Rathenau bewußt subjektive Wahrheit. Aber die Bedeutung und Wirkung solcher Wahrheit kann, wie er meinte, in der Tat tiefer sein als die von sogenannter objektiver Wahrheit; künstlerische Wahrheit ist oft künftige Wahrheit, schöpferische Wahrheit. Wenn sie noch nicht Wirklichkeit ist, kann sie Wirklichkeit werden. Es kommt dabei wesentlich mit an auf die Wucht und Überzeugungskraft der Persönlichkeit, die sich dahinterstellt. Was anekdotenhaft bei einem großen Gelehrten, Techniker, Industriellen neben seinem Werke steht, sein Leben und Charakter, ist bei Rathenau daher der Kern und Maßstab seines Wirkens. Es steht auch bei der Bewertung seiner Gedanken und Ziele notwendig im Vordergrund.

Und ebenso muß deshalb, weil Rathenaus Gedanken und Ziele aus erschauter Form entstanden sind und durch ihre Form ihre Überzeugungskraft für ihn gewannen, jede Darstellung, die Rathenau gerecht werden will, diese Form als wesentlich berücksichtigen und soweit möglich unberührt lassen. Popularisierende Darstellungen seiner Gedanken durch andere hat Rathenau immer höflich, aber bestimmt abgelehnt. Bewußt oder unbewußt leitete ihn dabei das richtige Gefühl, daß seine Gedanken und Gedankengebäude Kunstwerke seien, die man nicht ohne Schaden umgießen könne. Ich werde mich daher bemühen, überall Rathenau selbst zu Worte kommen zu lassen, im Bewußtsein, daß jede Übersetzung in seinem Fall noch mehr als sonst eine Fälschung sein muß.

Schließlich: Rathenau strahlt eine sonderbare Kühle aus; doch ihm gegenüber bleiben nicht Viele kühl: man muß ihn hassen oder lieben – oder auch zu gleicher Zeit beides. Das war sein Verhängnis im Leben, daß die kühle Abgeklärtheit, die er um sich verbreiten wollte, ihm als Liebe oder Haß wieder entgegenschlug. Aber daher erlebt der Betrachter ihn mit einer solchen durch den Affekt gesteigerten Deutlichkeit, daß seine Figur oft zu einer Halluzination wird, die den, der ihr zu nahe kommt, wie ein Golem in Besitz nimmt. Ich habe versucht, von dieser Vision hier nur die Klarheit des Umrisses festzuhalten, den Affekt auszuscheiden. Ob mir das gelungen ist, muß der Leser beurteilen. Aber wenn ich mir überlege, woher diese ungewöhnliche, oft fast beängstigende Wirkung Rathenaus kommt, so glaube ich, schon hier die Erklärung vorausschicken zu dürfen: Rathenau trug in sich Schicksal! Man fühlte ein geheimnisvoll und unerbittlich wie ein körperliches Organ in ihm Wirkendes, dem äußere Umstände bloß Stufen auf der Leiter zu einem innerlich geahnten und gefürchteten Ziele waren. Und Schicksal in diesem Sinne hat unter Millionen Einer!


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