Justinus Kerner
Geschichte des Mädchens von Orlach (1)
Justinus Kerner

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Am 2. Juli ging der Vater mit seiner Tochter morgens zwei Uhr auf die Wiese zu mähen. Als sie gegen sechzig Schritte vom Hause entfernt waren, sagte die Tochter: »Da schreit ja des Nachbars Knecht: ›Halt, Magdalene! Ich will auch mitgehen!‹« Der Vater konnte es nicht hören, aber der Tochter hörbar, schrie es noch einmal dasselbe und lachte ganz höhnisch dazu. Sie sagte: »Jetzt kommt er!« Da war es aber eine schwarze Katze. Sie gingen weiter, da sagte die Tochter: »Jetzt ist es ein Hund.« Sie gingen bis an die Wiese, da war es eine schwarze Fohle, aber der Vater und die andern Leute sahen es nicht, der Tochter aber blieb es von 2 bis 7 Uhr sichtbar, da wurde ihr das Mähen sehr mühsam.

Als sie am 5. Juli morgens drei Uhr wieder zum Mähen ging, rief ihr eine Stimme zu: »Magdalene! was ist denn das für eine, die als zu dir kommt?«, und lachte recht höhnisch dazu.

Auf einmal sagte die Tochter zum Vater: »Jetzt kommt etwas!« Da kam ein schwarzes Pferd ohne Kopf, sprang bald hinter ihr, bald vor ihr. Oft war es, als wäre der Kopf wie frisch abgeschnitten, daß man das Fleisch sah, oft war die Stelle am Halse vom Felle überzogen.

Mittags zwölf Uhr kam beim Heuwenden auf der Wiese ein schwarzer Mann zu ihr, ging mit ihr die Wiese auf und ab und sagte: »Das ist eine rechte Schachtelgret, die als zu dir kommt, was will denn diese? Dieser mußt du gar nichts antworten, das ist ein schlechtes Mensch, aber antworte du mir, dann geh ich dir den Schlüssel zum Keller unter deinem Hause. Da liegen noch acht Eimer vom ältesten Wein und viele, viele köstliche Dinge. An dem Weine könnte dein Alter noch lange bürsten, das ist auch was wert.« Dann lachte er höhnisch und verschwand.

Am 4. Juli morgens drei Uhr, als sie zum Mähen ging, kam ein schwarzer Mann ohne Kopf zu ihr und sagte: »Magdalene! hilf mir heute mähen, ich gebe dir für jeden Mahden einen Laubtaler. Wenn du sehen würdest, wie schön meine Taler sind, du würdest mir gewiß mähen helfen! Kennst du mich denn nicht? Ich bin ja des Wirts Sohn. Wenn ich wieder in den Bierkeller gehe, so gebe ich dir noch Bier dazu, wenn du mir mähen hilfst.« Immer lachte der Schwarze höhnisch zu solchen Worten. Er blieb eine Viertelstunde und sprach im Weggehen: »Du bist auch eine solche Schachtelgret wie jene (die weiße Geistin), die als zu dir kommt!«

Fünf Uhr kam er wieder als ein schwarzer Mann, trug eine Sense und sagte: »Dieses Stück will ich dir auch heruntermähen helfen, damit ihr eher fertig werdet, und sind wir fertig, dann gehest du mit mir, dann wollen wir zu der Schachtelgret, da gibt's recht zu fressen und zu saufen, aber freundlich mußt du mir sein, und eine Antwort mußt du mir geben. Gib mir jetzt nur deine Sense her, auf daß ich sie dir wetze! So! jetzt muß sie recht schneiden! Das Moos muß sie aus der Erde hauen und dazu viele schöne blanke Taler, wenn du mir antwortest.« Er blieb bis sieben Uhr um sie. Sie hatte diesen ganzen Tag nicht nötig, ihre Sense zu wetzen, sie blieb unverwüstlich scharf.

Mittags zwölf Uhr war der Schwarze wieder auf der Wiese mit einem Rechen in der Hand und sagte: »Ein rechter Taglöhner stellt sich mittags gleich ein.« Er wendete das Heu hinter der Magdalena nach und sagte immer unter die Arbeit hinein: »Gib mir doch Antwort, du Dumme! Dann hast du Geld genug; jede Antwort bezahle ich dir mit Schätzen, ich bin reich. Eine Messe, Magdalene! mußt du lesen lassen, damit es schön Wetter bleibt, es nützt dich alles nichts, eine Messe mußt du lesen lassen!« Dann lachte er wieder höhnisch und verschwand.

Das Mädchen ist, wie schon angeführt, lutherischer, nicht katholischer Konfession, es befinden sich auch keine Katholiken zu Orlach.

Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte eines Mönchs vor, wie er auch später erklärte, daß er im Leben ein Mönch gewesen. Am 5. Juli morgens, als die Tochter wieder auf der Wiese war, rief es mit der Stimme ihres Nachbars hinter ihr: »Magdalene! hast du keinen Wetzstein mitgenommen? Bin heute verkehrt ausgegangen; ich habe meinen Wetzstein daheim gelassen!« Die Tochter wandte sich um, doch ohne Antwort zu geben (was sie immer auf das standhafteste vermied, selbst jetzt, wann sie sicher zu sein glaubte, daß eine wirklich menschliche Stimme von ihr Antwort begehre), da stund der schwarze Mönch da und sagte weiter: »Nicht wahr, das ist doch schön, wenn man jedesmal wieder dahin darf, wo man gewesen ist? Ich glaube, du kennst die Leute nicht mehr. Das bedeutet deinen Tod, wenn du die Leute nicht mehr kennst. Siehe recht, ich bin ja dein Nachbar. Sage, was wollte denn dein Vater mit dem Buche machen, das er heute mitnehmen wollte? – Wollte er eine Messe lesen?« Und dann lachte er spöttisch. (Man hatte dem Vater den Rat gegeben, das Neue Testament mitzunehmen und, sobald die Erscheinung sich zeige, ihr diese Heilige Schrift hinzuhalten, aber es unterblieb des Regens wegen.) »Magdalene«, fuhr er fort, »du wetzest deine Sense nicht recht! Sieh! so auf den Boden muß man sich setzen und die Sense in den Schoß nehmen. Setze dich! Sieh, so wetze sie und antworte mir und sei freundlich, dann wirst du mit der Sense das Moos aus der Erde heraushauen und noch viele blanke Taler dazu. Halt, Magdalene! die Fliegen stechen dich (es war so), ich will dir die Fliegen wehren!« (Er wehrte ihr wirklich die Fliegen, und diesen ganzen Tag kamen keine mehr an sie, wie auch den ganzen Tag wieder ihre Sense, ohne daß man sie wetzte, schnitt.) Dann sagte er ferner: »Aber Magdalene! du mußt deinem Vater sagen, er soll mit dir nach Braunsbach gehen (einem katholischen Orte in der Nähe), da wollen wir dann eine Messe lesen lassen, daß das Wetter schön bleibt – aber antworten mußt du mir!«

Mittags halb zwölf Uhr an diesem Tage war der schwarze Mönch bei ihr schon wieder auf der Wiese. Er hatte einen Ranzen auf dem Rücken und trug in der Hand eine Sense, fing zu mähen an und sagte: »Magdalene! das ist eine Schande vor den Nachbarsleuten, wenn ihr so unsauber mähet. Sage, willst du nicht mit mir handeln? Gibst du mir nicht deine Sense, ich gebe dir da die meinige dafür? Sieh! dann gebe ich dir auch den Ranzen, den ich da auf meinem Rücken habe, der ist voll schöner blanker Taler, wie du noch keine gesehen. Die geh ich dir all noch dazu, aber antworten mußt du mir, und deinem Alten (dem Vater) darfst du nicht gleich sagen, daß ich da bin, sonst gehe ich sogleich wieder heim.«

Auf diese Rede sagte die Tochter sogleich dem Vater, daß der Mönch wieder da sei. Da ging dieser augenblicklich und rief noch im Gehen höhnisch zurück: »Geh auch mit mir heim, ich will Messe lesen lassen, daß das Wetter schön bleibt.«

Am 6. Juli morgens halb drei Uhr rief hinter ihr auf dem Felde die Stimme ihrer Magd: »Magdalene! du sollst schnell auf die Wiese zum Vater kommen! Wo gehst du hin? He! antworte!« Als die Tochter um sich sah, sah sie keine Magd, aber ein schwarzes Kalb, das sagte: »Gelt! diesmal hätte ich dich fast gefangen? Mit der Bibel kann mich dein Alter nicht fortschicken, das soll er sich von den Leuten nicht bereden lassen! Was Bibel! Narrheit! Die Mess' ist besser, ist vornehmer! Komm, Magdalene, mit mir nach Braunsbach, wir wollen Messe lesen lassen, daß das Wetter schön bleibt!«

Am 8. Juli morgens fünf Uhr kam er auf den obern Boden zu ihr, gerade als sie das Bett machte, und sprach hinter ihr mit der Stimme der Magd des Wirts im Ort: »Guten Morgen, Magdalene! Mein Herr und meine Frau schicken mich zu dir, du sollest mit nach Braunsbach gehen, sie wollen eine Messe lesen lassen, wie der Mönch geraten, damit das Wetter schön bleibt, und zwar eine um einen Gulden: denn diese ist besser als eine um achtundvierzig Kreuzer. Du sollst deinem Vater zureden, daß er auch eine um einen Gulden lesen läßt. Es ist auch viel wert, wenn man das Heu gut heimbringt, nicht wahr?« Sie war schon im Begriff, Antwort zu geben, als sie während der Rede das Betten einstellte und um sich sah und den schwarzen Mönch erkannte. Dieser lachte nun hell auf und sagte: »Hab ich dich nicht gefangen, so werd ich dich doch noch fangen. Sage deinem Alten, ich wolle ihm eine Messe um achtundvierzig Kreuzer lesen, die ebenso gut sein soll als die um einen Gulden.« Dann lachte er wieder und verschwand.

Um diese Zeit fand ihre Schwester und sie im Stalle auf einem Balken ein kleines Säckchen, das beim Herunterfallen klingelte. Sie öffneten es und fanden darin einige große Taler nebst Münzen, im ganzen eilf Gulden. Es war unerklärlich, wie dieses Geld an jenen Ort gekommen: denn den Leuten im Hause fehlte es nicht, und kein anderer Mensch wollte sich dazu melden. Da kam der schwarze Mönch und sagte: »Das gehört dein, Magdalene, und ist für die Ohrfeige, die ich dir einmal im Stalle gegeben. Das Geld habe ich von einem Herrn in H. genommen, der an diesem Tage um sechs Caroline betrogen hat. Magdalene, bedanke dich dafür!« Aber auch das konnte das Mädchen nicht zum Reden mit ihm bringen, und abends erschien ihr die weiße Gestalt und sagte: »Es ist gut, daß du ihm auf sein Gerede nicht antwortetest, und auch das Geld sollst du nicht behalten, sondern es den Armen geben.« (Man gab nun auch davon ein Drittel in das Waisenhaus nach Stuttgart, ein Drittel in die Armenpflege nach Hall und ein Drittel in den Schulfonds des Orts.)

Weiter sagte die weiße Gestalt: »Wenn du nächstens nach Hall kommst, so wandle in der Stadt fort, bis dich jemand ruft, der wird dir ein Geschenk an Geld geben, und dafür kaufe dir ein Gesangbuch.« Sie kam nun auch wirklich bald nach Hall, und als sie da durch eine Straße lief, ließ sie ein Kaufmann in seinen Laden rufen, fragte sie, ob sie jenes Mädchen von Orlach sei, worauf er sich ihre Geschichten erzählen ließ und ihr dann einen Gulden schenkte, um den sie sich dann auch sogleich ein Gesangbuch kaufte.

Am 10., als sie an einem abgelegenen Waldbrunnen das Vieh tränkte, kam der schwarze Mönch wieder zu ihr und sagte mit der Stimme ihres Nachbar Hansels: »›Diesmal hast keinen Boten bei dir, Hansel!‹ sagte dein Vater zu mir, ›sei doch so gut und gehe du meiner Magdalene nach, sie ist allein mit dem Vieh an dem Waldbrunnen, da könnte der schwarze Mönch zu ihr kommen und sie zu einer Antwort zwingen, und das könnte dem Mädchen großes Unglück bringen.‹ Da komm ich nun zu dir; nicht wahr, der Mönch ist nicht bei dir? Und nun will ich dir auch etwas sagen – bist du begierig was? – Gestern, als ich in deinem Hause war – nicht wahr, es war gestern? oder war es vorgestern? – und du meinen Buben auf den Arm genommen und in den Garten gingest, da hat dein Vater, als wir allein waren, recht über dich geschimpft und hat gesagt: ›Die Magdalene, die behalte ich nimmer daheim, die muß fort. Entweder muß sie in ein Nonnenkloster‹ – ist das nicht kurios von deinem Vater? –, ›Oder muß sie heiraten.‹ Das sagte dein Vater, aber ich konnte ihm nicht ganz unrecht geben. Was sagst du zu dem Nonnenkloster? Als ich Soldat war, war ich auch einmal in einem Nonnenkloster, da ist's nicht so übel, wie man meint. Ich will dir nur sagen, deine Freundin, des Wirts Tochter, will jetzt auch in ein Nonnenkloster. Willst du aber lieber heiraten? Rede! Willst du heiraten, so weiß ich dir einen rechten Kerl, wen meinst du? – Dann kannst du schaffen, was du willst. Willst du aber in das Nonnenkloster, so darfst du gar nichts schaffen; darum will des Wirts Catharine in das Nonnenkloster, die mag gar nicht schaffen. Heiratest du oder gehst du ins Nonnenkloster, so darfst du keine Garben mehr aufgeben. Diesen Abend will ich auch ein wenig kommen und euch Garben aufgeben. Seid ihr mit euren Garben fertig? He!« – Das Mädchen gab ihm keine Antwort: denn er konnte wohl seine Stimme verstellen, aber seine Gestalt nicht so, daß sie nicht den schwarzen Mönch in ihm erkannte, der nun auch wieder verschwand. Wie er aber gesagt, so half Nachbar Hansel (in wirklicher Person) ihr noch an diesem Abend Garben aufgeben, ohne zu wissen, daß sich der Schwarze nachmittags für seine Person am Waldbrunnen ausgegeben und jenes Versprechen in seinem Namen gemacht.

Am 12. Juli ein Viertel auf eilf Uhr erschien ihr wieder die weiße Frauengestalt. Sie fing zu beten an: »O Jesu, wann soll ich erlöset doch werden!« Dann sagte sie: »Du vermehrest meine Unruhe! Halte dich standhaft gegen die Anfechtungen des Bösen! Antworte ihm doch ja nie! Hättest du ihm eine Antwort gegeben, nur ein Ja gesagt, wäre das Haus plötzlich in Flammen gestanden: denn er ist es, der es schon mehrmals durch Feuer verdorben hätte, hätte nicht ich entgegengestrebt. Er wird dich immer mehr ängstigen, aber antworte ihm nie, spreche gegen ihn nie ein Wort!« – Sie sagte ihr hierauf auch, sie wolle ihr die Stelle zeigen, wo vormals das Nonnenkloster gestanden. Sie führte sie nun eine Strecke durch das Dorf und gab ihr da die Stelle an.

Am 15. Juli morgens, als sie ganz allein in der Stube war, kam der Schwarze zu ihr in Gestalt eines Bären und sagte: »Nun hab ich's getroffen, daß ich dich allein habe! Gib mir Antwort! Geld gebe ich dir genug! Warum gabst du jener (der Geistin) sogleich Antwort und die versprach dir kein Geld? Was hast du denn bei deinem erbärmlichen Leben? Nichts hast als Müh und Last vom frühsten Morgen bis in die späte Nacht, Stallkehren, Viehmelken, Mähen, Dreschen. Nur eine Antwort, und du bist reich und darfst dich um all den Plunder dein Leben lang nicht mehr kümmern! Nur eine Antwort, und ich plage dich nicht mehr, und jene Schachtelgret, die dir doch nur vorlügt und nichts gibt, kommt auch nicht mehr. Aber antwortest du mir nicht, so sollst du sehen, wie ich dich noch plage.«

Von jetzt an erschien ihr der Schwarze meistens in der drohenden Gestalt eines scheußlichen Tiers, eines Bären, einer Schlange, eines Krokodils, nicht mehr in Menschengestalt, versprach ihr bald Geld, bald drohte er ihr mit Martern. In ihrem Jammer hielt sie ihm mehrmals die Bibel entgegen, worauf er sogleich verschwand.


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