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Erster Akt

Münster. Rathausplatz. Gegen Abend.

Offene Vorhalle des Rathauses in gotischem Stil. Dahinter ein Platz, der in der Mitte von den Stufen und dem Portal einer Kirche abgeschlossen wird. Die Halle ist nach allen Seiten offen, nur links stößt sie an die Mauer des Rathauses. Eine schmale Tür führt in den Rathauskeller. Davor ein runder Tisch mit ein paar plumpen Bänken.

Während der Vorhang steigt, hört man das ferne Tuten von Kriegshörnern, wirren Lärm und Geschrei.

Zwei Gesellen mit Spießen kommen von rechts und pochen heftig mit den Schäften der Spieße gegen die Tür. Schweißtriefend, atemlos, freudig.

Erster Geselle. Auf! Heraus! Schenk!

Zweiter Geselle. Mach auf, Hannes!

Der Ratschenk erscheint im Tor, ein kahlköpfiger, schon etwas kindischer Greis.

Erster Geselle. Der Statthalter befiehlt –

Zweiter Geselle. Knipperdolling schickt uns –

Erster Geselle. Das große Faß Würzburger Stein sollst du anschlagen.

Zweiter Geselle. Jeder Bürger und Knecht soll einen tüchtigen Trunk vorfinden, wenn er von den Wällen kommt. So befiehlt Knipperdolling.

Der Schenk. Ihr Gesellen –? Ist es schon soweit? Mit kindischer Freude. Sind die Bischöflichen ins Laufen gekommen?

Erster Geselle. Wie eine Herde Säue, in die der Blitz schlägt.

Zweiter Geselle. Bis hinaus zu den Blockhäusern ist nichts als ein einziges Laufen. Mein Leben lang habe ich ein solch wüstes Laufen nicht gesehen!

Der Schenk bricht in ein kindisches Lachen aus, während er die Arme emporstreckt: Großer Gott über den Sternen!

Erster Geselle im Abgehen: Nun führen sie noch einen Haufen hessischer Knechte gegen das Martinitor heran.

Der Schenk. Es geht ein Gerücht, ihr Gesellen, König Johann sei verwundet?

Zweiter Geselle abgehend, lacht: Weißt du denn nicht, du Narr, daß keine irdische Waffe Johann auch nur die Haut ritzen kann?

Beide Gesellen schnell ab.

Der Schenk lacht kindisch und verschwindet in der Türe.

Bewaffnete, darunter Halbwüchsige und Knaben, eilten während der vorigen Szene über den Platz. Wehender, undeutlicher Gesang von Frauenstimmen war hörbar.

Divaraschön, mit pechschwarzen, glatten Haaren – betritt nun stürmischen Schritts, zuweilen rückwärts gehend, die Halle. In Raserei und Verzücktheit. Zuweilen tanzend. Ihr Kleid ist an den Schultern zerrissen. Schreiend, ein Beil in der Hand: Packt zu! In die Speichen! Frauen von Münster! Werft euch in die Räder!

Eine Rotte von Weibern, aufgelöst, halbnackt, schweißtriefend, aber fröhlich, lachend und singend, zerrt an Seilen eine Feldschlange auf plumpen Holzrädern über den Platz. Einzelne werfen sich in die Speichen. Es folgen Weiber mit Spießen, Äxten, Bündeln von Pechkränzen und Fackeln.

Die Weiber. Divara! Divara!

Divara. Wir wollen dem Bischof Franz den Abend segnen! Vorwärts, rascher! Weiber Zions! Seht, es läuft von selbst, das Geschütz, es springt, es tanzt. Sie zerrt selbst an einem Seil.

Die Weiber singen. Die Worte sind kaum vernehmbar, wie ein Singsang: Ein Liedlein will ich singen, o Herr zu deinem Preis ...

Während die Weiber das Geschütz vorüberrollen, erscheinen von rechts zwei Träger mit einer Bahre, auf der ein Verwundeter liegt, Jakob der Schmied. Er hält noch jetzt einen mächtigen Schmiedehammer in der Hand. Wie ein Schmied gekleidet. Sie wollen ihn durch die Halle tragen.

Der Schmied. Halt! Ich bin am Ziel! Sie stellen ab. Der Hammer entfällt seiner Hand. Er richtet sich auf.

Erster Träger schreit dem Sterbenden ins Ohr: Tüchtig hast du mit dem Hammer in sie geschlagen, Jakob!

Zweiter Träger schreit ins andere Ohr: Hast du noch etwas zu bestellen, Jakob? Bei den Kindern?

Der Schmied. Habe nichts mehr zu bestellen auf dieser Erden. Der Schenk bringt einen Trunk. Der Sterbende wehrt ab. Seine Augen sind visionär in die Weite gerichtet. War all mein Leben lang nichts als ein einfacher Hufschmied, o Herr! Nimm mich an in Gnaden, du – du mein Gott! – Ah! Ich sehe dich! Dein Glanz verbrennt mich wie Wollust! Hosiannah! Er stirbt.

Erster Träger. Heimgegangen ist der Schmiede-Jakob!

Zweiter Träger. Selig bist du, Bruder. Gebe Gott, daß ich dir bald folge in die Herrlichkeit!

Beide rasch ab.

Eine Gruppe von Männern tritt rasch in die Halle. Laut, lachend, erregt, etwas prahlerisch, mit Spuren eines harten Kampfes. Sie tragen Teile von Harnischen und Waffen der verschiedensten Art, einige sind verwundet. Sie werfen zum Teil die Waffen ab. Händeschütteln, Umarmungen, Küsse. Durcheinander: Brüder, Brüder! Münster! Es lebe Münster!

 

Rottmann, groß, ernst, würdevoll, früher Prediger in Münster. Redner und Sachverwalter am Hofe Johanns.

Tilbeck, früher Bürgermeister, klein, grau, Falkenkopf, Hofmeister Johanns.

Redecker, Handwerker, Hauptmann.

Gert tom Kloster, Handwerker, Hauptmann.

Bernhard Krechting, früher Pfarrer, Prediger Johanns.

Dusentschur, Prophet, fast nackt, Hose, zerfetztes Hemd, rote wirre Haare, barfüßig. Er hinkt etwas.

 

Dusentschur mit schriller Stimme, hin und her eilend: Den schwarzen Tod in den Rachen des Bischofs! Tod und Schweiß in den Rachen der Ungläubigen!

Krechting. Bischof Franz wird heute nacht böse Träume haben, Bruder Dusentschur. Die wilde Hölle wird ihn jagen, so wahr ich Bernhard Krechting heiße und früher Prediger im Gildehaus war.

Dusentschur fanatisch: So soll es in Zukunft allen ergehen, die sich vermessen, die Hand zu legen an die Mauern der heiligen Stadt Münster, die Gott auserwählt hat! Gottes Atem soll sie zu Asche verbrennen!

Rottmann erschüttert: Lobsinget dem Herrn! Preiset den Allgütigen! Mit einem Blick zum Himmel, betend. Vater im Himmel! Er bedeckt das Gesicht erschüttert mit den Händen.

Gert tom Kloster lachend: Bruder Dusentschur hat sie mit der Hand abgewürgt wie Katzen.

Redecker. Er war wie ein Würgengel Gottes in ihren Reihen.

Gert tom Kloster. Der Herr sei mir gnädig, ich möchte Dusentschur nicht vor den Wällen von Münster in Feindschaft begegnen.

Dusentschur feierlich, gläubig: Ich brauche keine Waffe! Der Herr ist meine Waffe!

Krechting. Ich habe Dusentschur bei den Vorwerken gesehen. In einem Haufen von bischöflichen Reitern. Dusentschur, beim Himmel, durch welches Wunder bist du wiedergekommen?

Dusentschur mit funkelnden Augen: So wahr ich Dusentschur bin, Goldschmied aus Warendorf – und habe viele Ketten geschmiedet – so will ich eine Kette schmieden und den Bischof Franz will ich binden und vor den Stufen von Gottes Thron will ich den Satan niederlegen!

Tilbeck schreit vor Freude, streckt die Arme zum Himmel: Geschlagen, geschlagen hat sie der Herr mit Roß und Wagen!

Rottmann. Du hast sie mit der Sense gemäht, Gert. Bist verwundet? Laß dich verbinden.

Gert tom Kloster. Ich habe sie gemäht wie das hohe Schilf, Bruder Rottmann. So, wie das Schilf. Er stellt die Sense in die Ecke. Laß das Blut nur fließen, es fließt zur Ehre Gottes.

Der Schenk bietet Wein an: Werte Herren und Freunde!

Gert tom Kloster. Gib Dusentschur einen Trunk. Schenk.

Dusentschur sofort erregt: Sauft wie die Schweine! Schwemmt euch den Bauch voll. Ihr könnt noch immer nicht von den heidnischen Gebräuchen lassen. Eher will ich verrecken wie ein räudiger Hund –

Gert tom Kloster lacht: Hast du je gesehen, Bruder Dusentschur, daß Schweine Wein trinken? Lachen.

Krechting. Wer liegt da?

Rottmann. Ihr Freunde! Einer unserer Brüder, der heimgegangen ist in das ewige Reich.

Sie scharen sich um den Toten.

Tilbeck. Jakob – der Schmiede-Jakob.

Redecker. Unser lieber Freund Jakob. Er wird kein Eisen mehr hämmern und keinen Spieß mehr schmieden.

Dusentschur. Freue dich! Ein Bote Münsters mehr im Himmel! Bringe den Gruß des neuen Zion in das himmlische Jerusalem, Bruder!

Rottmann verleugnet in diesem Augenblick nicht den Prediger: Bruder Jakob! Oh, Ihr Freunde! Er war der Getreuesten einer! Von Anfang an hat er für die köstliche Sache gewirkt. Ihr Freunde, die ihr erst später nach Münster gekommen seid – Bruder Gert, Dusentschur, Krechting – wie solltet ihr ermessen können, was er uns war? Steht in Trauer.

Tilbeck. Jahr für Jahr ging der Kampf hin und her zwischen den Parteien in der Stadt Münster, ehe Gott sie in unsere Hand gab. Es war ein jämmerliches und elendes Streiten und Gezeter unter den Bürgern, Gilden, Sippen, Familien. Hier Bischöfliche, hier Reformierte, hier wir – die Bruderschaft des Evangeliums. Der Himmel selbst konnte wahrhaftige Tränen weinen, so ging es in der Stadt Münster zu –

Redecker. Sie trieben uns mitten in der Nacht aus den Häusern und warfen uns ins Gefängnis.

Tilbeck. Bruder Jakob stellte sich als erster mit seiner Zunft auf unsere Seite. Ehre ihm! Ehre!

Rottmann. Gegen Recht und Vereinbarung hatte mir der Rat der Stadt, obschon freies religiöses Bekenntnis allen Bürgern verbrieft war, die Kanzel von St. Lamberti verboten, Brüder! Da kam er! Ja – du bist gekommen, Jakob, hast deine Gesellen um dich geschart und Wache gehalten in der Kirche, während ich das reine Evangelium verkündete. Ihr Freunde, kein Bischöflicher wagte sich heran! Gegen Recht und Gesetz verwies der Rat mich, Clopris, Stralen und Roll aus der Stadt – Roll selbst, unseren lieben Bruder – Roll, der jetzt als unser Gesandter in Holland weilt –

Einige. Roll! Roll!

Rottmann. Die Stadtknechte führten uns zum Servatiustor hinaus bis zum Siechenhaus. So geschehen im Januar bei so scharfem Frost, daß die Sperlinge tot aus der Luft fielen. Da ist wieder er gekommen – ja, Bruder Jakob, wiederum bist du mit deinen Gesellen gekommen und hast uns nach Münster zurückgebracht. Das war ein Geschrei und ein Gewoge und ein Triumph in den Straßen!

Tilbeck. Und ein mächtiger Prediger war er, unser Bruder Jakob, wenn der Geist über ihn kam. Predigte furchtlos, ob sie ihn auch mit dem blanken Schwerte bedrohten. Als einer der ersten hat er die Taufe genommen.

Rottmann. Wacker hast du geschmiedet an der Rüstung des lebendigen Gottes! Du hast den Ambos geschlagen und die Bälge getreten, bis die Funken emporsprangen über der Stadt Münster. Bis die Funken hinausstoben über das ganze münsterische Land und über die Erde dahinflogen!

Der Tote wird fortgetragen.

Knipperdolling erscheint mit mehreren Hauptleuten von rechts. Er trägt einen Kettenpanzer, eine Stahlhaube und ein riesiges Schwert. Schwert und Stahlhaube wirft er einem jungen Knecht zu. Er ist schweißüberströmt, das Gesicht geschwärzt und rußig. Ein mächtiger schwerer Mann, herkulisch gebaut, stets in prächtiger Laune. Brüllt außer sich vor Freude: Der Bischof geschlagen, Freunde und Kameraden! Geschlagen ist Bischof Franz! Er lacht laut und brüllend.

Alle. Knipperdolling! Knipperdolling!

Knipperdolling. Seiner fürstlichen Gnaden haben wir den Hinteren weidlich gegerbt, diesmal, und verdroschen, ihr Freunde! Und das Maul seiner Heiligkeit haben wir mit Stückkugeln gestopft, daß er das große Kotzen kriegte. Nun kann ich ruhig dahinfahren, wenn es sein soll.

Schenk. Wirst noch manchmal vor die Wälle gehen, Knipperdolling und ihnen die Geschütze vernageln!

Knipperdolling ergreift einen Humpen und macht mächtige Züge: Tod dem Bischof Franz von Iburg und Münster! – Tod dem Luther in Wittenberg, dem Heuchler und Fürstenknecht! – Tod den Ungläubigen, die Gott nur mit dem Maule und schönen Worten dienen. Alle: Tod! Tod! Schlage sie nieder, Herr! Er hebt den Humpen: Münster, die heilige Stadt. Leert ihn.

Alle durcheinander: Münster! Münster! Das neue Zion! Die heilige Stadt!

Knipperdolling wischt sich den Schweiß ab: Ich habe heute mehr Schweiß vergossen als Wasser in der Werse ist. Fast wundere ich mich, Freunde, daß das Wasser, das mir aus der Haut lief, die Bischöflichen nicht von den Wällen schwemmte. Zu Dusentschur, der auffällig unruhig um ihn herumging und nun mit gespreizten Beinen steht und ihn anstarrt: Weshalb glotzt du mich so an, Bruder Dusentschur! Gefalle ich dir nicht?

Dusentschur. Nicht dich glotze ich an, Bruder Knipperdolling, oberster Hauptmann des Königs. Sondern dein Panzerhemd glotze ich an. Bist ja gerüstet wie ein bischöflicher Feldoberst!

Knipperdolling gutmütig: Nichts kann man dir zu Gefallen tun, Dusentschur.

Dusentschur. Trage ich eine Rüstung? Trägt König Johann eine Rüstung? Nur die Heiden tragen Rüstungen und stählerne Schienen. Ich brauche auch kein Schwert, Knipperdolling.

Knipperdolling. Die Männer sind nicht alle gleich, Dusentschur. Der eine liebt es, in Hose und Hemd in die Schlacht zu gehen – der andere liebt es, mit eisernen Schienen und einem Schwert zu prahlen. Zu diesen gehöre ich, Dusentschur. Du weißt ja, Knipperdolling hat ein eitles Herz. – Freunde und Brüder, da mich Johann zum obersten Stadthauptmann eingesetzt hat – Dank euch für euren Eifer am heutigen Tage. Ich wüßte nicht zu sagen, wer von euch am tapfersten gestritten hat für die Sache Gottes. Fünf Angriffe haben die Bischöflichen unternommen, fünfmal haben sie sich an den Wällen die Schädel zertrümmert. Ein Gelächter für die Himmlischen, eine Freude dem Auge Gottes! Freunde! Es wird gemeldet, daß vierzig bischöfliche Offiziere und Hauptleute und sechshundert Knechte am Platz blieben. Bewegung. Rufe: Münster, Münster! Die Zimmergesellen haben am Jüdefelder Tor den bischöflichen Feldobersten Meinhard von Hamm und seinen Fähnrich gefangengenommen!

Einige. Meinhard von Hamm?

Andere. Her! Der Werwolf von Hamm!

Dusentschur. Her mit ihm, daß ich ihn mit meinen Händen in Stücke zerreiße!

Knipperdolling. Ich habe befohlen, daß man ihn ohne Verzug vorführe. – Zweihundert bischöfliche Knechte sind in unsere Gefangenschaft gefallen. Ich ließ sie in den Lambertifriedhof sperren und habe angeordnet, daß die Frauen sie bewachen.

Tilbeck schrill lachend: So ist es gewiß, daß keiner entkommen wird! Lachen.

Gert tom Kloster. So wahr ich lebe, ich möchte nicht gegen die Weiber von Münster kämpfen!

Knipperdolling. Auch ich nicht, Gert. Und niemand wird sagen, daß Knipperdolling die Hose voll hat, wenn geschossen wird.

Tilbeck. Ich sah sie am oberen Wall kämpfen, Brüder, ihr Brüder! Sie gossen den bischöflichen Knechten kochenden Kalk über die Hauben. Pechkränze warfen sie ihnen um die Hälse, daß die Bärte in Flammen aufgingen. Und mit brennenden Holzscheiten schlugen sie auf sie ein, daß die Funken spritzten.

Rottmann. Und Divara, Johanns Gattin? Habt ihr Divara gesehen?

Die meisten. Divara!

Rottmann. Sie stürzte mit ihren Weibern bis zu den Laufgräben vor und schlug mit dem Beil um sich. So wahr ich lebe, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Divara, die kaum ein Huhn schlachten kann!

Dusentschur mit Schärfe: Johann! Weshalb spricht niemand von Johann?

Knipperdolling besänftigend: Wir alle wissen, Dusentschur, daß Johann der tapferste und kühnste Streiter der Brüderschaft ist.

Tilbeck. In Wahrheit, er war überall!

Rottmann. Fast sieht es so aus, als habe er dreifache Gestalt angenommen im Kampfe. Wie ein Racheengel Gottes fuhr er dahin!

Dusentschur erregt: Ich aber sah es mit diesen meinen Augen: Die Knechte von Cleve schossen ein Geschütz auf Johann ab. Die Kugel fuhr auf Johann zu – dicht vor ihm aber sprang sie im Bogen in die Höhe.

Knipperdolling gutmütig spottend: Die Cleveschen haben wohl schlecht gezielt oder das Rohr war verbogen?

Dusentschur beachtet Knipperdolling nicht: Ich aber sah es mit diesen meinen Augen! Brüder! Glanz war in der Luft, wo Johann kämpfte. Und ein Gefunkel und Blitzen, wo er ging. Die himmlischen Heerscharen stritten an Johanns Seite.

Einige begeistert: Wahr! Wahr! Johann!

Knipperdolling. Freund Redecker, und auch du, Bruder Krechting, geht zu den Wallmeistern. Es gibt heute keinen Schlaf in den Quartieren. Die Wälle sollen ohne Verzug wieder instand gesetzt werden. Die hessische Kartaune hat mächtige Löcher geschlagen. Steine und Pech auf die Wälle und alle Wachen dreifach besetzt! Sagt: ich werde diese Nacht überall sein und Knipperdolling wird über sie kommen wie das sausende Wetter! Die jungen Burschen sollen unsere toten Brüder in die Stadt bringen, die Heiden aber sollen sie den Ratten zum Fraß lassen.

Krechting und Redecker ab.

Während der vorherigen Szene sind dann und wann Bewaffnete über den Marktplatz geeilt. Nun wird ein Mann, über dessen Kopf ein Sack gestülpt ist, über den Platz geführt. Der Verhüllte ist der Prophet Roll.

Rottmann. Halt, Freunde, wen bringt ihr hier?

Erster Knecht. Ein Bote von auswärts!

Zweiter Knecht. Ist König Johann hier? Er will König Johann sprechen. Die Torwache ließ ihm den Kopf verhüllen.

Knipperdolling. Führt ihn hierher! – Wer bist du? Was willst du?

Roll. Täusche ich mich nicht, so höre ich des lieben Knipperdollings Stimme.

Tilbeck. Er scheint deinen Baß ja gut zu kennen, Hauptmann!

Roll. Bist du es, Bruder Tilbeck?

Knipperdolling. Nehmt ihm den Sack ab!

Roll wehrt ab: Solltet ihr meine Stimme nicht mehr kennen? Staunen.

Dusentschur schreit: Roll! Roll!

Roll. Das war Dusentschur! Bruder Dusentschur!

Alle durcheinander: Roll? Ist es Roll? Ist es möglich? Roll!

Roll nimmt den Sack ab: Friede sei mit euch, Brüder! Er verbeugt sich tief.

Laute und freudige Begrüßung. Umarmungen, Küsse.

Alle durcheinander: Roll! Bruder! Willkommen! Willkommen in Münster! Roll ist ein mittelgroßer Mann von etwa 40 Jahren. Blaß, dünner Bart. Er ist die volkstümliche Christuserscheinung. Seine Stimme ist sanft, seine Gesten sind weich und beschwörend. Seine Augen schwärmerisch und von großer Güte. Sein Gebaren verrät auch jetzt noch den früheren Karmelitermönch.

Dusentschur gebärdet sich am unsinnigsten: Macht Platz für Bruder Roll! Er ist müde und bestaubt. Bruder Roll ist heimgekehrt! Die lichten Engel Gottes haben ihn auf ihren Händen getragen! Macht Platz für den Geliebten! Führt ihn an der Hand zum Tisch.

Roll. Erlaubt, daß ich die Lippen netze. Zwei Nächte und zwei Tage bin ich auf den Beinen, ohne zu ruhen.

Knipperdolling. So sage eines, Roll, wie bist du durch das bischöfliche Lager gekommen?

Roll. Der Bischof hat die Bauern aufgeboten, die Verwundeten in die Dörfer zu fahren. Auf solch einem Bauernwagen kam ich ins Lager. Es ist eine solche Verwirrung im Lager draußen, daß jeder kreuz und quer gehen kann, ohne daß man ihn beachtet.

Alle durcheinander: Erzähle, Roll. Berichte! Wo warst du? Wo kommst du her? Wie steht es draußen?

Roll. Laßt mich Atem holen, Freunde. Ich war in Köln, ich war in Lüttich, ich war in Groningen, ich war in Amsterdam, ich war in Leyden, ich war in Friesland, in Bremen, ich war im Lübeckschen.

Knipperdolling. Bei allen Teufeln, Heinrich, bist du geflogen?

Roll. Oft schien es mir, als trügen mich Fittiche dahin. Habe wenig geschlafen in den drei Monaten.

Krechting. Berichte! Wie geht es in der Brüderschaft?

Roll mit leuchtenden Augen und zitternder Stimme: Ich bringe so gute Nachrichten, daß ich zittere, soll ich berichten. Gottes Gnade ist mit uns.

Alle durcheinander: Brüder! Sprich, Roll. Unendlich ist die Gnade des Herrn.

Roll. So laßt mich mit den betrüblichen Nachrichten beginnen, Freunde. – In Herzogenbusch, ihr Freunde, wurde ein Zug unserer Brüder von den Reitern des Herzogs von Geldern umzingelt und niedergemacht. Bewegung. In Amsterdam wurden sechs unserer Brüder enthauptet. Der Rat von Amsterdam ließ ihre Köpfe auf Speere stecken und am Hafen aufstellen, so daß alle Schiffe, die ein- und ausfahren, die Köpfe unserer armen Brüder sehen müssen.

Alle verhüllen das Antlitz: Wehe!

Dusentschur. Räche! Räche! Rott aus! Rott aus!

Roll schwärmerisch: An anderen Orten aber hat Gott uns in Gnaden aufgenommen. Aus Köln, aus Cleve, Jülich, Holland, Friesland sind unsere Brüder in großen Scharen unterwegs mit Pferden und Wagen, Frauen und Kindern. Von Amsterdam sollen dieser Tage zwölf Schiffe abgehen.

Rottmann leise: Herrlich erstrahlst du in deinem Glanze, Gott im Himmel.

Roll. Viele Tausende habe ich selbst getauft und ihre Seelen dem Heil zugeführt. Das Werk der Propheten und Prediger, die Johann aussandte, war gesegnet. In Harlem sah man feurige Männer durch die Luft fliegen und viele Brüder und Schwestern nahmen dort die Taufe. Länder und Städte erbeben unter dem Hauche des Evangeliums. Wie ein Feuer breitet sich die Lehre des Heils über die Länder aus. Die Verstocktesten brechen in Tränen aus und die Sündigsten fallen in die Knie und flehen um Erleuchtung. Der Sieg der reinen Lehre wird offenbar! Alle Länder ringsum sind in heller Erregung. Die Städte Deventer und Telgte sollen in der Hand unserer Brüder sein, so hörte ich. Wunder geschehen. Männer und Frauen und Kinder sprechen mit prophetischen Zungen. Die Bäume blühen allerorts zum zweitenmal. Emphatisch: Und weit über das Münsterische Land sieht man den Stern leuchten, der jede Nacht über Münster funkelt.

Jubel: Münster! Münster!

Roll zieht einen Beutel aus dem Wams: Und hier! Von den Brüdern und Schwestern! Ringe und Geschmeide der Bauern und Bäuerinnen, der Zimmerleute, Tuchweber, Schuhmacher, Zinngießer. Ohrgehänge, Ketten, Goldgulden, Spangen und Schnallen. Wirft den Beutel auf den Tisch. Hätte ich alles tragen können, was sie gaben, so wäre es ein großer Sack geworden. Die Brüder wollen uns auf ihren Wagen Kleider und Schuhe bringen, Leder, Fässer voll Pulver und Blei, Säcke voller Korn, alles was die Stadt Münster brauchen kann. Tausende von Rindern wollen sie mit sich treiben auf den Landstraßen. So gelobten sie.

Alle jubeln durcheinander: Bruder Roll! Münster! Münster!

Ein Bote laut: König Johann bittet dich, Bruder Roll.

Knipperdolling. Gehe, Roll. Johann sieht es nicht gerne, daß wir Nachrichten früher erhalten als er. Geleitet ihn!

Tilbeck zu einem Gesellen, der rasch in die Halle tritt: Was bringst du, Freund?

Geselle. Der bischöfliche Feldoberst Meinhard von Hamm!

Knipperdolling. Ihr Freunde! – Führt ihn hierher!

Dusentschur. Tummele dich, Geselle!

Rottmann. Wahr und wahrhaftig, heute ist Münsters großer Gnadentag!

Ein Haufe von Gesellen (Zimmerleute) bringen Meinhard von Hamm und seinen Fähnrich Graf Wenzel von der Langenstraaten in die Halle. Meinhard ist ein Mann von etwa 50 Jahren, grau, entschlossenes hartes Gesicht, dünnes Schnurrbärtchen, Fliege, kleines Spitzbärtchen. Im Harnisch, ohne Haube. Er ist ohne jede Furcht.

Wenzel, sein Fähnrich, ist ein hübscher, junger, zarter Mann von knapp 19 Jahren. Er ist völlig erschöpft und kreidebleich. Beiden sind die Hände lose mit langen Stricken gefesselt. Mit fröhlichem, nicht bösartigem Lärm treiben die Gesellen sie mit ihren Spießen in die Halle.

Die Gesellen. Vorwärts, ihr Herren! Munter! Munter!

Alle wenden sich den Gefangenen zu und empfangen sie mit lautem Gelächter; durcheinander: Der Meinhard von Hamm! Wie er leibt und lebt. Der große Meinhard. Der Werwolf von Hamm.

Dusentschur geht mit verkrampften Händen auf Meinhard zu: Es gibt Täufer zu köpfen und zu brennen! Man hält ihn zurück.

Tilbeck. Schön willkommen, Ritter Meinhard, in Münster.

Knipperdolling. Hat dich der Teufel auf einer Stückkugel auf den Rathausplatz von Münster getragen, Meinhard?

Gert tom Kloster. Hole einen Sessel aus der Ratsstube für den Ritter, Hannes. Gelächter.

Meinhard betrachtet die Täufer hochmütig und furchtlos.

Meinhard. Ihr Hanswürste! Ihr könnt mich alle zusammen –! Das könnt ihr.

Großes Gelächter.

Knipperdolling. Ein männliches Wort, Meinhard. Es ist uns jetzt nur die Zeit etwas knapp. Wir sind gesonnen, ein kurzes Gespräch mit dir zu führen, Meinhard. Du kennst mich doch wohl noch? Oder bist du zu stolz geworden, seit dich der Bischof zum Feldobersten gemacht hat?

Meinhard. Ich bin ja oft genug im Jahr nach Münster geritten. Damals warst du noch nicht „Königlicher Statthalter“, Knipperdolling. Damals hast du noch Barchent und Tuch und Leinwand verkauft und dein Laden war am Prinzipalmarkt.

Knipperdolling. Er ist heute noch da, Meinhard. Nur gibt es nichts mehr zu kaufen dort. Es wird bei uns nicht mehr gefeilscht und gehandelt um Geld und gewuchert. Du weißt ja, daß wir alles gemein haben in der Stadt Münster. Das Tuch und Linnen habe ich an die Brüderschaft gegeben, und wir haben Hosen, Wämser und Hemden daraus geschnitten.

Meinhard. Ihr habt ja einen solch gewaltigen Schneider in der Stadt!

Dusentschur. Schlag ihn auf sein großes Maul, Knipperdolling!

Gert tom Kloster. Schmäh’ das Handwerk nicht! War nicht Christus ein Zimmermann?

Meinhard hat Dusentschur voll Erstaunen gemustert: Ist es möglich? Nun erst erkenne ich das Männchen da wieder. Der Goldschmied Dusentschur aus Warendorf. War ein stiller Mann, der den Tag über nicht zwei Worte sprach und immer fleißig in der Werkstatt saß. Die Werkstatt war voller Käfige mit kleinen Singvögeln. Noch vor einem Jahr hast du mir für meinen Schwager eine goldene Kette geschmiedet.

Dusentschur. Die Kette, die ich dir heute schmiede, wird nicht aus Gold sein!

Meinhard. Und der Graue da? Ist mir der Pulverdampf in die Augen getreten? Tilbeck, früher Bürgermeister –

Tilbeck. Recht gesehen, Meinhard.

Meinhard. Und da, der Prediger Bernhard Rottmann, der „Stuttenbernt“?

Rottmann etwas hochmütig: Wir haben uns zuletzt bei der Versammlung in Telgte gesehen, Meinhard. Damals, erinnerst du dich, mit Betonung als der Bischof allen Bürgern von Münster freies religiöses Bekenntnis verbriefte.

Meinhard. Wer sollte Bernhard Rottmann nicht kennen? Den gewaltigen Prediger vor dem Herrn. Erst war er Mönch, ihr Herren, bei den Dominikanern, dann wurde er ein großer Freund Luthers und ging nach Wittenberg. Ich habe dich noch predigen gehört, Rottmann, hier zu Münster, da hast du gepredigt gegen die Täufer und Propheten, daß dir das Maul schäumte!

Rottmann. Daß dich die Lüge nicht gereut, Meinhard!

Meinhard. So etwas hört man nicht gerne. Damals ging es noch um Hals und Kragen. Es gab noch eine Obrigkeit in Münster, Rat und bischöfliche Kommissare. Und heute sehe ich dich selbst unter den Täufern und Propheten. Bernhard Rottmann ist selber ein Prophet geworden! Er lacht auf. Vielleicht wirst du noch einmal Muselmann werden, wenn es noch eine Weile dauert.

Rottmann bleich und zornig: Schweige! Die Schlange spricht aus deinem Hals!

Knipperdolling lacht: Sachte, Bruder Rottmann. Er kann es nicht lassen, das große Maul. Von jeher war es bekannt, daß Meinhard von Hamm das größte Maul im ganzen Münsterlande hat. Auch jetzt spuckst du noch große Bogen, ganz als ob du dreihundert bewaffnete Knechte bei dir hättest. In anderem Ton. Meinhard, wenn die Sterne am Himmel aufgehen, wird dein eitles, törichtes Herz nicht mehr schlagen, das sagt dir Knipperdolling. Er setzt sich.

Meinhard ist eine Sekunde erbleicht, faßt sich aber sofort wieder: Es ist noch keiner aus Münster lebendig herausgekommen, das weiß ich wohl.

Knipperdolling. Du hast die Brüderschaft verfolgt und gehetzt wie der Hund die Hasen, du weißt es!

Empörtes Geschrei der Täufer. Knipperdolling wehrt ab.

Meinhard. Ich werde nicht flennen, wenn ihr mir den Kopf abschlagt. Tu mit mir, Knipperdolling, was du willst. Tu mit mir, was ich tun werde, wenn du einmal in meine Hände fallen solltest! Sein Auge glüht.

Knipperdolling voller Achtung, verbeugt sich: Das ist ein Wort, Meinhard!

Meinhard. Du hast ja eine große Fertigkeit im Köpfen bekommen, hört man im Münsterland sagen, Knipperdolling. Eins aber will ich dir sagen, Knipperdolling, Statthalter und Kanzler des Königs Johann, eines sage ich dir: Der Bischof hat Käfige schmieden lassen aus dicken Eisenstangen. Ich habe sie gesehen, sie stehen bereit im bischöflichen Feldlager. In diese Käfige – das hat der Bischof geschworen – wird er dich sperren, Knipperdolling, Johann und seinen Anhang – und er wird euch wie wilde Tiere durch das münsterische Land führen, durch Köln, Holland, Friesland, Brandenburg.

Gelächter.

Tilbeck. Der Bischof soll sich in acht nehmen, daß wir ihn nicht im Käfig auf die Wälle stellen – wie ein gefangenes Eichhörnchen – damit die Knechte im Lager etwas zu lachen haben! Lachen.

Gert tom Kloster. Wir werden ihm eine Mütze auf den Kopf setzen, daß man das Gesicht nicht mit seinem Hintern verwechselt.

Meinhard. Wüßtet ihr alles, ihr Herren, was ich weiß, so würde euch vielleicht der Spott vergehen.

Knipperdolling wechselt Blicke mit den andern: Nun, so rede nur, Meinhard, wir hören. Wir lernen gerne etwas dazu, sind nicht so hoffärtig. Hannes, gib dem Ritter einen Trunk!

Meinhard trinkt: Auf den Sieg des Bischofs, ihr Herren!

Geschrei: Schelm, schamloses Maul.

Meinhard. Soll ich etwa auf den Sieg Johanns trinken? Das verlangt ihr wohl nicht.

Knipperdolling. Verschwätze deine Zeit nicht, Meinhard. Die Sterne werden bald aufgehen.

Meinhard. Ein Wort noch in Freundschaft, Knipperdolling. Zum Dank für den Trunk will ich dir eins geloben: wenn du einmal in meine Hände fällst, so sollst du einen vollen Humpen haben, bevor ich dich an den Galgen knüpfe. Knipperdolling lacht laut auf. Den Angriff heute habt ihr abgeschlagen. Den nächsten Sturm aber werdet ihr nicht mehr bestehen.

Knipperdolling. Du wirst es ja nicht mehr miterleben.

Meinhard. Der Bischof hat Sendboten an die evangelischen Fürsten gesandt, und sie haben ihm ihre Hilfe zugesagt. Bewegung.

Tilbeck. Wem willst du das weismachen?

Rottmann. Der Bischof wird sich nie und nimmer an die evangelischen Fürsten wenden! Es war von jeher das Bestreben des Bischofs, Münster wieder zu einer katholischen Stadt zu machen.

Meinhard. Glaubt oder glaubt nicht, was ich sage. Es steht bei euch. Vom Herzog von Geldern sind zwölf Feldschlangen und sieben Feuermörser unterwegs, dazu achthundert Knechte. Sie stehen schon bei Wesel. Lachen.

Gert tom Kloster. Und acht Wagen mit Pulver vom Erzbischof in Köln. Aber bei Lüdinghausen haben die Unserigen sie euch abgenommen und heute habt ihr schon das kölnische Pulver gerochen.

Tilbeck. Willst du den Robert von der Eichen begrüßen, Meinhard? Gestern kam er mit fünfzig Knechten aus dem Lager in die Stadt und bat um Quartier.

Meinhard. Ich will das Galgengesicht nicht sehen. Glaubt mir, ihr Herren, nicht alles Pulver werdet ihr abfangen, und wir haben Pulver für ein ganzes Jahr im Lager. Ihr aber habt mühselig ein paar Tonnen in Mainz und Paderborn gekauft und heimlich hereingebracht. Ihr habt Salpeter aus Ställen und Mistgruben gewonnen. Darum, Knipperdolling, gib die Sache auf, bevor die evangelischen Fürsten mit dem Bischof gemeinsame Sache machen.

Knipperdolling lacht laut und belustigt.

Meinhard. Es ist wahr, ihr Herren, ich gebe es gerne zu, der Bischof sieht die Evangelischen nicht gerne im Lager. Die Belagerung hat die Kassen des Bischofs geleert und der Fehlschlag heute wird ihn schwer bedrücken. Es wäre ja immerhin möglich, daß er das Verlangen hätte, dem Handel ein Ende zu machen und sich bestimmen ließe, sich mit euch zu vergleichen. Vielleicht vermöchte ich es, den Bischof dazu zu bewegen? Schicke mich ins Lager, Knipperdolling, ich will es versuchen.

Knipperdolling. Ja, jetzt habe ich gehört und verstanden. Lacht laut heraus.

Alle unter Gelächter: Luchs! Fuchs! Dachs! Wolf! Werwolf!

Meinhard. Ich bürge mit meinem Wort als Edelmann: Wenn die Sonne aufgeht, bin ich wieder in Münster.

Gelächter.

Tilbeck. Das Wort eines Edelmannes ist heute keinen Hühnerdreck mehr wert im deutschen Land.

Gert tom Kloster. Denke an Zabern und die achttausend erschlagenen Bauern.

Knipperdolling. Prächtig hast du deine Rolle durchgespielt, Meinhard. Ei, ei, was für ein Fuchs bist du doch. Aber deine Ohren sehen meilenweit durch den Busch. Du solltest uns nicht für einfältig halten.

Meinhard sieht, daß er ausgespielt hat: Ich sehe schon, Knipperdolling, der Satan hat dich geblendet, daß du blind in dein Verderben rennst. Euch alle, ihr Herren –

Knipperdolling erhebt sich entschlossen und zornrot: Sieh zu, Dusentschur, ob nicht schon ein Stern am Himmel steht.

Meinhard. Eins will ich euch noch sagen: Der Bischof hat geschworen, die ganze Christenheit aufzubieten, wenn es sein muß, um euch zu vernichten, ihr Tempelschänder und Weiberknechte ...

Geschrei: Schamloser! Freches Maul! Unverschämter! Schlagt ihn nieder! Sie stürzen sich ihm entgegen. Plötzlich aber lassen sie ab.

König Johann erscheint, gefolgt von seinen Trabanten. Ein Page trägt sein Schwert.

Johann trägt eine Art Kutte aus Sackleinwand. Arme und Füße sind zum großen Teil nackt, ebenso der Hals und ein Teil der Brust. Er sieht aus wie ein Zimmergeselle. Dünnes Kinn- und Lippenbärtchen. Sein Gesicht ist schlicht, aber ungewöhnlich klar in den Linien, fast edel. Seine Augen glänzen, auch auf seinem Gesicht liegt in besonderen Augenblicken Glanz. Er lächelt selten, dann eigentümlich, zuweilen gespenstisch. Seine ganze Haltung ist voller Würde und großer Schlichtheit. Seine Stimme ist metallen, zuweilen aber auffallend sanft und singend. Er erweckt manchmal den Eindruck eines Schlafwandlers. Er ist 25 Jahre alt.

Johann betritt die Halle. Hinter ihm Roll. Volk sammelt sich an.

Johann. Friede sei mit euch! Er verneigt sich.

Alle. Friede sei mir dir, Johann! Sie verbeugen sich tief. Das Zeremoniell der Täufer ist so, wie wenn Bauern höfisches Zeremoniell nachahmten, würdig und schlicht.

Johann betrachtet den martialisch aussehenden Gefangenen. Mit einem Lächeln zu den Genossen: Heute nacht träumte ich, ein Wolf kam in meine Stube. Ich wollte auf ihn losgehen, um ihn zu erwürgen, da erschien eine weiße Taube und setzte sich auf meine Hand. – Hier ist er ja, der Wolf. Er geht zu Meinhard und betrachtet ihn wieder. Meinhard ist betreten und verwirrt. Gott möge dir gnädig sein, du Ärmster der Armen! Mit diesem Antlitz wirst du nie die Schwelle des Paradieses überschreiten!

Meinhard weicht zurück.

Johann betrachtet Wenzel: Führt den Knaben da zu den Frauen. Er soll Schüsseln fegen und Teller waschen. Wenzel wird abgeführt, wieder betrachtet er Meinhard.

Meinhard hat seine Fassung wiedergefunden. Herausfordernd: Bist du Johann Bokelson!

Johann. Dies ist mein Name.

Meinhard. Der Schneidergeselle aus Leyden?

Johann. Das Schneiderhandwerk ist mein Gewerbe.

Meinhard. Also bist du es. Man sagt, du seist der Sohn einer Hure. Bewegung.

Johann betrachtet Meinhard voller Verachtung. Gott vergebe meiner armen Mutter ihre Sünden. Sie war nur ein schwaches Weib.

Meinhard. So also sieht er aus, der Verführer des Münsterlandes – der Antichrist! Ein Schneider König der Christenheit! Lacht laut auf.

Dusentschur. Tod dir! Ich habe ihn gesalbt zum König über Zion auf Befehl des allmächtigen Gottes!

Johann besänftigt Dusentschur durch eine Bewegung: Löst ihm die Fesseln! Es geschieht.

Murren. Stimmen: Johann! Was tust du?

Knipperdolling. Laß ihn fester binden, Johann! Laß ihn zusammenschnüren, daß ihm die Adern platzen.

Johann erstickt das Murren mit einem Blick. Plötzlich, ganz unvermittelt, verwandelt sich Johann. Er tritt zurück und mißt den Gefangenen mit flammenden Blicken. Kennst du die letzte Verordnung des Bischofs über die Täufer?

Meinhard. Wer sollte alle bischöflichen Verordnungen kennen? Seine Räte haben nichts anderes zu tun, als mit den Federn zu kratzen.

Tilbeck. Man soll sie greifen wie Vögel in der Luft, soll sie mit Hunden jagen wie die Hasen ...

Rottmann. Wenn ein Täufer widerruft, so soll man ihn köpfen. Widerruft er nicht, so soll man ihn verbrennen!

Johann mit flammenden Augen: Was der Bischof Franz kann, das kann Johann auch. Widerrufe und ich köpfe dich. Widerrufe nicht, und ich will dich verbrennen. Lachen.

Meinhard. Habe ich die Kirchen geplündert, Johann?

Johann. Ich kann dir die Zunge ausschneiden, so wie es der Bischof getan hat an meinen Boten, die in seine Hände fielen und nicht sprechen wollten.

Meinhard. Habe ich die heiligen Sakramente der Taufe und Ehe geschändet? Was redest du da? Habe ich die heidnische Vielweiberei eingeführt? Habe ich mich aufgelehnt gegen Obrigkeit und Gesetz?

Johann. Hoffärtiger! Ich kann deinen Kopf auf eine Stange stecken auf dem Wall, daß man ihn weithin sieht. So wie es der Bischof getan hat in der verflossenen Woche an meinem Bruder Dietrich Dettner, den seine Wachen anhielten.

Meinhard. Habe ich die göttliche Ordnung von Herrn und Knecht umgeworfen und den Knecht dem Herrn gleichgesetzt? Habe ich Arm und Reich gleichgemacht? Auch dein Kopf, Johann, wird bald auf einer Stange getragen werden! Dein Ende wird noch viel schrecklicher sein, Johann, das prophezeie ich dir!

Johann. Es wird geschehen, wie Gott es beschlossen hat. – Ich kann auch ein Gespenst aus dir machen, Hochmütiger. Wo ist Bruder Hänslein? – Tritt vor, Bruder Hänslein.

Hänslein tritt langsam, voller Furcht, in die Halle. Er ist ein menschliches Gespenst, irrsinnig, die Augenränder zerfressen. Er trägt nur ein schmutziges Hemd und ist zu einem Skelett abgemagert. Sein Anblick ist so entsetzlich, daß Meinhard einen Schritt zurückweicht.

Johann. Sieh ihn dir an, Meinhard. Der Bischof hat ihn zwei Jahre im Turm gehalten zu Iburg. Als er noch ein Mensch war, hieß er Hänslein von Langenmantel und war zuletzt Rektor der gelehrten Schule zu Schmalkalden. Zu Hänslein. Habe keine Angst, Hänslein. Niemand wird dir hier etwas zuleide tun. Streichelt ihn. Sage dem Herrn dein Sprüchlein auf, Hänslein.

Hänslein mit einem irren Lächeln, im Singsang, mit bebender dünner Stimme:

Lag also in dem tiefen Turm,
Der war voll Ungeziefer und Wurm.
Der Würmer und Ungeziefer Hauf,
Die taten mir meinen Trinknapf auf.
Solchen Gestank ich auch annahm
Von der Fäulnis, die ich bekam,
Daß niemand konnt’ bei mir bleiben stehn.
Meine Augen, die konnten nimmer sehn

Er wird verwirrt und stottert:

Den Tag und nicht der Fackel Schein –
            Ehre sei Gott in der Höhe!

Johann. Sei bedankt, Hänslein. Hast dein Sprüchlein gut aufgesagt. Er streichelt ihn, Hänslein ab.

Pause.

Johann. Du kannst nun wählen, Meinhard.

Meinhard. Mache jetzt ein Ende, Johann! Haue mich in Stücke, wenn du willst. Hänge mich zwischen zwei Hunden auf. Aber mach’ ein Ende.

Johann bleich, in großer Erregung: Wo sind unsere Brüder hingekommen? Die Erde hat das Blut der Täufer in Scheffeln getrunken, die Flüsse wurden rot von ihrem Blut. Unsere Brüder Denk und Hirt und Blaurock?

Tilbeck. Erschlagen und ertränkt in Basel und Konstanz.

Johann. Und Münzer, den Gott erleuchtete?

Rottmann. Hingerichtet in Frankenhausen!

Johann. Und unsere Brüder Wagner, Bader, Hubmeyer, Groß, Sattler, Rink, Hoffmann, die Gott zu seinen Propheten erwählt hatte?

Dusentschur. In Stücke gehauen, verbrannt zu Augsburg, Salzburg, Klausen, Straßburg!

Johann. Der schwäbische Bund jagt sie wie Wild. In der Pfalz hat Ludwig durch seinen Schergen Dietrich von Schönberg wohl vierhundert schinden lassen. In Bayern läßt der Kurfürst sie in Scharen erschlagen. In Tirol haben ihrer tausend den Flammentod erlitten.

Alle. Wehe! Wehe! Himmlischer! Räche! Räche! Rott aus! Rott aus! Vernichte! Sie wollen sich auf Meinhard stürzen, Johann hält sie zurück.

Johann. Die Hölle hat sich aufgetan gegen die Brüderschaft und will sie verschlingen. – Und weißt du, weshalb, Junker? Hoffärtiger? Ich will es dir sagen! – Weil wir das Evangelium erfüllen mit der Tat und Handlung und nicht mit dem Wort und der Lippe. Wie Papst, Luther und Fürsten, evangelische und katholische es tun. – Höre aber, Junker Meinhard! Gott läßt durch meinen Mund verkünden: Es ist genug! Stille. Es ist genug und Gott will Frieden stiften auf Erden. – Hatte der Junker ein Schwert? Gebt es ihm zurück!

Einige. Johann!

Knipperdolling. Das kann ich nicht billigen, Johann.

Johann sieht ihn verwundert an.

Dusentschur. Knipperdolling, ein Stern, ein Stern über Münster!

Knipperdolling. Ich habe geschworen, daß der Junker sterben muß, wenn die Sterne aufsteigen.

Johann. So sei vorsichtiger mit deinen Eiden und warte, bis ich befehle, Bruder Knipperdolling.

Knipperdolling. Wenn du ihn gehen läßt, Johann, so wird er wiederkommen, so wahr ich lebe!

Johann. Laß Legionen wiederkommen – ich fürchte sie nicht! Mit der Hand fege ich sie über die Wälle.

Alle begeistert: Johann, Johann!

Johann. Gehe, Meinhard. Gehe zum Bischof. Sage ihm: Nicht Johann von Leyden führt das Schwert in Münster, sondern Gott der Allmächtige selbst. Gott hat dem Bischof heute ein Zeichen gegeben, er möge wohl darauf achten! Sage dem Bischof: Christus ist abermals auferstanden, um sein reines Wort über die Erde zu verbreiten. Die Menschen sollen nicht länger Wölfe sein, die sich zerfleischen. Die Hölle ist auf die Erde gekommen und die Blutbrunst der Menschen ist heute furchtbarer als die der wilden Tiere.

Alle. Wahr, wahr. Johann! Oh wahr! Wehe! Wehe!

Johann. Aber Gottes Langmut hat ein Ende gefunden! – – Sage dem Bischof, ich lasse ihm melden: Der Morgenwind hat sich erhoben! Bald wird der Sturmwind blasen! Wehe, wehe, den Schläfern! Nicht Purpur, nicht Kronen werden gezählt werden. Wie Daniel sagt, Gott ist mehr an seinem Volke als an den Tyrannen gelegen. Die falschen Priester, die Gott mit der Lippe und schönen Worten dienen, sie werden dahinfahren. Die Könige werden ihre Kronen hinwerfen und die Bischöfe ihre Hüte. Aber es wird zu spät sein! Sage ihm – ich, Johann von Leyden – ich bin der Bote, der ausgesandt ist, dem Herrn den Weg zu bereiten.

Alle. Johann! Johann!

Johann. Sage ihm das, Meinhard. So hat Gott es befohlen. Und kein Heer, kein Geschütz wird mich aufhalten auf meiner Bahn. Ich werde ein Feuer anzünden auf dieser Erde, das nicht mehr erlöschen wird. Siehe, schon erhebt sich der Sohn Gottes von seinem Thron, um abermals niederzusteigen auf diese Erde. Morgen wird er in seinem Glanze über die Erde fahren und das tausendjährige Reich seiner Herrschaft errichten – so wie er es verkündete.

Alle begeistert: Johann! Johann!

Stille.

Johann. Gehe jetzt. Ihr Gesellen bürgt mir für sein Leben! Gert geleite ihn zum Tore.

Knipperdolling aufgebracht: Johann, du wirst es bereuen.

Johann. Gott allein befiehlt, Knipperdolling.

Meinhard lacht: So habe ich mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen, Johann – daß du wahr und wahrhaftig vom Satan besessen bist! – Drohend. Wir sehen uns wieder, ihr Herren! Ab.

Knipperdolling. Hörst du, Johann, hörst du? Er verläßt entrüstet die Halle.

Johann zu allen gewandt: Liebe Brüder und Schwestern! Haben wir nicht einen starken Gott? Der hat uns geholfen! Seien wir fröhlich und guter Dinge!

Alle. Hosiannah! Hosiannah!

Dusentschur in Verzückung: Heilig, heilig ist der Herr Zebaoth und alle Länder sind seiner Ehre voll.

Die Frauen im Hintergrund singen freudig und berauscht, während der Vorhang fällt. Die Worte sind kaum verständlich. Wie ein Wehen ist der Gesang.

Singet dem Herren mit Schalle
Ihr Völker und alle Land ...


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