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Zweites Kapitel.
Die kriegerischen Wiedertäufer.

1. Die Unruhen zu Münster.

Später als im Süden Deutschlands begann im Norden die Reformationsbewegung sich zu entwickeln und die Klassengegensätze jener Zeit zu entfesseln. Zum großen Teil ist dies der ökonomischen Rückständigkeit des deutschen Nordens zuzuschreiben; in jenen Gebieten des Nordwestens aber, die weiter fortgeschritten waren, wurde die Reformationsbewegung gehemmt durch die Nähe der habsburgischen Niederlande, von denen aus Karl V. auf die Grenzdistrikte einen ganz anderen Einfluß üben konnte als auf die anderen Teile des Reiches.

Die Bauern kamen im Norden überhaupt nicht in eine allgemeine Bewegung; die Ereignisse des Jahres 1525 in Süd- und Mitteldeutschland fanden bei ihnen kein Echo, teils deswegen, weil sie noch besser gestellt waren als ihre Brüder in Oberdeutschland, teils auch, weil die einzelnen Landschaften noch mehr voneinander abgeschlossen waren, der Verkehr unter ihnen geringer als im dichter besiedelten Süden.

Nur zwei Seiten der Reformationsbewegung sind in Niederdeutschland zur Geltung gekommen, die fürstliche und die städtische. Wie im Süden, äußerte sich auch im Norden die städtische Reformation in einer Verschärfung und akuten Zuspitzung einerseits des Gegensatzes zwischen der städtischen Bürgerschaft und dem ihre Freiheit und Unabhängigkeit bedrohenden Fürstentum, andererseits des Gegensatzes zwischen den Zünften und dem Patriziat. Aber die Analogie mit dem Süden geht noch weiter: Die Kämpfe zwischen diesen Klassen konnten nicht ausgefochten werden, ohne daß auch die unterste städtische Bevölkerungsschicht, die Masse, die nicht imstande war, sich zünftig zu organisieren, in Bewegung geriet und, wo die Verhältnisse ihr günstig waren, anfing, eine selbständige Politik zu treiben.

Die berühmteste und mächtigste unter den norddeutschen Städten, die in der Reformationsbewegung eine Rolle spielten, war die alte Hansastadt Lübeck.

Der patrizische Rat stellte sich dort auf die Seite der bestehenden Autorität, der katholischen Kirche; die Demokratie machte die Sache des »Evangeliums« zu der ihren. 1530 errang sie durch einen Aufstand den Sieg über Patriziat und Kirche. Die Verfassung wurde im demokratischen Sinne geändert, das Kirchenvermögen von der Stadt eingezogen. Aber dieser Sieg war nur errungen worden durch eine Vereinigung der Zünfte mit der Masse der »gemeinen« Leute. Der Führer im Kampfe und der vornehmste Vertreter dieser Vereinigung war Jürg Wullenweber, der 1533 Bürgermeister von Lübeck wurde. Angesichts der Tatsache, daß er sich auf den gemeinen Mann stützte, ist es begreiflich, daß er auch Sympathien für die Wiedertäufer an den Tag legte. Das geschah so offen, daß, als er Herr der Stadt wurde, in Deutschland das Gerücht ging, Lübeck sei für die Sache der Wiedertaufe gewonnen worden. Ob und inwieweit Wullenweber wirklich täuferischen Ansichten huldigte, ist jetzt nicht mehr festzustellen. Zu einem praktischen Erfolg haben es die Anabaptisten in Lübeck nicht gebracht und ebensowenig in irgend einer der anderen norddeutschen Städte, in denen sie zahlreich vertreten waren.

Nur in einer Stadt hatten sie vorübergehenden Erfolg, dank einem eigenartigen Zusammentreffen von Umständen, – in Münster.

Der Nordwesten Deutschlands war besonders reich an geistlichen Fürstentümern: Köln, Münster, Paderborn, Osnabrück, Minden, Bremen. Von diesen Staaten waren das Erzbistum Köln und das Bistum Münster weitaus die bedeutendsten.

Die sozialen und politischen Gegensätze erhielten in den geistlichen Fürstentümern eine eigenartige Färbung. Der Landesherr vereinigte in seiner Hand die Machtmittel der Kirche mit denen des Staates. Aber er war nichts weniger als ein absoluter Fürst. Viel abhängiger von Kaiser und Papst als ein weltlicher Herr, war er gleichzeitig auch mehr ein Werkzeug als ein Beherrscher des Adels und der Geistlichkeit in seinem Gebiet. Die Wahl der Bischöfe hatten überall die Domkapitel an sich gerissen, und diese, wie die höheren und einträglicheren Stellen im Klerus überhaupt, waren ein Privilegium des Adelsgeworden (in Münster seit 1392). Adel und Geistlichkeit waren daher durch eine innige Interessengemeinschaft verbunden, und sie waren dem von ihnen gewählten Landesherrn gegenüber viel mächtiger als in weltlichen Territorien. Die Landstände hatten demnach in den geistlichen Fürstentümern mehr zu sagen als in den anderen, in den Landständen dominierten aber Adel und Geistlichkeit, wenn sie vereinigt waren. Die Städte wurden stets überstimmt, die kleinen unter ihnen herabgedrückt, die großen auf den Weg der Selbsthilfe verwiesen.

Der Adel und die höhere Geistlichkeit hatten bei diesem Stande der Dinge am meisten zu verlieren, sie hielten daher fest am alten Glauben; viel lieber teilten sie die ungeheuren Reichtümer, welche die Kirche in den geistlichen Fürstentümern zusammengerafft hatte, mit der römischen Kurie, als daß sie ganz auf sie verzichtet hätten.

Unsichere Kantonisten waren dagegen die Bischöfe. Nur zu leicht erlagen sie der Versuchung, die das Beispiel ihrer weltlichen Nachbarn bot. Der Übertritt zum Luthertum versprach ihnen die Unabhängigkeit vom Papst, der sie schwer besteuerte, ein freieres Verfügungsrecht über die Kirchengüter und größere Macht über den Adel. Es ist demnach gar nicht auffallend, daß die Bischöfe Münsters, wie andere ihrer Kollegen, der evangelischen Lehre nur halben Herzens entgegentraten, ja nicht selten sie unter der Hand begünstigten.

Als Bernt Rothmann 1531 in dem Münsterschen Vorort St. Mauritz in lutherischem Sinne zu predigen anfing, da wandte sich vergebens das Domkapitel an den Bischof Friedrich mit der Bitte, er solle den Unfug verhindern. Der Bischof verbot zwar Rothmann das Predigen, tat aber nicht das mindeste, dem Befehl Nachdruck zu verschaffen, und Rothmann predigte unbekümmert weiter. Erst ein kaiserlicher Befehl veranlaßte den Bischof, Rothmann auszuweisen (im Januar 1532). Rothmann verließ St. Mauritz, aber nicht, um dem Lande den Rücken zu kehren, sondern um die Münsterländische Kirche in ihrem Zentrum anzugreifen: er verlegte seine Predigten nach Münster selbst.

Münster war eine reiche und wohlbefestigte große Stadt, die Hauptstadt nicht nur des Bistums, sondern ganz Westfalens. Die Demokratie erwies sich daselbst als besonders stark. Ursprünglich war der Rat, wie in jeder mittelalterlichen Stadt, ausschließlich in den Händen der Markgenossen, der Patrizier, in Münster Erbmänner genannt, gewesen. Als aber Handel und Gewerbe aufblühten und die Zünfte zu Macht und Ansehen gelangten, da eroberten sie sich schließlich auch den Zugang zum Rat. Dieser wurde fortan jährlich durch zehn Wahlmänner (Korgenoten) gewählt, die von der gesamten Bürgerschaft ernannt waren. Nur die Hälfte der vierundzwanzig Ratsherren mußte aus den Patriziergeschlechtern genommen werden. Aber die Besorgung der städtischen Geschäfte war bereits eine Angelegenheit, die mehr Zeit und Kenntnisse erforderte, als einem Manne aus dem Volke in der Regel zugänglich waren. Die zwölf der gemeinen Bürgerschaft zugestandenen Ratsitze fielen daher immer wieder auf Mitglieder einiger weniger wohlhabenden Familien, aus denen sich nach und nach eine zweite städtische Aristokratie entwickelte, minder vornehm als die der Erbmänner, aber durch Interessengemeinschaft mit ihr verbunden.

So bildete sich nach und nach der Rat wieder zu einer ausschließlichen Vertretung der städtischen Aristokraten aus, die zum Teil von ihren Renten, von der Verpachtung ihrer Grundstücke, zum Teil auch vom Handel lebten. Aber neben dem Rat behauptete sich die Macht der Zünfte oder Gilden. Siebzehn Gilden gab es in Münster. Jede von ihnen besaß ihr eigenes Gildehaus und regierte sich nach eigenen Satzungen. Das Schohaus Der Name wird sowohl mit »Schauhaus« als auch mit »Schuhhaus«, Schusterhaus, übersetzt. war der Mittelpunkt der gesamten zünftigen Bürgerschaft. In der Fastenzeit, kurz nach der Ratswahl, kamen dort die vierunddreißig Gildemeister zusammen und wählten die zwei Alderleute. »Diese,« sagt ein Münsterscher Geschichtsschreiber aus jener Zeit, »sind die Häupter und Vorsteher der ganzen gemeinen Bürgerschaft, und ihr Ansehen ist so groß, daß sie, samt den Gildenmeistern, die Beschlüsse des Rates umstoßen können, wenn sie wollen. Daher der Magistrat in wichtigen und das Wohl des gemeinen Wesens betreffenden Dingen ohne die Einwilligung erwähnter Vorsteher des Volkes fast nichts beschließen kann.« H. v. Kerssenbroick, Geschichte der Wiedertäufer zu Münster, nebst einer Beschreibung der Hauptstadt dieses Landes, 1771, I, S. 98. Wir kommen auf diese in den sechziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts abgefaßte Schrift noch zurück.

In friedlichen Zeiten freilich ließ man den Rat meist nach Belieben gewähren. Aber kam es zu einem Konflikt der Gemeinde mit dem Rat oder mit der Geistlichkeit, da schwand das Ansehen des Rates rasch dahin. Das hatte sich, wie schon früher, so namentlich deutlich 1525 gezeigt. Das gewaltige Ringen in Oberdeutschland ging nicht spurlos an Niederdeutschland vorbei. Allenthalben in den Städten regte sich der gemeine Mann; wie in Köln, kam es auch in Münster zu einer Bewegung gegen die Geistlichkeit, die in gewaltsamen Aufruhr umschlug, als der Rat der Bewegung entgegenzutreten suchte. Das Volk erhob sich und ernannte einen Ausschuß von vierzig Männern, der die Forderungen der Gemeinde in sechsunddreißig Artikeln formulierte. Sie betreffen nicht religiöse, sondern ökonomische Fragen und zeigen, daß die Zünfte die Bewegung beherrschten.

Einige dieser Artikel, die charakteristisch für die Bewegung sind, seien hier angeführt:

»5. Keine Geistlichen, sie seien von welchem Orden sie wollen, weder Priester noch Mönche, noch Nonnen, noch Vikare der Weltgeistlichen sollen sich mit Handel abgeben, noch irgend ein weltliches Geschäft betreiben, weder Ochsen fett machen, noch Leinwand weben, noch Korn dörren; sie sollen deshalb alle zu diesen Verrichtungen erforderlichen Werkzeuge, die sich entweder in den Klöstern oder in den Häusern der Geistlichen befinden, sofort freiwillig veräußern oder gewärtig sein, daß das Volk sie derselben beraube.

»6. Kein Geistlicher soll von heute an von öffentlichen Stadtabgaben frei sein.

»7. Sowohl die geistliche wie die weltliche Obrigkeit soll ihren Untertanen in den Dörfern verbieten, innerhalb zwei Meilen von der Stadt irgend eine Hantierung zu treiben und zum Nachteil der Bürger Bier zu brauen oder Brot zu backen« usw. Kerssenbroick, a. a. O., I, S. 121.

Es handelte sich also bei diesem Aufruhr nicht um Aufhebung aller Privilegien, sondern nur um Ersetzung pfäffischer Privilegien durch zünftige.

Die Artikel wurden vom Rat angenommen, die Domherren selbst unterzeichneten einige derselben; aber zu ihrer vollen Durchführung kam es nicht. Der Zusammenbruch der oberdeutschen Erhebung brachte auch die niederdeutsche Bewegung zum Stillstand, indes er gleichzeitig die Kräfte der siegreichen Fürsten zur Hilfe für ihre nordischen Genossen freisetzte. Es kam (27. März 1526) zu einem Vergleich zwischen dem Bischof und dem Domkapitel auf der einen Seite und der Stadt auf der anderen, der die Rechte des Klerus wiederherstellte, wofür dieser auf Buße und Sicherstellung gegen jede künftige Unbill verzichtete.

Damit war die Ruhe wiederhergestellt. Aber die Opposition der städtischen Elemente, namentlich der städtischen Demokratie gegen den reichen, privilegierten und ausbeuterischen Klerus, dauerte fort. Durch die gewaltige Katastrophe von 1525 waren die Massen in Bewegung gekommen, die bis dahin der Reformation nur wenig Interesse entgegengebracht hatten (und das gilt nicht für Münster allein, sondern für ganz Niederdeutschland), und die Sache des Evangeliums fand nun freudige Aufnahme bei ihnen. Geistliche kamen an die Spitze der Bewegung, und diese, die ursprünglich rein ökonomisch gewesen, begann sich religiöser Argumente zu bedienen und anscheinend eine rein religiöse Bewegung zu werden. Das ist eine Erscheinung, die uns in der Reformationszeit häufig begegnet und die ihre Analogie in modernen bürgerlichen und proletarischen Bewegungen findet.

Die Ursache davon scheint uns nicht schwer auffindbar zu sein. Solange es sich bei einer sozialen Bewegung nur um vereinzelte Augenblicksforderungen handelt, liegt deren ökonomische Natur klar zutage. Aber je mehr sie sich vertieft, je umfassender sie wird, je mehr sie die ganze Gesellschaft, das ganze Gemeinwesen umzugestalten sucht, um so mehr gilt es, zwischen den einzelnen Forderungen, die man aufstellt, ein geistiges Band herzustellen, um so mehr fühlen sich alle Denkenden gedrängt, sich über die Endziele jener Bewegung klar zu werden, deren erste Etappen die Augenblicksforderungen darstellen, und desto mehr fühlen sie sich veranlaßt, diese Forderungen aus einem höheren allgemeinen Prinzip zu erklären. Je geringer die ökonomische Erkenntnis der Zeit und je weitergehend die Bewegung, um so mystischer gestalten sich dann in der Regel Argumente und Theorien der Bewegungsmänner, um so leichter verlieren diese das Bewußtsein der ökonomischen Grundlage ihrer Agitation. Handelt es sich bei einer Bewegung etwa nur um Freihandel oder geringe Steuern, oder um kurze Arbeitszeit und hohe Löhne, da liegt auch für den Kurzsichtigsten der ökonomische Kern klar zutage. Wird aber die Bewegung zu einem allgemeinen Klassenkampf des Bürgertums oder des Proletariats gegen die bestehende Gesellschaft, da verschwindet bei nicht genügender theoretischer Einsicht der ökonomische Kern fast völlig; es handelt sich nur noch um ewige Gebote des Naturrechts, der Vernunft, der Gerechtigkeit usw. In der Reformationszeit war die allgemeine Denkform nicht juristisch, sondern theologisch. Eine soziale Bewegung mußte daher in ihren Äußerlichkeiten um so theologischer werden, um so mehr mit dem Willen Gottes, mit dem Wort Christi und dergleichen hantieren, je umfassender und radikaler sie wurde.

Die demokratisch-protestantische Bewegung in Niederdeutschland erhielt besonderen Anstoß im Jahre 1529. Damals brach eine furchtbare Teuerung aus, die mehrere Jahre lang währte. Wie Sebastian Franck in seiner Chronika berichtet, herrschte sie noch 1531, als er dies Buch herausgab. An einzelnen Orten kostete ein Scheffel Roggen im Sommer 1529 3½ Schilling, im nächsten Sommer 9 Schilling. 1531 stiegen die Preise noch mehr. In Dortmund hatte 1530 der Scheffel Roggen 5½ Schilling gekostet, 1531 war der Preis auf 14 Schilling gestiegen! Hand in Hand mit der Hungersnot ging eine verheerende Seuche, der sogenannte englische Schweiß.

Und dazu kam noch der Türkeneinfall, der auch Niederdeutschland insofern in Mitleidenschaft zog, als es zur Zahlung einer Kriegssteuer, der Türkensteuer, herangezogen wurde. Je weniger das Land von den Türken selbst zu fürchten hatte, desto mehr mußte angesichts der allgemeinen Notlage diese Steuer erbittern, die nicht allzu niedrig bemessen war. In den Ländern des Herzogs von Cleve betrug sie 10 Prozent vom Einkommen!

Alles das mußte die vorhandenen sozialen Gegensätze ungemein verschärfen, namentlich den Gegensatz der Demokratie gegen den reichen Klerus, der sich der Besteuerung nur zu leicht zu entziehen wußte, und dem es in seiner kurzsichtigen Habsucht nicht einfiel, irgend ein freiwilliges Opfer zu bringen.

In dieser Situation fanden die Predigten des schon erwähnten Bernhard Rothmann einen günstigen Boden. Als er im Januar 1532 von St. Mauritz nach Münster zog, wurde er von der dortigen Demokratie mit offenen Armen aufgenommen und gegen jede Vergewaltigung geschützt. Aus der demokratischen Partei ragte damals am meisten hervor der reiche Tuchhändler Bernhard Knipperdollinck, »ein stattlicher Mann, noch jung von Jahren, mit schönem Haar und Bart, tapfer, freimütig und von kräftigem Wesen in Aussehen, Gebärden und Handlungen, voller Anschläge, geschickt zur Rede und rasch zur Tat« (Cornelius), hartnäckig und tatenlustig, mit einem Hang zum Abenteuerlichen.

Es kam der emporstrebenden Demokratie sehr zu statten, daß eben um die Zeit, als sie in der Verteidigung Rothmanns eine Kraftprobe hätte ablegen müssen, die klerikalen Machthaber durch innere Angelegenheiten in Anspruch genommen waren. Diese sind charakteristisch für das Kirchenwesen jener Zeit.

Bischof Friedrich war ein bequemer Herr. Das Bischofsamt gefiel ihm, solange es wenig Mühe verursachte und viel Geld einbrachte. Jetzt, als sich die Schwierigkeiten für die Kirche häuften, als Papst, Kaiser und Domherrn immer mehr auf eine energische Politik des Bischofs zur Verteidigung der gefährdeten Kirche drängten, wurde ihm der Bischofsstuhl verleidet; er sah sich nach einem Nachfolger um, der ihm das bischöfliche Geschäft um einen guten Preis abnahm, und fand ihn endlich in Bischof Erich von Paderborn und Osnabrück, einem ebenso ländergierigen wie zahlungsfähigen Herrn, der gern die Gelegenheit ergriff, zu den beiden bischöflichen Geschäften, die er betrieb, noch ein drittes zu erwerben. Der katholische Erzbischof von Köln und der lutheranische Kurfürst von Sachsen bildeten die Vermittler bei dem kirchlichen Handel – ob sie Kommissionsgebühren erhielten, ist unbekannt. Der Kaufpreis wurde auf vierzigtausend Gulden festgesetzt. Durch einen groben Betrug gewannen die ebenso frommen wie hohen Herren die Einwilligung des Domkapitels: diesem wurde statt des echten ein Scheinvertrag vorgelegt, in dem als Kaufsumme bloß die Hälfte des wirklichen Betrages angegeben war. So handelten dieselben Leute, die später gegen die Wiedertäufer Religion, Moral und Eigentum verteidigten.

Im Dezember 1531 war Erich zum Bischof provisorisch gewählt worden. Nachdem er die Kaufsumme bezahlt, legte Friedrich seine bischöfliche Würde nieder (März 1532).

Während dieses Provisoriums gedieh lustig die Ketzerei in Münster. Aber auch der Amtsantritt des neuen Bischofs beeinträchtigte sie nicht sehr. Er fühlte sich mehr als Landesherr, denn als Bischof, die Verbreitung der lutheranischen Lehre war ihm noch weniger unangenehm als seinem Vorgänger. War er doch mit dem Kurfürsten Johann von Sachsen – seinem Vermittler beim Kauf des Bischofsstuhls – und mit dem Landgrafen Philipp von Hessen, den beiden Häuptern der evangelischen Bewegung in Deutschland, eng befreundet. Und er nahm so wenig Anstand, seine protestantischen Sympathien an den Tag zu legen, daß er bei der Trauung des Grafen von Tecklenburg mit einer aus dem Kloster ausgetretenen Nonne als Zeuge fungierte!

Die Erwählung dieses Bischofs stärkte die protestantische Sache in Münster ungemein, sie führte aber auch zur Entzweiung der Protestanten. So sehr Erich der Reformation zuneigte, so doch nicht der Reformation von unten, sondern nur einer Reformation von oben, einer Reformation, welche die Macht des Landesherrn und nicht die der Demokratie auf Kosten der Kirche erhöhte.

Gegenüber dem Klerus und dem Rittertum suchte Erich eine Stütze im städtischen Patriziat, im Rat von Münster und dessen Anhang. Beide zusammen bildeten eine »gemäßigte« Partei, die mit dem Luthertum kokettierte.

Die städtische Demokratie hatte sich auch der lutheranischen Lehre zur Begründung ihrer Tendenzen bedient, solange alle ihre Gegner katholisch gewesen waren. Jetzt drohte das Luthertum aus einer Waffe der Demokratie eine Waffe der gefährlichsten Gegner der Demokratie, des Bischofs und der Patrizier, zu werden. Von da an begann die Demokratie ihre Sympathien für die Luthersche Lehre zu verlieren und sich dem Zwinglianismus zuzuwenden, der ihren Bedürfnissen am besten entsprach.

Am wichtigsten erschien es nun Erich und dem Rat, mit der städtischen Demokratie fertig zu werden. Bei diesem Beginnen war ihnen die Hilfe des Klerus gewiß. Am 17. April 1532 erließ der Bischof ein Mandat, in dem er eine baldige Reform der Kirche in Aussicht stellte, zunächst aber verlangte, daß der Geistliche entfernt werde, den die Gemeinde eigenmächtig angenommen. Der Rat erteilte daraufhin Rothmann den Befehl, seine Predigten einzustellen. Aber die Gemeinde fügte sich nicht. Sie erklärte am 28. April, sie werde ihren Prediger unter allen Umständen behalten.

Abermals zeigte sich der Zufall der Demokratie günstig. »In der Tat,« schreibt der gut bischöfliche Kerssenbroick, »würde dieser rechtschaffene Bischof durch seine eigene Autorität und den Beistand seiner Freunde vieles in dieser Sache ausgerichtet haben, wenn er nicht durch einen frühzeitigen Tod daran gehindert worden wäre. Denn da er auf seinem Schlosse zu Fürstenau, in dem Stift Osnabrück gelegen, sich mehr als gewöhnlich lustig machte, soll er krank geworden, oder wie andere wollen, nachdem er einen großen Becher Wein ausgeleeret, den 14. Mai plötzlich gestorben sein.« Kerssenbroick, a. a. O., I, S. 204.

Dies Ereignis war das Signal zum Aufruhr in allen drei Bistümern, die der nun so selig im Weingeist Entschlafene bei Lebzeiten bedrückt und ausgepreßt hatte. In Osnabrück, Paderborn und Münster erhob sich das Volk, verjagte die katholischen Geistlichen und setzte protestantische nach seinem Sinne ein. Der Rat war nirgends imstande, der Gemeinde Einhalt zu tun. In Osnabrück kam es durch Vermittlung der Ritterschaft zu einem Vergleich zwischen der Geistlichkeit und der Stadt. Paderborn wurde im Oktober 1532 vom Erzbischof Hermann von Köln mit Gewalt niedergeworfen. In Münster dagegen wußte sich der Aufruhr zu behaupten.

Das Domkapitel hatte sofort einen Nachfolger für Erich gewählt, Franz von Waldeck. Am 28. Juni kam von diesem ein Schreiben in Münster an, das die Stadt aufforderte, zum Gehorsam zurückzukehren. Die Versammlung der Erbmänner erklärte sich zum Gehorsam bereit. Die Versammlung der Gilden dagegen beschloß am l. Juli die Begründung eines Bundes zum Schutze des Evangeliums. Ein revolutionärer Ausschuß von sechsunddreißig Mann wurde eingesetzt, der den Stadtrat so erschreckte, daß dieser sich ihm anschloß, am 15. Juli, und die Forderungen der Gemeinde bewilligte. Der Ausschuß der Sechsunddreißiger betrieb sofort die Neuorganisation der Kirche in evangelischem Sinne und suchte auswärtige Bundesgenossen. Er setzte sich mit Philipp von Hessen in Verbindung. Und als im Oktober Bischof Franz, unterstützt von der geistlichen und weltlichen Aristokratie, sich rüstete, Münster mit Gewalt niederzuwerfen, da zwang die Gemeinde den Rat zu Gegenrüstungen. 300 Landsknechte wurden angeworben, die Festungswerke ausgebessert.

Es kam zu unbedeutenden Feindseligkeiten zwischen den gegnerischen Parteien. Aber der Bischof schrak vor einem entschiedenen Auftreten gegen die starke Stadt zurück, das ihn mit einer Niederlage oder einer fremden Intervention und dem Verlust seiner Selbständigkeit bedrohte. Denn seine Kassen waren leer und der habgierige Klerus weigerte sich, Opfer zu bringen. Der Kaiser, in jenen Gegenden der mächtigste Schützer des Katholizismus, war damals durch den Türkenkrieg in Anspruch genommen. Bischof Franz versuchte daher zur Politik seines Vorgängers zurückzukehren und mit dem Rat seinen Frieden zu machen. Er knüpfte Unterhandlungen an.

Der Rat war selbstverständlich geneigt, mit dem Bischof einig zu werden. Aber das Volk wollte nichts von Zugeständnissen wissen. »Keinen Schritt zurück! Eher die eigenen Kinder schlachten und essen,« rief Knipperdollinck, und die Masse stimmte ihm zu.

Um die Verhandlungen besser betreiben zu können, hatte sich der Bischof mit den Landständen nach dem Städtchen Telgt, in der Nähe Münsters, begeben. Aber die Nähe des Bischofs lockte die kampfeslustige Gemeinde zu allem anderen als zum Frieden. In der Stille wurde ein Überfall auf Telgt geplant und ausgeführt. Er gelang (in der Nacht des 26. Dezember). Des Bischofs selbst wurde man nicht habhaft. Zufällig hatte dieser tags vorher Telgt verlassen. Jedoch eine Menge der angesehensten Vertreter der katholischen Sache, geistliche und weltliche Aristokraten und flüchtige Erbmänner aus Münster wurden gefangen.

Das entschied. Unter Vermittlung Philipps von Hessen kam ein Vertrag zustande (14. Februar 1533), der im wesentlichen die Zustimmung des Bischofs, des Domkapitels und der Ritterschaft zu den Errungenschaften des Aufruhrs festsetzte.

Münster ward als evangelische Stadt anerkannt.

2. Die Wiedertäufer in Straßburg und in den Niederlanden.

Die zünftige Demokratie hatte in Münster gesiegt; aber sie hatte ihren Sieg nur errungen mit Hilfe der nichtorganisierten Masse der Bevölkerung, im wesentlichen also der Besitzlosen, der Proletarier. Und sie konnte diesmal nicht, wie das in ähnlichen Fällen vorher und nachher so oft geschehen, die Werkzeuge, die sie benutzt, nachdem sie ihr Ziel erreicht, beiseite werfen. Denn der Sieg war diesmal nur durch einen glücklichen Handstreich errungen worden, nicht durch eine entscheidende Niederwerfung des Gegners im offenen Kampfe. Der Friede bedeutete also nur einen Waffenstillstand; die bürgerliche Demokratie stand vor weiteren schweren Kämpfen, sie durfte daher diesmal nicht ihr Verhältnis zur proletarischen Demokratie lösen. Die Tendenzen der letzteren fanden aber ihren entsprechendsten Ausdruck im Anabaptismus. Die hervorragende Stellung, die das Proletariat in Münster erlangt hatte, machte daher diese Stadt zum Mittelpunkt des Täufertums in Niederdeutschland.

Schon im Laufe des Jahres 1532 waren in Münster neben Katholiken und Lutheranern Zwinglianer aufgetreten. Bald gesellten sich ihnen Täufer hinzu.

Die beiden Herde, von denen sich der Ansteckungsstoff nach Niederdeutschland verbreitete, waren Straßburg und die Niederlande.

In Straßburg, das mit den großen Städten der Nordschweiz in engem ökonomischen und politischen Verkehr stand, siegte 1525 das Zwinglianische Staatskirchentum. In dessen Kampfe gegen Katholizismus und Luthertum gedieh, wie in anderen Städten Süddeutschlands, auch hier der Anabaptismus. Neben Augsburg wurde, wie wir schon erwähnt, Straßburg der wichtigste Punkt für das süddeutsche Täufertum. Es hielt sich dort länger als anderswo, dank der Macht, die der »gemeine Mann« besaß, und die den Rat lange hinderte, aus Furcht vor einem Aufstand, entschiedene Maßregeln gegen die Täufer zu ergreifen. So stark waren diese in der mächtigen Reichsstadt, daß die wichtigsten der dortigen Kirchenhäupter, vor allem Capito, die Politik, die Zwingli in seinen Anfängen befolgt hatte, fortsetzten und lange gar bedenklich mit täuferischen Ansichten liebäugelten.

In der großen Verfolgung wurde Straßburg der Zufluchtsort solcher Brüder, die nicht nach Mähren auswanderten; nachdem in Augsburg das Täufertum blutig niedergedrückt worden, trat Straßburg an dessen Stelle als Vorort der Bewegung in Süddeutschland, solange überhaupt noch von einer solchen gesprochen werden konnte. Vorübergehend waren fast alle hervorragenden Männer der süddeutschen Täufer dort zu finden, so 1526 Denck, Hätzer, Sattler, Reublin, der bis 1529 an der Spitze der Gemeinde stand. Als er ausgewiesen wurde, trat Pilgram Marbeck an seine Stelle, der Tiroler Bergrichter, der für die Straßburger geniale Flußregulierungen im Kinzig- und Ehntale ausführte, die »der holzarmen Reichsstadt die Forste des Schwarzwaldes erschlossen«. Loserth, Der Anabaptismus in Tirol, S. 23.

Am wichtigsten aber wurde für Straßburg der weitgereiste Kürschnergeselle Melchior Hofmann aus Hall in Schwaben. Schon 1523 hatte er in Livland im evangelischen Sinne gepredigt, war dann Prediger der deutschen Gemeinde in Stockholm geworden; von dort vertrieben, fand er eine Zuflucht in Holstein, wo ihm der König Friedrich von Dänemark Lebensunterhalt und Freiheit des Predigens gewährte. Aber als er vom Lutheranismus zum Zwinglianismus überging, wurde er Landes verwiesen (1529). Er wandte sich nach Straßburg, der Hochburg des Zwinglianismus in Deutschland. Bald jedoch nahm ihn dort die Ideenwelt der Täufer gefangen, und 1530 war er bereits einer der ihrigen und, nachdem die alten Häupter gefallen oder vertrieben worden, der hervorragendste von allen.

Ein schwärmerischer und phantastischer Enthusiast, nahm er den Chiliasmus Hans Huts wieder auf, der jetzt unter den süddeutschen Brüdern um so günstigeren Boden finden mußte, je mehr die Verfolgung wütete. In der Tat, es war schwer, inmitten der grausamen Hetzjagd standhaft zu bleiben, wenn nicht baldige Erlösung winkte. Je stärker die Verfolgung, desto mehr wurde der Glaube an den demnächstigen Zusammenbruch der bestehenden Gesellschaft innerstes Herzensbedürfnis. Aber von den Türken war nichts mehr zu erwarten. Straßburg wurde von Hofmann für das himmlische Jerusalem ausersehen, dort sollte den Täufern die Macht zufallen, und zwar binnen kurzem, im Jahre 1533.

Ganz sinnlos war die Prophezeiung nicht. Die Täufer bedeuteten in Straßburg eine Macht, aber sie standen in zu schroffem Gegensatz zur bestehenden Gesellschafts- und Staatsordnung, als daß die Obrigkeit länger hätte ruhig zusehen können, wie diese Macht noch wuchs. Binnen kurzem mußte es zur entscheidenden Kraftprobe kommen. Daß Hofmann auf Sieg rechnete, war selbstverständlich. Nur wer an seine Sache glaubt, kann erfolgreich für sie wirken.

Aber insoweit blieb Hofmann in dem herkömmlichen allgemeinen Gedankenkreis der Täufer, daß er sich gegen jede Anwendung von Gewalt erklärte. Er verließ sich einzig auf die Wirkung seiner Propaganda. Gott werde den Sieg bringen. Jeder Aufruhr sei sündhaft.

Anfangs fand Hofmann heftigen Widerstand in der Gemeinde, zwei Richtungen bildeten sich, schließlich aber war die seine siegreich, vielleicht mehr noch durch seine Erfolge in den Niederlanden als durch die Kraft seiner Argumente und das innere Bedürfen der Brüder.

Denn den unruhigen Mann duldete es nicht lange in Straßburg. Noch im Jahre 1530 zog er rheinabwärts, seine neuen Überzeugungen in den Niederlanden zu verkünden.

Die Niederlande waren, wie wir gesehen haben, die Heimat des ketzerischen Kommunismus nördlich der Alpen. Wer ihre rasche ökonomische Entwicklung, welche diesen gebar, zeitigte auch frühzeitig dessen gefährlichsten Feind, eine starke öffentliche Gewalt. Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts war in den Niederlanden das Fürstentum weit mächtiger und absoluter als im benachbarten Deutschland.

Die siebzehn Provinzen der Niederlande waren durch das burgundische Haus und, nach dessen Erlöschen (1477), durch dessen Nachfolger, die Habsburger, aus den verschiedensten Händen durch Erbschaft, Kauf und Eroberung zu einem Ganzen vereinigt worden. 1504 aber gelangten die Habsburger auch auf den Thron Spaniens, wo der Absolutismus bereits gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Namentlich die Kirche war dort in die größte Abhängigkeit vom Königtum gebracht, die Inquisition, die nirgends eine so furchtbare Macht übte wie in Spanien, ein blindes Werkzeug des Absolutismus geworden, das alle widerspenstigen Elemente im Zaum hielt. Auch nach außen war die Macht des spanischen Königtums damals so gewaltig, daß es den Kampf mit Frankreich um Italien und um die Beherrschung des Papsttums aufnehmen konnte. Die Habsburger waren schon als Beherrscher ihrer österreichischen Gebiete, die von den Türken bedroht wurden, und als Kaiser von Deutschland, deren Macht die evangelischen Fürsten untergruben, auf die Erhaltung des Katholizismus angewiesen. Sie hatten aber namentlich alle Ursache, ihn zu stützen als Könige von Spanien. Die katholische Kirche war eins ihrer wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Machtmittel geworden.

Philipp II. von Spanien ist in der Geschichte berüchtigt wegen seines fanatischen Katholizismus. Aber dieser bedeutete nichts weniger als demütige Unterwerfung unter den Papst. »Es ist gewiß eigentümlich,« sagt ein neuerer Geschichtschreiber, »daß ein Monarch, der sich und den alle Welt als Säule des Glaubens und als Pfeiler für den ganzen Organismus der römischen Hierarchie betrachtete, mit dem Papsttum, auf dessen Bündnis er in so vielen Beziehungen angewiesen war, immer wieder in Streit geriet. Die Erklärung für diese auffallende und doch sich regelmäßig bei jedem neuen Pontifex wiederholende Tatsache liegt in dem doppelten Umstand, daß einmal der spanische Monarch die Geistlichen seiner Länder völlig als seine Untertanen angesehen haben wollte, dem Römischen Stuhl nur in betreff der Lehre, nicht aber der Disziplin und der Gerichtsbarkeit unterworfen ... und daß er andererseits aus der Kirche lediglich ein gewichtiges Rad in der umfassenden Maschinerie seiner Weltpolitik zu machen beabsichtigte. Der Heilige Stuhl sollte überall die spanischen Pläne mit seinen geistlichen Waffen verfechten, und ferner sollte er den spanischen Klerus zugunsten des Königtums ausplündern helfen ... Dem König wurde, soweit die Kirche des spanischen Reiches in Betracht kam, eine förmliche Mitregierung neben dem Heiligen Vater eingeräumt, oder vielmehr, er ordnete sich dem letzteren über« usw. (M. Philippson, Westeuropa im Zeitalter von Philipp II., Elisabeth und Heinrich IV., S. 365 und 366. Berlin 1882.)

Die Habsburger traten daher dem Protestantismus allenthalben entschieden entgegen, aber sie konnten das in den Niederlanden mit mehr Nachdruck tun als in Deutschland. Karl, als deutscher Kaiser der Fünfte seines Namens, vereinigte 1516 die Herrschaft über die Niederlande mit der Beherrschung Spaniens. Neben den Machtmitteln, die ihm die hochentwickelte öffentliche Gewalt in den Niederlanden bot, standen ihm nun auch die Machtmittel zu Gebote, welche die spanische Krone lieferte, um jede Opposition in einem seiner Erblande zu erdrücken. Ohne die alten Verfassungsformen äußerlich anzutasten, nahm er ihnen jeglichen Inhalt, soweit sie politische Freiheiten enthielten. Jenes absolutistische Regiment, das unter Philipp II. so furchtbare Formen annehmen sollte und das später nur in einem blutigen fast hundertjährigen Krieg (1568 bis 1648) und auch da nur für einen Teil der Niederlande beseitigt werden konnte, es wurde von Karl V. begründet und, wo es notwendig erschien, bereits mit aller Rücksichtslosigkeit zur Geltung gebracht. Trotzdem hat die herkömmliche liberale Geschichtschreibung die ganze Wucht sittlicher Entrüstung, die ihr zu Gebote steht, auf Philipp II. konzentriert, dagegen Karl V. stets sehr glimpflich behandelt.

Der Grund davon ist sehr einfach. Die oberen Klassen der Niederlande, die Adligen und die Kaufleute, befanden sich unter Karls V. Absolutismus sehr wohl. Denn dieser, in den Niederlanden geboren und erzogen, fühlte sich als Niederländer; er bevorzugte sie, wo er konnte. In seinen Diensten winkte dem niederländischen Adel Sold und Beute; und die niederländischen Kaufleute wurden den spanischen gleichgestellt und heimsten fette Profite aus der spanischen Kolonialpolitik ein.

Das sollte sich unter Karls Sohn Philipp ändern, der 1555 die Regierung antrat. Dieser war als Spanier erzogen. Die Interessen der herrschenden Klassen in Spanien waren aber mit denen der Niederlande unvereinbar. Man konnte nicht die Spanier befriedigen, ohne die Niederländer zu empören, und umgekehrt. Karls niederländische Neigungen waren einer der Hauptgründe der Empörung der spanischen Städte 1522 gewesen. Diese verlangten vor allem von ihm, er solle in Spanien residieren, keine Niederländer und keine fremden Truppen mit sich bringen, keine Ausländer naturalisieren oder zu irgendwelchen Stellungen in Staat und Kirche befördern. (W. Robertson, History of Charles V., II, S. 163 ff. London 1796.) Philipp verschloß die vorteilhaften Posten in seiner Armee und seiner Verwaltung ebenso wie die Kolonien den Niederländern und machte sie zu einem Monopol der Spanier oder, genauer genommen, der Kastilier. Das trieb die Niederlande zur Empörung.

In der Zeit, von der wir jetzt handeln, unter Karl V., hatten jedoch die oberen Klassen der Niederlande noch keine Ursache zu einer ernsthaften Opposition. Die unteren Klassen aber wurden unter ihm schon mit ebenso eiserner Faust niedergehalten wie unter seinem Nachfolger. Und sie waren ohnmächtig, solange es keinen großen Kampf unter den herrschenden Klassen gab. Das macht es erklärlich, warum das Heimatland des ketzerischen Kommunismus im ersten Jahrzehnt der deutschen Reformation anscheinend ein unfruchtbarer Boden für die kommunistische Propaganda blieb. Das ist ungemein auffallend angesichts der hohen ökonomischen Entwicklung, des zahlreichen Proletariats und der tiefgehenden Wirksamkeit, die das Beghardentum entfaltet hatte und die nicht völlig vergessen sein konnte – erhielten sich doch die Brüder des gemeinsamen Lebens bis über die Reformation hinaus. Erklärbar ist diese Erscheinung nur durch den furchtbaren Druck, der auf den unteren Klassen lastete und der ihnen nicht gestattete, ihre Opposition an den Tag zu legen. Aber kommunistische Tendenzen waren schon vor dem Auftreten Hofmanns weit verbreitet.

Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wird von »waldensischen« Geheimbündlern in Flandern und Brabant berichtet, die »Turlupins« oder »Pifles« hießen, oft auch, das ist bemerkenswert, Tisserands (Weber). »Sie waren streng von Sitten, wohltätig gegen alle Menschen und kannten keine Rachsucht. Viele vereinigten sich mit den später auftretenden holländischen Taufgesinnten, die dadurch nicht wenig gekräftigt wurden.« A. Brons, Ursprung, Entwicklung und Schicksale der altevangelischen Taufgesinnten oder Mennoniten, S. 57. Harden 1891.

Die Täufer selbst haben frühzeitig ihre Propaganda bis nach den Niederlanden erstreckt, nach ihrer Tradition schon im Jahre 1524. Aus dem Jahre 1527 werden bereits drei Märtyrer für die Sache der »Brüder« in Holland genannt.

Hofmanns Bedeutung bestand nicht in der Einführung der Wiedertaufe in den Niederlanden, sondern darin, daß er den Täufern den Mut gab, mit ihren Anschauungen hervorzutreten. Diesen Mut flößte ihnen seine siegesgewisse Prophezeiung ein, daß das Ende der bestehenden Gesellschaft gekommen sei, daß es 1533 losgehen werde. Gefördert wurde seine Predigt jedenfalls durch Seuche und Not, die seit 1529 herrschten, und durch die demokratische Bewegung in dem benachbarten Niederdeutschland, namentlich in Westfalen.

Bemerkenswert ist es, daß die neue Sekte, die der Melchioriten – nach Melchior Hofmann so genannt –, in den ökonomisch und politisch vorgeschrittensten Provinzen, in Flandern und Brabant, nicht rechten Fuß fassen konnte. Die Staatsgewalt war dort bereits zu mächtig und zu zentralisiert. Der Schwerpunkt der Bewegung fiel in die Städte der nördlichen Provinzen, die, ökonomisch und politisch rückständig, sich gerade dadurch ein höheres Maß städtischer Unabhängigkeit bewahrt hatten: Holland, Seeland, Friesland, dieselben Provinzen, denen es später, im Gegensatz zu Flandern und Brabant, gelang, sich von der spanischen Herrschaft loszureißen. In Amsterdam bildete sich die Hauptgemeinde. Es schreckte sie nicht, daß auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers, am 5. Dezember 1531, der Vorsteher der Gemeinde, Jan Volkerts, mit acht Genossen im Haag enthauptet und ihre Köpfe nach Amsterdam gebracht wurden, »wo man sie an einer weit sichtbaren Stelle, den ab- und zufahrenden Seeschiffen zum Anblick, an Stangen in einen Kreis zusammenstellte, den Prediger in der Mitte hoch über den anderen« (Cornelius). Die städtischen Behörden drückten den Sektierern gegenüber ein Auge zu. Amsterdam blieb ihr Mittelpunkt in den Niederlanden.

Kaum begannen die Melchioriten zahlreicher zu werden, so bildeten sich zwei Richtungen unter ihnen. An das baldige Kommen des neuen Jerusalem, der neuen Gesellschaft glaubten sie natürlich alle, aber gerade die Praktischeren unter ihnen mußten sich sagen, daß es von selbst, durch ein Wunder, nicht kommen werde, daß, um modern zu reden, das Proletariat sich selbst befreien müsse. Mit denselben Mitteln, erklärten sie, mit denen das Volk unterjocht werde, müsse es gegen seine Gegner kämpfen: mit den Waffen; das Schwert, welches die Gottlosen gegen das Volk Gottes aus der Scheide gezogen haben, würde gegen ihr Herz gewendet werden.

So lehrte Jan Mathys, ein Bäcker zu Haarlem, der zuerst unter den Melchioriten für den gewaltsamen Weg eintrat. »Der Johann Mathys sei derjenige, der zuerst den Gebrauch des Schwertes und der Gewalt wider die Obrigkeit eingeführt und gefordert habe«, erklärte Johann von Leyden vor seinen Richtern, und in einem früheren Bekenntnis erzählt er von dem Zwiespalt, der sich zwischen Mathys und Hofmann entsponnen habe. Berichte der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich. Herausgegeben von C. A. Cornelius, 2. Band der Geschichtsquellen des Bistums Münster, S. 370, 399. Münster 1853.

Die Mathyssche Lehre stand im schroffsten Widerspruch zu einem der wichtigsten Grundsätze der bisherigen täuferischen Lehre, den alle ihre Richtungen, so verschieden sie sonst sein mochten, bekannt hatten. Aber er war die natürliche Konsequenz des Chiliasmus, für den die Verfolgung wie in Süddeutschland so auch in den Niederlanden einen günstigen Boden geschaffen hatte. Wer eine Bevölkerungsschicht zur Verzweiflung treibt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich schließlich zur Wehre setzt. Auch das furchtsamste, friedliebendste Tier wehrt sich seines Lebens, wenn es in die Enge getrieben wird. Die Mathyssche Lehre wurde aber in den Niederlanden noch dadurch begünstigt, daß dort die Klassengegensätze bereits viel schroffer zugespitzt waren als in der Heimat des Täufertums, in der Schweiz. In den Niederlanden findet man unter den Täufern fast gar keine Mitglieder der höheren Klassen. Die Bewegung war dort eine eminent proletarische, eine Bewegung von Elementen, die nichts zu verlieren hatten als ihre Ketten. Das mußte ihre Widerstandskraft und ihre Widerstandslust vermehren.

Es gelang Mathys, in der Gemeinde zu Amsterdam festen Fuß zu fassen. Durch Sendboten gewann er auch außerhalb dieser Gemeinde bald zahlreiche Anhänger. Deren Zahl wuchs in dem Maße, wie die Melchioriten sich mehrten. Unter ihnen war der weitaus hervorragendste der ebengenannte Johann Bockelson von Leyden. Seine Mutter, eine Leibeigene aus dem Münsterschen, hatte bei dem Schultheißen Bockel in Soevenhagen bei Leyden gedient und von ihm den Johannes geboren (1509). Später, nachdem sie sich losgekauft, heiratete sie Bockel. Johann lernte in Leyden das Schneiderhandwerk und erhielt eine dürftige geistige Ausbildung. Aber eine außerordentliche Begabung machte diesen Mangel wett. Schon früh nahm er lebhaftesten Anteil an den Fragen, die seine Zeit bewegten; namentlich der schwärmerische Kommunismus interessierte ihn, denn er studierte Münzers Schriften. Seinen Blick erweiterte er durch große Wanderungen. Als Schneidergeselle zog er nach England, wo er vier Jahre blieb, und nach Flandern. Zurückgekehrt, betrieb er nicht sein Handwerk, sondern heiratete die Witwe eines Schiffers und wurde Kaufmann. Als solcher besuchte er Lübeck und Lissabon. Aber er hatte kein Glück oder nicht den gehörigen Geschäftsgeist. Er wurde bankrott, gerade um die Zeit, als das Täufertum in den Niederlanden aufkam. Der Lehre, die ihm seit jeher sympathisch gewesen, wandte er sich nun mit dem ganzen Feuereifer seiner Jugend zu. Denn soviel er auch gesehen und erfahren, er war noch nicht 25 Jahre alt, als er für Johann Mathys gewonnen wurde (im November 1533).

Schön, lebhaft, enthusiastisch, von hinreißender Beredsamkeit, gewann er leicht die Herzen. Besonders bemerkenswert sind an ihm seine Lebenslust und seine Freude am Schönen, die ihn von der Masse seiner Genossen auffallend unterscheiden, die einem finsteren Puritanismus huldigten. Darin ist er auch Thomas Münzer ganz unähnlich. Von Jugend auf hatte er poetisches Talent an den Tag gelegt. »Er hat auch Theaterstücke allerlei Art verfaßt, welche er, wie es dort gebräuchlich ist, auf den Schaubühnen vor allen Leuten, um Geld zu gewinnen«, aufführen ließ, berichtet Kerssenbroick. Seine Neigung zum Theatralischen und sein Verständnis für Theatereffekte hat er auch in Münster bewiesen.

Indes hat Kerssenbroick wenig Ursache, ihn als »Schneider« und »Theaterkönig« zu verhöhnen. Die Machthaber, deren ergebener Knecht Kerssenbroick war, haben vor dem Schneider und Theaterkönig gezittert, denn der Diktator von Münster verband mit seinen eben geschilderten Eigenschaften eiserne Willenskraft und durchdringenden Scharfsinn, die ihn zu einem gefürchteten Gegner machten.

Noch ehe Bockelson sich Johann Mathys anschloß, war dieser an die Spitze der niederländischen Melchioriten gekommen, denn Hofmann hatte anfangs 1533 die Niederlande verlassen, um nach Straßburg zurückzukehren, da die Zeit für den Beginn des neuen Jerusalem gekommen war. Er werde gefangen genommen werden, war ihm prophezeit worden, ein halbes Jahr gefangen sitzen, dann aber werde der Erlöser kommen. Der erste Teil der Prophezeiung ging bald in Erfüllung. Schon im Mai ließ ihn der Rat verhaften. Aufs höchste gespannt waren nun die Erwartungen der Brüder, mit fieberhafter Ungeduld sahen sie dem Zeitpunkt entgegen, der endlich, endlich aller Trübsal und aller Not ein Ende machen sollte.

Die weiteren Teile der Prophezeiung wollten sich jedoch nicht erfüllen. Das Jahr 1533 ging seinem Ende entgegen, und alles blieb in Straßburg ruhig. Die Agitation Hofmanns hatte vor allem den Erfolg gehabt, den Rat zu energischerem Einschreiten gegen die Täufer anzustacheln. Alle zweifelhaften Elemente fielen von ihnen ab. Ihre Sache ging von da an in Straßburg zurück. Hofmann selbst sah die Freiheit nicht mehr wieder. Er starb nach langjähriger Haft im Kerker.

Aber gerade um diese Zeit erhielt der schwärmerische Enthusiasmus der »Brüder« einen Anstoß, der ihn hoch auflodern ließ, »und durch die Gemeinden der Melchioriten rings in den Niederlanden verbreitete sich die Sage: der Herr habe Straßburg um seines Unglaubens willen verworfen und an seiner Statt Münster erwählt, das neue Jerusalem zu sein«. (Cornelius.)

Sehen wir zu, was sich inzwischen in Münster zugetragen.

3. Die Eroberung Münsters.

Schon im Jahre 1532 machten sich täuferische und ähnliche Tendenzen in Münster bemerkbar. Im Laufe des folgenden Jahres, nach dem Vertrag vom 14. Februar, gewannen sie rasch an Entschiedenheit, Kraft und Verbreitung.

Der Rat war gespalten, denn die Wahl vom 3. März 1533 hatte eine Reihe entschieden demokratischer Elemente in denselben gebracht. Zu diesen zählte sogar der eine der beiden Bürgermeister, Hermann Tilbeck, ein Patrizier der Abstammung, ein guter Demokrat der Gesinnung nach, der später die Wandlung des radikalsten Teils der bürgerlichen Demokratie von Münster zum Täufertum mitmachte.

Ebenso gespalten, schwankend und unsicher wie der Rat waren die Gilden. Sie wußten, daß Bischof und Klerus nur auf eine günstige Gelegenheit lauerten, die Herrschaft über ihre Ausbeutungsobjekte wieder zu gewinnen. Aber ein Teil des zünftigen Bürgertums fing an, Angst vor den Besitzlosen zu empfinden, die vor keinem Privilegium und keinem Besitz haltmachen wollten, auch vor keinem zünftigen. Es fragte sich, wer gefährlicher war, die Masse oder die Aristokratie. Diejenigen unter den bürgerlichen Demokraten, welche die Pfaffen- und Aristokratenherrschaft am meisten fürchteten, blieben der Allianz mit den proletarischen Elementen treu; andere schlossen sich an die Lutheraner, ja an die Katholiken in der Stadt an, die große Masse der zünftigen Elemente schwankte haltlos hin und her, einzig bemüht, keine der anderen Parteien übermächtig werden zu lassen.

Diese Verhältnisse waren den Täufern in ihren Anfängen sehr günstig, sie hinderten den Rat an jeder entschiedenen Aktion gegen sie. Und die Täufer waren nicht müßig, die gute Gelegenheit auszunutzen. Ihr Eifer in der Propaganda ließ nichts zu wünschen übrig. Aber ihre Zahl mehrte sich nicht nur durch Zuwachs an Proselyten, sondern, und das ist höchst bemerkenswert, durch Zuzug von Emigranten, zunächst aus den benachbarten Gegenden – zuerst aus dem Jülichschen –, dann aber auch von ferner her, namentlich aus den Niederlanden. Die Zuzügler kamen, teils vor Verfolgungen flüchtend, teils durch Tatenlust getrieben, denn in Münster waren die Brüder nicht nur weniger gefährdet als anderswo, es boten sich dort auch bessere Aussichten, für die gute Sache zu wirken. Diese Emigranten sind für die Entwicklung der Dinge in Münster äußerst wichtig geworden.

Ein Augenzeuge, Gresbeck, schreibt ihnen den Hauptanteil an dem Siege der Wiedertaufe und den Vorgängen in Münster unter dem kommunistischen Regime zu. Er spricht von den entschiedenen Wiedertäufern in der Stadt in der Regel nicht anders als von den »Holländern und Friesen«. Daher ist er auch auf die Holländer schlecht zu sprechen: »Wan ein Hollender seven jair alt ist,« sagt er in seinem Niederdeutsch, »so is hei up dem allerweisesten, als hei werden wil. It sint intgemein halve narren.« (Berichte der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich, S. 137.)

Die Zuzügler gehörten zu den kühnsten und tatkräftigsten Elementen der Partei, sie boten den Täufern in der Stadt einen bedeutenden moralischen und auch militärischen Rückhalt.

Die »Ordnungsparteien« dagegen, um die Gegner der Täufer kurz zu bezeichnen, schrumpften von Tag zu Tag mehr zusammen. Denn blasse Furcht hatte die Wohlhabenden ergriffen, und jeder Fortschritt der Demokratie jagte einige von ihnen in die Flucht.

Gut wird dieser Prozeß geschildert in einem katholischen niederdeutschen Gedicht aus dem Jahre 1534, »der Monsterschen Ketzer Bichtboek«. Da heißt es unter anderem (wir zitieren im Originaldialekt, durch eine Übersetzung würden die Verse zu sehr verlieren):

»De geistlichen worden von allen weltlichen binnen Munster gehatet,
Darum hebben etlicke prälaten bi guten tiden uthgelagen und sick nich verlatet.
De gilden mochten de junckeren of erfmans da binnen nich liden,
Darum hebben auck de erfmans sick uth der stat gegieven bi tiden.
De armen gildebroers hebben de riecken borger und rentners verfolget,
Derhalven hebben de riecken borger den jonckeren na gefolget.
Hadde de ene sick bi den andernn gehalden fast,
So weren wi alle nich gekommen in so grote last.« Auszüge aus dem Gedicht sind abgedruckt bei Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II, S. 179.

Der Dichter predigte eine wohlfeile Weisheit. Sicherlich wäre jede auch nur vorübergehende selbständige Regung des Proletariats unmöglich gewesen – und sie wäre es auch heute noch für einige Zeit in den meisten Ländern –, wenn die Besitzenden fest zusammengehalten hätten. – Aber zum Glück für das Proletariat zerfallen die Besitzenden in verschiedene Klassen mit sehr verschiedenen und oft gegensätzlichen Interessen, und die Klassenkämpfe der Besitzenden untereinander sind bisher stets wichtige Momente in der Entwicklungsgeschichte des Proletariats gewesen. Freilich, so oft das Proletariat angefangen hat, gefährlich zu werden, zeigten auch die besitzenden Klassen die Neigung, sich zusammenzuschließen und »eine reaktionäre Masse« zu bilden. Aber jede dieser Klassen suchte dabei einen Sonderprofit für sich herauszuschlagen, und sie konnten bei ihrem Zusammenwirken ein gewisses Mißtrauen nie überwinden, denn wie jede die Bundesgenossen betrügen wollte, so fürchtete auch jede, von ihnen betrogen zu werden. Selbst als Münster in die Hände der Täufer gefallen war, schloß sich die edle Gesellschaft nur schwer zu einer festen Masse zusammen.

In demselben Maße aber, in dem sich die Anfänge eines »Ordnungsbreis« bildeten, wurden die entschiedeneren bürgerlich -demokratischen Elemente unter der Führung Rothmanns und Knipperdollincks genötigt, sich enger an die proletarischen Elemente anzuschließen. Sie wandten sich der Wiedertaufe zu. Noch im Jahre 1532 hatte Rothmann, damals Zwinglianer, die Wiedertaufe bekämpft. Am 6. September dieses Jahres schrieb er an Busch: »Ich habe bereits mit den Wiedertäufern zu schaffen gehabt, welche uns zwar auf eine Zeitlang verlassen, aber gedroht haben, sie würden mit größerer Kraft zurückkommen. Aber ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein?« Zitiert bei Kerssenbroick, I, S. 183.

Im Mai des folgenden Jahres bekannte sich Rothmann bereits als Gegner der Kindertaufe.

Der Rat versuchte, die Täufer mit »geistigen Waffen« zu überwinden. Er veranlaßte Melanchthon, an Rothmann zu schreiben, damit er ihn zum wahren Glauben zurückführe. Als dieser und ähnliche Briefe nichts fruchteten, veranstaltete er eine Disputation am 7. und 8. August 1533, die natürlich die Täufer auch nicht bekehrte, sie eher ermutigte.

Nun zog der Rat schärfere Saiten auf. Eine Reihe städtischer Prediger hatte sich den Täufern angeschlossen. Der Rat drohte ihnen (im September) mit Amtsentsetzung und Ausweisung, wenn sie sich weigerten, Kinder zu taufen. Sie erwiderten (17. September), man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Darauf suchte der Rat seine Drohung zu verwirklichen. Vor allem wurde Rothmann des Predigtamtes an der Lambertikirche entsetzt. Aber die Haltung der Gemeinde war so drohend, daß der Rat ihm im Oktober eine andere Kirche einräumte: die Täufer hatten ihren ersten Triumph errungen.

Zu einer zweiten Kraftprobe kam es Anfang November. Der Rat machte jetzt den Versuch zur Bildung einer »reaktionären Masse«. Er lud die Gildenmeister und die katholischen Patrizier zu einer gemeinsamen Besprechung darüber ein, wie man der täuferischen Elemente Herr werden könnte. Man einigte sich zu einem bewaffneten Handstreich gegen diese, welcher schon am folgenden Tage vollzogen werden sollte.

Die Ordnungselemente sammelten sich gewaffnet und suchten sich zunächst der täuferischen Prediger zu bemächtigen. Nun aber forderten einige extreme Reaktionäre, wahrscheinlich Katholiken, mit den Predigern sollten auch die demokratischen Mitglieder des Rates, die mit den Täufern sympathisierten, aus der Stadt gejagt werden, vor allen der Bürgermeister Tilbeck. Davon war am Tage vorher keine Rede gewesen. Das machte die mittelparteilichen Ordnungselemente stutzig, sie begannen ihren Genossen zu mißtrauen. Inzwischen hatten sich aber die Täufer gesammelt und auf dem Lambertikirchhof verschanzt; ihre Gegner wagten es nicht, sie dort anzugreifen. Der Rat knüpfte am nächsten Tage Verhandlungen mit ihnen an, und die Aktion, die berechnet war, zu völliger Zersprengung der Täufer zu führen, endigte mit einigen geringfügigen Konzessionen, die sie machen mußten. Einige ihrer Prediger wanderten aus, Rothmann durfte nicht mehr predigen, blieb aber in der Stadt. Die öffentliche Propaganda ward ihnen untersagt, aber man mußte sich dazu bequemen, die Täufer selbst in der Stadt zu behalten. Sie hatten sich auch in diesem zweiten, weit gefährlicheren Sturme behauptet.

»Rothmann,« berichtet Kerssenbroick, »obgleich ihm in dem Vertrag (vom 6. November) die Erlaubnis, öffentlich zu predigen, war genommen worden, hörte doch nicht auf, anfangs heimlich und zur Nachtzeit, hernach aber, als sein Anhang sich sehr vermehrt hatte, auch bei Tage, in den Häusern einiger Bürger die Wiedertaufe zu predigen. Die Zeit der Predigt wurde durch einen Flintenschuß angezeigt und wurden keine anderen, als die von der Wiedertäuferei angesteckt waren, zugelassen.« (I, S. 453.)

Neben dieser mündlichen wurde auch eine Propaganda durch gedruckte Flugschriften betrieben. Man richtete in Rothmanns Hause eine geheime Druckerei ein, die später von der Behörde entdeckt wurde.

Auch an die Durchführung des Kommunismus schritt man bereits. Die Reichen unter den »Brüdern« »legten all ihr Geld zu den Füßen Rothmanns nieder, zerrissen und verbrannten alle Schuldverschreibungen, die sie besaßen, und erließen ihren Schuldnern ihre ganze Schuld; und dieses taten nicht allein Männer, sondern auch Frauen, die sonst nichts wegzuwerfen pflegten. Denn die Brandsteinin, Knipperdollincks Schwiegermutter, eine sehr reiche Frau, wurde von dem Geiste Gottes dergestalt getrieben, daß sie ihren Schuldnern ihre Schuldbriefe samt den bereits erhobenen Zinsen wieder zustellte.« Kerssenbroick, I, S. 455.

Ein derartiger selbstloser Enthusiasmus mußte die Massen mächtig bewegen. Bald waren die Täufer so stark, daß sie ihren Gegnern offen trotzen konnten. Am 8. Dezember begann der Schmiedegesell Johann Schröder öffentlich die täuferischen Lehren zu predigen. Am 15. ließ ihn der Rat verhaften, aber die Schmiedezunft rottete sich zusammen, zog zum Rathaus und erzwang seine Freilassung. Rothmann wurde ausgewiesen, er blieb aber ruhig und unangefochten in der Stadt. Zu Ende des Jahres kehrten auch die im November ausgewanderten Prediger zurück. Am 15. Januar 1534 wies sie der Rat abermals aus. Die Stadtknechte führten sie bei dem einen Tore hinaus, aber die Brüder brachten sie bei einem anderen wieder herein, ohne daß der Rat es zu hindern wagte. Die Täufer waren tatsächlich bereits Herren der Stadt.

Kein Wunder, daß die Brüder allenthalben nun erkannten, Straßburg sei von Gott verworfen worden, in Münster werde das wahre neue Zion erstehen. Das Zentrum der Bewegung im Norden – heute würde man sagen die Parteileitung – wurde von Amsterdam dorthin verlegt. Johann Mathys, der neue Prophet und Nachfolger Hofmanns in der Führerschaft der Melchioriten, sandte im Beginn des Januar eine Reihe von Sendboten dahin, darunter Johann Bockelson von Leyden, der am 13. Januar ankam. Im Februar finden wir auch Mathys selbst in Münster.

Die Ordnungspartei war in voller Verzweiflung. Sie sah nur noch eine Möglichkeit, der anschwellenden kommunistischen Flut einen Damm entgegenzusetzen: sie warf sich dem Bischof in die Arme und verriet ihm die städtische Freiheit, ein Vorgehen, das damals ungefähr ebensoviel bedeutete wie heutzutage Landesverrat.

Bischof Franz hatte von vornherein seinen feierlichen Vertrag mit der Stadt, in dem er ihr freie Religionsübung zusicherte, für einen wertlosen Wisch Papier gehalten, den er bei der ersten besten Gelegenheit zerreißen werde. Je demokratischer die Stadt wurde, desto mehr gelüstete es ihn nach dem Vertragsbruch. Schon im Dezember 1533 hatte er begonnen, sich zu rüsten, um die Münstersche Demokratie zu überfallen und niederzumetzeln. Das verräterische Vorgehen der städtischen Ordnungspartei kam ihm nun höchst gelegen.

»Als nun mein gnädiger Herr von Münster gesehen,« schreibt Gresbeck, »daß sich die Wiedertäufer in der Stadt Münster nicht wollten raten lassen und nach des Bischofs Gnade nicht fragten, da kam er mit dem Rat der Stadt Münster und einem Teil anderer Bürger, die nicht mit der Wiedertaufe hielten, überein, daß sie dem Bischof von Münster zwei Tore öffnen sollten, unser lieben Frauentor und das Judenfeldertor. So wurden dem Bischof die Tore geöffnet, daß er in die Stadt 2000 bis 3000 Bauern und ein Teil Reiter zu Pferde hineinbekam, so daß mein gnädiger Herr von Münster die Stadt inne hatte.« Berichte der Augenzeugen, S. 14, 15.

Es war dies am 10. Februar. Mit den bischöflichen Reisigen, die so mitten im Frieden verräterischerweise die Stadt überfielen, vereinigten sich die »gutgesinnten Bürger«, die sie erwartet hatten und Harnische unter den Kleidern trugen. Auch hängten sie nach der Verabredung Strohkränze vor ihre Häuser, damit diese bei der erwarteten Plünderung von den Verteidigern des Eigentums verschont blieben.

Die Verschworenen hatten anfangs Glück. Es gelang ihnen, sich Knipperdollincks und einiger anderer Wiedertäufer zu bemächtigen und sie gefangen zu setzen. »Knipperdollingk lag in dem torn und riep glich wie ossen plegen tho ropen«, berichtet Gresbeck.

Aber schnell sammelten sich die überraschten Täufer, und sie bewiesen, daß in ihnen der Geist der kriegerischen Richtung des Johann Mathys lebte. Sie gewannen im Straßenkampf die Oberhand, die bischöflichen Truppen zogen sich zurück und boten die Hand zu einem Vergleich, und »mit kloickheit und behendigkeit kriegen sie (die Täufer) die buren und ruetters wieder uth der stat«. (Gresbeck.) Der Verrat hatte sich gegen die Verräter selbst gekehrt und dahin geführt, daß die Stadt, die moralisch schon den Täufern gehört hatte, nun auch militärisch in ihrer Macht war. Nicht in aggressivem Aufruhr, sondern in der Notwehr eroberten sie Münster.

Der Kampf vom 10. Februar hatte zwei Folgen. Zwischen der Stadt und dem Bischof herrschte fortan Kriegszustand. Am 23. rückte Franz mit seinen Truppen in Telgt ein, um die Belagerung zu betreiben. An demselben Tage fanden in Münster die gesetzlich vorgeschriebenen Magistratswahlen statt. Ohne daß die Wahlordnung im geringsten geändert worden wäre, fielen die Wahlen völlig im täuferischen Sinne aus. Knipperdollinck und Kippenbroick, ein Tuchmacher, der sich bereits mehrfach in der täuferischen Sache ausgezeichnet hatte, wurden Bürgermeister von Münster. »Die Führer der Bewegung waren mithin auf gesetzlichem Wege zur höchsten Macht emporgestiegen, und die Hauptstadt Westfalens lag den neuen Propheten zu Füßen.« (Keller.)

4. Das neue Jerusalem.

a. Die Quellen.

Nun begann nach der herkömmlichen bürgerlichen Darstellung eine wahnsinnige Orgie der Wollust und des Blutdurstes. Das ist die allgemeine Darstellung seit der Zeit der Münsterschen »Kommune« bis auf unsere Tage. »Als sie die Stadt in ihre Gewalt bekommen,« schrieb Bischof Franz in einem amtlichen Bericht, »haben sie alle göttliche, christliche Ordnung und Recht, geistlich und weltlich Regiment und Polizei ganz zugrunde gerichtet und ein viehisch Leben angestellt.«

Und ein »wissenschaftlicher« Vernichter der Sozialdemokratie aus den neunziger Jahren, der anonyme Verfasser der » Schlaraffia politica« Schlaraffia politica, Geschichte der Dichtungen vom besten Staat, Leipzig 1892. Eine flache, mit ebensoviel Liederlichkeit wie Arroganz zusammengestoppelte Kompilation. erzählt schaudernd: »Münster war der Schauplatz gemeinster Unzucht und blutigster Metzeleien geworden ... So war ein Reich gegründet, das den Kommunismus und die Polygamie verwirklichte, ein Regiment, in dem geistlicher Hochmut und fleischliche Sinnenlust, fromme Hingebung und Selbstaufopferung mit blutdürstiger Roheit und niedriger Genußsucht aufs widerlichste gepaart waren ... Wer die Geschichte dieser Bewegung kennt, wird Schilderungen (des sozialistischen ›Zukunftsstaates‹) wie im ›Himmel auf Erden‹ von Gregorovius nicht für ein übertriebenes Sammelsurium von Gräßlichkeiten und Gemeinheit halten. Die Schandtaten, deren Opfer die Frauen von Münster wurden, die Neronischen Ausschweifungen und Grausamkeiten Johanns von Leyden und seiner Genossen sind die historische Illustration dazu.« Aber, meint der fromme Mann mit Sudre, seinem Vorläufer in der Geschichtschreibung des Sozialismus, die Wiedertäufer glaubten wenigstens an Gott und die Unsterblichkeit. »Die Erneuerer ihrer Lehren in unserer Zeit fügen zu ihren Irrtümern die Leugnung der Gottheit und jener Begriffe und versenken den Menschen in groben Materialismus. Was soll man, wenn man dies erwägt, von der Verwirklichung moderner Utopien erwarten? Die Saturnalien von Münster würden ohne Zweifel noch überboten werden.« (S. 68 bis 70.)

Der jüngste Geschichtschreiber des Münsterschen Aufstandes endlich meint:

»Wohl auf allen billig denkenden Seiten ist man einig in der vollkommenen Verurteilung der Ausgeburten des wahnwitzigen religiösen Fanatismus und der ungeheuerlichen sozialen Zustände, die sich hier in Münster nicht nur praktisch ausgebildet haben, sondern die zugleich auch hier theoretisch ihre Begründung und Verteidigung fanden.« Weiterhin spricht er von »Verbrechen«, von »Irrsinnigen« usw. Dr. Heinrich Detmer, Königlicher Oberbibliothekar in Münster, Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in Münster während des sechzehnten Jahrhunderts. I. Johann von Leiden. Münster 1903. S. 4. Der zweite Teil dieser »Bilder« behandelt »Bernhard Rothmann«, der dritte »Die Auffassung von der Ehe und die Durchführung der Vielweiberei in Münster während der Täuferherrschaft«. Beide Schriften erschienen in Münster 1904. Neues bringen sie nicht.

Das ist die Tonart aller bürgerlichen Darstellungen der Münsterschen »Kommune«.

Den Münsterschen Kommunisten gegenüber konnte die bürgerliche Geschichtschreibung niemals unbefangen sein. Sie gelten heute noch ebensosehr wie zu ihrer Zeit nicht als Objekte wissenschaftlicher Forschung, sondern als Todfeinde, die nach ihrer physischen Überwindung auch noch moralisch zu vernichten sind, und in denen man heute auch die Sozialdemokratie zu treffen wähnt.

Wohl aber ist es vom Standpunkt des wissenschaftlichen Sozialismus möglich, an das Münstersche Gemeinwesen völlig unbefangen heranzutreten, noch unbefangener als an die meisten bisherigen Erscheinungsformen des Kommunismus. Nicht nur ist der ketzerische Kommunismus, auch der der Wiedertäufer, grundverschieden vom modernen Sozialismus, wir wissen auch, daß das neue Jerusalem in Münster nicht einmal typisch ist für das Wiedertäufertum im besonderen, geschweige denn für den Kommunismus im allgemeinen. Wenn jemand das Bedürfnis fühlt, aus den Resultaten, die das Wiedertäufertum in Münster gezeitigt, den Schluß zu ziehen, daß der Kommunismus notwendig zu Grausamkeit und Blutdurst führt, dann können wir ihm das Beispiel der Wiedertäufer selbst entgegenhalten, der Wiedertäufer dort, wo man ihnen gestattete, sich ruhig zu entwickeln, in Mähren.

Vom Standpunkte des modernen Sozialismus kann man daher an das Münstersche Reich mit dem Bewußtsein herantreten, daß, wie immer das Urteil darüber ausfallen mag, unsere heutigen Bestrebungen dadurch nicht berührt werden. Wir haben den Münsterschen Kommunisten gegenüber nur ein Bedürfnis, sie zu begreifen, die Wahrheit über sie zu erforschen.

Wir halten es für nötig, dies hier zu bemerken.

Von den bisher betrachteten Erscheinungen des Kommunismus hatte jede wenigstens bei dem einen oder anderen Vertreter der bürgerlichen Wissenschaft unbefangene Würdigung gefunden: so, um nur die den Münsterschen zunächststehenden Richtungen zu nennen, Thomas Münzer bei Zimmermann, die süddeutschen und mährischen Wiedertäufer bei Keller, Beck, Loserth und anderen. Das erklärt sich wohl dadurch, daß alle diese Erscheinungen in der Geschichte des Kommunismus entweder höchst harmloser, friedfertiger Natur waren, oder aber im Gefolge einer bürgerlich-demokratischen Bewegung auftraten, als deren Bundesgenosse dienten. So zog zum Beispiel Münzer seine Kraft und seinen Einfluß vornehmlich aus seiner Bekämpfung der Fürstenmacht. Als Kommunist erreichte er nicht viel, wie uns Mühlhausen gezeigt hat. In Münster dagegen tritt der Kommunismus als selbständige, herrschende, revolutionäre Macht auf – zum erstenmal in der Geschichte. Dieser Erscheinung gegenüber versagt die bürgerliche Unbefangenheit. Und doch wäre gerade hier die äußerste Unbefangenheit geboten, angesichts des Zustandes der Quellen.

Münster war seit dem entscheidenden Sieg der Täufer vom 10. Februar eine belagerte, von der Außenwelt abgeschnittene Stadt. Nachdem sie erobert worden, wurde fast die ganze Einwohnerschaft niedergemetzelt. Kein Vertreter des Täufertums entkam dem Blutbad, der imstande gewesen wäre, eine literarische Darstellung der Vorgänge in der Stadt während ihrer Belagerung zu geben. Sämtliche Darstellungen derselben rühren von Gegnern her. Nun braucht man sich bloß zu erinnern, in welch unverschämter Weise über die Pariser Kommune gelogen wurde, über die Sozialdemokratie heute noch allenthalben gelogen wird, trotzdem diese über eine ausgedehnte Presse und parlamentarische Vertreter verfügt, die imstande sind, jeder falschen Mitteilung öffentlich entgegenzutreten, dann kann man sich denken, welchen Glauben die vorhandenen Berichte über den »Aufruhr« verdienen.

Sehen wir uns die drei Hauptquellen an. Gleich nach dem Fall Münsters erschien eine Schrift: »Wahrhaftige historie, wie das Evangelium zu Münster angefangen und danach, durch die Widderteuffer verstöret, widder aufgehört hat. Dartzu die gantze handlung derselbigen buben vom anfang bis zum ende, beides in geistlichen und weltlichen Stücken, vleißig beschrieben durch Henricum Dorpium Monasteriensem. 1536.« In seiner Abhandlung »über die Quellen der Geschichte des münsterischen Aufruhrs«, welche die Einleitung zu den von ihm herausgegebenen »Berichten der Augenzeugen« bildet, charakterisiert Cornelius diese Schrift folgendermaßen: »Sie ist eine Wittenbergische Parteischrift, zu Wittenberg gedruckt, von Luthers Hauptgehilfen und Sendboten für Niederdeutschland Johann Bugenhagen mit einer Vorrede eingeleitet ... Des Buches Absicht ist, die vollkommene moralische Niederlage der Gegner vor aller Augen zu stellen und im eigenen Parteiinteresse auszubeuten.« (S. XVI, XVII.) Schon der Titel enthält eine arge Flunkerei. Cornelius weist nach, daß der Verfasser, wenn er wirklich Dorpius heißt, nicht, wie er von sich sagt, aus Münster stammte, und daß er »sich in dem Buche den falschen Schein gibt, als sei er selbst in Münster gewesen und habe das aus eigener Erfahrung, was ihm nur sein Berichterstatter mitgeteilt hat«. (S. XI, XII.) Also ein Schwindler, dessen »Buch als eine wahrhafte und befriedigende Erzählung des ganzen Herganges nicht zu betrachten ist«.

Der Protestant Hase sucht Dorpius von den Vorwürfen des Katholiken Cornelius reinzuwaschen. Unseres Erachtens nicht mit Glück. (Heilige und Propheten, Leipzig 1892, II, S. 291 ff.) übrigens gehört Hases Darstellung des Wiedertäuferreichs neben der schon öfter zitierten Kellerschen zu den relativ besten, die von bürgerlicher Seite erschienen sind. Cornelius' klassisches Werk über den Münsterschen Aufruhr ist leider unvollendet geblieben, es bricht gerade bei der Eroberung Münsters durch die Täufer ab.

Viel wichtiger als die Dorpiussche Schrift ist das bereits mehrfach zitierte Werk Kerffenbroicks über das Wiedertäuferreich von Münster. Das lateinische Original ist Manuskript geblieben. Als es 1573 in Druck gehen sollte, verbot der Münstersche Stadtrat die Herausgabe. Das Werk hat sich nur in Abschriften erhalten. 1771 erschien eine Übersetzung, die hier benutzt wurde. Kerssenbroick, 1520 geboren, besuchte 1534 in Münster die Domschule, später, 1550 bis 1575, war er Rektor an derselben Schule. Als solcher verfaßte er seine Geschichte, die wichtig ist durch die zahlreichen Aktenstücke, die sie mitteilt. Aber unkritisch und leichtfertig seinen Quellen gegenüber, ist er überdies voller Parteilichkeit. Folgende Stelle aus seiner Vorrede genügt: Er erklärt, er habe nicht aus Ruhmsucht geschrieben, »sondern um meinem Vaterland und der Nachwelt zu dienen, damit nicht die glänzenden Taten vergessen werden, die der in Christo hochwürdigste Graf und Herr, Franz, dieser rechtschaffene Bischof der Münsterischen Kirche und Zweig des alten gräflichen Waldeckischen Stammes zur gänzlichen Ausrottung der grausamsten und schändlichsten Ketzerei ... verrichtet hat. Ferner teile ich darum der Welt diese Geschichte mit, damit alle Rechtschaffenen die entsetzliche und schändliche Raserei der Wiedertäufer ... meiden und verabscheuen mögen.« Er selbst gibt also als seinen Zweck nicht eine objektive Darstellung, sondern eine Verherrlichung des Bischofs und Herunterreißung der Wiedertäufer an. Demgemäß wird jener erhoben, wo nur möglich, alles verschwiegen, was einen Schatten auf ihn werfen könnte. Dagegen fischt der Autor gierig nach dem erbärmlichsten Klatsch über die Wiedertäufer, wenn er ihnen ungünstig ist, und nimmt ihn unbesehen, ja womöglich noch übertrieben in sein Werk auf.

Nur ein Beispiel. Er erzählt: »Um eben diese Zeit (Anfang Februar) rief der Prophet Johann Mathys, ein äußerst wollüstiger Mann, die Wiedergetauften beiderlei Geschlechts in das Haus Knipperdollincks, welches ziemlich geräumig war, zur Nachtzeit heimlich zusammen. Und wenn die Versammlung beieinander war, stellte sich der Prophet in die Mitte des Hauses unter (vor?) einen kupfernen Leuchter, der an dem Boden befestigt war und worauf drei Wachslichte brannten, lehrte die herumstehende Menge und setzte das in den Herzen vieler glimmende Feuer durch seinen prophetischen Geist in volle Flamme. Dann erklärte er das 1. Kapitel des 1. Buches Mosis, und wenn er die Worte des 28. Verses: ›Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde‹ abgelesen hatte, wurden die Lichter ausgelöscht. Was für Schandtaten alsdann sind verübt worden, kann man daraus entnehmen, daß man den Propheten einmal in dem Schoße eines Mädchens auf eine unanständige Weise liegend gefunden hat. Diese Zusammenkunft nannten sie die feurige Taufe. Und dieses ist keine Erdichtung. Denn da man hin und wieder in der Stadt der feurigen Taufe Erwähnung tat, niemand aber wußte, was das heiße, ließ sich ein gewisses Weib durch ein sehr kleines Geschenk von meinem Wirt Wesseling bewegen, solches auszuforschen. Diese Frau schlich sich, nachdem sie den Wahlspruch der Wiedertäufer erfahren hatte, in das obenerwähnte Haus ein, sah alles mit an und erzählte es uns wieder.« (I, S. 504.) Das genügt unserem biederen Rektor, uns bestimmt zu versichern, seine Erzählung von der feurigen Taufe sei »keine Erdichtung«! Man bedenke: Ein beliebiges Frauenzimmer erzählt, um ein Trinkgeld zu erhaschen, ein beliebiges Geschichtchen dem Hauswirt, bei dem Kerssenbroick als Junge von vierzehn Jahren lebte. Dieser schreibt das Geschichtchen ein Menschenalter später nach der Erinnerung nieder und verlangt von uns, einzig auf dieses ganz untrügliche Zeugnis hin, den Wiedertäufern die zügelloseste Bordellwirtschaft zuzuschreiben. Und die gewissenhaften Historiker schreiben diesen Weiberklatsch – wenn nicht Schlimmeres – gewissenhaft ab, denn auf diese Weise wird der Kommunismus »wissenschaftlich« vernichtet!

Daß die Münsterschen Wiedertäufer in einer besonderen Schrift alle derartigen Anschuldigungen für »erstunken und erlogen« erklärten – wir kommen noch darauf zurück –, scheint keiner bemerkt zu haben, und ebensowenig die Tatsache, daß Kerssenbroick selbst an anderer Stelle den Puritanismus der Wiedertäufer hervorhebt:

»Hierauf (nachdem er zu den Täufern übergegangen) nahm Rothmann, weil er sich vorgenommen hatte, die Lehre der Wiedertäufer auszubreiten, ganz andere Sitten an und äußerte eine größere Heiligkeit und Gottesfurcht als vorher. Er entsagte allen Gastereien, allem wollüstigen Umgang mit dem anderen Geschlecht, mit einem Worte allem, was ihn in den Verdacht der Leichtfertigkeit bringen konnte ... Damit aber mit diesen Sitten seine Lehre übereinkommen und das Volk zu Werken der Barmherzigkeit erweckt werden möge, so rief er in allen seinen Predigten, man müsse enthaltsam leben, sich der erworbenen Güter gemeinsam bedienen, sich gegenseitig Dienste leisten« usw. (I, S. 429.)

Das ist ganz das Bild des typischen Wiedertäufers und ketzerischen Kommunisten überhaupt, das wir so vielfach schon kennen gelernt haben. Diese Darstellung ist jedenfalls richtig; aber wie stimmt sie zu der mitgeteilten Orgie?

Der anonyme Weiberklatsch scheint Kerssenbroick noch besonders imponiert zu haben, denn er beruft sich ausdrücklich darauf, als Zeugnis dafür, daß er »keine Erdichtung« erzähle, und es ist dies einer der wenigen Fälle, in denen er es für geraten hält, zu erzählen, woher er seine Wissenschaft habe. Meist nennt er gar keine Quelle. Vielfach dürften diese also noch kläglicherer Art sein!

Weitaus die wichtigste unter den Quellen über das Wiedertäuferreich ist die schon einige Male zitierte Erzählung Gresbecks. »Summarische ertzelungk und bericht der Wiederdope und wat sich binnen der stat Münster in Westphalen zugetragen im jair MDXXXV.« Erst Cornelius hat die Bedeutung dieses Buches, das in mehreren Handschriften erhalten ist, erkannt und es abgedruckt in den schon angeführten »Berichten der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich«, deren vornehmsten Inhalt es bildet. Dieser, ein Schreiner aus Münster, war im Februar 1534 nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, die er 1530 verlassen, und hatte sich den Täufern angeschlossen. Bis zum 23. Mai 1535 blieb er in der Stadt, er ist also imstande, uns über die wichtigsten Vorkommnisse daselbst aus eigener Anschauung Aufschluß zu geben. Aber er schrieb einige Jahre, vielleicht acht bis neun Jahre nach dem Wiedertäuferreich, und er schrieb rein nur nach der Erinnerung, ohne jegliche Hilfsmittel und Stützen des Gedächtnisses. Daher mengte er auch häufig die Dinge durcheinander. Und die Reinheit seiner Erinnerungen wird durch einen wichtigen Umstand getrübt: Gresbeck ist derjenige, der Münster verraten und die bischöflichen Landsknechte in die Stadt gebracht hat. Natürlich haßt er die von ihm Verratenen, seine ehemaligen Genossen, noch mehr, als ihre offenen Gegner sie haßten. Er spricht von ihnen kaum je anders als von »Bösewichtern« und Buben. Das ist so Renegaten- und Verräterart. Und ebenso natürlich sucht Gresbeck die Sache so zu drehen, als sei er ganz zufällig im Februar nach Münster gekommen – wo alle Welt voll davon war, daß die Stadt den Täufern gehöre! In einem Briefe, den er während der Belagerung schrieb, gesteht er selbst ein, die Mutter seines Herrn habe ihn gewarnt, er solle nicht nach Münster gehen, er würde sich dort auch taufen lassen. (Berichte der Augenzeugen, S. 323.) Trotzdem will er uns glauben machen, er habe sich bloß unter dem Einfluß des Schreckens den Täufern angeschlossen, unter die er zufällig geraten sei. Um die Unwiderstehlichkeit dieses »Schreckens« recht hervorzuheben, wird das Schreckensregiment also so kraß als möglich gemalt. Damit erreicht Gresbeck nicht nur, daß er selbst als schuldlos erscheint, sondern daß sein Verrat sogar zu einer höchst verdienstlichen Tat wird.

Das sind die wesentlichsten Quellen zur Kenntnis der Münsterschen Ereignisse; nur mit äußerster Vorsicht verwendbar, sind sie einer Geschichtschreibung in die Hände gefallen, die von vornherein das als bewiesen annahm, was diese Quellen beweisen wollten: daß der Kommunismus notwendig Wahnsinn und Verruchtheit zeuge. Kein Wunder, daß sich unter dieser Geschichtschreibung das Wiedertäuferreich als etwas einfach Unbegreifliches darstellt, als ein Sammelsurium nicht nur von Gräßlichkeit und Gemeinheit, sondern von ganz sinnloser, zweckloser Gräßlichkeit und Gemeinheit.

Und doch bieten selbst diese Quellen die Möglichkeit, das Münstersche Wiedertäufertum zu begreifen, wenn man nur an sie kritisch herantritt, sie mit den dürftigen Resten anderer gleichzeitiger Zeugnisse vergleicht und einerseits den Gesamtcharakter des ketzerischen Kommunismus, andererseits aber die besonderen Verhältnisse, die in Münster herrschten, im Auge behält.

b. Das Schreckensregiment.

Vor allem darf man nicht vergessen, daß in Münster der Kriegszustand bestand, seitdem der Bischof es am 10. Februar überfallen hatte. Ein Krieg muß eine merkwürdig geringfügige Sache sein. Wie käme es sonst, daß »gutgesinnte« Historiker, die mit so viel Scharfsinn auch den unbedeutendsten Umstand zu entdecken wissen, der auf die oft recht gleichgültigen Handlungen eines Monarchen Einfluß gehabt haben kann, fast regelmäßig vergessen, den Kriegszustand in Rechnung zu stellen, wenn es sich um die Handlungen eines demokratischen oder gar kommunistischen Gemeinwesens handelt, das um seine Existenz kämpft. Man lese nur die herkömmlichen bürgerlichen Darstellungen der Erhebung der Pariser Kommune von 1871 oder der Schreckensherrschaft in der großen französischen Revolution!

Ebenso ist es den Wiedertäufern in Münster gegangen. Aber wenn man sie verstehen will, darf man an ihr Reich nicht den Maßstab des Friedenszustandes anlegen, sondern den einer belagerten, und zwar einer unter besonders erschwerenden Umständen belagerten Stadt. Denn für sie galt nicht das gewöhnliche Kriegsrecht; eine ehrenvolle Kapitulation war für sie ausgeschlossen. Die Belagerten hatten nur die Wahl zwischen dem Sieg und dem martervollsten Tod. Gegenüber Rebellen erscheint selbst die grausamste Strafe zu gelind. Das ist, wie Luther sagt, ein Liebesdienst, den ihnen die Fürsten erweisen.

Der bekannte konservative Geschichtsprofessor Leo hat diese famose Idee aufgenommen. Er schildert in seinem Vortrag über Münzer die blutige Niederschlagung des Bauernaufstandes: » Überall verbreiteten sie (die Fürsten) durch rasch und streng angeordnete Todesstrafen Schrecken und brachten die armen Leute ... dadurch wieder aus der Verführung ... zur Besinnung – es war die erste und unter diesen Umständen notwendigste Leistung landesherrlicher Liebespflicht.« (»Thomas Münzer«, S. 23.) Neu ist dabei die feine Wendung, man bringe jemanden am besten dadurch zur Besinnung, daß man ihm den Kopf abschlägt. Übrigens drückt sich der Herr Professor sehr zart aus, wenn er von »rasch und streng angeordneten Todesstrafen« spricht. Man denkt dabei an bloßes Hängen oder Köpfen. Aber damit waren die liebevollen Landesväter nicht zufrieden. Die Erfurter Stadtchronik erzählt: »Der Landgraf Philipp und Herzog Georg ließen (nach der Schlacht von Frankenhausen) den Frauen der gefangenen Männer einen Prediger mit seinem Kaplan überantworten. Die haben sie müssen mit Knütteln zu tot schlagen, damit sie ihre Männer am Leben erhielten. Und die Frauen haben sie also zerschlagen, daß ihnen die Köpfe sind gewest wie ein gesottenes Krauthaupt, daß das Gehirn an den Knütteln gehangen hat. Hierauf gab man ihnen ihre Männer los. Es haben auch die Fürsten zugesehen, daß solches geschehen ist.« Das war in Thüringen. Um dieselbe Zeit amüsierten sich auch in Franken die Ordnungsmänner in ähnlicher Weise: »Abends wurde Jakob Rohrbach im Weidorf an eine Falbe mit eiserner Kette gebunden und, wie der Pfeifer von Ilsfeld, mit Feuer umlegt, daß auch er langsam bratend mit lebendigem Leibe den gräßlichen Todestanz in dem Feuerkreis um den Baum tanzen mußte, unter Trommeln und Pfeifenschall. Kinder auf den Achseln der Kriegsknechte sahen zu, und umher standen die Edlen, bis sein letzter Ton versank und bis er, nicht mehr er selbst, keine Gestalt mehr, zusammensank.« (Zimmermann, S. 437, 476.) Diese Bestialitäten wagt ein Gelehrter des neunzehnten Jahrhunderts als Leistungen einer Liebespflicht zu beschönigen! Und das zetert über »Neronische Grausamkeit« bei den Proletariern.

Ziehen aber die Rebellen die Konsequenz des fürstlichen Blutdurstes, dann zeigen dieselben Gelehrten deutlich, welche Scheußlichkeiten die – Freiheit und Gleichheit gebiert. Das ist die Logik der »Leuchten der Wissenschaft«.

Neben der besonderen Situation, die in Münster zu Bluttaten reizte, ist also in Betracht zu ziehen der Charakter des Jahrhunderts, welches eines der blutdürstigsten, vielleicht das blutdürstigste der Geschichte gewesen ist. Es sei denn, daß es vom zwanzigsten überboten wird. Das schandbare Treiben der russischen Machthaber seit der Revolution von 1905 reiht sich würdig den »Liebesdiensten« der frommen deutschen Landesväter der Reformationszeit an. Das ist ein schöner Beginn jenes Jahrhunderts, das die Entscheidung im proletarischen Klassenkampf bringen wird.

Die Wiedertäufer wußten insbesondere vom Blutdurst ihrer Gegner zu erzählen. Die friedfertigsten aller Menschen, waren sie systematisch allenthalben wie wilde Tiere gehetzt und den scheußlichsten Martern preisgegeben worden. Daß die Verzweiflung unter diesen armen Menschen schließlich eine Richtung aufkommen ließ, die der Schafsgeduld überdrüssig wurde und zu gewaltsamem Widerstand riet, ist nicht zu verwundern. Zu verwundern ist es nur, daß sie so lange brauchte, sich zu entfalten, und daß sie stets nur einen Teil der Verfolgten umfaßte.

Jetzt hatte eine Reihe glücklicher Umstände den so grausam Mißhandelten eine feste Stadt in die Hände gespielt. Aber bereits bedrohte sie von außen völlige Ausrottung.

Wie handelten sie unter diesen Umständen?

»Am 27. Februar,« berichtet mit der nötigen sittlichen Entrüstung Janssen, »begann die Schreckensherrschaft mit der Verkündigung des Befehls: alle Einwohner müßten entweder die neue Taufe nehmen oder die Stadt verlassen.« Und er zitiert den Bischof von Münster, der sich in einem Schreiben darüber empört zeigt, daß man die »frommen Bürger« in Armut aus der Stadt jagte, und erklärte, »daß in keinen Landen, auch von keinen Unchristen, Türken oder Heiden, solche unerhörte, unmenschliche Grausamkeit vernommen worden sei«. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, III, S. 300.

So groß ist die Entrüstung des katholischen Historikers darüber, daß er ganz vergißt, auch nur mit einem Worte zu erwähnen, daß der so zartfühlende Bischof um diese Zeit bereits Münster belagerte, ja daß er bereits am 13. Januar ein Edikt erlassen hatte, das seine Beamten beauftragte, jeden »Ungehorsamen und Rebellen« gemäß dem kaiserlichen Edikt zu behandeln, das heißt umzubringen. Und dies Edikt wurde streng durchgeführt. Mit Behagen erzählt Kerssenbroick: »Damit aber dem kaiserlichen Edikt und den Verordnungen des Rechts Genüge geschehe, wurden die hin und wieder in der Diözese sich aufhaltenden Wiedertäufer scharf gestraft. Denn um diese Zeit wurden fünf Wollbeckische Weiber und ein Mann im Wasser ersäuft. Zu Bewergern wurden vier Weiber zum Wasser und zwei Männer zum Feuer verurteilt. Auch wurden viele von Rothmann heimlich Wiedergetaufte zur verdienten Lebensstrafe gezogen.« (I, S. 517.) Von alledem erfährt man bei Janssen nichts – und er ist darin ein Muster der herkömmlichen Darstellung –; wie diese, schweigt auch er natürlich davon, daß die Gegner der Wiedertäufer in der Stadt sich mit dem Bischof verschworen hatten, seinen Truppen am 10. Februar die Tore zu öffnen. Jetzt, nach dem Beginn der Belagerung, wurden diese mit dem äußeren Feinde Verschworenen nicht etwa hingerichtet, was dem Kriegsrecht und dem guten Beispiel des Bischofs entsprochen hätte, sondern aufgefordert, die Stadt zu verlassen! Und das nennt man »Schreckensherrschaft«! Welch elende Heuchelei!

Im Verlauf der Belagerung wurde ein strenges Regiment in der Stadt notwendig. Eine Reihe von Hinrichtungen fand statt. Sieht man die Fälle an, die Kerssenbroick und Gresbeck erzählen, so betreffen sie stets Vergehen gegen die Sicherheit der Stadt: Einverständnis mit dem Feinde, Vergehen gegen die Disziplin, Versuche, zu desertieren oder die Bevölkerung zu entmutigen. Kein Zweifel, eine Hinrichtung ist eine Grausamkeit, aber nicht grausamer als der Krieg. Und den hatten die Täufer wahrlich nicht gesucht. Er war ihnen aufgedrängt worden. Bei jeder Gelegenheit beteuerten sie ihre Friedensliebe.

In einer Flugschrift an die belagernden Landsknechte erklärten sie: »Höret, ihr Jünglinge und Alten, die ihr rings um unsere Stadt euer Lager gezogen habt: Da wir nicht allein von Herzen wünschten, mit jedermann Frieden zu halten, sondern auch die brüderliche Liebe in Christo gegen alle Menschen betätigen möchten, so werdet ihr zusehen müssen, wie ihr es vor frommen Leuten – geschweige denn vor Gott – verantworten wollet, daß wir von euch gegen alle geschriebenen und unterzeichneten Friedensverträge, ohne ordentliche Kriegserklärung gewaltsamerweise belagert und um das Leben gebracht werden.« Das ganze Flugblatt ist abgedruckt bei Kerssenbroick, II, S. 9.

Ein »Schreckensregiment« herrschte nicht bloß in Münster, sondern auch im Machtbereich des Bischofs. Und der Vergleich zwischen beiden fällt nicht zugunsten des letzteren aus.

Der Bischof war der Angreifer, die Täufer die Angegriffenen. Der Bischof tötete um seines Profits willen, die Täufer töteten, um nicht selbst getötet zu werden. Sie kämpften um ihr Leben. Und die Bischöflichen liebten es, die Täufer auf martervolle Weise zu Tode zu bringen, namentlich durch Ersäufen und Verbrennen. In Münster wurden die Verurteilten nicht gequält. Es gab dort nur zwei Hinrichtungsarten, über die selbst das so humane neunzehnte Jahrhundert nicht hinausgekommen ist, das Köpfen und das Erschießen.

Man hat einen besonderen Blutdurst darin gesehen, daß die Befehlshaber der Stadt, der »König« Johann von Leyden und sein Statthalter Knipperdollinck, die Hinrichtungen eigenhändig vollzogen. Darin liegt eine grobe Verkennung des Fühlens und Denkens jener Zeit. Wenn die hohen Herren, denen damals in der Regel die Entscheidung über Leben und Tod eines Angeklagten zustand, den Verurteilten nicht selbst töteten, so geschah dies nicht aus humanen Bedenken, sondern deswegen, weil ihnen die ekle und schmutzige Arbeit gewerbsmäßiger Hinrichtung zu gemein erschien. Der Scharfrichter, dessen Handwerk das Hantieren mit Kadavern war, galt allenthalben als der verächtlichste der Menschen, dessen Umgang man ängstlich mied. Wenn nun die Führer der Bewegung in Münster das Henkersamt selbst übernahmen, so vollzogen sie damit einen beispiellosen Akt der Selbsterniedrigung, einen Akt, der nicht von Grausamkeit zeugt, sondern von einem hohen Gefühl der Gleichheit.

Daß dies »keine Erdichtung« ist, um mit Kerssenbroick zu reden, bezeugt dieser würdige Mann selbst, dem wir in diesem Punkte sicher trauen dürfen. »Eben um diese Zeit,« schreibt er, »übergab der Prophet und Mann Gottes, Johann Bockelson, dem Knipperdollinck zum Schrecken der Übeltäter das Schwert und belegte ihn vor der ganzen Versammlung mit dem Namen des Schwertführers. Denn da alles Hohe erniedrigt werden sollte und Knipperdollinck bisher Bürgermeister und das Haupt der Stadt gewesen sei, so sei es der Wille des Vaters, daß er nun das so gering geschätzte Amt eines Scharfrichters verwalten solle.« (I, S. 545.)

Deutlicher kann man wohl nicht sprechen. Die Hinrichtungen, die der König eigenhändig vollzog, entsprangen demselben Prinzip, das ihn veranlaßte, bei den öffentlichen Mahlen mit der Königin die Menge zu bedienen.

Für die Schauermär, die uns Kerssenbroick erzählt, Johann von Leyden habe eine seiner Frauen selbst geköpft und seine Frauen hätten mit ihm um den Leichnam herumgetanzt, haben wir ein authentisches Zeugnis nicht gefunden. Sie gehört wohl in dasselbe Gebiet wie des Johann Mathys' »feurige Taufe«. Allgemein bekannt ist es dagegen, daß ein wirklicher König und Zeitgenosse des »Schneiderkönigs« zwei seiner Frauen köpfen ließ, sobald er ihrer überdrüssig geworden. Der das tat, Heinrich VIII., wird von guten Protestanten verehrt als Begründer der englischen Staatskirche.

Für unser modernes Fühlen erscheint die Ausübung des Henkeramtes durch den »König« und seinen Statthalter sicher sehr widerlich, aber die heutigen Anhänger der Todesstrafe haben am wenigsten Ursache, darüber die Nase zu rümpfen. Wer ein Todesurteil billigt, aber davor zurückschaudern würde, es selbst zu vollziehen, der bezeugt damit seine Feigheit, Verzärtelung, Hochmütigkeit oder Gedankenlosigkeit, auf keinen Fall aber eine Eigenschaft, auf die er Ursache hätte stolz zu sein.

Wo bleibt nun nach alledem die unerhörte, neronische Grausamkeit der Wiedertäufer? Sie zerstiebt wie Dunst, sobald man sie näher ansieht. Weit entfernt, besonders grausam zu sein, erwiesen sie sich vielmehr für ihre Zeit und für ihre besondere Situation als ungewöhnlich milde. Ihre Grausamkeit bestand darin, daß sie sich nicht geduldig hinschlachten ließen wie Schafe, allerdings ein unsühnbares Verbrechen in den Augen eines jeden »Gutgesinnten«. Das Hinüberschießen ist ein hochzupreisender Liebesdienst, jeder Schuß herüber dagegen eine teuflische Bestialität!

Mit der Beschuldigung der Grausamkeit eng verschwistert ist die der Tyrannei: Münster zeige uns, wohin die Freiheit und Gleichheit des Kommunismus führe.

Wir haben gesehen, daß die Täufer in Münster auf vollkommen gesetzlichem Wege zur Herrschaft gelangt waren. Der Rat war aus Anhängern der Taufe zusammengesetzt. Aber eben weil die Wahl gesetzlich vor sich gegangen war, hatte sie innerhalb der Schranken stattgefunden, die das alte Wahlrecht festsetzte. Das aktive und passive Wahlrecht war beschränkt, nur die ansässigen Bürger waren im Rat vertreten. Die Proletarier fanden keine Vertretung im Rat, ebensowenig die Emigranten, die an Zahl der übrigen wehrhaften Bevölkerung, welche in der Stadt geblieben war, ungefähr gleich gewesen sein sollen und die an den Lasten des Kampfes ihren vollen Anteil trugen. Andererseits war die bürgerliche Behörde für Friedenszeiten eingerichtet und den Anforderungen nicht gewachsen, welche die Belagerung stellte.

Der Belagerungszustand hat stets eine Aufhebung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten und die unumschränkte Verfügung der Militärbehörden über Leben und Gut der belagerten Bevölkerung zur Folge gehabt, so sehr, daß das Wort »Belagerungszustand« gleichbedeutend geworden ist mit der Beseitigung des gemeinen Rechtes und der politischen Freiheiten. Der Kommunismus hat bisher leider noch nicht das Wunderelixier erfunden, wodurch diese notwendige Konsequenz des Belagerungszustandes überflüssig geworden wäre. Er konnte auch in Münster nicht verhindern, daß die Belagerung zur militärischen Diktatur führte. Wem das nicht deutlich die Verwerflichkeit des Kommunismus und die Verworfenheit der Kommunisten beweist, dem ist nicht zu helfen.

Neben dem Rat bildeten die Prediger eine Art Volksvertretung. Sie wurden von den einzelnen Kirchspielen gewählt, und bei ihrer Wahl kam auch die unzünftige Bevölkerung zur Geltung. Außer dem sehr formlos betriebenen Gottesdienst beschäftigten die Prediger Fragen der Gesetzgebung und der Verwaltung. Sie waren es auch, die (nach Mathys' Tode) der Gemeinde die Einsetzung eines »Wohlfahrtsausschusses« vorschlugen, dessen Mitglieder sie selbst ernannten – mit Zustimmung der Gemeinde.

»Da haben die Propheten und Prädikanten,« erzählt Gresbeck, »wieder gedacht und wollten keine Obrigkeit haben in der Stadt Münster. Die Propheten, Prädikanten, Holländer und Friesen, die Bösewichter, die rechten Wiedertäufer, sie wollten allein Herren sein. So haben sie gesetzt zwölf Älteste, von den Weisesten, die gute Christen sein sollten, die sollten das Volk regieren und sollten ihm vorgehen, und die zwölf Ältesten sollten die Gewalt haben in der Stadt. So haben sie die Bürgermeister und den Rat, den sie gesetzt hatten, abgesetzt, und alle Gilden und Älterleute, so daß diese keine Obrigkeit mehr sein sollten.« (S. 35.) Kerssenbroick nennt unter den Ältesten ausdrücklich drei auswärtige »Brüder«, darunter einen Friesen, aber auch Mitglieder des alten Rates, ja sogar einen der zwei Bürgermeister von 1533, den Patrizier Hermann Tilbeck, der, wie wir gesehen haben, von Anfang an mit den Täufern sympathisiert hatte.

Da die Täufer nicht klassisch gebildet waren, sondern nach der Art aller ketzerischen Kommunisten und Demokraten im Alten Testament ihre literarische Grundlage suchten, nannten sie die Mitglieder des Ausschusses nicht etwa Senatoren, oder Direktoren, oder Diktatoren, sondern »die Ältesten der zwölf Stämme Israels«. Diese wurden mit unumschränkter richterlicher, gesetzgebender und administrativer Gewalt ausgestattet.

Aber das Wesen der Belagerung brachte es mit sich, daß die tatsächliche oberste Gewalt dem Kommandanten der Festung zufiel. Das war anfangs der Prophet Johann Mathys. Als dieser am 5. April 1534 bei einem Ausfall aufs tapferste kämpfend gefallen war, trat Johann von Leyden an seine Stelle, die er auch, wie der Erfolg bewies, aufs trefflichste ausfüllte.

Als Stadtkommandant und Befehlshaber der Kriegsmacht wurde er unumschränkter Herr der Stadt. Am 31. August geschah nach heftiger Beschießung ein großer Sturm auf die Stadt, der glücklich abgeschlagen wurde. Als nach diesem Erfolg auf Antrag des Goldarbeiters und Propheten Dusentschur und im Einverständnis mit den hervorragendsten Täufern, Knipperdollinck, Tilbeck, Heinrich und Bernt Krechtinck (zwei Brüder, die im Februar zugewandert waren), Rothmann und den zwölf Ältesten, diese ihre Gewalt vor der Gemeinde auf Johann von Leyden übertrugen, so bedeutete dies nur die Anerkennung eines tatsächlich schon bestehenden Zustandes.

Nach Kerssenbroick freilich war das ganze Wiedertäuferreich von Johann willkürlich fabriziert worden, zu dem einzigen Zwecke, damit er dessen Herrscher werden könne. »Nach dergleichen Dingen hatte Johann Bockelson von Leyden schon lange gestrebt. Deswegen hatte er auch alle Obrigkeiten verworfen und verachtet. Eben deswegen verordnet« er, daß alle Bürger ihre Güter miteinander gemein haben sollten, und riß ihr Eigentum an sich« usw. (II, S. 47.) Man sieht, die modernen Sozialistentöter brauchen sich auf ihre Albernheiten nichts einzubilden. Dergleichen verstand man schon vor mehr als dreihundert Jahren ebensogut.

Daß die Täufer für ihren Stadtkommandanten keinen passenderen Namen fanden als den eines Königs in Israel, liegt an ihrer schon bemerkten einseitig biblischen Bildung. Fromme Seelen sollten ihnen das am allerwenigsten übelnehmen, und den königstreuen Historikern sollten jene Kommunisten, die sich einen König setzten, um deswillen besonders sympathisch sein. Bei den in Frieden lebenden Wiedertäufern, zum Beispiel den mährischen, werden sie vergeblich nach der geringsten Spur monarchischer Tendenzen suchen.

Als guter General sorgte Johann von Leyden nicht nur für ausreichende Kriegsrüstung und Kriegsübung seiner Truppen, sondern auch für eine gute psychologische Verfassung der Bevölkerung. Um sie niederdrückender Untätigkeit und den Beängstigungen der Belagerung zu entreißen, trachtete er danach, sie zu beschäftigen und zu amüsieren. Für ersteres sorgte er durch Schanzarbeiten und das Abreißen überflüssiger Kirchen und alter Quartiere. Das berichtet Kerssenbroick, natürlich nicht ohne die Beigabe der üblichen Verdächtigung: »Damit aber den Stadteinwohnern keine Zeit bliebe, an einen Aufruhr gegen den König zu denken, so haben sie (die Befehlshaber der Stadt) selbige beständig mit Arbeit belegt, und damit sie auch nicht zu mutwillig würden, ihnen weiter nichts als Brot und Salz zu essen gegeben. So weiß unser objektiver Historiker selbst aus der einfachen Tatsache, daß in der belagerten Stadt die Lebensmittel knapp wurden, einen Strick für die Führer der Wiedertäufer zu drehen! Denn da sie zu der Zeit (Januar 1535) keine neuen Festungswerke anzulegen noch angelegte auszubessern hatten, so wurde ihnen aufgegeben, daß sie teils die Kirchen, teils die Hütten und andere niedere Häuser, die um die Baumgärten herumstanden und schon vor gar langer Zeit waren aufgebaut worden, niederreißen und alles Mauerwerk aus der Erde herausgraben sollten. Daher fingen sie schon den 21. Januar an, das oberste Dach an der Kirche abzubrechen, nachdem sie vorher mit weiter nichts als mit Arbeit an den Befestigungen sich die Zeit vertrieben hatten.« (II, S. 142.)

Aber nicht nur für Arbeit sorgte Johann, sondern auch für Amüsement. Neben kriegerischen und gymnastischen Übungen arrangierte er gemeinsame Mahlzeiten, Spiele und Tänze, festliche Aufzüge und Theateraufführungen. Dabei kam ihm seine lebensfrohe Künstlernatur sehr zu statten. Auf den modernen Beschauer macht freilich sein Auftreten und Wirken bei diesen Volksbelustigungen, namentlich den Festzügen, leicht den Eindruck des Theatralischen, und wir wissen ja, daß er auf dem Theater zu Hause war und sich auf Bühnenwirkungen verstand. Das theatralische Moment in Johann von Leyden hat bei unseren ehrsamen Geschichtschreibern stets großen Anstoß erregt. Der Verfasser der » Schlaraffia politica« nennt ihn einen »Theaterkönig« (S. 69); Bezold nennt in seiner »Geschichte der deutschen Reformation« (S. 710) den »überladenen Prunk« Johanns »echt schneidermäßig« – wir wissen nicht, wo der gelehrte Professor seine Studien in Schneiderpsychologie gemacht hat. Am drolligsten aber gebärdet sich der Geschichtschreiber der Wiedertäufer, Keller, der nach der Schilderung eines Aufzugs des Königs entrüstet ausruft: »Es war ein unerhörtes Komödienspiel, welches dieser holländische Schneider vor seinen Genossen und vor der Welt anrichtete. Einstweilen schützten die Mauern einer wohlbewehrten Stadt diesen Herrscher vor der wohlverdienten Züchtigung« usw. (S. 217.) Setzt Herr Keller nur bei Kommunisten auf Kleiderpracht die Todesstrafe oder auch bei Monarchen? Wie viele würden dann die »Züchtigung« nicht »wohlverdienen«? Aber man darf Johann auch nicht mit modernen Augen betrachten.

Uns erscheinen festliche Aufzüge als etwas Theatralisches, weil wir sie nur vom Theater her kennen. Vor drei- oder vierhundert Jahren waren sie ein organisches Moment des sozialen Lebens. Die Ursachen davon haben wir bereits im ersten Band angedeutet. Kirche, Fürsten und Adel wetteiferten damals miteinander in prunkhaftem Auftreten. Die Wiedertäufer, wie alle ketzerischen Kommunisten, verwarfen diesen Prunk, der ein Resultat der Ausbeutung war. Sie trugen nicht nur selbst höchst einfache Kleider, sie weigerten sich auch (in Mähren), Prunkkleider für andere zu verfertigen. Einer der mährischen Täufer erklärte »über das Kleidermachen«: »Mit allem Fleiß sollen und wollen wir unserem Nächsten dienen mit allerlei Fleiß zu seiner Notdurft und daß Gott darin gelobt und unser Fleiß erkannt werde. Was aber allein zur Pracht, zum Stolz und zur Hoffart gereicht, als zerschnittene, verbrämte und ausgestochene Werk, das machen wir niemandem, auf daß wir unser Gewissen unbefleckt erhalten.« (Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer, S. 126.) Aber wie in anderer Beziehung, herrschten auch in dieser in Münster abnorme Verhältnisse. Der Kleiderprunk, den Johann mit seinen Leuten entfaltete, beruhte nicht auf der Ausbeutung von Arbeitern. Diesen »schneiderhaften, überladenen, komödienhaften« Prunk fanden sie als Produkt des vorkommunistischen Regimes vor, er wurde nicht für sie geschaffen. »Sie (die Räte des Königs),« erzählt Gresbeck, »hatten dieselben Röcke in der Stadt gekriegt, die den reichen Leuten gehört hatten, welche sie aus der Stadt getrieben hatten.« (S. 89, vergleiche S. 136, wo als ehemalige Besitzer der Röcke die vertriebenen Bürger und Junker genannt werden.) Und Kerssenbroick berichtet: »Sie hatten Gold und Silber, es mochte solches den Bürgern oder der Stadt gehören, wie auch die heiligen, gestickten, seidenen, purpurnen und alle anderen Zieraten, welche dem Gottesdienst gewidmet waren, aus den Kirchen genommen und an sich gezogen; auch hatten sie alles andere, so der Stadt und den Bürgern gehörte, sich zu eigen gemacht und sogar die, die sich widersetzten und den Unfug nicht länger ausstehen oder ertragen wollten, um das Leben gebracht; so hat man sich damit nach eigenem Wohlgefallen, ungeachtet es von anderen mit saurer Mühe (!) war erworben worden, geputzt und geziert.« (II, S. 58.)

Der Prunk war also der in Münster herkömmliche; er hatte bloß seine Träger gewechselt, aus den Händen der Ausbeuter war er in die der Ausgebeuteten gefallen, die ihn geschaffen hatten: damit hatte er sofort die verwerflichsten Eigenschaften bekommen.

Zur Entfaltung des Prunkes unter den Münsterschen Täufern dürfte auch die Apokalypse etwas beigetragen haben. Dort wird das neue Jerusalem voll von Gold und Edelsteinen geschildert, »und die Könige aus Erden werden ihre Herrlichkeit in die Stadt bringen« (21, 24). In Münster galt es, zu beweisen, daß die Stadt wirklich das langersehnte neue Jerusalem sei.

Übrigens darf man sich den Münsterschen Prunk nicht so ausschweifend vorstellen, wie es in der Regel geschieht. Dürfte man den Beschreibungen Gresbecks glauben, dann müßten Johann und seine Kriegsleute unglaubliche Mengen Goldes und Silbers auf sich getragen haben. Wer das wörtlich nehmen wollte, würde bei genauerem Zusehen ebenso enttäuscht sein wie die bischöflichen Landsknechte vor Münster, denen man mit ähnlichen Geschichten den Mund nach der fetten Beute wässerig gemacht hatte. Da war zum Beispiel ein Landsknecht, der früher bei den Wiedertäufern gewesen, der erzählte, »daß der König einen großen Schatz bei sich hätte von Geld, Silber und Gold«. Fünf bis sechs Tonnen Goldes erwarteten sie in der Stadt zu finden. Aber als sie Münster erobert hatten, fanden sie kaum eine halbe Tonne Goldes, und es nützte ihnen nichts, daß sie den gefangenen Johann und die Beutemeister folterten und den Landsknecht, der so unbegründet geschwätzt, enthaupteten, es wurde dadurch nicht mehr.

Von einem Vergraben der Schätze konnte keine Rede sein, denn die Stadt war unerwartet durch einen nächtlichen Überfall genommen worden, und die Belagerten fanden kaum Zeit, zu den Waffen zu greisen, geschweige Schätze zu vergraben.

Charakteristisch sind die Theaterstücke, die Johann aufführen ließ. Eines davon beschreibt uns Gresbeck. Es ist ein Tendenzstück: »Sie haben große Freude betrieben, auf daß sie die Zeit hinbrächten. So hat der König das gemeine Volk im Dom tagen lassen. So ist all das gemeine Volk in den Dom gekommen von Männern und Frauen, außer jenen, welche Wache auf den Wällen halten mußten, um die große Freude zu sehen und das Wunder, das in dem Dom geschehen sollte. So hat der König eine Bühne machen lassen, mit Gardinen umher behangen, auf dem Chor in dem Dom, wo der Hochaltar steht, den ein jeder umher sah, da spielten sie das Spiel vom reichen Mann und vom Lazarus. So haben sie das Spiel angefangen und haben gespielt und haben die Sprüche gegeneinander getan. Wenn der Mann einen Spruch getan hatte mit Lazarus, so stunden am Fuße der Bühne drei Pfeifer mit Querpfeifen und spielten ein Stück mit drei Stimmen. Dann begann der reiche Mann wieder zu sprechen, und dann spielten die Pfeifer wieder. So dauerte das Spiel bis zum Ende. Zuletzt sind Teufel gekommen und haben den reichen Mann mit Leib und Seele geholt und hinter die Gardine geführt. Da war ein großes Lachen in dem Dome, da sahen sie große Freude.« (S. 168.)

So harmlos wie diese sind auch die anderen Volksbelustigungen, von denen Gresbeck erzählt. Er spricht hämisch und verbissen genug von diesem heiteren Treiben, aber von Zügellosigkeiten oder auch nur Leichtfertigkeiten erwähnt er nichts.

Die schlimmste »Orgie«, von der er zu erzählen weiß, ist folgende: »Danach (nach der Wahl der zwölf Torkommandanten, Herzoge genannt, durch das Volk) hat der König eine Gasterei gehalten und hat alle die Herzoge und Räte zu Gaste geladen und des Königs Räte mit allen ihren Frauen und allen obersten Dienern des Königs ... Als sie nun beieinander gewesen sind, haben sie sich angestellt, als wollten sie ihr Leben lang das Regiment führen. Und als die Mahlzeit getan gewest ist, da haben sie hofiert und getanzt, ein jeder mit seiner Frau. Der König hat mit den Herzogen hofiert und hatte sie zu Gaste geladen, und sie aßen und tranken und waren guter Dinge.« (S. 184.)

Das gibt Keller wieder mit den Worten: »Der König versammelte alle die Herzoge, Räte, Statthalter und Würdenträger mit ihren Frauen zu einem großen Fest in der Residenz und schwelgte mit ihnen in aller Pracht und in ÜberflußGeschichte der Wiedertäufer, S. 237

So wird Geschichte geschrieben! Von Schwelgerei, Pracht und Überfluß findet sich in dem ganzen Bericht Gresbecks kein Wort!

Aus dem Zusammenhang geht hervor, daß Gresbeck nicht von Schwelgerei reden, sondern die Tatsache brandmarken wollte, daß der König und seine Leute überhaupt noch zu essen und zu trinken hatten, indes das Volk hungerte, denn er fährt fort: »Das andere gemeine Volk lief zur Stadt hinaus vor Hunger, und ein Teil begann vor Hunger zu sterben.«

Damit kommen wir zur schwersten Beschuldigung Gresbecks gegen Johann von Leyden: nicht, daß er wüste Orgien feierte, sondern daß er der hungernden Bevölkerung die notwendigen Lebensmittel vorenthielt, indes er selbst vollauf zu essen hatte.

Aus eigener Anschauung weiß Gresbeck davon nichts, denn er gehörte nicht zu der Umgebung des Königs, weder zu den Offizieren noch zu den Verwaltungsbeamten. So wie über die obenerwähnte »Gasterei« spricht er über das Wohlleben Johanns überhaupt nur vom Hörensagen. Daß in der Stadt mancher Unzufriedene war, als die Rationen immer mehr verringert wurden, ist naheliegend, und ebenso, daß sich diese Unzufriedenheit in übler Nachrede über den Kommandanten Luft machte. Merkwürdig aber ist es, daß die Leute um so bestimmter vom Wohlleben des »Königs« inmitten der Not zu sprechen wissen, je ferner sie ihm sind.

So schrieb zum Beispiel der Bürgermeister von Frankfurt, Justinian von Holzhausen, der sich im Kriegslager vor Münster befand, am 8. Juni 1535 an seinen Vater: »Die Kühe, so noch drinnen, Am 29. Mai schreibt er, sie hätten noch zweihundert Kühe. frißt der König mit seinem Haufen hinter der Gemein. Uns wundert, daß die Gemein den Betrug des Königs nicht merktBerichte der Augenzeugen, S. 354. Wieso merkte ihn denn der Bürgermeister draußen im Feldlager?

Gresbeck selbst aber verplappert sich einmal und weist darauf hin, daß Johann an der allgemeinen Notlage teilgenommen habe: »Und es ist also der meiste Teil von den Frauensleuten aus der Stadt gezogen vor großem Hunger. So hatte der König fünfzehn Frauen. Denen hat der König allzumal Urlaub gegeben, mit Ausnahme der Königin, die hat er allein behalten. Und hat zu den anderen Frauen gesagt, daß eine jede sollte nach ihren Freunden gehen, daß sie was zu essen kriegten, wo immer sie könntenDiese Stelle allein spricht schon gegen die obenerwähnte grausige Geschichte von der Hinrichtung einer der Frauen des Königs durch diesen. Wenn er seine Frauen vollzählig versammelte und entließ, kann er nicht vorher eine umgebracht haben. Das erzählt uns Gresbeck fast unmittelbar nach seinem Bericht über die »große Gasterei« auf Seite 190. Er verstand sich noch nicht auf die Kunst einer »einheitlichen Geschichtschreibung.«

c. Der Kommunismus.

Die Gütergemeinschaft war die Grundlage der ganzen täuferischen Bewegung. Ihretwegen wurde der große Kampf um Münster gekämpft. Aber nicht sie war es, die in erster Linie den Charakter des Münsterschen Täuferreichs bestimmte, sondern die Belagerung. Münster war ein großes Kriegslager, die Erfordernisse des Krieges gingen allen anderen voran, und die Freiheit und Gleichheit galten nur, soweit sie sich mit der Militärdiktatur vertrugen.

Kaum war Münster am 10. Februar in die Hände der Täufer geraten, da sandten sie nach allen Seiten Briefe aus und luden die Gesinnungsgenossen ein, nach Münster zu kommen. In einem der Briefe, der noch erhalten ist, heißt es: »Hier sollt Ihr aller Notdurft genug haben. Die Ärmsten, die bei uns sind und die hier vormals verachtet waren als die Bettler, die gehen nun so köstlich gekleidet wie die Höchsten und Vornehmsten, die bei Euch oder bei uns zu sein pflegen. Und es sind die Armen also reich durch Gottes Gnade geworden wie die Bürgermeister und die Reichsten in der Stadt.«

Aber dieser Kommunismus blieb in seinen Anfängen stecken.

Man spricht immer davon (so noch Keller), in Münster sei alles Privateigentum aufgehoben gewesen. Nichts weniger als das. Nur das Privateigentum an Gold und Silber, das Geld, wurde gänzlich aufgehoben. Die Propheten, Prädikanten und der Rat (es war noch vor Einführung der Verfassung der zwölf Ältesten) »sind des fortan eins geworden und haben beschlossen, daß alle Güter sollen gemein sein, daß ein jeder solle sein Geld, Gold und Silber aufbringen, wie auch zuletzt ein jeder getan hat«. (Gresbeck, S. 32.) Dies Geld diente zur Bestreitung des Verkehrs der Stadt mit der Außenwelt, namentlich der Aussendung von Agitatoren und der Gewinnung von Landsknechten.

Aber der Einzelhaushalt blieb bestehen und das Privateigentum an Produktions- und Konsumtionsmitteln wurde nur insofern ausgehoben, als die Bedürfnisse des Krieges es erheischten.

Das Erbrecht bestand fort. Unter den Einrichtungen, welche die Ältesten trafen, verzeichnet Kerssenbroick (II, S. 8) auch folgende: »Wenn einer nach Gottes Schickung sollte erschossen werden oder aus sonst eine Art im Herrn entschlafen, so soll sich niemand unterstehen, dessen zurückgelassene Güter, als da sind Gewehr, Kleider usw., für sich wegzunehmen, sondern sie sollen zu dem Schwertführer Knipperdollinck gebracht werden, der dieselbigen den Ältesten vorlegen soll, auf daß sie durch deren Vermittlung den rechten Erben mögen zuerkannt werden

Selbst von der Kriegsbeute konnte ein Teil in Privateigentum übergehen. Der 14. unter den 28 Artikeln, die Johann von Leyden dem Volke am 2. Januar 1535 vorlegte, bestimmt: »Wenn den Feinden Beute abgenommen worden ist, so soll niemand diese für sich behalten oder nach seiner Willkür einen Gebrauch davon machen, sondern, wie es billig ist, seiner Obrigkeit die Sache anzeigen und die Beute herbeibringen. Würde ihm die Obrigkeit etwas davon geben, so könne er selbiges, ohne ein Unrecht zu begehen, zu seinem Nutzen verwenden.«

Und im nächsten Artikel heißt es: »Es soll ein Christ bei Strafe des jüngsten Gerichts nicht mit seinem Bruder handeln, noch ihm um Geld etwas abkaufen; auch soll bei Tauschen und Verwechseln keiner den anderen listig und betrüglich behandeln.«

Nach der Aufhebung des Geldes war der Tausch unumgänglich geworden, wenn man das Privateigentum an den Produktionsmitteln und Produkten beibehielt. Wie wenig man dies aufhob, zeigt folgende Episode aus der Zeit nach Johanns Erhebung zum Königtum, die wir bei Gresbeck finden (S. 144): »So ist Knipperdollinck zu einem Krämer gekommen. Derselbe hatte noch seinen Kram. Da sagte Knipperdollinck zu ihm: ›Du wärest auch wohl heilig; den Kram, den willst du nicht verlassen. Da sitzest du auf und brütest, ob du daraus könntest Junge (Profit?) kriegen. Der Kram ist dein Gott. Den mußt du verlassen, willst du heilig sein.‹« Der Kramhandel galt also gerade nicht als ehrenhaft, aber das »kommunistische Schreckensregiment« war weit entfernt davon, ihn gewaltsam unmöglich zu machen.

Wohl finden wir in Münster gemeinsame Mahlzeiten. Aber diese sind zum Teil gelegentliche festliche Zusammenkünfte des Volkes – Abendmahle –, zum Teil eine Kriegsmaßregel. »Sie haben auch vor jedem Tor ein Haus gehabt, dasselbe war ein Haus der Gemeinheit (Gemeinschaft). Dahin ging ein jeder von denen essen, die vor dem Tore Wache hielten und arbeiteten auf den Wällen oder im Graben. So pflegten sie auch in dem gemeinen Hause zu predigen, alle Tage des Morgens und Mittags. Die Diakone mußten die Kost bestellen in dem Hause der Gemeinheit, ein jeder Diakon für sein Tor. In einem jeden Kirchspiel hatten sie einen Wirt gesetzt in dem Hause der Gemeinheit, der da mußte kochen lassen und das Haus verwahren. Wenn es aber Mittag war, da stand ein junger Mann auf und las ein Kapitel aus dem Alten Testament oder aus den Propheten vor. Wenn sie nun gegessen hatten, so sangen sie einen deutschen Psalm. Dann standen sie auf und gingen wieder an ihre Wache.« (Gresbeck, S. 34, 35.)

Es waren nicht bloß Männer, sondern auch Frauen, die an diesen Mahlzeiten teilnahmen, denn auch die Frauen waren bei der Verteidigung tätig. Das eben zitierte, von Gresbeck gelieferte Bild der Bacchanalien, die bei diesen Gelegenheiten gefeiert wurden, wird vervollständigt durch die Bestimmungen der Ältesten darüber, die uns Kerssenbroick mitteilt (II, S. 5): »Auf daß auch in der Verwaltung des Essens und Trinkens die gehörige Ordnung in acht genommen werde, so sollen nicht allein diejenigen, die solches reichen, ihre Pflicht in acht nehmen und den Brüdern und Schwestern geben, was sie bisher bekommen haben, sondern es sollen auch die Brüder und Schwestern jedesmal gesondert an ihren Tischen ganz bescheiden und mit gehöriger Schamhaftigkeit sitzen und keine andere Speise fordern als diejenige, so aufgetragen worden.« Nach Kerssenbroick wäre bei Tisch kein Wort gesprochen, sondern dem Vorleser gelauscht worden.

Das gemahnt uns mehr an eine Pietistenversammlung als an Libertinismus. Aber es entspricht dem Wesen des ketzerischen Kommunismus.

Die Kosten der gemeinsamen Mahlzeiten hatten die katholische Kirche und die geflohenen Reichen zu tragen. Aus deren Häusern und den Klöstern nahmen die Diakone den nötigen Proviant.

Über jedes Kirchspiel waren drei Diakone gesetzt (von wem, sagt uns Gresbeck leider nicht, sie wurden wohl vom Volke gewählt), denen auch die Armenpflege oblag. Darüber ist der christliche Kommunismus praktisch auf die Dauer nirgends hinausgekommen, wo er den Einzelhaushalt bestehen ließ. »Die Diakone,« berichtet Gresbeck, »gingen in ihrem Kirchspiel umher und sollten sich umsehen, was für arme Leute in der Stadt wären, und sollten es ihnen an nichts gebrechen lassen. Mit einem guten Schein trieben sie das so in Münster

»Dieselben Diakone,« erzählt Gresbeck weiter, »gingen in alle Häuser und besahen, was ein jeder in seinem Hause von Kost, von Korn, von Fleisch hatte, und schrieben alles auf. Da sie das alles aufgeschrieben hatten, da war ein jeder des Seinen nicht mächtig.« (S. 34.) Diese Maßregel ist nicht ein Ausfluß des Kommunismus, sondern eine Kriegsmaßregel, die in einer belagerten Stadt selbstverständlich ist. Die Militärbehörde mußte die Menge des vorhandenen Proviants kennen. Gerade diese Maßregel setzt den Einzelhaushalt voraus. Erst später, unter dem Druck der Not, wurde befohlen, alle überflüssigen Kleider, sowie die gesamten Lebensmittelvorräte, welche die einzelnen Haushaltungen besaßen, abzuliefern. Aber auch damit wurde der Einzelhaushalt nicht aufgehoben; die Diakone hatten aus dem gemeinsamen Vorrat jeder einzelnen Familie ihren Anteil zuzuteilen, sowohl an Brot als auch an Fleisch, solange es solches gab. »Sie haben einen Teil der Pferde geschlachtet und das Pferdefleisch in das Fleischhaus tragen lassen. Da sind die Leute gekommen und haben das Fleisch geholt. So fragten die Diakone, wie viele Menschen in jedem Hause wären. Danach haben sie einem jeden gegeben und haben jedes Haus aufgeschrieben. Das haben sie getan um deswillen, daß ein jeder sollte nicht zweimal Fleisch haben.« (Gresbeck, S. 174.)

Auch das Land, zu dessen Bestellung die Not zwang, wurde nicht gemeinsam bestellt, sondern jedem Hause sein Anteil daran zugewiesen. »So hat der König Landherren gesetzt. Dieser waren vier in der Stadt. Die gingen in alle die Höfe und haben jedem Hause ausgetan ein Stück Landes oder zwei, je nachdem viele Leute im Hause waren. Da haben sie gegraben und gesät Kohl und Rüben und Wurzeln, Bohnen und Erbsen. Wer selber einen großen Hof hatte, der durfte davon nicht mehr brauchen, als ihm die Landherren zuwiesen. Sie hatten sich auch vorgenommen in der Stadt, alle Zäune und Riegel um die Höfe her abzubrechen, die in der Stadt waren, so gemein wollten sie die Höfe haben.« (Gresbeck, S. 175, 176.) Aber es kam nicht dazu. Die Bestimmung, daß alle Haustore Tag und Nacht offen stehen sollten, war wohl nicht eine ökonomische, sondern nur eine moralisierende Maßregel zur Hebung des Gefühls der Brüderlichkeit.

Mit der Aufrechterhaltung des Einzelhaushaltes war aber eng verbunden die Erhaltung der Disziplinargewalt des Haushaltungsvorstandes über die Mitglieder des Haushaltes. Und eine mittelalterliche Familie umfaßte mehr Leute, als bloß ein Ehepaar mit den Kindern. Die großen Haushaltungen jener Zeit erforderten auch ein Gesinde. Und so finden wir in Münster nicht nur die Oberhoheit des Mannes über die Frau, sondern auch die des Herrn über das Gesinde. In einem Edikt der Ältesten handelt der dritte Paragraph »von der Herrschaft des Ehemannes und der Untertänigkeit des Weibes« und der vierte »von dem Gehorsam des Hausgesindes gegen den Hausherrn und von der Pflicht des Hausherrn gegen sein Gesinde«. (Kerssenbroick, II, 1.) So werden denn auch zu den gemeinsamen Abendmahlen geladen »ein jeder Bruder mit seiner Frau und seinem Hausgesinde«. (Gresbeck, S. 106.)

Mit dem Einzelhaushalt blieb auch die damals eng damit verknüpfte Produktion in vereinzelten Kleinbetrieben bestehen, und wie das Hausgesinde nicht aufgehoben wurde, so auch nicht der Unterschied zwischen Meister und Geselle. In einem schon zitierten Erlaß der Ältesten werden bestimmte Handwerker genannt, die für die Stadt oder die Bevölkerung zu arbeiten haben – man darf dabei nicht an eine sozialistische Organisation der Arbeit denken, sondern auch nur an eine Bestimmung, welche die kriegerischen Verhältnisse erzeugten. Die genannten Handwerker waren nämlich vom Wachtdienst ausgenommen. (Kerssenbroick, II, 21.) Da heißt es zum Beispiel: »Es soll niemand der Fischerei obliegen als die Fischermeister Christian Kerckring und Hermann Redecker nebst ihren Knechten, welche auch die Fische, wenn es nötig ist, den Kranken und Schwangeren nicht abschlagen sollen ... Hermann Tornate und Johann Redecker mit ihren sechs Schuhknechten sollen für das neue Israel die Schuhe machen ... Johann Coesfeld und seine Gesellen sollen eiserne Schlüssel verfertigen.« (Kerssenbroick, II, S. 6.)

Es ist also gar nicht gerechtfertigt, wenn die Geschichtschreiber behaupten, es sei »ein weitgehender Kommunismus der Güter« eingeführt worden. Lamprecht, Deutsche Geschichte, V, 1, S. 356. Herr Lamprecht bringt es fertig, die »grotesk-abscheulichen Zustände« in Münster ohne die geringste Beziehung zum Belagerungszustand darzustellen. Der wird später nebenher in zwei Zeilen erwähnt als unbedeutende Kleinigkeit, die gar keine Wirkung auf das Innenleben der Stadt hatte. Daß es dazu nicht kam, das ist wohl in derselben Weise zu erklären, wie die geringe Tätigkeit der Pariser Kommune von 1871 auf sozialem Gebiet. Es war eine naturnotwendige Folge der Belagerung, deren Wirkung wir überall auf Schritt und Tritt begegnen. Sie nahm alles Denken und Handeln in Anspruch. Ein Krieg hat sich noch nie als der geeignete Moment zur Durchführung einer fundamentalen Neuordnung der Gesellschaft erwiesen.

Wie in den ökonomischen, kamen die Wiedertäufer von Münster auch in den kirchlichen Verhältnissen zu keiner durchgreifenden Neugestaltung. Keller wundert sich darüber: »Man hätte erwarten sollen, daß ihre Tätigkeit mit der Bekanntmachung einer neuen Kirchenordnung oder mit Vorschriften über die Form der Gottesverehrung oder mit ähnlichen Dingen begonnen hätte. Allein in dieser Richtung unterblieben nicht nur im Anfang alle nötigen Vorkehrungen, sondern es ist, soviel uns bekannt, zu einer Regelung der gottesdienstlichen Formen niemals gekommen.« (Geschichte der Wiedertäufer, S. 202.) Uns erscheint das so sonderbar nicht. Wir schieben diesen Umstand zum Teil auf den Krieg. Zum Teil aber auch darauf, daß wir bei den Wiedertäufern ebenso wie zum Beispiel bei den Taboriten oder bei Münzer eine ziemliche Gleichgültigkeit für die Formen des Gottesdienstes finden.

Vollkommen dem allgemeinen Geiste des ketzerischen Kommunismus entspricht ihre Vorliebe für das Alte Testament, die bei jeder Gelegenheit zutage tritt, und ihre Verachtung für die Gelehrsamkeit, die sie dadurch bekundeten, daß sie alle Bücher und Briefe, die sie in der Stadt fanden, mit Ausnahme der Bibel, auf dem Domhof verbrannten. Und auch sie bestätigen die Regel, daß diese Verachtung der Gelehrsamkeit bei den Kommunisten Hand in Hand ging mit der Sorge für die Volksschule. Trotz der Belagerung richteten sie fünf oder sechs neue Schulen ein, »da lernten die Kinder und die Jungen und Mädchens, die mußten lernen die deutschen Psalmen, Schreiben und Lesen. Alles das, was sie lernten, war von der Taufe und nach ihrer Weise.« (Gresbeck, S. 47.)

Und auch den Mystizismus finden wir bei den Münsterschen Täufern wieder, den Glauben einzelner besonders verzückter und enthusiastischer Brüder an direkten Verkehr mit Gott, an Offenbarungen und Weissagungen. Von Knipperdollinck, von Johann Mathys, von Bockelson und anderen Propheten des neuen Jerusalem werden zahlreiche Züge förmlich krankhafter Ekstase erzählt, die wahrscheinlich von den Berichterstattern vielfach verzerrt und übertrieben, indes keinesfalls gänzlich erfunden sind.

Aber so sehr sie in diesen Beziehungen ihren friedfertigen Brüdern in Mähren und ihren Vorgängern gleichen, in einem Punkte wären sie ihnen gänzlich unähnlich, wenn wir den Berichterstattern trauen dürften: in ihrer Zügellosigkeit. Wir haben bereits mehrfach Gelegenheit gehabt, diesen Punkt zu streifen. Wir wollen ihn jetzt näher betrachten.

d. Die Vielweiberei.

Wodurch die Wiedertäufer im allgemeinen dem modernen Empfinden widerstreben, das ist ihre Strenge, ihr Puritanismus, und nicht ihre Zügellosigkeit. Gilt das schon für die friedlichen Wiedertäufer, so darf man von vornherein erwarten, daß die Erfordernisse einer Belagerung, die vor allem strengste Mannszucht erheischt, diese Tendenz nicht abgeschwächt haben. Das bestätigt sich auch bei näherem Zusehen, und man darf sich durch die schon erwähnten Volksbelustigungen darin nicht beirren lassen.

Anstand und Zucht wurden eifersüchtig bewahrt. Einen Beleg dafür bieten einige der 28 Artikel vom 2. Januar 1535. Da heißt es unter anderem:

»6. Keiner, der unter der Fahne der Gerechtigkeit streitet, soll sich mit dem schändlichen und häßlichen Laster der Trunkenheit, mit einer viehischen Schamlosigkeit, mit Spielen, wodurch er seine Geldbegierde verrät und wodurch oft Haß und Uneinigkeit verursacht werden, auch nicht mit Hurerei und Ehebruch beflecken, indem dergleichen Laster unter dem Volke Gottes nicht ungestraft gelassen werden sollen.

»16. Keiner von den Christen (den Wiedertäufern) soll aus einer Gesellschaft oder Gemeinschaft in die andere aufgenommen werden, er habe denn vorhin erwiesen, daß er unsträflich sei und sich keines Verbrechens schuldig gemacht habe; wofern sich aber das Gegenteil befände, so solle derselbe ohne Nachsicht gestraft werden.

»20. Kein Christ soll einer heidnischen (das heißt nicht wiedertäuferischen) Obrigkeit, welche das Wort Gottes noch nicht gehört, noch darin unterrichtet worden ist, sich widersetzen, noch derselben einen Schaden zufügen, wofern sie niemand zum Unglauben oder zur Gottlosigkeit zwingt; hingegen soll die babylonische Tyrannei der Priester und Mönche mit allen ihren Zugehörigen und Anhängern, die durch ihre Gewalt und Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes verfinstern, auf alle mögliche Weise unterdrückt werden.

»21. Wenn ein Heide eines Lasters sich schuldig gemacht und deshalb zu der Gemeinde der Christen geflüchtet wäre, damit er seines Verbrechens halber unbestraft bliebe, derselbe hätte sich aber direkt wider Gottes Gebot vergangen, so soll er von den Christen nicht aufgenommen, sondern um so viel gewisser zur gehörigen Strafe gezogen werden, je weniger man gestatten will, daß die Gemeinde der Christen eine Freistatt für Schandtaten und Laster sein soll.«(II, Seite 133 bis 137.)

Friedliebend, ermahnten sie zum Gehorsam, wo er möglich war, und verwahrten sich energisch gegen jede Gemeinschaft mit gemeinen Verbrechern. Trunkenheit, Spiel und jede Art außerehelichen Geschlechtsverkehrs wurden auf das strengste bestraft.

Ein sprechendes Beispiel der strengen Disziplin in Münster erzählt uns Gresbeck: »So ist einst (28. Juni 1534) geschehen in der Stadt, daß da zehn oder zwanzig Landsknechte waren, dieselben sind gesessen in einem Hause in der Stadt und haben ein Gelag gehalten und waren guter Dinge. So sind sie fröhlich gewest, wie Landsknechte zu sein pflegen. Da wollte ihnen der Wirt und die Wirtin nicht mehr zapfen. So haben die Landsknechte gesagt: ›Wirtin, wollt Ihr nicht, so wollen wir zapfen‹ und haben die Wirtin gescholten ( versprocken). Da gehen der Wirt und die Wirtin her und verklagen dieselben Knechte vor den zwölf Ältesten und den Propheten und Prädikanten, daß sie hätten Gewalt getan in ihrem Hause und die Wirtin gescholten hätten. Da gingen die zwölf Ältesten und ließen die Knechte fangen und ließen sie in den Turm werfen. Des anderen Tages ließen sie Gemeinde halten auf dem Domhof und ließen da dieselben Knechte auf den Domhof holen. Da stand der Kanzler Heinrich Krechting, der Bösewicht, und las, was die Landsknechte sollten getan haben. Da haben sie alle fortan gebeten um Gnade. Zuletzt ist die Gnadentür ein wenig aufgegangen; ein Teil hat Gnade gekriegt, ein Teil (sechs) mußte sterben.« (S. 36.)

Diesen Fall strenger Mannszucht führt Keller an als Beweis für – »den verbrecherischen Charakter des ganzen Treibens!« Und doch muß er selbst zwei Seiten später diese Mannszucht loben, deren harte Strafen bewirkten, daß bei den Täufern Trunkenheit kaum vorkam, indes sie im bischöflichen Lager so sehr grassierte, daß eine Reihe kriegerischer Unternehmungen der Täufer ihren Erfolg der Besoffenheit im feindlichen Lager verdankten.

Nur eine Stelle sei noch aus der Gresbeckschen Schrift zitiert, die charakteristisch ist für den Geist, der unter den Täufern herrschte: »Nun pflegten die Wiedertäufer oft aus der Stadt gegen die Landsknechte auszufallen und scharmützelten ( hielden schutgefehrt) mit ihnen und waren sehr kühn dabei, als hätten sie dem Krieg gefolgt zwanzig Jahre lang, und alles, was sie taten, taten sie mit Klugheit und Behendigkeit und mit nüchternem Sinn. Denn die Propheten, Prädikanten und Obersten in der Stadt haben scharf verboten, niemand in der Stadt solle sich erkühnen, sich voll zu trinken, auf daß sie alle bei ihren Sinnen blieben, so daß sie sich nie betranken und allzeit nüchtern blieben, und wenn sie auszogen, so taten sie es mit Weisheit und Behendigkeit.« (S. 50.)

Das sind die »viehische Zügellosigkeit« und der »Wahnsinn«, die bei den Täufern herrschten, geschildert von einem nichts weniger als beschönigenden Augenzeugen.

Aber wie steht's mit der Unzucht, mit der Polygamie? Auf diesem Gebiet wenigstens kann man doch von viehischer Zügellosigkeit sprechen?

Wir sind hier bei dem schwierigsten und unklarsten Kapitel in der Geschichte der Münsterschen Wiedertäufer angelangt. Die Polygamie widerstrebt so sehr dem Wesen der Wiedertäufer, zum Beispiel der mährischen, ja des ketzerischen Kommunismus überhaupt, daß wir anfänglich geneigt waren, anzunehmen, es liege hier eine Verwechslung vor; es ist ja nichts schwieriger für einen Beobachter, als ihm ungewohnte geschlechtliche Verhältnisse richtig und unbefangen zu erfassen. Nirgends wirkt das Ungewohnte leichter widerlich und abstoßend, als in geschlechtlichen Dingen. Dem ist es wohl vornehmlich zu danken, daß erst seit einem Menschenalter eine wissenschaftliche, unbefangene Erforschung der geschlechtlichen Verhältnisse der Vorzeit und der Wilden und Barbaren möglich wurde.

Wer es weiß, welchen Unsinn zum Beispiel Missionare über die von ihnen beobachteten geschlechtlichen Verhältnisse aus den Südseeinseln zum besten gegeben haben, für den liegt die Annahme nahe, die Münstersche Polygamie beruhe auf einer Verwechslung etwa mit »Weibergemeinschaft« nach adamitischem Muster, einer Form des geschlechtlichen Verkehrs, die, wie wir wissen, manchen Arten des Kommunismus der Genußmittel sehr nahelag. Aber diese Annahme ist unhaltbar. Von Weibergemeinschaft war in Münster keine Rede.

Das Edikt, mit dem die zwölf Ältesten ihr Regime einleiteten, setzte auf Ehebruch und auf die Verführung einer Jungfrau die Todesstrafe. Ungefähr aus derselben Zeit dürfte die Verteidigungsschrift stammen, welche die Münstersche Gemeinde veröffentlichte, das »Bekentones des globens und lebens der gemein Criste zu Monster«. Abgedruckt in den »Berichten der Augenzeugen«, S. 445 bis 464. Über das wahrscheinliche Datum dieser Schrift vergleiche B. W. Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der Wiedertäufer, S. 37. Bonn 1864. Da heißt es im Kapitel »Von der Ehe« (S. 457 ff.): »Angesichts dessen, daß man uns auflegt und wir mit böswilligen Lügen bei vielen Gutherzigen verdächtig gemacht werden, daß wir unbilliger Ehe sollen leben, mit vielen erdichteten Lasterreden, die hier nicht nötig zu wiederholen, wollen wir unseren Verstand und Gebrauch von dem heiligen Ehestand hiermit angeben ...

»Die Ehe, sagen wir und halten mit der Schrift, daß sie ist eines Mannes und Weibes Verbindung ( Vergaderong) und Verpflichtung in dem Herrn ...

»Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen, einen Mann und ein Weib hat er sie geschaffen, die beide in den heiligen Ehestand vereinigt, daß die beide zwei Seelen und ein Fleisch sollen sein. Und mag also kein Mensch scheiden solche Vereinigung ...

»Der Ehestand ist ein Bild Christi und seiner heiligen Braut, das ist seiner (Gemeinde der) Gläubigen. Wie Christus und seine Gemein aufeinander acht haben und sich zusammenhalten, also die in dem Herrn ehelichen und von Gott zusammmengefügt werden, dieselben sollen aufeinander acht haben und sich zusammenhalten. Und wenn es also mit dem Ehestand steht, machen wir einen Unterschied zwischen der Ehe der Heiden und Ungläubigen. Der Ungläubigen Ehe ist Sünde und unrein und ist keine vor Gott, sondern Hurerei und Ehebrecherei ...

»Denn, wie man vor Augen sieht, ehelichen sie nicht anders, denn um der Freunde und Verwandten ( mag), des Geldes und des Gutes, des Fleisches und des Putzes willen. Ja, es wird selten oder nimmermehr bei denselben recht gedacht, was der rechte Ehestand sei, wie man ehelichen soll, geschweige, daß sie recht ehelichen, ehelich werden und sich daran halten ...

»Dieweil denn der Ehestand also ein ehrlicher und herrlicher Stand ist, soll niemand dazu leichtfertig sein und hinzutreten, sondern mit reinem und rechtem Herzen, damit nichts, denn Gottes Ehre und Wille gesucht werde, wie es denn bei uns, es sei ewig Lob und Dank, schon im Schwang ist und alle Tage zum Preis Gottes soll weiterverbreitet werden ...

»Wir hören, daß man uns auch viele andere böse Stücke zumißt, daß wir sollten platonischer oder nikolaitischer (adamitischer) Weise die Frauen gemein haben untereinander, mit vielen untugendhaften Stücken, als ob wir keinen Unterschied der Blutsverwandtschaft sollten halten. Aber dies ist, wie alle anderen schimpflichen bösen Stücke, die man uns mit visierten Lügen »Visierten Lügen«. Im mittelniederdeutschen Wörterbuch von Schiller und Lübben haben wir ein Wort »visieren« nicht gefunden. »Viseren« heißt überlegen, »Viseringe« eine Erfindung, ein schlechter Gedanke. auflegt, aller Ding erstunken und erlogen. Meister Gresbeck muß natürlich auch diese elenden Lügen verbreiten (S. 80); daß er darin seinen anderen Ausführungen über den Ehestand in Münster selbst widerspricht, geniert den Biedermann nicht. Es scheint ihm geeignet, seine Gegner zu kompromittieren, und das ist die Hauptsache. Und darum werden auch diese wie andere Lügen von unserer »Wissenschaft« bis heute verbreitet. Wir wissen, daß Christus gesprochen hat: den Alten ist gesagt, du sollst nicht ehebrechen, ich aber sage euch, wer eine Jungfrau ansieht, ihrer zu begehren, nach ihr zu gelüsten, der ist ein Ehebrecher in seinem Herzen. Wäre es nun der Fall, daß einer unter uns also sollte befunden werden, was Gott abwenden möge, den werden wir keinerlei Weise dulden, sondern in den Bann tun und dem Teufel zur Verderbnis des Fleisches übergeben.«

Man sieht, die »neronische Wollust« der Wiedertäufer erklärte schon das Kokettieren mit einer Jungfrau für sündhaft. Diese Ausführungen stehen vollkommen im Einklang mit der geschlechtlichen Strenge der Mehrheit der sonstigen Wiedertäufer. Johann von Leyden bestätigte sie am 2. Januar 1535, indem er in seinen schon erwähnten 28 Artikeln Ehebruch und Hurerei (letzteres Wort bedeutet nicht bloß Prostitution, sondern jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr) mit Strafe bedrohte, zu einer Zeit, wo die Vielweiberei bereits eingeführt war. Diese ist denn auch zu deutlich bezeugt, als daß man bei näherem Zusehen noch an eine Verwechslung mit Weibergemeinschaft glauben könnte.

Wie aber sie erklären? Die herkömmliche Erklärung aus der angeborenen Geilheit und Unmäßigkeit der Kommunisten ist zwar sehr bequem und für bürgerliche Gemüter sehr befriedigend, sie hat nur einen kleinen Fehler, es fehlt ihr die sichere Grundlage. Die Erklärung stützt sich einzig und allein auf das zu Erklärende. Alles andere spricht gegen sie. Wir haben gesehen, daß gerade Nüchternheit und Besonnenheit hervorstechende Charakterzüge der Täufer bildeten.

In dem Wesen des täuferischen Kommunismus kann die Erklärung auch nicht gefunden werden; im Gegenteil, es macht die Sache noch unerklärlicher. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Erklärung in den besonderen Verhältnissen der Geschlechter in Münster während der Belagerung zu suchen. Und diese sind in der Tat von einer so auffallenden Eigenart, daß ein unglaublicher Grad von Verbohrtheit oder Mangel an gutem Willen dazu gehörte, sie nicht zu sehen.

Erinnern wir uns der Massenauswanderung der gutgesinnten Bürger aus Münster. Die Männer gingen, aber sie ließen ihre Frauen und das weibliche Gesinde zurück. So bildete sich ein starker Frauenüberschuß, der nach den Zahlen, die uns Gresbeck angibt, ganz enorm gewesen sein muß. Er schreibt von einem »Abendmahl auf dem Berge Sion«, »die Männer sind da mit alten Leuten und mit den jungen zweitausend stark gewesen. An wehrhaften Männern sind die Wiedertäufer in der Stadt Münster niemals stärker gewesen denn fünfzehnhundert. Der Frauen sind in der Stadt, junge und alte, acht- oder neuntausend gewesen, mehr oder minder, das weiß ich so genau nicht. So sind da wohl auch von kleinen Kindern, die gehen konnten und die nicht gehen konnten, zehn- oder zwölfhundert gewesen.« (S. 107.) Eine geringere Zahl gab der Täufer Werner Scheiffarth von Merode, der bei einem Ausfall gefangen worden, in seinem Verhör vom 11. Dezember 1534 an: »daß darinnen sind, Männer, Frauen und Kinder, ungefähr zwischen acht- und neuntausend, davon ungefähr vierzehnhundert wehrhaft«. (Berichte der Augenzeugen, S. 293.) Die Zahl der Wehrhaften stimmt mit der Gresbecks ungefähr überein; auch dessen Angabe der Zahl der Männer überhaupt wird genau sein; er gibt sie mit voller Bestimmtheit an. Sie wurden offenbar gezählt. Rechnen wir dazu tausend Kinder, so betrug auch nach Scheiffarth die Zahl der mannbaren Frauen immer noch fünf- bis sechstausend, also zwei- bis dreimal soviel als die der Männer.

Diese eigenartige Situation wurde noch kompliziert dadurch, daß von den Männern wohl ungefähr die Hälfte unbeweibt war; dies gilt von der Mehrheit der zahlreichen Emigranten und ebenso selbstverständlich von den Landsknechten, die, als Gefangene oder Überläufer, zu den Täufern kamen und sich ihnen anschlossen.

Diese Verhältnisse mußten für die Mehrheit der mannbaren Bevölkerung im Fortgang der Belagerung, die jeden Verkehr mit der Außenwelt abschnitt, ganz unerträglich werden angesichts der Strenge der Täufer in geschlechtlichen Dingen. Gerade diese Strenge, die jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr mit harter Strafe bedrohte, machte eine Umwälzung der ehelichen Verhältnisse schließlich unvermeidlich.

Dieselben Leute, die sich nicht genug über die Vielweiberei in Münster entrüsten können, betrachten die Prostitution als eine selbstverständliche Sache. Natürlich hatte die Prostitution auch in Münster unter der Herrschaft der »Ehrbarkeit« geherrscht. Unter den 36 Artikeln, welche die Münsterschen Aufständischen von 1525 formuliert hatten (vergleiche II. Bd. S. 234), forderte der achtzehnte: »Alle unzüchtigen Weibspersonen und die Beischläferinnen der Priester sollen durch gewisse Kennzeichen von den ehrbaren Frauenzimmern unterschieden werden.«

Die »geilen Wollüstlinge« machten der Prostitution ein Ende. Prostitution und Kommunismus sind von vornherein zwei Begriffe, die einander ausschließen. Die verschiedenen Formen des Kommunismus sind mit den verschiedensten Formen des geschlechtlichen Verkehrs verträglich, nur mit einer nicht: der käuflichen Liebe. Wo es keine Warenproduktion gibt, nichts gekauft und verkauft wird, hört auch der weibliche Körper ebenso wie die Arbeitskraft auf, eine käufliche Ware zu sein. Und so unvollkommen auch der Kommunismus in Münster durchgeführt war, kein Mädchen war dort unter der Herrschaft des Täufertums durch die Not gezwungen, sich zu verkaufen. Die Dirnen aber, die etwa die Preisgabe, die sie unter der alten Gesellschaft geübt, aus Gewohnheit liebbekommen haben mochten, fanden in Münster, wo kein Privatmann Geld besaß, keine Käufer. Diese mußten sie im Lager der Verteidiger von Sitte und Ordnung suchen, bei den Landsknechten, den ehrbaren Bürgern, der weltlichen und geistlichen Aristokratie. Dort fanden sie ihre alten Kunden wieder.

Die natürliche Wirkung des Kommunismus wurde in Münster noch verstärkt durch die geschlechtliche Strenge der Täufer. Nun denke man sich aber, daß über tausend unbeweibte Männer mit mehreren Tausenden gattenloser Frauen viele Monate lang in dem engen Raume einer (für unsere Verhältnisse) kleinen Stadt zusammenlebten, ohne daß es eine Prostitution gab. Es war unvermeidlich, daß es zu Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr kam. Die strengsten Strafen mußten sich als ohnmächtig dagegen erweisen. Nur ein Mittel gab es, der einreißenden geschlechtlichen Verwirrung wirksam zu begegnen: eine Neuregelung der ehelichen Verhältnisse. Nach langem Widerstreben gingen Älteste und Prädikanten ans Werk, im Juli, im fünften Monat der Belagerung.

Die Aufgabe war schwer, ja fast unlösbar; es galt, ein Eherecht zu konstruieren, das mit der strengen ehelichen Moral der Wiedertäufer harmonierte und gleichzeitig den ganz einzigen geschlechtlichen Verhältnissen Münsters entsprach. Der Schwierigkeit der Aufgabe entsprechend ist das neue Eherecht nicht in der Form eines einzigen, fertig ausgearbeiteten Gesetzes ins Leben getreten, sondern in der Form mannigfacher, einander teils ergänzender, teils auch wieder aufhebender Bestimmungen. Über das Suchen nach einer entsprechenden Eheform sind die Wiedertäufer von Münster nicht hinausgekommen und konnten sie nicht hinauskommen unter den abnormen Verhältnissen, unter denen sie lebten.

Gresbeck verfolgt das unsichere Tasten und Suchen nach einem Eherecht, aber sein Bericht ist so verworren, so voll von Widersprüchen und Ungereimtheiten, daß es schwer ist, daraus zu einem klaren Bild zu gelangen. Geradezu blödsinnig ist Kerssenbroicks Bericht. Er erzählt, ein Landsknecht habe Johann von Leyden überrascht, wie dieser zu einer Magd Knipperdollincks schlich. Daraus habe Johann, um nicht in schlechten Ruf zu kommen, Rothmann und die anderen Prediger, »die nicht weniger der Geilheit und Unzucht ergeben waren«, beredet, einfach – die Vielweiberei einzuführen! Aber man kann doch zwei Momente dabei unterscheiden. Das eine besteht in dem Bestreben, die Ehe zu einer freien Verbindung zu machen. Zunächst galt es, die vor Annahme der Wiedertaufe geschlossenen Ehen für ungültig zu erklären; ohne dies wäre für die Frauen der ausgewanderten Bürger eine neue eheliche Verbindung unmöglich gewesen. Diese Ungültigkeitserklärung fiel den Täufern um so leichter, als sie zwar die Ehe für unlöslich erklärten, aber die »heidnische« Ehe ebensowenig für eine wirkliche Ehe hielten, als die Kindertaufe für eine wirkliche Taufe. Auch die bereits vorhandenen Ehepaare unter den Münsterschen Täufern mußten jetzt ihren Bund neu schließen.

Das zweite Moment aber zeigt sich in dem Bestreben, alle Frauen unter die Haube zu bringen. Doch zunächst nur in ökonomischer, nicht in physischer Beziehung.

Um das Wesen der Münsterschen »Vielweiberei« zu begreifen, muß man sich vor Augen halten, daß es in Münster nicht zur Aufhebung des Einzelhaushaltes kam. Infolge des Wegzugs der Bürger gab es aber zahlreiche Haushaltungen, in denen kein Mann war, sogar Haushaltungen ohne Hausfrau, in denen sich nur Mägde befanden. Das muß in der belagerten Stadt, wo so viel unbeweibtes Kriegsvolk lag, zahlreiche Unzuträglichkeiten mit sich gebracht haben. Daher wurde bestimmt, daß keine Frau ohne männlichen Schutz und – ohne männliche Aufsicht sein solle. Denn die Münsterschen Wiedertäufer waren, da sie den Einzelhaushalt nicht aufhoben, ebensowenig Anhänger der Emanzipation der Frau als der Emanzipation des Fleisches. In dem bereits erwähnten Edikt der Ältesten heißt es im dritten Paragraphen, der »von der Herrschaft des Ehemannes und der Untertänigkeit des Weibes« handelt: »Ihr Männer, liebet eure Weiber. Die Weiber seien untertan ihren Männern, als den Herren. Und das Weib fürchte den Mann.« Kerssenbroick, II, S. 1.

Besonders drastisch drückt sich in dieser Beziehung die »Restitution« aus, eine von Rothmann verfaßte Agitationsschrift, die im Oktober 1534 erschien »Eyne Restitution edder Eine wedderstellinge rechter unde gesunder Christliker leer, gelauens unde leuens uth Gades genaden durch de gemeynte Christi tho Munster an den Dach gegeuen ... Munster 1534.« Einen ausführlichen, mit vielen Zitaten belegten Auszug aus dieser Schrift bringt Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der Wiedertäufer, S. 15 bis 34.: »Der Mann soll also sich seiner Herrlichkeit (Herrschaft) auch über die Frau mit männlichem Gemüte annehmen und die Ehe reinhalten. Die Weiber haben fast allenthalben die Herrschaft und leiten die Männer, wie man die Bären leitet ... Das ist hoch vonnöten, daß die Weiber, die nun fast allenthalben die Hosen anhaben, in rechtem und gebührlichem Gehorsam sich beugen; denn solches ist angenehm vor Gott, daß jeder an seinem Platz stehe, der Mann unter Christo, die Frau unter dem Manne.«

Die Frauen, die ohne männliches Oberhaupt dastanden, erhielten jetzt die Weisung, sich einem mit einem Manne versehenen Hausstand anzuschließen, nicht als Haussklavinnen, als Dienstmädchen, sondern als Genossinnen der Gattin.

Begründet wurde diese Verordnung natürlich nicht mit dem Hinweis auf die tatsächlichen Verhältnisse, die sie hervorriefen; so materialistisch dachte man damals nicht; sondern mit dem Hinweis auf ein Präzedenz in der Bibel. Dort fanden sie aber nur eines, das einigermaßen auf ihren Fall paßte: die Vielweiberei der alten Juden, namentlich der Patriarchen. Aus diese beriefen sie sich um so lieber, als ja die Patriarchen unzweifelhaft höchst fromme Männer gewesen waren, die Gott selbst mit persönlichen Besuchen oder Besuchen seiner Engel beehrt hatte. Was diese Vorbilder der Christenheit getan hatten, konnte unmöglich sündhaft sein. Und die Täufer durften sich bei diesem Gedankengang auf hervorragende evangelische Kirchenlichter berufen. Melanchthon hatte schon am 27. August 1531 dem König von England geraten, eine zweite Frau neben der ersten zu nehmen, und erklärt, daß »die Polygamie nach göttlichem Recht nicht verboten sei«.

Selbst noch nachdem die Einführung der Vielweiberei in Münster so großen Skandal erregt hatte und allgemein verurteilt worden war, erklärten Luther und Melanchthon am 10. November 1539 dem Landgrafen Philipp von Hessen: »Was vom Ehestand zugelassen im Gesetz Mosis, ist nicht im Evangelio verboten.« Er möge sich also ruhig der Vielweiberei hingeben. (Siehe noch zahlreiche ähnliche Zitate bei Keller, Die Reformation, S. 454 ff.) Es war also nicht die Polygamie an sich, welche die frommen Leute damals so sehr in Entrüstung über die Täufer versetzte, sondern deren Frechheit, die Polygamie aus einem Privilegium der Fürsten zum Gemeingut zu machen.

Die religiöse Einkleidung hat den wahren Charakter der Münsterschen »Vielweiberei« sehr verdunkelt. Durch den Wust von Gehässigkeiten, Verleumdungen und Entstellungen, den die gegnerischen Berichterstatter darüber häuften, wurde die Klarheit nicht vermehrt, und die tendenziöse Ausschlachtung der parteiischen Berichte hat vollends fast jede Spur des wirklichen Charakters dieser Maßregel verwischt. Aber zum Glück waren die Berichterstatter zu kurzsichtig, um sämtliche Spuren der Wahrheit zu vernichten.

Einige Angaben, die sie überliefert haben, genügen, zu zeigen, daß die Täufer bei der Einführung der »Vielweiberei« tatsächlich die Vereinigung mehrerer Frauen nur in einem Haushalt und nicht in einem Ehebett bezweckten, womit nicht gesagt sein soll, daß letzteres durch ersteres nicht begünstigt wurde.

Vor allem ist darauf hinzuweisen, daß jede Frau die Verpflichtung hatte, einen Mann zu suchen, nicht bloß die zum geschlechtlichen Verkehr tauglichen, sondern auch die alten und die noch nicht mannbaren.

Gresbeck meint allerdings, die letztere Vorschrift hätte den Zweck gehabt, die kleinen Mädchen zum geschlechtlichen Umgang zu zwingen. Daß einige Haushaltungsvorstände, vielleicht rüde Landsknechte, ihre Stellung mißbrauchten, ist nicht ausgeschlossen. Mehr sagt auch Kerssenbroick nicht (II, S. 44). Dergleichen soll auch anderswo vorkommen. Daß aber der Zweck der Maßregel Notzucht an kleinen Kindern war – uns das glauben zu machen, müßten wir einen besseren Zeugen haben als einen Gresbeck, der, so wertvoll vielfach seine Angaben sind, wo es sich um Tatsachen handelt, über die Beweggründe und Absichten der Täufer nur ebenso gehässiges wie haltloses Geschwätz vorzubringen weiß. Des Wunsches, die fragliche Bestialität gesetzlich zu fordern, halten wir selbst jene vornehmen Herren für unfähig, die den Jungfrauentribut in unseren Großstädten erheben.

Die Forderung, daß auch die ganz Alten und ganz Jungen sich einem Manne anschließen sollten, ist indes nicht das einzige Indizium, auf das wir uns stützen. Ein weiteres ist folgende Mitteilung Kerssenbroicks: »Im Anfang des Oktober ist des Butendick Ehefrau Barbara von ihrem Herrn und Gatten öffentlich angeklagt worden, und zwar um der Ursache willen, daß sie ihm Widerpart halte und ihn mit vielen ehrenrührigen Scheltworten beleidige, indem sie sage, daß er mit seinen übrigen Weibern und Mitschwestern nicht geistlich, sondern fleischlich lebe und sich mit ihnen öfters fleischlich vermische.« Sie wurde schuldig befunden und zum Tode verurteilt, aber begnadigt, nachdem sie ihren Gatten um Verzeihung gebeten. (S. 80.)

Zwischen der Ehegattin und deren Mitschwestern wurde also ein Unterschied gemacht. Nicht jedes weibliche Mitglied des Haushaltes war auch Eheweib des Haushaltungsvorstandes, wenn es auch als dessen Frau bezeichnet wurde.

Indessen ist es naheliegend, daß bei so engem Zusammenleben noch leichter passierte, was auch sonst nicht selten vorkommt, daß der Mann sich mit seiner Ehefrau nicht begnügte, wie dies Butendick vorgeworfen wurde. Um so mehr, da die Strenge der Wiedertäufer unter Umständen auch den geschlechtlichen Verkehr zwischen Gatte und Gattin verbot. So, wenn diese unfruchtbar oder wenn sie guter Hoffnung war. Denn der geschlechtliche Verkehr sollte nicht sinnlicher Lust, sondern nur der Vermehrung der Art dienen.

Rothmann sagt in der »Restitution«: »Daß man eine schwangere Frau oder eine, die nicht tauglich ist, zu empfangen, nicht soll, noch mag erkennen, ist zum ersten daraus beweislich, daß Gott den Menschen gebietet, sie sollen wachsen und sich vermehren und dazu allein, und nicht zur Lust sollen Mann und Weib den Segen Gottes gebrauchen.«

Unter Umständen wurde daher dem Manne gestattet, neben seiner ersten Gattin auch andere der seinem Schutze empfohlenen Frauen zu fleischlichen Gattinnen zu machen. So sagt Rothmann in der schon erwähnten Restitution: »Wenn ein Mann reichlicher von Gott gesegnet wäre, als eine Frau zu befruchten, und er soll von wegen des göttlichen Gebots solchen Segen nicht mißbrauchen, so ist es ihm freigelassen, ja vonnöten, mehrere fruchtbare Frauen zur Ehe zu nehmen; denn unehelich ... eine Frau zu erkennen, ist Ehebruch und Hurerei.«

Aber zwischen dieser geschlechtlichen und der ökonomischen Vielweiberei ist stets genau zu unterscheiden. Bei der ersten wählte der Mann sich die Frauen. Bei der zweiten wählten die Frauen den Mann, den sie als Schutzherrn anerkennen wollten. Erstere war unter Umständen erlaubt – und es wäre angesichts der geschilderten Verhältnisse unmöglich gewesen, sie völlig auszuschließen. Die Gesetzgeber von Münster begnügten sich mit dem Bestreben, sie in den Bahnen geregelter Ehe zu halten. Jene Vielweiberei dagegen, die eine Zeitlang geboten war, war die ökonomische, die Vereinigung mehrerer Frauen in einem Haushalt unter dem Schutze und der Aufsicht eines Mannes. Nur zu letzterer, nicht zu ersterer Art »Vielweiberei« war eine Frau nach Münsterschem Eherecht verpflichtet. Auch letzterer Zwang hörte bald wieder auf, wie die schon mehrfach zitierten 28 Artikel Johannes von Leydens beweisen.

Wir führen diejenigen unter ihnen an, die von der Ehe handeln, sie sind höchst bezeichnend für den Geist des Münsterschen Eherechts:

»24. Wider Willen soll niemand von einem anderen zur Heirat gezwungen werden, indem die Ehe eine freie Verbindung ist und mehr durch die Natur und durch das Band der Liebe als durch bloße Worte und äußerliche Zeremonien geknüpft wird.

»25. Wäre aber jemand mit der fallenden Sucht, mit der venerischen oder mit anderen Krankheiten behaftet, so soll derselbe gar nicht heiraten, es sei denn, daß derjenige Teil, mit welchem er sich verheiraten will, vorher von seiner Krankheit sei benachrichtigt worden.

»26. Keine, die nicht mehr Jungfrau ist, soll sich dafür ausgeben und ihren Mitbruder hintergehen und betrügen; auch soll ein solcher Betrug ernstlich bestraft werden.

»27. Eine jede unverheiratete Frau oder die ihren ordentlichen Mann nicht hat, soll berechtigt sein, sich einen Vormund oder Beschützer aus der Gemeinde Christi zu erwählen

Den Beschluß machte eine Offenbarung: »Die Stimme des lebendigen Gottes hat mich gelehrt, dieses ist ein Befehl des Allerhöchsten: Die Männer sollen sowohl von ihren rechtmäßigen Weibern, als auch von denen, deren Vormundschaft und Schutz ihnen aufgetragen ist, ein Glaubensbekenntnis fordern, nicht aber dasjenige, welches gemeiniglich gelesen wird: Ich glaube an Gott den Vater, sondern ein Glaubensbekenntnis von dem neuen Königreich, von dem Ehebund, warum und wozu sie getauft seien. Dieses alles sollen sie ihren Männern anzeigen und offenbaren.« (II, S. 138, 139.)

Das ist die letzte Form des Eherechts der Münsterschen Wiedertäufer. Es entspricht vollkommen der nüchternen, vernünftigen Einfachheit, die wir auch sonst als ihren Charakterzug kennen gelernt haben.

Es dürfte auch dem gewandtesten und skrupellosesten Sozialistentöter schwer fallen, eine Spur zügelloser Wollust daraus herauszudeuten.

Diese Artikel vom 2. Januar 1535 enthalten eine erhebliche Milderung des Eherechts, das am 23. Juli des vorhergehenden Jahres eingeführt worden war. Letzteres hatte jeder Frau die Verpflichtung auferlegt, sich einen männlichen Schützer und Herrn zu suchen und sich seinem Haushalt anzuschließen. Diese Bestimmung scheint mehrfache Unzuträglichkeiten im Gefolge gehabt zu haben, denn sie wurde bald, schon im Herbst desselben Jahres, aufgehoben und den Frauen, die es wünschten, erlaubt, die »Herren«, denen sie sich angeschlossen, zu verlassen. Aus der Verpflichtung der Frauen wurde ein Recht, dessen Ausübung ihnen freistand.

Wie immer man sich diese »Vielweiberei« vorstellen mag, auf keinen Fall darf man dabei an einen orientalischen Harem denken. Dieser bedingt völlige Versklavung der Frau. Davon war in Münster keine Rede. Es waren ja die Frauen, die sich ihre Männer, ihre Schützer und Vormünder, frei erwählten. Wie wenig sie sich durch die Neuregelung der ehelichen Verhältnisse bedrückt fühlten, ersieht man daraus, daß sie in der Mehrheit zu den begeistertsten Kämpferinnen für das neue Reich gehörten.

Natürlich fanden sich auch Unzufriedene unter ihnen. Nicht jede war aus Überzeugung in der Stadt geblieben, und das neue Eherecht, das so abnormen Verhältnissen erwuchs, widersprach zu schroff tief eingewurzelten Anschauungen. Auch konnte die Neuregelung die bestehenden Unzuträglichkeiten nicht beseitigen, ohne hin und wieder neue zu schaffen. Aber wir hören doch wenig von einem Widerstand von Frauen, viel öfter von dem Enthusiasmus, mit dem sie für die neue Ordnung eintraten.

Wie fein die bürgerliche Geschichtschreibung es versteht, diesen Widerstand zu übertreiben, davon ein Beispiel. Keller schreibt in seiner Geschichte der Wiedertäufer, S. 211: »Es ist gewiß, daß viele Frauen, verheiratete sowohl als unverheiratete, der neuen Einrichtung das größte Widerstreben entgegenbrachten – es wird berichtet, daß eine derselben den freiwilligen Tod wählte, um sich der Schande zu entziehen, die man ihr antun wollte

Was wird in Wirklichkeit berichtet? Gresbeck schreibt: »So haben sie einmal gefunden in dem Wasser liegen eine Frau, die war ertrunken und schwamm auf dem Wasser und hatte noch ihre Kleider an. So wußten die gemeinen Leute nicht, wie sie ertrunken sei, ob sie die Propheten und Prädikanten hätten ertränken lassen, ob sich dieselbe Frau selbst ertränkt hätte. Die Frau lag in dem Wasser ungebunden. So meinten die Leute in der Stadt, daß sie sich selbst ertränkt hätte, daß sie sich so gemüht hätte um des Ehestandes willen. Wie das mit der Frau lag, davon kann ich nichts weiter schreiben.« (S. 64, 65.)

Also »berichtet« wird bloß, daß in Münster eine ertrunkene Frau gefunden wurde. Ob ein Verbrechen vorlag oder ein Selbstmord – oder ein einfacher Unglücksfall, auf welche Möglichkeit Gresbeck merkwürdigerweise gar nicht eingeht –, darüber ist nichts, aber auch gar nichts bekannt. Und daraus wird dann die große Moritat gemacht!

Ein Beispiel des Enthusiasmus der Frauen bietet der Mollenhecksche Aufstand vom 30. Juli. Man stellt diesen dar als eine Erhebung der sittlichen Elemente in der Bürgerschaft gegen die Vielweiberei. »Eine völlige Weibergemeinschaft,« sagt Bezold, »wurde nicht eingeführt, aber das Gebot der Propheten, daß keine Frau ohne Mann geduldet werden solle, rief doch die Errichtung einer Polygamie hervor, die nicht viel besser war. Wohl erhob sich gegen diese Scheußlichkeiten noch einmal das bessere Gefühl in den einheimischen Brüdern, aber ihr Empörungsversuch wurde blutig unterdrückt und die Verteilung (!) der an Zahl weit stärkeren weiblichen Einwohnerschaft unter die Minderheit der ›Herren‹ nahm ihren Fortgang.« (Geschichte der deutschen Reformation, S. 710.)

Wie stand es in Wirklichkeit damit? Mollenheck, ein gewesener Zunftvorsteher, sammelte »einen Teil Bürger und fromme Leute und Landsknechte« zu einem Aufstand, nicht bloß, um den neuen Ehestand aufzuheben, sondern es sollte auch »ein jeder sein Gut wieder haben und Bürgermeister und Räte sollten wieder sein und alle Dinge sollten wie früher sein und die Stadt wollten sie übergeben«. (Gresbeck, S. 73.)

Die übergelaufenen Landsknechte stehen im Vordergrund dieser angeblichen Keuschheitsbewegung und tatsächlichen Konterrevolution. Sie hatten anfangs Erfolg, es gelang ihnen sogar, Johann von Leyden und Knipperdollinck gefangenzunehmen. Hätten sie sofort ein Stadttor geöffnet, so wären die Bischöflichen damals schon in den Besitz der Stadt gelangt, sagt Gresbeck weiter. Aber die Aufrührer dachten nur ans Plündern. »Da sahen sie auch nach dem Gelde mehr, denn daß sie sahen, daß sie ein Tor einnahmen, und hatten die weiten Ärmel ( mouven) voll Geldes stecken und saßen die ganze Nacht im Wein und tranken, daß sie trunken wurden. Darüber wurden sie geschlagen, daß die Friesen und Holländer die Oberhand bekamen.«

Das Traurigste bei dieser Niederlage der Konterrevolution war der Umstand, daß, während die Landsknechte bei Suff und Plünderung ihr Leben für Zucht und Sitte in die Schanze schlugen, diejenigen, für die sie eintraten: die vergewaltigten Frauen, aufs eifrigste gegen sie, für Notzucht und Blutschande kämpften. Als die Aufrührer sich im Rathaus verschanzten, da waren es die Frauen (freilich nur »Weiber« bei Kerssenbroick), die grobes Geschütz auf den Markt schafften, um damit die Türen einzuschießen.

Wie eifrig und freudig die Frauen auf den Wällen fochten, wenn es galt, einen Sturm abzuschlagen, davon geben Kerssenbroick und Gresbeck zahlreiche Beweise. Aber auch zu Ausfällen waren sie bereit. Als eine Entsetzung der belagerten Stadt in Aussicht stand, rüstete Johann von Leyden zu einem großen Ausfall, um dem Entsatzheer entgegenzuziehen, das er aus den Niederlanden erwartete. Er rief Freiwillige zu dem verzweifelten Unternehmen auf, nicht nur Männer, sondern auch Frauen. »Des anderen Tages sind die Frauensleute gekommen auf den Domhof, die mit ausziehen wollten. Derer waren an dreihundert. Sie kamen mit ihren Gewehren angerückt; die eine hatte eine Hellebarde, die andere einen Spieß ( knevelspiet, Spieß mit einem Querholz) und gingen so in der Ordnung. So wollte der König nicht alle Frauensleute nehmen und hat sie gemustert; die der König mitnehmen wollte, deren waren einundfünfzig, und dieselben wurden aufgeschrieben bei ihrem Namen.

»So haben sie des anderen Tages all die Frauensleute auf den Domhof lassen kommen, die in der Stadt bleiben wollten, von den jüngsten Frauensleuten. Dieselben sind auch gekommen mit ihrem Gewehr und sind auf dem Domhof in der Ordnung umhergegangen, gleich wie ein Haufen Landsknechte.« Sie wurden in so viele Haufen geteilt, als Tore in der Stadt waren, und jedem dieser Haufen wurde mit einem Haufen Männer der Wachtdienst bei einem Tor zugewiesen. Sie zogen ab unter dem Gesang der Marseillaise der deutschen Reformation, des Psalmes: Eine feste Burg ist unser Gott. (S. 128.)

In dieser Weise wehrten sich die Frauen Münsters gegen die ihnen angetane »Schande«.

Soviel über die »Frauenfrage« in Münster. Noch ist vieles unklar auf diesem Gebiet, noch bestehen da bedeutende Lücken, aber wir glauben, das Mitgeteilte genügt, erkennen zu lassen, daß die Neuordnung der geschlechtlichen Dinge daselbst menschlich völlig begreiflich, ja sogar trotz mancher Unvollkommenheiten, Naivitäten, selbst Rohheiten, in vielem für das moderne Empfinden sympathisch ist. Am allerwenigsten aber haben die Vertreter der heutigen Gesellschaft Veranlassung, sich über die »schamlose Unzucht« der Münsterschen Wiedertäufer zu ereifern, die Vertreter einer Gesellschaft, zu deren Stützen die schamloseste und erniedrigendste Art des geschlechtlichen Verkehrs gehört, die Ausnutzung der Not und Unwissenheit junger Mädchen zu dem edlen Zwecke, sie zu willenlosen, allen Lüsten schutzlos preisgegebenen Bedürfnisanstalten für Männer herabzudrücken. Wo bliebe ohne diese herrliche Einrichtung die Blüte eines großen Teiles unserer Industrie, wo die Tugend und Sittsamkeit der bürgerlichen Mädchen und Frauen?

Das Bild, das unsere bürgerlichen Historiker von der geschlechtlichen Zügellosigkeit in Münster entwerfen, ist ein Gegenwartsbild. Es ist das getreue Abbild dessen, was sich tagtäglich in jeder Stadt der modernen Zivilisation abspielt, und der Weisheit letzter Schluß in unserer Gesellschaft lautet: Regelung dieser »Saturnalien«.

5. Münsters Fall.

Unsere Untersuchung des Charakters der Münsterschen »Kommune« ist ausführlicher und polemischer geworden als wir beabsichtigten und als im Plane dieser Arbeit liegt. Aber mit weniger Arbeit ließ sich der Berg von Fälschungen nicht wegräumen, der über dem wahren Bilde der Münsterschen Wiedertäufer ruht, und es ist unmöglich, den wissenschaftlichen Gleichmut nicht zu verlieren, wenn man sieht, wie ein ursprünglich stilles, friedliebendes Völkchen systematisch zu einer Bande blutdürstiger, geiler Schurken gestempelt wird, weil es bei einer Gelegenheit unter dem Drucke ständiger Mißhandlung und Gefahr nicht zusammenbrach, sondern sich zu energischem Widerstand erhob, für seine Überzeugung nicht bloß duldete, sondern auch kämpfte, dem blutigen Angriff die blutige Abwehr entgegensetzte und zu kriegerischem Heldentum emporwuchs!

Leichten Herzens hatte Bischof Franz die Belagerung der Stadt unternommen, nachdem sein verräterischer Überfall am 10. Februar abgeschlagen worden. Er dachte wohl, ohne Mühe mit dem Haufen Hungerleider und zusammengelaufener Vagabunden fertig zu werden, als der ihm die Masse der Wiedertäufer erschien. Es standen ihm mehrere Tausende kriegsgeübter Truppen mit zahlreichem Geschütz unter erprobten Feldherren zu Gebote – schon vor Pfingsten verfügte er über ungefähr achttausend Landsknechte. Bericht des Jörg Schenck. (Berichte der Augenzeugen, S. 260.) Aber die Täufer, obwohl bedeutend in der Minderzahl – sie waren nie stärker als fünfzehnhundert Mann – und ohne Kriegserfahrung, erwiesen sich ihren Gegnern überlegen nicht nur durch die Festigkeit der Stadt, sondern mehr noch durch ihre Disziplin, ihren Opfermut und ihre Begeisterung.

Wie es mit der Disziplin im bischöflichen Lager aussah, davon haben wir schon einige Andeutungen gegeben. Namentlich die Trunkenheit beeinträchtigte stark alle kriegerischen Operationen. Das zeigte sich zum Beispiel beim ersten Sturm.

Am 21. Mai 1534 begann das erste Bombardement der Stadt. Fünf Tage lang dauerte es. Am 25. gingen die Belagerer zum Sturm über. Aber ein Teil der Knechte war berauscht; sie gingen vorzeitig vor, wurden zurückgetrieben und brachten die hinter ihnen anrückenden Truppen in Unordnung. Allerdings kamen diese trotzdem mit ihren Sturmleitern bis an die Wälle, dort aber fanden sie so kraftvollen Widerstand, daß sie in voller Auflösung den Rückzug antraten.

Kurz darauf machten die Belagerten einen Ausfall auf einen Außenposten, überraschten die Landsknechte bei Kartenspiel und Suff, verjagten sie, vernagelten die Kanonen und wußten sogar der herbeieilenden Hauptmacht des Heeres so sehr zuzusetzen, daß diese nicht wagte, sie zu verfolgen, sondern sie unbehelligt in die Stadt zurückziehen ließ.

Nicht besseres Glück wie mit dem ersten Sturm hatten die Angreifer mit dem zweiten, den sie am 31. August nach vorhergehender dreitägiger heftiger Beschießung unternahmen. Ein wütender Angriff entspann sich, er endete mit der vollständigen Niederlage der Angreifer. Ihr Verlust war enorm; sie verloren allein 48 Hauptleute. In einem Volkslied aus jener Zeit singt ein Landsknecht, der dabei war:
»Die Landsknecht waren in großer Not,
Da blieben wohl dreitausend tot
Zu Münster unter den Mauern.
Wußten mein Vater und Mutter dat,
Sie sollten mir helfen trauern.«
(Hase, Heilige und Propheten, II, S. 249.)

Von da an gaben die Belagerer die Hoffnung auf, die Stadt mit Gewalt zu nehmen, und sie beschränkten sich auf die Blockade, um sie auszuhungern.

Und doch war es zum Schluß das ganze deutsche Reich, das gegen die eine Stadt Krieg führte.

Anfangs hatte die »eine reaktionäre Masse« sich nicht recht zusammenfinden wollen. Daß die Kräfte des Bischofs allein nicht ausreichten, Münster zu bezwingen, war bald klar. Er suchte Alliierte, und zwar sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite; aber jeder der Bundesgenossen trachtete den anderen dabei übers Ohr zu hauen, und der Streit um das Fell des Bären hemmte mitunter gar bedenklich den Kampf gegen den noch sehr lebendigen Bären. Indessen, trotz aller Intrigen erweiterte sich durch diplomatische Abmachungen und die Beschlüsse von Fürstenkongressen und Kreistagen die Zahl der Belagerer und ihrer Machtmittel immer mehr, und als endlich am 4. April 1535 der deutsche Reichstag zu Worms zusammentrat, da wurde die Belagerung Münsters zu einer Reichsangelegenheit erklärt und eine Reichssteuer zu deren Betreibung ausgeschrieben. Auch wurden die Bürgermeister von Frankfurt und Nürnberg an die Belagerten abgesandt, um sie im Namen des Reiches aufzufordern, sich zu ergeben. Aber diese wiesen jeden Gedanken an Übergabe zurück.

Und doch war um diese Zeit die Lage der Stadt bereits hoffnungslos. Von Anfang an hatten die Münsterschen Täufer erkennen müssen, daß, angesichts der erbitterten Feindschaft der besitzenden Klassen des ganzen Reiches gegen sie, ihre Erhebung sich nur dann behaupten könne, wenn sie nicht eine lokale bleibe, sondern weitergreife. Und ihre Aussichten standen keineswegs ungünstig. In allen norddeutschen Städten hatten sie starken Anhang, in Lübeck war sogar eine ihnen freundliche Richtung ans Ruder gekommen. Nach allen Seiten hin sandten sie nun ihre Boten aus. Auch durch Flugschriften und Broschüren suchten sie auf die Außenwelt zu wirken. Besonders zu erwähnen ist die bereits mehrmals zitierte von Rothmann verfaßte »Restitution, oder Wiederherstellung der rechten und gesunden christlichen Lehre, Glaubens und Lebens«, die im Oktober 1534 erschien und eine Rechtfertigung der täuferischen Lehren und Einrichtungen enthielt. Sie vertrat den Gebrauch des Schwertes gegenüber den »Gottlosen«, den Kommunismus und die Vielweiberei. Die Schrift wurde hinausgeschmuggelt und rasch verbreitet. Binnen kurzem wurde eine zweite Auflage nötig.

Im Dezember erschien dann »Das Büchlein von der Rache« »Eyn gantz troestlick bericht van der Wrake unde straffe des Babilonischen gruwels, an alle ware Israeliten und Bundtgenoten Christi, hir unde dar vorstroyet, durch de gemeinte Christi tho Munster.« Im Originalwortlaut gänzlich abgedruckt bei Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der Wiedertäufer, S. 66 bis 80.: Die Rache steht bevor, heißt es darin, sie wird vollzogen werden an den bisherigen Gewaltigen, und wenn sie vollzogen ist, wird der neue Himmel und die neue Erde dem Volke Gottes erscheinen. Die Schrift endet mit einer Apostrophe zur Erhebung: »Nun, liebe Brüder, die Zeit der Rache ist an uns gelangt, Gott hat den verheißenen David erweckt, gerüstet zur Rache und Strafe über Babylon mit seinem Volk. Hier habt ihr nun gehört, wie es soll zugehen und wie reicher Lohn uns erwartet und wie herrlich wir sollen gekrönt werden, wenn wir nur tapfer und männlich streiten und wissen, mag Gott uns nun Leben oder Tod verleihen, daß wir nicht können verloren werden. Darum, liebe Brüder, rüstet euch zum Streit, nicht allein mit den demütigen Waffen der Apostel zum Leiden, sondern auch mit dem herrlichen Harnisch Davids zur Rache, um mit Gottes Kraft und Hilfe alle babylonische Gewalt und all das gottlose Wesen auszurotten ... Alle Weisheit, Anschläge, Klugheit und Manier müßt ihr wohl gebrauchen, die gottlosen Gottesfeinde zu kränken und das Panier Gottes zu stärken. Gedenket dessen, was sie euch getan haben; das mögt ihr ihnen wiederum tun, ja mit demselben Maß, mit dem sie gemessen haben, soll ihnen wieder gemessen werden, und, was mehr ist, in denselben Becher soll ihnen eingeschenkt werden. Habet acht und machet euch keine Sünde aus dem, was keine Sünde ist. So wollet euch nun, liebe Brüder, mit Eile befleißen, mit Ernst zur Sache zu greifen, und so zahlreich als möglich begebt euch herzu, um unter das Panier Gottes zu kommen. Gott, der Herr der Heerscharen, der dies von Anbeginn der Welt beschlossen und durch seine Propheten verkündigt hat, rüste euch und sein ganzes Israel wie er will, zu seinem Preise und zur Vermehrung seines Reiches. Amen.«

Als dieser dringende Aufruf erschien, waren in den deutschen Städten bereits alle erheblicheren täuferischen Bewegungen unterdrückt. Wo immer Täufer sich geregt hatten, war es den Behörden, die seit den Vorgängen in Münster besonders vorsichtig und eifrig geworden waren, gelungen, sie rechtzeitig niederzuhalten oder gewaltsam niederzuwerfen, so in Warendorf, in Soest, Osnabrück, Minden, in Wesel, Köln usw. Die lübische Demokratie aber war im Mai 1534 in einen Krieg mit Dänemark geraten, der fortan jede, wenn auch nur moralische Unterstützung Münsters unmöglich machte, von der anfangs die Rede gewesen war.

Der lübische Wiedertäufer Johann von Elheede bekannte, gefangengenommen (wahrscheinlich im Mai 1534), »daß ihn die Stadt Lübeck habe ausgesandt, zu untersuchen, wie es in Münster stände, und er sollte sich hineinbegeben und nach allem sich umsehen und dann wiederum kommen und berichten, was er erfahren habe. Könnten sie alsdann denen von Münster Hilfe tun mit Entsetzung oder anders, wollten sie sich darin beweisen. Das habe Johann von Hanxler im Beisein von sechs Ratsherren mit ihm verhandelt.« (Berichte der Augenzeugen, S. 260.)

Bald nahm der Krieg Lübecks gegen Dänemark eine höchst ungünstige Wendung für die alte Hansastadt, deren Niederlage auch zum Fall der Demokratie und zum Untergang Wullenwebers führte.

Aus Deutschland hatten die Münsterschen zu Ende des Jahres 1534 keinen Entsatz mehr zu erwarten. Aber noch eine Hoffnung blieb ihnen übrig: die Niederlande, aus denen ja die Münstersche Erhebung selbst einen so großen Teil ihrer Kraft gezogen hatte.

Zu Beginn des Jahres 1534, als Münster in die Hände der Täufer geriet, war die Bewegung auch in den Niederlanden gewaltig gewachsen, namentlich in Amsterdam, das nach Münster als die Metropole der Täuferei galt, aber auch in den anderen Städten Hollands und Frieslands. »Zu Monnikendam schätzte man (im April) die Anhänger des Jan Mathys auf zwei Drittel der ganzen Einwohnerschaft, und ähnlich stand es damals überall in der Umgegend der Hauptstadt im ganzen Waterland.« Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II, S. 234. Auch in Oberyssel waren sie stark, namentlich in der Stadt Deventer, wo sogar der Bürgermeister sich ihnen anschloß.

»Gar sehr ängstigen wir uns dieser Provinzen,« schrieb von Antwerpen am 6. Februar 1534 Erasmus Schetus an Erasmus von Rotterdam, »namentlich in Holland, wegen des aufrührerischen Feuerbrands der Wiedertaufe. Denn wie Flammen schlägt sie empor. Kaum dürfte es einen Flecken oder eine Stadt geben, wo nicht die Fackel des Aufruhrs heimlich glühte. Da sie die Gütergemeinschaft predigen, strömen ihnen alle die Besitzlosen zu.« Berichte der Augenzeugen, S. 315.

Aber diese revolutionären Massen hatten nicht, wie die Brüder in Münster, eine ohnmächtige Reichsgewalt und ein Konglomerat fürstlicher und städtischer Obrigkeiten mit den widerstreitendsten Interessen gegen sich, sondern eine kraftvolle staatliche Zentralgewalt, die sofort alle ihre Machtmittel aufbot, um die drohende Empörung zu ersticken. Es ist unmöglich, die lange Liste der Hinrichtungen zu geben, die damals erfolgten, es ist immer dasselbe grausame Einerlei. Aber trotzdem gelang es nicht, zu verhüten, daß bewaffnete Scharen sich aufmachten, um nach Vollenhove an der Zuidersee in Oberyssel zu ziehen (meistens zu Schiff) und sich dort zu sammeln, mit der Absicht, zum Entsatz von Münster zu marschieren.

Am 22. März kamen bei Vollenhove 30 Schiffe mit bewaffneten Täufern an, die aus Amsterdam kamen. Am 25. langten auf 21 Schiffen 3000 Männer an, und gleichzeitig kamen viele zu Wagen und zu Fuß. Aber jeder dieser Trupps wurde von den niederländischen Behörden, die Wind von der Sache erhalten hatten, einzeln angegriffen und zerstreut.

Damit waren die Entsetzungsversuche vorläufig gescheitert. Die großen Siege der Belagerten vom 25. Mai und 31. August belebten jedoch die täuferische Agitation in den Niederlanden von neuem. Dieselbe wurde genährt durch Emissäre aus Münster. Angesichts der Hungersnot, die sich in Münster im Winter 1534/35 fühlbar zu machen begann, entwarf Johann von Leyden einen kühnen Plan: Die Genossen in den Niederlanden sollten sich erheben, er wollte sich mit einem Teil der Belagerten durch die Belagerungsarmee durchschlagen, mit den Heranrückenden vereint den Aufstand weitertragen und so Münster befreien. Wir haben gesehen, wie er Freiwillige zu diesem verzweifelten Unternehmen aufrief. Er übte auch seine Truppen dazu ein und ließ eine eigene Wagenburg zu dem Auszug herstellen.

Aber es kam nicht dazu. Einer der Emissäre Johanns, der »Apostel« Johann Gräß, ein gewesener Schulmeister, wurde zum Verräter; ausgesandt, die Brüder auswärts zu sammeln und nach Deventer zu führen, von wo aus sie nach Münster ziehen sollten, verließ er zu Neujahr 1535 die Stadt, aber nur, um direkt zum Bischof Franz zu gehen und ihm den Anschlag mitzuteilen und die Namen der angesehensten Genossen am Niederrhein und ihre Zusammenkunftsorte zu verraten. So wurde der Entsetzungsversuch im Keime erstickt.

Aber Johann von Leyden versuchte die Durchführung des Planes noch einmal, zu Ostern sollte endlich der heißersehnte Entsatz kommen. Keller, der diese Bewegungen genau verfolgt hat, berichtet darüber: »Die Täufer wollten, so wird erzählt, zur verabredeten Stunde vier Banner fliegen lassen, eines zu Eschenbruch bei der Maas im Lande von Jülich, eines in Holland und Waterland, das dritte zwischen Mastricht, Aachen und dem Lande zu Limburg, und das vierte in Friesland bei Gröningen. Bis zu dem festgesetzten Zeitpunkt sollten sich die Brüder mit Waffen und Geld fertig machen, und sobald der Befehl ausgehe, solle jeder zu dem nächsten Banner ziehen, um Münster zu entsetzen.

»Der Plan kam wirklich teilweise zur Ausführung. Gerade am 28. März, dem ersten Ostertag, wurde von den Täufern das sogenannte Oldenkloster zwischen Sneek und Bolswarden in Westfriesland eingenommen und befestigt. Es war eine starke Position mit vierfachem Wall und Graben, deren sie auf diese Weise Herr geworden waren.

»Als der kaiserliche Statthalter hiervon Kenntnis erhielt, marschierte er gegen sie, in der Hoffnung, sich des Punktes durch einen Handstreich bemächtigen zu können. Allein er sah sich zu einer regelrechten Belagerung gezwungen und mußte schweres Geschütz heranführen lassen.

»Nachdem er seine Truppen durch Aufbietung des dritten Mannes in Stadt und Land verstärkt hatte, begann er am 1. April das Bombardement und alsbald darauf den Sturm auf die Werke. Viermal mußte er die Landsknechte ins Feuer führen, und nachdem er die beiden ersten Male zurückgeschlagen war, gelang es beim dritten und vierten Anlauf, etliche äußere Positionen einzunehmen. Noch blieben aber einige Vorwerke und die Kirche im Besitz der Belagerten. Am 7. April mußte die Beschießung wieder begonnen werden; nachdem an fünf Stellen Bresche gelegt war, wurde gegen drei Uhr nachmittags abermals gestürmt und nach einem langen, schweren Kampfe endlich die ganze Stellung genommen. Acht- bis neunhundert Tote blieben auf der Walstatt.«

Eine andere Schar, die zu Schiff gegen Deventer zog, wurde vom Herzog von Geldern zum großen Teil vernichtet. Wer die anderen Orte, an denen Erhebungen geplant waren, hat Keller keine Mitteilungen auffinden können.

Noch einmal aber brach ein gefährlicher Aufstand aus in Amsterdam. Dorthin hatten die Münsterschen Johann von Geel gesandt, »einen ihrer besten Offiziere«. Es war ihm gelungen, den Ort seiner Bestimmung zu erreichen und die Brüder zur Erhebung zu bewegen.

»Am Abend des 11. Mai brach der Aufruhr los. Gegen acht Uhr besetzten 500 bewaffnete Täufer das Rathaus; der eine Bürgermeister, der ihnen in die Hände fiel, ward erstochen und die eroberten Positionen in Verteidigungszustand gesetzt.

»Indessen waren die Aufrührer doch keineswegs stark genug, um die große Stadt ohne weiteres zu überrumpeln. Auch scheint der Losbruch früher erfolgt zu sein, als die Verschworenen beisammen waren, denn einige Tage später kam noch weiterer Zuzug an. Jedenfalls fand Johann von Geel nach dem ersten Erfolg einen Widerstand, den er nicht vorausgesehen haben mochte. Die Bürgerschaft griff einmütig zu den Waffen, und es entspann sich ein blutiger Kampf, der die ganze Nacht hindurch dauerte und mit der völligen Vernichtung der Täufer endete. In furchtbaren Grausamkeiten machte sich der Haß der Sieger Luft. So wurde dem Johann von Campen, den Johann von Leyden zum Bischof der Täufer in Amsterdam bestellt hatte, nach seiner Gefangennahme die Zunge ausgerissen und die Hand abgehauen. In solcher Verstümmelung setzte man ihm zum Hohne eine blecherne Bischofsmütze mit dem Stadtwappen auf und ließ ihn am Pranger stehen. Erst dann ward er enthauptet.« Keller, Geschichte der Wiedertäufer, S. 276 bis 279. Anderen Gefangenen wurde das Herz lebendig aus dem Leibe gerissen und ins Angesicht geschlagen. Welch bestialische Horde waren doch – die Wiedertäufer!

Die Niederschlagung der Erhebung in Amsterdam bedeutete den Untergang des letzten aktionsfähigen Teils der kriegerischen Richtung unter den Wiedertäufern außerhalb Münsters. Die letzte Hoffnung auf Entsetzung der Belagerten war damit geschwunden.

Und bereits wütete der Hunger unter ihnen. »Sie haben zuerst gegessen Pferde, das Haupt mit den Füßen, Leber und Lunge. Sie haben gegessen Katzen, Hunde, Mäuse, Ratten, große breite Muscheln, Frösche und Gras, und ist Moos ihr Brot gewesen. Solange als sie Salz hatten, ist das ihr Fett gewesen. So haben sie auch Ochsenhäute gegessen und alte Schuhe haben sie eingeweicht und haben sie gegessen ... Ihre Kinder starben vor Hunger, die Alten starben vor Hunger, der eine starb über dem anderen.« (Gresbeck, S. 189, 190.)

Als die Not unerträglich geworden war, ließ Johann verkünden, wer nicht länger am Kampfe teilnehmen und die Stadt verlassen wolle, möge sich auf dem Rathaus melden. Vier Tage lang stehe es jedem frei, aus der Stadt zu ziehen. Nicht wenige machten von der Erlaubnis Gebrauch, Frauen, Greise und Kinder, aber auch wehrhafte Männer. Ein Teil der Auszügler wurde von den Bischöflichen sofort erschlagen, die anderen in Gefangenschaft gesetzt. Auf die jungen Frauen legten die Landsknechte Beschlag und trieben mit ihnen – Vielmännerei; es erschien ihnen jedenfalls als das beste Mittel, den Ärmsten die Schande abzunehmen, mit der sie die Vielweiberei der Täufer belastet hatte.

Die Zurückbleibenden waren in der Mehrzahl entschlossen, auszuhalten bis zum letzten Atemzug, um, wenn alles verloren wäre, sich unter den Trümmern des brennenden Münster zu begraben. Im Lager der Bischöflichen kannte man ihre elende Lage. Sie hatten nur noch wenig Pulver. »Sie tun keinen Schuß mehr, er sei denn sehr gewiß. Sie haben, wie ich berichtet werde von den Gefangenen, nur noch anderthalb Tonnen Pulver,« schrieb der bereits erwähnte Bürgermeister von Frankfurt, Justinian von Holzhausen, am 29. Mai aus dem Lager vor Münster. Berichte der Augenzeugen, S. 344, vergleiche S. 336. Die Streitkräfte in der Stadt waren aus ein Minimum zusammengeschmolzen. Am 24. Mai musterte Johann, »was wehrhaft Volk in der Stadt war. Das ist gewesen, wie uns die Gefangenen bekannten, ungefähr zweihundert Mann. Die anderen, Weiber, Kinder und Männer, liegen und gehen alle krank, etliche an Krücken. Sind alle geschwollen, machtlos, dürfen nicht weit vor das Tor gehen, denn sie könnten unseren Knechten nicht entlaufen.« Holzhausen, a. a. O., S. 343.

Und doch wagten die Bischöflichen keinen Sturm. Sie erinnerten sich wohl, daß sie in den Kämpfen mit der kleinen Schar der Täufer bereits 6000 Mann verloren hatten. (Holzhausen, a. a. O., S. 343.) Und so konnte der Frankfurter Bürgermeister seinem Vater noch am 8. Juni schreiben: »Wie ich die Handlung vor Münster ansehe, so besorge ich, daß wir diesen Sommer, wofern uns nicht Verräterei helfen will, die Stadt nicht erobern werden. Also hat sich der König mit seinen Herzogen und seinem faulen Anhang verstockterweise in die bübische Handlung ergeben, dabei zu sterben und zu verderben mit der ganzen Stadt.« (A. a. O., S. 353, 354.)

Wie die Scharen Dolcinos, so waren auch jetzt die Johanns von Leyden so gefürchtet, daß die Belagerer sich nicht an sie in offenem Sturme heranwagten, solange jene noch einen Funken von Widerstandskraft in sich fühlten.

Aber als Holzhausen den letzt zitierten Brief schrieb, hatte sich der Verräter, auf den er hoffte, schon gefunden: der uns bereits so wohlbekannte Gresbeck. Am 23. Mai war er aus der Stadt desertiert, und, gefangengenommen, erbot er sich, die Belagerer an einer gefahrlosen Stelle in die Stadt zu führen. Die Täufer waren ja nicht mehr imstande, alle Punkte der Umwallung zu bewachen. Gresbecks Mitteilungen wurden von Hans Eck von der Langenstraten bestätigt, einem Landsknecht, der früher aus dem bischöflichen Lager zu den Täufern übergegangen und nun, als es diesen schlecht ging, wieder zu den Bischöflichen entwichen war. Trotzdem wagten die vorsichtigen Belagerer lange nicht den Überfall. Erst am 25. Juni, nachdem man alles aufs sorgfältigste vorbereitet, machte man sich ans Werk, gegen Mitternacht, unter dem Schutze eines starken Gewitters.

Unter Gresbecks Führung gelangte die Vorhut der Landsknechte, etwa 200 Mann stark, glücklich in der Nähe des Kreuztors auf den Wall, stach die nächsten Posten nieder und öffnete das Tor. Fünf- bis sechshundert Landsknechte stürmten herein, Münster schien gewonnen. Vergleiche den Bericht des Generals Wirich vom 29. Juli an den Herzog von Cleve. (Berichte der Augenzeugen, S. 359.) Aber noch einmal sollte ihre wilde Beutegier die Verteidiger des Eigentums gefährden.

Siegestrunken eilten die Eingedrungenen vorwärts, um zu plündern, und ließen das Tor unbesetzt. Inzwischen war das nächstgelegene Wachkommando der Täufer herbeigeeilt, und ehe noch die Hauptmacht eindringen konnte, hatten sie das Tor gewonnen und die Landsknechte in der Stadt von den anderen abgeschnitten. Und statt diesen durch einen Angriff von außen zu Hilfe zu kommen, gab der Oberbefehlshaber der Bischöflichen, Graf Wirich von Dhaun, bestürzt den Befehl zum Rückzug, als er bemerkte, daß das Tor sich wieder im Besitz der Täufer befinde! Hohngelächter und Pfeilschüsse der Verteidiger auf dem Walle – Männer und Weiber – folgten ihm. Inzwischen hatten sich die Täufer in der ganzen Stadt erhoben. Weit entfernt, freudig das Joch der Schreckensherrschaft abzuwerfen, eilte vielmehr alles, was noch eine Waffe halten konnte, herbei, den eingedrungenen Landsknechten in wütendem Ansturm entgegen, so daß diesen statt 200, wie sie erwarteten, 800 Bewaffnete entgegentraten. Holzhausen, am 1. Juli an die Stadt Frankfurt, a. a. O., S. 366. »Man kann nicht ohne Erstaunen bemerken,« meint einmal Keller, »daß es einigen eingewanderten Bösewichtern gelang, die gesamte einheimische Bevölkerung mehr und mehr zu Sklaven zu machen.« (Wiedertäufer, S. 103.) Noch erstaunlicher ist die Wut, mit der die von der Schreckensherrschaft »Befreiten« ihre »Befreier« anfielen. Die Eingedrungenen gerieten gewaltig in die Enge und sandten schon einen Parlamentär an Johann von Leyden ab, um drei Uhr morgens. Aber einigen der Landsknechte war es gelungen, sich nach einer unbesetzten Stelle auf dem Walle durchzuschlagen und, da der Morgen graute, sich ihren Kameraden außerhalb der Stadt bemerkbar zu machen. Was längst hätte geschehen sollen, geschah jetzt. Die Hauptmacht ging zum Angriff vor und gewann den schwach besetzten Wall. »Also ist die Stadt allein aus besonderer Gnade Gottes und gar nicht aus Geschicklichkeit des Kriegsvolkes erobert worden.« (Holzhausen, a. a. O., S. 366.

Ein furchtbarer Straßenkampf folgte. Wo sie konnten, verbarrikadierten sich die Täufer, um acht Uhr morgens hielt der Kern ihrer Streitmacht, 200 Leute stark, immer noch den durch Barrikaden geschützten Markt besetzt. Ein Kriegsrat der bischöflichen Generäle entschied, daß es ein zu gewagtes, auf jeden Fall zu verlustreiches Beginnen sei, die Täufer mit Gewalt aus ihrer letzten Position zu vertreiben. Man bewilligte ihnen freien Abzug nach Niederlegung der Waffen und sicheres Geleit.

Die Eingeschlossenen nahmen diese Bedingung an, ihnen winkte ja keine Hoffnung mehr. Kaum hatten sie ihre Waffen niedergelegt und ihre Befestigungen verlassen, so wurden die Waffenlosen niedergemetzelt. Auf eine Ehrlosigkeit mehr oder weniger kam es dem fürstlichen Banditentum nicht an.

Fünfthalbhundert Täufer wurden am Tage der Eroberung erschlagen. Aber auch in den folgenden Tagen hörte das Schlachten von Unglücklichen, die man in den Häusern verborgen fand, nicht auf. Bericht des Sigmund von Beineburgk an Philipp von Hessen, vom 7. Juli, a. a. O., S. 368.

Die Frauen, die in der Stadt geblieben waren, hatten an dem Kampfe lebhaften Anteil genommen. Nun wurde auch ein großer Teil derselben von den wütenden Landsknechten erschlagen. Den Rest ließ der Bischof vorführen und ihnen vorhalten, er werde sie begnadigen, wenn sie von der Wiedertaufe abließen, »nachdem aber derselbigen wenig befunden worden, sondern sie auf ihrem Vornehmen ganz bestanden und verstockt geblieben«, wurden die Vornehmsten unter ihnen hingerichtet, der Rest aus der Stadt verjagt. Von denen sollen viele nach England gezogen sein. Gresbeck, S. 213, und Beineburgk, a. a. O., S. 368.

Von den Führern war ein großer Teil gefallen, so Tilbeck und Kippenbroich, so wahrscheinlich auch Rothmann. Nur wenigen, wie Heinrich Krechtinck, gelang es, zu entkommen. Sein Bruder Bernt sowie Knipperdollinck und Johann von Leyden gerieten lebend in die Hände der Sieger und wurden zu einem köstlichen Schauspiel aufbewahrt. Nach der Sitte der Zeit, diejenigen der Feigheit zu beschuldigen, vor denen man am meisten Angst gehabt, erzählt Kerssenbroick von Johann von Leyden, er sei feig ausgerissen. Weder sein Benehmen vor noch nach der Eroberung läßt ihn feig erscheinen; völlige Sicherheit über das Benehmen der einzelnen während des nächtlichen Straßenkampfes wird wohl kaum zu erlangen sein.

Als der Bischof in Münster eingezogen war, ließ er Johann vor sich kommen. »So hat mein gnädiger Herr gesagt: ›Bist du ein König?‹ Da soll der König geantwortet haben: ›Bist du ein Bischof?‹« Gresbeck, a. a. O., S. 213. Diese Antwort läßt nicht auf Feigheit schließen.

Die Behandlung, welche die Gefangenen erfuhren, war die gewöhnliche besiegter Verteidiger der Ausgebeuteten in jener Zeit – und auch zu anderen Zeiten.

Eiserne Halsbänder wurden für Johann, Knipperdollinck und Krechtinck geschmiedet und diese daran durch das Land geschleppt. Ihre Peinigungen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Erst am 22. Januar 1536 wurden sie zu Münster vor allem Volk gerichtet. Der Bischof sah dem erbaulichen Schauspiel zu: »Und alsbald haben die Schinder zuerst den König (Johann von Leyden) in das Halseisen eingeschlossen und an den Pfahl gebunden, hiernach die glühende Zange ergriffen und denselben an allen fleischigen und übrigen Teilen seines Leibes dergestalt gezwickt, daß von einem jeden Orte, der von der Zange berührt wurde, die Flamme herausloderte und ein solcher Gestank entstand, daß beinahe alle, die auf dem Markt standen, solchen Geruch in ihren Nasen nicht ertragen konnten. Mit gleicher Strafe sind auch die übrigen belegt worden, welche jedoch diese Folter mit weit größerer Ungeduld und Empfindlichkeit als der König ausstanden und ihren Schmerz durch vieles Wehklagen und Rufen zu erkennen gaben. Als aber Knipperdollinck durch den Anblick der entsetzlichen Marter geängstigt wurde, so hängte er sich an das Halseisen, mit welchem er an den Pfahl gebunden war, suchte sich damit die Kehle abzuschneiden und seinen Tod zu beschleunigen; allein, da dieses die Schinder wahrnahmen, richteten sie ihn wieder auf, rissen ihm den Mund weitauseinander, zogen ihm ein Seil durch die Zähne und banden ihn so fest an den Pfahl, daß er weder sitzen noch sich die Kehle abreißen, noch sich, da ihm die ganze Kehle aufgesperrt war, ersticken konnte. Als man sie aber lange genug gemartert hatte und sie noch lebendig waren, riß man ihnen endlich mit einer glühenden Zange die Zunge aus dem Halse und stieß ihnen zugleich, so stark man konnte, einen Dolch in das Herz.« Die Leichname wurden bekanntlich in eisernen Käfigen an der Lambertskirche aufgehängt. »Die Zangen aber, womit sie sind gepeinigt worden, werden noch auf dem Markt an einem Pfeiler des Rathauses erblickt, wo sie aufgehängt sind und allen Aufrührern und Widersetzlichen gegen die ordentliche Obrigkeit zum Beispiel und Schrecken dienen können.« Kerssenbroick, II, S. 212. In diesen Bericht Kerssenbroicks brauchen wir keinen Zweifel zu setzen.

Ein moderner Historiker hat die Stirn, das die » verdiente Strafe für ihre Missetaten« zu nennen. (Keller, Wiedertäufer, S. 280.) Mögen doch die edlen Herren der »deutschen Wissenschaft« ein einziges Beispiel davon aufweisen, daß die ungebildeten, rohen Proletarier von Münster inmitten der Schrecken der Belagerung an einem ihrer Feinde auch nur den hundertsten Teil jener empörenden Bestialitäten verübten, die der hochwürdige Bischof ein halbes Jahr nach seinem Siege bei voller Gemütsruhe wohl überlegt und vorbereitet vor seinen Augen von seinen Schindern vollziehen ließ! Und doch jubeln diese edlen Denker, die sich ihrer hohen Ethik selbst nicht genug rühmen können, über den Sieg des geistlichen Bluthundes und schleifen seine Opfer als infame Verbrecher durch den Kot!

*

Die Wiedertaufe, die Sache des Proletariats, ja, die der gesamten Demokratie, lag im Deutschen Reiche für Jahrhunderte völlig zu Boden. Und auch außerhalb Deutschlands hatte das wehrhafte, kriegerische Täufertum jeglichen Halt verloren.

Im August 1536 kam es auf dem Kongreß zu Bockholt zur Spaltung der niederländischen Täufer. Die kriegerische Richtung verschwand von da an. Die friedlich-chiliastische erhielt sich noch eine Zeitlang. Ihr Führer wurde David Joris, geboren im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zu Brügge, erzogen zu Delft. Am wichtigsten aber wurde von nun an die vollkommen in den bestehenden Zustand ergebene Richtung der Obbeniten (nach Obbe Philipps so genannt), die lehrten, daß kein anderer Zustand der Welt hienieden zu erwarten sei als der bestehende, und daß man sich darein schicken müsse.

Das Haupt dieser Richtung wurde Menno Simons, dessen Anhänger nach ihm Mennoniten genannt wurden. Er wurde 1492 geboren zu Witmarsum, einem friesischen Dorfe bei Franecker, und ward katholischer Priester. 1531 trat er mit den Täufern in Verbindung, und schon 1533 finden wir ihn als Anhänger der unterwürfigen Richtung und als Gegner des Johann Mathys. Während sein Bruder, der der kriegerischen Richtung angehörte, sich der Schar anschloß, die zu Ostern 1535 von Westfriesland aufbrach, um Münster zu entsetzen, und als tapferer Kämpfer fiel, scheute Menno sich nicht, den aufs äußerste bedrängten Genossen Münsters in den Rücken zu fallen und eine Agitation gegen sie zu eröffnen.

Nach dem Untergang Münsters ward seine Richtung die vorherrschende unter den Täufern.

Das Ende Mennos wie das Joris' ist bezeichnend für den Charakter, den das Täufertum von nun an nehmen sollte. Wohl hatten sie noch viele Verfolgungen durchzumachen, aber beide starben in Frieden, geachtet und – wohlhabend.

Joris hatte ein hübsches Vermögen erspart, und um es ruhig genießen zu können, ließ sich der Prophet des jüngsten Tages 1544 unter einem falschen Namen, als Johann von Brügge, in Basel nieder, wo er sich ankaufte. Erst nach seinem Tode, 1556, wurde sein wahrer Name entdeckt und seine Leiche auf Befehl des Basler Rates verbrannt.

Bald darauf, 1559, starb Menno Simons. Die letzten Jahre seines Lebens hatte er in Oldesloe im Holsteinischen verlebt, aus dem Gute eines Adligen, der in niederländischen Kriegsdiensten die Täufer als ebenso fleißige wie harmlose Leute kennen gelernt hatte und ihnen nun auf seinen Gütern eine für ihn sehr profitable Freistatt bot.

Aber bald sollten die Niederlande selbst eine solche Freistatt für die verfolgten Täufer werden. Der Abfall vom Habsburgischen Joch brachte in den vereinigten Staaten an der Rheinmündung die Glaubensfreiheit, die religiöse Toleranz, in einer bestimmteren Form ungefähr zu derselben Zeit zur Geltung, zu der sie in Böhmen und Mähren den Habsburgern erlag, wo sie seit den Hussitenkriegen tatsächlich, wenn auch roh und unvollkommen, geherrscht hatte. Seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts wurden die Mennoniten in den Niederlanden geduldet, 1626 erhielten sie offiziell die Glaubensfreiheit. Sie haben sich, gleich den Herrnhutern, den Nachkommen der böhmischen Brüder, bis heute erhalten. Aber seit langem bilden sie nichts mehr als ein behäbiges, wohlhabendes Kleinbürgertum, das für den Emanzipationskampf des Proletariats wie für die Entwicklung des sozialistischen Gedankens gänzlich bedeutungslos gewesen ist.

Von den Niederlanden, die schon zur Zeit der Begharden im engsten Verkehr mit England gestanden waren, kamen auch die täuferischen Ideen dorthin, und die Bürgerkriege des siebzehnten Jahrhunderts brachten sie sogar in den Vordergrund. Aber wie sehr auch die demokratisch-sozialistischen Richtungen des Independententums als Fortsetzer des Täufertums erscheinen mögen, sie sind doch wesentlich von diesem verschieden.

Mit dem christlichen Sozialismus, als einer realen Triebkraft im gesellschaftlichen Leben, ging es im sechzehnten Jahrhundert zu Ende. Von diesem Jahrhundert an entwickelt sich die moderne Produktionsweise, der moderne Staat, das moderne Proletariat, aber auch der moderne Sozialismus.

Eine neue Epoche für die Menschheit bricht damit heran.


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