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Zweites Kapitel.
Münzers Anfänge.

1. Münzers Biographen.

Wie über manchen Revolutionär vor und nach ihm, dessen Sache unterlegen ist, sind wir auch über Münzer schlecht unterrichtet. Nicht, daß es an Nachrichten über ihn fehlte, aber sie stammen meist von seinen Gegnern her, sind gehässig und unzuverlässig. Die bekannteste Quelle über Münzer sind die Mitteilungen Melanchthons in dessen »Historie Thome Müntzers, des anfengers der Döringischen vffrur, sehr nützlich zu lesen« usw., die wahrscheinlich unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstandes, noch im Jahre 1525 selbst, erschien (sie ist fast in allen Gesamtausgaben der Werke Luthers abgedruckt). Wie objektiv ein Fürstenknecht in jenem Zeitpunkt über den gefährlichsten Feind der Fürsten schreiben konnte, bedarf keiner Auseinandersetzung. Melanchthon hatte besondere Ursache zur Gehässigkeit, denn er hatte eine Zeitlang mit den Genossen Münzers geliebäugelt, wie wir gesehen, von diesen selbst Briefe erhalten, wohl auch beantwortet. In Münzers »Auslegung des neunzehnten Psalms«, herausgegeben von Agricola, ist im Anhang ein lateinischer Brief Münzers an Melanchthon abgedruckt, in dem jener diesen zu energischerem Vorgehen gegen die »Gottlosen« mahnt.

Melanchthon war also kommunistischer Sympathien verdächtig. Grund genug für ihn, nach der Niederschlagung der Kommunisten, sein Verbrechen durch verdoppeltes Wüten gegen seine unterlegenen ehemaligen Geistesverwandten zu sühnen.

Auf das Schlechtmachen kommt es dem »sanften« Melanchthon allein an, nicht auf die Richtigkeit. Auch in ganz gleichgültigen Fragen zeigt sich seine Darstellung völlig unzuverlässig und liederlich.

Ein Beispiel genügt. Nach Melanchthon hielt sich Münzer nach seiner Vertreibung von Allstätt ein halbes Jahr lang verborgen, ging dann nach Nürnberg und von dort nach Mühlhausen, wo er ein Jahr lang blieb, bis zum Ausbruch des Bauernkriegs. Das macht zusammen über anderthalb Jahre. In Wirklichkeit war Münzer im August 1524 noch in Allstätt, und im Beginn des April 1525 brach der Bauernaufstand aus. Man sieht, wie lächerlich die Melanchthonsche Chronologie ist, ganz abgesehen davon, daß alle diese Angaben über Münzers Wanderungen keine Spur von Wahrheit enthalten.

Sleidan und Gnodalius haben die Darstellung Melanchthons einfach abgeschrieben. »Das ganze dritte Buch der Geschichte des Bauernkriegs von Gnodalius (erschien 1570) ist eine Übersetzung der Schrift Melanchthons.« (O. L. Schäfer, Das Verhältnis der drei Geschichtschreiber des Bauernkriegs, Haarer, Gnodalius und Leodius, historisch-kritisch betrachtet, S. 35. Chemnitz 1876.) Von Sleidan und Gnodalius ist sie in die späteren Geschichten der Zeit übergegangen. Erst die französische Revolution verhalf Münzer einigermaßen zu seinem Rechte. Den Pastor G. Th. Strobel in Wöhrdt (Bayern) regte sie zum Studium des Bauernkriegs, namentlich des Münzerschen Aufruhrs an, er entdeckte die Lücken und Widersprüche der Melanchthonschen Darstellung und suchte ihnen möglichst abzuhelfen in seiner Schrift: »Leben, Schriften und Lehren Thomäe Müntzers, des Urhebers des Bauernaufstandes in Thüringen«, Nürnberg und Altorf 1795. Es ist die erste wissenschaftliche Monographie über Münzer, und mit ihr kann sich nur noch eine messen, die des Pastors Seidemann, der 1842 eine Schrift herausgab: »Thomas Münzer, eine Biographie, nach den im Königlich sächsischen Hauptstaatsarchiv zu Dresden vorhandenen Quellen bearbeitet«, Dresden und Leipzig. Seidemann hat eine Reihe neuer Dokumente beigebracht, aber er verspricht im Titel seiner Arbeit mehr als er leistet, denn in den meisten Punkten stützt er sich einfach auf Strobel, den er oft abschreibt, ohne ihn zu nennen.

Die jüngste Arbeit über Münzer ist von O. Merx geliefert, »Thomas Münzer und Heinrich Pfeifer, 1523 bis 1525«, Göttingen 1889, eine Doktordissertation, deren Verfasser keine Gelegenheit versäumt, seine gute, fürstentreue Gesinnung an den Tag zu legen. Das Schriftchen bringt einige Einzelheiten und chronologische Richtigstellungen, die auf neuen, in Zeitschriften und Sammlungen verstreuten Materialien beruhen. Aber es bleibt am Äußerlichsten haften und zeigt nicht das mindeste Verständnis für die Ideen und das Wirken Münzers.

Alle anderen Monographien über Münzer, die uns zu Gesicht gekommen, sind wissenschaftlich ohne Wert.

So zum Beispiel L. v. Baczko, »Thomas Münzer, dessen Charakter und Schicksale«, Halle und Leipzig 1812, oder P. Streif, »Thomas Münzer oder der thüringische Bauernkrieg«, Leipzig 1836.

Am miserabelsten ist des Professors Leo »Thomas Münzer«, ein Vortrag, gehalten im Auftrag des evangelischen Vereins in Berlin 1856. Er hat einfach Seidemann abgeschrieben, aber mit servilen Niederträchtigkeiten gespickt.

Aus ihnen allen spricht der Geist des Melanchthonschen Machwerkes und ebenso aus den allgemeinen Darstellungen jener Zeit bis auf Janssen und Lamprecht herab.

Wir kennen unter den selbständigen Darstellungen Münzers nur eine, die der historischen Bedeutung des Mannes und seiner Persönlichkeit gerecht geworden ist: diejenige, die uns W. Zimmermann in seiner »Geschichte des großen Bauernkriegs« gibt, welches Werk, trotzdem seit seiner ersten Auflage mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen ist, immer noch nicht erreicht, geschweige denn übertroffen wurde, wenn auch einzelne seiner Details veraltet sind. Eine populäre Ausgabe ist erschienen bei J. H. W. Dietz in Stuttgart.

Mit Anlehnung an Zimmermann hat Friedrich Engels eine Darstellung des Bauernkriegs und damit auch des Wirkens von Thomas Münzer gegeben in einer Abhandlung, die zuerst im sechsten Heft der Revue der »Neuen Rheinischen Zeitung«, Hamburg 1850, erschien und seitdem wiederholt zum Separatabdruck gelangte, unter dem Titel: »Der deutsche Bauernkrieg«. (Eine Neuausgabe mit Einleitung und Anmerkungen von F. Mehring erschien 1908 in der Buchhandlung Vorwärts, Berlin.) Das Material nahm Engels, wie er selbst in der Vorrede sagt, aus Zimmermann, aber er verarbeitete es selbständig auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung und mit Heranziehung der Erfahrungen, die ihm eben die Revolution von 1848 geliefert hatte. Dadurch gewann er eine Reihe neuer wichtiger Einblicke in das Wesen des Bauernkriegs, die uns bei der folgenden Darstellung von großem Nutzen gewesen sind.

Erscheint uns die Auffassung Zimmermanns im allgemeinen wohl begründet, so können wir ihm doch in einem sehr wesentlichen Punkte nicht zustimmen: er faßt Münzer auf als außerhalb seiner Zeit und über ihr stehend: »Münzer eilte auch mit seinen religiösen Ansichten, nicht nur mit seinen politischen, um drei Jahrhunderte voraus.« A. a. O., 2. Aufl., I, S. 182.

Zimmermann kommt zu dieser Anschauung durch Vergleichung der Münzerschen Gedanken mit denen späterer Denker und Neuerer: Penn, Zinzendorf, Rousseau usw. Hätte er sie dagegen mit denen der früheren kommunistischen Sekten verglichen, so würde er gefunden haben, daß Münzer sich ganz in deren Gedankenkreise bewegte. Es ist uns nicht gelungen, einen neuen Gedanken bei Münzer zu entdecken.

Auch die organisatorische und propagandistische Bedeutung des Mannes ist unseres Erachtens bisher überschätzt worden. Die Verfolgungen von Begharden und Waldensern, die nicht aufhören, weisen darauf hin, daß sich nicht nur die Ideen, sondern auch die Organisationen kommunistischer Sekten bis in die Reformationszeit hinein erhalten haben. Wir dürfen annehmen, daß gleichzeitig mit Münzer, ja vor ihm, wie das in Zwickau offenkundig geworden, zahlreiche Agitatoren und Organisatoren in gleichem Sinne tätig waren und daß bereits an manchen Orten geheime Organisationen vorhanden waren, auf die sie sich stützen konnten.

Worin Münzer seine kommunistischen Genossen überragte, das waren nicht philosophischer Sinn und Organisationstalent, sondern das war seine revolutionäre Tatkraft und vor allem sein staatsmännischer Blick. Die Kommunisten des Mittelalters waren, wie wir schon wiederholt gesehen haben, im allgemeinen friedfertiger Natur. In revolutionären Zeiten wurden sie freilich leicht von dem revolutionären Feuer fortgerissen. Als die Reformation ganz Deutschland in gewaltige Gärung versetzte, blieben auch die Kommunisten davon nicht unberührt. Aber viele von ihnen scheinen an der Wirksamkeit des gewaltsamen Weges gezweifelt zu haben, namentlich die Süddeutschen, beeinflußt von den schweizerischen Wiedertäufern, die entschieden gegen die Münzersche Anschauung auftraten, daß allein die Gewalt dem Evangelium zum Durchbruch verhelfen könne. Sie wollten nur vom »Kampf mit den geistigen Waffen« etwas wissen, nur »mit dem Wort Gottes die Welt besiegen«, wie man damals sich ausdrückte. Wir kommen darauf in der Geschichte der Wiedertäufer zurück.

Von dieser Friedfertigkeit war Münzer weit entfernt. Sein Ungestüm, seine Tatkraft konnten nicht übertroffen werden. Daneben war er aber nichts weniger als ein Wirrkopf und auch kein beschränkter Sektierer. Er kannte die bestehenden Machtverhältnisse in Staat und Gesellschaft, und bei allem mystischen Enthusiasmus rechnete er mit diesen Verhältnissen. Und weit entfernt, seine Wirksamkeit auf eine kleine Gemeinde Rechtgläubiger zu beschränken, appellierte er an alle revolutionären Elemente jener Zeit, suchte er sie alle seiner Sache dienstbar zu machen.

Wenn er scheiterte, so lag dies in Verhältnissen begründet, die er nicht ändern konnte. Was aber mit den vorhandenen Machtmitteln geleistet werden konnte, das hat er geleistet, und wenn 1525 in Thüringen ein Aufstand der dort so wehrlosen Bauern eine Zeitlang die Ausbeutergesellschaft in ihren Wurzeln bedrohen konnte, so ist dies nicht zum wenigsten Thomas Münzer zu verdanken, seiner Verbindung überschwenglicher kommunistischer Schwärmerei mit eiserner Willenskraft, mit leidenschaftlichem Ungestüm – aber auch mit staatsmännischer Einsicht.

2. Münzers Anfänge.

Münzer wurde zu Stolberg am Fuße des Harz geboren, 1490 oder 1493. Seidemann gibt 1490 an, Zimmermann hat auch das Jahr 1493 angegeben gefunden. Über seine Jugend und seine ersten Studien fehlen alle Nachrichten. Sicher ist, daß er gelehrte Studien mit Erfolg betrieb, denn er erhielt den Doktorgrad. Er wurde Geistlicher, aber er fühlte sich nicht als »schwarzer Gendarm«. Seine rebellische Natur kam frühzeitig zur Geltung, denn in Halle, wo er als Lehrer wirkte, stiftete er bereits einen Geheimbund wider Ernst II., Erzbischof von Magdeburg und Primas von Deutschland; da dieser 1513 starb, kann Münzer damals höchstens 23 Jahre alt gewesen sein. 1515 finden wir ihn als Propst in Frohsa bei Aschersleben, wahrscheinlich im dortigen Nonnenkloster. Aber nicht lange. Nach verschiedenen Kreuz- und Querfahrten landete er schließlich wieder in einem Nonnenkloster, in Beutitz bei Weißenfels, wo er Beichtvater wurde. Aber auch dort scheint es ihn nicht geduldet zu haben, 1520 ist er Prediger in Zwickau, im Einvernehmen mit Luther, dessen Sache im Kampfe mit Rom der junge Stürmer und Dränger mit Leidenschaft ergriffen hatte. Zwickau wurde für seine weitere Laufbahn entscheidend.

Anfangs war er Prediger an der Marienkirche, dann aber wurde er Prediger an der Katharinenkirche, in die er sich, wie Seidemann sagt, »eindrängte«. Diese Tatsache erschien bisher als sehr unwichtig, uns erscheint sie anders. Denn die Katharinenkirche war gewissermaßen das Gewerkschaftslokal der Tuchknappen. 1475 hatten diese dort ihren eigenen Altar, den »Knappenaltar«, gestiftet, den die Zunft (Gesellenschaft?) mit einem Wohnhaus und 35 Gulden jährlich für den Priester dotierte. Auf dem Kirchhof hielten die Weber ihre Versammlungen (Morgensprachen). Die Marienkirche scheint dagegen das Versammlungslokal der Geldprotzen gewesen zu sein. Sie war 1473 von Martin Römer mit einer Stiftung von 10 000 rheinischen Gulden, die in Nürnberg zu vier Prozent angelegt waren, zu seinem »Seelgerät« bedacht worden. Dafür sollten dort täglich für den reichen Sünder sieben Seelenmessen gehalten werden. Herzog, Chronik von Zwickau, I, S. 235; II, S. 133 bis 135. Dies nebenbei ein Beispiel dafür, wie einträglich für die Kirche die Lehre vom Fegfeuer geworden war.

Ob Zuneigung zu den Tuchknappen Münzer veranlaßte, sich um die Predigtstelle in ihrer Kirche zu bewerben, oder ob seine Annäherung an sie erst die Folge dieses Schrittes war, ist heute nicht mehr zu entscheiden. Sicher ist es, daß er als ihr Prediger in engste Berührung mit ihnen geriet, ihre Anschauungen kennen lernte und sofort auf das mächtigste davon ergriffen wurde. Eine Zwickauer Schrift aus dem Jahre 1523 Abgedruckt im Anhang bei Seidemann, Münzer, S. 109 ff. berichtet über seine Verbindung mit den Tuchknappen, daß »die Knapperei sich zu ihm gehalten und er mit ihnen mehr Konventikel gehalten, denn mit würdiger Priesterschaft. Dadurch kam es, daß Magister Thomas die Knapperei vorgezogen hat, vornehmlich einen mit Namen Nikolaus Storch. Welchen er so groß auf der Kanzel gerühmt und schön ausgemalt (auspleseniert) und ihn vor allen Priestern erhoben als den einzigen, der in der Bibel Bescheid wisse und sie hoch erkannt im Geist. Zugleich aber rühmte Magister Thomas sich auch, er wisse fürwahr, er habe den Heiligen Geist. Aus dieser Unart ist es erwachsen, daß Storch sich unterstanden, neben Thomas Winkelpredigten aufzurichten, wie es Gewohnheit ist bei den Begharden (Pikarden), die da aufwerfen einen Schuster oder Schneider, zu predigen. Also ist durch Magister Thomas vorgezogen worden dieser Nikolaus Storch, und er billigte (approbierte) es auf der Kanzel, daß die Laien müssen unsere Prälaten und Pfarrer werden und Rechenschaft des Glaubens nehmen. Daraus entsprang und wurde zum Sprichwort die Sekte der Storchitaner. Und sie nahm unter ihnen so zu, daß öffentlich geredet wurde, sie hätten konspiriert und kongregiert zwölf Apostel und zweiundsiebzig Jünger.«

Dies kühne Vorgehen der Kommunisten führte notwendigerweise zu einem Konflikt. Solange Münzer bloß gegen die reichen Pfaffen gewettert, hatte er den Beifall von Rat und Bürgerschaft gewonnen. Das änderte sich jetzt.

Der Konflikt äußerte sich zunächst als geistlicher Konflikt zweier Kirchen, der Weberkirche zu St. Katharina und der Protzenkirche zu St. Marien, beziehungsweise als Konflikt ihrer Prediger, Münzer hier, Johann Wildenau von Eger (Egranus) dort. Schon 1520 war der Kampf zwischen beiden im Gange. Entweder war Wildenau wirklich das verkommene Subjekt, als das ihn seine Gegner schilderten, oder er fand in der Bürgerschaft nicht genügende Unterstützung; genug, er mußte vor Münzer weichen (Frühjahr 1521).

Machte dieser Erfolg die Tuchknappen kühner, so mußte er den Rat und die wohlhabende Bürgerschaft ängstlicher und zu Gewaltmaßregeln geneigter machen. Eine Veranlassung war bald gefunden in einem Weberkrawall, an dem Münzer, wie er noch am 9. Juli 1523 an Luther schrieb, ganz unbeteiligt war. 55 Tuchknappen wurden »in die Türme gesetzt«, die am meisten Belasteten entflohen, Münzer wurde ausgewiesen. Auch Nikolaus Storch und andere verließen damals oder bald danach Zwickau, dessen Boden ihnen zu heiß geworden war. Sie gingen nach Wittenberg, wo sie im Dezember 1521 eintrafen und mit Melanchthon und Karlstadt in Verbindung traten, wie wir gesehen. Münzer dagegen wendete sich nach Prag. Im Lande der Taboriten hoffte er Genossen und einen fruchtbaren Boden für seine Wirksamkeit zu finden.

Aber die Zeiten hatten sich geändert. Böhmen war ein schlechterer Boden für taboritische Lehren geworden als Sachsen. Die streitbare Demokratie war längst im entscheidenden Kampfe gegen die großen Aristokraten unterlegen, und der letzte Rest von demokratischem Kommunismus, der in den böhmischen Brüdern fortgewirkt hatte, war bis zur Unkenntlichkeit entstellt, seitdem bei ihnen die bürgerliche Richtung die proletarische überwunden hatte.

Am allerwenigsten konnte Prag der richtige Ort für einen Mann wie Münzer sein. Diese Stadt war selbst zur Zeit des Höhepunktes der taboritischen Macht im besten Falle nur eine laue Freundin, meist aber eine entschiedene Feindin derselben gewesen. Jetzt war sie eine feste Stütze der »großen Hansen« geworden.

Münzer predigte in Prag, wo er im Spätherbst eintraf, mit Hilfe eines Dolmetschers, nachdem er einen böhmischen Aufruf hatte anschlagen lassen, in dem er seinen Namen tschechisierte: » Ja Thomass Minczierz s Stolberku«, beginnt er. Aber kaum war man auf ihn aufmerksam geworden, da nahm auch schon die Freiheit des Predigens für ihn ein Ende. Er wurde unter Polizeiaufsicht gestellt (man gesellte ihm gleich vier Wächter bei) und bald darauf ausgewiesen. Am 25. Januar 1522 hatte er Prag bereits verlassen.

Zwickau – Prag: man sieht, die heutige Polizeipraxis in Böhmen und Sachsen beruht auf ehrwürdigen Traditionen. Sie ist durch ihr Alter geheiligt.

3. Münzer in Allstätt.

Von Böhmen wendete sich Münzer wieder nach Sachsen, zunächst Nordhausen, wo er einige Zeit blieb, dann nach Allstätt. Zimmermann und andere schreiben Altstädt. Das Wort dürfte aber mit Alt nichts zu tun haben, wohl aber mit der Wurzel Hal, Salz; der Name Allstätt dürfte wie andere Ortsnamen des so salzreichen Harzgebietes ( Halle, Halberstadt usw.) eine Fundstätte von Salz anzeigen, Allstätt = Hallstatt, Salzstätte. Wie Zwickau, war auch diese Stadt dicht an einem großen Bergwerk gelegen, dem Mansfeldischen Kupfer-, Silber- und Goldbergwerk, dessen wir schon gedacht. Wir dürfen wohl annehmen, daß die wehrhafte und trotzige Bergbevölkerung den proletarischen Tendenzen in Allstätt zugute kam und daß Münzers Agitation dadurch begünstigt wurde. Sicher ist es, daß der von Ort zu Ort gehetzte Agitator endlich in Allstätt eine Stätte seines Wirkens fand, die ihm die günstigsten Aussichten bot. Bald hatte er als Prediger festen Fuß gefaßt, und wir dürfen es als Zeichen seiner Zuversicht in die Zukunft betrachten, daß er heiratete (Ostern 1523), eine aus dem Kloster ausgetretene Nonne, namens Ottilie von Gersen. Merx, Münzer, S. 9. Auf Mißverständnis beruht die Nachricht, er habe eine Pfarrersköchin geheiratet, Vergleiche Strobel, S. 136, Seidemann, S. 18. Diese Nachricht (aus Cyprianus) lautet: »Durch diese nit wohl verstandene Lehre Taulers von Geist und Grunde der Seele wurde verführt Thomas Münzer mit seinem Anhang, denn er las ihn stets, wie wir wohl wissen, mitsamt einem Weibe, die Meister Konrads, Pfarrherrn zu Orlamunda, Köchin gewest ist und zu Leipzig ein solches Wesen hatte, daß man sie für heilig achtete.« Dadurch, daß man statt » einem Weibe« » seinem Weibe« las, verkuppelte man unseren Thomas mit der schwärmerischen Pfarrersköchin. was übrigens auch kein Unglück gewesen wäre.

Aber über diesen persönlichen Angelegenheiten vergaß Münzer nicht die Sache, der er sich geweiht. Er richtete – der erste unter den deutschen Reformatoren – einen durchaus deutschen Gottesdienst ein und ließ, statt bloß über das Neue Testament, über alle biblischen Bücher predigen und sie vorlesen. Dies ist charakteristisch. Wir haben bereits im zweiten Kapitel dieses Abschnitts darauf hingewiesen, daß den demokratischen Sekten das vielfach republikanische Alte Testament besser behagte, als das Neue Testament, dies Produkt der zäsaristischen Gesellschaft. Von den Taboriten bis zu den Puritanern kann man diese Vorliebe für das Alte Testament verfolgen.

Die »päpstliche heuchlerische Beichte« wurde abgeschafft, das Abendmahl unter beiden Gestalten gereicht. Die ganze Gemeinde hatte am Gottesdienst mitzuwirken, die privilegierte Stellung des Geistlichen hörte auf, daher auch, wie Münzer selbst mitteilt, »unsere Widersacher sagen, wir lehren die Roßbuben auf dem Feld auch Meß halten«.

Er bemerkt dies in seiner ersten Schrift, die uns von ihm erhalten ist und die sich mit der eben erwähnten Neuordnung des Gottesdienstes beschäftigt: »Ordnung und Berechnung des Teutschen ampts zu Alstädt durch Tomam Münzer, seelwarters ym vorgangenen Ostern auffgericht, 1523. Alstedt 1524. Gedruckt tzu Eylenburgk durch Nikolaum Widemar.«

Davon handelt auch die Schrift: »Deutsch Evangelisch Mesße etwann durch die Bebstischen pfaffen in Latein zu grossem nachteyl des Christenglaubens vor ein opfer gehandelt, vnd jetzt verordnet in dieser hehrlichen Zeyt zu entdecken den grewel aller abgötterey durch solche mißbreuche der Messen lange Zeit getriben. Thomas Müntzer, Alstedt 1524.«

In der Vorrede bemerkt er, die lateinischen Worte erzeugen Schwindel und Unwissenheit, »darum hab' ich zur Besserung nach deutscher Art und Musterung ... verdolmetscht die Psalmen mehr nach dem Sinn als nach den Worten«. Nach dem Auszug bei Strobel. Diese und die folgende Schrift Münzers konnten wir leider nicht aus eigener Anschauung kennen lernen.

Den Inhalt der Schrift bildet die verdeutschte Messe selbst. Als deren zweiten Teil kann man das Buch betrachten: »Deutzsch Kirchenampt, verordnet, aufzuheben den hinterlistigen Deckel, vnder welchem das Liecht der welt vorhalten war, welchs yetzt widerumb erscheynt mit dysen Lobgesängen vnd Göttlichen Psalmen, die do erbawen die zunemende Christenheyt, nach gottis vnwandelbarem willen, zum vntergang aller prechtigen geperde der gotlosen.« Alstedt, vermutlich 1524, 18 Bogen in Quart. Wie Strobel mitteilt, findet man darin die lateinischen Gesänge von fünf Ämtern (Messen) ins Deutsche übersetzt.

Außerdem veröffentlichte Münzer in Allstätt noch zwei Agitationsbroschüren: die »Protestation« und die Schrift vom »erdichteten Glauben«. Protestation odder empietung Tome Müntzers von Stolberg am Hartzs seelwarters zu Alstedt seine lere betreffende vnnd tzum anfang von dem rechten Christenglawben vnd der Tawffe. 1524 Alstedt. – Von dem getichten glawben auff nechst Protestation außgangen Tome Müntzers Selwarters zu Alstet. 1524.

Neben diesen Schriften sind noch zu nennen zwei Briefe aus jener Zeit. Einer, vom 18. Juli 1523, »ein ernster Sendebrief an seinen lieben Bruder zu Stolberg, unsäglichen Aufruhr zu meiden«, ein Mahnbrief an die dortigen Bundesbrüder zur Geduld. Die richtige Stimmung sei noch nicht da. »Es ist eine überschwengliche Torheit, daß viele der auserwählten Freunde Gottes meinen, Gott soll's in der Christenheit eilend gut machen und ihnen geschwind zu Hilfe kommen, so doch niemand sich danach sehnet oder heftig ist im Leiden und Verharren, arm im Geiste zu werden.« Es geht den Leuten noch zu gut. Es muß schlechter werden, ehe es besser wird. »Gott verhängt es daher immer mehr, den Tyrannen zu wüten, damit die Auserwählten von dem Drang erfüllt werden, Gott zu suchen. Die Menschen, die nicht wider den Glauben geglaubt, wider die Hoffnung gehofft, wider die Liebe Gottes gehaßt haben, die wissen nicht, daß Gott den Menschen selbst sagt, was ihnen notwendig ist.« Zum Schlusse tadelt er die Haltlosigkeit und das Wohlleben der Brüder: »So vernehme ich, daß Ihr gleich ruhmredig seid und studiert nichts und seid hinterlässig. Wenn Ihr trinkt, sagt Ihr viel von der Sache, wenn Ihr nüchtern seid, fürchtet Ihr Euch wie die Memmen. Darum bessert, allerliebste Brüder, Euer Leben; hütet Euch vor Schlemmerei (Luc. 21, Petr. 5), fliehet die Lüste mit ihren Liebhabern (2. Timotheus 3), stellt Euch kecker, denn Ihr noch tan habt und schreibt mir, wie Ihr mit Eurem Pfund habt gewuchert.«

Den anderen Brief, die Auslegung des 19. Psalms, schrieb er im Mai 1524 an einen seiner Anhänger, 1525 gab ihn Johannes Agricola aus Eisleben heraus, um gegen Münzer Stimmung zu machen, »auf daß alle Welt greifen möge, wie sich der Teufel Gott gedenk gleich zu machen«. Außlegung des XIX. Psalms Coeli enarrant durch Thomas Müntzer an syner ersten Jünger ainen, Wittenberg 1525. Er enthält keinen bemerkenswerten Gedanken, den wir nicht in anderem Zusammenhang in Münzers Schriften jener Zeit wiederfänden.

Die Auslegung des zweiten Kapitels Danielis, die auch in Allstätt erschien, ist später zu erwähnen.

Die erste dieser Schriften, die Ordnung des deutschen Amts, enthält allein schon alle wesentlichen Kennzeichen der Münzerschen Philosophie, seinen Mystizismus, seine Verachtung der Bibel, soweit sie nicht durch die Stimme der inneren Offenbarung gestützt wird, die nur durch Askese, durch das Leiden, gewonnen werden kann, seine Verachtung der Gelehrten, endlich seinen Pantheismus und seine religiöse Toleranz.

Für die ersteren Anschauungen haben wir Beispiele bereits im ersten Band gegeben. (S. 202 ff.) Hier sei nur noch eine Stelle der Ordnung des deutschen Amts wiedergegeben: Aus der Bibel allein, sagt Münzer, kann man nicht wissen, was recht ist, Gott muß es in unserem Innern erwecken. »Ob du auch schon die Biblien gefressen hast, hilft's dich nicht, du mußt den scharfen Pflugschar leiden, mit dem Gott das Unkraut aus deinem Herzen ausrottet.« Die Vergleichung der Askese, des Leidens mit einer Pflugschar ist ein Bild, das Münzer sehr liebt. Wir finden es auch angewandt in seiner »Protestation«.

Ein klares Zeugnis seines pantheistisch angehauchten Mystizismus ist folgende Stelle derselben Schrift: »Nämlich, er (der Mensch) soll und muß wissen, daß Gott in ihm sei, daß er ihn nicht ausdichte, aussinne, wie er tausend Meilen von ihm sei, sondern wie Himmel und Erde voll, voll Gottes sind und wie der Vater den Sohn ohne Unterlaß in uns gebärt und der Heilige Geist nicht anders denn den Gekreuzigten in uns durch herzliche Betrübnis erklärt.«

Münzers religiöse Toleranz endlich erhellt aus folgenden Ausführungen: »Es soll sich niemand verwundern, daß wir zu Allstätt deutsche Messe halten. Es ist auch nicht allein unser Brauch, eine andere Weise zu halten, denn die Römer, weil auch die zu Mediolan (Mailand) in Lombardia viel eine andere Weise haben. Messe zu halten, denn in Rom.« Die »Crabaten«, Böhmen, Armenier usw. halten Messe in ihrer Sprache, die Russen haben »viel andere Gebärden und sind darum doch keine Teufel. Ach, wie blinde, unwissende Menschen sein wir, daß wir uns vermessen, allein Christen zu sein in äußerlichem Gepränge und uns darüber zanken, wie wahnsinnige viehische Menschen.« Die Heiden und Türken sind nicht schlechter als die Christen. Er will »unsere hinterstelligen langsamen römischen Brüder auch nicht verachten«.

Das sind sicher für jene Zeit große und tiefe Gedanken. Aber sie sind nicht Münzer eigentümlich. Den pantheistischen Mystizismus haben wir schon bei den Brüdern und Schwestern vom freien Geist gefunden.

Ebenso hat auch die religiöse Toleranz Münzers ihre Vorgänger. Wie wir wissen, fiel sie bereits Äneas Sylvius bei den Taboriten auf. Auch die böhmischen Brüder praktizierten sie. Diese religiöse Toleranz ist jedoch in einem sehr beschränkten Sinne aufzufassen. Sie konnte sich nicht auf alle Fragen der Religion erstrecken in einer Zeit, wo alle großen Gegensätze in Staat und Gesellschaft unter religiöser Hülle auftraten. Münzer haßte denn auch alle Toleranzheuchelei, hinter der sich Feigheit und Charakterlosigkeit barg. »Es hat kein Ding auf Erden,« rief er, »eine bessere Gestalt und Larve, denn die gedichtete Güte, darum sind alle Winkel voll eitel Heuchler, unter welchen keiner so kühn ist, daß er die rechte Wahrheit möchte sagen. Darum, daß die Wahrheit möchte recht an den Tag gebracht werden, da müßt ihr Regenten (Gott gebe, ihr tut's gerne, oder nicht) euch halten nach dem Beschluß des Kapitels, daß der Nebukadnezar hat den heiligen Daniel gesetzt zum Amtmann, auf daß er möchte gute, gerechte Urteile vollführen, wie der Heilige Geist saget, Psalm 5. Die Gottlosen haben kein Recht zu leben, außer soweit es ihnen die Auserwählten gönnenAuslegung des anderen Unterschiedes Daniels.

Diese Stelle steht in anscheinendem Widerspruch zu den anderen, die Münzers religiöse Toleranz zeigen. Aber der Widerspruch verfliegt, wenn man zusieht, worauf sich diese Toleranz bezieht. Sie bezieht sich bloß auf die internationalen Beziehungen, ist ein Ausfluß der Anerkennung der Volkssouveränität: Jedes Volk mag sich seine Religion nach seinem Gutdünken einrichten, uns ist das gleichgültig. Mögen die »hinterstelligen römischen Brüder« die Messe in ihrer Weise lesen, mögen Türken und Heiden glauben, was sie wollen, was geht das uns an? Wir wollen nichts, als daß man uns gestattet, unsere Verhältnisse nach unseren Bedürfnissen zu ordnen. Also keine Gegnerschaft gegen fremde Nationen. Damit steht durchaus nicht im Widerspruch die Proklamierung des schonungslosen Klassenkampfes im Innern.

Diese Proklamierung ist indes bereits einer späteren Schrift entnommen. Die bisher aufgeführten sind im allgemeinen ruhig – so ruhig ein Feuergeist eben schreiben kann. Sie sind Propagandaschriften, die vornehmlich Fragen der Religion und kirchlichen Organisation behandeln; sie enthalten keine revolutionären Drohungen und Aufrufe. Noch war Münzer kein Rebell, noch stand er nicht in offenem Gegensatz zur Obrigkeit.

Aber er stand bereits in Konflikt mit Luther. Den Anlaß dazu gab anscheinend persönliche Rivalität.

Niemals vielleicht zeigte sich's so deutlich, wie wenig die Reformation der persönlichen Initiative Luthers entsprang, als in den Jahren 1522 und 1523.

Nicht nur, daß er sich durch die Verhältnisse treiben ließ, ohne ihre inneren Zusammenhänge klar zu erkennen, es passierte ihm sogar, daß er auf der einmal betretenen Bahn von anderen überholt wurde. Während er in beschaulicher Ruhe auf der Wartburg saß und die Bibel übersetzte, gingen die tatkräftigen Elemente Wittenbergs, geführt von Karlstadt und beeinflußt von den Zwickauer Schwärmern, daran, die praktischen Konsequenzen des Konflikts mit Rom zu ziehen; sie schafften das Zölibat ab, die Mönchsgelübde, das Fasten, die Bilderverehrung, die Privatmesse usw. Luther hatte später nichts zu tun, als diese Reformen aufzunehmen und zu sanktionieren – soweit er sie nicht wieder aufhob.

Und nun, ein Jahr nach diesen Wittenberger Vorkommnissen, mußte sich der Mann, der sich bereits als Führer im Kampfe um die »evangelische Wahrheit« fühlte, von Münzer durch den deutschen Gottesdienst überholen lassen. Denn dieser führte ihn in Allstätt mit solchem Erfolg ein, daß Luther nichts übrig blieb, als ihn nachzuahmen. Aber vor der Welt wollte er nicht als Nachahmer erscheinen. Man mußte verhindern, daß sie von der Münzerschen Neuerung etwas erfahre, ehe er deren Nachahmung eingeführt. Dafür gab es ein einfaches Mittel.

Münzer selbst schrieb darüber in seiner »hoch verursachten Schutzrede«, auf die wir noch zu sprechen kommen: »Es ist nicht anders in der Wahrheit, wie mir das ganze Land Gezeugnis gibt, das arme, dürftige Volk begehrte der Wahrheit also fleißig, daß auch alle Straßen voll Leute waren, von allen Orten, anzuhören, wie das Amt, die Biblien zu singen und zu predigen, in Allstätt angerichtet ward. Sollte er auch zerbrechen, so könnt' er's zu Wittenberg nicht tun. Man sieht's in seiner deutschen Meß wohl, wie heilig er darauf war, welches den Luther also sehr verdroß, daß er zum ersten bei seinen Fürsten zuweg brachte, daß mein ›Amt‹ nit sollte in Druck gehn

Auf diese Anschuldigung hat Luther nie geantwortet.

Die Rivalität zwischen den beiden Reformatoren trug sicher nicht dazu bei, ihr Verhältnis freundschaftlicher zu gestalten. Aber der Grund zu dem Konflikt zwischen ihnen lag tiefer.

Wohl hatte Luther damals noch nicht feste Stellung zur Demokratie genommen. Er wußte noch nicht, auf welche Seite das Zünglein der Macht sich neigen werde. Aber eines war ihm klar geworden; sein bürgerlicher Instinkt war zu entwickelt, als daß er das verkannt hätte: Die kommunistischen Sektierer durfte man auf keinen Fall aufkommen lassen.

Das hatte er schon 1522 erkannt, als die Zwickauer Schwärmer angefangen hatten, Einfluß in Wittenberg zu bekommen. Als weder Melanchthon noch der Kurfürst entschieden Stellung zu ihnen nahmen, litt es ihn nicht länger auf der Wartburg. Er eilte im Frühjahr 1522 nach Wittenberg und trieb die gefährlichen Leute auseinander. Storch ging nach Süddeutschland, wo er verschwand. Karlstadt, den Luther ebenso mundtot zu machen suchte wie Münzer – er ließ seine Schriften durch die Obrigkeit konfiszieren –, zog zunächst aufs Land bei Wittenberg; er kaufte ein Gut und wollte als Bauer leben; die Bauern sollten ihn nicht mehr Doktor nennen, sondern Nachbar Andreas. Bald aber finden wir ihn wieder agitatorisch und organisatorisch mit großem Erfolg in Orlamünda tätig, wo er die Kirchengemeinde ganz demokratisch einrichtete und mit allen überlieferten katholischen Zeremonien Kehraus machte.

Als Münzer in Allstätt auftauchte, mußte Luther, der dessen Verbindung mit den Zwickauern kannte, ihn von vornherein mit Mißtrauen betrachten. Dies stieg, je mehr Münzers Ansehen wuchs. Der Stachel der Eifersucht mußte Luther vollends wütend machen. Aber dem Manne war schwer beizukommen. Vergebens zitierte ihn Luther nach Wittenberg, um ihn zu verhören. Münzer erklärte, er werde sich nur einer »ungefährlichen Gemeinde« stellen.

Da Münzer nicht nach Wittenberg kam, kamen die sächsischen Fürsten, Friedrich und sein Bruder und Mitregent, der Herzog Johann, nach Allstätt, veranlaßt durch Unruhen, die in der Nähe dieser Stadt stattgefunden hatten.

Ein Haufen Allstätter hatte am 24. März 1524 die Kapelle von Mellerbach, einen besuchten Wallfahrtsort, zerstört, um der »Abgötterei des Bilderdienstes« ein Ende zu machen, gegen die Münzer damals predigte. Die Allstätter Behörden erhielten darauf vom Kurfürsten Friedrich den Befehl, die Zerstörer der Klause in Strafe zu nehmen. Lange wagten die Aufgeforderten nicht, dem Befehl Folge zu leisten, denn sie fürchteten einen Aufruhr. Als sie endlich am 13. Juni zur Verhaftung der Verdächtigen schreiten wollten, wurde ihr Vorhaben verraten. »Nicht nur Männer, sondern auch Weiber und Jungfrauen, denen von Münzer befohlen war, ›sich mit Gabeln und Forken zur Wehre zu schicken‹, rotteten sich zusammen. Die Glocken ertönten zum Sturme. Münzer soll sie selbst angeschlagen haben.« Am nächsten Tage »erhielten die Allstätter, vielleicht auf ihr Erfordern, schon auswärtige Hilfe. Berggesellen und andere, meldeten sie, seien zu ihnen gekommen, um zu sehen, ob der Magister (Münzer) etwa überfallen oder sie um des Evangeliums willen betrübt würden – das beste Zeugnis für den Einfluß und die Beliebtheit Münzers.« Merx, S. 16, 17.

So wurden die Absichten der kurfürstlichen Behörden vereitelt. Als der Hauptschuldige galt Münzer.

Aber als die beiden Fürsten nach Allstätt kamen (wahrscheinlich anfangs Juli), um selbst Ordnung zu schaffen, da unternahmen sie nicht nur nichts gegen Münzer, sie gestatteten diesem sogar, daß er vor ihnen eine Rede hielt, wie sie kühner vor regierenden Fürsten wohl nie gehalten worden ist. Sie allein genügt, das Geschwätz von Münzers Feigheit zu widerlegen, das sich von Melanchthon bis Lamprecht durch alle »gutgesinnten« Darstellungen der Münzerschen Bewegung zieht.

Münzer ging bei seiner Rede aus von dem zweiten Kapitel im Buche Danielis, von dem Gesichte Nebukadnezars und dessen Deutung durch Daniel. Solche Offenbarungen gebe es auch heute noch. »Die Schriftgelehrten freilich behaupten, Gott offenbare sich heute nicht mehr seinen lieben Freunden durch Gesichte und mündliches Wort, man müsse sich an die Schrift halten. Sie verspotten die Warnungen derer, die mit der Offenbarung Gottes umgehen, wie die Juden Jeremias verspotteten, der die babylonische Gefangenschaft prophezeite. Aber durch Entsagung aller Kurzweil und Abtötung aller Wollüste des Fleisches und durch den rechten Mut zur Wahrheit kann man auch heute noch zur Erkenntnis der Gesichte kommen. »Ja, es ist ein rechter apostolischer, patriarchalischer und prophetischer Geist, auf die Gesichte warten und dieselbigen mit schmerzlicher Betrübnis überkommen, darum ist's nicht Wunder, daß sie Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben (Luther) verwirft ... Es ist wahr und ich weiß fürwahr, daß der Geist Gottes itzt vielen auserwählten frommen Menschen offenbart, eine treffliche, unüberwindliche, zukünftige Reformation sei von großen Nöten, und es muß vollführt werden, es wehre sich gleich ein itzlicher, wie er will, so bleibet die Weissagung Danielis ungeschwächt.« Wir sind jetzt im fünften Reiche der Welt: »Man sieht itzt hübsch, wie sich die Öle (Aale) und Schlangen zusammen verunkeuschen auf einem Haufen. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen ... und die weltlichen Herrn und Regenten sind Öle ... Ach, liebe Herrn, wie hübsch wird der Herr da unter die alten Töpfe schmeißen mit einer eisernen Stangen.« An den evangelischen Fürsten ist es nun, gegen die Gegner des Evangeliums loszuschlagen. »Sollt ihr nun rechte Regenten sein, so müßt ihr das Regiment bei der Wurzel anheben.« Die Wurzeln der Abgötterei müssen zerstört werden. Das Schwert ist das Mittel, die Gottlosen zu vertilgen. »Daß aber dasselbe nun redlicher Weise und füglich geschehe, so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden (Dan., 7. Kap.), denn sie bekennen ihn also mit Worten und leugnen sein mit der Tat.« Darauf wendet er sich gegen die heuchlerische Toleranz – wir haben ein charakteristisches Stück dieser Ausführungen oben zitiert – und schließt mit dem Zuruf: »Seid nur keck! Der will das Regiment selber haben, dem alle Gewalt ist gegeben im Himmel und auf Erden. Matthäi am letzten. Der euch am liebsten bewahr ewiglich. Amen.«

Fürwahr eine kühne Rede. Weit entfernt, seine revolutionären Absichten zu leugnen, erklärt Münzer die Revolution für notwendig. Die Fürsten mögen sich an ihre Spitze stellen, sonst werde das empörte Volk über die Fürsten hinwegschreiten. Die Rede zeigt keine allzu große Zuversicht, daß die Regenten diesem Appell Folge leisten würden, aber sie beweist doch, daß er es nicht für ganz unmöglich hielt, wenigstens den Kurfürsten für sich zu gewinnen.

Noch waren in der Reformationsbewegung die Klassengegensätze nicht so offenkundig und unversöhnlich aufgetreten, wie sie ein Jahr später dastehen sollten. Und man darf nicht vergessen, daß das absolute Fürstentum damals noch eine revolutionäre Macht war, so daß ein Bündnis zwischen ihm und anderen Revolutionären nicht von vornherein als aussichtslos erschien. Haben doch selbst in den letzten hundert Jahren noch legitime Fürsten mit der Rebellion kokettiert, wenn ihre dynastischen Interessen sie zu einer revolutionären Politik drängten. So zeitweise namentlich die Hohenzollern bis 1866. Dazu kam aber noch der Umstand, daß Kurfürst Friedrich den Volksbewegungen gegenüber große Nachsicht, ja eine gewisse Sympathie an den Tag legte, wie wir es im Falle der Zwickauer Schwärmer gesehen haben und beim Ausbruch des Bauernkriegs wieder sehen werden.

Diesem Umstand, vielleicht aber auch dem Ansehen, das Münzer in Allstätt genoß, ist es möglicherweise zuzuschreiben, daß Münzer von den Regenten ungefährdet entlassen wurde.

Viel mehr Klassenbewußtsein als Friedrich besaß sein Bruder, Herzog Johann. Als Münzer seine Rede drucken ließ, Außlegung des andern untersyds Danielis deß propheten gepredigt auffn schlos zu Alstet vor den tetigen thewren Herzogen und Vorstehern zu Sachssen durch Thomam Müntzer Diener des wordt gottes, Allstedt 1524. geriet er darüber in solchen Zorn, daß er Nikolaus Widemar von Eilenburg, den Drucker der Münzerschen Schriften, aus den sächsischen Landen ausweisen ließ. Vergebens protestierte Münzer dagegen in einem Briefe vom 13. Juli. Es wurde ihm verboten, irgend etwas ohne Genehmigung der sächsischen Regierung zu Weimar drucken zu lassen.

Darauf antwortete der unbeugsame Mann damit, daß er eine neue Agitationsschrift in dem benachbarten Mühlhausen, wo eben eine Volksbewegung siegreich war, in Druck gab, die »Enthüllung des falschen Glaubens der ungetreuen Welt«. Außgetrückte emplößung des falschen Glaubens der vngetrewen welt, durch gezeugnus des Euangelions Luce, vorgetragen der elenden erbermlichen Christenheyt zu innerung jres irsals. Ezechiel am 8. Capitel, Thomas Müntzer mit dem Hammer, Mülhausen 1524.

Auf dem Titel nennt er sich »Münzer mit dem Hammer«, mit Bezug auf eine Stelle bei Jeremias 23, 9, wo der Herr spricht: »Ist mein Wort nicht ... wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?« »Liebe Gesellen,« sagt er ferner auf dem Titelblatt, »laßt uns auch das Loch weiter machen, auf daß alle Welt sehen und begreifen möge, wer unsere großen Hansen sind, die Gott so lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben.«

Auf der zweiten Seite dienen ihm als Motto zwei Sprüche aus Jeremias 1, die er der Gelegenheit angepaßt hat: »Nimm wahr, ich habe meine Worte in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heute über die Leute und über die Reiche gesetzt, auf daß du auswurzelst, zerbrichst, zerstreust und verwüstest, und bauest und pflanzest.« Und: »Eine eiserne Mauer wider die Könige, Fürsten und Pfaffen und wider das Volk ist dargestellt. Sie mögen streiten, der Sieg ist wunderlich zum Untergang der starken, gottlosen Tyrannen.« Diese Einleitung zeigt schon den Charakter der ganzen Schrift.

Sie beginnt mit einer Polemik gegen die Schriftgelehrten, die das arme Volk betrügen. Dieses muß sich von ihnen emanzipieren. Wer nach Reichtum und Ehren strebt, kann Gott nicht dienen. »Ei, warum wird Bruder Sanftleben und Bruder Leisetreter (Luther) also heftig und gar schellig? Ja, er meint, er könne gern seine vorgenommenen Lüste alle ins Werk führen, seine Pracht und Reichtümer behalten und gleichwohl einen bewährten Glauben haben, welches doch der Sohn Gottes mit klaren Worten den Schriftgelehrten getadelt hat ... Ihr könnt nicht Gott und den Reichtümern dienen. Wer Ehren und Güter zu Besitz nimmt, der muß zuletzt ewig von Gott leer gelassen werden, wie am 5. Psalm Gott sagt, ›ihr Herz ist eitel‹. Darüber müssen die gewaltigen, eigensinnigen Menschen vom Stuhl gestoßen werden.« »Der gottlosen, unsinnigen Menschen Regiment und Obrigkeit toben und wüten aufs allerhöchste wider Gott und seine Gesalbten,« ja, etliche fangen jetzt erst recht an, »ihr Volk zu stöckern, plöcken, schinden und schaben, und bedräuen dazu die ganze Christenheit und peinigen und töten schmählich die Ihrigen und Fremde, daß Gott nach dem Ringen der Auserwählten den Jammer nicht länger wird können und mögen ansehn.« Gott legt den Seinen mehr auf, als sie tragen können. Das muß und wird baldigst ein Ende nehmen.

Die Fürsten sind die Zuchtrute, mit der Gott die Welt in seinem Grimm bestraft. »Darum sind sie nichts anderes, denn Henker und Büttel, das ist ihr ganzes Handwerk.«

Nicht sie sind zu fürchten, sondern Gott. Aber an Gott darf man nicht verzweifeln. Bei ihm ist nichts unmöglich, auch nicht der Sieg der kommunistischen Revolution. »Ja, es dünkt unzählige Leute, eine mächtig große Schwärmerei zu sein. Sie können nicht anders urteilen, denn daß es unmöglich sei, daß ein solches Spiel sollte angerichtet und vollführt werden, die Gottlosen vom Stuhl der Urteile zu stoßen und die Niedrigen, Groben erheben.« Das Unmögliche wird möglich werden. »Ja, es ist dennoch ein feiner Glaube, er wird noch viel Gutes anrichten. Er wird wohl ein subtiles Volk anrichten, wie Plato, der Philosophus, spekuliert hat ( de republica). Und Apulejus vom güldenen Esel.«

Der Rest der Broschüre bringt nur Wiederholungen. Vergleicht man sie mit den früheren Allstätter Publikationen Münzers, dann zeigt sich eine augenfällige Verschiedenheit. Die »Erklärung des anderen Unterschieds Danielis« bildet den Übergang von diesen zu jener. Es handelt sich jetzt für Münzer weniger darum, die ihm Fernstehenden zu überzeugen und zu überreden, sondern vielmehr darum, die Genossen anzustacheln und anzutreiben. Und nicht mehr die kirchliche, sondern die politische und soziale Revolution stehen ihm im Vordergrund. Die »Erklärung« ist noch ein Versuch, die Fürsten für die Sache der Revolution zu gewinnen. Jetzt dagegen sind die Fürsten der Hauptfeind, nicht der Papst, und nicht um den vagen Begriff des »Evangeliums« handelt es sich, sondern direkt um den Kommunismus, »wie Plato, der Philosophus, spekuliert hat«, dessen Buch über den Staat Münzer also kannte.

Diese Veränderung im Ton und Inhalt der Agitation Münzers ist sicher zum Teil durch seinen Konflikt mit dem Fürstentum bewirkt worden, das ihm offenkundig bewies, daß er seine Ideen nur im Kampfe gegen dieses durchsetzen könne. Aber zum Teil, und wohl zum weitaus größten Teil, dürfte die Ursache dieser Wandlung tiefer liegen und begründet sein in der allgemeinen Wandlung der Verhältnisse. Gerade zu jener Zeit zuckten die ersten Flammen des Bauernkriegs auf. Jetzt galt es nicht mehr zu predigen, sondern zu handeln.


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