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Zehntes Kapitel

Zahl und Bezahlung der deutschen Truppen.
Die Charaktere der Offiziere und der Soldaten.
Folgen für Deutschland

Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, die Zahl der von jedem der beteiligten Fürsten gelieferten Soldaten festzustellen, solange die deutschen Archive dem Forscher verschlossen bleiben. Die englischen Quellen, so zuverlässig sie sich sonst auch in den unbedeutendsten, die deutschen Mietstruppen betreffenden Einzelheiten erweisen, reichen deshalb nicht überall aus, weil in ihnen sehr häufig die Kontingente der einzelnen Staaten unter der allgemeineren Bezeichnung »deutsche Rekruten« oder »deutsche Verstärkung« zusammengefaßt werden.

Soweit ich imstande gewesen bin, die zuerst von Schloezer in seinen »Staats-Anzeigen« veröffentlichte Berechnung mit meinen Quellen (bis Ende 1778) zu vergleichen, finde ich sie im ganzen richtig und zuverlässig. Einmal ist Schloezers Gewissenhaftigkeit in allen seinen statistischen Mitteilungen unbestreitbar, dann aber stützt sich seine unmittelbar nach der Rückkehr der Truppen aufgestellte Tabelle, wie bei einer Vergleichung mit den englischen Angaben klar wird, überall auf offizielle deutsche Mitteilungen. Sie weicht nur da von den englischen Berechnungen ab, wo sich ein Unterschied zwischen den von den Fürsten gelieferten und zwischen den von Faucitt oder Rainsford angenommenen Rekruten ergibt.

So stellte, um hier ein paar erläuternde Beispiele aus vielen herauszugreifen, Braunschweig im April 1778 nach Schloezer 475 Rekruten. Diese Zahl gibt auch Faucitt in seinem Bericht an; er verwarf aber bei der Prüfung der Leute deren zwölf wegen verschiedener körperlicher Gebrechen, so daß nur 463 wirklich in den englischen Dienst eingemustert wurden. Waldeck lieferte im April 1777 nach Schloezer 89 Rekruten; Faucitt verrechnet deren aber nur 88. In späterer Zeit ließ der englische Kommissär, weil er möglichst viele Leute brauchte, sogar Einäugige und Verwachsene zu; je länger der Krieg also dauerte, desto weniger Rekruten wurden verworfen und desto zutreffender ist die Schloezersche Zählung.

Schloezer zieht die Zahl der oft zu verschiedenen Zeiten in Subsidien gegebenen Soldaten bei Hanau zusammen, schließt bei anderen gleich die Artillerie mit ein oder berechnet die Rekruten nach dem Zeitpunkt ihrer Absendung, nicht aber ihrer Annahme in den englischen Dienst; in der Hauptsache stimmen aber seine Berechnungen immer mit den Angaben der Musterungsoffiziere überein. Diese kleinen, kaum nennenswerten Unterschiede in seinen Angaben sprechen aber nur um so mehr für die Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit Schloezers; seine Tabelle kann also – wenn auch vielleicht spätere Nachforschungen die eine oder andere untergeordnete Zahl ändern mögen – füglich als der beste und genaueste Maßstab für die im amerikanischen Krieg gelieferten und verlorengegangenen deutschen Truppen gelten. Danach wurden folgende Soldaten verkauft:

  geliefert davon kehrten zurück
Braunschweig 5 723 2 708
Hessen-Kassel 16 992 10 492
Hessen-Hanau 2 422 1 441
Waldeck 1 225 505
Ansbach 1 644 1 183
Anhalt-Zerbst 1 160 984
  _______ ________
  29 166 17 313

Dadurch ergibt sich ein Totalverlust von 11 853 Mann. Siehe Anhang sub XXX.

Auch die für jene Zeit kolossalen Geldzahlungen lassen sich nur annähernd und mit großer Schwierigkeit feststellen. Es liegen zwar in den »Journals of the House of Commons« die genau spezifizierten Ausstellungen vor, die das Kriegsministerium jährlich dem Parlament zur Genehmigung vorlegen mußte; indessen erstrecken sie sich nur auf den ordentlichen Etat. Alle außerordentlichen Ausgaben mußten besonders bewilligt werden und finden sich in den sogenannten »extraordinary services« der Kriegszahlmeister versteckt. Ihre Rechnungen nehmen jedes Jahr zwischen zehn und vierzig Folioseiten ein und enthalten oft unter ganz anderen Überschriften die den deutschen Fürsten geschuldeten außerordentlichen Summen. Nirgends begegnet man z. B. in diesen Rechnungen einer Zahlung für die Toten und Verwundeten. Es scheint, daß die englischen Minister den Anstoß vermeiden wollten, dem sie sich durch offene Bezeichnung dieser Rubrik ausgesetzt haben würden; sie bringen deshalb auch nur Soldrückstände in Anrechnung. Während sich nun ziemlich annähernd feststellen läßt, wieviel England für die deutsche Hilfsleistung zu zahlen hatte, kann dagegen nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden, wieviel von den bezahlten Summen für die Soldaten ausgegeben wurde und wieviel in die Taschen der Fürsten floß.

In der hier folgenden Aufstellung sind zugunsten der letzteren daher nur diejenigen Beträge berechnet, die ihnen aufgrund der betreffenden Verträge rechtlich zukamen, d. h. die Werbegelder und die jährlichen Subsidien. Von jenen mußten sie zwar die Rekrutierungskosten bestreiten, die namentlich gegen Ende des Krieges immer bedeutender wurden ? aber wenn man andererseits die englischen Zahlungen nicht in Anschlag bringt, die für Tote und Verwundete entrichtet wurden; wenn man ferner bei Hessen-Kassel die Selbständigkeit in der Aufstellung seiner Etats in Erwägung zieht, die jede Kontrolle unmöglich machte, und wenn man schließlich die doppelte englische Löhnung nicht vergißt, die in manchen Fällen zwei Monate vor dem Abmarsch bezahlt werden mußte, so erhalten nach dieser Aufstellung die deutschen Fürsten eher zuwenig als zuviel. Für die Ausrüstung und Equipierung der Soldaten zahlten sie nichts, sondern zogen die Kosten dafür von der Löhnung ab. Die zahllosen Betrügereien aber, die sich sämtliche Lieferanten – besonders der Landgraf von Hessen-Kassel – oft in sehr ausgedehnter Weise zuschulden kommen ließen, sind hier gar nicht in Anschlag gebracht.

England zahlte also von 1775 bis 1785, da einzelne Subsidien noch zwei Jahre nach Rückkehr der Truppen fortdauerten, folgende Summen:

für die
Soldaten an
  Pfund Sterling/
Shilling/Pence
  dazu an den   Pfund Sterling/
Shilling/Pence
Hannover   509 000 / 16 / 11½    
Braunschweig   661 387 / 13 /   7   Herzog   172 696 / 3 / 7½
Hessen-Kassel   2 466 996 / 18 /   ½   Landgrafen   1 223 156 / 19 / 1½
Hessen-Hanau   268 035 / 9 /  9¼   Erbprinzen   173 174 / 9 / 7¾
Waldeck   91 046 / 4 /  8¾   Fürsten   66 443 / 18 / 4 
Ansbach   231 024 / 9 /  7½   Markgrafen   106 337 / 1 / 7½
Anhalt-Zerbst   79 271 / 6 /  7½   Fürsten   48 285 / 3 / 4½
    _____________       ________________
Summe   4 306 743 / 7 / 3       1 790 113 / 15 / 8¾

Löhnung, Werbegeld und Subsidien belaufen sich also zusammen auf 6 096 857 Pfund 5 Shilling 11¾ Pence. Dazu kommen noch über 500 000 Pfund Sterling für Verpflegung der Truppen in Amerika, ferner die Transportkosten dahin, Jahresgehälter, Geschenke, die Reisespesen der englischen Kommissäre etc., so daß im ganzen sieben Millionen Pfund Sterling – in runder Summe fünfzig Millionen Taler Preußisch – als Gesamtbetrag der englischen Kosten für die deutsche Hilfe nicht zu hoch gegriffen sind. Man darf aber nicht vergessen, daß diese Summe wenigstens vierzehn Millionen Pfund nach heutigem Geldeswert ausmacht. Die Hauptsumme kann der Leser aus den im Anhang sub XXXI-LI mitgeteilten Abschriften der englischen Etats zusammenziehen. Wenn diese einige hunderttausend Pfund weniger ergeben als das obige Fazit, so liegt der Unterschied darin, daß die Zahlungen für die Gefallenen, rückständige Löhnung und Subsidien sowie sonstige außerordentliche oder einmalige Ausgaben in den Rechnungen der Generalzahlmeister verstreut sind. Es ist immerhin möglich, daß selbst trotz dreimaliger Durchsicht der Parlamentsverhandlungen der eine oder andere Posten übersehen worden ist – allein bedeutend kann der Unterschied jedenfalls nicht sein. Siehe »Journals of the House of Commons«, Vol. 35, p. 775; Vol. 36, p. 180 und 181; Vol. 37, p. 644; Vol. 38, p. 348, 349, 827, und »Parliamentary Register«, Vol. VI, p. 199; Vol. XII, p. 182 und 207; Vol. XVIII, p. 195; Vol. XIX, p. 128 und 132; Vol. XXII, p. 370-377; Vol. XXVI, p. 426, 445, wo sich die außerordentlichen Zahlungen verzeichnet finden, die jene Differenz begründen.

Der Gesamtverlust der deutschen Truppen während eines beinahe achtjährigen Krieges stellt sich auf etwas mehr als vierzig Prozent der gesamten Mannschaft – von bloß militärischem Gesichtspunkt aus betrachtet ein durchaus günstiges Verhältnis, wenn man damit die früheren oder späteren europäischen Kriege vergleicht. Es war aber Englands Interesse, den deutschen Soldaten dieselbe gute Verpflegung angedeihen und dieselbe hohe Löhnung zahlen zu lassen, die seine eigenen Angehörigen erhielten. Wenn trotzdem z. B. dreihundert hessische Grenadiere in einem einzigen Frühjahr vom Faulfieber dahingerafft wurden, so war dieses Unglück eine Folge des Mangels an Reinlichkeit und guter Pflege, dessen sich die hessischen Grenadiere und Offiziere selbst schuldig machten.

Im Gefecht sind verhältnismäßig wenige Leute gefallen, wie denn überhaupt alle damals gelieferten Schlachten heutzutage nur als ernstliche Plänkeleien gelten würden; die meisten kamen durch klimabedingte Krankheiten, anstrengende Märsche, übermäßige Strapazen und Entbehrungen und ungewohnte Lebensweise um. In der Schlacht bei Monmouth starben z. B. 28 hessische Grenadiere am Sonnenstich. Nach geschlossenem Frieden blieben mehrere hundert Braunschweiger und Hessen mit Genehmigung ihrer Vorgesetzten in Amerika.

Ein Teil ging auch durch Desertion verloren. Amerikanische und ihnen gläubig nachschreibende deutsche Schriftsteller haben vielfach die Ansicht verbreitet, als sei der deutsche Soldat, so sich nur eine Gelegenheit dazu geboten habe, eiligst desertiert. Wenn je eine Angabe irrig war, so ist es diese. Selbst in der Gefangenschaft blieben die Leute mit einer besseren Sache würdigen Treue bei ihren Fahnen; ja sie wiesen die lockendsten Anerbietungen und Verheißungen zurück und wollten lieber bei ihren Kameraden bleiben, als sie verlassen. So desertierten von den bei Saratoga gefangengenommenen und zuerst in Cambridge bei Boston in Haft gehaltenen Braunschweigern kaum 80 Mann – und doch hätten sie durch die Flucht mitten im Winter ihrem Elend ein Ende gemacht. Die nach der Übergabe von Yorktown in Frederic in Maryland internierten Ansbacher verloren kaum ein Achtel durch Desertion, obgleich sie fast zwei Jahre lang in Gefangenschaft schmachteten und sehr schlecht gehalten wurden. Es ist ein hoher Beweis für die Tüchtigkeit und Disziplin der hessischen Regimenter, daß die Soldaten, trotzdem ihre Reihen in den letzten Jahren des Krieges mit allem möglichen Gesindel ausgefüllt wurden, in verhältnismäßig geringer Zahl desertierten und standhaft bis zum Ende aushielten. Bei den kleineren Kontingenten kamen zwar mehr Desertionen vor, aber trotzdem waren sie klein im Verhältnis zu den sich bietenden Gelegenheiten, zur Unmöglichkeit der Habhaftwerdung der Deserteure und überhaupt zum Charakter der damaligen Heeresorganisation. Diese Angabe stützt sich auf etwa vierzig Tagebücher von Offizieren, Unteroffizieren und Gemeinen.

Amerikanische Novellisten à la Cooper und deutsche Tendenzschriftsteller werden zwar nicht müde, diese unglücklichen, fremden Interessen geopferten Mietlinge als einen verächtlichen, kaum des Widerstands fähigen Haufen zu schildern; allein diese Phantasien werden von den Tatsachen auf Schritt und Tritt Lügen gestraft. Die hessische Infanterie jener Zeit war jedenfalls ebensogut – wenn nicht besser – wie die preußische, die beste des Jahrhunderts. Sie hatte gemeinsam mit dieser die Schlachten des Siebenjährigen Krieges gewonnen und sich im vorigen Jahrhundert in allen Teilen Europas durch ihre Tapferkeit, Disziplin und Unverwüstlichkeit ausgezeichnet. Kaum in Amerika gelandet, entscheidet sie hauptsächlich durch ihre Bravour den Feldzug des Jahres 1776 zugunsten der Engländer. Die amerikanische Landbevölkerung hatte einen solchen Schrecken vor den Hessen mit ihren Bärenmützen und Zuckerhüten, daß sie diese als eine Art Menschenfresser fürchtete und daß Washington, um diese Vorurteile zu brechen, einen Teil der bei Trenton gefangenen Hessen durch die Straßen Philadelphias führen und dem Volk zeigen ließ. Auch die kleineren Kontingente, namentlich die Waldecker und Ansbacher, schlugen sich sehr gut. Wo aber die Mannschaften nicht viel taugten und lediglich zum Festungsdienst verwendet wurden, wie z. B. die Zerbster, waren die Offiziere desto tüchtiger und durchgreifender.

Wenn die englischen Waffen trotzdem unterlagen, so war es wahrlich nicht die Schuld der deutschen Soldaten, sondern die Unfähigkeit der verantwortlichen Offiziere und die Kurzsichtigkeit der englischen Politik. So erfreulich es nun auch im Interesse der freiheitlichen Entwicklung der Menschheit ist, daß unsere Landsleute in jenem Krieg gemeinsam mit den Engländern geschlagen wurden, und so verdient und heilsam diese Niederlage auch war, so brauchte diese Genugtuung den unbefangenen Beobachter nicht zu hindern, der militärischen Tüchtigkeit und bei allen Gelegenheiten bewiesenen Tapferkeit der deutschen Soldaten volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Übrigens fühlten weder Gemeine noch Offiziere das Schiefe und Demütigende ihrer Stellung. Diese, meist dem niederen Adel angehörend, der wenig mehr gelernt hat, als was er notwendig für das Leutnantsexamen braucht, und der seit Jahrhunderten für Kost und Logis damals so gut seine Haut zum Markte trug wie noch heute, kannten, wie alle schlecht bezahlten und halb gebildeten Leute, gar nicht das Gefühl persönlicher Würde und Verantwortlichkeit. Sie waren stolz darauf, zu dienen und Landsknechte zu sein, die sich auf das Geheiß Serenissimi ans andere Ende der Welt schaffen lassen und ebenso gleichgültig für die schlechteste wie für die beste Sache kämpfen, ohne nach irgendeinem Grund zu fragen. Die Leutnants und die Subalternoffiziere jubelten, daß sie aus ihren langweiligen Garnisonen ausrücken durften, daß sie von ihren Gläubigern vorläufig nicht weiter gequält werden konnten, und malten sich das ferne Land in den glänzendsten Farben aus, wo ihre Phantasie alles zu finden hoffte, was sie zu Hause nicht hatten. Nichts ist erklärlicher als diese freudige Stimmung, wenn man sich die Verhältnisse dieser kleinstaatlichen Truppen im Friedensstand vergegenwärtigt. Zu Hause überall Kleinlichkeit und Armseligkeit, karge Besoldung, kümmerliche Verpflegung, schlechte Behausung und langweiliger Dienst – in der Fremde dagegen ein bewegtes Kriegsleben mit seinem steten Wechsel, seinen Anregungen und Anspannungen, ja ein unbekannter Kontinent mit tausend neuen, Auge und Geist gleichmäßig einnehmenden Erscheinungen und Vorkommnissen; schließlich ein großer, lange nicht mehr gekannter Armeeverband, doppelte Löhnung und reichliche, ja verschwenderische Verpflegung und Aussicht auf schnelle Beförderung! Welcher junge Offizier hätte da nicht mit Freuden zugegriffen und sich nicht glücklich gepriesen, den Krieg in Amerika mitmachen zu dürfen?

Natürlich hatte keiner dieser Offiziere eine Ahnung von der Macht des Volkes, von der Existenz einer Nationalkraft und ihrer Erhebung. Mit dem Augenblick, wo sie von England übernommen wurden, fingen sie auch pflichtmäßig an, über das amerikanische Rebellengesindel zu schimpfen. In Amerika angekommen, wunderten sie sich über die Wohlhabenheit und den Reichtum des Farmers und berichteten ganz naiv nach Hause, daß eine Bewohnerin Neu-Englands oder Staten Islands bessere Kleider, ja selbst ein feineres Benehmen habe als selbst manche junge adelige Dame in Deutschland. Unter diesen Umständen schrieben sie die Revolution nur dem Übermut des »frechen Packs« zu, dem es unter englischer Herrschaft zu gut gegangen sei.

Auch die höheren Offiziere zeigten nirgends Verständnis für die politischen Fragen, die sich im amerikanischen Krieg zur Entscheidung drängten. Es sind manche interessante militärische Denkschriften von ihnen erhalten, aber nirgends wird die Politik selbst nur als untergeordneter oder beiläufiger Faktor der Ereignisse erwähnt. Das Volk hat rebelliert, also muß es mit der »ultima ratio regis« zur Räson gebracht werden – in diesen paar Worten erschöpft sich die ganze politische Anschauung der damaligen deutschen Offiziere. Da geht, unmittelbar nach der Schlacht, die das Geschick eines ganzen Kontinents entscheidet, ein deutscher Oberst am Meeresstrand spazieren, sucht Muscheln und preist die »Allmacht des Schöpfers«. Ein anderer sieht von den Höhen von Brooklyn aus, wie die ganze englische Flotte vor Anker geht und sich anschickt, die Stadt zu bombardieren. Das große, ungewohnte Schauspiel hat wenig oder gar keinen Reiz für ihn, aber er vergleicht New York, das Europa zugekehrte Auge Amerikas, mit Preußisch-Minden, das ungefähr von derselben Größe und Ausdehnung sei. Es klingt heutzutage wahrhaft komisch, wenn man diese Parallele zwischen der größten und reichsten Stadt der Neuen Welt und zwischen dem verschuldetsten »rotten borough« preußischer Fähnriche liest.

Ein Dritter endlich erzählt den Seinigen daheim, daß der bei Brooklyn gefangengenommene General Sullivan dem Metzgermeister Fischer in Rinteln aufs Haar gleiche und schimpft über die Moskitos, die ihm die geträumten Freuden in der Neuen Welt gleich anfangs verleiden.

Dieses Kleben an Nebendingen, das nur den engen Kreis der nächstliegenden persönlichen Interessen kennt, erinnert unwillkürlich an die alten Chronisten des Mittelalters – wie den Mönch Gregor im Kloster Tarfa bei Rom, der die Geschichte dieses seines Klosters beschrieben und die allerwichtigsten Begebenheiten im Kampf zwischen Kaiser Heinrich und Papst Gregor aus der Nähe gesehen hat. Allein er beschäftigt sich ausschließlich damit, die seinem Kloster gemachten Schenkungen zu verzeichnen oder die Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn zu berichten; von dem großen weltgeschichtlichen Kampf zwischen Kaiser und Papst hören wir dagegen kein Wort. Da schreibt ein anderer Mönch im Hubertuskloster am Fuß der Ardennen eine Chronik, nur wenige Stunden vom Schloß Bouillon entfernt. Er hat Gottfried von Bouillon gekannt; aber der kleine Zwist seines Abtes mit dem Lütticher Bischof interessiert ihn viel zu sehr, als daß er der gewaltigen Bewegung des Jahres 1096, wo Gottfried mit 700 000 Mann in den Orient zieht, anders als nur beiläufig Erwähnung tun könnte. So geht es uns auch – kaum mit zwei oder drei nennenswerten Ausnahmen – mit den Aufzeichnungen der deutschen Offiziere über den amerikanischen Krieg; der wertvolle Aufschluß, den wir über einzelne Ereignisse und Personen erhalten, findet sich gelegentlich und meistens unter einem Haufen von gleichgültigen Notizen versteckt. Politisches Urteil hat keiner der Tagebuchschreiber.

Hie und da klagen sich denn die deutschen Generäle und Oberste wohl ihre Not über die Anmaßungen der Engländer, die ihnen und den deutschen Soldaten oft etwas zuviel zumuten; einzelne verfluchen den Dienst, der ihnen so manche Entbehrung auferlegt und kaum einen Vorteil dagegen bietet – ja in einem unbewachten Augenblick malt sich sogar der hessische General Loos das »philosophische Vergnügen« aus, einem undankbaren, gefühllosen Fürsten und hochmütigen Minister trotzend sagen zu können: »Ich will Euch nicht länger dienen!« M. v. Eelkings »Leben des Generals Riedesel«, III, 273. Zu der höheren Anschauung jedoch, daß dieser Dienst ein verächtlicher Schergendienst und mit dem Selbstgefühl eines freien Mannes unverträglich war, können und wagen sich diese Herren nicht zu erheben; sie sind nur hie und da, innerhalb der gegebenen und von ihnen gehorsam anerkannten Dienstverhältnisse, mit der ihnen zuteil werdenden Behandlung nicht zufrieden.

Persönlich waren übrigens diese höheren Offiziere Ehrenmänner. Das englische Ministerium ließ es ihnen gegenüber an Versprechungen und Versuchen, sie in sein Interesse zu ziehen, nicht fehlen; allein sie waren unbestechlich und ehrlich. »Da sehr viel von der herzlichen Mitwirkung und der guten Stimmung der deutschen Offiziere abhängt«, schreibt der Staatssekretär Suffolk bereits am 12. Februar 1776 an seinen Agenten Faucitt, S. P. O. German States, Vol. 102, Nr. 11 (Private and Secret). »und da dieser Zweck am besten durch Mitteilungen über ihren Charakter und ihre Fähigkeiten erreicht werden kann, so verschaffen Sie sich darüber möglichst viele Einzelheiten. Ein anderer, nicht minder wichtiger Punkt ist der, daß die Offiziere auf die Freigebigkeit des Königs verwiesen werden, wenn sie unseren Erwartungen entsprechen und weder durch parteiische und unzulässige Rücksicht auf die Erhaltung der von ihnen befehligten Truppen noch durch Eifersüchteleien untereinander oder gegen die englischen Offiziere den Dienst stören oder unterbrechen. Ich bevollmächtige Sie also, den betreffenden Offizieren die Freigebigkeit und Gunst des Königs für den Fall der glücklichen Beendigung des Krieges in Aussicht zu stellen und sie über ihre Ansprüche genau auszuforschen.« Faucitt verfehlte natürlich nicht, von dieser Vollmacht weitgehenden Gebrauch zu machen, und fragte bei einzelnen, z. B. Riedesel, Heister und Knyphausen, an, in welcher Art sie die englische Gunstbezeigung wünschten; allein er erhielt von ihnen die kühle einstimmige Antwort, daß sie in Amerika aus eigenem Antrieb als gute Soldaten ihre Pflicht tun würden und es ihrer Ehre zuwiderlaufe, mit England über außerordentliche Belohnungen zu verhandeln.

General Heister, ein tapferer alter Haudegen, aber auf seine Würde eifersüchtiger Korpsführer, bat nur für den Fall, daß er vor dem Feind bleiben sollte, um Berücksichtigung seiner Familie. Er wurde aber auf Veranlassung des englischen Ministeriums schon Anfang 1777 zurückberufen; angeblich wegen der Niederlage bei Trenton, woran übrigens Heister ganz unschuldig war, in der Tat aber, weil er nicht zulassen wollte, daß seine Hessen immer und überall die gefährlichsten, exponiertesten Stellungen einnehmen und für die blutigsten Angriffe verwendet werden sollten. Suffolk nannte das im Sinne seines oben mitgeteilten Schreibens unpraktisch und unzulässig. Er erklärte deshalb dem Landgrafen von Hessen, daß die Operationen des Heeres leiden würden, wenn Heister an der Spitze der Hessen bliebe, und versprach Schlieffen, dem Minister und Unterhändler des Landgrafen, mehr als einen bloßen Dank in Worten, wenn er ihm in dieser Angelegenheit seine Hilfe zusagen wollte. Der »Weise von Windhausen« ging sofort auf Suffolks Wunsch ein und setzte diesen auch beim Landgrafen durch. Der brave alte General kehrte im Sommer 1777 nach Europa zurück, starb aber schon am 19. November 1777 in Kassel aus Gram über die ungerechte Behandlung. Der König von England ließ seiner Witwe, die mit ihren acht unversorgten Kindern vom Landgrafen nur 600 Taler jährliche Pension erhielt, ein Jahresgehalt von 200 Pfund Sterling auszahlen.

Knyphausen wurde Heisters Nachfolger und machte sich bei seinen Vorgesetzten sehr behebt, vielleicht weil er weder Deutsche noch Engländer schonte. Er war einer der besten Divisionsgeneräle auf englischer Seite. Bekanntlich wurde das von seinen Leuten erstürmte Fort Washington auf der Insel New York ihm zu Ehren Fort Knyphausen benannt. Von seinen Soldaten konnte er jede Leistung verlangen, weil er überall selbst mit dabei war und weder Gefahr noch Strapazen scheute. Gegen Ende des Krieges wurde General Loßberg der Nachfolger Knyphausens. Der braunschweigische General Riedesel ist durch die von seiner tapferen Frau und Begleiterin geschriebene sogenannte »Berufsreise« und die Biographie von Eelking als tüchtiger und umsichtiger Offizier, humaner Vorgesetzter und edler Charakter allgemein bekannt geworden. Die übrigen Kontingente hatten keine Generäle, sondern nur Oberste an ihrer Spitze.

Eine Unart dieser Männer, die zugleich durch die Mode der Zeit bedingt war, bestand im Gebrauch des Französischen als ihrer Geschäftssprache; dabei schrieben sie es durchaus schlecht und inkorrekt. Das Küchenlatein der Mönche ist klassisches Latein im Verhältnis zum Französischen der deutschen Generäle und Oberste. So schrieb, um hier nur ein Beispiel herauszugreifen, u. a. einmal Riedesel an den Earl of Sviffolk: »Le Courier, qui prendra cette lettre avec.« Und Riedesel war sogar noch der kleinste Verbrecher am Genius der französischen Sprache!

Während somit keiner der nach Amerika gesandten deutschen Offiziere einen pekuniären Vorteil zog – der doppelte Sold ging mehr als einmal bei den teuren Preisen der notwendigen Bedürfnisse drauf –, erhielt mit Ausnahme der bei derartigen Verhandlungen üblichen Kanzleigeschenke nur Schlieffen in Gestalt verschiedener Barzahlungen von je 330 Pfund und schließlich einer Pension von 300 Pfund eine Belohnung von England. Diese letztere wurde ihm angeblich dafür bewilligt, daß er einige Zeit vor der Schlacht bei Minden in Osnabrück mehrere wichtige, der verbündeten Armee gehörige Magazine gerettet habe; in der Tat aber wurde sie für seine bei Abschluß und Ausführung des Truppenlieferungsvertrages sowie die Entsetzung Heisters geleistete Hilfe ausgeworfen. Schlieffen selbst wunderte sich anfangs über das plötzlich so gut gewordene Gedächtnis und eine so lebhaft – wenn auch spät – zutage tretende Dankbarkeit des englischen Ministeriums, begriff aber sehr schnell, daß dieses nur unter einem so unschuldigen Titel die Genehmigung des Parlaments erlangen könne. Er erinnerte sich also bald sehr genau seiner wichtigen Dienste, erläuterte, daß ohne ihn der Sieg in der Schlacht bei Minden gar nicht möglich gewesen sein würde, und bezog die Pension länger als vierzig Jahre bis zu seinem erst 1825 erfolgten Tod.

Die gemeinen Soldaten bestanden, wie das bei der Art ihrer Aufbringung nicht anders sein konnte, aus allen möglichen Individuen, vom verlaufenen Mönch und verkommenen Offizier an bis zum Studenten, Handwerker, Künstler und Bauern. Daß aber selbst die gebildetsten unter ihnen das an ihnen begangene Verbrechen nicht fühlten, für diese beklagenswerte Erscheinung liefert den schlagendsten Beweis der bereits angeführte deutsche Dichter Johann Gottfried Seume. Dieser war als Student der Theologie zwischen dem kirchlichen Dogma und seinem Gewissen in Widerspruch geraten und verließ, neunzehn Jahre alt, Leipzig, um in Paris Mathematik zu studieren. Auf dem Weg dahin wurde er von landgräflich hessischen Werbern aufgefangen und ohne weiteres den nach Amerika verkauften Rekruten einverleibt.

Seumes Erzählung seiner Pressung und erzwungenen Reise nach Amerika ist einer der wertvollsten und interessantesten Beiträge zur Geschichte des fürstlichen Menschenhandels. Zeigt sie auf der einen Seite, wie kein junger, gut gewachsener Reisender, mochte er nun Student oder Handwerker, Künstler oder Kaufmann sein, seiner Freiheit sicher war und befürchten mußte, in die Hände der Menschendiebe zu fallen, so beweisen auf der anderen Seite die Ruhe und die fast objektive Gleichgültigkeit, womit Seume von diesem frechen, gewaltsamen Eingriff in sein Leben spricht, wie wenig Wert das Individuum seinem Ich beilegte, wie wenig selbst von den gebildeteren Geistern der Zeit eine solche Roheit empfunden wurde.

Man glaubt sich fast in das Königreich Dahomey versetzt, wenn man diese Diebsstückchen des hessischen Landgrafen liest. Man vergegenwärtige sich nur die Tatsachen: Ein sächsischer Student, der den hessischen Landesvater kaum dem Namen nach kennt und ihm jedenfalls nichts zuleide getan hat, wandert arglos auf der Landstraße nach Fulda. Dort wird er überfallen, überwältigt und als Arrestant des Landgrafen nach dessen Festung Ziegenhain gebracht. Warum? Weil er die erforderliche Größe für einen Soldaten hat, weil also Geld aus ihm herauszuschlagen ist und weil er die Frechheit besitzt, sich seiner Haut zu wehren, seine persönliche Freiheit – das einzige, was er auf der Welt sein nennt – zu verteidigen. Ein ähnliches Schicksal mit Seume teilten hundert andere Unglückliche. Als sie den an ihnen begangenen Gewaltakt durch ihre Selbstbefreiung wieder sühnen wollten, erlagen sie und wurden beim Gassenlaufen halb totgeprügelt – »es war eine grelle Fleischerei«, bemerkt Seume –, zum Galgen verurteilt oder aus Gnade von demselben Landgrafen, der sie schamlos gestohlen hatte, in Kassel in die Eisen geschmiedet. Wer nicht an den Mißhandlungen zugrunde ging, wurde dann wie ein Hering ins Schiff eingepökelt und in dieser Lage zu keinem anderen Zweck, als um den Beutel des hessischen Menschendiebes zu füllen, bis zum und über das Meer geschafft.

Die schrecklichen Einzelheiten möge der Leser selbst in Seumes Autobiographie nachlesen und dann seine Schlüsse aus der Erzählung ziehen. Die Teilnahmslosigkeit, die resignierte Ruhe, mit der Seume von sich spricht und mit der er sein furchtbares Los als eine humoristische Schicksalstücke auffaßt, zeigt uns die empörende Wirkung dieser kleinstaatlichen Willkür und Gewalttätigkeit auf die Anschauung des durch sie verwilderten deutschen Volkes. »Ich ergab mich«, sagt Seume, »in mein Schicksal und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Mir zerriß man meine akademische Inskription als das einzige Instrument meiner Legitimierung. Am Ende ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall; wo so viele durchkommen, wirst du auch. Über den Ozean zu schwimmen, war für einen jungen Kerl einladend genug, und zu sehen gab es jenseits noch etwas. So dachte ich.«

In diesem Ton geht es fort. Für eine so harmlose, idyllische Existenz gibt es keinen Haß und keine Erbitterung, keinen Racheplan gegen den Seelenverkäufer und seine Henkersknechte, ja kaum eine Hoffnung auf Erlösung. Seume begreift gar nicht das an ihm begangene Unrecht, und mit dem leichtsinnigen Trost, daß das menschliche Leben kaum mehr als ein schlechter Witz sei, hilft er sich über eine Situation hinweg, die sich in jedem individueller ausgeprägten Charakter zum tragischen Konflikt auf Leben und Tod zugespitzt haben würde. Folgerichtig bildet sich dann später in dem von den Gewalthabern der Heimat verfolgten und unter harten Kämpfen zum Mann herangereiften Dulder der ohnmächtige Grimm gegen die schlechte Wirklichkeit zur kulturfeindlichen Schwärmerei für wilde Natur und Freiheit aus. Er malt sich das Glück des Daseins unter unverdorbenen, ursprünglichen Umgebungen in glänzenden Farben, macht, um möglichst Naturmensch zu sein, Fußreisen nach Schweden oder einen »Spaziergang nach Syracus« oder flüchtet sich in die Wildnis zu den kanadischen Indianern, die eben, »weil sie Europas übertünchte Höflichkeit nicht kennen, doch bessere Menschen sind als die Weißen«. Diese schiefen Anschauungen à la Rousseau waren wahrer Balsam für die Zeitgenossen Seumes, die eben angefangen hatten, den Widerspruch zwischen ihren gedrückten bürgerlichen Verhältnissen und himmelstürmenden Idealen zu kennen, und vorläufig beim ersten Stadium dieses geistigen Konfliktes, bei einer schwächlichen Sentimentalität angekommen waren.

Fern sei es, deshalb einen Stein auf den wackeren Seume zu werfen. Er hat redlich gestrebt und trotz aller persönlichen trüben Erfahrungen und Widerwärtigkeiten den Glauben an die Menschheit nicht aufgegeben; allein unser berechtigter Fluch treffe die Menschen und die Zeit, die energisch angelegte Naturen zu bloßen Spielbällen des Schicksals erniedrigten und selbst in der Brust der edleren Geister das Gefühl der persönlichen Würde und den Glauben an den Beruf ihrer Nation so gründlich zu ersticken wußten, daß sie ihre Ideale bei den Wilden suchen mußten.

Unser Haß treffe darum vor allem, wie damals so noch heute, diese jämmerliche Kleinstaaterei, die einer großen Minderheit des deutschen Volkes die Gelegenheit zur Betätigung in der Heimat entzieht und jene Abenteurersucht, jenes Landsknechtstum erzeugt, das sich in allen fünf Weltteilen mit seinem gesinnungslosen »Ubi bene, ibi patria!« an den Pranger stellt, das höchstens einen leeren Untertanendünkel, aber selbstredend keine stolzen, eines männlichen Ringens würdigen Ideale in der Brust des einzelnen erzeugt und das uns bis heute gehindert hat, uns zusammenzuraffen und ein politisches Volk zu sein. Aus diesem Grunde ist auch der Deutsche reiner Privatmensch; er kennt nur vorübergehende Stimmungen, schwankende Gefühle oder schwächliche »Sentiments«. Für ihn gibt es kein politisches Gewissen, deshalb auch mit geringen Ausnahmen keine politische Pflicht. In seiner Beteiligung an der Politik nimmt er darum meist die Miene eines vornehmen, herablassenden Gönners an, der sich angeekelt und ermüdet zurückzieht, sobald sich die Ereignisse nicht seinem Wunsch gemäß entwickeln.

Wohl hat sich seit Seumes Zeit manches gebessert; die Formen sind zivilisierter und rücksichtsvoller geworden. Heutzutage wagt kein deutscher Fürst mehr zu wegelagern, um den arglosen Wanderer zu überfallen und ein paar hundert Taler aus dessen Verkauf herauszuschlagen; aber wandern die Deutschen vielleicht deshalb, weil es ihnen in der Heimat zu gut geht, millionenweise in fremde Länder aus? In den Vereinigten Staaten allein leben ihrer z. B. jetzt mehr als fünf Millionen.

Um jedoch auf unseren Handel mit Menschen zurückzukommen, so ist es eine interessante, wenn auch weniger bekannte Tatsache, daß sich der erste Ursprung des Reichtums und der Weltstellung der Familie Rothschild indirekt auf diesen Handel zurückführen läßt. »Das Haus Rothschild. Seine Geschichte und seine Geschäfte«, I, 112. J. L. Kober, Prag und Leipzig, 1857. Der alte Landgraf und spätere Kurfürst von Hessen-Kassel hatte nämlich den Begründer des Hauses Rothschild, Mayer Amschel, schon lange vor der Französischen Revolution durch Geschäfte in alten Münzen kennengelernt und benützte ihn als Agenten, um seine Zinsen aus der Londoner Bank zu erheben, die dort von den infolge der Menschenlieferungen von England bezahlten Kapitalien fällig wurden. M. A. Rothschild zog für die Summe Wechsel auf das englische Bankierhaus van Notten, das Vollmacht des Landgrafen zur Erhebung der Zinsen hatte. Beim Jahresschluß berechnete sich Rothschild mit dem Landgrafen und hatte, abgesehen von der nicht unbedeutenden Provision, auch noch den Nutzen, fortwährend mit den Geldern des Landgrafen spekulieren zu können, was er auch in seiner unermüdlichen und scharfsinnigen Weise mit glücklichstem Erfolg tat. Die Erwerbung ungeheurer Summen wurde M. A. Rothschild später dadurch möglich, daß es ihm gelang, den Landgrafen dazu zu bewegen, daß er dem Haus van Notten die Vollmacht entzog und diese dem zweiten Sohn Rothschilds, Nathan, übertrug, der aufgrund derselben Kapital und Zinsen einzog. Als nun die englische Regierung ihre Armee in Spanien zu unterhalten hatte und kein christlicher Bankier die Lieferung des Geldes von England nach Spanien übernehmen wollte, übernahm M. A. Rothschild diese Lieferung gegen hohe Provision und leistete mit den unter Einwilligung des Eigentümers erhobenen landgräflichen Fonds die geforderte Kaution, bei der niemand sein eigenes Vermögen wagen wollte. Das Glück begünstigte Rothschilds Unternehmen – die Geldsendungen kamen unversehrt an. Auf diese Weise verdiente Rothschild während der Dauer des spanischen Feldzugs, also während acht Jahren, jährlich drei bis vier Millionen. Die Möglichkeit, eine so hohe Kaution zu leisten, und die pünktliche Geschäftsbesorgung veranlaßten hierauf die englische Regierung, den europäischen Fürsten die enormen Subsidien während des Kontinentalkrieges durch das Haus Rothschild zu übermitteln, wodurch dessen Ansehen und Reichtum zusehends wuchsen. Von dieser Zeit an, namentlich seit dem Wiener Frieden, nahmen die Rothschilds an allen großen Geldoperationen und Anleihen der wiedereingesetzten Dynastien teil und wurden von Tag zu Tag mächtiger.

Auch Frankreich beteiligte sich am amerikanischen Krieg, aber mit geringeren Opfern an Menschen und auf der den deutschen Fürsten entgegengesetzten Seite. Während diese lediglich aus Rücksicht auf ihren Beutel als gefügige und willenlose Werkzeuge einer an sich schlechten und unglücklichen Politik keine politischen Zwecke und Interessen kannten, eroberte dagegen Frankreich mit den 6000 Mann, die es der jungen Republik zu Hilfe schickte, seine durch den Siebenjährigen Krieg erschütterte Weltmachtstellung wieder. Frankreich ließ es sich zwar Millionen über Millionen kosten, es gewann dafür aber Ansehen, Ehre und Macht. Deutschland nahm Millionen und Millionen ein; es verlor aber dadurch den letzten Rest von politischer Bedeutung und sank zum Spott von Freund und Feind herab. Die paar tausend Franzosen, die unter Rochambeau die Taufpaten eines mächtigen Freistaates wurden, haben bewirkt, daß, solange es Vereinigte Staaten von Amerika geben wird, die französischen Waffen und der französische Name hier jederzeit geehrt und gefeiert dastehen werden. Die 30 000 Deutschen dagegen haben als die bezahlten Schergen englischer Anmaßungen nicht allein sich den Haß zugezogen, der in erster Linie das Mutterland traf, sondern zu diesem Haß noch die Verachtung auf sich geladen, der sich jeder aussetzt, der sich um ein schnödes Trinkgeld zur Unterdrückung der Freiheit mißbrauchen läßt. Noch heute ist im Munde eines Amerikaners der Name Hesse eines der verächtlichsten Schimpfworte, das einen feilen, verkäuflichen Menschen bezeichnet, und noch heute leidet unser Volk unter dem Fluch jenes nichtswürdigen Handels. So sagt u. a. noch eine Ende Februar 1864 erlassene Adresse des Kongresses der Rebellenstaaten an die südliche Bevölkerung: »The administration [of Lincoln] has been able thus far by its legions of ›Hessian‹ mercenaries to overawe the masses, to control the elections and to establish an arbitrary despotism.« Denn im internationalen Verkehr handelt es sich nicht um die Ansichten, Wünsche und Bestrebungen der ein Volk bildenden Individuen, sondern um den Ausdruck, den sein inneres nationales Leben in der Politik tatsächlich gewinnt. Darum können auch im vorliegenden Fall nicht Schiller, Lessing noch Friedrich der Große unsere Verteidigung übernehmen und unsere Nation von aller Schuld reinwaschen, denn das Ausland wiegt uns nach dem, was die Fürsten gesündigt haben.

Bleibt es unter diesen Umständen ein Trost, sich sagen zu können, daß wenigstens die so verkauften Soldaten tüchtig und tapfer waren und dem alten militärischen Ruf der Heimat in Amerika alle Ehre machten? Wohl schwerlich! Jede tapfere Tat, die sie verrichteten, jeder Erfolg, den sie mit dem Einsatz ihres Lebens erkämpften, war für das Vaterland verloren oder wenigstens nicht errungen. Wohl hat der amerikanische Krieg herrliche Taten der einzelnen gesehen, die, für eine bessere Sache vollbracht, den Namen ihres Urhebers in Lied und Sage verherrlicht und für alle Zeiten als volkstümliche Gestalt verewigt hätten, aber es war der Fluch der bösen Tat der Fürsten, daß selbst die Heldengestalten unter den verkauften Truppen ungenannt und ungekannt in ein ruhmloses Grab sanken. Wer, außer dem engen Kreis kriegsgeschichtlicher Fachschriftsteller, kennt heute noch die tapferen Jägerstückchen des Hauptmanns Emmerich in Amerika; wer meldet den Ruhm des umsichtigen und kühnen Ewald; wer weiß vom heldenmütigen Hauptmann Schaller, der mit dreißig Mann einen Posten gegen einen ihm fünfzigfach überlegenen Feind glücklich verteidigte, oder vom tapferen Waldecker Oberst Hanxleden, der an der Spitze seiner Truppen gegen die Spanier in Florida fiel? Wer schließlich hat vom braven Sergeanten Rübenkönig gehört, der gleich dem Kapitän d'Assas vom französischen Regiment d'Auvergne, in der Gewalt des Feindes und von diesem mit augenblicklichem Tod bedroht, trotzdem seine Pflicht höher achtete als sein Leben und sein Regiment durch seinen Zuruf rettete? Den Franzosen rühmen Geschichte und Gedicht – sein dankbares Vaterland nahm sich sogar in der Revolution seiner Witwe und Kinder an; den Namen des braven hessischen Unteroffiziers dagegen meldet kein Lied, kein Heldenbuch.

Ja selbst Donop ist vergessen, der tapfere hessische Oberst, der uns den tragischen Schmerz des Helden über seinen frühen Tod und über seine Hinopferung für fremde Zwecke ergreifend vor Augen führt. Er hatte an der Spitze seiner Brigade, zu Fuß und mit dem Degen in der Hand, den Sturm gegen Fort Redbank am Delaware unternommen, um es, nach dem von Knyphausen bei Fort Washington gegebenen Beispiel, auf seinen Namen umzutaufen; er wurde aber zurückgeschlagen und von einer Kugel zu Boden gestreckt. Hilflos lag er unter einem Haufen Leichen, als der Verteidiger des Forts, der französische Ingenieur-Hauptmann Mauduit de Duplessis, ihn fand und in das benachbarte Haus eines Quäkers schaffen ließ, wo der Sterbende noch drei Tage mit dem Tod rang. Dort auf dem Schmerzenslager in der einfachen Quäkerwohnung und im Frieden des amerikanischen Waldes, fern von Flitter und Tand der Welt, schwebten zum letztenmal die Bilder der Vergangenheit, der Glanz seiner Jugend, die Pracht der europäischen Höfe und die stolzen Ziele seines Ehrgeizes vor dem Geist des tapferen, erst siebenunddreißigjährigen Soldaten vorüber. Sein Blick klärte sich, und sein Verstand unterschied zwischen dem Wesen und Schein seines Lebens. »Ich bin zufrieden«, sprach er zu dem ihn sorgsam pflegenden Duplessis in dessen Muttersprache; »ich sterbe in den Armen der Ehre selbst: ein jähes Ende für eine schöne Laufbahn. Aber ich falle als das Opfer meines Ehrgeizes und der Habsucht meines Fürsten!« Herr v. Eelking erklärt auf Seite 224 im ersten Band seiner »Hilfstruppen« diese letzte Äußerung Donops, nachdem er die erste Hälfte der Duplessisschen Aufzeichnung als wahr angenommen hatte, für kleinmütig und im Widerspruch mit dem Charakter des Sterbenden stehend; auch erwähnte sein Adjutant ebensowenig etwas davon wie irgendeines der zahlreichen Offizierstagebücher. Abgesehen davon, daß es willkürlich ist, eine Zeugenaussage zu zerreißen, so steht so viel fest, daß höchstens Donops Adjutant und kein anderer deutscher Offizier gegenwärtig gewesen sein konnte, daß wir aber nicht wissen, ob er wirklich gegenwärtig gewesen ist und Französisch verstand. Dann aber wird sich ein deutscher Adjutant wie damals so auch heutzutage wohl hüten, derartige Liebeserklärungen unter die Leute zu bringen oder gar Serenissimo zu melden. Derartige »Etourderien« werden von diesen Herren am liebsten im Interesse des eigenen Avancements oder, wie der Kunstausdruck lautet, des höchsten Dienstes totgeschwiegen. Wäre ein amerikanischer Farmer oder ein sonst mit den europäischen Verhältnissen unbekannter Berichterstatter der Gewährsmann der obigen Äußerung, so könnte man vielleicht mit Recht an ihrer Echtheit zweifeln – Mauduit ist aber eine untadelhafte Autorität; er erzählt nur Tatsachen, ohne jede Tendenz, und zwar als Augen- und Ohrenzeuge. Ich finde deshalb auch nicht den mindesten Grund, seine Mitteilung willkürlich zu zerstückeln, sondern nehme sie ganz und ungeteilt als echt an. Hier mögen zur Rechtfertigung meines Verfahrens seine eigenen Worte folgen: »Une voix s'éléva du milieu des cadavres et dit en Anglais: ›Qui que vous soyez, tirez moi d'ici!‹ C'était celle du Colonel Donop. Mr. de Mauduit le fit prendre par ses soldats, et le fit porter dans le fort, où il ne tarda pas d'être reconnu. Il avait la hanche fracassée. – ›Je suis content‹, repliqua Donop en se servant de notre langue. ›Je meurs entre les bras de l'honneur meme. C'est finir de bonne heure une belle carrière, mais je meurs victime de mon ambition et de l'avarice de mon souverain.‹« – »Voyages de Mr. le Marquis de Chastelluc dans l'Amerique septentrionale«, Paris 1788, I, 288. Doch so trostlos wie diese Reflexion eines Sterbenden ist das letzte Wort unserer Geschichte nicht!

Wenden wir uns von den Opfern, die für eine ihnen aufgedrungene Sache fern der Heimat gestorben oder ohne Gewinn für sich und andere ins Vaterland zurückgekehrt sind, zu einem jungen Soldaten, der, unter Tausenden der einzige selbständige und denkende Kopf, den amerikanischen Krieg in seiner ganzen Tragweite als einen Sieg des bewaffneten Volkes gegen ein durch Gewalt, List und Betrug geworbenes Heer erkannte und der in Amerika zuerst aus eigener Anschauung lernte, ein wie mächtiger Verbündeter die Begeisterung zu werden vermag, wenn die rechten Mittel ergriffen werden, sie zu wecken, und wenn der zündende Gedanke da ist, für den die Masse sich erwärmen läßt. Jahrzehnte mußten vergehen, bis ihm im Verlauf der deutschen Geschichte die Gelegenheit reifte, den Krieg nach amerikanischen Grundsätzen zu organisieren und, von den amerikanischen Milizen ausgehend, dieser Volksbewaffnung in der preußischen Landwehr den vollendetsten Ausdruck schaffen zu helfen; aber dieser Krieg wurde durch diese Grundsätze und den Geist ihrer Ausführung, obwohl die Fürsten sich hemmend und störend an ihn hingen, zum größten und edelsten, den die neuere Geschichte kennt.

In dem damals kaum dreiundzwanzigjährigen Ansbacher Leutnant Neithard von Gneisenau ahnte der englische General, der ihn zur Rückkehr einschiffte, wohl nicht den genialen Schlachtenlenker, der kaum ein Menschenalter später über Wellingtons ursprünglich eng begrenzten Plan einer Napoleon vor Brüssel zu liefernden Defensivschlacht hinausging und diese durch seine Dispositionen für das Eingreifen der preußischen Truppen zur Vernichtungsschlacht bei Waterloo zum Weltgericht über das brutale erste Kaiserreich erhob.

Und heute, durch einen neuen Rückschlag der Geschichte, stehen mehr als 100 000 wehrhafte Söhne Deutschlands für dieselbe Republik in Waffen, von der der erste große Volkskrieg des achtzehnten Jahrhunderts ausgegangen war, und tragen jene alte Schuld der Fürsten ab.

In dieser schlagenden Tatsache gewinnt die Idee der Völkersolidarität, die die Welt fester als Eisenbahn und Telegraph umspannt, Kraft, Ausdruck und Gestalt.

 

[Anhang aus technischen und urheberrechtsgründen gelöscht. Re.]


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