Immanuel Kant
Zum ewigen Frieden
Immanuel Kant

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Nachwort

Des Abbé's de Saint-Pierre, Beichtvaters der berühmten Briefschreiberin »Liselotte«, dreibändiges Werk »Mémoires pour rendre la paix perpétuelle en Europe« (1713–1719) hat Kant in dem 1761 von Rousseau daraus verfertigten und durch eigenes Gedankengut bereicherten Auszug vorgelegen und zur Abfassung seines Friedenstraktates mit angeregt. Der am 5. April 1795 zwischen Preußen und Frankreich abgeschlossene Sonderfriede von Basel war die äußere Veranlassung zur Niederschrift; denn bereits vier Monate später (in einem Briefe vom 13. August des gleichen Jahres) bot Kant dem Verleger Friedrich Nicolovius das fertige Manuskript an.

Der Brief lautet:

»Wenn Ew. Hochedelgeb. eine Abhandlung, die auf weißem Druckpapier etwa fünf Bogen austragen dürfte und vor Ende künftiger Woche Ihnen im Mspt. überliefert werden kann, zur nächsten Michaelismesse fertig schaffen können und mir für jeden Bogen pro honorario 10 rthlr. (unter der gewöhnlichen Bedingung eben desselben Honorars bei jeder neuen Auflage) zugestehen, so können Sie für diese nächste Messe, unter der Rubrik der fertiggewordenen Schriften setzen lassen: »Zum ewigen Frieden.« Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant.

I. Kant.«

Die Schrift erschien, 6½ Bogen stark, pünktlich zur Michaelismesse 1795. (Zu den einzelnen Ausgaben verweise ich auf die bibliographischen Angaben am Schluß.) Sie erregte großes Aufsehen, und 1796 kam außer einer Reihe von Nachdrucken bereits die zweite Auflage heraus. Dann geriet sie in Vergessenheit; im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind nur wenige Ausgaben erschienen. Erst einige Jahre vor dem Krieg 1914/18, vor allem während desselben und danach mehren sich wieder die Ausgaben, um sich dann seit 1944 von neuem den friedenshungrigen Menschen anzubieten.

Gewiß hat sich Kant von älteren Vorschlägen zum Weltfrieden anregen lassen, aber er war ein viel zu scharfer und selbständiger Beobachter der Welt»händel«, er war durchaus nicht der weltabgewandte Philosoph, sondern nahm innerlich starken Anteil an den äußeren Ereignissen, deren so oft sinnlosen Verlauf er von seiner Philosophie, seiner Ethik aus zu erklären versuchte, so daß ein geistreiches, ganz selbständiges, von allen vorhergehenden Schriften über den Gegenstand sich wesentlich unterscheidendes Werk entstand.

Von der Sehnsucht der Völker nach einem dauerhaften Frieden, wie sie gelegentlich in den Schriften der Antike aufleuchtet, von jener ergreifenden Schilderung des idealen Friedenszustandes beim Propheten Jesaias (Jes. 2, 4: Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen), oder des messianischen Friedensreiches (Jes. 9, 5–6: ». . . Friedefürst; auf daß seine Herrschaft so groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhle Davids und in seinem Königreiche . . .«) bis zu den theoretischen Friedensplänen des 14. bis 18. Jahrhunderts (Pierre Dubais, Hugo Grotius, Campanella, William Penn, der Abbé de Saint-Pierre) klafft nicht nur zeitlich ein gewaltiger Abstand; er entspricht, was die Geschichte des Problems anbetrifft, etwa der Linie, welche von Pierre Dubois' »Recuparatio« bis zu Kants monumentalem Friedenswerk reicht. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die sehr instruktive und übersichtliche chronologische Zusammenstellung der zahlreichen Friedenspläne in dem Werk von Edith Wynner und Georcha Lloyd hinweisen: »Searchlight on Peace Plans«. New York E. P. Dutton and Company, Inc. 1944 (532 Seiten).

Kant kleidete seine Darstellung in die Form eines Friedensvertrages, mit Präliminar- und Definitiv-Artikeln, und, in der zweiten Auflage, nach dem Muster des preußisch-französischen Friedensvertrages von 1794, mit einem Geheim-Artikel (hier: Geheimer Artikel zum ewigen Frieden). In dieser Einkleidung liegt eine feine Ironie, zugleich bietet diese Form die Möglichkeit einer straffen und prägnanten Fassung der Gedanken. Handelt es sich doch bei der Kantschen Abhandlung um ein juristisches Dokument, in dem der Verfasser seine Gedanken auf einen kurzen und bündigen Ausdruck zu bringen sucht.

Kant betrachtet die Friedensfrage deshalb auch nicht wie seine Vorgänger vom Standpunkt der Philanthropie oder der Menschenliebe. Er sieht von allem Gefühlsmäßigen ab; für ihn ist die Frage nach dem ewigen Frieden eine juristische Frage, eine Frage der Gerechtigkeit, also der sittlichen Vernunft, die schließlich triumphieren muß.

Die sechs Präliminar-Artikel des ersten Abschnitts enthalten die Voraussetzungen zum ewigen Frieden, es sind alles Dinge, die heute wieder im Mittelpunkt der völkerrechtlichen Diskussionen stehen, darunter als die wichtigsten: Abschaffung der stehenden Heere, Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Staates, menschliche Kriegsführung, wenn es doch einmal zum Kriege gekommen ist, vor allem aber die Bestimmung, daß »keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden«.

Den Präliminar-Artikeln schließen sich die Definitiv-Artikel an, deren erster bestimmt, daß die »bürgerliche Verfassung in jedem Staat republikanisch sein soll«. Unter der republikanischen versteht Kant eine Regierungsform, die im Gegensatz zum Despotismus steht.

Die Darstellung erreicht ihren Gipfelpunkt im zweiten Definitiv-Artikel: »Das Völkerrecht soll auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein.« – »Bei der Böswilligkeit der menschlichen Natur«, sagt Kant, »die sich im freien Verhältnis der Völker unverholen blicken läßt . . ., ist es doch sehr zu verwundern, daß das Wort Recht aus der Kriegspolitik noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden können . . .«. Das beweise, »daß eine noch größere, ob zwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffen sey, über das böse Prinzip in ihm . . . doch einmal Meister zu werden, und dies auch von anderen zu hoffen«. Es müsse also einen »Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag(pactum pacis) darin unterschieden seyn würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte . . . Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der Föderalität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen.« Kant strebte also vor 150 Jahren in seiner Schrift das an, was heute in der United Nations Organisation, der Uno, Wirklichkeit geworden ist. Es wäre wünschenswert, wie es bereits im Jahre 1916 (ich verweise auf Nr. 21 der nachfolgenden Bibliographie) geschehen ist, daß die Schrift »Zum ewigen Frieden«, zugleich als Einführung in die große Gedankenwelt des Philosophen, die sich auch hier nicht verleugnet, in Zukunft einen integrierenden Bestandteil der Schullektüre in den oberen Klassen bilden würde.

Der zweite Definitiv-Artikel findet seine Ergänzung im dritten: »Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein«. Hospitalität bedeutet hier das Recht des Menschen, sich auf dem Boden eines anderen Volkes aufzuhalten. »Es ist kein Gastrecht . . ., sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden zu müssen . . .« Besonders der Schlußabsatz dieses Definitiv-Artikels zeigt den Philosophen auf einer Höhe der Betrachtung, die fast prophetisch anmutet und auf eine Zukunft hindeutet, in welcher die dunklen Mächte der Zerstörung vor der Hoffnung auf lichtvollere Zeiten zurückweichen. Weil »die Rechtsverletzung«, heißt es da, »an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Codex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuirlichen Annäherung zu befinden, nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.«

Die Schrift »Zum ewigen Frieden« ist aber auch das mutige politische Bekenntnis des über den Parteien stehenden Philosophen, als welchen sich Kant selbst in der an die Art eines Erasmus von Rotterdam gemahnenden, von feinem Sarkasmus durchzogenen Einleitung hinstellt. Die Schrift ist in ihrer strengen juristisch-ethischen Betrachtungsweise aus dem Gedanken der Humanität erwachsen; wie Goethes »Iphigenie« ist sie ein Dokument einer alle umfassenden Menschlichkeit. Es fehlt aber noch etwas an der Vollendung des Gesamtbildes: das ist die Betrachtung des Verhältnisses der Politik zur Ethik, dem die beiden Abschnitte des »Anhangs« gewidmet sind, der zugleich den Kerngedanken der ganzen Abhandlung enthält: »Die wahre Politik kann . . . keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben . . . Das Recht dem Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten. Man kann hier nicht halbiren . . ., sondern alle Politik muß ihre Knie vor dem ersteren [dem Recht] beugen . . .« Erst dann ist »der ewige Friede . . . keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die . . . ihrem Ziele beständig näherkommt.«

Rechtsphilosophische Fragen haben den Königsberger Philosophen auch sonst oft beschäftigt. Ueber den ewigen Frieden finden sich gelegentliche Aeußerungen bereits in Schriften, welche vor dem Jahre 1795 erschienen, sind, so in der Abhandlung »Die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« (in der »Berlinischen Monatsschrift« 1784), in dem 1793 in der gleichen Zeitschrift erschienenen Aufsatz »Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis«, ebenso in der »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (1793). Auch, in seinen nach 1795 erschienenen Schriften kommt Kant auf seine »rêveries« vom ewigen Frieden, wie er sie in einem Brief an seinen Schüler Kiesewetter nennt, immer wieder einmal zurück.


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