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Beschluss der Elementarlehre.
Von der innigsten Vereinigung der Liebe mit der Achtung in der Freundschaft

 

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Freundschaft (in ihrer Vollkommenheit betrachtet) ist die Vereinigung zweier Personen durch gleiche wechselseitige Liebe und Achtung. – Man sieht leicht, daß sie ein Ideal der Teilnehmung und Mitteilung an dem Wohl eines jeden dieser durch den moralisch guten Willen Vereinigten sei, und, wenn es auch nicht das ganze Glück des Lebens bewirkt, die Aufnahme desselben in ihre beiderseitige Gesinnung die Würdigkeit enthalte glücklich zu sein, mithin daß Freundschaft unter Menschen Pflicht derselben ist. – Daß aber Freundschaft eine bloße (aber doch praktisch-notwendige) Idee, in der Ausübung zwar unerreichbar, aber doch darnach (als einem Maximum der guten Gesinnung gegen einander) zu streben von der Vernunft aufgegebene, nicht etwa gemeine, sondern ehrenvolle Pflicht sei, ist leicht zu ersehen. Denn wie ist es für den Menschen in Verhältnis zu seinem Nächsten möglich, die Gleichheit eines der dazu erforderlichen Stücke eben derselben Pflicht (z. B. des wechselseitigen Wohlwollens) in dem Einen mit eben derselben Gesinnung im Anderen auszumitteln, noch mehr aber, welches Verhältnis das Gefühl aus der einen Pflicht zu dem aus der andern (z. B. das aus dem Wohlwollen zu dem aus der Achtung) in derselben Person habe, und ob, wenn die eine in der Liebe inbrünstiger ist, sie nicht eben dadurch in der Achtung des Anderen etwas einbüße, so daß beiderseitig Liebe und Hochschätzung subjektiv schwerlich in das Ebenmaß des Gleichgewichts gebracht werden wird; welches doch zur Freundschaft erforderlich ist? – Denn man kann jene als Anziehung, diese als Abstoßung betrachten, und wenn das Prinzip der ersteren Annäherung gebietet, das der zweiten sich einander in geziemendem Abstande zu halten fordert, welche Einschränkung der Vertraulichkeit, durch die Regel: daß auch die besten Freunde sich unter einander nicht gemein machen sollen, ausgedrückt, eine Maxime enthält, die nicht bloß dem Höheren gegen den Niedrigen, sondern auch umgekehrt gilt. Denn der Höhere fühlt, ehe man es sich versieht, seinen Stolz gekränkt und will die Achtung des Niedrigen etwa für einen Augenblick aufgeschoben, nicht aber aufgehoben wissen, welche aber, einmal verletzt, innerlich unwiederbringlich verloren ist; wenn gleich die äußere Bezeichnung derselben (das Zeremoniell) wieder in den alten Gang gebracht wird.

Freundschaft in ihrer Reinigkeit oder Vollständigkeit, als erreichbar (zwischen Orestes und Pylades, Theseus und Pirithous) gedacht, ist das Steckenpferd der Romanenschreiber; wogegen Aristoteles sagt: meine lieben Freunde, es gibt keinen Freund! Folgende Anmerkungen können auf die Schwierigkeiten derselben aufmerksam machen.

Moralisch erwogen, ist es freilich Pflicht, daß ein Freund dem anderen seine Fehler bemerklich mache; denn das geschieht ja zu seinem Besten, und es ist also Liebespflicht. Seine andere Hälfte aber sieht hierin einen Mangel der Achtung, die er von jenem erwartete, und zwar daß er entweder darin schon gefallen sei, oder, da er von dem Anderen beobachtet und ingeheim kritisiert wird, beständig Gefahr läuft in den Verlust seiner Achtung zu fallen; wie dann selbst, daß er beobachtet und gemeistert werden solle, ihm schon für sich selbst beleidigend zu sein dünken wird.

Ein Freund in der Not, wie erwünscht ist er nicht (wohl zu verstehen, wenn er ein tätiger, mit eigenem Aufwande hülfreicher Freund ist)! Aber es ist doch auch eine große Last, sich an Anderer ihrem Schicksal angekettet und mit fremdem Bedürfnis beladen zu fühlen. – Die Freundschaft kann also nicht eine auf wechselseitigen Vorteil abgezweckte Verbindung, sondern diese muß rein moralisch sein, und der Beistand, auf den jeder von beiden von dem Anderen im Falle der Not rechnen darf, muß nicht als Zweck und Bestimmungsgrund zu derselben – dadurch würde er die Achtung des andern Teils verlieren, – sondern kann nur als äußere Bezeichnung des inneren herzlich gemeinten Wohlwollens, ohne es doch auf die Probe, als die immer gefährlich ist, ankommen zu lassen, gemeint sein, indem ein jeder großmütig den Anderen dieser Last zu überheben, sie für sich allein zu tragen, ja ihm sie gänzlich zu verhehlen bedacht ist, sich aber immer doch damit schmeicheln kann, daß im Falle der Not er auf den Beistand des Andern sicher würde rechnen können. Wenn aber Einer von dem Andern eine Wohltat annimmt, so kann er wohl vielleicht auf Gleichheit in der Liebe, aber nicht in der Achtung rechnen, denn er sieht sich offenbar eine Stufe niedriger, verbindlich zu sein und nicht gegenseitig verbinden zu können. – Freundschaft ist bei der Süßigkeit der Empfindung des bis zum Zusammenschmelzen in eine Person sich annähernden wechselseitigen Besitzes doch zugleich etwas so Zartes ( teneritas amicitiae), daß, wenn man sie auf Gefühle beruhen läßt und dieser wechselseitigen Mitteilung und Ergebung nicht Grundsätze oder das Gemeinmachen verhütende und die Wechselliebe durch Forderungen der Achtung einschränkende Regeln unterlegt, sie keinen Augenblick vor Unterbrechungen sicher ist; dergleichen unter unkultivierten Personen gewöhnlich sind, ob sie zwar darum eben nicht immer Trennung bewirken (denn Pöbel schlägt sich und Pöbel verträgt sich); sie können von einander nicht lassen, aber sich auch nicht unter einander einigen, weil das Zanken selbst ihnen Bedürfnis ist, um die Süßigkeit der Eintracht in der Versöhnung zu schmecken. – Auf alle Fälle aber kann die Liebe in der Freundschaft nicht Affekt sein: weil dieser in der Wahl blind und in der Fortsetzung verrauchend ist.

 

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Moralische Freundschaft (zum Unterschiede von der ästhetischen) ist das völlige Vertrauen zweier Personen in wechselseitiger Eröffnung ihrer geheimen Urteile und Empfindungen, so weit sie mit beiderseitiger Achtung gegen einander bestehen kann.

Der Mensch ist ein für die Gesellschaft bestimmtes (obzwar doch auch ungeselliges) Wesen, und in der Kultur des gesellschaftlichen Zustandes fühlt er mächtig das Bedürfnis sich Anderen zu eröffnen (selbst ohne etwas dabei zu beabsichtigen); andererseits aber auch durch die Furcht vor dem Mißbrauch, den Andere von dieser Aufdeckung seiner Gedanken machen dürften, beengt und gewarnt, sieht er sich genötigt, einen guten Teil seiner Urteile (vornehmlich über andere Menschen) in sich selbst zu verschließen. Er möchte sich gern darüber mit irgend jemand unterhalten, wie er über die Menschen, mit denen er umgeht, wie er über die Regierung, Religion usw. denkt; aber er darf es nicht wagen: teils weil der Andere, der sein Urteil behutsam zurückhält, davon zu seinem Schaden Gebrauch machen, teils, was die Eröffnung seiner eigenen Fehler betrifft, der Andere die seinigen verhehlen und er so in der Achtung desselben einbüßen würde, wenn er sich ganz offenherzig gegen ihn darstellte.

Findet er also einen, der Verstand hat, bei dem er in Ansehung jener Gefahr gar nicht besorgt sein darf, sondern dem er sich mit völligem Vertrauen eröffnen kann, der überdem auch eine mit der seinigen übereinstimmende Art die Dinge zu beurteilen an sich hat, so kann er seinen Gedanken Luft machen; er ist mit seinen Gedanken nicht völlig allein, wie im Gefängnis, und genießt eine Freiheit, der er in dem großen Haufen entbehrt, wo er sich in sich selbst verschließen muß. Ein jeder Mensch hat Geheimnisse und darf sich nicht blindlings Anderen anvertrauen; teils wegen der unedlen Denkungsart der meisten, davon einen ihm nachteiligen Gebrauch zu machen, teils wegen des Unverstandes mancher in der Beurteilung und Unterscheidung dessen, was sich nachsagen läßt, oder nicht (der Indiskretion), welche Eigenschaften zusammen in einem Subjekt anzutreffen selten ist ( rara avis in terris et nigro simillima cygno); zumal da die engste Freundschaft es verlangt, daß dieser verständige und vertraute Freund zugleich verbunden ist, eben dasselbe ihm anvertraute Geheimnis einem Anderen, für eben so zuverlässig gehaltenen ohne des ersteren ausdrückliche Erlaubnis nicht mitzuteilen.

Diese (bloß moralische Freundschaft) ist kein Ideal, sondern (der schwarze Schwan) existiert wirklich hin und wieder in seiner Vollkommenheit; jene aber mit den Zwecken anderer Menschen sich, obzwar aus Liebe, belästigende (pragmatische) kann weder die Lauterkeit, noch die verlangte Vollständigkeit haben, die zu einer genau bestimmenden Maxime erforderlich ist, und ist ein Ideal des Wunsches, das im Vernunftbegriffe keine Grenzen kennt, in der Erfahrung aber doch immer sehr begrenzt werden muß.

Ein Menschenfreund überhaupt aber (d. i. der ganzen Gattung) ist der, welcher an dem Wohl aller Menschen ästhetischen Anteil (der Mitfreude) nimmt und es nie ohne inneres Bedauern stören wird. Doch ist der Ausdruck eines Freundes der Menschen noch von etwas engerer Bedeutung, als der des bloß Menschenliebenden ( Philanthrop). Denn in jenem ist auch die Vorstellung und Beherzigung der Gleichheit unter Menschen, mithin die Idee dadurch selbst verpflichtet zu werden, indem man Andere durch Wohltun verpflichtet, enthalten; gleichsam als Brüder unter einem allgemeinen Vater, der Aller Glückseligkeit will. – Denn das Verhältnis des Beschützers als Wohltäters zu dem Beschützten als Dankpflichtigen ist zwar ein Verhältnis der Wechselliebe, aber nicht der Freundschaft: weil die schuldige Achtung beider gegen einander nicht gleich ist. Die Pflicht als Freund den Menschen wohl zu wollen (eine notwendige Herablassung) und die Beherzigung derselben dient dazu, vor dem Stolz zu verwahren, der die Glücklichen anzuwandeln pflegt, welche das Vermögen wohl zu tun besitzen.

 

Zusatz.
Von den Umgangstugenden (virtutes homileticae)

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Es ist Pflicht sowohl gegen sich selbst, als auch gegen Andere, mit seinen sittlichen Vollkommenheiten unter einander Verkehr zu treiben (officium commercii, sociabilitas), sich nicht zu isolieren ( separatistam agere); zwar sich einen unbeweglichen Mittelpunkt seiner Grundsätze zu machen, aber diesen um sich gezogenen Kreis doch auch als einen, der den Teil von einem allbefassenden der weltbürgerlichen Gesinnung ausmacht, anzusehen; nicht eben um das Weltbeste als Zweck zu befördern, sondern nur die wechselseitige, die indirekt dahin führt, die Annehmlichkeit in derselben, die Verträglichkeit, die wechselseitige Liebe und Achtung (Leutseligkeit und Wohlanständigkeit, humanitas aesthetica et decorum) zu kultivieren und so der Tugend die Grazien beizugesellen; welches zu bewerkstelligen selbst Tugendpflicht ist.

Dies sind zwar nur Außenwerke oder Beiwerke ( parerga), welche einen schönen, tugendähnlichen Schein geben, der auch nicht betrügt, weil ein jeder weiß, wofür er ihn annehmen muß. Es ist zwar nur Scheidemünze, befördert aber doch das Tugendgefühl selbst durch die Bestrebung, diesen Schein der Wahrheit so nahe wie möglich zu bringen, in der Zugänglichkeit, der Gesprächigkeit, der Höflichkeit, Gastfreiheit, Gelindigkeit (im Widersprechen, ohne zu zanken), insgesamt als bloßen Manieren des Verkehrs mit geäußerten Verbindlichkeiten, dadurch man zugleich Andere verbindet, die also doch zur Tugendgesinnung hinwirken, indem sie die Tugend wenigstens beliebt machen.

Es frägt sich aber hiebei: ob man auch mit Lasterhaften Umgang pflegen dürfe. Die Zusammenkunft mit ihnen kann man nicht vermeiden, man müßte denn sonst aus der Welt gehen; und selbst unser Urteil über sie ist nicht kompetent. – Wo aber das Laster ein Skandal, d. i. ein öffentlich gegebenes Beispiel der Verachtung strenger Pflichtgesetze, ist, mithin Ehrlosigkeit bei sich führt: da muß, wenn gleich das Landesgesetz es nicht bestraft, der Umgang, der bis dahin statt fand, abgebrochen, oder so viel möglich gemieden werden: weil die fernere Fortsetzung desselben die Tugend um alle Ehre bringt und sie für jeden zu Kauf stellt, der reich genug ist, um den Schmarotzer durch die Vergnügungen der Üppigkeit zu bestechen.


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