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Der alte Pfarrer von Reddin, dem kleinen märkischen Dorfe, hatte Sorgen.

Sorgen, die nichts mit seinem Amte zu tun hatten. –

Dieser alte Pfarrer war trotz seiner siebzig Jahre von einer bewundernswerten Frische. Körperlich und geistig. Wie er jetzt so in seiner Werkstatt stand und das Schnitzmesser eifrig handhabte, um die Christusfigur für seine Kirche recht bald zu vollenden, lag auf seinem von weißgrauem Bart umrahmten Gesicht nicht wie sonst der Ausdruck freudiger Begeisterung für diese Kunst der Bildschnitzerei. Etwas Versonnenes zeigte sich in seinen Zügen, und zuweilen hielt er in seiner Arbeit inne und schaute durch die offene Tür grüblerisch hinaus in den weiten Garten des Pfarrhauses, wo der Sommer all seine grüne Pracht entfaltet hatte ...

Da war an einen mächtigen, von Früchten über und über betupften Kirschbaum eine lange Leiter gelehnt, und zwischen den Zweigen hindurch schimmerte ein helles Kleid, eine blaue Wirtschaftsschürze und das blonde Köpfchen eines jungen Mädels ...

Es war Helga Marling, die hier bei der Frau Pfarrer Herms die Wirtschaft erlernte, – Kochen, Backen, Kleinviehbesorgen und vieles andere, denn die Pastorin war weit und breit als vorzügliche Hausfrau bekannt.

Der Pfarrer Herms, der alte Pfarrer, der noch so jung war, trat jetzt in die Tür ...

»Helgachen – nicht zu waghalsig, Kind ...? Kirschbaumäste brechen leicht!« rief er dem blonden Wildfang zu ...

»Meine hundertfünf Pfund tragen sie schon, Onkel Pastor,« kam die fröhliche Stimme aus dem Grün des Baumes zurück ...

Herms dachte: »Sie ist unbefangen wie immer ... Und doch – – und doch!!«

Er seufzte. Das kam bei ihm selten vor ...

Und kehrte an seine Arbeit zurück, die ihm heute gar nicht so recht von der Hand gehen wollte ...

Seine Gedanken umspielten immer wieder die enttäuschungsvollen Stunden der verflossenen Nacht ...

Was er da beobachtet hatte, erschien ihm noch jetzt wie ein Walpurgisnachtspuk ...

Und – stets von neuem grübelte er darüber nach, wie man in diese widerspruchsvollen Dinge Licht hineinbringen könnte.

Etwas mußte ja geschehen ...

Unbedingt ...! Pfarrer Herms liebte klare Verhältnisse. Als er Helga Marling, Tochter seines Studienfreundes, des Oberregierungsrats, vor sechs Wochen am ersten Juni in sein Haus aufgenommen hatte, war ihm auch nicht im entferntesten der Gedanke gekommen, das blonde Kind könnte in das stille Pfarrhaus irgendwelche dunklen Geheimnisse mit hineinbringen – wie eine schwere Bürde, die sie schlau den Augen der Menschen zu entziehen wußte ... –

Der Pfarrer Herms legte das Schnitzmesser weg ...

Nein – mit der Arbeit war's heute nichts ... Gar nichts sogar! Und unzufrieden langte er nach seiner kurzen Tabakpfeife, stopfte sie mit braungelbem Grobschnitt und ließ das Stahlrädchen des Feuerzeugs Funken gegen den kleinen Docht sprühen ...

Aergerte sich über sich selbst, weil er seiner treuen Lebensgefährtin die Geschehnisse der Nacht bisher verschwiegen hatte ...

Ueberlegte nochmals, ob er klug daran täte, seine Frau einzuweihen. Und kam zu dem endgültigen Entschluß, vorläufig zu schweigen, da die Pastorin über zu geringe Verstellungskunst verfügte und sicherlich durch ihr verändertes Benehmen Helga argwöhnisch gemacht hätte ...

»Ich werde die Augen gut offenhalten,« entschied der Pfarrer weiter. »Was in dieser Nacht geschah, ist fraglos bereits mehrmals vorgekommen ... und wird nochmals vorkommen!«

Dann ging er in die Küche, wo die Pastorin das Frühstück für ihn schon bereit gestellt hatte ...

   

Um dieselbe Zeit stand Herr August Bröseke, Besitzer des Gasthauses zum Grünen See in Dalchow, dem zum Kirchspiel Reddin gehörigen zweiten Dorfe, vor seinem verwahrlosten Besitz und blickte zum Dalchower See hinab, dessen Spiegel im Sonnenlicht funkelte und gleißte, als ob's wirklich Glas wäre. –

Bröseke hatte das Gasthaus erst Ende Mai dieses Jahres billig erworben. Die Wirtschaft war seit Jahren völlig vernachlässigt gewesen, da die Ausflügler das neue Terrassenrestaurant am anderen Ende des Dorfes immer mehr bevorzugt hatten. Jetzt erschien hier nun im Grünen See nur höchst selten ein Gast, und wenn sich einmal jemand in die abgelegene Kneipe verirrte, schwor er sich zu, nie wieder dieses Haus zu betreten, wo man einen miserablen Kaffee, lauwarmes Bier und mäßige Speisen unverschämt hoch bezahlen mußte. Nur junge Leute fanden sich eher mit diesen Mängeln ab, da die drei Töchter des Witwers Bröseke nicht allzu zimperlich in der Unterhaltung waren und rasche Vertraulichkeiten nicht weiter übelnahmen. Doch auch solchen Grünschnäbeln wußte Bröseke sehr bald das Haus wieder zu verleiden. Kurz: Im Grünen See gabs nie etwas zu tun, und wenn die Dalchower Bauern und Fischer nicht so gedankenträge gewesen wären, hätten sie sich wohl längst gefragt, wovon August Bröseke eigentlich lebte und weshalb er hier in die Einsamkeit gezogen sein mochte – noch dazu mit drei heiratsfähigen Töchtern! –

Dieser Bröseke, ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit bartlosem, hagerem Gesicht, in dem unter dicken buschigen Brauen ein paar unruhige graue Augen irrlichterten, schaute noch immer den flachen, mit Hafer bestandenen Hügel zum See hinab, wo soeben ein Motorboot an dem wackeligen Stege festgemacht hatte.

Zwei auffallend elegante Damen und ein Herr kamen jetzt aus der Kajüte des Bootes zum Vorschein und schritten vom Seeufer nach Osten zu davon, bis ein kleines Waldstück sie den Blicken Brösekes entzog.

Bröseke wollte gerade wieder das Haus betreten, als von Norden auf der nach Reddin führenden Landstraße zwei Männer nahten, zwei Radler, von denen der eine schwer hinkte und sich auf den andern stützte, der beide Räder führte und auch den Rucksack des Hinkenden sich übergehängt hatte.

Bröseke musterte sie, drehte sich um und wollte ins Haus.

Da rief der kleinere der beiden, der sich mit den Rucksäcken, den Rädern und dem Verletzten abmühte, dem Wirte zu:

»Hallo – können wir vielleicht bei Ihnen einen Tag rasten? Wir sind Lehrer und wollten eine Ferientour nach Freienwalde an der Oder unternehmen. Vor einer Viertelstunde stürzte mein Freund Hartwich mit dem Rade ... Sie sehen ja, er hat sich auch das Gesicht blutig geschlagen ...«

»Tut mir leid ... Habe keine Fremdenzimmer ...«

Das klang geradezu unwirsch.

Bröseke schritt weiter, setzte schon den Fuß auf die Steinstufe der Vortreppe, als hinter ihm ein gurgelnder Schrei ertönte ...

Der Verletzte war ohnmächtig geworden, war mit dem Gesicht in den Straßenstaub gefallen, der in ganzen Wolken hochwirbelte.

»Herr Wirt ...!« rief der Kleine abermals, »helfen Sie mir – – schnell!«

Und – in seiner Stimme lag etwas so Flehendes, Angstvolles, daß August Bröseke, freilich nur in Rücksicht auf den gerade des Weges kommenden Landjäger Rütter, tatsächlich zusprang und mit anfaßte, den Bewußtlosen ins Haus und in eins der hinteren Erdgeschoßzimmer zu tragen.

Derweil bewachte der stämmige Rütter draußen die Fahrräder, von denen das eine arg verbogen war, und die prall gefüllten Rucksäcke ...

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte dabei seinen Mund ...

*

August Bröseke hatte eine Stunde später seine drei Töchter, den Hausdiener und das Stubenmädchen vorn im leeren Schankraum versammelt.

Die fünf standen dicht um ihn herum, und was Bröseke ihnen nun dringlichst ans Herz legte, war merkwürdig genug ...

»Ich hätte die beiden Schulmeister niemals aufgenommen, wenn nicht der Landjäger Rütter die Geschichte mit angesehen hätte ... Die beiden sind ja fraglos harmlose Kaninchen, aber – Vorsicht ist stets am Platze! Also – richtet Euch danach! Und besonders Du, lieber Viktor, solltest endlich Dein Aeußeres mehr Deiner jetzigen Stellung anpassen. Deine Hände sind viel zu sauber, und wenn Du Dich die Woche einmal rasierst, genügt das ... – Das Gleiche gilt von Ihnen, Hortensia ...« Und dies galt nun dem feschen Stubenmädchen ...

Hortensia meinte nur: »Rasieren kommt bei mir wohl nicht in Frage ... Und bäuerisch genug bin ich schon angezogen ...!«

»Glauben Sie ...?! Der Anzug allein macht's nicht! Wirklich nicht, Hortensia!« Seine Stimme wurde scharf. »Sie sollten mehr auf mich hören, Hortensia! Sobald hier in diesem Lausenest auch nur der geringste Argwohn bei einem der Dickschädel oder bei dem Landjäger rege wird, wir könnten nicht sein, was wir scheinen wollen, dann ... haben wir verspielt! – So, nun geht wieder an die Arbeit. Ich werde froh sein, wenn die Schulmeister erst wieder Leine ziehen! Wir können hier im Grünen See keinen Fremden brauchen!«

Die fünf verschwanden, und August Bröseke eilte die Treppen des alten Hauses empor – bis zum Dache, öffnete hier die Luke und ging über das knirschende Pappdach bis zum nördlichen Schornstein, der einer Antenne als Stützpunkt diente. Das andere Ende der Doppelantenne war am Flaggenstock vorn am Giebel des Hauses befestigt. Diese Antenne hatte Bröseke selbst gespannt und bei der Post einen einfachen Detektorapparat zum Abhören der Berliner Rundfunkdarbietungen ordnungsmäßig angemeldet, hatte dem Landjäger aber gelegentlich erzählt, daß der Empfang noch sehr schwach sei, was Rütter dann selbst einmal festgestellt hatte.

Neben diesem Schornstein blieb Bröseke stehen und blickte nach Norden zu in die Ferne, wo zwischen zwei Waldstücken flache Getreidefelder in reifem Gelb leuchteten ...

Zog sein Taschentuch hervor und ... schneuzte sich ...

Mehrmals ...

Tat dies sehr umständlich, ließ das Tuch dabei flattern und ... machte sich dann an der Antenne etwas zu schaffen. –

Zehn Minuten drauf finden wir ihn hinten im Gemüsegarten am wackligen Tor der Dornenhecke im leisen Gespräch mit den beiden eleganten Damen und dem Herrn aus dem Motorboot. – –

Die Rückseite des Gemüsegartens grenzte an eine Tannenschonung, und hier in dieser Schonung lag hinter einem von den Dörflern für den Winter gesammelten Haufen Reisig der stramme, schnauzbärtige Landjäger Fritz Rütter, ehemals Wachtmeister bei den 2. Jägern, und beobachtete mit Hilfe eines Glases die Begrüßung zwischen Bröseke und den geputzten Städtern ...

Murmelte, als die vier nun in dem buschreichen Garten untertauchten:

»Der Teufel mag daraus schlau werden! Nur gut, daß ich die Geschichte an die richtige Adresse weitergegeben habe!!«

*

Der Lehrer Hartwich lag mit dick verbundenem Kopf im Bett. Die Fenster des Zimmers, dessen ärmliches Mobiliar in seltsamem Widerspruch zu den auf einem Wandbrett untergebrachten vielseitigen Toilettensachen Fräulein Hanni Brösekes stand, waren weit geöffnet.

Hartwich, ein blondbärtiger Mann, schaute zu Hanni Bröseke empor und sagte leise:

»Es tut mir leid, daß ich Sie aus Ihrem Zimmer verdrängt habe ... Hoffentlich bin ich in zwei, drei Tagen so weit wiederhergestellt, daß wir, mein Freund Schreiber und ich, unsere Tour fortsetzen können ...«

Er sagte das – und trotz der schwachen Stimme war's herauszuhören – in merklicher Verlegenheit – ganz so, als ob es ihn beunruhigte, hier vor einem jungen Mädchen im Bett zu liegen, wenn auch bis zum Kinn zugedeckt.

Hanni Bröseke amüsierte sich köstlich über die Verwirrung des blassen Schulmeisters. Mit ihrem Bubenkopf und dem kecken, schmalen Jungengesicht sah sie wirklich wie ein verkleideter schlanker Knabe aus.

Hartwichs Freund, Michael Schreiber, lehnte dicht dabei an dem mächtigen Kachelofen und stellte fest, daß Fräulein Hanni an der linken Hand eine Menge kostbarer Brillantringe trug. Auch er war blondbärtig, und unter der Lodenjoppe wölbte sich ihm ein niedliches Bäuchlein zu behaglicher Rundung. Hinter den Gläsern seiner Hornbrille glitzerten ein paar ebenso behaglich-lustige Augen, und diese vergnügten Augen verfolgten nun jede Bewegung Fräulein Hannis kritisch und prüfend, die jetzt ihre Toilettensachen in ihre niedliche Schürze packte und dabei harmlos weiterplapperte – von diesem und jenem, wie ein zwitscherndes Vögelchen.

Es war jetzt fünf Uhr nachmittags, und in diesen acht Stunden hatte Michael Schreiber sich sowohl mit den Brösekes wie auch mit dem Hausdiener und dem Stubenmädchen recht sehr angefreundet, so daß August Bröseke zu Viktor, dem überfeinen Hausdiener, geäußert hatte: »Ein ganz netter Kerl, dieser Dorfpauker!« –

Hanni hatte nun all ihre Herrlichkeiten in der Schürze und entschwebte mit einem freundlichen: »Gute Besserung also, Herr Hartwich ...«

Die Tür klappte hinter ihr zu ...

Michael Schreiber ging zum Bett des Kranken Freundes, beugte sich über ihn und fragte laut:

»Möchtest Du nicht jetzt wieder etwas schlafen, Hermann?«

Und ganz leise – als Nachsatz: »Um halb sechs erwartet Rütter mich ...«

»Ja – ich werde es versuchen ...« erwiderte Hartwich ...

Und auch er hatte die Fähigkeit, flüstern zu können, ohne die Lippen zu bewegen ...

»Sage Rütter, daß er ohne uns nichts unternimmt ... gar nichts!« –

Der Lehrer Schreiber schloß die Fenster, nahm seine Mütze und verließ das Zimmer.

Vorn im großen leeren Schankraum traf er Bröseke, der Zeitung las ...

»Telephon haben Sie nicht, Herr Bröseke, – schade – – und Gott sei Dank,« sagte er in seiner trocken-witzigen Art. »Schade, weil ich an meine Frau in Kelzig telephonieren will, und Gott sei Dank, weil so eine elektrische Fernquasselstrippe jede Wohnung jeder Zeit fremden Redeüberfällen öffnet ...«

»Der Kaufmann Nerlich hat Fernsprecher,« erklärte Bröseke. »Gehen Sie nur immer die Dorfstraße entlang bis zu der gelben Villa, die Ihnen sofort auffällt. Neben der Villa liegt Nerlichs Haus ... Wiedersehen, Herr Schreiber ...«

»Wiedersehen ... – Hartwich schläft ... Vielleicht bitten Sie Ihre Töchter, etwas leise im Flur zu sein ...«

»Gewiß ... gewiß ...«

*

Michael Schreiber telephonierte bei Kaufmann Nerlich nur zum Schein mit seiner Frau ...

Er hatte gar keine. Er war völlig unbeweibt.

Am andern Ende der Fernquasselstrippe aber stand in Berlin, Polizeipräsidium, Kriminalkommissar Fritz Bechert und hörte folgendes:

»Es geht uns gut. Wir sind gut untergekommen ... Hartwichs Befinden ist den Umständen angemessen ...«

Und von Herrn Nerlich aus wanderte Schreiber nordwärts ... Er mußte das Dorf Dalchow sehr gut kennen ... Und daß er zum ersten Male hier sei, wie er Bröseke gegenüber geäußert hatte, konnte unmöglich stimmen.

Mit Leichtigkeit fand er sich bis zu einem Waldstück hin, das hinter der Schonung am Gemüsegarten des Grünen Sees mitten in Getreidefeldern lag.

Landjäger Rütter war schon zur Stelle.

Die beiden tauschten einen Händedruck, setzten sich dann in einen kleinen Talkessel und begannen ein recht angeregtes Gespräch.

Rütter fragte unter anderem:

»Sie haben die beiden feinen Weiber und den Herrn wirklich nirgends bemerkt?«

»Nein ... Und ich bin im Hause genug hin und her gegangen ...«

»Dann stecken die drei in dem früheren Tanzsaal, dessen drei Fenster Bröseke eigenhändig zugemauert hat ...«

»Ah – der Saal ohne Fenster – Ihr Schmerzenskind!« lächelte Schreiber ...

»Bitte – wozu ein Saal ohne Licht, das heißt – ohne Fenster?!« ereiferte der Landjäger sich ...

»Wenn das alles wäre!!« sagte Schreiber achselzuckend. »Ich habe seit unserer Ankunft im Grünen See schon Wichtigeres bemerkt als den Saal ohne Fenster ...!«

»Und – das wäre ..?!«

»Das wäre zum Beispiel: die drei Mädels, Fanni, Anni, Hanni, sind niemals die Töchter August Brösekes ...«

»Nanu ..?!«

»Nein, denn wenn Bröseke auch jetzt diesen Namen führt, so heißt er doch in Wahrheit ganz anders. Daß es einen August Bröseke mit drei Töchtern gibt, die Fanni, Anni, Hanni getauft sind, bezweifle ich nicht. Nur unser Bröseke hier ist es nicht. Der heißt in Wahrheit Wilhelm Meyer mit y oder mit Künstlernamen Wilm Merina, Hofzauberkünstler Seiner schwarzen Majestät des Kaisers von Abessinien ...«

Der brave Rütter hätte sich beinahe vor Staunen den Mund verrenkt ...

»Ah – so – –was!!« stotterte er hervor ...

Und das so laut, daß eine Krähe vom nächsten Baum erschrocken davonstrich.

Dann aber fragte er:

»Woher in aller Welt wissen Sie das, Herr Schr ... Schreiber?« – Er hätte sich fast verplappert. Ihm war ja streng untersagt worden, Schreibers bekannteren Namen hier je zu gebrauchen ..!

»Weil dieser Wilhelm Meyer vor drei Jahren, also 1921, mit in eine Kriminalaffäre verwickelt war, nur in einer Nebenrolle freilich, und weil mein Freund Har ... twich damals den Herrschaften zu ein paar Jahren Zuchthaus verhalf. Kurz: Hartwich mit seinem fabelhaften Personengedächtnis hat Wilm Merina alias Wilhelm Meyer wiedererkannt. Meyer hat zwei Jahre abzusitzen gehabt. Etwa April dieses Jahres muß er entlassen worden sein.«

»Oh – dann hat der Kerl hier fraglos auch wieder etwas vor! – Was hatte er denn damals ausgefressen?«

»Nicht viel ... Er war nur Mitglied einer internationalen Bande geworden, die es liebte, D-Zug zu fahren und die Reisenden zu bestehlen ...«

»So – – so!! – Und noch weitere Neuigkeiten, Herr Schreiber?«

»Wenn es Sie interessiert: die drei jungen Damen, Fanni, Anni, Hanni, tragen echte Brillantringe, deren Wert beträchtlich ist, besitzen Toilettensachen aus Silber und feinstem Kristall, gebrauchen die teuersten Dinge zur Hand-, Haut- und Zahnpflege, und ...«

»Donnerwetter, – mir sagten sie, die Ringe seien nur Simili ..!« brach Rütter wütend los ...

Schreiber lachte ... »Und was halten Sie von Herrn Viktor Manz, dem Hausknecht?«

»Der war früher was anderes – Bankbeamter, ist abgebaut worden und hat die Stelle nur aus Not angenommen.«

»Ob's wahr ist?!« Schreiber zog die Schultern hoch. »Ich – – glaube es nicht! Genau so wenig, wie ich die Hortensia Bienert für ein harmloses Bienchen ansehe..!«

»Was meint denn nun Herr Hartwich?« forschte Rütter gespannt.

»Der meint über die Sache selbst noch gar nichts. Nein, der meint nur, daß sich schon alles historisch entwickeln wird, nachdem die Geschichte mit dem Radunfall und Ihrem zufälligen Erscheinen geklappt hat und wir Gäste im Grünen See geworden sind. Ohne Ihr Dazukommen, Herr Rütter, hätte dieser Bröseke-Merina uns nie aufgenommen. Und der Straßenstaub hat die rote Farbe auf Hartwichs künstlich geschundenem Gesicht in eine Schmutzkruste verwandelt gehabt, die den Eindruck, den der arme Verletzte auf die Damen machte, noch erhöhte ...«

»Also – gibt es vorläufig für mich nichts zu tun, Herr Schreiber?«

»Doch! – Sie müssen ganz vorsichtig feststellen, wem das Motorboot gehört, in dem der Herr und die beiden eleganten Frauen hier heute zum vierten Male innerhalb eines Monats erschienen sind.«

»Soll geschehen, Herr Schreiber ...«

»Im übrigen aber halten Sie sich bitte völlig zurück. Hartwich läßt Ihnen noch besonders einschärfen, daß Sie nichts ohne uns unternehmen dürfen. Er erklärte mir schon vor drei Tagen auf Ihren ausführlichen Brief hin in Berlin, daß dieser Saal ohne Fenster fraglos ein Problem werden wird.«

»Verstehe – ein verwickelter Kriminalfall ..!«

»Ja ... – Und jetzt wollen wir uns trennen. Sobald ich Sie sprechen muß, werde ich an der Ostecke des Heckenzaunes der Gastwirtschaft ein großes Stück Zeitung befestigen, das Sie mit dem Fernglas erspähen können. Dann finden Sie sich zur selben Stunde wie heute hier ein.« –

Schreiber kehrte auf Umwegen in den Grünen See zurück, wo er Herrn August Bröseke erzählte, er habe noch einen Spaziergang gemacht, und seine Frau habe er nun auch von dem kleinen Unfall Hartwichs in Kenntnis gesetzt.

Dann ging er in den Wirtsgarten. Hortensia brachte ihm den Nachmittagskaffee.

Das schlanke große Mädchen trug jetzt Holzpantoffeln auf nackten Füßen von zweifelhafter Sauberkeit, berlinerte stark und spielte die echte Landpomeranze mit einigem Geschick.

*

Elf Uhr abends war's am selben Tage.

Der Pastor von Reddin, Herr Gustav Herms, saß im Dunkeln am offenen Fenster seines Studierzimmers, das nach dem Hofe hinauslag.

Im Pfarrhause war man bereits vor einer Stunde zur Ruhe gegangen. Im Schlafzimmer hatte Herms dann aber zu seiner Gattin gesagt, er sei heute doch noch nicht müde genug und wolle noch die Predigt für den Sonntag vorbereiten.

Ganz leise war er dann in sein Studio zurückgekehrt, ohne das Licht einzuschalten.

Nun saß er und ... wartete ...

Wartete, daß die Hintertür wie gestern wieder knarren und Helga Mailing im dunklen Lodenmantel über den Hof in den Garten huschen sollte ...

Wie in der verflossenen Nacht, wo sie sich ganz hinten im Pfarrgarten auf dem Holzaltan unter den drei Riesenbuchen mit dem alten Zigeunerweibe getroffen hatte ... –

Wenn Pfarrer Herms nun abermals an dieses seltsame Rendezvous Helgas dachte, wenn er sich abermals vergegenwärtigte, daß er von dem Zigeunerweibe bei der Dunkelheit leider nur wenig gesehen hatte, immerhin aber doch Zeuge geworden, wie Helga dieses Weib stürmisch geküßt hatte, dann ... dann schüttelte er auch jetzt wieder den grauen Kopf und konnte sich so gar keinen Vers aus alledem machen ...

Gar keinen ..?! Dabei war der Pastor Gustav Herms doch ein Mann, der offene Augen und Menschen- und Weltkenntnis besaß, der dem Leben niemals blind gegenübergestanden hatte ..! Nein – niemals ...

Und – nun fuhr er leicht zusammen ...

Die Tür hatte soeben geknarrt ...

Da – – war Helga wieder – – wie gestern!

Herms erhob sich, ließ sich Zeit ...

Er wußte ja, wo er Helga finden würde.

Er trug Hausschuhe, und die gestatteten ihm einen leisen Schritt. In die Küche ging er, holte die Stalllaterne, zündete sie an und nahm sie unter den weiten Hausrock.

So folgte er dem blonden Mädel ...

Wie sein eigen Kind war sie ihm. Seine Jungens und Mädels waren ja längst flügge, waren verheiratet – hier und dort, in allen Ecken Deutschlands ... –

Er ließ sich Zeit ...

Im Garten rauschte der Nachtwind in den Bäumen ...

Auf dem Friedhof in den alten Ulmen klagte ein Käuzchen ... Weiße Grabsteine schimmerten durch die Büsche ...

Herms hielt sich im Schatten der Nußsträucher, bis er nach rechts abbog, wo die Reihe der hohen Linden und Buchen begann ...

Immer leiser schlich er dahin ...

Zu dem Holzaltan, dessen Treppe dort bereits im Dunkel zu erkennen war, führte ein schmaler Weg ...

Der Pastor sah gegen den hellen Himmel auf dem Altan zwei Gestalten dicht nebeneinander ...

Aber – diesmal einen Mann ... einen Mann neben Helga ..!!

Da stutzte er ...

Das Blut schoß ihm ins Gesicht ...

Ob etwa die Zigeunerin hier Kupplerin spielte?!

Ob ...

Und da hatte er den Fuß der Treppe erreicht ...

Prallte zurück ...

Von den Stufen erhob sich ein anderer Mann, flüsterte hastig:

»Mein Name ist Harst ... Harald Harst, Herr Pastor, – – der Berliner Detektiv ... Bitte kehren Sie um ... Ich muß mit Ihnen sprechen ...« –

Wär's nicht der Name Harald Harst gewesen: Pfarrer Herms hätte nicht darauf verzichtet, das Stelldichein zu stören.

So aber folgte er dem Manne, dessen Taten die Zeitungen so und so oft erwähnten, von dem alle Welt mit Achtung und Bewunderung sprach.

Folgte ihm ... durch die Seitenpforte auf den Kirchhof, wo Harald Harst dann hinter der Kirche stehen blieb.

Hier war es hell ... Der Julihimmel mit seinem Sternenmeer spendete genügend Licht.

Herms schaute den berühmten Detektiv prüfend an ...

Und Harst sagte leise: »Maskiert, Herr Pfarrer ..! Aber ich bin's wirklich ...«

Und dabei löste er den dunklen Bart vom Gesicht, nahm Mütze und Perücke ab und wandte den Kopf.

»Bitte – mein scharfes Profil ist unverkennbar, Herr Pfarrer ...«

»Allerdings, Herr Harst ... – Wer ist der Mann, der da mit meiner Helga ...«

Harst unterbrach ihn. »Verzeihung ... Ich habe es eilig. Gestatten Sie einige Fragen ...«

So erfuhr Harst, daß Helga Marling das jüngste Kind des Oberregierungsrates Marling sei und hier bei Pastor Herms die Wirtschaft erlernen sollte.

Und erklärte darauf seinerseits: »Der Mann, dem Fräulein Marling diese Zusammenkünfte gewährt, heißt Viktor Manz und ist ... Hausknecht im Grünen See da unten im Dorfe Dalchow. Gestern hatte er sich eben als Zigeunerin verkleidet, heute als alter graubärtiger Bauer ...«

Pastor Herms stieß hervor: »Wie – Hausknecht ..?! Also ein ... ein junger Kerl?!«

»Ja, und ein ganz hübscher Bursche, Herr Pfarrer ...« –

Als Gustav Herms einige Minuten später ins Haus zurückschlich, hatte er Harst das Versprechen gegeben, in dieser Sache nichts gegen Helga zu unternehmen. Er hatte eben eingesehen, daß das offenbare Verbrechernest dort im Grünen See nicht irgendwie vorzeitig argwöhnisch gemacht werden dürfe. Harst war ganz einverstanden gewesen, daß die Pastorin morgen mit Helga zu ihrer verheirateten Tochter nach Magdeburg führe, damit diese Rendezvous auf diese Weise ein Ende hätten.

Harald Harst aber kehrte, wie ein Schatten durch den Garten gleitend, zu dem Baumaltan zurück und kam dort noch gerade zur rechten Zeit an, um den zärtlichen Abschied der beiden beobachten zu können ...

Folgte Viktor Manz dann genau so, wie er ihm von Dalchow bis hierher gefolgt war ...

Auch wie ein Schatten – wie ein wahrer Künstler in dieser Art von heimlichen Gängen.

Manz ging nicht allzu schnell.

Bis Dalchow waren's etwas über zwei Kilometer, streckenweise durch Wald.

Als Manz sich dem Seedorfe näherte, blieb Harst zurück ...

Aus Vorsicht, denn ... Viktor Manz war ja noch von einer zweiten Person auf dem Hinwege nach Reddin verfolgt worden, hatte sich aber durch ein paar harmlose Kniffe für diesen lästigen Aufpasser unsichtbar gemacht. –

Harst wartete in der Schonung an der Rückseite des Gemüsegartens, bis Manz das Wirtshaus betreten haben mußte.

Wartete fünf Minuten und war dann glücklich wieder in seinem Krankenzimmer durch das offene Fenster angelangt ...

Setzte sich im Dunkeln auf das uralte Glanzledersofa und steckte sich eine seiner Mirakulum an ...

Wartete auf seinen Freund Schreiber-Schraut ...

Den hatte er hier zurückgelassen, damit er den Saal ohne Fenster beobachte ...

Jenen Saal, den Herr August Bröseke eigenhändig zu einem finsteren Loche umgewandelt hatte, indem er die Fenster zumauerte ...

Eigenhändig – mit des feinen Hausknechts Hilfe ... –

Harald Harst lehnte regungslos in der Sofaecke und sann angestrengt über all diese Dinge nach ... Rief sich nochmals Landjäger Rütters Brief ins Gedächtnis zurück ...

Dieser Brief war abends vor vier Tagen mit der letzten Postbestellung in der Blücherstraße 10 in Berlin-Schmargendorf eingetroffen. Nr. 10, – das war das alte Harstsche Familienhaus ...

Und der Brief Rütters hatte gelautet:

 

Dalchow bei Werder (Mark),
den 11. Juli d. J.

Sehr geehrter Herr Harst,

Sie gestatten mir als einem Landjäger, der nur den üblichen Polizeikram leidlich beherrscht, Ihnen etwas mitzuteilen, das mir schon viel Kopfzerbrechen gemacht hat und das ich doch der vorgesetzten Behörde nicht melden möchte, weil ich eben nicht recht weiß, was ich von Herrn August Bröseke halten soll. Der ist seit kurzem hier in Dalchow Besitzer des Wirtshauses zum Grünen See.

Ein Wirt, der alle Gäste weggrault, ist nun schon eine seltene Erscheinung, Herr Harst. Wenn aber derselbe Mann seinen Tanzsaal zumauert, das heißt die Fenster des Tanzsaales, und auf den Fußboden dort ebenfalls eigenhändig Zement aufträgt und, wie ich mit meinen Augen gesehen habe, da er mir seine Champignon-Plantage zeigen wollte, – also gesehen habe, daß er auf dem Zement Beete für Champignons angelegt hat, die nur im Dunkeln gedeihen sollen, und wenn derselbe Mann mir erklärt, das sei so eine Liebhaberei von ihm, dann ist das doch recht auffallend, obwohl es ja mancherlei verrückte, verschrobene Käuze gibt.

Bröseke macht nun aber gar nicht den Eindruck, als ob's bei ihm oben nicht ganz richtig wäre. Nein, der Mann hat in den Augen so was Verschlagenes, und außerdem ist ja im Grünen See jetzt auch noch manches andere nicht so, wie es sein soll.

Ich schreibe hier frisch von der Leber weg, Herr Harst. Und wenn's dabei etwas bunt zugeht, so müssen Sie's mir nicht verargen. Ich bin nicht sehr für lange Schreibereien. – Der Bröseke hat drei Töchter, die hier wie die Prinzessinnen rumlaufen. Und dabei hat er für die Wirtschaft nur sechstausend Mark angezahlt und besitzt auch weiter nichts, wie ich von der Steuerbehörde her weiß. Er hat bisher in Pankow-Berlin gewohnt, Essener Straße Nr. 64. Das Haus gehörte ihm. Er hat es verkauft und sofort den Grünen See gekauft, eine alte geräumige Bude mit zwei Morgen Land dabei.

Also die Töchter – wie die Prinzessinnen, wie man hier auf dem Dorfe sagt. Und der Hausknecht ein feiner junger Kerl, und das sehr überflüssige Stubenmädchen so 'ne richtige Berliner Pflanze, die mehr in die Friedrichstraße als nach Dalchow paßt.

Auch eine Rundfunkempfangsanlage hat der Bröseke sich zugelegt, mit der er jedoch kaum was hört. Ich jedenfalls habe nicht mal den Ansager verstanden. Und schließlich, Herr Harst: dreimal hat er schon im letzten Monat Besuch bekommen, zwei Damen und ein Herr, die mit einem Motorboot über den Dalchower See kamen. In dem Boot bleibt dann nur so ein verwachsener Mensch zurück, der furchtbar grob ist. Die beiden Damen und der Herr (ich habe den Grünen See nämlich von einer Schonung aus des öfteren beobachtet und hatte gerade Glück!) kommen immer erst von hinten an das Grundstück heran, wenn Bröseke vom Dache aus mit einem Taschentuch gewinkt hat. Die drei bleiben dann bis zum nächsten Morgen. Das Motorboot – es ist ein ziemlich großer Kutter mit Kajüte – holt die drei dann wieder ab. – Auch diese drei Personen sehen so fein aus, als ob sie das Arbeiten nicht nötig hätten. Und wer heutzutage nicht arbeitet, ist ein Gauner, denke ich mir.

Aber – wie gesagt, Herr Harst, alles dies sind doch lediglich seltsame Dinge, zu einem direkten Verdacht reicht das nicht hin. Ich weiß ja auch nicht, ob Sie meiner Schilderung mehr entnehmen, als ich es kann.

Jedenfalls: sollten Sie noch etwas wissen wollen, so schreiben Sie nur.

Hochachtungsvoll

Friedrich Rütter,
Landjäger,

Dalchow.

 

Auf diesen Brief waren Harst und sein Freund und Gehilfe Max Schraut dreimal verkleidet in Dalchow gewesen, ohne jedoch Wesentliches ermitteln zu können. Daher hatten sie mit Rütter genau verabredet, wie man Bröseke zwingen könne, die beiden angeblichen Lehrer bei sich aufzunehmen.

Das war geglückt, und die heutige Nacht hatte dann weitere Erfolge gebracht: Harst war auf Viktor Manz aufmerksam geworden, als er und Schraut gegen ein Viertel elf neben dem Saal ohne Fenster in den Büschen auf der Lauer lagen, war dem Davonschleichenden gefolgt, hatte noch einen zweiten Spion bemerkt, der dem feinen Hausknecht auf den Fersen war, und ... saß nun wieder im Krankenzimmer und rauchte schon die zweite Mirakulum, während der eine Fensterflügel bei geschlossenen Vorhängen offenstand ...

Prüfte das Erlebte nach allen Seiten hin, der große Harst, und ...

... vom Fenster eine Stimme ...

Schrauts Kopf ...

»Schnell – – schnell ...! Komm'..!!«

Harst war im Nu draußen ...

»Du, – sie schleppen etwas weg.. Eine Kiste ..« flüsterte Schreiber-Schraut erregt. Bröseke und Manz .. Und die schwarze Fanni und die rotblonde Anni tragen ebenfalls eine längliche Rolle ... – Schnell ... Weit können sie noch nicht sein.. Sie gingen durch den Gemüsegarten und kamen aus der Hintertür des Saales.«

Schraut, der stets etwas Uebereifrige, wollte blindlings davonstürmen.

Harst hielt ihn zurück.

»Halt, mein Alter!« warnte er leise, »Weißt Du genau, daß die Gesellschaft keine Wachen aufgestellt hat?!«

Sie standen noch im Schatten der Fliederbüsche, die hier an der Hauswand knorrig und baumartig wuchsen ...

Standen und – hatten beide gleichzeitig ein kaum gehauchtes »Achtung!!« ausgestoßen, das Harsts letztem Worte fast unmittelbar folgte ...

Die helle Nacht ließ die buschfreien Stellen des Hofes und des anschließenden Gartens in geheimnisvollem Halbdunkel ...

Desto dunkler erschienen die Sträucher und wilden Rosenbüsche, die Nußbüsche und die von niederen Baumästen überragten Flecke ...

Dunkel und schwarz – mit verschwommenen Umrissen ...

Phantastisch in ihren Formen – wie Ungeheuer, die unwahrscheinliche Fangarme ausreckten ...

Und rechter Hand lag der Seitenflügel des alten Gebäudes, der Saalanbau, heller im Anstrich als das düstere Wirtshaus ...

Heller noch die drei Riesenvierecke der vermauerten Fenster mit ihrer frischen weißen Tünche – geradezu durch die Nacht leuchtend, als ob dort im Saale strahlende Lichter brannten und ihre Leuchtkraft durch dünne Vorhänge in die Finsternis sandten ...

Vor dem mittleren dieser vermauerten Fenster ganz scharf umrissen in den Konturen, hatten Harst und Schraut im selben Moment zwei Gestalten erkannt ...

Einen Mann – ein Weib ...

Hatten gesehen, daß die beiden sich bewegten ...

Daß sie sich ... näherten ...

Plötzlich durch Büsche verdeckt wurden ...

»Ins Zimmer!« flüsterte Harst. »Und – den einen Fensterflügel offen lassen ... Ins Bett – mit Kleidern ...«

Schraut schwang sich hinein. Der Freund half ihm ..

Und als sie kaum die Steppdecken bis zum Kinn gezogen hatten, bemerkte Harst, der von seinem Bette aus die Fenster im Auge behalten konnte, daß der Vorhang am offenen Flügel sich bewegte ...

Kopf und Brust, ein Arm eines Mannes wurde sichtbar ...

Regungslos stand der Mann ...

Ein zweiter Arm erschien – ein nackter Frauenarm – nackt bis zum halben Oberarm, wo eine helle kurzärmelige Bluse begann ...

Und aus der Frauenhand schoß ein dünner Lichtstrahl hervor, irrte tastend durch das Zimmer – über die Betten, enthüllte für den Bruchteil einer Sekunde die Gesichter der beiden harmlosen Lehrer ...

Der Vorhang fiel zurück.

»Ich wußte es ja,« sagte der Mann achselzuckend. »Der gute August hat zu große Angst ...! Die beiden werden doch nicht nachts draußen herumgeistern ...!«

Sie schritten dem Saalanbau wieder zu.

Der Mann war der Herr aus der Jacht, der Herr mit dem bartlosen, verkniffenen Gesicht und seine Begleiterin war eine der eleganten Damen ...

An der Hintertür des Saales, die in den Garten führte, lehnte die andere Elegante ...

»Nun?!« fragte sie leise ...

»Alles in Ordnung, Amalie,« meinte der Herr. »Natürlich in Ordnung ...! Sie schlafen ...«

Aus der Finsternis des Saales kam ein fassungsloses Schluchzen ...

»Ein allzu zartes Püppchen, die Anni!« meinte die eine der Eleganten ...

»Mir ist's auch an die Nieren gegangen,« sagte die andere scheu. »Das ... geschah alles zu plötzlich ...«

Sie erschauerte ...

Der Herr betrat den Saal ...

»Kommt..! befahl er kurz.

Dann schloß er die äußere Tür, verschloß auch die zweite, die mit dicken Blechplatten benagelt war und die erst August Bröseke hergestellt hatte – zum besseren Schutz gegen allzu Neugierige ...

*

Harst war längst wieder im Freien ... War den beiden Lauschern nachgeschlichen ... hatte drei Meter von der Tür entfernt hinter einem Baum gestanden ...

Sah wenig, hörte wenig ... Hörte aber das Schluchzen und des einen Weibes scheue Worte, durch die es wie Angst und Entsetzen zitterte ...

Stand noch dort im Schutze des mächtigen Lindenstammes, als vom rückwärtigen Teile des Gartens Bröseke, Manz und die beiden Mädchen auftauchten ...

Die vier gingen rasch ...

Manz trug jetzt die längliche Rolle.

Harst sah, daß es Gegenstände waren, die man in eine dunkle Decke eingewickelt hatte.

Und die vier betraten das Haus durch die Hintertür ...

Sie wurde leise eingeklinkt. Dann flammte im Flur das elektrische Licht auf. –

Harst kehrte ins Zimmer zurück, wo Schraut wartend auf dem Bettrand saß.

»Wir können jetzt in der Nacht nichts mehr unternehmen,« meinte Harst im Dunkeln und begann sich auszuziehen. »Gehen wir schlafen. Morgen werde ich mich so weit erholt haben, daß ich an einem Stock umherhumpeln kann. Dann müssen wir versuchen, den Spuren der vier zu folgen.«

Schraut hatte sich erhoben ... Fragte ebenso leise:

»Was, glaubst Du, enthielt die Kiste?«

»Wie groß war sie?«

»Flach und lang ... Fast wie ... wie ein Sarg ..«

»Sarg?! – Ich weiß nicht, was darin gewesen sein kann. Ich weiß überhaupt nicht, was der Zuchthäusler Meyer-Merina hier treibt ...«

Und – plötzlich streifte er wieder die Weste über ..

»Mein Alter, wir könnten in dieser Nacht doch noch etwas tun – einen Schritt vorwärts kommen ... Wir werden versuchen, durch die Gartentür in den Saal einzudringen, nachdem ich festgestellt habe, wo die Bande jetzt sich aufhält ...«

Auch die Jacke zog er wieder an .. –

Schraut warnte: »Das dürfte recht gefährlich sein, Harald, jetzt im Hause umherzuschleichen. Bedenke, daß Du es noch zu wenig kennst ...«

»Deine Zeichnung habe ich tadellos im Kopf, lieber Alter,« beruhigte Harst. »Sie war so sorgfältig mit ihren Schrittzahlen hergestellt, daß ich mich wie auf bekanntem Gelände bewegen werde. Sei ohne Sorge ...«

Er schlich zur Tür, drehte den Schlüssel lautlos um.

Das Schloß, die Türangeln hatte er schon abends gut geölt.

Und wandte nochmals den Kopf ...

»Erwarte mich hier an der Tür ... Lasse sie zwei Handbreit offen ...«

»Gut ... – Sei vorsichtig, Harald ...« –

Harst hatte seine kleine elektrische Lampe in die rechte Jackentasche geschoben. Nun ging er den Flur hinab, dessen schadhafte Kokosläufer das Knarren der Dielen etwas verhütete.

Nicht ganz ...!

Harst war daher gezwungen, vor jedem neuen Schritt den Fußboden erst zu prüfen, indem er nur leicht die Stiefelspitze aufsetzte und die Last des Körpers allmählich auf dieses Bein verlegte ...

Oft genug warnte ihn das leise Aechzen der Dielen. Dann suchte er eine andere Stelle, bis er einen geräuschlosen Fleck fand ...

Schritt für Schritt arbeitete er sich so vorwärts, – bog rechts ab, wo der Flur nach der Küche und der Tür des Saalanbaus hinlief ...

Im ganzen Hause Totenstille ...

Eine Stille, die sich wie Zentner auf die Schultern legte ...

Unheimlich war dieses schweigende Gebäude, in dem doch zum mindesten zehn Menschen sich zur Zeit befanden ...

Zehn: Bröseke, drei Töchter. Viktor Manz, die drei aus der Jacht und ... Schraut ... und vielleicht das Stubenmädchen Hortensia ...

Vielleicht ... –

Bevor Harst die Küchentür erreichte, kam er noch an drei Stubentüren vorüber.

Lauschte an jeder ...

Nichts ... nirgends ein Laut ...

Und ein Blick durch die Schlüssellöcher zeigte ihm auch, daß diese Räume dunkel waren ...

Nicht so die Küche ...

Hier – hier an dieser Tür vernahm er die ersten Geräusche ...

Bückte sich ...

Hier im Schlüsselloch steckte kein Schlüssel. Und die Tür war alt, das Schloß ebenso, daher auch ein Schlüsselloch, daß man den kleinen Finger hätte hineinstecken können ...

Harst kniete jetzt, umgeben von Finsternis ...

Nur sein rechtes Auge schimmerte hell, beleuchtet durch den Lichtstrahl, der durch das Schlüsselloch fiel.

Bröseke stand da in der Küche – am alten mächtigen Herd, in dem ein Holzfeuer flackerte ...

Er ... verbrannte Kleidungsstücke ...

Er tat es mit einem Gesicht, als ob er dem leibhaftigen Satanas ins Antlitz geschaut hätte ... –

Harst richtete sich wieder auf ...

Machte kehrt – bis zur Treppe, die in die oberen Räume führte ...

Am Geländer und auf der Treppenwange kletterte er empor, mied die Stufen ...

Muffige Luft schlug ihm hier oben entgegen.

Die muffige Luft nie benutzter Stockwerke ...

Und auch hier Kokosläufer ...

Hier auch mit einem Male Stimmen ...

Hier – ganz plötzlich die jähe Gefahr des Entdecktwerdens ...

Denn dicht vor ihm ging mit einem Male kreischend eine Tür auf ...

Breiter Lichtschein flutete in den Korridor ...

Heraus trat Hanni, die schlanke, knabenhafte, mit dem Bubenkopf ...

Ging zum Glück, die nach außen schlagende Tür weit offen lassend, so daß sie Harst deckte, den Flur nach der anderen Seite entlang, betrat das dritte Zimmer ...

Und als sie die Tür öffnete, klangen lautere Stimmen, schwiegen sofort ...

Die Tür klappte zu.

Harst hatte Hanni nachgeschaut ...

Mit starrem Blick ...

Hanni trug ... einen hellen Trikotanzug, der sich ganz eng an ihren Körper anschmiegte ... – –

*

Schraut hatte einen Stuhl an die Zimmertür gerückt und darauf Platz genommen.

Vor ihm im Flur – hinter ihm im Zimmer das lauernde Dunkel ...

Und in ihm die nervenaufpeitschende Spannung all solcher Nächte, die er in Harsts Gesellschaft in allen Teilen des Erdenrunds durchwacht hatte.

Da wird man nicht müde ... Da singt das Blut ganz fein in den Ohren ... Da sind alle Sinne rege – liegen gleichsam auf der Lauer ...–

So wartete Max Schraut auf den Freund ...

Befragte verschiedentlich seine Taschenuhr mit Leuchtzifferblatt ...

Und als er's zum fünften Male tat, als die leuchtende runde Scheibe mit den schwarzen Ziffern und Zeigern die erste Morgenstunde kündete, da ... fuhr er leicht zusammen ...

»Ja – eine Uhr ...« kam ein Flüstern aus der Finsternis ...

Harst war es ...

Und er fügte hinzu: »Vieles habe ich zu berichten. Nichts leider, was die Sache klären könnte ...

Sie traten ins Zimmer, verschlossen die Tür.

»Ich möchte den Besuch der Bröseke'schen Champignon-Plantage doch noch verschieben,« meinte Harald Harst und zog den Freund neben sich auf das Sofa.

Nahm eine Zigarette ...

»Da – bitte, bediene Dich, mein Alter ... Hier ist Feuer ... – Zunächst also ein Bericht über meine Verfolgung des feinen Hausdieners Viktor Manz. Er – wurde nicht nur von mir verfolgt. Auch Hortensia schlich ihm nach ...«

»Wie? – das angebliche Stubenmädchen ...?«

»Ja – dieselbe! Er aber fürchtete wohl Aehnliches und entzog sich ihr. Mit mir hatte er weniger Glück..«

Dann erzählte er, wie er stets dicht hinter Manz geblieben, wie er so bis zum Pfarrgarten von Reddin gelangt sei ...

Und wieder fragte Schraut erstaunt:

»Manz soll gestern nacht im Zigeunerkostüm in Reddin gewesen sein?!«

»Weshalb nicht?! Eine alte Zigeunerin fällt hier nicht auf, wo doch eine Meile nördlich in Barrnberg eine ganze Zigeunerkolonie haust ...«

»Und Du glaubst, Manz unterhält ein Liebesverhältnis mit Helga Marling?«

»Ich weiß es ... Ich belauschte sie von der Altantreppe aus ... Es war das Gestammel Verliebter ... – Ich weiß es ebenso gewiß, wie ich jetzt gesehen habe, daß Bröseke in der Küche ... ein blutiges Trikot verbrannte ...«

Schraut packte des Freundes Arm ...

»Trikot ... blutig ...?!«

»Ja – ein Trikot, das er mit einer Schere zerschnitten hatte. Nachher rührte er mit dem Feuerhaken die Glut tüchtig durch, wusch sich mehrmals die Hände, reinigte die Waschschüssel und setzte sich neben den Herd auf einen Stuhl und trank Kognak aus einem Wasserglase ...«

Schraut schwieg ... sann ... sann ...

War noch wie betäubt von dem Gehörten ...

»Und oben im Flur, mein Alter, hätte mich Hanni beinahe entdeckt ... Hanni aber hatte ebenfalls ein helles Trikot an, dazu ganz leichte Schuhe – sonst nichts. Und oben stecken auch die anderen ...«

Schraut hatte sich gefaßt ...

Fragte: »Wenn es ein ... blutiges Trikot war, kann dann in der Kiste nicht doch ein Toter gelegen haben?«

»Leider ...! Eine Tote, fürchte ich: Hortensia! – Ich hatte eigentlich sofort vermutet, daß die Kiste vielleicht mit einer Eifersuchtstragödie zusammenhängen könnte. Hortensia liebt oder ... liebte Viktor Manz, wollte feststellen, wohin er sich nachts begab. Und als er dann zurückkehrte, mag es zum Streit zwischen beiden gekommen sein, bei dem Manz in der Erregung zugeschlagen haben mag. So ... reime ich mir die Dinge zusammen. Die Leiche hat man beseitigt. – Und hierfür spricht, daß das eine der beiden eleganten Weiber aus der Jacht an der Hintertür des Saales flüsterte: »Mir ist's auch an die Nerven gegangen ...! Das geschah alles so plötzlich.« – Ich nehme an, daß diese Sätze Hortensia galten. Wenn nun heute vormittag Bröseke uns so nebenbei mitteilen sollte, daß Hortensia plötzlich den Dienst gekündigt und abgereist sei, dann wissen wir genau, wohin sie gereist ist: dorthin, woher es keine Wiederkehr gibt!«

Er rauchte ein paar Züge.

»Vielleicht ist all das auch grundfalsch, mein Alter ... Vielleicht verhaue ich mich hier ganz gründlich ... Vielleicht enthielt die Kiste ganz anderes ... Trotzdem ich fürchte, ich werde mit alledem recht haben ...« –

Gleich darauf gingen sie zu Bett.

*

Die schlanke Hanni brachte dem Herrn Hermann Hartwich und seinem Freunde Schreiber um acht Uhr das Frühstück ins Zimmer, nachdem sie vorher angeklopft und gefragt hatte, ob die Herren schon wach seien.

»Gut geschlafen?« fragte Hartwich munter, der bereits in der Sofaecke saß und nur noch einen kleinen Verband trug. »Wie gut ich geschlafen habe, Fräulein Bröseke, ersehen Sie ja daraus, daß ich das Bett verlassen konnte.«

Hannis Wangen zeigten die schöne Röte von Schminke und Puder. Aber ihre matten Augen straften diese frischen Farben Lügen.

Und recht bedrückt erwiderte sie nun:

»Ich ... ich habe schlecht geträumt, Herr Hartwich ...«

Rasch deckte sie den Sofatisch und schlüpfte wieder hinaus.

Harst saß mit ernstestem Gesicht da und schaute den Freund bedeutungsvoll an ...

»Hortensia!« flüsterte er.

Und begann zu frühstücken – mit gesegnetem Appetit. Max Schraut desgleichen ...

Bis es wieder klopfte und Herr Bröseke erschien ...

Etwas lärmend – etwas zu vergnügt ...

Und rückte einen Stuhl an den Tisch ...

Platzte sehr bald heraus:

»Gut, daß wir die Hortensia los sind! Es gefiel ihr hier nicht, heute um sieben Uhr schob sie ab ...«

Herr Hartwich bekam einen Hustenanfall und meinte dann:

»Oh – sie machte soweit einen ganz netten Eindruck ...«

Bröseke zuckte die Achseln. »Leichte Fliege ...! Ich kann so was hier nicht brauchen, Herr Hartwich ...« –

Eine Stunde später humpelte Harst am Arme Schrauts in den Garten ...

Der Garten war leer, und so konnten die beiden Freunde dann ohne Scheu durch die Pforte den schmalen Steg betreten, der von hier auf einem Feldrain bis zur Schonung lief.

Ganz langsam schritten sie weiter ...

Die köstliche Luft der Wälder und Felder, der frische Wind, der vom See herüberstrich, belebte Harald Harsts nimmermüde Phantasie.

Er sagte zu Schraut: »Ich male mir aus, wie die vier in der verflossenen Nacht mit der Kiste und dem in die Decke gehüllten Spaten hier ...«

»... Spaten?!«

»Natürlich ... Sie haben doch die Kiste vergraben – die Kiste mit der Leiche Hortensias. – Also ... wie die vier hier denselben Weg benutzt haben, der ja zu der Schonung führt. Gerade diesen Pfad, auf dem sie eine peinliche Begegnung nicht zu fürchten brauchten. Dieses Feld und die kleine Schonung gehören ja mit zum Grünen See. – Prüfen wir also den Boden, mein Alter ... Prüfen wir ihn sehr genau ...«

Schraut war tief in Gedanken ...

Und erklärte ohne jeden Zusammenhang:

»Es sind Hoteldiebe, Harald ...«

»Ah – des Trikots wegen?! – Es waren helle Trikots, lieber Alter, und der Grüne See ist doch kein fremdes Hotel?! Wozu also ein Hoteldiebkostüm, noch dazu in solcher Nacht!«

Schraut schwieg. Er gab sich geschlagen.

Harst blieb stehen ...

Hob den Spazierstock, den ihm Bröseke geliehen, senkte die Spitze wieder und zeigte auf einen kantigen Eindruck in einem Maulwurfshaufen dicht am Wege ...

»Da hatten sie die Kiste niedergesetzt ... Da ist noch ein Eindruck ...«

Schraut nickte. »Ja ...! Und – in der Schonung werden wir vielleicht ...«

Er – – hielt inne ...

Flüsterte: »Rütter steht hinter einem Busche ... Er winkt – winkt sehr eifrig ...«

»Desto langsamer gehen wir beide, mag er uns auch noch so sehr vorwärts treiben. Ich wette: Rütter hat nachts in der Schonung gelegen und etwas beobachtet!«

Der Landjäger war wieder verschwunden. Und erst als die Freunde in der Schonung hinter einem Hügel volle Deckung nach dem Wirtshaus hin hatten, tauchte er wieder auf.

Sein von Gesundheit strotzendes, gebräuntes Gesicht leuchtete förmlich ...

»Herr Harst – Herr Harst, jetzt kann ich die Herren überraschen ...!« sagte er überhastet, ließ sich nicht einmal zu einem Morgengruß Zeit.

»Ich kenne keinen Harst, Herr Rütter,« meinte der blessierte Lehrer mit einiger Schärfe. »Ich kenne nur Hermann Hartwich, und der steht hier vor Ihnen. – Was aber Ihre Ueberraschung betrifft, so kommen Sie damit etwas zu spät ...« Und Rütter die Hand hinstreckend fügte er hinzu: »Sie haben hier nachts gewacht und beobachtet, wie die Kiste vergraben wurde ... In der Kiste lag eine Leiche: Hortensia, das Stubenmädchen!«

Da leuchtete Rütters Gesicht noch strahlender ...

»Nein – keine Leiche, Herr Hartwich! Nur eine Schwerverletzte, die jene Verbrecher für tot gehalten haben mögen! – Mit diesen meinen Händen habe ich die Kiste dort drüben wieder herausgeschaufelt ...! Und gerade noch zur rechten Zeit! Das Mädchen wäre sonst erstickt. Und – ich fühlte, daß der Puls noch ging. Da trug ich die in zwei Decken Gehüllte schleunigst nach meinem Häuschen unten am See, habe ihr die Kopfwunde gewaschen und sauber verbunden. Meine Schwester, die mir die Wirtschaft führt, half mir. Nun liegt das Mädchen mit hohem Fieber in meiner Schwester Stübchen. Nun frage ich Sie, Herr Harst: was soll geschehen? Ich muß doch einen Arzt holen!«

Wieder hatte er Harst gesagt.

Diesmal folgte keine Berichtigung. Harald Harst hatte anderes zu denken.

Und bestimmte dann: »Sie holen einen Arzt – zu Ihrer Schwester! Dem Arzt legen Sie dringend nahe, das Geheimnis zu wahren: nur Ihre Schwester ist krank! Sie verstehen ...«

»Ich verstehe ...«

»Dann – beeilen Sie sich ... Telephonieren Sie nach Werder ... Ich bezahle alles ...«

Rütter nickte. »Gut ... gut ...! – Ich habe noch eine Neuigkeit, Herr Harst, – des Motorbootes wegen. Ich weiß nun, wem es gehört ...«

Und – wem?«

»Der Filmdiva Gerda Gardani ... Der Bucklige ist der Diener der Gardani ...«

Harst war abermals sprachlos ... Und das kam selten bei ihm vor.

»Die Gardani ...?!« meinte er. »So ist etwa eine der eleganten Damen der Filmstar?«

»Ja – die hellblonde ist's, die hier immer einen dichten Schleier trägt. Die andere aber ist die Trapezkünstlerin Hilda Novarra, die zuletzt im Wintergarten auftrat. Der bartlose Herr schließlich – nun werden Sie ein noch ungläubigeres Gesicht machen, Herr Harst, – ist der berühmte Kunstpfeifer Luigi Luisiano ...!«

Harald Harst schüttelte langsam den Kopf ...

»Alles hätte ich vermutet: das nicht!« erklärte er ehrlich. »Jetzt tappen wir vollends im Dunkeln – vollends! Nun kommt mir der Saal ohne Fenster immer ... finsterer vor, mein lieber Rütter! – Woher wissen Sie denn das alles?«

»Durch einen blanken Zufall erfuhr ich's gestern abend, Herr Harst. Da saß ich unten auf der Anlegebrücke und angelte Barsche. Da lag auch ein Segelboot mit zwei jungen Leuten aus Berlin. Und die sprachen davon, daß sie dem Motorkutter Poseidon begegnet seien, der der Gardani gehöre ... An Bord sei nur der Zwerg gewesen, der zuweilen auch im Film mitwirke ... – So kam alles heraus, Herr Harst, – spielend einfach, ohne langwierige Nachfragen.« –

Rütter eilte nun davon.

Harst und Schraut setzten sich auf den nadelbestreuten Waldboden ...

»Diese Schonung gehört unserem Freunde Bröseke-Merina,« sagte Harst mit seiner Ironie. »Wir dürfen hier also getrost rauchen ... Und in dieser Schonung wird sich sein Schicksal entscheiden. »Hier hatte er mit seinen Kumpanen die eifersüchtige Hortensia zur letzten Ruhe bestattet ...«

Er rieb sein Feuerzeug an ...

Und nach den ersten Zügen fuhr er fort: »Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Hortensia infolge eines Nervenchoks von den Leuten tatsächlich für tot gehalten wurde. Ein starrkrampfähnlicher Zustand hat schon die besten Aerzte getäuscht, und Laien fallen einer solchen Täuschung noch leichter anheim. Immerhin bleibt dieses Beiseiteschaffen einer scheinbar Toten ein schweres Vergehen und ein unglaublicher Leichtsinn. Ich betone dies, mein Alter, um dir klarzumachen, daß eine Filmdiva wie die Gardani und ein Mann von der Berühmtheit Luigi Luisianos sehr gewichtige Gründe gehabt haben müssen, zu dieser geheimen Beerdigung ihre Zustimmung zu geben ...«

»Welche?!« fragte Schraut gespannt.

»Wenn ich das wüßte ...!! – Ich weiß es aber nicht. Und um es herauszubringen, werden wir ganz systematisch vorgehen. – Du erhältst also folgende Aufträge, mein Alter. Erstens: Du rufst Freund Fritz Bechert, Perle aller Kriminalkommissare, telephonisch an und bittest ihn, sich ganz genau über die Verhältnisse der drei Personen von der Jacht Poseidon zu erkundigen. Ganz genau!! Vielleicht befinden die drei sich in sehr mißlichen Vermögensumständen und sind daher ... moralisch abgerutscht. Die Gardani zum Beispiel verwettet am Toto Unsummen, und man sagt, daß ihr Schmuck zumeist auf dem Leihamt liegt. – Dann soll Bechert uns einen seiner Beamten hier nach Dalchow schicken. Näheres hierüber vereinbare Du mit ihm. – Zweitens: Du mußt feststellen, wie der echte August Bröseke aussah, der in Pankow das Haus besaß. Es ist wohl schon erwiesen, daß unser Meyer-Merina die Legitimationspapiere dieses Bröseke sich angeeignet haben muß. Wer weiß, was für dunkle Geschichten noch mit diesem Pankower Hausverkauf zusammenhängen. – Drittens und letztens: Du mußt dem Arzt auflauern, den Rütter zu ... seiner Schwester ruft, und zwar mußt Du ihn zu sprechen suchen, nachdem er bei Rütter gewesen ist. Weise Dich ihm gegenüber aus und frage ihn, was er von der Kopfverletzung Hortensias hält. – Ich hoffe, wir werden nach Erledigung dieser drei Punkte etwas weiter sein wie jetzt, zumal wir bestimmt in der kommenden Nacht dem Saale ohne Fenster einen Besuch abstatten werden ...«

Schraut, der sich inzwischen eine Zigarre angezündet hatte, nickte zustimmend.

»Hoffen wir, daß wir in dem verwünschten ehemaligen Tanzsaal wirklich etwas Wichtiges entdecken. Vielleicht, Harald, – – vielleicht ... dient er zu ... Filmaufnahmen!«

Schraut schien nicht wenig stolz auf diese geistige Leistung zu sein. Erwartungsvoll blickte er seinen Freund an.

Harald Harst zog die Augenbrauen hoch und machte ein Gesicht, als ob er etwas Schlechtes röche.

»Hm ...!!« meinte er sehr gedehnt. »Filmaufnahmen, – und dies nur deshalb, weil die Gardani mit dabei ist?! Ebensogut könntest Du auf die Vermutung kommen, mein Alter, daß Luigi Luisiano den Herrschaften nachts Unterricht im Kunstpfeifen gibt oder daß die Trapezkünstlerin Hilda Novarra den Brösekes am Schwebereck Armwellen beibringt. – Nein, lieber Alter, mit solchen aus der Luft gegriffenen Kombinationen verwirren wir die Sache nur. Für mich bleibt ausschlaggebend: ein ehemaliger Zuchthäusler lebt hier unter falschem Namen unter sehr verdächtigen Umständen! – Das ist gleichsam das Fundament des Ganzen ...«

Er hatte noch mehr sagen wollen ...

Aber seine geschulten Ohren, die trotz des feinen Rauschens der Kiefern deutlich das Knacken eines zerbrechenden trockenen Aestchens vernommen hatten, ließen ihn nun gähnend in anderer Art hinzufügen:

»Mir ist da soeben ein Insekt ins rechte Auge geflogen ...!«

Schraut merkte sofort an dem veränderten Ton, daß hier in der Nähe irgendetwas nicht in Ordnung war ...

Harst zog einen Taschenspiegel hervor und hob ihn in Augenhöhe ...

Es war ein Hohlspiegel, der all das, was hinter den beiden Freunden geschah, als kleines Bild zusammendrängte ...

So erblickte Harald Harst denn auch die blassen, verzerrten Gesichtszüge des auf dem Bauche liegenden August Bröseke-Merina ...

Drehte den Kopf und ... nickte Bröseke freundlich zu ...

»Sie auch da, Herr Bröseke?!« sagte er harmlos. »Sie haben uns wohl nicht erkannt ... Sonst wären Sie doch nicht so vorsichtig näher geschlichen ...«

Bröseke schoß das Blut in die Wangen. Er sprang auf ... Aber es fehlte ihm nicht an Geistesgegenwart, und so erklärte er denn leicht gereizt:

»Ich roch es schon von weitem, daß hier in meiner Schonung geraucht wurde, da wollte ich die Uebeltäter eben abfassen. Und Sie, meine Herren, sollten doch als Angehörige eines Lehrberufes gerade anderen ein gutes Beispiel geben und auf den Genuß des Rauchens an so gefährdeten Orten wie im Walde verzichten ...«

Diesen milden Vorwurf nahmen Harst und Schraut schweigend hin. Schweigend drückten sie die glimmenden Spitzen von Zigarre und Zigarette aus, und nur der Herr Lehrer Hartwich murmelte: »Entschuldigen Sie bitte, Herr Bröseke.«

August Bröseke setzte sich gleichfalls.

Sein Gesicht hatte die Röte der Verlegenheit verloren. Aber desto deutlicher trat nun wieder ein Zug von angstvoller Verstörtheit hervor, und wie zerstreut der Besitzer des Grünen Sees war, ging schon daraus hervor, daß er ... nun selbst ein Schächtelchen Zigaretten hervorholte und es geöffnet den Freunden hinhielt ...

Hartwich und Schreiber lachten wie auf Kommando ...

Bröseke wußte im ersten Moment nicht einmal, was ihre Heiterkeit erregt hatte. Dann aber schmiß er mit grimmem Fluch die Zigarettenschachtel ins Weite ...

»Das kommt davon, wenn man soviel Aerger hier mit der Schonung hat,« erklärte er nun finster. »Das Lumpenpack aus dem Dorfe stiehlt mir hier Holz ... Ich hatte da einen Berg Reisig zusammengetragen, und der ist in der vergangenen Nacht zur Hälfte verschwunden ...«

Ein seltsam lauernder Blick traf den Lehrer Michael Schreiber ...

»Waren Sie vielleicht drüben an dem Reisighaufen, Herr Schreiber? – Ich hatte ein paar Aeste dort in besonderer Weise in den Boden gesteckt ... Und dieses Zeichen ist verschwunden ...«

Schreiber schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Bröseke, wir beide sind geradeswegs hierher gegangen, um etwas Kiefernduft zu atmen. – Das Zeichen hatten Sie wohl angebracht, um zu sehen, ob jemand Reisig weggenommen hatte ...«

»Hm – ja, natürlich ... ganz recht!« Diese überhastete Versicherung bestätigte den Freunden zur Genüge, daß das Zeichen auf dem Grabe Hortensias hergestellt worden war und daß es Bröseke verraten sollte, ob etwa jemand dort nachgewühlt habe.

Seine Verstörtheit war nun hinlänglich erklärt: er fürchtete eine Entdeckung der Ereignisse der verflossenen Nacht!

Daß er jedoch gegen seine Gäste keinerlei Argwohn hegte, bewies sein ferneres Verhalten.

»Haben Sie irgend jemand hier in der Schonung bemerkt, meine Herren?« fragte er.

Harst, stets an jede Möglichkeit denkend, erwiderte diplomatisch, da es ja nicht ganz ausgeschlossen war, daß irgendeiner der Bewohner des Grünen Sees den Landjäger Rütter in der Nähe der Schonung erspäht hätte:

»Hier in der Schonung war niemand, Herr Bröseke. Nur dort drüben glaube ich einen Mann in Uniform gesehen zu haben. Der ging gemächlich der Chaussee zu. – Bemerktest Du ihn nicht auch, Schreiber?«

»Ja ... es kann der Landjäger gewesen sein ... Wie heißt er doch gleich? Riemer ... Rinter ...«

»Rütter,« half Bröseke aus und starrte vor sich hin.

Schreiber-Schraut fügte lächelnd hinzu:

»Na – der wird ja wohl ebensowenig Reisig stehlen wie wir ...!«

August Bröseke nickte nur ... Sagte dann:

»Hm – Sie könnten mir eigentlich den Gefallen tun und hier so ein wenig aufpassen ... Ich habe im Hause zu tun ...«

Er erhob sich. »Auf Wiedersehen, die Herren ... Um halb eins ist Mittag ...«

Er schritt davon ...

Mit gesenktem Kopf und doch hastig, wie getrieben von unangenehmen Gedanken.

Harst meinte leise: »Wetten, daß die Bande in der Nacht die Kiste ausgräbt?!«

»Ohne Zweifel, Harald ... – Und dann?!«

»Dann ... wird uns das einen bösen Strich durch die Rechnung machen ...«

Er stützte den Kopf in die Hand – sann und sann ...

Murmelte: »Das muß verhindert werden – um jeden Preis!«

Und richtete sich mit einem Ruck empor ...

»Mein Alter – noch ein Auftrag für Dich ...«

Als er diesen Auftrag dem Freunde nun im einzelnen mitteilte, war der gute Max Schraut im ersten Augenblick so vollkommen verblüfft, daß er Harst unsicher anstarrte.

Dann ... begriff er ... Und hinter den runden Brillengläsern leuchteten seine Augen triumphierend auf ... –

Kurze Zeit nachher wanderte er auf Umwegen dem Dorfe zu.

*

Bröseke stand zur selben Zeit im Kreise der Seinen im Schankraum.

Die drei Mädels und Viktor Manz machten genau so verstörte Gesichter wie der Besitzer des Grünen Sees ...

Und Manz flüsterte ohne viel Hoffnung:

»Wenn auch die Astzeichen verschwunden sind, so braucht doch noch immer nicht die Kiste ausgegraben worden zu sein!«

Bröseke lachte heiser auf ...

»Ich sage Dir: man hat dort nachgegraben! Ich hatte vier gekreuzte Aeste rund um das Reisig eingesteckt. Und – das Reisig liegt anders und die Zeichen sind weg!«

Schweigen folgte ... banges Schweigen.

Stille in dem großen Raume ...

Unzählige Fliegen nur umsummten die große elektrische Hängelampe ... –

Viktor Manz, dieser hübsche flotte Bursche, gab die Hoffnung noch immer nicht auf ...

»Bröseke, Du malst vielleicht ganz unnötig Gespenster an die Wand,« sagte er leise. »Wir werden eben abends nachsehen, ob die Leiche noch so in der Kiste liegt, wie ...«

»Ja – und uns dabei abfassen lassen!« brauste Bröseke auf. »Wenn da etwas faul in der Schonung ist, wird man schon Wachen aufstellen! Nur der Rütter steckt dann dahinter! Dem traue ich nicht!«

Da meinte die schlanke Hanni sehr schüchtern:

»Ob – ob wir nicht lieber alles im Stiche lassen?«

Abermals Schweigen ... Angstleere Augen schweiften von Gesicht zu Gesicht ...

Viktor Manz fuhr mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn ...

Seine Gedanken eilten plötzlich – ein jäher Sprung – zu der Geliebten hin ...

Helga – – Helga Marling!! Und er – – er?!

Ein Seufzer stahl sich über seine Lippen ...

Und mit jener Energie, die ihn den Kampf mit dem Dasein trotz seiner Entlassung aus der Bank und trotz aller Widerwärtigkeiten mit erneuter Kraft hatte aufnehmen lassen, erklärte er nun:

»Bröseke, gesetzt den Fall, es hätte uns jemand beobachtet und nachher den Inhalt der Kiste sich angesehen. Dann hätte dieser Jemand doch sofort Anzeige erstattet, und dann wäre Rütter längst hier bei uns gewesen ...«

Wieder lachte Bröseke schrill ...

»Oder Rütter wartet ab, mein lieber Manz, – wartet ab und ... kreist uns ein!«

»Ich ... wage es!« sagte Manz mit größter Bestimmtheit. »Wenn die arme Hortensia noch in der Kiste liegt, wenn die Kiste und die Tote noch vorhanden sind, können Deine Zeichen auch durch Holzdiebe niedergetreten worden sein!«

»Tu', was Du willst!« Bröseke zuckte die Achseln. »Jedenfalls soll eine der Mädels von Sonnenuntergang an in der Schonung sich verbergen und achtgeben, ob sich Leute dorthin schleichen ...« –

Die fünf trennten sich ...

Bröseke suchte Trost und Mut in ein paar Gläschen Kognak.

*

Viktor Manz war in den Holzstall gegangen. Dort stand neben den Rädern der beiden Gäste sein eigenes Rad. Er führte es ins Freie, pumpte die Schläuche auf und erwiderte auf Fannis Frage, die ihm aus Langeweile zuschaute:

»Bewegung will ich mir machen, Fanni, nichts weiter ...«

Sie lächelte zweifelnd ...

»Hm – und die geheimnisvollen Abendausflüge, deretwegen wir immer erst um halb zwölf anfangen können?!«

Manz schaute sie böse an ...

»Das sind meine Sachen, Fanni! das kümmert Sie gar nichts!«

»Arme Hortensia ...« meinte das Mädchen leise, wandte sich um und verschwand im Hause.

Viktor Manz sah nach der Uhr ...

Um halb elf hatte Helga sich mit ihm im Birkenwäldchen bei Reddin treffen wollen ...

Es wurde Zeit ... –

Als er den Landweg entlangradelte, schauten ihm von einem der Fenster der Mansarde des Wirtshauses sechs Mädchenaugen nach ...

»Er ist so verschlossen,« meinte Hanni ...

»Er ist hochnäsig ...« sagte Anni ...

Und die schwarze Fanni als ehrlichste erklärte:

»Ach – wir sind ja alle drei in ihn so ein wenig verliebt ...«

Was von den beiden anderen nicht weiter bestritten wurde. –

Viktor Manz hielt Helgas blonde Lieblichkeit in den Armen ...

Das zarte Grün der tief herabhängenden Birkenzweige umhüllte das junge Paar wie ein Schleier ...

»Nachmittags fahre ich mit der Tante Pastor nach Magdeburg,« sagte Helga traurig und machte sich aus des Geliebten Armen frei ... »Wir bleiben dort längere Zeit, Viktor ... Wie lange, weiß ich nicht ...«

Er erschrak etwas ... Er war heute mißtrauisch – gegen alle – gegenüber allem ...

»So plötzlich diese Reise ...?!« meinte er zaudernd. »Ob – ob etwa Pastors etwas gemerkt haben, mein Einziges?«

Sie lächelte so selbstsicher ...

»Bewahre – bewahre ...!!« – Das Lächeln erstarb. Ein versonnener, ernster Zug erschien um den jungfrischen Mund ...

Und sich an Viktor Manz schmiegend, bat sie scheu:

»Viktor, bevor wir uns nun trennen, erfülle mir doch ...«

Er unterbrach sie schon ... Mit erzwungener Lustigkeit deklamierte er:

»Nie sollst Du mich befragen,
Noch Wissens Sorge tragen,
Wie ich der Zukunft schönes Haus
Hier für uns beide baue aus ...«

Dann küßte er sie ...

Doch Helga drängte ihn von sich. Eine rührende hilflose Angst lag auf dem frischen lieben Gesicht ...

»Viktor, Du mußt es mir sagen – Du mußt! Ich ... ich habe in dieser Nacht so schlecht geträumt ... Ich ... ich ...«

Ein paar Tränen perlten ihr aus den weichen Augen ...

Sie hielt seine Hände ... preßte sie ...

»Ich darf nicht, Helga,« erklärte er beklommen. »Ich darf nicht ...! Ich ... habe mein Wort gegeben! Ich kann Dir nur immer wiederholen: Habe doch Vertrauen zu mir! In zwei Jahren hoffe ich ein wohlhabender Mann zu sein, kann mir dann meine beiden Herzenswünsche erfüllen: Dich – und ein kleines Landgut, meine Helga! – Und dann haben alle Heimlichkeiten ein Ende! Dann sollen auch Deine Eltern mich kennen lernen, dann ...«

Sie hatte seine Hände freigegeben, war plötzlich zurückgetreten, lehnte sich wie in einem Anfall von Schwäche an eine der hellen starken Birken ...

Er schwieg jäh ...

Unter ihrem prüfenden Blick schoß ihm das Blut zu Kopfe ...

Leise – ganz leise und schwer kam's über ihre Lippen:

»In ... zwei Jahren ein wohlhabender Mann, Viktor ...?! Heute – heute, wo das Geldverdienen so schwer ist?! – Viktor, wie viele Gedanken habe ich mir dieserhalb schon gemacht! Und die Gedanken haben mich ... reifer, ernster werden lassen ... – Viktor, schwöre mir, daß ...«

Blässe breitete sich über des Mannes Gesicht ...

Und – Helga stockte ... Beendete den Satz nicht – starrte zur Seite, wo in der Baumlücke die hohe, massige Gestalt des Onkel Pastors stand ... –

Pfarrer Herms kam langsam näher ...

»Geh' heim, Kind,« sagte er zu Helga. »Geh' ...«

Sie duckte sich zusammen – hob gleich wieder das brennend rote Antlitz ...

»Jetzt ist mein Platz hier an Viktors Seite. Onkel Pastor ...« erwiderte sie festen Tones ...

Viktor Manz war noch bleicher geworden ...

Herms wandte sich ihm zu. Die unter buschigen Brauen liegenden kühlen, klugen Augen des Pfarrers suchten in den Zügen des jungen Mannes zu lesen ...

»Wer sind Sie, Herr ...?« fragte er scharf, eingedenk der Warnung des Detektivs.

Manz verbeugte sich ...

»Viktor Manz, bis zum ersten April Beamter der Germania-Bank, Berlin ...«

»Und jetzt ...«

»Angestellter in einem Gasthof in Dalchow ...«

»Wo haben Sie Fräulein Marling kennengelernt?«

»Im März dieses Jahres bei einem Konzert. Wir saßen nebeneinander ...«

Pastor Herms geriet jetzt etwas in Verlegenheit. Er wußte nicht recht, wie er die unerquickliche Szene beenden sollte ... Außerdem gefiel ihm dieser junge Mann ... Tatsächlich – er gefiel ihm – – trotz all der Zweideutigkeiten, die mit diesem ... Hausknecht zusammenhingen.

Er überlegte kurz ...

»Ich vertrete hier Vaterstelle an Helga,« sagte er nun weniger unfreundlich. »Ich verbiete Ihnen daher weitere Zusammenkünfte mit Helga, und ich werde auch dafür sorgen, daß Helga fortan keine Gelegenheit mehr haben wird, von Ihnen irgendwie Nachricht zu erhalten ...«

Er nahm Helga bei der Hand ...

»Komm', Kind ...«

Und die blonde Lieblichkeit nickte Viktor mit tränenverschleierten Augen zu ...

Folgte dem Onkel Pastor ...

Schluchzte still in sich hinein ...

Herms zog ihren Arm in den seinen ...

»Helgachen, nun sei einmal ganz – ganz verständig ...«

Er glaubte sehr klug zu handeln, wenn er durch einen Gewaltstreich hier das zarte Pflänzchen Liebe zu zerstören suchte ...

»Höre mal zu, Helgachen ... Dieser Bursche da, der Dich umgarnt hat, ist trotz seines nicht unüblen Gesichtes ein Taugenichts, ein ... ein ... Verbrecher ...«

Stille ...

Dann – klar und laut aus dem Mädchenmunde:

»Ein Verbrecher ist Viktor niemals, Onkel. Da täuschest Du Dich!«

»So?! – Nun, darüber sprechen wir ein andermal, Kind ...«

Ihm ergeht es jetzt so wie vorhin, als er nicht wußte, wie er diese Aussprache mit Manz beenden sollte: er ist verlegen, er, der alte Pastor Herms! Verlegen, weil in den abwehrenden Worten Helgas so viel unerschütterliches Vertrauen gelegen hat, daß ihm dies wie eine neue Offenbarung erscheint.

Und das blonde Mädel an seiner Seite sagt da schon:

»Weshalb ein andermal, Onkel? – Ich kenne Dich doch ... Du wirst mich den Eltern nicht verraten. Nur mit Dir und der guten Tante will ich diesen Kampf um meine Liebe ausfechten. – Viktor ist ein Ehrenmann ... Nur eins fürchte ich: daß er, um zu Geld zu kommen, etwas ... Gefährliches unternimmt!«

Pastor Herms denkt an des berühmten Detektivs eindringliche Mahnung, ja nichts zu verraten.

Es wird ihm so bitter schwer zu schweigen. Und doch hält er sich an sein Versprechen. Erwidert nur:

»Kind, Kind, wie stellst Du Dir denn so eine gefährliche Art des Geldverdienens vor, Du kleines Dummchen?!«

»Das ... kann ich mir eben nicht vorstellen, und deshalb bin ich auch so ... so in Angst ...«

Herms bleibt stumm ... – Sie nähern sich dem Pfarrhause von den Feldern aus, betreten den Gemüsegarten durch die Hinterpforte.

Da flüstert Helga etwas scheu: »Weiß die Tante, Onkel Pastor ...?« – Kindlich-unbeholfen klingt die Frage ... Und Herms steigt es heiß in die Augen. Er bleibt stehen, hält Helgas Hände ...

»Mein Kind, schlage Dir doch den Menschen aus dem Sinn ...!«

Fast bittend sind die schlichten Worte ...

»Niemals!« Und Helga schaut den Pfarrer ohne Scheu an. »Niemals – und wenn Ihr alle gegen ihn seid ...!!«

Herms schüttelt den grauen Kopf ...

»Wir werden sehen ... wir werden sehen ...« murmelt er ... –

Und die Tante Pastor erfährt noch immer nicht, weshalb sie nach Magdeburg reisen muß ...

*

Harald Harst liegt im Garten des Grünen Sees nachmittags in einer nicht mehr ganz taktfesten Hängematte. Immerhin, es ist eine Hängematte, und wenn man drei junge Damen zur Gesellschaft hat, läßt es sich schon leben so als halber Kranker.

Der Herr Lehrer Hartwich macht denn auch ein recht zufriedenes Gesicht, plaudert mit den angeblichen Bröseke-Mädels (Gott weiß, wie sie in Wahrheit heißen mögen!) und raucht Zigaretten ... –

Freund Schreiber, der seines Bäuchleins wegen Bewegung braucht, ist vor einer halben Stunde spazieren geradelt.

Während Harst-Hartwich die heute nicht so recht munteren jungen Damen durch die Vielseitigkeit seiner Unterhaltungsgabe verblüfft und in Atem hält, schweifen seine Gedanken trotzdem hierhin und dorthin. Er besitzt wie selten einer die Fähigkeit, gleichsam doppelt sein Hirn zu beschäftigen.

Er weiß, daß Freund Schraut jetzt mit dem von Kommissar Bechert entsandten Beamten zusammentrifft, daß diese beiden dann mit Rütter zur Schonung schleichen werden, daß einer der drei Wache halten wird und die beiden anderen die Sargkiste ausgraben, füllen und wieder säuberlich einbuddeln werden ...

Er lächelt im stillen, wenn er an seinen schlichten Trick denkt, den fragwürdigen Bröseke in Sicherheit zu wiegen ...

Und gleichzeitig erzählt er Fanni, Anni, Hanni Scherze aus dem Schulleben ...

Oh – er versteht's, der Harst ...! Er kann alles ...

Und was er alles kann, beweist er jetzt, als Hanni plötzlich erklärt, sie wolle noch ein wenig in die Felder wandern ... bis zur Schonung ... Von dort könne man den Sonnenuntergang am besten genießen.

Harst weiß, daß Hanni dort in der Schonung sehr ungelegen kommt, daß ihr Erscheinen vielleicht alles verraten kann ...

Und so sagt er denn bittend:

»Nehmen Sie mich mit, Fräulein Hanni. Ich bin zwar ein Krüppel und kann nur humpeln, aber dafür will ich Ihnen auch eine nette rührende Novelle erzählen ...«

Hanni ist verlegen. Sie soll ja bis Dunkelwerden in der Schonung bleiben – als Aufpasserin! Sie merkt, daß sie hier soeben einen Fehler gemacht hat, derart vor Hartwich zu verraten, was sie vorhabe ...

Sie zögert mit der Antwort. Hartwich ist jedoch schon aufgestanden, reckt sich und meint schmunzelnd:

»Oho – ich fühle mich beinahe schon wieder als Riese! – Bitte – Ihren Arm, Fräulein Hanni ...«

Sie gehen ganz langsam den Gartenweg hinab zur Pforte der hohen Mauerhecke, vorbei an dem Saalanbau mit den drei vermauerten Fenstern ...

Und Harst-Hartwich bleibt mit einem Male stehen ... Fragt und schaut zum Saal ohne Fenster hinüber:

»Weshalb hat der Anbau eigentlich vermauerte Fenster, Fräulein Hanni ...«

Die blonde Hanni, groß und schlank, üppig und von tadelloser Figur, erwidert ohne Zögern:

»Der Vater züchtet dort im Dunkeln Champignons ...«

»Oh – das möchte ich mir mal ansehen ...,« meinte Hartwich begeistert. »In meinem Schulhause habe ich sehr weitläufige Keller, die sich vielleicht auch zur Champignonzucht eignen ...«

Hanni lacht gezwungen. »Der Vater wird Ihnen die Bitte abschlagen ... Er hat da eine besondere Art von Beeten angelegt, die er niemandem zeigt ... Nur der Landjäger Rütter war einmal mit im Saal, aber ganz zu Anfang ...«

»Na – dann nicht!« lacht Harst gleichfalls.

Und – sie gehen weiter ...

An der Pforte wieder ein Aufenthalt ...

Hartwich sieht eine Blindschleiche über den Weg huschen und behauptet, es sei eine Kreuzotter gewesen ...

Bricht einen dicken Ast aus den Haselbüschen und dehnt die Schlangenjagd mindestens fünf Minuten aus, während Hanni ängstlich weiter hinten steht und zusieht.

Und – sie gehen weiter.

Kornblumen blauen im Roggenfeld am schmalen Steige.

»Ach, pflücken Sie mir doch ein paar,« bittet Hartwich ... »Treten Sie aber keine Halme nieder, Fräulein Hanni ... Sie wissen doch, daß aus einer Roggenähre in vier Jahren ein Sack Getreide wird ...«

Hanni sucht blaue Kornblumen ...

Harst späht nach der Schonung hinüber ...

Seine vortrefflichen Augen entdecken den Kollegen Schreiber, der ihm zuwinkt, verschwindet ...

Und dieser besondere Wink besagte: »Alles erledigt!« –

Hanni überreicht das Sträußchen dem Herrn Lehrer Hartwich, der sich vielmals bedankt und dann seufzend erklärt:

»Ach, ich werde doch besser umkehren ... Mein Bein schmerzt mit einem Male ganz infam ...«

Wer ist froher als Hanni!!

Harst humpelt in den Garten zurück, und das blonde Mädel eilt weiter – in die Schonung hinein ...

Verlangsamt ihre Schritte, als sie sich der Stelle nähert, wo der Reisigberg liegt ...

Scheu blickt sie sich um ...

Unter den Kiefern flimmert es rot vom feurigen Sonnenuntergang ...

Still ist es hier ... so unheimlich still ... –

Hanni schreitet vorwärts, steht nun vor dem Reisighaufen – vor dem Grabe Hortensias ...

Und als sie sieht, daß nichts Verdächtiges, nichts Argwohn Erweckendes sie schreckt, falten sich ihre Hände unwillkürlich ... –

Andacht am Grabe ...

Und ernste – so ernste Gedanken für eine Hanni ...

Gedanken, daß sie selbst jede Nacht von einem ähnlichen Schicksal ereilt werden könnte ...

August Bröseke kennt ja keine Nachsicht ... Nein, der erzwingt, was er will. Der ist hart wie Granit – unbarmherzig ...

Hanni überläuft es kalt ...

Die Kiefern säuseln, – – feierlich ist's hier, wie auf einem richtigen Kirchhof.

Noch einen Blick auf das traurige Grab, und sie geht weiter – zum Nordrande der Schonung, zu dem Hügel, von dessen Kuppe sie die Felder weithin überschauen kann.

Hier setzt sie sich nieder ... –

Das Sonnengold im Westen verblaßt. Dämmerung kriecht über das Land, Nebel steigen aus den Torfmooren drüben auf ...

Der Abend kommt ...

Bauern ziehen von den Feldern heim, die Kartoffelhacke über der Schulter oder einen Karren vor sich her schiebend, der mit Grünfutter beladen ist und auf dem ein Kind sitzt ...

Friedliche Bilder schaut das einsame junge Weib ...

Und läßt die Gedanken wandern – hierhin – dorthin ... Zu Viktor Manz – zu dem Junggesellen Hermann Hartwich, der ihr fast noch besser gefällt als Manz ...

Frau ... Lehrer Hartwich ...!!

Da lächelt sie etwas geringschätzig ...

Ach nein – eine Hanni Bröseke ist für anderes geboren, nicht für die Enge eines spießbürgerlichen Haushalts ... –

Dunkler wird's – immer dunkler ...

Drüben geht der Förster Riemer mit seinem Sultan auf den Anstand ...

Arme Rehböcke!! –

Dann fährt das Mädchen leicht zusammen ...

Hinter ihr im Baumschatten steht Viktor Manz ...

»Nun?« fragt er kurz. – Seit dem Vormittag ist er so übler Laune – noch wortkarger als sonst ...

»Alles sicher ...«

»Gut ... dann fange ich an ...«

Und er verschwindet wieder ...

Hannis Gedanken begleiten ihn. Sie sieht, wie er den lockeren Sandboden mit dem Spaten zur Seite wirft, wie das Loch tiefer und breiter wird, wie der Kistendeckel erscheint, wie er ihn öffnet ...

Was – was wird er finden? Wird die Tote noch dort ruhen, wo sie in der verflossenen Nacht bestattet wurde? –

Und Hanni sieht in Gedanken, daß Manz das Loch wieder zuwirft, den Sand festtritt, ebnet und Kiefernadeln darüberstreut, dann das Strauchwerk wieder aufhäuft ...

Und – – fährt abermals zusammen ...

»Kommen Sie, Hanni,« sagt Viktor Manz gepreßt.

Sie steht auf ...

Sie gehen um die Schonung herum ...

»Ihr Vater hat sich überflüssigerweise gesorgt,« erklärt Manz. »Die arme Hortensia liegt mit ihrem blutigen Kopf still und friedlich in dem armseligen Sarge ...«

Hanni atmet erleichtert auf ...

Fragt dann:

»Haben Sie sich denn so gar nicht ... gefürchtet, Viktor?«

Er zaudert ... erwidert ehrlich: »Schwer ist es mir geworden ... Gerade weil es Hortensia ist ... – Armes, armes Weib ...« –

Und als sie das Wirtshaus betreten, kommt ihnen Bröseke schon entgegen ...

Auch er atmet auf ... Und begießt die Geschichte mit Kognak ...

*

Schreiber kehrte gegen neun Uhr von der Radpartie bestaubt, müde, schwitzig, aber mit tadelloser Laune zurück ...

Aß mit Hartwich im Garten Abendbrot, gähnte viel, scherzte mit Hanni und erklärte, er würde nun wie ein Toter schlafen.

Um halb zehn verschwanden die Freunde in ihrem Zimmer ...

Schlossen sich ein, legten sich auf das Sofa ...

»Los ...!« befahl Hartwich. »Zuerst Bericht über Becherts Feststellungen ...«

Max Schraut – im Depeschenstil: »Gerda Gardani, Hilda Novarra und Luigi Luisiano sind alte Bekannte und ... pleite. Vermögensverhältnisse oberfaul. Die Novarra wohnt bei der Gardani, und Luigi, der Kunstpfeifer, haust in der Dreizimmerwohnung der Mutter der Novarra, die schlicht bürgerlich Neumann heißt. Alle drei verdienen zur Zeit nichts ... Die Gardani ist von den Filmfabriken in Verruf erklärt, weil sie dreimal kontraktbrüchig geworden ...«

»Gut – genügt ... – Und in Pankow?«

»Das Haus Pankow, Essener Straße 64, gehörte einem August Bröseke, der früher Kunstreiter war ...«

»Aha!!« machte Harst ...

»Ich ließ mir diesen Bröseke von dem im Hause Nr. 64 wohnenden Friseur telephonisch beschreiben. Mit unserem Bröseke hier keinerlei Aehnlichkeit: der echte ist klein, mager, trägt gefärbten Schnurrbart und braune Perücke, eitler alter Narr, der lediglich um seine drei Mädels Fanni, Anni, Hanni zu beneiden sei, sagte der Friseur ...«

»Aha ...!!«

»Dann Punkt drei: der Kriminalbeamte! – Ist eingetroffen, heißt Meisel und ist derselbe Meisel, den wir schon kennen. Tüchtiger Kerl ...!«

»Stimmt ... – Und der Arzt?«

»Den Doktor Moitosch aus Werder habe ich glücklich abgefaßt und eingeweiht. Der Hortensia Bienert geht es tadellos. Der Schädelbruch ist ganz leicht nur, und lediglich eine tiefe Bewußtlosigkeit kann Bröseke den Tod vorgetäuscht haben. Der Arzt betonte, daß die Hortensia bei klarem Verstand sei, nur leichtes Fieber habe und offenbar nicht reden wolle. Er hat recht gütig auf sie eingesprochen und sie gefragt, wer sie niedergeschlagen habe. Sie hat geschwiegen, und auch mit Rütter und seiner Schwester hat sie noch kein Wort gewechselt ...«

»Hm – schon faul ...!!«

»Weshalb denn?«

»Weil wir bei der ganzen Geschichte auf dem Holzwege sind ...«

»Also: Bröseke-Merina ist hier ein Unschuldslämmchen?! Hat den Saal nur für Champignons zugemauert?!«

»Nein ... Nicht für Champignons. Die Beete, die Rütter gesehen, sind längst nicht mehr da ...«

»Und – –?« fragte Schraut sehr gedehnt ...

»Und – wir hätten lieber in Berlin bleiben sollen. Das hier ist überhaupt kein Kriminalfall – trotz der verscharrten Leiche ...«

»So?!«

»Ja – so!! Das ist ganz etwas anderes, freilich ebenso Interessantes. Und da wir die Geschichte nun einmal begonnen haben, müssen wir sie auch zu Ende führen, müssen es schon Rütters wegen, um dessen Beamtengewissen durch den Beweis zu beruhigen, daß der Saal ohne Fenster die Behörden nichts angeht ...«

Schraut schlackerte mit dem Kopf ...

»Lieber Harald, das ist mir zu hoch, das verstehe ich nicht! All die Heimlichkeiten, all diese merkwürdigen Dinge, die mit dem Pankower Hausverkauf beginnen und dann hier weiterspielen, wo die echten Töchter des echten Bröseke die falschen Töchter des falschen Bröseke, eines Zuchthäuslers, markieren und wo ... – Himmel, da wird einem ganz schwindelig, wenn man sich das alles so recht vergegenwärtigt!«

Harst lachte leise ...

»Nicht wahr – und dann noch der feine Hausknecht, heimlich Verlobter einer Oberregierungsratstochter, und die eifersüchtige Hortensia und das Motorboot Poseidon nebst Inhalt ...! – Ach ja – das ist allerhand!!«

»Was ist es?«

»Bitte – strenge mal Deinen geehrten Grips etwas an, mein Alter ...! Wenn es sich um kein Verbrechen handelt, – was kann es dann nur sein?«

Schraut grübelt nach ...

Der arme Schraut zermartert sich den Schädel ...

»Filmaufnahme!« sagt er schließlich, nur um etwas zu sagen ...

»Blech!!«

»Ich ahnte es: Blech!!« Und Max Schraut seufzt.

Harst zieht die Uhr ... Im dunkeln Zimmer leuchtet das Zifferblatt ...

»Elf ... Es wird Zeit!«

»Und – wozu?« fragt Schraut unsicher.

»Zum Angriff auf den Saal ohne Fenster ...! Man glaubt uns längst im tiefen Schlaf ... Wir können in aller Gemächlichkeit beginnen ... Suche unser Handwerkszeug hervor ...«

*

In dem Häuschen des Landjägers Rütter unten am See brannte im Stübchen Therese Rütters das Krankenlämpchen am Lager Hortensias ...

Ein Lämpchen mit grünem Seidenschirm ...

Ein Lämpchen, das Hortensia sehr angenehm war.

Soeben hatte sich Fräulein Therese herbeigeschlichen, um zu lauschen, ob Hortensia auch schliefe oder ob sie irgendwelche Wünsche habe ...

Und da hatte die Kranke zum ersten Male etwas gesprochen ...

»Sie sind so gut zu mir ... so gut ... Aber Sie sollen meinetwegen nicht wachen. Ich fühle es, ich bin ganz fieberfrei ...«

Therese war glücklich, daß der seltsame Gast das Schweigen endlich brach ...

Und Hortensia bat nun um ein wenig Kaffee – kalten Kaffee. Das würde sie erfrischen ... –

Therese sah ein, daß eine Nachtwache wirklich nicht mehr nötig war.

Eine halbe Stunde drauf schlief sie ganz fest vorn im Arbeitszimmer ihres Bruders auf dem breiten Sofa ...

Hortensia Bienert ... schlief nicht ...

*

Und ebensowenig schlief der frische alte Pastor von Reddin, der ewig junge ...

Um neun Uhr abends hatte ihn eine Depesche seiner Frau aus Magdeburg erreicht ...

 

»Helga während Herreise aus dem Zuge verschwunden. Schaffner behauptet, in Brandenburg ausgestiegen. Hat Depesche hierher geschickt, daß erst morgen abend einträfe. Was tun? – Anna.«

 

Kein Wunder, daß auch dem Herrn Pastor ob dieser etwas unklaren Alarmnachricht so etwas wie ein Fluch entschlüpfte ...

Kein Wunder, daß er wie ein gereizter Löwe in seinem Studierzimmer auf und ab lief und Helga mit Schmeichelnamen belegte, die in keinem Lexikon zu finden sind ...

Ja – der alte Herr Herms war eben ein temperamentvoller Mann! –

Schließlich beruhigte er sich etwas und begann nun die Sachlage bei einer Zigarre kühl zu prüfen ...

Trank dabei drei Flaschen Patzenhofer dunkel und kam endlich zu dem Entschluß, sofort trotz der nächtlichen Stunde nach Dalchow zu radeln und im Grünen See den Wirt herauszuklopfen und zu fragen, ob der Hausdiener Viktor Manz daheim sei ...

Denn natürlich hatte diese blonde kleine Kanaille sich auf der Fahrt nach Magdeburg nur dünne gemacht, um ihren Liebsten zu besuchen und ihn zu fragen: »Bist Du ein Verbrecher, süßer Viktor?!«

»Die verflixte Liebe!!« brummte der Pastor, als er seine Tretmaschine die Steinstufen hinab auf die Dorfstraße trug ...

Schwang sich in den Sattel, der alte junge Pastor, und gondelte gen Dalchow ...

*

Harst und Schraut standen vor der Hintertür des Saalanbaus im Garten ...

Es war jetzt halb zwölf ...

Soeben hatte Harst mit Hilfe des Patentdietrichs das Schloß der Tür geöffnet.

Sie schlug bestimmungsgemäß nach außen.

Aber als er sie nun vollends aufgezogen hatte, fiel das Sternenlicht der Julinacht auf ... eine zweite Tür, auf matt schillernde Eisenblechplatten und drei Schlüssellöcher ...

»Nette Bescherung!« flüsterte Schraut ...

Harst legte das Ohr an diese zweite Tür ...

Hörte etwas ...

Fuhr leicht zurück ...

Auch Schraut hatte den dumpfen Knall mehrerer Schüsse vernommen ...

Die Freunde schauten sich an ...

»Das verstehe ich nicht ...,« meinte Harst leise und etwas beunruhigt. »Sollte ich doch etwa mit meiner Theorie entgleisen?!«

Dann näherte er den Kopf wieder der Tür ...

Horchte aufs neue ...

Versuchte, durch eines der Schlüssellöcher zu spähen.

Über hinter der Tür mußte noch ein dicker Vorhang hängen ...

Er sah nichts – nichts, nicht einen einzigen Lichtstrahl ... –

Schraut fragte gespannt:

»Hörst Du etwas ...?«

»Nein ...«

»Dann doch los – rein mit dem Dietrich! Die Schlösser ...«

Schraut stieß einen ganz merkwürdigen Ton aus – ein dumpfes Aechzen ...

Und diesem Aechzen war ein anderer dumpfer Ton vorhergegangen ...

Harst fühlte einen Stoß im Rücken – wandte sich halb um ...

Sah den Freund zu Boden gleiten ...

Und – erhielt gleichfalls einen Hieb gegen den Hinterkopf, daß er augenblicklich das Bewußtsein verlor ...

Doch nicht für lange. Als er wieder zu sich kam, lag er in der einen Ecke des Glanzledersofas im Zimmer Hanni Brösekes, war zu einem wehrlosen Bündel zusammengeschnürt.

In der anderen Sofaecke aber lehnte der noch ohnmächtige Schraut, während auf dem Tische diese elektrische billige Stehlampe brannte und an dem Tische auf einem der Rohrstühle ein kleiner Kerl mit einem schwarzen Lappen vor dem Gesicht saß – einem Lappen mit großen Augenlöchern ... –

Harst brummte der Schädel wie ein Bienenhaus. Aber seine Gedanken klärten sich schnell ...

Der erste dieser Gedanken war: »Die Schüsse im Saal ohne Fenster und dieser Ueberfall scheinen in der Tat meine ganzen Vermutungen über den Haufen zu werfen. Noch gebe ich mich jedoch nicht geschlagen!«

Und ein langer klarer prüfender Blick traf den kleinen Kerl, der da auf dem Stuhle hockte und sein Gesicht zwar verhüllt hatte, nicht aber seinen stutzerhaft modernen Anzug und die schmalen Hände mit den funkensprühenden Brillantringen.

Zuerst schoß es beim Anblick dieser Ringe Harst durch den Kopf: Eine der Bröseke-Mädels, verkleidet ...!

Doch sofort verbesserte er diese offenbar irrige Annahme. Das da waren keine schmalen zarten Mädchenhände! Das waren sehr muskulöse Pranken von respektablen Ausmaßen! Also – ein Mann! –

Und dieser kleine Mann beobachtete jetzt den berühmten Detektiv gleichfalls und ... hob den rechten Arm mit einem Male vom Schoße, zeigte so einen Revolver älterer Konstruktion, legte ihn mit recht eindrucksvoller Bewegung vor sich auf den Tisch und sagte mit verstellter Sprache in tadellosem Englisch:

»Wer sind Sie?»

Im selben Moment regte sich Max Schraut ...

Seufzte, atmete einige Male japsend und riß die Augen auf ...

Harst hatte den Kopf gedreht.

»Na, mein Alter, nun hast Du ja auch Deine fünf Sinne wieder beisammen. Wie fühlst Du Dich?«

»Wie ein ... Kürbis! Mein Leib ist futsch, und nur der Schädel scheint Riesendimensionen angenommen zu haben ...« – Das klang noch recht matt ...

»Oh – das Gefühl vergeht schnell ...,« tröstete Harst ...

Schraut hatte nun den Kleinen entdeckt, auch den Revolver ...

Und meinte bissig: »Da hast Du ja die ... harmlose Geschichte ...!! Nett, harmlos!!«

»Ein belangloser Zwischenfall, diese beiden Hiebe, lieber Alter ... Ganz belanglos ... Es ist nämlich noch jemand hier im Zimmer – eine Tote ...«

Und sein Blick zeigte die Richtung an, in die halbdunkle Ofenecke. Dort saß ein zweiter Mann – auch mit primitiver Maske vor dem Gesicht ... Aber über dieser Maske schimmerte es an der Stirn merkwürdig weiß – wie von einem Verband, der die Stirn und das Haar verdeckte.

Schraut starrte hin ... Der Verband und Harsts halb ironisches Wort »eine Tote« klärten die Situation.

»Hortensia Bienert!« sagte Schraut ganz laut ...

Freilich ...!«

Der Kleine am Tisch krähte da wieder in englischer Sprache:

»He – wer sind Sie? – Antworten Sie! Oder ich knalle Sie beide über den Haufen!«

Harsts heiteres Auflachen ließ den Knirps erschrocken zusammenfahren. Rasch griff er nach der Waffe ...

»Lassen Sie die Knallbüchse nur liegen,« sagte Harald Harst gemütlich. »Wir werden uns auch so in Güte einigen ...«

Der Kleine war offenbar sehr verlegen. Harsts Benehmen verwirrte ihn.

Und er fügte schon hinzu:

»Hortensia ist dem Herrn Landjäger Rütter regelrecht ausgerückt, hat gefürchtet, daß der Grüne See umstellt sein könnte, hat sich daher Hilfe geholt, und sie und der kleine Herr da vor uns haben uns bei der Arbeit an der Saaltür überrascht ...«

Schraut war noch längst nicht im Bilde. Auch er sah ja die Brillantringe des Kleinen und den geckenhaften Anzug ... Aber er sah nicht in der Krawatte des Knirpses das Hufeisen aus Brillanten ...

Und daher fragte Schraut den Freund mit einiger Spannung:

»Wer ist das eigentlich? Ein neuer Mann im Spiel?«

»Durchaus nicht. Sogar der personifizierte Anfang des Ganzen ...«

Jetzt krähte der Kleine jedoch wieder, und abermals auf englisch:

»Oh – ein paar so freche Kerle sind mir doch noch nicht vorgekommen!«

»Sie verwechseln kaltblütig und frech, Herr August Bröseke der Echte!« sagte Harst lächelnd. »Haben Sie hier im Dorfe ebenfalls gewohnt? Anscheinend doch ja ...!«

Bröseke der Echte hatte vor Schreck den Revolver weggelegt ...

Es erschien ihm unfaßbar, daß jemand ihn erkannt haben sollte ...

Und völlig vertattert bat er jetzt:

»Wer – wer sind Sie? Sprechen Sie doch ...!«

»Das tue ich ja fortwährend, Herr Bröseke ... – Nehmen Sie uns jetzt mal schleunigst die Fesseln ab ... schleunigst!«

In der Ofenecke ein Geräusch ...

Eine etwas schrille Stimme:

»Frechheit!!«

»Sie sollten höflicher sein, Hortensia,« meinte Harald Harst sehr freundlich. »Ich weiß, was Ihre Bande hier treibt ... Ich ließ mich zwar durch die im Saale anscheinend ertönenden Schüsse stutzig machen ... Ebenso durch diesen Ueberfall auf uns beide, der besser unterblieben wäre ... Aber – nun bin ich meiner Sache doch sicher, und ich nehme es Ihnen nicht einmal übel, daß Sie Ihr Geheimnis so mit Nachdruck verteidigt haben ...«

Und Hortensia darauf – gereizt und ärgerlich:

»Hören Sie auf mit dem Geschwafel!! Daß Sie beide nicht Lehrer sind, wissen wir jetzt ... Wahrscheinlich sind Sie beide Kollegen, die hier im Trüben fischen wollen ...!«

Auch August Bröseke der Echte hatte seine Mannhaftigkeit wiedergefunden, nahm abermals den Revolver in die Pfote, stand auf ... drohte, und diesmal klang's schon ernster ...

»Wenn Sie jetzt nicht gehorchen, knallt's wirklich!«

Die Antwort kam vom offenen Fensterflügel her, durch den Bröseke, der ehemalige Kunstreiter, und Hortensia ihre Gefangenen ins Zimmer geschafft hatten ...

Die Antwort kam aus einem sonst sehr friedfertigen bärtigen Munde ...

*

Der Herr Pastor Herms hatte eine ganze Weile an der Vordertür des Grünen Sees geläutet, hatte sogar mit den Fäusten gegen die geschlossenen Fensterladen getrommelt, schließlich aber die Geduld verloren und den Seiteneingang des Wirtsgartens etwas gewaltsam geöffnet.

Auf dem Hofe lehnte er sein Rad gegen einen Baum und wollte nun hier an der Hintertür sich bemerkbar machen ...

Zunächst aber nahm er mal den großen schwarzen Schlapphut ab und trocknete die Schweißperlen von der Stirn. Die Nacht war warm, und er hatte von Reddin bis hierher kaum fünf Minuten gebraucht ...

So stand er denn vor der Hintertür, den Hut in der Linken, – massig, kernig, kein Greis, der alte junge Pastor von Reddin ...

Stand und ... ließ mit einem Male die Hand mit dem Taschentuch sinken ...

Horchte ... horchte ...

Täuschte er sich ...?!

Hinter ihm – wie Windessäuseln – – zaghaft ... angstvoll:

»Onkel ... Onkel Pastor ...!« Und nochmals ... »Onkel ... Pastor ...!«

Da fuhr er herum ...

Und erkannte im Dämmer der Sommernacht des blonden Wildfangs holde Lieblichkeit – im dunkeln Gummimantel ...

»Mädel – – Mädel ...!!«

Sie flog auf ihn zu – schluchzte an seiner Brust ...

Ein halbirres Gestammel ...

Und immer schärfer gab der alte Pfarrer auf die sich überstürzenden Worte acht ...

»... Zwei Männer ... und ... sie wurden niedergeschlagen ... dort an der Saaltür ... Ach Onkelchen, ich ... ich bin noch halb tot vor ... vor Entsetzen ... Und wenn ich nicht immer an Viktor gedacht hätte, der ... der mir nun endlich sagen sollte, was er hier ... hier treibt, dann ... hätte ich nie den Mut gefunden, den ... den brutalen Menschen ... nachzuschleichen ... In ein Zimmer dort drüben haben sie die beiden getragen und ... und sie durch das Fenster hineingehoben ... Und von den Vorhängen der Fenster schnitten sie Stücke ab und banden sie ... vor die Gesichter ...«

»Kind, Du ... phantasierst ...,« meinte der Pastor unsicher ...

Und – er dachte sofort an die beiden Detektive ...

»Es ist alles Tatsache, Onkel ...,« flüsterte Helga sehr bestimmt. »Komm' nur, Du kannst hören, was sie sprechen ... Der eine Fensterflügel ist noch offen ... Der Vorhang schließt nicht ... Man kann auch hineinsehen, Onkel ...«

*

Aus einem sonst sehr friedfertigen bärtigen Munde erklang die Antwort auf August Brösekes Drohung ...

Vom Fenster her, wo der Pfarrer von Reddin den Vorhang leise zur Seite geschoben hatte ...

»Legen Sie den Revolver weg!«

Des Pfarrers Stimme war gewaltiger denn je von der Kanzel herab, wenn er die sanft schlummernden Bäuerlein aufwecken wollte ...

Und vor Schreck ließ Bröseke der Echte die Waffe fallen ... Stierte seitwärts, wo der Pfarrer Herms nun gemächlich durch das Fenster einstieg ...

Hortensia Bienert wollte zuspringen und den Revolver retten. Ein Schwächeanfall ließ sie auf den Stuhl zurücksinken.

»Guten Abend, Herr Harst,« sagte der Pastor und hob die Waffe auf ... »Es freut mich, daß ich hier in dieser Räuberbude gerade zur rechten Zeit erschienen bin ...«

Und zu Bröseke:

»Nehmen Sie den Herren die Stricke ab, Sie kleiner Bandit! Etwas fix!«

Bröseke stand da – mehr tot als lebendig ...

»Jetzt ... ist ... alles ... aus!« stöhnte er. »Mein ... mein schönes Geld ...!!«

»Sie sind verrückt!« brauste Herms auf. »Was faseln Sie da zusammen?! Ihr Geld?!«

»Oh – Herr August Bröseke hat ganz recht, Herr Pfarrer,« erklärte Harst milde. »Die Sachlage ist nämlich nicht so ganz leicht zu durchschauen. Ich bin auch nur durch die Trikots dahintergekommen ...«

Herms blickte den berühmten Detektiv prüfend an.

»Hm – der Hieb auf den Kopf scheint Ihnen geschadet zu haben, Herr Harst ...!«

Harst lächelte. »Durchaus nicht! Sie glauben, auch ich fasele, – der Trikots wegen ... – Es wird alles klargestellt werden, sofort ...«

Bröseke war jetzt auf den Namen Harst aufmerksam geworden ...

Er riß den Lappen vom Gesicht, beugte sich vor, stierte den Detektiv an ...

»Sie ... Sie sind Harald Harst?«

»Gewiß ... Und Sie der ehemalige Kunstreiter Bröseke, der drei nette Töchter hat, der sein Haus in Pankow verkaufte, damit der andere Bröseke, der Merina, hier den Grünen See erwerben könnte, dessen geräumiger Saalanbau Ihnen sehr geeignet erschien ...«

Bröseke stöhnte kläglich ...

»Schonen Sie uns, Herr Harst ...! Wir sind schon so weit mit der Sache – fast fertig ... Alles klappt ...«

»Aha – doch ein Film!!« meldete sich Schraut aus seiner Ecke ...

Bröseke löste schon Harsts Fesseln ...

»Nein – kein Film,« meinte er ...

Und Harst – lachend: »Eine Champignon-Plantage auf Zementboden – – der Saal ohne Fenster!«

Herms stand dabei – mit einem Gesicht, als hätte er Irrsinnige vor sich ...

Aber Harald Harst erklärte nun:

»Herr Bröseke, ich werde Sie schonen ... Ich werde auch mit Rütter alles in Ordnung bringen ... Er wird schweigen ... – Eine Frage: wissen denn die im Saale schon, daß Sie die beiden Lehrer ... kaltgestellt haben?«

»Nein ... nein! Ich wollte erst mal herausbringen, wer Sie beide sind ...«

»So – das ist gut ... dann können wir ja gehen ... – Herr Pfarrer, fragen Sie nichts ... Ich sehe da Fräulein Marling am Fenster ... Auch das Fräulein wird nun den Beweis erhalten, wozu Liebe fähig ist ... – Hortensia, kommen Sie mit. Ich stütze Sie ... Sie sind noch recht schwach ...«

Die sechs Personen standen nun vor der Hintertür des Saales ...

Harst zog den Patentdietrich aus der Tasche, führte ihn in das oberste Schlüsselloch der eisenbeschlagenen Tür ein ...

Helga hatte den Onkel Pastor umschlungen. Sie war so blaß ...

Und August Bröseke hielt Hortensia, während Max Schraut zum Himmel schaute, als wollte er die Sterne befragen, was nun eigentlich im Saal ohne Fenster vorgehe ... –-

Das Schloß knackte ...

Und Harst nahm das zweite vor ...

Das dritte ...

Zog die Tür auf – ganz sacht ...

Nicht nur ein einzelner, sondern zwei sehr dicke Vorhänge versperrten noch den Einblick in den Saal ...

Doch ... allerhand Geräusche vernahm man bereits.

Wieder ein paar Knalle wie Pistolenschüsse ... Ein Surren, Rasseln, dazwischen Kommandorufe ...

Hinter Harst drängten sich jetzt der Pastor, Helga und Schraut dicht zusammen.

In einer Spannung, die von Sekunde zu Sekunde wuchs ...

Bis Harst nun die dicken, schweren Vorhänge, die den Schall dämpfen sollten, etwas lüftete ...

Was man da sah, war so überraschend, daß der gute Pastor einen Moment allen Ernstes glaubte, daheim im Bett zu liegen und nur sehr unruhig zu träumen ...

Da waren Lattengerüste aufgebaut ...

Da bestrahlten vier elektrische Bogenlampen sausende Motorräder-Gestalten in Trikots ...

Da rasten die drei Bröseke-Mädels, Viktor Manz und die drei aus dem Motorboot Poseidon in wahnsinniger Fahrt über schmale Stege ...

Alle in Trikots ...

Und vollführten Tricks, die ich, Max Schraut, der ich dieses unser Abenteuer hier in Romanform schildere, nicht verraten darf ...

Da stand auf einer Art Plattform Wilm Merina als Leiter des Ganzen ...

Korrigierte – bemängelte – schimpfte ...

Bis er eine Trillerpfeife an den Mund führte und – – die Probe abgebrochen wurde ...

Die Motorräder hielten ...

Die Künstler sprangen ab ...

»Guten Abend!« sagte Harst und trat vor, indem er gleichzeitig die »tote« Hortensia mit sich zog.

Die Künstler standen – – wie gelähmt ...

Wilm Merina brüllte: »Verrat – – Verrat ...!!« Erkannte Hortensia, wich entsetzt zurück ...

»In der Kiste liegt ein Wachskopf, Herr Merina. 5ie brauchen keine Angst vor Geistern zu haben ... Wirklich nicht!« meinte Harst freundlich. »Und auch von Verrat ist hier keine Rede. Ich werde Ihr Geheimnis hüten, und die anderen werden ebenfalls schweigen. Hortensia verunglückte gestern bei der Probe. Und ich sah, daß Sie, Herr Merina, ein blutiges Trikot verbrannten. Schon da dämmerte mir die Wahrheit ... – Ich weiß, daß Artisten, wenn sie eine neue Nummer einüben, überaus verschwiegen und vorsichtig sind, damit Kollegen ihnen nicht die Tricks ablauschen. Und deshalb haben Sie eben hier in der Einsamkeit Ihre in der Tat verblüffende Nummer eingeübt, mit der Sie fraglos viel Geld verdienen werden ...«

Wilm Merina hatte sich erholt ...

Verbeugte sich ...

»Ich danke Ihnen, mein Herr ... Mit wem habe ich die Ehre?«

»Mit Harald Harst ...«

»Oh – dann ist alles gut – sehr gut! – Gestatten Sie zu bemerken, Herr Harst, daß ich im Zuchthaus meine Vergehen ehrlich bereut und dort in den stillen Stunden diese Nummer mit allem Drum-und-Dran ersonnen habe, daß mein alter Freund Bröseke dann das Geld hergab und daß Herr Viktor Manz wieder uns die Motorräder billig besorgte und sich beteiligte ...«

Helga hatte sich Viktor genähert ...

Ganz zaghaft ...

Und er kam, nahm sie bei der Hand und ... ging mit ihr in den Garten hinaus ...

Der Onkel Pastor schwieg dazu ...

*

Ich, Max Schraut, habe zu dem Problem »Saal ohne Fenster« nicht mehr viel zu sagen ...

Nur das eine: Viktor Manz stellte einen Ersatzmann und schied aus der Merina-Gruppe aus, da Helgas blonde Lieblichkeit es nicht duldete, daß er sein Leben weiter aufs Spiel setze, und weil Harald Harst ihm eine sehr gute Anstellung bei einer Automobilfabrik besorgt hatte. –

Ich, Max Schraut, finde, daß die Lösung dieses Problems einigermaßen überraschend ist ...

Ich hoffe, der Leser wird das bestätigen ...

Nächstens warte ich mit einem noch überraschenderen auf ...

Deshalb: Wiedersehen, meine Damen und Herren ... Und bitte vergessen Sie nicht, die Antenne zu erden – Pardon, wollte sagen: auch unser folgendes Abenteuer zu verschlingen ...

 

Ende.

 


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