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Die wandelnde Mumie

1. Kapitel.
König Eneochar von Aegypten

Wir saßen gegen elf Uhr vormittags in Harsts vornehm eingerichtetem Arbeitszimmer und warteten auf den Brief, den uns die Wettgegner durch einen Eilboten zustellen wollten und der die neue Aufgabe enthalten würde.

Harst sprach über das Liebespaar, dem er in Blinkenstein eine Heirat erleichtert hatte. Ich stand am Fenster und beobachtete eine Regenwolke, die uns vorhin einen kräftigen Schauer gebracht hatte und die nun nach Osten zu über Berlin hinwegzog.

Dann rollte ein Auto vor das Haus. Eine tief verschleierte Dame stieg aus. sah sich ängstlich um, drückte dem Chauffeur Geld in die Hand und lief nun leichtfüßig durch den Vorgarten auf die Eingangstür zu.

Harst war neben mich getreten, sagte: »Sie hat Angst vor Verfolgern. Sie wohnt in einem westlich gelegenen Vorort, hat erst vor kurzem ihre Wohnung verlassen – vor vielleicht einer Viertelstunde, hat nicht gleich ein Auto gefunden und will meinen Rat oder meine Hilfe erbitten. – Ah – da läutet er schon. Oeffnen Sie. Schraut.«

Ich führte die Dame hinein, Harst bat, sie möchte im Klubsessel am Fenster Platz nehmen. Sie war elegant gekleidet. Der Schleier verhüllte ihr Gesicht vollkommen.

»Sie gestatten, daß mein Privatsekretär im Zimmer bleibt, gnädiges Fräulein,« begann er nun. »Glauben Sie, daß Ihre Verfolger bis hierher hinter Ihnen geblieben sind?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, nein, Herr Harst. Aber – woher können Sie wissen, daß –«

»Oh – das ist so einfach. Ich weiß noch mehr. Sie wohnen vielleicht in der Villenkolonie Grunewald, im westlichen Teil. Sie haben Ihr Haus vor etwa einer Viertelstunde verlassen. Es dauerte eine Weile, ehe Sie ein Mietauto fanden. Dann haben Sie den Chauffeur auf Umwegen hierher dirigiert – der Verfolger wegen. Sie sind unverheiratet, radeln gern, gehören dem sehr exklusiven Tennisklub »Berlin 1900« an; Ihr Vater war oder ist eine bekannte, sehr angesehene Persönlichkeit, hat manche Eigenheiten –«

»Ja – mein Gott, wissen Sie denn, daß ich Hildegard Burmeester bin?« rief die Dame dazwischen.

»Jetzt erst weiß ich's. – Sie sind zu mir als dem durch die Zeitungen einigermaßen berühmt gewordenen Privatdetektiv gekommen. Ich wäre ein Stümper, wenn ich nicht all das, was ich Ihnen soeben erklärt habe, durch bloße Kombinationen herausgefunden hätte, – Ihre Hast, mit der Sie hier ins Haus liefen, Ihr scheues Wesen draußen neben dem Auto verrieten mir, daß Sie fürchteten, man könnte Ihnen gefolgt sein. Ihr Schirm ist recht naß. Jene Wolke dort kam von Westen, muß also im Westen zuerst einen Regenschauer gebracht haben und zwar vor nicht langer Zeit. Der Schirm also sagte mir, wo ich Ihr Heim zu suchen hätte. Denn – wohnten Sie im Osten irgendwo, hätten Sie schon vor dem Beginn des Regens im Auto gesessen. Derselbe recht feuchte Schirm deutet aber auch auf längeren Aufenthalt auf der Straße hin, das heißt, – Sie suchten einen Kraftwagen. Wären Sie nun direkt zu mir gefahren – ohne Umwege – hätte das Verdeck des Autos nicht so triefen können. Sie sind ganz sicher gerade immer unter der Regenwolke geblieben, deren Naß nur einen geringen Raum traf. Sie tragen sehr eng anliegende Handschuhe. Die Ringe zeichnen sich deutlich ab. Aber – ein Ehereif fehlt. Daher »gnädiges Fräulein.« Dann zeigt das Oberleder Ihrer braunen Schnürschuhe innen an den geschwungenen Teilen jene charakteristischen Krater, wie sie Pedale eines Rades hervorrufen. Ferner steckt in Ihrer Krawatte das goldene Abzeichen jenes Klubs. Dieser nimmt nur Mitglieder aus ersten Familien auf. Also muß Ihr Vater angesehen sein. Ihre Kleidung, Ihr Schmuck, die goldene Schirmkrücke verraten Reichtum, desgleichen die Wohnung, die doch, da Sie vorhin zustimmend nickten, wirklich in der Villenkolonie Grunewald liegt. Die meisten dort Ansässigen haben eigene Autos. Wenn Sie nun ein Mietauto benutzten, so konnte vielleicht daraus abgeleitet werden, daß Ihr Vater sehr sparsam und nicht für den Luxus eines Kraftwagens zu haben ist – also eine Eigenheit. Jeder Mensch besitzt ja mehrere – selbst der tugendhafteste, dann ist eben diese Tugendhaftigkeit seine Besonderheit. – So, und nun bitte ich Sie, mir vertrauensvoll Ihren Fall vorzutragen, wobei ich nichts, keine Kleinigkeit, mag sie noch so geringfügig erscheinen, wegzulassen bitte.«

Die Dame schlug den Schleier hoch. Wir bekamen ein blasses, feines Gesicht mit den kennzeichnenden Linien großer Willensstärke um Mund und Kinn zu sehen. Sie fing nun recht überstürzt an:

»Mich schickt Kommerzienrat Kammler her, einer Ihrer Wettgegner. Er ist mein Patenonkel. Er läßt Sie grüßen, Herr Harst. Ich soll Ihnen bestellen, daß meine Angelegenheit gleichzeitig die nächste Wettaufgabe für Sie ist. Er hat mir vor einer Stunde telephonisch mitgeteilt, daß Sie wieder hier eingetroffen wären. Da habe ich mich denn auch sofort auf den Weg gemacht.«

Sie schwieg, schaute zu Boden.

Da sagte Harst liebenswürdig: »Es scheint Ihnen etwas schwer zu werden, mir alles zu berichten, was Sie bedrückt. Bitte – tun Sie so, als säßen Sie hier zwei Anwälten gegenüber, die zum Schweigen verpflichtet sind. Ein Detektiv ist wie ein Beichtvater. Er verschließt alles, was diskret behandelt werden soll, fest in seiner Brust. – Ihr Vater ist der bekannte Kunstfreund und Altertumsforscher Geheimrat Pieter Burmeester. Er ist Witwer, so weit ich mich erinnere. Seine Familie stammt aus Holland. Er war früher Professor an der Universität Leyden. Er besitzt ein förmliches Museum, das er aber nur Größen der Wissenschaft zeigt. – So – und nun zur Sache, gnädiges Fräulein.«

Sie zögerte, schien zu überlegen. Dann begann sie leise:

»Sie müssen nicht denken, daß ich etwa furchtsam oder gar abergläubisch bin, Herr Harst. Nein, im Gegenteil, ich bin durch den frühen Tod meiner Mutter schnell selbständig und auch energisch geworden. Ich stehe unserem Haushalt allein vor. Wir haben nur eine Köchin und einen alten Diener. Beide sind seit vielen Jahren bei uns und goldtreu. Unsere Villa besteht aus einem zweistöckigen Hauptgebäude und einem parallel zur Hinterfront verlaufenden, später angebauten Nebenhaus. Wir nennen es immer das Museum. Es hat stark vergitterte Fenster, eiserne Türen und überall elektrische Alarmvorrichtungen. Die Türschlösser sind so kunstvoll, daß sie mit Nachschlüsseln nicht zu öffnen sind. Aus dem Museum führt eine Verbindungstür in Papas Arbeitszimmer. Dann kann man noch durch eine zweite vom Hofe aus hineingelangen. Diese ist aber seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Mein Schlafzimmer liegt nun im Hochparterre nach dem Hofe zu, der ein nach Norden zu offenes Quadrat bildet und kaum fünf Meter breit ist. Meinen beiden Schlafstubenfenstern gegenüber befinden sich die des sogenannten Mumiensaales, eines Raumes, der einige Dutzend äußerst seltene ägyptische, peruanische und mexikanische Mumien enthält –«

Sie hatte immer leiser gesprochen. Man merkte, wie sehr sich ihre Erregung steigerte, je mehr sie dem Kernpunkt der Sache näherkam.

Dann fuhr sie wieder etwas lauter fort: »Vor acht Tagen war ich gegen halb zwölf aus dem Theater gekommen. Ich wollte gerade die Vorhänge meines linken Schlafstubenfensters zuziehen, als ich zufällig nach dem Mumiensaal hinüberblickte. Der Vollmond traf jene Fenster mit breiter Lichtbahn, so daß ich deutlich wahrnahm, wie eine Gestalt sich hinter dem mittelsten Fenster dort bewegte. Ich glaubte erst, es wäre unser Diener Karl. Dann aber trat die Gestalt ganz dicht an die tief herabgehenden Scheiben heran.

Mit einem Schrei des Entsetzens prallte ich zurück, denn – dort stand eine der Mumien, die Papa erst vor kurzem gekauft hatte, – stand da, wie sie auch in ihrem bunten Mumiensarg gelegen, – mit über der Brust gekreuzten Armen, um die Stirn das helle Band gebunden: die gläsernen, künstlichen Augen schienen mich anzustieren. Aber – sie bewegten sich. Ich habe es deutlich bemerkt.

Ich war so erschrocken, daß ich mich zitternd auf den nächsten Stuhl setzen mußte. Als ich wieder hinüberblickte, war die Gestalt verschwunden. Ich wurde ruhiger, redete mir schließlich ein, es sei nur eine Sinnestäuschung gewesen, ging zu Bett und sagte am Morgen niemandem etwas von meinem seltsamen Erlebnis. – Zwei Tage darauf – inzwischen hatte ich den Mumiensaal mehrmals betreten und jene Königsmumie – es handelt sich um einen jüngeren Mann, angeblich den im Alter von 22 Jahren verstorbenen ägyptischen König Eneochar – mit stillem Grauen betrachtet, – also zwei Tage später gegen elf Uhr abends ereignete sich genau dasselbe: wieder stand die Mumie regungslos an demselben Fenster, und wieder sank ich vor Entsetzen fast ohnmächtig um. – Mein Vater war nicht daheim. Ich weckte Karl, unseren Diener, und sagte ihm, ich hätte einen Einbrecher im Museum bemerkt.«

»Weshalb diese Entstellung der Wahrheit?« fragte Harst kurz.

Hildegard Burmeester errötete, wurde verwirrt.

»Weil – weil ich mich schämte, weil ich nicht zugeben mochte, daß ich an Sinnestäuschungen litt. – Karl und ich sind dann bewaffnet im Museum gewesen. Auch Papa kam bald hinzu. Wir fanden nichts Verdächtiges. Ich habe meinem Vater ebenfalls nichts von der Mumie gesagt.

Am folgenden Tage verreiste er nach Schweden, wo eine neue große Höhle entdeckt worden ist. Er will dort die Höhlenwohnungen und die mit aufgefundenen Geräte sich ansehen. Er kehrt erst in ein paar Tagen zurück. – Ich war nun doch bereits derart verängstigt, daß ich Karl bat, im Nebenzimmer, einem Gastzimmer, zu schlafen. Am zweiten Abend nach der Abreise meines Vaters, also vorgestern, erblicke ich die Mumie abermals. Da habe ich vor Grauen schnell meine Vorhänge geschlossen und Karl herbeigerufen, habe mit ihm eine Weile geplaudert und mich so zu beruhigen gesucht.

Ich weiß nun bestimmt, daß es sich hier nicht um Halluzinationen handelt, Herr Harst, denn – gestern hat Karl selbst ebenfalls gegen elf Uhr abends die Mumie beobachtet, wie sie ans Fenster trat und dann plötzlich verschwand. Er ist sofort mit seinem Revolver ins Museum geeilt, kam nach einer halben Stunde zurück, klopfte bei mir an und erzählte mir alles. Er hatte den König Eneochar still im Sarge liegend gefunden. – Wir haben nun beschlossen, Papa auf keinen Fall in diese geheimnisvolle Geschichte einzuweihen, da er sehr nervös und sehr reizbar ist. Es könnte seiner Gesundheit schwer schaden, wenn er davon etwas erführe.«

Sie machte eine kurze Pause. Dann fügte sie, jetzt wirklich voller Angst, hinzu:

»Und – und nun noch das andere, ebenso Seltsame, Unerklärliche. – Ich – ich werde seit Tagen auf Schritt und Tritt verfolgt. Stets ist es dieselbe schwarz gekleidete, ganz dicht verschleierte Dame, die ich hinter mir, neben mir bemerke. Sie ist wie mein Schatten; taucht plötzlich auf, verschwindet, taucht abermals auf.«

Ihre eingehenden Angaben über diese Frau und die Art dieser Verfolgung brachten nichts Wesentliches.

Harst fragte noch dies und jenes, wobei er im Zimmer auf und ab ging. Dann traf er mit Fräulein Burmeester ganz bestimmte Verabredungen und führte sie nun persönlich durch den Gemüsegarten, der hinten an ein Laubengelände grenzt, auf einen Fahrweg, auf dem sie in eine Nebenstraße gelangen konnte.

Ich hatte mir inzwischen den neuen Fall nochmals hin und her überlegt. Als Harst das Zimmer wieder betrat, sagte er sofort, und er lächelte dabei ein wenig:

»Die Hälfte hat sie uns verschwiegen, behaupte ich. Daß sie sich geschämt hat, eine Sinnestäuschung zuzugeben, ist nicht wahr. Auch ihr ganzes Verhalten spricht dafür, daß sie einen anderen Grund hatte, erst dem Diener gegenüber die Tatsachen zu verdrehen und nun durchaus zu verhindern wünscht, ihren Vater etwas dieser reichlich abenteuerlichen Sache erfahren zu lassen. – Besinnen Sie sich, lieber Schraut: Als ich sie fragte, ob ihr Vater in diesem Jahr bereits in einem Bade gewesen wäre – es hat nämlich in den Zeitungen gestanden, – wurde sie ohne jeden Grund sehr – sehr verlegen und rot und erklärte nur widerwillig: ›Ja – im April in Pyrmont.‹ – Jedenfalls dürfte es zweckmäßig sein, festzustellen, weshalb die Antwort sie so verlegen machte. Ich werde den Berufsdetektiv Holtz, der mir letztens warm empfohlen wurde, sofort nach Pyrmont schicken, denn Sie, Schraut, brauche ich hier sehr nötig. Natürlich ist eine große Sache im Gange, irgend etwas ganz Besonderes, und da wir es wahrscheinlich mit mehreren Leuten zu tun haben, ist es ratsamer, wieder zu zweien zu arbeiten. – Holen Sie nur gleich unsere Gasarbeiter-Kostüme herbei. Wir werden sofort nach der Villa hinausfahren, wie ich's mit Fräulein Burmeester verabredet habe.«

2. Kapitel.
Eine raffinierte Fesselung

Eine Stunde später verließen wir unser Heim auf demselben Wege wie vorher Hildegard Burmeester durch den Gemüsegarten. Unsere Verkleidung machte uns völlig unkenntlich.

Die Villa Burmeester lag inmitten eines wohlgepflegten, großen Gartens, der von ähnlichen Gärten umgrenzt war. Karl der Diener, ein älterer, würdiger Mann, öffnete uns. Harst nannte seinen Namen und zeigte den Zettel als Legitimation, auf den Hildegard auf seinen Wunsch mit Tinte geschrieben hatte: »Ueberall hinführen – Hildegard!«

Karl wußte, daß seine junge Herrin bei uns gewesen. Er war sehr höflich und entgegenkommend, ohne jedoch auch nur einen Augenblick eine kriecherische Unterwürfigkeit zu zeigen. Er hatte zweifellos einen vortrefflichen Charakter und besaß die größte Anhänglichkeit an seinen Herrn und dessen Tochter. Auch die Köchin machte den allerbesten Eindruck.

Harst besichtigte zunächst das Gebäude von außen. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dem Museumsanbau. Wir mußten uns gedulden, der alte Karl und ich, denn Harst ging mit einer Sorgfalt zu Werke, die manchem sehr überflüssig erschienen wäre.

Auf dem kleinen Hofe stand eine einfache, etwa sechs Meter hohe Leiter. Harst fragte den Diener, ob sie zur Nacht weggeschlossen würde. – »Nein, hier gibt's keine Diebe,« meinte der Alte.

Harst nahm sein Taschenmesser und schnitt von einer der untersten Sprossen einen kleinen Span ab, wickelte ihn in Papier, steckte ihn in die Tasche und erklärte, das Haus nun auch von innen sich ansehen zu wollen.

Das Museum kam zuletzt heran, nachdem wir die Villa vom Dache bis zum Keller durchwandert hatten. Daß Geheimrat Burmeester ein schwerreicher Mann sein mußte, zeigte sowohl die Einrichtung der Zimmer, mehr aber noch die Unmenge wertvoller Altertümer, die er in den vier Räumen seines Privatmuseums aufgestapelt hatte. Jeder dieser Räume war von dem benachbarten durch eiserne Türen mit Kunstschlössern getrennt, wie uns dies Fräulein Hildegard schon mitgeteilt hatte. Die Balkenlagen des Fußbodens und der Decke waren gleichfalls mit Eisenplatteneinlagen versehen. Die Gitter an den Fenstern wieder waren ziemlich eng und von einer Stärke, die für Löwenkäfige genügt hätte. Kurz – der Geheimrat hatte seine Schätze – man denke noch an die Alarmglocken, die bei unbefugtem Oeffnen einer Tür sofort anschlugen – so vorzüglich geschützt, daß hier »eine Einbruchsdiebstahlversicherung wirklich unnötig ist,« wie Harst lächelnd sagte.

Erst nahmen wir die drei anderen Räume in Augenschein. Dann schloß der alte Karl die schwere Eisentür zum Mumiensaal auf. Wir traten ein. Durch die drei Fenster fiel das Tageslicht in blendender Helle bis in den entferntesten Winkel. Ja – hell genug war's hier. Und doch überlief mich in Gesellschaft all dieser starren, braunen Mumiengesichter, dieser in Jahrhunderte, selbst Jahrtausende alte Stoffe gehüllten regungslosen, vertrockneten Leichen ein Frösteln. Viele der Mumien standen in Glaskästen. Andere wieder lagen in ihren Mumiensärgen, über die dann nur große Glasplatten gebreitet waren als Schutz gegen den Staub.

Wenn ich sagte: » braune Mumiengesichter«, so trifft dies nicht ganz zu. Sechs ägyptische Mumien, wahre Prachtexemplare, tadellos erhalten, mit glatter, faltenloser Gesichtshaut, zeigten nur einen leicht bräunlichen Teint. Ganz besonders traf dies auf den König Eneochar zu.

Wir drei standen nun vor diesen so vorzüglich erhaltenen Resten des jungen Königs. Er lag lang ausgestreckt in einem reich vergoldeten, bunt bemalten Sarge, der auf acht Metallfüßen ruhte. – »Dieser Sarg allein,« erklärte Harst, »ist Hunderttausende wert. Es ist Zedernholz vom Libanon.«

Die königliche Mumie war in ein mantelartiges Gewand gehüllt, dessen Farben verblichen waren. Es mußte sich um eine sehr kunstvolle Weberei handeln. Man erkannte noch breite, mit Hieroglyphen bedeckte Streifen, allerhand Tierfiguren und zahlreiche Goldfäden. Um die Stirn trug Eneochar eine breite Binde aus einem wohl einst schneeweiß gewesenen Stoff. Mitten auf dieser Binde war ein Käfer aus Gold befestigt. Das schwarze, glatte Haar war zwanglos zurückgestrichen. Das bartlose Gesicht wirkte infolge der künstlichen Augen unheimlich – wie das eines Lebenden, der jeden Augenblick aus seinem Sarge steigen konnte. Die Arme waren über der Brust gekreuzt; die Hände ebenso wie die Füße mit Binden umwickelt. Karl erzählte, auch der ganze Leib sei eng mit solchen Binden umhüllt.

Harst schien jetzt eingeschlafen zu sein. Ohne jede Bewegung verharrte er mit halb geschlossenen Lidern vor dieser selten gut erhaltenen Mumie, die, wie der Diener uns berichtet hatte, erst vor zehn Tagen etwa von dem Geheimrat für eine Unsumme angekauft worden war. Der Verkäufer war ein Ungar gewesen, der zugegeben hatte, gewerbsmäßig die Katakomben der ägyptischen Ruinenstädte nach Mumien zu durchsuchen und die Mumien dann heimlich nach Europa oder Amerika zu schaffen. Die Ausfuhr von Mumien ist ja seit Jahren in Aegypten streng verboten. Der Geheimrat hatte den Mann daher auch nicht weiter nach Namen und Heimat gefragt. Er war froh gewesen, dieses Prachtexemplar seinen Sammlungen einfügen zu können.

Endlich regte Harst sich. – »Wie oft reinigen Sie diese vier Räume?« fragte er den Diener.

»Selten nur, Herr Harst. Etwa alle zwei Wochen. Zuletzt tat ich's vor acht Tagen.«

»Dann putzen Sie auch die Fenster und wischen Staub, nicht wahr?«

»Ja – nur dann. Der Geheimrat ist immer dabei. Er ist so besorgt um seine Altertümer.

Harst wanderte nun im Mumiensaal auf und ab, blieb hier stehen, dort stehen, hatte die Augen überall, machte schließlich vor einem in die Wand eingemauerten Stahlschrank halt und meinte: »Was enthält dieser Tresor?«

Karl erklärte, er wüßte es nicht. Er nehme aber an, es seien altertümliche Kleinodien darin verwahrt.

Harst nickte zerstreut und besichtigte das Kombinationsschloß. »Amerikanisches Fabrikat – allerbeste Arbeit,« sagte er wie zu sich selbst. »Kein Einbrecher könnte ihn sprengen. Ganz ausgeschlossen.«

Wieder stierte er nun diesen Tresor wie hypnotisiert an. Nach gut fünf Minuten drehte er sich nach uns um.

»So, nun erzählen Sie mir genau, was Sie damals von der wandelnden Mumie gesehen haben,« bat er den Alten.

Karl berichtete mit all der Umständlichkeit, die viele ältere Leute an sich haben. Aber Neues brachte seine Schilderung jenes Abends nicht.

Harst verabschiedete sich jetzt, drückte Karl die Hand und sagte leichthin: »Wir werden die Sache bald aufgeklärt haben, hoffe ich. Ich habe mit Fräulein Hildegard vereinbart, daß wir einen Hausschlüssel erhalten sollen, damit wir nachts jederzeit ungehindert die Villa betreten können. Bitte, geben Sie mir den Schlüssel. Ferner nehmen Sie sämtliche Schlüssel zum Museum fortan in Ihr Zimmer. Es ist möglich, daß ich sie sehr schnell von Ihnen verlange. Im übrigen leben Sie alle hier so weiter wie bisher.«

Wir standen auf der Diele, und Karl eilte nun davon, um den Schlüssel zu holen.

Harst deutete auf ein Gemälde an der Wand. Es stellte eine Jagdszene dar. Eine Meute Hunde war einem Fuchs dicht auf den Fersen.

»Da, lieber Schraut, – das Bild trifft auch auf uns zu. Nur dürften es mehrere sehr schlaue Füchse sein, die wir jagen.«

Karl brachte den Schlüssel. Und die beiden Gasarbeiter verließen die Villa, traten auf die stille Straße hinaus. – Wir schlenderten gemächlich weiter, so recht wie Leute, die ihre Arbeit getan und es nicht eilig haben. Ein Auto kam hinter uns her, sehr langsam, fuhr dicht am Straßenrand entlang. Als es mit uns auf gleicher Höhe war, beugte sich der Chauffeur heraus und fragte leise:

»Herr Harst?«

Es war ein junger Mensch mit schwarzem Schnurrbart. Der Kraftwagen war ein geschlossenes, elegantes Privatauto.

Harst hielt mit dem Auto gleichen Schritt, musterte den Chauffeur scharf, fragte: »Bei wem stehen Sie in Dienst?«

»Bei Professor Koblenz. Fräulein Burmeester schickt mich. Sie meinte, Herr Harst und sein Sekretär würden in einer Verkleidung die Villa verlassen. Ich bin mir nun meiner Sache nicht sicher. Sind Sie Herr Harst?«

Harst bejahte. – »So – dann möchten Sie doch das Auto sofort benutzen,« sagte der Chauffeur nun lebhafter. »Fräulein Burmeester läßt darum sehr bitten. Es ist etwas Neues geschehen, worum es sich handelt, weiß ich nicht. Herr Professor Koblenz ist ein Freund des Herrn Geheimrats, und –«

»Schon gut. – Vorwärts!« – Wir stiegen ein.

»Was mag nur passiert sein?« meinte Harst nachdenklich. »Koblenz ist der berühmte Chirurg. – Na – wir werden ja hören –«

Der Chauffeur fuhr sehr schnell und sehr gewandt. Wir passierten den Vorort Halensee, dann ging's nach Charlottenburg hinein. Wir kamen in alte, enge Gassen, bogen nun in eine Einfahrt ein, durchquerten drei Höfe, die überall von Autogaragen umsäumt waren.

Harst pfiff plötzlich leise durch die Zähne. – »Eine Falle!« raunte er mir zu. »Hinaus mit uns!«

Er wollte die Tür öffnen. Aber – das Schloß mußte in Unordnung sein. Ich versuchte dasselbe, – ebenfalls umsonst.

Harst hob schon die Faust, um die Scheibe zu zertrümmern.

Da glitt der Wagen schon in eine offene Garagentür hinein, die hinter uns sofort zuflog. Einen Augenblick tiefes Dunkel. Dann blitzte eine große Laterne auf, dann wurden beide Autotüren geöffnet, und von jeder Seite hielt uns ein maskierter Kerl einen Revolver dicht vor das Gesicht.

»Keinen Laut! Aussteigen! – Mit uns ist nicht zu spaßen!« rief der eine, ohne seine Stimme zu dämpfen. Er mußte sich also hier sehr sicher fühlen.

Harst fragte kaltblütig: »Was wollen Sie eigentlich von uns?«

»Nichts, als Sie und Ihren Sekretär und Gehilfen für drei Tage kaltstellen. Ihnen wird kein Leid zugefügt werden, wenn Sie vernünftig sind.«

»Meinetwegen denn,« lachte Harst und kletterte heraus. Ich mußte noch im Wagen bleiben. Aber auch ich wurde dann durch Stahlfesseln an den Händen gebunden, erhielt eine Decke über den Kopf geworfen, fühlte Stricke an meinen Fußgelenken, wurde hochgehoben und wieder in die weichen Polster gedrückt.

Abermals begann eine lange Autofahrt. Jetzt aber saß mir gegenüber ein Kerl, der mir gedroht hatte, mich zu erstechen, falls ich einen Laut ausstieße. Wir fuhren und fuhren. Dann spürte ich an meinem rechten Ellbogen eine Berührung – einen leichten Stoß. Er wiederholte sich taktmäßig – eins – zwei – drei, Pause, – eins – zwei, drei –

Schließlich ging mir ein Licht auf. Es konnte nur Harst sein, der mich auf diese Weise von seiner Anwesenheit verständigen wollte. – Ich gab nun ebenfalls Antwort – eins – zwei – drei. – Da hörten die Signale auf. – Also natürlich Harst! Er, dem der Kerl nicht mit Erstechen gedroht hatte, war also wohl auch durch einen Knebel stumm gemacht worden – als der gefährlichere von uns.

Wie lange die Fahrt dauerte, konnten wir erst später ungefähr berechnen – etwa anderthalb Stunden. Nun hielt das Auto. Wieder verging eine kleine Ewigkeit, bis ich herausgehoben und davongetragen wurde. Ein einzelner Mensch schleppte mich. Er mußte Riesenkräfte besitzen. Ich hörte Fußboden unter seinen Schritten dröhnen, hörte zwei Türen zuschlagen. Dann wurde ich lang auf den Boden gelegt, dann nahm man mir das Tuch vom Kopf.

Ich lag auf ein paar Decken. Unter den Kopf war mir ein Kissen geschoben worden. Vor mir lag Harst in derselben Weise, den Kopf gleichfalls nach der Zimmerwand, so daß wir eine Linie bildeten. Zwischen unseren Füßen stand aufrecht eine Metallplatte.

Das Zimmer hatte an der rechten Wand von mir aus ein großes Fenster. Gardinen fehlten. Aber die gelben Vorhänge waren zugezogen. Sonst war der Raum bis auf einen kleinen Kachelofen leer.

Der maskierte, kleine, sehr breitschultrige und recht gut angezogene Mensch, der schon in der Garage den Sprecher gemacht hatte, sagte jetzt: »Ich will Ihnen die Belästigung durch einen Knebel hier ersparen. Ihre Hilferufe wären nämlich zwecklos. Das Haus liegt ganz einsam. Sollten Sie aber Lärm machen, so erhalten Sie sofort etwas zwischen die Zähne, daß Ihnen das Schreien vergeht. Ich warne Sie auch vor jedem Fluchtversuch! Sie sehen dort zwischen Ihren Füßen die Kupferplatte. Sie ist an den Dielen festgeschraubt. Hinter Ihren Köpfen befinden sich ähnliche Platten –«

Ich schaute nach Harst hinüber. Es stimmte. Dicht hinter seinem Kopf ragte ebenfalls eine Platte hervor. – Was sollten diese –?

Da sprach der Mensch schon weiter. »In die drei Kupferplatten sind elektrische Ströme geleitet. Sobald Sie es wagen, sich allzu sehr auf Ihrem Lager zu rühren, kippen die Platten hinter Ihren Köpfen um. Dadurch wird der Strom geschlossen und – Sie erleben eine elektrische Hinrichtung am eigenen Leibe! – So, nun wissen Sie Bescheid! – Ich werde Ihre Füße jetzt an die feststehende Platte binden, und ebenso Ihre Oberkörper an Haken, die hinter Ihnen in die Wand geschraubt sind. Sie sehen,« wandte er sich nun direkt an Harst, »daß wir durchaus Ihren Fähigkeiten Rechnung tragen. Sie sind für unternehmungslustige Leute ein sehr gefährlicher Feind. Deshalb haben wir auch bereits gestern diese Einrichtung hier getroffen, die uns dafür bürgt, daß Sie uns nicht entweichen können. – Damit Sie nun aber nicht glauben, daß ich Ihnen hinsichtlich der elektrischen Starkströme blauen Dunst vormache, werde ich zu Ihrer Warnung diesen dünnen Eisendraht von einer Kopfplatte nach der Fußplatte führen.« Er holte aus der Tasche ein paar Gummihandschuhe hervor, streifte sie über und hob einen feinen langen Draht auf, hielt ihn an die Fußplatte, und in demselben Augenblick zuckte ein greller, langer Blitz unter lautem Knall auf: der elektrische Strom hatte den Draht bis zur Weißglut erhitzt und geschmolzen.

Allerdings: dieser Beweis genügte.

Nun band er uns so, wie er es uns angekündigt hatte, sagte noch: »Abends erhalten Sie Essen und Trinken,« und verließ das Zimmer.

Ich gebe zu: so weich ich auch lag – nur die auf dem Rücken gefesselten Hände waren etwas unbequem, – ich kam mir wie in einem Sarge vor, wie ein lebendig Begrabener, der durch einen Starrkrampf kein Glied rühren kann und doch bei vollem Bewußtsein ist.

Der Gedanke, daß jede unvorsichtige Bewegung mir unfehlbar den Tod bringen würde, trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Ich regte mich nicht. Ich sah daher auch nichts von Harst, da ich mit dem Kopf zu niedrig lag.

Eine Weile verging. Dann Harsts Stimme:

»Ich begreife diese Leute nicht! Wozu all diese Umstände?! Wozu diese teuflische Einrichtung, die uns jede Sekunde mit dem Tode bedroht?! – Hätten die Leute von mir das Versprechen gefordert, gegen sie nichts zu unternehmen, – vielleicht hätte ich's gegeben. – Schade, daß man uns nun so – so vorzüglich »kalt gestellt« hat. Dieser Fall bietet ja so sehr viel Merkwürdiges. Sehr viel. – Schraut, ich fürchte, nun können wir nie dahinter kommen, was die wandelnde Mumie bedeutet – wenn ich wenigstens eine Zigarette hätte.« – Er hatte all das in gewöhnlichem Tone gesprochen, weder zu laut, noch zu leise. Nun aber rief er, auch nicht allzu kräftig: »He, Sie! Einen Augenblick! Ich möchte nur um eine Zigarette bitten!«

Niemand erschien. Im Hause war's ganz still.

Abermals rief Harst etwa dasselbe. – Wieder ohne Erfolg.

Dann verstummte er. – Ich lauschte mit angespannten Sinnen. Ich glaubte in der Ferne ein dumpfes schnell verklingendes Rattern zu hören, auch einmal Hundegebell.

Im Zimmer war's ziemlich hell trotz der geschlossenen Vorhänge. Meiner Schätzung nach mußte es ungefähr 4 Uhr nachmittags sein. – Diese entsetzliche Stille hier peinigte mich. – Herr Harst!« flüsterte ich halblaut.

»Versuchen Sie zu schlafen,« meinte er. »Was sollen wir anderes tun, Schraut?! Langweilig ist diese Art Gefangenschaft, das stimmt. Aber – ich füge mich. Ich habe keine Lust, mich elektrisch hinzurichten.«

Ich war überzeugt, daß auch seine ersten Sätze schon nur für einen heimlichen Lauscher berechnet waren. Er – er, Harald Harst, sich fügen?! – Nein – das glaubte ich nimmermehr. Dazu kannte ich ihn zu gut.

3. Kapitel.
Harsts Kombinationen

Wie endlos lang sich Minuten recken können, erfuhr ich heute wieder einmal. Ich wartete nämlich jetzt voller Ungeduld auf den Abend – auf die kleine Abwechselung, wenn wir – gefüttert werden sollten. Aber – mir schien's ein voller Tag zu sein, ehe die Dämmerung draußen eintrat, ehe die Schatten der Dunkelheit unser Gefängnis zu füllen begannen.

Plötzlich Harsts leise Stimme: »Geben Sie jetzt auf jedes Geräusch acht, – aber Sie selbst: kein Wort!«

Ich horchte, strengte meine Ohren wie nie zuvor an. Bisher war im Hause auch nicht ein Laut vernehmbar gewesen. Es dauerte recht lange, bis ich dann ein Knarren hörte – von losen Dielen vielleicht.

Da sagte Harst mit ziemlich kräftiger Stimme: »Wenn die Kerle uns nur nicht hungern lassen! Still liegen will ich ja gern, weil's eben sein muß, aber hungern und gleich drei Tage! Nein – das –«

Die einzige Tür des Zimmers, links von mir, öffnete sich in diesem Augenblick. Ein Mann trat ein – unser Wächter. Er brachte eine brennende Laterne und einen Korb mit. – Ich will hier nicht im einzelnen schildern, wie er uns dann fütterte, – jedenfalls so, daß wir ihm dabei nichts anhaben konnten.

Er warnte uns nochmals vor dem elektrischen Strom, worauf Harst erklärte: »Ich bewundere Ihre Erfindungsgabe, Mann. Diese Art, einen Fluchtversuch zu verhindern, ist recht praktisch. – Was macht denn die Mumie des Königs Eneochar?«

Hinter der langen Seidenmaske kam ein kurzes Auflachen hervor. – »Oh – der geht's gut. Herr Karst! – Nicht wahr – Sie möchten zu gern wissen, was wir vorhaben. Nur Geduld! Noch ein paar Tage, und Sie werden mehr davon hören, als Ihnen lieb und Ihrem Ruf als genialer Detektiv dienlich ist. Ueberhaupt: ich hätte Sie für schlauer gehalten. Fräulein Burmeester wird Ihnen doch fraglos heute vormittag auch erzählt haben, daß sie ständig überwacht wird. Wie konnten Sie da so gutgläubig das Auto besteigen, nur weil der Chauffeur die Leimrute mit dem Namen Koblenz legte?! Wir wußten ja schon gestern abend, daß wir's mit Ihnen zu tun bekommen würden. Das Fräulein war ja gestern gegen sieben Uhr abends bereits einmal vergeblich in Ihrer Wohnung. Damals waren Sie noch verreist. Inzwischen konnten wir dann hier alles zu Ihrem Empfange bereit machen. – Ja – Sie sehen, es gibt auch noch klügere Köpfe als Sie es sind. Sie können sich jetzt Ihr Hirn noch so sehr zermartern: Sie werden weder hinter unsere Absichten kommen, noch vor der Zeit frei werden, – nein, erst dann, wenn wir von auswärts die Berliner Polizei benachrichtigen, daß der berühmte Harald Harst dort und dort gebunden liegt. Und dann – sind wir über alle Berge, Verehrtester! – Doch ich will Sie nicht verhöhnen. Wenn Sie erst wissen, was wir planten, werden Sie selbst sagen: der, der das ersann, war mir über. – So – und nun gute Nacht, meine Herren. Morgen früh sehen wir uns wieder.«

Er nahm Korb und Laterne auf, wandte sich zum Gehen. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als Harst ihm nachrief:

»Sie – darf ich um eine Zigarette bitten? Ich bin leidenschaftlicher Raucher.«

Der Maskierte öffnete die Tür ein wenig. – »Bedauere – das darf ich nicht gestatten,« erklärte er und schloß sie wieder.

Nach einer Weile sagte Harst: »Ich bin hundemüde, will zu schlafen versuchen. – Gute Nacht, Schraut! Morgen bitte ich den Mann, uns die Hände vorn zu fesseln. Ich muß immer halb auf der Seite liegen. – Gute Nacht!«

Nach abermals einer geraumen Zeit glaubte ich wieder ein Knarren von Dielen zu hören. Und gleich darauf vernahm ich Harsts Flüstern: »Schraut, der Kerl hat jetzt wieder das Haus verlassen. Nun kann's also losgehen. – Sie werden fragen: »Was?« – Natürlich der Befreiungsversuch!«

»Um Himmels willen – denken Sie an die Gefahr, die –«

»Oh – daran habe ich schon gedacht. Bereits, als es noch ganz hell war, als der Kerl die Gummihandschuhe überzog. – Ja – Gummi schützt vor elektrischen Schlägen, isoliert. – Ganz gefährliche Halunken sind's, mit denen wir's zu tun haben. Aber – doch nicht schlau genug, mein lieber Schraut! Unser Wächter hat eins übersehen: daß ich zu meinem Gasarbeiterkostüm Segeltuchschuhe mit Gummisohlen trage. Ich kann also ganz getrost mit meinem Körper so herumwirtschaften, daß die Kopfplatte umkippt. Meine Gummisohlen verhindern ja den Stromschluß. Und die Stricke, die mir unter den Armen durchgezogen sind, hoffe ich schon klein zu kriegen. – Warten Sie –«

Es war jetzt ganz dunkel geworden. Ich hörte verschiedene scharfe Rucke, dann Harsts Stimme: »Verdammt – sie halten! – Nun ist soeben auch die Platte umgekippt. Sie liegt mir auf der Stirn. Von elektrischem Strom keine Spur. Gepriesen seien die alten Tennisschuhe! – Jetzt probiere ich's mit der Fußplatte. vielleicht lassen sich dort die Stricke hochstreifen.«

Ich spürte an den Fußen wieder verschiedene Rucke. Dann: »Ich bin frei, Schraut!« Harsts Stimme gab deutlich den Triumph wieder. »Das heißt: ich bin noch immer an den Händen und an die Mauer gefesselt. Aber von der Mauer werde ich sofort los sein.«

Tatsächlich trat er sehr bald an das Kopfende meines Lagers, bückte sich und sagte: »Lieber Schraut, ich muß Sie jetzt allein lassen. Ich werde irgend ein Fenster mit dem Kopf eindrücken – denn meine Stahlfesseln sind besser als das elektrische Hinrichtungsbett, – werde nach der nächsten Polizeistelle oder sonst wohin eilen, wo man mir die Dinger durchfeilt, und hole Sie dann. Auf Wiedersehen –«

Er blieb eine halbe Stunde etwa weg. Ich hatte deutlich das Splittern von Glas gehört, als er das Zimmer verlassen hatte. – Nun Schritte draußen, nun ein Lichtschein. Es war Harst in Begleitung von zwei Kriminalbeamten. Gleich daraus konnte auch ich mich erheben, wurde schnell von meinen Handfesseln befreit.

Harst gab den beiden Beamten noch verschiedene Verhaltungsmaßregeln. Sie sollten hier bleiben und jeden festnehmen, der das Haus betrat. Dann ging Harst voraus: erst in einen Flur, nun vier Stufen abwärts; dann links in eine Kellerwohnung. Hier krochen wir durch ein Fenster. Wir befanden uns jetzt in einem großen Park. Ich sah ringsum in der Ferne Lichter schimmern.

»Das Haus gehört zu der Villa des Herrn von Heykerling,« sagte Harst. »Wir befinden uns hier auf heimatlichem Boden – in Alt-Schmargendorf. Ein gewisser Meinert hat das Haus heute früh gemietet. Ich habe Heykerling vorhin ausgefragt. Meinert hat sich als Ingenieur ausgegeben. Er wollte es mit seiner Frau bewohnen, aber erst nach ein paar Tagen einziehen. Heute nachmittag hat er etwas von seinen Sachen bereits hergeschafft – Teppiche, – das waren wir. Schraut! – Eine tolle Geschichte. Wer weiß, wie sie endet.«

Wir gingen einen Fahrweg entlang, kamen an der Villa vorüber und betraten die Straße. Eine Elektrische ratterte herbei. – Ah – das war's also gewesen, was ich gehört hatte. – Wir stiegen ein, und eine Viertelstunde später standen wir in Harsts Arbeitszimmer.

»So,« meinte er, »nun können wir wieder wir selbst werden. Und dann – nach dem Museum. Vielleicht bringt uns diese Nacht schon einen besseren Erfolg, als dieser Anfang heute ihn verhieß.«

Gegen zehn Uhr brachen wir auf, fuhren mit einem Auto nach der Grunewaldkolonie und gingen dann zu Fuß nach einer Straße, deren eine Villa mit der Rückfront an die Burmeesters grenzte. Wir kletterten über den Zaun, schlichen durch den fremden Garten und kletterten wieder über einen Zaun. Nun befanden wir uns auf dem Grundstück des Geheimrats.

Die Nacht war dunkel; der Himmel dicht bewölkt, hin und wieder fielen ein paar Tropfen. Aber zu einem Regenguß kam es zum Glück nicht. – Harst bog in den Hof ein. Wir sahen, daß Hildegards Fenster hell waren. – »Der Lichtschein stört,« flüsterte Harst. »Wir müssen warten. Stellen wir uns dort in die Haupttür des Museums.«

Ich hatte keine Ahnung, was er eigentlich beabsichtigte. Er war ja nie sehr redselig. Und dabei hätte ich so viel zu fragen gehabt – so sehr viel! Ich wußte bisher ja nichts von den Zusammenhängen der einzelnen Ereignisse, die mit diesem neuesten Fall verknüpft waren. Harst hatte mir vorhin daheim nur gesagt, daß der Maskierte seine Taschen durchsucht und ihm den Schlüssel der Villa abgenommen hätte. Ich freute mich daher, als er nun wenigstens etwas den Schleier lüftete.

»Nun, Schraut, wie denken Sie über diese ganze Geschichte?« begann er. »Wir haben jetzt die beste Zeit, die Dinge einmal kritisch zu beleuchten. – Wir haben bisher folgendes festgestellt oder aber uns erzählen lassen: Der Geheimrat kauft vor 10 Tagen etwa eine ägyptische Mumie. Dann verreist er nach Schweden, und die Mumie wird – nachts lebendig, stellt sich ans Fenster und wird von zwei einwandfreien Zeugen gesehen. Da nun in das Museum, wie wir heute nachgeprüft haben, unmöglich heimlich einzudringen ist – ich betone dies besonders! – muß man annehmen, daß ein Fremder durch einen schlauen Trick sich in den Mumiensaal eingeschmuggelt hat und sich dort noch immer aufhält, – denn hinaus kann er so ohne weiteres nicht, – eben auch nur durch einen neuen Trick. – Ich sage: er hält sich dort noch immer auf. Und ich habe auch Beweise dafür. – Dieser Mensch spielt also nächtlicherweile die Mumie des Königs Eneochar. Wozu? Weshalb läßt er sich tagelang dort einschließen? – Nun – ich glaubte zunächst, er wollte dem Tresor zu Leibe gehen. Aber der Stahlschrank zeigt nirgends Spuren einbrecherischer Tätigkeit. Derartige Versuche wären auch aussichtslos. Der Tresor ist das beste vom besten – unangreifbar, selbst für Dynamit oder andere Sprengmittel. Ich bin daher anderer Meinung geworden. Hier wird irgend etwas vorbereitet, was so fein ausgeklügelt ist, daß meine bisherigen Feststellungen nicht dazu ausreichen, durch bloße logische Schlüsse das Richtige zu finden, obwohl – Fräulein Hildegards Benehmen heute vormittag bei uns einen gewissen Anhalt dafür gibt, daß sie irgendwie zu dieser Sache in einer etwas fragwürdigen Beziehung steht. Vielleicht kennt sie gar den, der dort im Mumiensaal herumgeistert – vielleicht! Liebe ist manchmal erfinderisch! Das Fräulein kam ja erst zu uns, als auch der alte Karl den toten König am Fenster gesehen hatte, besser den, der ihn nachts darstellt. Anderseits deutet aber Hildegards offenbare Angst vor der wandelnden Mumie auch wieder darauf hin, daß es sich nicht um einen heimlich dort oben von ihr versteckt gehaltenen Liebhaber handelt. Wir sehen uns hier also in einem bösen Labyrinth, lieber Schraut. – Ich möchte nun eine Liebesgeschichte auch deshalb ausschalten, weil mir dabei zu viele Personen beteiligt sind: erstens doch der Mumiendarsteller, dann die schwarze Frau, die Verfolgerin, weiter noch der Chauffeur und unser kräftiger Gefangenwärter. Der Chauffeur wir nämlich einer der beiden, die uns mit Revolvern bedrohten, er hatte nur schnell eine Seidenmaske vorgebunden. Weiter auch, weil diese Bande mit recht kostspieligen Mitteln arbeitet: Auto, gemietetes Haus, – und weil schließlich die stete Ueberwachung Hildegards beweist, daß die Bande fürchtete, das Fräulein könnte sich an die Polizei wenden, nachdem sie den Mumienkönig zum ersten Male am Fenster gesehen hatte. Von dieser steten Beobachtung merkte Hildegard ja erst vor einigen Tagen etwas. Vorher werden die Leute sie nicht für nötig gehalten haben. Dann aber hat der Mumiendarsteller seinen Verbündeten Nachricht gegeben, daß er leider sich hat blicken lassen, und nunmehr setzt die Ueberwachung ein.«

»Nachricht gegeben?« warf ich zweifelnd ein. »Der Mann kann ja doch nicht heraus, sagten Sie vorhin, Herr Harst!«

»Aber Schraut, – die Leiter, die wir gleich benutzen werden! Die Leiter! Und die Eindrücke der Leiterenden, die ich hinter dem Museum in der Erde fand, ferner auf dem flachen Pappdach des Museums sandige Fußspuren.«

Da ging mir ein Licht auf. – Harst fuhr schon fort: »Schließlich auch noch die Leitersprosse, von der ich doch einen Span abschnitt. Vorhin daheim, als Sie sich umzogen, habe ich ihn untersucht. Wissen Sie. was daran klebte? – Nicht etwa Blut? Nein: talgig gewordene Bratentunke, – ein Beweis, daß der Eingeschlossene von seinen Genossen recht gut verpflegt wird. Sie haben ihm ein warmes Gericht bringen wollen, und beim Erklettern der Leiter muß der Topf oder der Kessel umgekippt sein und etwas von der Tunke floß heraus. Dieses warme Gericht, lieber Schraut, zwingt uns nun auch, den Gedanken völlig fallen zu lassen, Hildegard könnte einen Liebsten dort oben verbergen. Den würde sie ja auch selbst verpflegen. – Alles in allem: die Sache bleibt dunkel! Da hat der stiernackige Prahlhans heute vorläufig – also vorläufig – ganz recht gehabt: fein ersonnen ist dieser Plan! Aber – wir werden ja sehen, ob nicht ich derjenige bin, der – ihm über ist! – Ah – Hildegards Fenster sind dunkel. Nun schleunigst die Leiter geholt und hinauf aufs Dach! Wenn ich oben bin, tragen Sie die Leiter wieder zurück. Dann verbergen Sie sich an der Rückseite des Museums im Gebüsch. Wahrscheinlich wird einer der Kerle nachher unten an der Leiter Wache halten. Den nehmen Sie aufs Korn. Entkommen darf er auf keinen Fall. Hier – dieses Instrument genügt. Versuchen Sie ihn von rückwärts niederzuschlagen.« Er reichte mir ein Leinentuch, in das feuchter Sand oben eingebunden war. Er hatte daheim zwei von diesen Totschlägern hergestellt.

4. Kapitel.
Ein nächtliches Verhör

Nachdem Harst sich auf das flache Dach geschwungen hatte, brachte ich die Leiter auf den Hof zurück, verkroch mich dann in einem nahen Gebüsch, das etwa drei Meter von der Mitte der Mauer entfernt war.

Erst nach Mitternacht – inzwischen hatte es zu regnen begonnen, wenn auch nicht allzu stark – hörte ich leise Schritte. Nun tauchten zwei Gestalten auf verschwanden nach dem Hofe zu, kamen gleich darauf mit der Leiter zurück, lehnten sie gegen die Mauer, und der größere Mann von beiden kletterte dann nach oben.

Ich schob mich jetzt sacht hinter den, der an der Leiter lehnte und sich offenbar sehr sicher fühlte. Das Rauschen des Regens begünstigte mein Vorhaben. Ich richtete mich langsam auf, holte aus, schlug mit dem Sandsack mit aller Kraft zu. Mein Gegner knickte auch in die Knie, fuhr jedoch sofort herum, packte mich bei der Kehle und warf mich hintenüber. Der Mensch hatte Bärenkräfte. Sein bärtiges Gesicht lag dicht über mir. Vor meinen Augen sprühten bereits Funken. Ich schickte einen letzten hilfesuchenden Blick nach der Leiter hin und sah eine Gestalt blitzschnell daran herabrutschen, fühlte, daß die würgende Hand losließ, hörte einen dumpfen Schlag, dann ein Aechzen und nun Harsts Stimme:

»Hier ist starker, geölter Bindfaden, Schraut! Fesseln Sie den Kerl. Der andere liegt oben –«

Er stieg schnell wieder die Leiter empor. Ich schob meinem bewußtlosen Gegner auch mein Taschentuch in den Mund. Nun war er wehrlos, und ich konnte Harst folgen. Ich wollte doch sehen, wer der andere war. Außerdem mußten wir diesen Mann doch ebenfalls nach unten schaffen.

Als ich auf das Dach kroch, bemerkte ich sofort den feinen Lichtstrahl von Harsts Taschenlampe. Er kniete neben dem ebenfalls ohnmächtigen, bereits gefesselten und geknebelten Menschen und untersuchte dessen Taschen.

Ich beugte mich tief herab. Der Mann war jung und völlig bartlos. »Es ist der Chauffeur,« flüsterte Harst. »Der schwarze Schnurrbart mittags war nur angeklebt.«

Er zeigte mir dann einen aufgerollten Bindfaden, an dessen einem Ende ein zusammengefalteter Zettel festgebunden war.

»Sehen Sie, Schraut, – dies ist die Nachrichtenübermittelung,« meinte er. »Wir werden sie sofort ausprobieren.«

Er legte sich nun lang auf das Dach gerade über dem mittleren Fenster des Mumiensaales, schob den Oberkörper etwas über den Dachrand hinaus und ließ den Zettel, den er vorher noch gelesen hatte, hinab. – Ich hatte mich neben ihm niedergelassen. Es dauerte recht lange, ehe Harst den Bindfaden wieder hochzog. Daran hing wieder ein Zettel. Er band ihn los und überflog ihn beim Licht der Taschenlampe, gab ihn mir dann, indem er flüsterte: »Der erste lautete: ›Wir haben beide fest und die Depesche an B. abgesandt. Du bist jetzt ganz sicher.‹ – Hier nun die Antwort, die Sie selbst lesen können.«

Und ich las, während er mir leuchtete: »Beide waren heute hier. Aber mein Versteck ist sicher. Bis Rückkehr und der große Schlag also morgen abend wahrscheinlich. Haltet Euch bereit. An mir soll's nicht liegen.«

Harst steckte dann den Zettel zu sich. Wir warteten, bis der Chauffeur das Bewußtsein wiedererlangt hatte, befreiten ihn von den Fußfesseln und zwangen ihn, die Leiter hinabzusteigen, wobei Harst ihn von oben stets festhielt, während ich vorankletterte. Eine Flucht dieses Menschen war also ausgeschlossen. Unten wurden ihm wieder die Beine gebunden, und dann trugen wir die beiden Gefangenen einzeln nach einer Glaslaube im rückwärtigen Teile des Gartens. Hier nun, mittlerweile war auch der Bärtige erwacht – unterzog Harst diesen einem Verhör, das er mit den Worten einleitete:

»Sie sind unser Gefangenwärter, der angebliche Ingenieur Melnert. Sie haben nun wohl eingesehen, daß es sehr richtig von Ihnen war, mich nicht zu verhöhnen. – Wollen Sie jetzt ein Geständnis ablegen?«

Der Mensch besaß die Frechheit, Harst ins Gesicht zu lachen, wir hatten ihm den Knebel vorher aus dem Munde entfernt.

»Geständnis?! – Niemals! was soll ich gestehen, was kann man uns vorwerfen?! Höchstens doch Freiheitsberaubung – weil wir Sie beide ein paar Stunden eingesperrt haben!« Er lachte abermals. Aber dieses Lachen klang doch gezwungen.

»Und der König Eneochar?« meinte Harst gelassen.

»Wer ist das? Kenne ich nicht!« erwiderte der Mensch achselzuckend. – In unserem Gefängnis hatte er anders geredet! –

Ein Versuch, den Chauffeur zum Sprechen zu bringen, scheiterte gleichfalls.

Harst entnahm nun den Taschen unserer Gefangenen alles, was sie enthielten, da fing der Bärtige, der übrigens ein recht intelligentes Gesicht hatte, zu drohen an.

Harst hatte des bärtigen Brieftasche zur Hand genommen, sah die Papiere durch, breitete sie auf dem Tisch der Laube aus und meinte nach einer Weile:

»Ah – sehr interessant! Hier ist ja ein Brief, gerichtet an Herrn Elektrotechniker Franz Wilke, unterzeichnet mit Bela Matsarek; Datum vom 18. April des Jahres, Absenderort: Bad Pyrmont. – Sieh da – Pyrmont! Wie gut, daß ich den Berufsdetektiv Holtz dorthin geschickt habe. – Schraut, hören Sie den Inhalt:

 

Lieber W!

Bisher alle Versuche, die H. zu erobern und auf diese Weise zum Ziele zu kommen, umsonst. Reisen demnächst ab. Werden also doch die Mumie opfern müssen. Sonst wird aus der Geschichte nichts –

 

Das weitere ist unwesentlich. – H. ist natürlich Hildegard. Und Herr Bela Matsarek also der ungarische Mumienhändler. – Die Sache klärt sich bedeutend. – Aha – hier haben wir ja auch eine vorgestern beglichene Hotelrechnung, Hotel »Stadt Berlin«. Mohrenstraße, ausgestellt für Herrn Ingenieur Franz Wilke und Frau, Zimmer 19. – Also dort wohnen Sie, Herr Wilke alias Meinert. Na, dann werden wir Ihre Frau ja auch bald festnehmen können. – So, nun zu Ihnen!« Damit befühlte er nochmals die Taschen des Chauffeurs. In der Innentasche der Weste trug dieser ein Glanzlederstück, in das außer anderen Papieren auch ein Chauffeurzeugnis für Ernst Pakschat, Berlin N., Borsigstraße 5, eingeschlagen war. – Dieser Mann war also tatsächlich Chauffeur.

»Für heute genügt's,« meinte Harst. »Jetzt werde ich das Berliner Polizeipräsidium anrufen und Sie beide abholen lassen. Ich bin dort gut bekannt, und man wird mir ohne weiteres gestatten, diesen Fall allein zu Ende zu führen. – Auch Frau Wilke dürfte sehr bald ihr Zimmer 19 mit einer Untersuchungszelle vertauschen.«

Ich blieb als Wächter in der Laube zurück. Nach einer halben Stunde bereits wurden die beiden Verbündeten in aller Stille fortgeschafft.

Wir aber machten uns auf den Heimweg. Der Morgen graute bereits. Das Gewölk war verschwunden. Der neue Tag versprach das Beste.

»Nun, Schraut, – jetzt werden Sie mir doch wohl als mein Schüler Ehre machen und mir Ihre Ansicht über die wandelnde Mumie auseinandersetzen können,« sagte Harst gutgelaunt, während wir durch die stillen Straßen wanderten.

»Hm,« erklärte ich zögernd. »Das »Beide« auf den Zetteln bezog sich auf uns. Und die in dem ersten Zettel erwähnte Depesche ist wohl an den Geheimrat Burmeester gerichtet zu dem Zweck, ihn unter einem Vorwand nach Berlin zu locken. Was aber mit dem »großen Schlag« gemeint ist, weiß ich nicht.«

»Ich auch nicht – Tatsache!« lächelte Harst. »Aber wir werden auch hinter diese noch offene Frage kommen. – Wertvoll und entlastend für Hildegard ist der Brief, den der Ungar an Wilke aus Pyrmont geschickt hat. Wenn unser Abgesandter Holtz von dort zurück sein wird, dürfte er uns folgendes berichten, falls er bei seinen Nachforschungen einigermaßen Glück gehabt hat: Fräulein Burmeester hat in Pyrmont ohne Wissen ihres Vaters mit einem Ungarn verkehrt, der ihr sehr den Hof machte, ohne jedoch ihre Liebe erringen zu können. – So ungefähr dürfte Holtz' Auskunft lauten. Wesentlich anders kaum, denn – weshalb hat Hildegard uns verschwiegen, daß sie den Mumienhändler persönlich kannte, von dem ihr Vater den König Eneochar erwarb? Doch nur, weil sie sich scheute, zuzugeben, er hätte sich ihr schon während des Badeaufenthaltes in Pyrmont genähert. wovon der Geheimrat freilich nichts wußte. Hätte dieser hiervon Kenntnis, dann würde der alte Diener Karl uns heute kaum erklärt haben: »Der Geheimrat hat den Verkäufer nicht weiter nach Namen und Heimat gefragt.« – Hildegards an sich wohl recht harmloses Geheimnis ist damit aufgedeckt; ihre Beziehungen zu der wandelnden Mumie sind geklärt. Es muß sie ja ganz besonders erschreckt haben, daß gerade die Mumie, die von ihrem Anbeter, der sie nicht »erobern« konnte, herstammte, am Fenster stand und zu ihr hinüberstarrte. Daß diese wandelnde Mumie der geschickt herausgeputzte Matsarek selbst ist, ahnt sie nicht. Wie sollte sie auch? Matsarek hat sich ihr ja auch fraglos nicht absichtlich gezeigt, – nein, er wartete eben in der Nähe des Fensters auf eine Nachricht oder auf Lebensmittel, die seine Genossen ihm am Bindfaden vom Dache herab zuführen sollten. – Nun bleibt wie gesagt nur noch eins zu klären: was hat es mit dem »großen Schlag« auf sich.«

»Hm – und das Versteck Matsareks im Mumiensaal?« fragte ich zögernd. »Ich wüßte nicht, wo sich dort ein Mensch verbergen sollte – wirklich nicht!«

»Ja, lieber Schraut, – das Versteck hängt eben mit dem Trick zusammen, durch den der Ungar sich dort eingeschmuggelt hat. – Doch – lassen wir das für morgen.«

5. Kapitel.
Der große Schlag

Vormittags elf Uhr rief Harst Fräulein Burmeester telephonisch an. Sie war sehr überrascht, daß er sich meldete, und erklärte dazu folgendes: Am Spätnachmittag gestern sei ein Mann zu ihr gekommen, der ihr den Schlüssel der Villa, den uns Karl der Diener ausgehändigt hatte, zurückgegeben und ihr im Auftrage Harsts bestellt habe, er müsse in ihrer Angelegenheit mehrere Tage verreisen. Sie möchte sich nur gedulden und inzwischen nichts weiter unternehmen, besonders nicht etwa die Polizei benachrichtigen, da dann der ganze Erfolg in Frage gestellt werden würde.

Weiter teilte sie Harst aber auch mit, sie habe heute früh eine Depesche ihres Vaters erhalten, die ihr dem Inhalt nach recht unverständlich sei, da sie wörtlich laute: »Auf Dein Telegramm hin treffe morgen abend 8 Uhr dort Stettiner Bahnhof ein. Bin sehr in Unruhe.«. Sie hätte nämlich keinerlei Telegramm an ihren Vater geschickt, sagte sie recht erregt, und sie begreife nicht, was dies alles bedeuten solle.

Harst beruhigte sie und versprach, abends um neun sich in der Villa Burmeester bestimmt einzufinden.

Als er den Hörer auf die Stützen zurückgelegt hatte, wandte er sich mir zu, berichtete mir genau Hildegards Angaben und sagte:

»Lieber Schraut – schlau sind diese Halunken doch gewesen. Wie fein sie den Schlüssel dazu benutzt haben. Fräulein Burmeester durch unser Verschwinden nicht argwöhnisch zu machen! Den Hausschlüssel! Sie wußten also, daß es gerade der der Villa des Geheimrats war. Beweis genug, daß sie wahrscheinlich schon vorher einen Wachsabdruck des Schlüsselloches genommen hatten. – Und dann die Depesche, die sie an Burmeester sandten. Welche unerklärliche Frechheit, den Namen der Tochter als den der Absenderin darunter zu setzen. – Ach – ich denke, wir werden heute noch recht große Ueberraschungen erleben.« –

Endlich war der Abend da. Kurz vor neun langten wir in der Villa an. Hildegard empfing uns. Der Diener war nach dem Stettiner Bahnhof gefahren, um den Geheimrat abzuholen. Das Fräulein führte uns auf Harsts Bitte in den nach der Straße hinaus liegenden Salon. Wir nahmen Platz, und Harst begann sofort:

»Es ist mir lieb, daß ich Sie noch allein – vor Ankunft Ihres Vaters – sprechen kann, Fräulein Burmeester. – Gestatten Sie mir eine Frage: Wie haben Sie in Pyrmont die Bekanntschaft Bela Matsareks gemacht? Zufällig oder hat er sich an Sie herangedrängt? – Ich nehme das Letztere an.

Hildegard war leichenblaß geworden. Ueber ihre Gestalt lief ein Zittern hin. Mit weiten Augen stierte sie Harst ganz entgeistert an, stammelte nun:

»Woher – woher wissen Sie, daß –« – Sie führte den Satz nicht zu Ende. Sie war eben ein sehr energischer Charakter, überwand schnell den ersten Schreck und fuhr mit einem ebenso liebenswürdigen, wie bewundernden Lächeln fort: »Ich vergesse ganz, wem ich gegenübersitze. Es ist Harald Harst, also ein Mann, dem nichts verborgen bleibt? – Ja – es war eine Torheit von mir, Ihnen gestern vormittag in Ihrer Wohnung etwas zu verheimlichen. Ich hätte mir nach der lehrreichen Lektion, die Sie mir gegeben hatten, sagen müssen, daß Sie auch hinter mein Pyrmonter Abenteuer kommen würden. – Ich will mich kurz fassen. Sehr bald nach unserem Eintreffen dort fiel mir ein eleganter Herr mit schwermütigen Augen auf, der mühsam an einem Stock sich fortbewegte. Er war jung und von so eigenartiger Schönheit, daß die Frauen ihn geradezu anschwärmten. Eines Morgens lernte ich ihn kennen. Er setzte sich neben mich auf dieselbe Bank im Kurpark. Wir kamen ins Gespräch. Ich gebe zu: auch ich war lange wie bezaubert von seiner schwermütigen Art, mit der er über Menschen und Dinge redete. Dann aber fiel mir an ihm so manches auf. Ich bin ja keins von jenen Mädchen, die sich so leicht Sand in die Augen streuen lassen, wenn sie in einem Mann einen ernsthaften Bewerber wittern. Zunächst: er wich meinem Vater ängstlich aus. Dann auch: er übertrieb sein körperliches Leiden. Ich merkte, daß er den Stock als Stütze nur benutzte, um Mitleid – mein Mitleid zu erregen. – Er machte mir dann eines Tages eine sehr leidenschaftliche Liebeserklärung, wünschte aber, ich sollte meinem Vater vorläufig unsere Verlobung geheim halten. – Ich bat mir Bedenkzeit aus. Es war dies aber nur ein verschleiertes Nein. Er war mir nicht nur gleichgültig, nein, sogar widerwärtig geworden. Ich hatte ihn eben als Komödianten durchschaut. – Er gab sich zufrieden, wollte sich dann hier in Berlin meine endgültige Antwort holen. Er ahnte wohl, daß er bei mir verspielt hatte. – Er hatte sich als ungarischer Kunsthändler, Doktor der Philosophie und Mitglied der Budapester Historischen Gesellschaft, eines sehr wählerischen Vereins, ausgegeben. – Bald darauf war Papas Kur beendet. Beim Abschied bat Bela Matsarek mich, ihm doch in Berlin einmal heimlich das Museum meines Vaters zu zeigen. Diese Bitte machte mich etwas stutzig. Ich lehnte sehr entschieden ab und sagte ihm, es sei ganz unmöglich, das Museum heimlich zu betreten. Dann erklärte ich ihm auch, daß ich seine Werbung nicht annehmen könnte. Wir gingen sehr höflich, aber auch sehr kühl auseinander. – Mein Erstaunen können Sie sich wohl vorstellen, Herr Harst. als er dann hier meinen Vater aufsuchte und ihm die Mumie anbot. Er verschwieg dabei seinen Namen. Ich sah ihn vom Fenster aus, wie er die Villa betrat. Sonst hätte ich gar nicht –«

Harst hatte sich verbeugt. »Danke, das genügt. – Wie wurde die Mumie hergeschafft? – Bitte recht eingehend alles, Fräulein Burmeester.«

»Spät abends brachten zwei Männer auf einem Handwagen eine riesige Kiste. Diese trugen sie in Anwesenheit meines Vaters in den Mumiensaal, packten auch gleich den Mumiensarg aus, der sorgfältig in Holzwolle eingebettet gewesen war. Der Mumiensarg erhielt dann sofort seinen Platz angewiesen. Die Leute nagelten die Kiste wieder zu und sagten. sie würden sie morgen abholen, heute sei es schon zu spät; sie wollten heim. – Mein Vater gab ihnen ein gutes Trinkgeld. Er holte mich und Karl, zeigte uns die Mumie, die er schon vorher genau besichtigt hatte, und gab immer wieder seiner Freude darüber Ausdruck, daß er den König Eneochar nun sein eigen nennen dürfe. – Am nächsten Morgen holten die beiden Männer die große Holzkiste ab.«

»Haben Sie diese Leute gesehen? War der eine nicht schlank, mittelgroß und bartlos, der andere sehr breitschultrig, klein und bärtig?«

»Ja – das stimmt, Herr Harst –«

In diesem Augenblick fuhr draußen vor der Villa ein Auto vor. Hildegard eilte hinaus. Nach zehn Minuten trat sie in Begleitung des Geheimrats wieder ein.

Dieser, ein kleiner, sehr nervöser Herr mit grauem Vollbart und Glatze, tadellos angezogen und von verbindlichstem Wesen, mußte dann nach den ersten, die Sachlage klärenden Sätzen Harst die Depesche zeigen, die er in Schweden erhalten hatte. – Sie lautete: »Kehre umgehend zurück, hier mit Tresor nicht alles in Ordnung. – Hildegard.«

Harst hielt die Depesche noch in der Hand, sagte nun lebhaft: »So – jetzt weiß ich alles. Dieser Hinweis auf den Stahlschrank lüftet den Vorhang ganz. – Ich werde Ihnen nun ganz kurz schildern, was hier vorgegangen, Herr Geheimrat. – Als die große Holzkiste abends gebracht wurde, enthielt sie nicht nur den Mumiensarg, sondern auch unter der Holzwolle versteckt einen gewissen Bela Matsarek – eben den Mumienverkäufer, der in der Nacht dann die Kiste verließ und sich im Mumiensaal verbarg, wo er sich noch jetzt befindet. Seine Genossen holten die große Kiste also nun als völlig leer ab. – Der ganze Mumienverkauf hatte lediglich den Zweck, Matsarek das Eindringen in den so gut gesicherten Raum des Museums zu ermöglichen. Ein sehr gescheiter Einfall – ohne Trage.«

Der Geheimrat schüttelte den Kopf. »Ich bin geradezu sprachlos. Herr Harst. – Aber – wo – wo soll der Mensch sich im Mumiensaal wohl verborgen halten?! Es gibt dort kein einziges Stellchen, wo auch nur eins Katze sich verkrieche –«

»Halt, Herr Geheimrat!« lächelte Harst. »Sie behaupten da etwas, das nicht zutrifft. – Als Ihr Diener mich und meinen Sekretär in den Mumiensaal geführt hatte, fragte ich ihn, wie oft er dort Staub wische. Er hätte es vor acht Tagen zuletzt getan, erklärte er. – Ich sah nun, daß die Glastafeln auf den anderen Mumiensärgen eine ganz feine Staubschicht hatten. Nur die Glasscheibe über dem Sargs Eneochars war völlig staubfrei. Schon damals wußte ich – die fehlende Staubschicht hatte es mir verraten –, wo der Eindringling steckte: Unter der Mumie Eneochars in dem Sarge! – Dieser Sarg ist nämlich nur im Oberteil echt. Der Unterteil ist moderne Antiquitätenfälscher-Arbeit. Er mußte tiefer sein, als die anderen Mumiensärge, damit Matsarek darin Platz hätte. Die Mumie liegt bekanntlich auf einem dünnen Brett, auf dem sie durch Bänder befestigt ist. Es konnte Matsarek nicht schwer fallen, dieses Brett an einer Seite von unten her zu lüften und dann erst die Glasscheibe zu entfernen, wenn er hinauswollte. Ähnlich machte er's, wenn er wieder in sein enges Versteck zurückwollte. Zu bewundern ist die Engelsgeduld, mit der er darin aushielt. – Damit nun nicht Spuren in der Staubschicht der Glasplatte, die er doch an den Rändern anfassen mußte, ihn verrieten, wischte er sie stets sauber ab. Diese Vorsicht war recht zweischneidig. Die fehlende Staubschicht ließ mich das Richtige vermuten. – Nun die Frage: wozu verbirgt Matsarek sich in dem Sarge? – Ich könnte sie Ihnen dank der gefälschten Depesche beantworten, möchte den Verbrecher aber auf frischer Tat abfassen. Dazu ist es nötig, daß Sie, wenn wir zu dreien in den Mumiensaal gehen, genau so reden und handeln, wie ich es Ihnen jetzt im einzelnen vorschreiben werde.« –

Zehn Minuten daraus brannten im Mumiensaal die drei Deckenlampen. Wir schritten im Hauptgang hin und her. Der Geheimrat sagte nun:

»Nein – es ist ausgeschlossen, daß sich hier jemand verbirgt. Meine Tochter muß sich getäuscht haben, was die Gestalt anbetrifft.«

Worauf Harst antwortete: »Ganz recht, Herr Geheimrat. – Wir haben hier abermals umsonst gesucht. Entschuldigen Sie, daß ich mich nun sofort verabschieden muß. Ich will den Leuten nachspüren, die mich gewaltsam entführt haben und denen ich nur mit knapper Not entrinnen konnte. Es dürfte sich um Menschen handeln, die sich an mir rächen wollen. – Gute Nacht, Herr Geheimrat. – Danke, bemühen Sie sich doch nicht. Ihr Diener wird uns unten schon in die Mäntel helfen und hinauslassen.«

»Nochmals herzlichsten Dank, lieber Herr Harst. Auf Wiedersehen. Ich habe hier noch zu tun –«

Wir taten, als verließen wir den Mumiensaal, in dem Burmeester vorher zwei Lampen ausgeschaltet hatte, so daß nur noch die über dem Tresor brannte.

Der Geheimrat öffnete und schloß, wie verabredet, die Eisentür, als wären wir hinausgegangen. In Wahrheit legten wir uns lang hinter einen Mumiensarg rechts von dem Tresor, wo es völlig dunkel war.

Burmeester schloß dann geräuschvoll die Eisentür von innen ab, trat vor den Stahlschrank und begann an dem Kombinationsschloß zu hantieren.

Harst hatte seinen Selbstlader in der Rechten. Nun hauchte er mir ins Ohr: »Geben Sie auf jedes Geräusch acht.«

Ich horchte. – Aber der Geheimrat hüstelte so stark – auch verabredungsgemäß –, daß ich nur einmal etwas wie ein leises Klirren von dort her vernahm, wo der König Eneochar in seinem Sarge lag.

Nun drückte Harst meinen Arm. Ich sah, wie er den Kopf vorschob, wie er sich aufrichtete. Wir hatten vorher schon unsere Halbschuhe lautlos abgestreift.

Ich folgte seinem Beispiel. Schräg vor uns, etwa vier Meter entfernt, stand Burmeester vor dem geöffneten Tresor, dessen Innentüren er soeben gleichfalls aufzog.

Und hinter ihm – ragte eine regungslose Gestalt hoch, die Arme über der Brust gekreuzt – die wandelnde Mumie.

Maske und Kostüm waren glänzend. Man mußte schon sehr genau hinsehen, um einen Unterschied in den leicht bräunlichen Gesichtszügen zu erkennen.

Harst hätte den rechten Arm erhoben, zielte.

Da drehte der Geheimrat sich langsam um. Nun erblickte er die Gestalt, prallte zurück.

Und da – sprang sie ihm auch schon an die Kehle, riß ihn zu Boden.

Harst schnellte sich vorwärts. Zwei Sätze –, und seine Hände umklammerten den Hals des Verbrechers mit einer Kraft, daß dieser sofort von seinem Opfer abließ. – Ich tat meine Schuldigkeit: Stahlfesseln schnappten ein, – und Harst gab den Hals Bela Matsareks frei.

Der Geheimrat stand schon wieder auf den Füßen. Vor ihm auf dem Fußboden lag ein Wattebausch, dem Chloroformdünste entstiegen.

Harst lehnte an dem offenen Tresor, sagte nun zu Matsarek, der auf den Dielen saß und vor Ingrimm zitterte:

»Die Depesche nach Schweden sollte den Geheimrat veranlassen, sofort nach seiner Rückkehr diesen Tresor zu öffnen, dessen Inhalt er niemandem, nicht einmal seiner Tochter, zeigte. – Nur so konnten Sie und Ihre Genossen an die altertümlichen Kleinodien heran, auf die Sie es von vornherein abgesehen hatten, wäre ich nicht hindernd dazwischen getreten, hätten Sie den Tresor ausgeplündert und eiligst das Haus verlassen, da ja die Schlüssel dort in der Eisentür stecken. Ihre Genossen hätten Sie draußen mit dem Auto erwartet, und Sie wären fraglos mit Ihrer Millionenbeute entkommen. Jetzt aber werden Sie ins Zuchthaus wandern und dort darüber nachdenken können, ob es nicht besser ist, durch ehrliche Arbeit das tägliche Brot zu verdienen, auch darüber, ob es Ihnen wirklich gelungen wäre, eine gewisse Dame durch erheuchelte Liebesschwüre so weit zu betören, daß sie Ihnen Gelegenheit gab, diesen Diebstahl anderswie – ohne den Mumienverkauf – vorzubereiten.« –

Die »wandelnde Mumie« sitzt noch im Zuchthaus. Bela Matsarek hatte noch mehr auf dem Kerbholz. Zehn Jahre diktierte man ihm insgesamt zu. Er wird also nicht so bald wieder Gelegenheit haben, den König Eneochar zu spielen.

*

 


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