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Vorrede.


Auch darin haben wir einen nicht unbedeutenden Fortschritt gemacht, daß sich ein freierer, leichterer Umgang unter Schreibenden und Lesenden auszubilden beginnt. Selten mehr jene Fratze heuchlerischer Unterthänigkeit, mit welcher der Schriftsteller um die Geneigtheit des Publikums bettelt. Selten mehr jene daraus hervorgehende Verlegenheit, wie man noch selbstständig bleiben solle und könne im Urtheil, einer so unterwürfig thuenden Höflichkeit gegenüber. Hat der Schriftsteller alles vorher in einem feinen Gewissen erwogen, hat er gelebt und gelitten unter den Wonnen und Wehen der Zeit, genügt ihm der Umgang mit bloßen Freunden, und wären es die seltensten, nicht länger, und arbeitet er unwiderstehlich immer vom Menschen zur Menschheit fort, um, jede Einzelnheit und Besonderheit übersteigend, an der Brust der umfassendsten Gemeinschaft zu ruhen; fast von selbst fallen die Schranken des ängstlichen Urtheils, fast ehe er es glaubt, sieht er sich umgeben von den Trefflichsten seiner Nation, die, weil sie jede Eigenthümlichkeit anerkennen, von selbst auch die Menschheit, welche er sucht, repräsentiren.

Wir leben in einer Zeit der muthigsten, unaufhaltsamsten Veröffentlichung. Wir dürfen uns glücklich preisen. Bedeutendes wird aus dem Kern derselben hervorgehen, während eine Menge tauber Blüthen der Eitelkeit, der Verfolgung, der Gemeinheit ohne Zweifel verfliegt. Unter den großen, schwer zu beantwortenden Lebensfragen, welche in unsern Tagen vernommen worden, hat die nach dem Ob und Wie der Unsterblichkeit für jenen unendlichen Drang des Schriftstellers eine wunderbare Gottesmahnung. Er ist zu mündig geworden, als daß er nicht in das Requisit seiner Kinderjahre neben anderes Spielzeug auch das einer Anweisung auf papierne Unsterblichkeit zurücklegen müßte. Was soll eine Nachwelt, welche ihm im voraus jene prächtige Schaustellung dekretirt, deren wahnsinniger Lärm an der Ruhe der Todten zerrt, und nicht Auge hat für die stillen, sprechenden Züge einer anderen Fortdauer, welche um den geschlossenen Dichtermund als Morgenröthe lächelt? –

Es ist das Suchen, das Ringen nach einer höheren, bleibenderen Persönlichkeit als die eigene, als die der Freundschaft, der Familie, es ist Vaterland und Nation, es ist Erde und Menschheit, es ist Welt und Gott, welche der Schriftsteller in seligem Wechselverkehr der Idee und Form für sein Bewußtseyn erarbeiten, nicht bloß geben, sondern auch empfangen, nicht bloß zur Aufklärung und Herausstellung seiner selbst, sondern zu einer Alle umfassenden Gemeinschaft aus klaren Principien mit Geist entwickeln soll. Aus diesem Begriff einer höheren Persönlichkeit, einer inhaltsreicheren Liebe ist denn auch für jene Unsterblichkeitsfrage eine ganz andere Antwort zu gewinnen, als die überall zu hörende, und für das Recht der Veröffentlichung, wenn auch nur wie hier zur Beisteuer bestimmter Ausgangspunkte, zur Hindeutung auf neue Richtungen, möchten alle Gründe vorhanden seyn. –

Wir gehen einem bis jetzt noch nie dagewesenen Ineinanderleben, einem wahrhaften Cultus der Literatur entgegen. Die Embryonen des Rechten und Guten, des Wahren und Schönen verkündigen sich in so mächtigen Regungen und wollen hinaus als Gestalten, wir werden eine so allgemeine Palingenesie erfahren, daß nur Vorsicht zu üben ist, daß nichts vor der Zeit sich ablöse, nichts ohne Lauterkeit sich offenbare. Die Ereignisse des Jahres 1835 Gemeint ist das von Karl Gutzkows Roman »Wally, die Zweiflerin« (1835) verursachte Verbot der Schriften des »Jungen Deutschland« vom 10. Dezember 1835 durch die die Versammlung des Deutschen Bundes, von dem namentlich Heinrich Heine (der hier zu den Jungdeutschen gezählt wird, obwohl er nicht zu ihnen gehörte), Carl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolph Wienbarg und Theodor Mundt betroffen waren. haben wahrlich der Gefahren genug gebracht. Kaum fangen wir an uns davon zu erholen. Die Zuchtruthe einer barbarischen Kritik Eine spöttische Periphrase der unterdrückenden Zensur; das kurz darauf verwendete ›Hunnen‹-Bild lässt den Leser unwillkürlich an die »Hunnen-Rede« Wilhelms II. vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven anlässlich der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich China denken: »Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!« hat uns wie Buben gegeißelt. Wir müssen wirklich ein gut Theil Gleichgültigkeit besitzen, weil für eine so hunnenartige Behandlung noch Spiel-Raum gewesen. Daher scheint uns allerdings die Kritik noch nicht abschließen zu dürfen, obwohl sehr wackere Stimmen rufen: producirt, aber kritisirt nicht mehr. – Wir haben uns noch lange nicht genug orientirt, um unser Bestes, Ursprünglichstes an den Tag. zu wagen, zu etwa wieder sich erdreistender Anklage auf Gemeinheit.

Zuletzt sammeln und beruhigen wir uns in dem Gedanken, nur – Gott und Göttliches zu wollen, denn daran hangen doch Moses und die Propheten, und dieser Gedanke ist ein so läuternder, kräftigender, weihender, daß daraus eine Kindlichkeit der Gesinnung, eine Männlichkeit der That hervorgeht, welche sich nicht kümmert um die Mißlichkeit feindlicher Auslegung, und jenseit der raisonnirenden Debatte des ewigen Für und Wider, das Centrum der Nation als den schlichtenden, Weisheit spendenden Chorus erblickt.

Je mehr die gegenwärtige Gabe aus dem unmittelbaren Erleben geistiger Interessen hervorging, und zwar so, daß sich dabei die Individualität selbst produktiv verhielt, wenn nicht stets im Bilden, so doch im Urtheil, desto mehr wird sie vielleicht in diesen Tagen, wo schnelle Verständigung und liebevolle Aussöhnung zu unser Aller Frommen wünschenswerth ist, in ein unmittelbares Weiterleben eingreifen helfen.

Man wird es den folgenden Briefen entnehmen, (deren erste Abtheilung hier freilich erst vorliegt), wie ein reges, lebhaft sich ankündigendes Verlangen nach Mitteilung aus der sicheren Obhut der Freundschaft, in der es sich immer verstanden, immer gefördert sah, hinausstrebt, nach einem Verkehr, dessen Ergebniß dann eben die Gewißheit jener höheren Persönlichkeit seyn soll, welche der Volksgeist verleiht. Man wird im Verlauf es hoffentlich empfinden, in welch' hohem Grade eine Liebe sich ausbilden kann zu einer solchen Gesammtheit, und wie man alle Pflege und Aufmerksamkeit zuzuwenden berufen ist der Literatur, die ja das am reichsten vermittelnde Organ ausmacht zwischen dem Einzelnen und dem Geschlecht.

Wir haben gegen Zweierlei zunächst zu kämpfen. Einmal gegen den unendlichen Argwohn, welcher unser offenstes Thun und Sprechen beschleicht, welcher die Besten unter einander verfeindet, und welcher uns zuletzt dahin bringt, uns selbst und unsere Zeit mitten im unverkennbarsten Vorwärtsgehen durch bloße Furcht und Verdächtigung zum Stillstand also Rückschritt zu bringen. In der literarischen Freisinnigkeit, in dem Muthe, überall die Wahrheit zu hören, welche frei macht, sind wir wirklich seit einiger Zeit rückwärts gegangen. – Sodann haben wir uns mit aller Entschiedenheit entgegen zu setzen jener engherzigen Philisterei, welche gerade dem sich widerspenstig zeigt, welches der Grundton des Jahrhunderts zu werden scheint, ich meine, einer durchaus poetischen Auffassung der Natur und Geschichte, somit der Wirklichkeit, wonach sich denn die Pforten einer großen Zukunft öffnen oder schließen.

Jenen Staar des ewigen Argwohns zu stechen, sind die wohlmeinendsten Versuche in den Briefen gemacht. Man schiebe dem Verfasser keine Anmaßung unter, während er Recht Recht seyn läßt, und den Faktionen die Wahrheit sagt, welche noch nie im Besitz einer Faktion, als solcher, gewesen. Er polemisirt immer gegen sich selbst mit, denn welcher Mensch hätte nicht auch die Tendenz zur Einseitigkeit! – Der eigentliche Grund, aus welchem schon jetzt diese Papiere veröffentlicht werden, ist in den Fragmenten über den Ungenannten zu finden. Die Hervorhebung dieses höchst ausgezeichneten Schriftstellers ist dringendes Bedürfniß des Hervorhebenden, ist Sache der Gerechtigkeit selbst. Der Ungenannte hat lange genug gelitten, als daß wir ihm nicht die Würde seiner Genialität, die Reinheit und Offenheit seines Gemüths zugestehen, als daß wir es ihm nicht als einen wahrhaft liebenswürdigen Zug auslegen müßten, vor Menschen offen ein Mensch seyn zu wollen, und als solcher bis in die pfadlosesten Abgründe sich verirren zu können, das heißt in Bezug auf ihn, eine glänzende Metamorphose künstlerischer Bildung vor unsern Augen zu vollziehen, an deren Lichtnatur er, gesund genug, glaubte. –

Was den Theil der Briefe betrifft, in welchem sich ein subjektivstes Verhältniß zur Natur und Zukunft offenbart, so dürfte hier vielleicht der Verfasser am meisten Mißverständniß erfahren, weshalb er sich auch auf einen Angriff gegen das gefaßt macht, was den heiligen Herd seiner eigensten Poesie bildet, dessen ewige Flamme man doch nicht wird auslöschen können. Täuscht er sich in jenem, um so süßer die Ueberraschung. Der tiefste Norden zeugt Individuen, in deren sprudelnden Adern die Sonne des Rheins den feurigsten Traubensaft kocht.

Endlich noch dieß: die offenste Privatmittheilung, welche an keine Veröffentlichung dachte, durfte sich unmöglich entschließen, hier eine andere Sprache annehmen zu wollen. Liebe ist gleich Liebe, ob zum Freunde oder zur Nation. Wir sollten uns bei weitem mehr hineinleben in diese unendliche Hingebung an unsere Sprache, an unsere Sitte, an unser Vaterland. Welch' eine Oeffentlichkeit, welch' eine Literatur würde erblühen! Doch – eine tüchtige Gesinnung ist immer auf dem Wege, das Alles noch zu erleben.

Königsberg in Preußen, den 8. Februar 1837.

Alexander Jung.


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