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Zur Entstehung des ›Volpone‹

Auf den Gedanken, den ›Volpone‹ Ben Jonsons für die deutsche Bühne zu erneuern, kam ich auf sonderbare und ganz zufällige Art. Ich war im Herbst vergangenen Jahres mit der Ausarbeitung einer größeren Novelle, ›Verwirrung der Gefühle‹, beschäftigt, die thematisch dem elisabethanischen Drama verbunden ist; so blätterte ich zur Verdeutlichung der Erinnerung eine Kulturgeschichte nach und las in der lang vergessenen Geschichte der englischen Literatur von Taine jenen Abschnitt. Dort fand ich zum erstenmal die Inhaltsangabe von Ben Jonsons ›Volpone‹, die mich sehr amüsierte, und wo immer ich ein Werk über jene Zeit aufschlug, immer und überall fand ich den Volpone als ein satirisches und realistisches Meisterwerk höchsten Ranges gerühmt. Sonderbar, dachte ich, daß eine so klassische Komödie, von den Klügsten so gerühmt, von den Zeitgenossen so gefeiert, niemals auf deutscher Bühne erschienen ist! Ich ließ mir das englische Buch kommen: nun verstand ich's, denn diese Komödie Ben Jonsons ist erstlich in sehr schönen, aber pompösen Versen geschrieben, zweitens läuft sie leider über und aus in jene heute unmögliche Verwechslungskomödie des alten Theaters, wo ein Mann sich bloß einen andern Hut aufzusetzen braucht und mit anderer Stimme zu sprechen, um sofort damit aller Welt unkenntlich zu sein. Diese possenhafte Unwahrscheinlichkeit dankt ja das alte Theater, wir wissen es heute, seiner schlechten Beleuchtung und der gläubigeren Bereitschaft eines bedeutend naiveren Publikums: uns ward diese Spaßart längst unzulänglich. Aber die Gestalt Volpones vor allem, dies »malade imaginaire«, der sich nur krank stellt, dieses »avare«, der habsüchtig, aber nur für andere ist und nicht für sich selbst, dieses Boshaften ohne jedes Warum und Weshalb, der boshaft ist aus reiner Freude an der Bosheit und mit seiner Narrheit die andern zu Narren macht – diese Figur und ihre Auswirkungen amüsierten mich sehr, und ich stellte mir's vergnüglich vor, einmal rasch und leicht eine ganz lockere freie Bearbeitung in Prosa vorzunehmen.

Als ich meine eigene Arbeit getan hatte, fuhr ich dann auf zwei Wochen nach Marseille, meiner Lieblingsstadt, und steckte mir das englische Original in den Koffer, um dort an der helleren Corniche oder in der hermetischen Stille eines Hotelzimmers mich an dieser Erholung arbeitend zu vergnügen. Aber ärgerlich: als ich ankam, merkte ich, daß ich das englische Original gar nicht mitgepackt hatte, wie ich vermeinte; ungefähr hatte ich alle Szenen jedoch in Erinnerung, und so schrieb ich in einem Ruck, sehr vergnügt und sorglos, die Arbeit in einer lockeren Prosa nieder, in der Absicht, sie dann daheim mit dem Original zu vergleichen und in seinem Sinn zu ergänzen. Es machte mir sehr viel Spaß, dieses vollkommen freie, sorglose und übermütige Szenen-Finden – als ich aber dann heimkam und die Bearbeitung mit dem Original verglich, merkte ich, daß sich in der Erinnerung und im Unbeherrschbaren der Produktion vieles vollkommen verschoben und verändert hatte, daß dem Original sogar einzelne Figuren entlaufen, andere wieder dazugekommen waren und sich alles rings um den geliebten Volpone selbst maßlos verwandelt hatte.

Nun, da gab's nichts mehr zurückzudrehen und ein wenig verlegen zeigte ich dies gesprenkelte Kuckucksei, das ich mitten in meiner Arbeit plötzlich gefunden hatte, einigen Freunden. Die erstaunten, in dieser lieblosen und freien Komödie nichts von dem »sittlichen Ernst« und der leidenschaftlichen Gründlichkeit zu finden, die angeblich meine andern Werke auszeichnet, aber sie beschworen mir ehrlichst, sich äußerst gut bei der Lektüre amüsiert zu haben. Einige Schauspieler wiederum waren der Meinung, es enthielte abwechslungsreiche Rollen – so bleibt nur noch das Publikum. Und wenn dieses sich in den drei Stunden bei dieser altneuen Komödie nur halb so gut amüsiert als ich in den zehn Tagen des Umgestaltens, so will ich zufrieden sein.

›Neue Zürcher Zeitung‹, 28. September 1927


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