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Entschwundene Wälder

Korra hieß ein Mann, der Ackerbau betrieb. Als er etwas Geld erspart hatte, machte er sich auf zur Stadt, um einen Sklaven zu kaufen.

Der Kaufmann zeigte ihm verschiedene, aber Korra konnte sich nicht entscheiden.

»Willst du vielleicht, daß ich sie dir alle herschleppen soll!« höhnte der Kaufmann schließlich. Es war zur Mittagszeit, als die Sklaven schliefen.

»Ich kann ja zu einem anderen Händler gehen,« sagte Korra.

»Gut, gut.« Der Kaufmann rüttelte an den Ketten, und Korra besah die ganze Auswahl. Er ging aufmerksam um jeden einzelnen herum.

»Befühl' mal diesen hier,« sagte der Kaufmann und schob einen von den Sklaven vor »– he? Hast du schon mal solch großartigen Brustkasten gesehen – klopf mal! Und beachte die Handgelenke, die Sehnen liegen wie Stränge auf einem Violinhals. – Mach's Maul auf!«

Der Kaufmann griff mit einem Finger in den Mundwinkel des Sklaven und drehte ihn dem Licht zu.

»Was sagst du zu diesen Zähnen?«

Und der Kaufmann fuhr mit dem Rücken eines Messers rasch über die Vorderzähne des Sklaven.

»Siehst du, mein guter Mann, da sitzt Metall drauf. Diese Zähne sind imstande einen Nagel zu durchbeißen.«

Korra bedachte sich noch eine Weile, er befühlte den Sklaven sehr gründlich und drückte seine Fingerspitzen in die Muskulatur, um zu merken, ob die Fibern dicht lagen. Endlich entschloß er sich, der Sklave wurde losgekoppelt, und nachdem er mit saurer Miene bezahlt hatte, zog er ihn mit sich nach Hause.

Nach wenigen Tagen wurde der Sklave krank. Denn, da er nun nicht mehr im Handel war und die Spannung nachgelassen hatte, bekam er Sehnsucht nach seinen heimatlichen Wäldern. – Korra verstand sich auf diese Krankheit, die er für ein gutes Zeichen hielt. Er setzte sich neben den Sklaven, der auf dem Rücken lag und nicht leben wollte, und redete ihm bedächtig zu.

»Du sollst zu deinen Wäldern zurückkehren,« sagte er, »selbstverständlich. Ich verspreche es dir und du kannst dich auf mein Wort verlassen. – Du bist noch jung ... willst du mein Land fünf Jahre lang gutwillig und rechtschaffen bearbeiten – ich hab' dich ja bezahlt, aber das will ich nicht rechnen – dann sollst du deine Freiheit zurückerhalten. Fünf Jahre.«

Und der Sklave arbeitete mit voller Kraft. Wie ein Satan stürzte er sich auf sein Tagewerk. Es war eine Lust für Korra vor der Haustür zu sitzen und zuzusehen, wie die braunen Muskeln unter der Haut sich wölbten und bebten. Es gab keine angenehmere Beschäftigung für ihn, als seinen Sklaven arbeiten zu sehen, denn die Augen begannen ihm dafür aufzugehen, daß der Mensch eine schöne Schöpfung, eine Augenlust ist.

Fünf Jahre – der Sklave rechnete nach – eben so viel Sonnenwenden wie er Finger an der Hand hatte. Die Sonne mußte zehn Runden machen. Er sah die Sonne jeden Abend untergehen und er machte sich Zeichen an Steinen und Höhen, um den Fortschritt zu verfolgen.

Als die Sonne das erste Mal wendete, rechnete er den Daumen der rechten Hand nicht mehr mit. Nach dem Verlauf einer weiteren Sonnenwende – es dauerte allerdings bitterlich lange – war auch der Zeigefinger frei. Er liebte diese beiden Finger mehr als die anderen, die noch solch lange, lange Zeit vor sich hatten.

– Dieses große Rechenstück wurde der Reichtum des Sklaven, sein innerstes Eigentum, das niemand ihm streitig machen konnte.

Und indem die Zeit verstrich, nahmen seine Berechnungen an Umfang zu, an dunkler Fülle. Die Jahreszeiten zogen vorbei wie große, grenzenlose Zeiten, die er nicht fassen konnte. Aber bei jedem neuen Abendrot durchdachte der Sklave seine Hoffnung.

Die Zeit, die so kurz erschien, während sie bevorstand, schien unübersehbar, wenn sie vorbei war. Aber die neue Zeit zögerte mit ihrem Kommen.

Auf diese Weise vertiefte sich die Welt des Sklaven. Indem seine Sehnsucht unendliches Zögern in die Zeit brachte, erweiterte sich auch der Raum um ihn her. Jeder hereinbrechende Abend führte mehr und mehr Tiefe mit sich.

Alles lag in weiter Ferne, alles lag in weiter Ferne. Das, was sich ewig wiederholte, würde niemals erreicht werden.

Der Sklave starrte jeden Abend in den tiefen Sonnenuntergang.

– Als fünf Jahre endlich, endlich um waren – es sagt sich so leicht – kam der Sklave zu Korra und bat um seine Freiheit. Er wollte in seine Heimat zurückkehren.

»Du hast mein Land sehr gut bearbeitet,« sagte Korra grübelnd. – »Sage mir, wo liegt deine Heimat – im Westen? Ich habe dich in jene Richtung blicken sehen.«

Ja, des Sklaven Heimat lag nach Westen.

»Es ist weit dorthin,« sagte Korra. »Du nickst – weit! Und du hast kein Geld.«

Der Sklave schwieg bestürzt. Nein, das war richtig.

»Willst du noch drei weitere Jahre für mich arbeiten – nein, zwei mögen genügen, zwei, dann will ich dir das Reisegeld geben?«

Der Sklave beugte das Haupt und arbeitete weiter. Aber er hielt nicht mehr Rechenschaft mit der Zeit wie früher. Dagegen träumte er viel, Korra hörte ihn im Schlaf bellen und lallen. Und nach einiger Zeit wurde er krank.

Da setzte Korra sich zu ihm und sprach lange auf ihn ein. Seine Worte klangen so ehrwürdig, so erfahren:

»Ich bin ein alter Mann. Ich habe mich auch in meiner Jugend nach den westlichen Wäldern gesehnt. Aber ich konnte nicht genug Geld zur Reise zusammensparen. Nun komme ich nicht mehr in das Land meiner Sehnsucht, bevor mein Geist dorthin zieht, bevor ich tot bin. Du bist jung und kannst tüchtig arbeiten – bist du aber tüchtiger, als ich seinerzeit war? Überleg es dir und folge klugem Rat. Mach, daß du wieder gesund wirst!«

Der Sklave erholte sich ungern. Und als er wieder zu arbeiten begann, bekam er einen Hang zum Faulenzen und zum Schlafen. Da gab Korra ihm eines Tages die Peitsche. Das bekam ihm gut, er mußte weinen.

Und die zwei Jahre vergingen.

Da gab Korra seinem Sklaven wirklich die Freiheit. Der Sklave reiste gen Westen. Aber etliche Monate später kam er in einer traurigen Verfassung zurück, ohne seine Wälder gefunden zu haben.

»Siehst du wohl,« sagte Korra. »Aber ich bin gut, niemand soll etwas anderes von mir behaupten. Reise noch einmal fort und suche gen Osten. Vielleicht liegt der Wald in jener Richtung.«

Der Sklave reiste. Und er fand wirklich seine heimatlichen Wälder. Aber er erkannte sie nicht wieder. Er kam erschöpft zurück und erzählte, daß er wohl an manchen Orten Bäume gefunden habe, viele Bäume, aber nicht seine eigenen Wälder.

»Hm!« Korra hustete.

»In meinem Hause sollst du immer ein gutes Unterkommen finden,« sagte er warm, »bleib nur bei mir. Heimatlos sollst du nicht sein auf Erden. Und wenn ich zu meinen Vätern eingehe, wird auch mein Sohn für dich sorgen.«

Korra alterte, aber er hatte einen Sklaven im besten Mannesalter. Er gab ihm genug zu essen, um ihn bei Kräften zu erhalten, und er hielt ihn reinlich, damit er keinen Ausschlag bekäme. In verständigen Zwischenräumen gab er ihm die Peitsche, damit er demütig bliebe. An Ruhe ließ er es auch nicht fehlen; alle acht Tage durfte der Sklave auf einer Höhe sitzen und nach Westen schauen.

Korras Erde trug gute Früchte, er kaufte Waldungen, ließ fällen und bebauen. Und der Sklave fällte Bäume mit Lust und Eifer. – Korra hatte Geld genug. Eines Tages kaufte er eine Sklavin fürs Haus.

Jahre vergingen, und in Korras Hause wuchsen sechs große Sklavensöhne heran. Sie arbeiteten ebenso fleißig wie ihr Vater – »Nur wenn man arbeitet, vergeht die Zeit,« sagte ihr Vater. »Und wenn die Zeit vergangen ist, gehen wir müde zu den ewigen Wäldern ein.« An jedem Ruhetage führte er seine Söhne zur Höhe hinauf, vor das Antlitz des Sonnenunterganges und lehrte sie Sehnsucht.

Korra war alt und hinfällig. Er war immer alt gewesen, aber jetzt war nichts als das Alter von ihm übrig geblieben. Sein Sohn war von Geburt schwächlich. Aber sie brauchten niemand zu fürchten, denn ein jeder ihrer Sklaven konnte mit einem einzigen Keulenschlag einen Mann töten. Es waren prächtige Menschen, das Fleisch legte sich fest um ihre schlanken Knochen. Und wahre Tigerzähne hatten sie. Aber die Zeiten waren ruhig. Die Sklaven schwangen die friedliche Axt und fällten Bäume.


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