Wilhelm Jensen
Dietwald Wernerkin
Wilhelm Jensen

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Sechstes Kapitel.

Ein absonderlich lautes Summen und Treiben empfing Dietwald Wernerkin schon am Holstentor zu Lübeck und geleitete ihn, sich immer mehr verstärkend, zum Marktplatz hinan. Es war fast, als habe der ruhige nordische Ernst an der Trave sich zur heftigen Leidenschaftlichkeit Venedigs umgewandelt, so aufgeregt liefen alle Augen der Männer, Jünglinge und Greise selbst auf den Gaffen umher, redeten ihre beweglichen Mienen und schollen überall ihre Rufe mit Fragen und Antworten durcheinander. Der Ankömmling verweilte kaum in der Herberge, dann begab er sich zu Herrn Johann Wittenborg. Doch er mußte lange Zeit auf der großen Hausdiele desselben zwischen manchen vornehmen Bürgen der Stadt und vielerlei drängendem Volk warten, bis er zum Vorlaß in die Schreibstube des neuen Burgemeisters gelangte. Dabei schlug ihm von da und dort eifriges Gerede über dasjenige ans Ohr, was sämtliche Gedanken und Stimmen einzig in Anspruch nahm. Alles war noch ein unbestimmtes, sich vielfältig zuwiderlaufendes Gerücht, dem jeglicher irgendeine neue Kunde beizufügen wußte. Nur daß Waldemar Atterdag in Geleitschaft seines Sohnes Christoph und des Herzogs Erich von Sachsen, seines steten Verbündeten; mit einem mächtigen Heere von Eisengewappneten bei Nacht auf der Insel Gotland gelandet sei und Wisby überwältigt habe, war unanzweifelbar beglaubigte Botschaft. Doch die einen sagten, die Bürger der Stadt seien ihm vor dem Tor zum Widerstand auf offenem Feld entgegengerückt und insgesamt von seinen schwer gepanzerten Rittern niedergemacht worden, da die Bewohner Wisbys, seit langem durch Wohlleben und Üppigkeit verwöhnt, zu aller Kriegsführung und mannhaften Streitbarkeit untüchtig geworden; andere stritten dawider, Waldemar habe durch Einverständnis mitternächtlicherweile die Schutzmauer in einen einsam belegenen Garten hinab überstiegen und von dort aus seine Reisigen hervorbrechen lassen. Darin jedoch stimmte beiderlei Meldung überein, daß der Verrat eines Mädchens, welches der König zuvor mit Liebesversprechungen bestrickt gehabt, den Untergang der Stadt herbeigeführt, und daß er andern Tags nicht durch das Tor, sondern durch einen gewaltsamen Durchbruch der Ringmauer siegesprunkenden Einzug in die verödeten Gassen gehalten. Unermeßlich sei's, was er aus Kirchen und Klöstern, den deutschen Kaufhöfen, den Schatzkammern und Bürgerhäusern der Stadt an Gold, Silber, Edelsteinen, kostbarem Pelzwerk und unendlichen anderen Reichtümern mit sich geraubt, und in hochfahrendem Stolz habe er seinem Namen als König der Dänen und Wenden alsogleich noch den eines Königs der Goten hinzugefügt. Das alles sei aber nicht ohne Vorwissen des jammervollen Königs Magnus Smek von Schweden geschehen, der selber auf den Glanz und die Selbständigkeit Wisbys neidisch gewesen und dies verlassen und verraten habe, wie er schon zuvor schimpflich das Land Schonen, das reichste und fruchtbarste seiner Krone, an Waldemar Atterdag verkauft, daß auf den Gassen das Lied von ihm singe:

»Als Waldemar einzog in Schonens Schloß
Und König Magnus auszog mit seinem Troß,
Da spotteten seiner alt und jung
Und warfen an den Kopf ihm faulen Strunk
Und beschimpften ihn mit Wort und Gesicht,
Wie's noch geschehn einem König nicht.«

Nun werde wohl der Reichsrat von Schweden ihm und seinem Sohne Hakon von Norwegen Zwang antun, mit in dem Kampf wider Dänemark zu stehen, aber alles, was von des ›Schmatzers‹ Blut entstamme, sei wankelmütig und falsch, daß man nicht vom Morgen zum Abend auf Eid und Treue bei ihnen bauen möge, und es koste den Verführungskünsten Waldemars Atterdag nur einen Blick in die buhlsüchtigen Augen der Königin Blanca von Namur, um die Feindschaft zwischen ihm und den skandinavischen Herrschern wieder in geheime oder offene Freundschaft zu verwandeln.

So schwirrte das wild erregte Stimmengetöse um den Kopf Dietwald Wernerkins, der es mit seinen Ohren vernahm, doch kaum einen Gedanken daran knüpfte. Wohl hätte ihn vor kurzem noch die an Wisby verübte Missetat gleichfalls heftig und schmerzlich empört, aber unerbittlicher, mit eiserner Faust hatte das Geschick sein eigenes Leben gepackt und aus Sonnenlicht und Wärme jählings in freudloses Dunkel hinuntergestürzt, daß der Verlust von äußerm Glanz und Reichtum an dem Gefühl seines Herzens schier nur gleich einer Einbuße wertlosen Tandes abfiel. Die Kunde von dem Untergang Wisbys hatte ihn allein mit dem einzigen Gedanken erfüllt, daß der Hansebund sich zu einem Kriegszug wider den Friedbrecher zusammenschließe, und daß ihm vielleicht beschieden werde, Ruhe zu finden in dem wildausbrechenden Sturm auf der Ostsee; er wußte nicht, ob er den König Waldemar um seine blutige Gewalttat haßte oder ihm dankbar dafür war. Dergestalt nach langem Harren öffnete sich ihm endlich die Tür in die große, halb dämmrige Schreibstube Johann Wittenborgs, der, nicht in lange Bürgerschaube, sondern in ein Panzerhemd gekleidet, eifrig über vielerlei Schriftwerk gebückt, am Tische saß. Er drehte flüchtig nach dem Eintretenden die Stirn und fragte: »Wer seid Ihr? Was begehrt Ihr? Redet kurz!« und er wandte den Kopf schon auf einen begonnenen Brief zurück. Doch der Angesprochene stand beim ersten Anblick des neuen Burgemeisters überrascht, als erkenne er ihn kaum wieder, so in voller Jugendkraft erschien er und waren gleich zwei funkelnden Sternen seine Augen herumgeflogen. Dann folgte Dietwald dem Geheiß und gab kurz Antwort, wer er sei, und daß er gekommen, der Stadt Lübeck, soweit ihm andere Pflicht gestatte, seinen Dienst zu erneuern, Arm und Schwert zu bieten. Johann Wittenborg schrieb fort und erwiderte: »Wohl! Meldet Euch morgen auf dem Rathause; wir können kräftige Arme nutzen.« Er winkte ohne aufzusehen, und der Verabschiedete ging. Doch plötzlich fuhr der Kopf des Burgemeisters herum, er sprang empor und rief:

»Eure Stimme klingt mir im Ohr! Seid Ihr's, der mir drüben gesagt, es künde Gutes, dem Licht entgegen zu fallen, auch über die Schwelle des Richtblocks? Euren Namen vergaß ich –«

»Dietwald Wernerkin, Herr Wittenborg.«

»Recht, wir saßen zusammen in der Geisterstunde beim Wein und stießen die Becher auf die Zukunft. Ihr seid's, der unsere Kogge nach Venedig geleitet hat und dorthin ein seltsames Gastgeschenk vom Mittelmeer mitgeführt. Oder seid Ihr's nicht?«

Erstaunt haftete der scharfe Blick des Fragstellers auf den Goldsporen an den Füßen des vor ihm Stehenden und fügte rasch hinterdrein: »Ihr seid hoch geflogen in kurzer Zeit, Herr Ritter. Verzeiht, ich wußte nicht, wer seinen Arm uns bot und daß Ihr uns ein Ritterschwert antrugt. Seid willkommen, ob die Stunde drängt, für Euch hab' ich ein Wort übrig. Aber sehet seltsam ernsthaft geworden aus, daß ich Euch nicht erkannte, trugt ein anderes Gesicht, deucht mich, als ich Euch auf dem Markt antraf.«

Er hatte Dietwald die Hand geboten und ihn zu einem Sitz geführt. »Ihr schauet auch anders drein als damals, Herr Burgemeister,« erwiderte der junge Ritter ernst, »als seiet Ihr an Jahren rückwärts gegangen: das geschieht nicht jeglichem.« Mit äußerst kurzen Worten berichtete er von seinem Aufenthalt in Venedig und wie dort Graf Heinrich von Holstein seinen Vorsatz, sich völlig Kenntnis im Handelsgeschäft zu erwerben, mit Sendschaft und Ritterschlag durchkreuzt, und Johann Wittenborg fiel hastig ein:

»Steht also in Freundschaft zum eisernen Grafen, Herr Ritter? Seid mir noch mehr willkommen! Das kann gutes Gewicht für uns mit sich führen.« »Vielleicht bring' ich Euch auch eine Kunde, die noch nicht zu Euch gelangt, daß König Hakon von Norwegen sein Verlöbnis mit König Waldemars Tochter Margareta gelöst hat und im Begriff steht, ein Ehebündnis mit der Gräfin Elisabeth von Holstein abzuschließen.«

Der Burgemeister flog jäh von seinem Sitz empor und stieß aus:

»Dessen gedenkt Ihr jetzt erst, Ritter Wernerkin? Von wem ward's Euch?«

»Ich selber trug als Bote die Zusage des Grafen Heinrich von Venedig nach Rendsburg.«

»Ihr selber? So ist's gewiß! Das ist eine Kunde, die viel Goldeswert wiegt und wie mir keine glückvoller zugekommen, denn sie sichert uns den Zorn Waldemars Atterdag wider beide Fürsten von Holstein und Norwegen und guten Rückhalt an ihnen für uns. Was schaut Ihr immer noch so ernst, als hättet Ihr düstre Botschaft getragen? Lachet mit mir über den neuen König der Goten!«

Die Nachricht mußte Johann Wittenborg gar hochwillkommen gefallen sein, denn er lachte in Wirklichkeit frohgemut auf, und einer der nachdenklichen Schatten seiner Stirn schwand ausgeglättet fort. Zugleich indes haftete sein Blick wie mit einem plötzlichen Gedächtnisschimmer auf dem schweigsamen Antlitz Dietwald Wernerkins, er legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach:

»Was redetet Ihr damals beim Wein, weshalb Ihr mein Angebot, nach Venedig zu gehen, nicht halten wolltet? Mir kommt's, Ihr gedachtet zum Ritter Malchen nach Arensfeld und Euren Bogen nach einem Goldpirol hochzuspannen, doch ein Königsadler hat auf ihn gestoßen und trägt ihn Euch in den Fängen übers Meer. Ist's darum, daß Ihr nicht mitlacht, Ritter, und Spinnweb über Euren Augen hängt? Lasset die Weiber, ihr Blick ist eine Honigwabe mit giftigem Stachel drin und verdirbt dem Blut des Mannes Kraft und Mut. Freuet Euch, daß Ihr im Mai von der Krankheit gekommen, denn der Volksmund redet, sie sei gefährlicher und schlimmer, wenn sie im Hochsommer befällt. Ihr habt schon mancherlei gutes Verdienst um unsere Stadt, doch ich verhoffe, besseres werdet Ihr Euch noch um sie erwerben. Das lasset uns heute nacht wieder beim Wein weiter bereden, Ritter Wernerkin, denn ich hab' Euch noch vieles zu anderer Stunde zu befragen. Was sprachet Ihr von einer Pflicht, die Euch obliege?«

»Nach meinem Gelöbnis und Gebot des Grafen Heinrich als sein Statthalter die Gräfin Elisabeth zum Traualtar mit dem Stellvertreter Königs Hakon zu führen und sie nach der Vermählung über die See bis gen Norwegen zu geleiten.«

»So sehet, daß Ihr das erstere bald vollbringt, das andere möget Ihr nicht so schleunig erfüllen. Die Schiffe Waldemars Atterdag werden scharf achthalten auf König Hakons Ehegemahl, daß sie sich nicht auf die See getrauen darf, und sie wird lang eine jungfräuliche Königin bleiben, vielleicht länger noch, als bis dies Jahr sich beendet. Doch sobald der Priesterspruch sie gebunden, daß Ihr vorerst Eures Wortes ledig, halte ich Euch in Dienst und Pflicht für die Dudesche Hanse, Herr Ritter. Das reden wir zur Nacht weiter, jetzt drängt mich die Stunde. Gehabt Euch auf Wiedersehen mit helleren Augen, daß sie für Waldemars Atterdag Tücken und Ränke klar sind.« Der Burgemeister verabschiedete sich mit festem Handschlag von dem jungen Ritter, der sich beim Fortgang noch einmal mit den Worten umwandte:

»Habe Euch noch einen Gruß auszurichten von Knud Hendrikson, dem Kaufherrn aus Helsingborg, oder ist er selber derweil hierher an die Trave gekommen?«

»Knud Hendrikson aus Helsingborg?« wiederholte Johann Wittenborg. »Kenn ihn nicht, seine Name fällt mir nicht bei. Es geht mir zurzeit mancherlei durch den Sinn, vielleicht kommt mir beim Wein sein Gedächtnis. Mit Gott, Ritter Wernerkin!«

Sein von Gedanken überlagertes Gesicht ließ gewahren, daß er schon anderes erwog und daß Dietwald seine Zeit bereits über Gebühr in Anspruch genommen. Aber die lange Frist, die der neue Oberherr Lübecks ihm vergönnt, bekundete, daß er die Ankunft und das Dienstanerbieten des jungen Ritters mit hohem Wohlgefallen aufgenommen und besonderes Vertrauen in seine mannhafte Tüchtigkeit und Geistesbefähigung gewonnen habe. Davon legten schon die kommende Nacht und die folgenden Tage mannigfaltiges, immer deutlicher hervortretendes Zeugnis ab. Mit fieberhafter Tätigkeit wurden im Travehafen, auf den Werften und Helgen bei Sonnen- und Fackellicht Schiffe gezimmert, gebessert, gerüstet; der Handel zur See war völlig unterbrochen, alle sonst ihm zugewandte rege Geschäftigkeit des Friedens wetteiferte einzig zur Herstellung von Werken und Bedürfnissen des Krieges. Überall aber ruhten die Augen Johann Wittenborgs prüfend, ordnend, gebietend, selbst; er schien, zehnfach geteilt, zugleich hier und dort zu sein, über die doppelte Anzahl von Tagesstunden, als andere, zur Bewältigung aller seinen Rat und Entschluß begehrenden Anforderungen zu verfügen. Das Wort ›Krieg‹ wurde noch von keiner Lippe laut gesprochen, doch jeglicher wußte, daß auf den Bänken des ‹großen Hansesaales‹ droben im obern Geschoß des Rathauses Abgesandte von Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Hamburg, Anklam, Stettin und Colberg, ja sogar von Kulm und Danzig versammelt seien, zum erstenmal nicht als Vertreter der Kaufmannsgilden ihrer Heimatorte, sondern als Vollmachtsboten der hansischen Städte selbst, über die dem Bunde der deutschen Hansa zu Wisby zugefügte Unbill zu tagen und ihre Bereitschaft zu sichern, der Bedrohung des gesamten Handels durch König Waldemar vereinigte Waffengewalt entgegenzusetzen. Viel laute Stimmen klangen vom Morgen bis zum Abend aus dem Rathaussaal auf den Markt und die Breite Straße der Stadt hinaus, wo gedrängte Volksmenge atemlos horchte. Droben jedoch schüttelte manch bedächtiger Kopf sein graues Haar, eindringlich vor dem Unerhörten warnend, daß man von den besonnenen Wegen der Väter abweiche und eine Gemeinschaft von Kaufleuten sich zu kriegerischem Unterfangen wider den mächtigsten Feind des Nordens vermesse. Wie könne ein Bündnis von Städten, die nicht frei seien, sondern unter der Hand ihrer Landesherren, eine Gewalt aufbieten, zusammenhalten und schlachtentüchtig ins Feld führen, um König Waldemars Panzerrittern zu trotzen, da die Hanse doch bisher nicht einmal allerorten auf der Ostsee ihre Schiffe vor gemeinen Seeräubern zu sichern imstande gewesen? So ging die Ratschlagung manchen Tag, während in den Werkstätten draußen unablässig Hammer und Amboß erdröhnten, Schiffsbeil und Säge; wechselnden Meerwellen gleich schwankte der Ausfall des Entscheids hin und wieder. Es schien fast die Wagzunge sich auf die Seite der sorglich Bedachtsamen zu neigen, denn sie erhoben den Antrag, der Rat von Lübeck möge zuvörderst beschließen, um den Zorn des Dänenkönigs nicht zu reizen, die lauten Zulüftungen einzustellen, die der neue Burgemeister eigenmächtig ins Werk gesetzt habe, und es ward ersichtlich, daß der letztere vielfältig von den Geschlechtern der Stadt nicht mit besonderer Gunst betrachtet wurde, vielmehr wider ihren Willen zu seinem hohen Amt nur durch den Ungestüm des Volkes nach der Botschaft von Wisby erzwungen worden. Da trat in bedrohlicher Stunde Herr Johann Wittenborg in den stimmenhallenden Hansesaal. Er kam, eilig herbeigerufen, von den Schiffswerften des Hafens, geleitet von dem jungen Ritter Wernerkin, und schwer vom Haupt zum Fuß im Eisenpanzer klirrend, wie ein Feldherr, der siegesmutig zum Angriff vorstürmt, schritt er rasch die Stufen zur Rednerbühne hinan. Dort nahm er den Helm von der Stirn, daß ein Ton der Bewunderung alle Köpfe unter ihm überlief, wie sein unbedecktes Antlitz edelstolz, fest und mannesernst und doch jugendkühn, mit blitzenden Augen über der kriegerischen Rüstung vor sich hinaussah. Er begann, von dem hurtigen Lauf noch erschöpft, mit unberedtem, seiner gewaltigen Erscheinung nicht gleichgeartetem Stimmenfang, daß ringsum das Deutsche Reich zerfalle und verderbe und das Haupt keinen Schuh mehr ausbreite über seine Glieder. Darum wage der Sperber seine Fänge an den geduldigen Leib des Königsadlers und hohnlache über die stiebenden Goldfedern, die er von ihm herabstoße. Dessen hätte sich keiner getraut, als die staufischen Kaiser noch gewesen und der Löwenherzog an der Ostsee das Schwert des Sachsenreiches gehalten. Doch gefallen liege alles, Kaiser und Reich, in Armut, Ohnmacht und Entartung, daß in oberdeutschen Landen nirgendwo mehr Kraft, Recht, Sicherung, Wohlstand und Gesittung zu finden sei, als in den ruhmvollen Städten stolzer und hochgesinnter Bürger zu Nürnberg und Augsburg, Ulm und Regensburg, Leipzig, Frankfurt, Mainz und Köln und wie sonst ihr weitgerühmter Name klinge. Ihrer aller Blüte und Ansehen aber habe die nämliche Mutter gehabt, die sie geboren und mit der nämlichen Milch zu unvergleichlichem Wachstum emporgenährt, mit der Freiheit, Sicherheit und Herrschaft des Handels, die heute als Lebensblut in ihren kraftstrotzenden Gliedern rolle. Und ingleichem sei auch die großmächtige Stadt Venedig durch den Handelsbetrieb des Kaufmanns allein zur Beherrscherin des Mittelmeeres, zur Herrin des Morgenlandes, Kaisern und Königen ebenbürtig geworden, wie dort der Ritter Wernerkin es vor kurzem mit Augen gesehen und Wunderberichte davon heimgebracht. Soweit hatte Johann Wittenborgs Stimme, ob auch allgemach anwachsend, nur gleich derjenigen anderer Redner geklungen, nun aber schwoll sie machtvoller empor und lief wie der Widerhall eines tönenden Erzes an den Wänden um. So auch wie in oberdeutschen Landen liege das Reich im Niederland ohnmächtig am Boden, altersschwach und verspottet, und sei kein Schirm gegen Raub, Gewalt und Willkür, als im Mut und in der Faust jedes Mannes, der nicht Schimpf und Unrecht zu dulden gewillt sei. Solcher Feigheit zwar schuldige er nur wenige an – flammend lief der Blick des Redenden über die Köpfe – doch der einzelne fühle sich nicht an Kräften dem Raubritter gleich, der ihn im Felde bedrohe, und die einzelne Stadt fühle sich zu waffenlos wider die Gewalttat heeresmächtiger Fürsten. So aber auch wie im oberdeutschen Lande seien an der Ostsee reichblühende Städte aufgewachsen an den vollen Brüsten des Handels, bis heute indes jede ein Rohrhalm nur, im wechselnden Winde schwankend, gemeinsamem friedlichem Vorteil nachtrachtend, doch in der Gefahr des einzelnen keinen gemeinsamen Feind erkennend. Nur Geldesfreundschaft zum Gewinn habe zwischen ihnen gewaltet, nicht Blutstreue zu Schutz und Trutz, auf Leben und Tod. Darum habe eine räuberische Faust frech sich nach Gut und Leben der Kaufleute auszustrecken gewagt.

Wie Schwertklang schnitten die Worte des neuen Burgemeisters von Lübeck durch die laut- und atemlos unbewegte Luft des Saales:

»Wollt Ihr Rohrhalme verbleiben, von jedem Wind gebrochen? Ein Wort von Euch schnürt sie zum Pfeilbund, der unzerbrechlich ist! Wollt Ihr das Lebensblut in Euch verströmen lassen, wo gierige Hand ihm die Adern aufreißt? Seid Ihr dazu gekommen, so geht nach Hause, reißt die Mauern Eurer Städte nieder, denn Ihr tragt kein Blut in Euch, sie zu schützen – werft Feuer in Eure Schiffe, denn Ihr braucht sie nicht mehr! Bittet Waldemar Atterdag, daß er auch Eure Kaufhöfe zu Bergen und Nowgorod seinen Töchtern zur Mitgift gibt und die Ostsee von Euch zum Geschenk nimmt! Kniet hin vor ihn und bittet, daß er den ermordeten Bürgern der edlen Stadt Wisby vergibt, daß ihr Reichtum seine Gier gereizt, und leistet ihm Eidpflicht, Gold und Gut Eurer Stadt ihm vor die Füße zu leeren. Denn wenn Ihr ihm heute Eure Habe, Eure Rechte und Freiheit nicht bringt, wird er morgen zu Euch kommen, sie zu holen!«

Ein lautes, wirres Stimmgetöse brach hinter den Worten des Redners drein. »Einen Hansebund zu Schutz und Trutz! – Krieg gegen Dänemark! – Sieg oder Untergang!« Nur da und dort regte noch einer der vorherigen Warner zu flüsternder Abmahnung die Lippen: Johann Wittenborg aber riß scharf klirrenden Tones sein langes Ritterschwert aus der Scheide und rief, daß es weit über die tausendfach gedrängten Köpfe drunten auf dem Markt hinaushallte:

»Was steht Ihr noch zu raten und zu raunen! Seid Ihr Memmen oder Männer der Löwenstadt? Ihr habt bis heute mit Wage und Maß gehandelt, hier ist eine neue Eisenelle für Waldemar Atterdag, laßt ihn sein blutiges Königsschwert daran messen! Falle dieses auf meinen Kopf, wenn der Handel mißlingt! Ihr ruft: Krieg wider Dänemark! Ich rufe: Herab mit der Dänenherrschaft auf der deutschen See! Gebrochen sind Kaiser und Reich und zerrissen liegt die stolze Sachsenmacht des Löwenherzogs. Aber die Stadt, die seine Hand aufgerichtet, steht, und sie ruft Euch aus meinem Munde: Eine Stadt der Hansa für alle und alle für eine, oder gehet unter in Armut, Knechtschaft und Verderben! Zu dieser Stunde fällt Eure Wahl – ich aber schaue in kommende Tage und sehe den Löwen wieder Wacht halten am deutschen Meer, doch nicht mit Fürstenschild und Streitaxt, sondern mit dem Schwert freier Bürger der hundertköpfig für alle Zeit in Not und Tod verbündeten Dudeschen Hanse!«

Und mit Augen, als gewahrten sie leibhaftig eine stolzragende, glanzumleuchtete Zukunft vor sich gebreitet, hob der neue Burgemeister Lübecks das funkelnde Schwert hoch über sich empor; von hundert Lippen im Saale aber brach donnernder Ruf: »Den Krieg! Den Krieg! Schutz und Trutz wider Waldemar Atterdag! Rache und Sühne für die edle Stadt Wisby! Gen Seeland aufs Meer mit den Schiffen der Dudeschen Hanse! Herr Johann Wittenborg sei ihr Führer und Feldherr!«

Und wie aufbrausender Sturm kam es tausendzungig vom Markt zurück: »Johann Wittenborg sei unser Feldherr!«

Die Treppen herauf drängte das Volk, jeden Widerstand brechend, jubelnd, tobend in den Ratssaal; scheu verstohlen raunte nur da und dort ein Mund: Er steigt auf den Schultern des Pöbels über die Geschlechter und setzt uns den Fuß auf den Nacken: verflucht sei Waldemar Atterdag! Ein Haufen war nach der nahen Marienkirche gestürzt, hatte die Läutstricke gefaßt, und plötzlich wogte der eherne Glockenmund, einer Stimme vom Himmel gleich, in das unermeßliche Getöse herab, das durch alle Gassen, in jedes Haus den Namen Johann Wittenborgs rief, des Erretters, des Rächers, des Kriegsoberhauptes der Dudeschen Hanse. Es war ein Tag, wie die Stadt Lübeck ihn noch nie gesehen, seit Herzog Heinrich der Löwe ihre ersten Steine zusammengefügt. Bleich stand der jugendliche Burgemeister jetzt, von der Rednerbühne herabgestiegen; einer Stütze bedürftig, legte seine Hand sich auf den eisenbeschienten Arm Dietwald Wernerkins, und er flüsterte von mächtiger Erregung überwältigt, sich an das Ohr des jungen Ritters neigend: »Odorint dum metuant! Dafür ist der Untergang Wisbys nicht zu teuer erkauft, und – es wettet nicht mehr um den Vorrang mit Lübeck.« Das letzte Wort mochte Johann Wittenborg aus tief verborgener Gedankenkammer unbedacht herauf entflogen sein, er tauchte einen hastigen, Verschwiegenheit erheischenden und volles Vertrauen kundgebenden Blick in die Augen Dietwalds und trat auf die Vollmachtsabgesandten der Hansestädte zu, die sich ihm entgegendrängten und mit lauten Worten der Beipflichtung und Begeisterung seine Hand schüttelten.

Überall aber nun in Lübeck verdoppelte sich noch die fieberhafte Tätigkeit bei Tag und Nacht, und wohin die Boten des Hansetags in ihre Heimat zurückkehrten, begann die gleiche Regsamkeit von tausend Händen. Die Schreibstube Johann Wittenborgs sah vom Morgen bis zur Nacht unablässig kommende und gehende Sendschaft; Bündnisanträge zum gemeinsamen Kriege gegen Dänemark eilten von dort an die Könige von Norwegen und Schweden, Herzog Waldemar von Schleswig, die Grafen Klaus und Johann von Holstein, den Ordensmeister der Teutschherren in Preußen und kamen nach kürzerer oder längerer Frist mit Zusage und Vertragsabschluß zurück. Ein Gebot der deutschen Hanse ging aus, das allen und jeden Schiffen der Ostsee den Handelsverkehr mit dänischen Landen untersagte, und wo solche betroffen würden, sie als Feinde der Städte den Kaptersniggen der letztern zur Wegnahme von Fahrzeug und Ladung preisgab. So wurde aller Zufluß an Lebensbedürfnissen und Geldwert nach Dänemark gehemmt, wahrend die Städte, den Säckel für die Kosten des Krieges zu füllen, zum erstenmal seit dem Bestand der Hanse durch allgemeine Auflage eines Pfundzolles eine Bundessteuer ins Werk setzten. All diese hundertfältigen Fäden liefen im Kopfe Johann Wittenborgs zusammen, der trotzdem nach wie vor alle Zurüstungen an Schiffen, Waffen und Geräten täglich mit eigenen Augen besichtigte, als sei er in einem Heerlager geboren und von Kindheit auf mit der Kenntnis jedes Kriegsbedarfs vertraut. Fast immer begleitete ihn auf seinen Rundgängen Dietwald Wernerkin, den er oft, zumal bei der Standsetzung der Schiffe zum Kampfgebrauch, um Rat und Einrichtung der venezianischen Schlachtgaleeren befragte und nutzreiche Auskunft von ihm erhielt. Um die Mitternacht jedoch saß er allemal drunten im Ratsweinkeller, und auch dorthin mußte Dietwald ihm stets Geleit geben. Da war Johann Wittenborg sorglos-frohgemut beim Becher, als ob keine Last und Mühsal des Tages an Körper und Geist ihn fast erdrückt habe. Er kerbte unter Scherz und lustigem Witzwort mit einem Messer seinen Namen kunstreich in den alten Eichentisch ein, daß alle, die um ihn saßen, der zukunftsschweren Zeit zum Trotz oftmals in heiteres Gelächter ausbrachen. Nur das Gesicht des jungen Ritters blieb jederzeit unjugendlich ernst dabei, als habe es das Lachen für immerdar verlernt.

Dann erhielt er eines Tags eines Kämmerers Schreiben aus Rendsburg, die Gräfin Elisabeth tue ihm nach der Vorschrift ihres Bruders zu wissen, daß der Abgesandte des Königs Hakon von Norwegen eingetroffen und die kirchliche Vermählung mit dem Stellvertreter des letztern für die nächste Zeit anberaumt sei. Sogleich nach Empfang dieser Botschaft nahm Dietwald für kurze Frist Urlaub von Wittenborg, der ihn nur widerwillig ziehen ließ, und ritt durch das Holstentor davon. Er säumte nirgendwo, nur einmal hielt er sein Roß an, als zur Rechten von ihm Burg Arensfeld über rotblühende Heide emporstieg; sein Blick ging eine Weile schweigsam durch das Morgensonnengeflimmer, und wie aus einem Traum auffahrend, stieß er dem Pferd plötzlich die Goldsporen ein, daß es, solches Antriebs von ihm ungewohnt, emporbäumend erschreckt vorsprang, bis er besänftigend den Hals des Tieres klopfte und zu ihm hinabsprach: »Vergib, daß ich dir Unrecht gefügt, man soll nicht andern Übles tun, weil's uns selber geschehen. Das ist aller Menschenpflicht Erstes und Letztes, und sie darf den blauen Himmel da droben nicht fragen und anschuldigen, warum er's gewollt, daß ein Menschenherz schneller hinwelke als eine Blume im Feld. Er will mir nicht Hoffnung flößen, daß er eine Antwort darauf gibt.«

Große festliche Bereitung traf der Ankömmling in der Stadt und auf dem Fürstenschloß zu Rendsburg vor. Durch die kriegerische Einigung gegen Dänemark hatte der Abschluß des Ehebündnisses zwischen Norwegen und Holstein noch eine weit gewichtvollere Bedeutsamkeit gewonnen, die Grafen Klaus und Johann, Herzog Albrecht von Mecklenburg, Junker Adolf von Schauenburg und zahlreiche andere Herren und Ritter waren zur Feier als Zeugen versammelt. Der Weg von den Gemächern der Königsbraut über den Schloßhof zur Burgkapelle lag hoch mit Blumen bestreut; als Elisabeth im bräutlichen Schmuck über die Schwelle ihrer Ankleidekammer trat, bot harrend Dietwald Wernerkin, der sie zuvor nicht begrüßt, ihr mit tiefer Verneigung die Hand und führte sie bis an den Altar hinüber. Es regte wohl Verwunderung unter den Zuschauern und manch heimliches Mißvergnügen bei den Fürsten, daß ein so junger und unbenamter Ritter statt eines der vielen, hoch am Range über ihm Stehenden dieses Ehrengeleit ausübe und den Vortritt vor ihnen nehme; doch gab keiner seinem Verdrusse merkbaren Ausdruck, denn es war so der Wille des eisernen Grafen, gegen den sich im Holstenland niemand, am wenigsten sein Bruder aufzulehnen getraute. Der jugendliche Statthalter aber vollzog sein hohes Ehrenamt mit ritterlichem Anstand, Würde und sicherer Festigkeit. Er hatte nicht mit den Wimpern gezuckt, als er der königlichen Braut, ganz in weißem Gewand und mit einem Kranz blauer Blüten auf dem Scheitel, zuerst ansichtig geworden, seine ausgestreckte Hand faßte mit ruhiger Bewegung die Fingerspitzen der ihrigen, so schritten sie gemessenen Ganges dahin. Fast seltsam-geschwisterhaft ähnlich erschienen sich ihre Züge, das goldhelle Haar und die blauen Augen, und manches der neugierig gedrängten Weiber des Volkes raunte heimlich, es sei schade drum, daß sich das junge, holdgeschaffene Paar nicht zum Altar geleite, um selber als Mann und Weib zurückzukommen; denn es lasse sich nichts mehr wie füreinander Bestimmtes und Jugendlieblicheres erdenken, nur etwas zu blaßfarbig seien beider Gesichter für den freudigen Tag. Sie hatten sich nicht angeblickt und keinerlei Wortesgruß selbander getauscht, nur einmal, wie im Schloßhof der Fuß Elisabeths auf dem dichten Blumenteppich leicht zur Seite glitt, daß ihre Finger sich flüchtig zusammenschließend eine wirkliche Stütze an der Hand ihres Führers suchten, sprachen ihre Lippen mit einem müden Lächeln dazu: »Es hätte so vieler Blumen nicht bedurft, heut um mich zu verwelken,« und der junge Ritter erwiderte:«Freilich hebt der Fuß sich schwer darauf vor, wenn jeglicher Schritt ihrer eine zertreten muß.« Weiter redeten sie nichts: in der Kapelle begab Dietwald Wernerkin sich bescheiden zur Seite, der norwegische Abgesandte trat, mit einem roten Blumenkranze geschmückt, zur Linken der Braut vor den Altar, zwei Jungfrauen und zwei Junggesellen hielten über den Häuptern beider ein purpurfarbiges, schleierartiges Tuch ausgespannt, und in kurzem hatte der bischöfliche Mund das Ehebündnis zwischen dem, gleich als ob er anwesend stehe, durchlauchtigen Könige Håkon von Norwegen und der hochbürtigen, edlen Gräfin Elisabeth von Holstein geknüpft, daß nach dem Gelöbnis beider vor Gott und Menschen ihre Treue nichts scheiden solle als der Tod, und die Segensspendung der Kirche den Bund beschlossen. Der Stellvertreter führte die neue Königin in den Schloßsaal zurück, wo von allen Fürsten und Herren die Vermählungsurkunde unterzeichnet ward. Doch die Mehrzahl vermochte nicht ihren Namen, sondern nur ein Kreuz auf das Blatt zu setzen, und es erregte allgemeines Erstaunen, wie Dietwald, als Statthalter des Grafen Heinrich, mit großer, klarer Schrift als der erste den Abschluß der Ehe beglaubigte. Ihre Gültigkeit erheischte noch einen, wenn auch rasch beendeten, doch peinlichen Vorschriftsbrauch; ein Lager stand, von purpurner Decke überbreitet, aufgeschlagen, zu dem die Brautführerinnen die junge Königin geleiteten. Sie ward darauf emporgehoben, der stellvertretende Gemahl trat hinzu, bog sein Knie auf den Rand des Lagers, und einen Augenblick lang ward die purpurne Decke um beide zusammengehüllt. Dann empfing die Vermählte, jedem die Hand zum Kusse darreichend, die Beglückwünschungen aller Anwesenden, die ihr Bedauern sprachen, daß der bevorstehende Krieg gegen Dänemark einen zurzeit noch völlig unberechenbaren, für König Hakon wie für seine Gemahlin gleich schwer ertragbaren Aufschub fordere, bevor sie sich, sicher vor feindlicher Gewalttat König Waldemars Atterdag, übers Meer in die harrende Brautkammer zu Schloß Bergenhuus getrauen dürfe. Mit unveränderter Miene hörte die junge Königin den Worten der Heilsgrüße und des Beileids zu, es spiegelte sich nicht Glück noch Trauer in ihrem Antlitz. Nur als der Ritter Wernerkin nun nach den Fürsten zu ihrem Sitz hinanschritt, erschien ihr Gesicht noch um etwas blasser als zuvor. Sie sprach ihn an: »Lasset mich Euch danken, Herr Ritter, denn Ihr habt das Schwerste vollbracht, daß Ihr aus so weitem Land heut hierher gekommen, mich zu begleiten. Dessen bleibe ich Euch gedenk.«

Kurz hatte sie gezaudert, dann bot sie ihm, gleich den übrigen, ihre Hand zum Kusse. Doch er neigte sich nur, als gelte seinen Lippen diese Darreichung nicht, bis ein stummbittender Blick aus ihren Augen in die seinigen traf, sich der Vorschrift des Brauches nicht zu weigern. Da bückte er sich rasch auf die schöne Hand, allein sie kaum mit dem Munde streifend, hob die Stirn zurück und entgegnete:

»Ich tat die Pflicht, durchlauchtige Königin, die ich Eurem edlen Bruder gelobt, und habe nicht Dank drum verdient, denn eines Gebotes Erfüllung birgt nicht Verdienst vor Gott und uns selber, ob sie freudig oder mühsam sei. Wollet Ihr mir aber besondere Gunst erweisen, so verstattet, daß ich alsogleich zur Stadt Lübeck zurückreite, dort meiner Zusage getreu zu werden.«

Ein leichtes Zucken ging durch die Wimpern der Königin Elisabeth. »Ihr habt vor derselben meinem Bruder noch eine andere Zusage getan,« sprach sie unschlüssig; der junge Ritter fiel ein:

»Die mich gehorsam finden wird zu jeder Stunde, durchlauchtige Herrin, wenn Euer Gebot mich beruft. Aber wir haben vielfältige Rede vernommen, daß Ihr anerst nicht danach trachten könnt, Euch aufs Meer zu begeben.«

»Ich habe Euch nichts zu gebieten, Herr Ritter, es steht bei Euch, zu erfüllen oder zu versagen. Doch wenn Ihr mir Euer Geleit auf der Seefahrt, wenn sie statthaben mag, gewähren wollt, so wird es mir sein, als ob ich unter den Schutz meines Bruders selbst gestellt sei. Seid Ihr aus freiem Entscheid freundlich gewillt, mir diese tröstliche Zusicherung zu verleihen, daß Ihr mich lasset, um dergestalt noch einmal zurückzukommen, da reichet mir zu solchem Angelöbnis, gleich wie mein Bruder, in seinem Namen die Hand, und gehet, Herr Ritter, unter der Obhut des Kreuzzeichens der himmlischen Liebe, die Euch allzeit geleiten und beschirmen möge auf Euren Wegen in Feindesgefahr zu Land und zu See.«

Sie reichte ihm ihre Hand, Dietwald Wernerkin erfaßte diese und entgegnete: »Ich gelob' es, durchlauchtige Königin, beim Zeichen des Kreuzes, von dem Ihr geredet, und es breite den Schutz der Himmelsliebe über Euch, wie Ihr mich ihrer Obhut befohlen.« Jetzt beugte er sich und drückte ehrerbietig seine Lippen auf die Hand der jungen Königin; dann verneigte er sich nochmals vor ihr und dem Kreis der Fürsten umher und verließ festen Schrittes den Saal, durch dessen hochgewölbte Fenster die Königin Elisabeth von Norwegen einen Augenblick schweigsam auf den stillen grünen Garten drunten am sonnigen Spiegel der Eider hinaussah.

Als Dietwald Wernerkin wieder in Lübeck eintraf, fand er die kriegerische Zurüstung dort um ein Gewaltiges vorgeschritten. Reisige Mannen mit »Ausreitevögten« als Hauptleuten an der Spitze waren um reichen Sold geworben, die jugendkräftigen Bürger der Stadt fast ausnahmslos gewaffnet und vom Morgen bis zum Abend im Felddienst eingeübt. Unablässig standen die Armbrustmacher in ihren Werkstätten an der Herstellung von Bogen und Pfeilen beschäftigt, der »Blidenmeister« versah die Deckkastelle der Schiffe mit schweren Wurfgeschossen, Balken und Steinen, die aus Maschinen gegen feindliche Mauern und Fahrzeuge geschleudert zu werden bestimmt waren. Auch Feuerbolzen und andere Brandwürfe zum Anzünden von Häusern und Schiffen der Gegner hielten die Vorratskammern für die »Bliden« oder Balisten bereit; geheim verwahrt und geheimnisvoll aber barg das Waffenverlies, wenn auch nur gering an Zahl, seltsame, aus Eisenstäben zusammengeschweißte und mit eisernen Ringen umgeschmiedete Rohre, von denen unter den wenigen Eingeweihten wundersame Gerüchte umliefen. Völlig unbekannt noch bei der Menge, sogar bei Rittern und Fürsten des Nordens, war nur erst in die große Handelsstadt Lübeck eine neue Erfindung hinaufgedrungen, die selbst die schwerste Panzerrüstung in der Schlacht nutzlos und verwundbar wie ein Lederwams machen solle. Man schütte in die eisernen Rohre »Büssenkrud«, ein schwarzes, erschreckliches Mehl, das unsichtbares Feuer in sich enthalte, darauf fülle man Steine oder zerhacktes Blei und wenn man alsdann einen brennenden Schwamm daran tue, fahre eine Flamme heraus und schleudere unter lautem Gekrach mit furchtbarer Gewalt das Stein- oder Erzgeschoß gleich Pfeilen geradaus wider den Feind, daß nichts dagegen zu schützen stark genug sei. Doch niemand wußte ganz Genaues darüber, als Herr Johann Wittenborg und seine nächsten Vertrauten, die täglich mit dem Armbrustmeister, dessen Verwahrsam das kostbare, Bombarde benannte Kriegsgerät anheimgegeben, in einem großen, sorglich verschlossenen Raum Prüfung damit anstellten, so daß nur dann und wann das donnerartige Getöse weithin nach außen hinaushallte. Von nicht weniger emsiger Tätigkeit jedoch als zu Lübeck berichtete die Kunde überall her aus den großen Hansestädten, und auch die kleineren blieben nicht müßig zurück. Zahllose Tonnen frischgebrauten Bieres und andere mit gesalzenem Ochsen- und Schweinefleisch, Dorschen, Heringen, Stören, Lachsen und Neunaugen, Brot, Mehl, Bohnen, Butter und Käse wurden am Travehafen aufgestapelt und in die Schiffsräume verladen, um der Heeresmannschaft auf der See zur Nahrung zu dienen. Doch auch köstlicherer Mundvorrat an Ingwer, Feigen, Mandeln, Safran, Honig und Pfeffer für die Anführer mangelte nicht, und auf jeder Kogge harrte ein »Oberkoch« mit einem großen und kleinen »Unterkoch« der Ausführung seines gewichtigen Berufs. Wenn dergestalt die Städte nichts für den bevorstehenden Kriegszug versäumten, lautete dagegen die Botschaft über die Rüstungen der bundgenössischen Fürsten nach gewohntem Herkommen nur mäßig und wenig Aussicht eröffnend. Es gebrach ihnen allen an Geld, Söldner zu werben, an einer fest entschlossenen Hand, ihre Lehnsritter waren unbotmäßig und aufsässig. Die holsteinischen Grafen allein betätigten einigen Eifer, doch sie besaßen keine Schiffsmacht und mußten ihre Hülfsleistung darauf beschränken, daß sie in Gemeinschaft mit dem wenig zuverlässigen Herzog Waldemar von Schleswig zu Lande in Jütland einzubrechen verhießen. Von Schweden und Norwegen gelangte nur eine weit umgeirrte, unbestimmte Nachricht herab. Sie besagte, daß man dort allerdings waffne, aber es fehle nicht allein an Geld, sondern vor allem im Königsschloß zu Stockholm und vielleicht auch anderswo noch mehr an nachdrücklichem Willen und rege den Eindruck, mehr zum äußerlichen Anschein als mit innerlichem Ernst betrieben zu werden. So hatte Johann Wittenborg wohl Anlaß, Dietwald Wernerkin manchmal zu wiederholen, er baue auf nichts, als auf die Kraft der Hanse allein und daß die andern Fürsten nicht wider sie ständen, wozu vor allem das Ehebündnis des Königs Hakon mit der Gräfin Elisabeth verholfen. Aber mit dem Eifer der Städte, wie er aus diesen so allseitig und gewaltig nicht zu rechnen gewagt, sei er siegeszuversichtlich genug, und es müsse sich die Hölle mit Waldemar Atterdag verbünden, um ihn vor der Übermacht der hansischen Flotte zu erretten. Mit bereitwilliger Einmütigkeit hatten auch alle Mitglieder des Bundes der Stadt Lübeck die Führung des gemeinsamen Heerzuges zuerkannt und ihre Schiffe dem Burgemeister derselben als oberstem Feldherrn untergeordnet. So kam ein Tag, an dem die Schiffsmacht der Dudeschen Hanse sich von allen Häfen her in der wagrischen Ostseebucht vor Travemünde versammelte und die lübischen Koggen, Sniggen, Schuten, Kreyen, Balinger, Barsen, Espinge und Bordinge zu ihr stießen. Es war eine Flotte, wie die Ostsee sie noch niemals vorher gewahrt; siebenundzwanzig Holke mit dreitausend Schwergewaffneten bildeten den Kern der Schlachtschiffe, den ein zahlloser Troß der leichten Fahrzeuge umringte. Der Wind blies günstig, und an der Spitze der drohenden Heeresmacht schwellte das Orlogsschiff des Admirals der Hansa seine Segel gegen die dänischen Inseln hinaus. In goldblitzender Rüstung stand Herr Johann Wittenberg neben dem Ritter Wernerkin, seinem stetigen Begleitsmann, auf dem Vorderkastell und schaute sicherfreudig der auftauchenden Küste der Insel Falster entgegen.

Dort weiter meerauf hielten unter den weißleuchtenden Kreidefelsen von Mönnsklint ein paar schnellsegelnde Sniggen Königs Waldemar als »Auslieger« auf Wacht, liefen hurtig jetzt nordwärts und überbrachten die Kunde von dem mächtigen Anrücken der Hanse in den Sund. Auch Waldemar Atterdag hatte mit Anspannung aller Kräfte seine Kriegsrüstung betrieben, doch keine Schiffszahl aufzubieten vermocht, um dem dreifachen Übergewicht seiner Gegner auf der See stand zu halten, und diese zogen, ohne Gegenwehr zu finden, an der öden Dünenzunge von Falsterbo vorüber in den Sund hinein. Der Feldzugsplan des Oberführers war darauf gerichtet, zunächst die Stadt Kopenhagen anzugreifen und zu erobern; bei der Insel Amager trafen ihn indes Sendboten der Könige Magnus von Schweden und Hakon von Norwegen mit dem Ansuchen der beiden nordischen Fürsten, die Hanse möge sich gegen die Feste Helsingborg wenden, dorthin würden sie mit ihrem gesammelten Heer so rasch als möglich zum Beistand kommen. Auf diese Anforderung und Zusage hin beharrte Johann Wittenborg nicht bei seiner Absicht, sondern segelte bis zu der schmalen Schlußenge des Sundes hinauf, wo, sich dicht gegenüber gelagert, die feste Stadt Helsingborg und das Schloß Helsingör mit einem unbedeutenden Häuserhaufen umher die Einfahrt vom Kattegatt her beherrschten. Allein auch hier fand die hansische Flotte keine Schiffe, die ihr Widerstand boten, legte sich unbehindert vor Helsingborg und begann dies mit Wurfmaschinen zu beschießen. Die starken Mauern trotzten jedoch der Gewalt, hoch ragte ein machtvoller Turm hart vom Ufer auf die See und vergalt den Angriff mit unerschütterlicher Abwehr. So entsandte Johann Wittenborg die Hälfte seiner Mannschaft ans Land, um dort schwächere Seiten der Stadt zu berennen. Alle Bliden, sechzehn an der Zahl, wurden von den Koggen mit hinüberbeschafft und überschütteten bei Tag und Nacht die Verteidiger mit Geschossen. Die Zahl der Belagerer erwies sich indes zu gering, das weite Ringmauerwerk rundum zu bedrohen, sie harrten wochenlang auf den Zuzug der nordischen Könige, aber von Schweden und Norwegen traf keine Beihülfe ein. Unmutig über die lange Erfolglosigkeit sandte der Admiral von Tag zu Tag mehr Gewaffnete der Schiffe zur völligen Umschließung Helsingborgs auf der Landseite; kaum lebhaft am Kampf mehr beteiligt, lag die hansische Flotte, von Streitern entblößt, gleich einer Segelschar von Kauffahrern ruhig, fast untätig auf dem Wasser. Doch trotzdem saß König Waldemar drüben im festen Schloß von Helsingör in unruhvoller Sorge. Er wußte durch Kundschaft, daß die Besatzung Helsingborgs zu wanken begann und daß besonders die unbekannten Feuerrohre der Lübecker wilden Schrecken unter den Verteidigern ausbreiteten. Von Jütland her traf ihn Meldung des Einfalls holsteinischer und schleswigscher Heerhaufen, die über den Kleinen Belt nach der Insel Fünen hinüberzusetzen drohten. Auch von andern Fürsten der deutschen Ostseeküste kam Nachricht, daß sie rüsteten, da sie erfahren, welche gewaltige Kriegsmacht der Hansebund ins Feld gestellt. So sah Waldemar Atterdag sich wieder wie am ersten Tage, da er als »wahrer Erbe Dänemarks« auf den Thron seiner Väter zurückgekehrt, allein in der gesamten nordischen Welt; von allen Seiten ballte der Raub Wisbys schwere Wetterwolken um ihn zusammen, und der Weiterschritt jeder Woche verschlimmerte seine Lage. Seine Feinde vermochten, an Geldern und Lebensmitteln reich begabt, geduldig zu warten, doch an den Beschirmern Helsingborgs zehrte jeder Tag. Johann Wittenborg hatte gesprochen, nur ein Bund mit der Hölle könne den Dänenkönig erretten.

Das alles wußte auch der, trotz seinen kaum mittleren Jahren gleich einem Weißhaarigen klug bedachtsame Burgemeister der Stadt Lübeck, und wenn auch mit einem stolz befriedigten Lächeln, so doch ohne starke Überraschung empfing er nun eines Morgens ein Handschreiben Waldemars Atterdag, darin dieser seine Bereitschaft, Frieden unter nicht allzu schweren Bedingungen mit der Hanse abzuschließen, kundgab und Herrn Johann Wittenborg nebst seiner Gefolgschaft bei Sicherung königlichen Geleits auf dem Her- und Rückwege für den Nachmittag zu einer Beredung im Schlosse Helsingör einlud. Dietwald Wernerkin stand neben dem Admiral und schüttelte auf eine Frage desselben abratend den Kopf: »Bauet nicht auf die trügerische Zusage, Herr Wittenborg.« Allein dieser entgegnete: »Ich kenne Waldemar Atterdag, er hat nicht Glauben an Gott und Teufel, doch sein Königswort hält er, wenn er's verpfändet. Das scheidet bei ihm uns ›Kramer‹, die er mißachtet, von seinem edeln Blut, und wär' mein Leib von Edelgestein, er würd' kein Haar daran rühren, bis ich wieder in Sichernis hier auf dem Schiff gestanden. Doch wenn Ihr Bedenken tragt, mich nach Helsingör zu begleiten, Ritter –«

»Ihr wißt, Herr Wittenborg, ich trachte nicht, Gefahr zu meiden, und sorge keinen Hinterhalt um mich,« versetzte mit gleichmütigem Ernst Dietwald Wernerkin. »Mein Leben hat nicht andern Zweck, als dem Ruhm und der Macht der Hanse zu dienen, und wenn Ihr mich ehrt, Euch geleiten zu dürfen, steht mein Fuß neben dem Eurigen, wohin er zu schreiten für wohlgetan befindet.«

Demgemäß landete am Nachmittag eine Barke mit dem Oberbefehlshaber der Hansestreitmacht und seiner Gefolgschaft am Strande von Helsingör, ward dort durch ein ritterliches Ehrengeleit in überaus höflicher Art empfangen und zum Schloß hinaufgeführt. Lauter Hörnerklang tönte den Ankommenden entgegen, es blitzte ringsum von festlichen Panzerkleidern und höfischen Gewändern. König Waldemar erwartete seinen Gast auf der hohen Burgtreppe des Schloßhofs, doch nicht in Helm und Rüstung, sondern friedlich mit weitem, kostbarem Hausgewand angetan und federumwalltem Barett auf dem Haupt. Nun neigten sich, wie vor einem andern Könige, alle Fahnen und Waffen umher vor dem Burgemeister der Stadt Lübeck, er lies sein Gefolg zurück und schritt allein mit stolz-sicherer Haltung die Stufen hinan. Auf ihrer Mitte trat Waldemar Atterdag zu ihm hinab und streckte die Königshand gegen ihn aus. Johann Wittenborg faßte sie und sie schüttelten sich die Hände. Kurzen Augenblick standen die beiden, gleich hoch aufragenden Gestalten, nur in der Nähe vernehmbaren Wortgruß austauschend, nebeneinander, dann schritten sie zusammen zur Beredung ins Innere des Schlosses hinein. Als sie von der Ratschlagung in den weiten Rittersaal kehrten, ging die Sonne rot über dem Kattegatt nieder. Befriedigt, wie in einem leichten, freudigen Rausch glänzten die Augen des Hanseadmirals, er mußte den Zweck seiner Hierherkunft voll erreicht haben. Königliche Ehren bewillkommten ihn auch beim Eintritt in den Saal, wo reiche Tafel gedeckt stand; der Sohn Königs Waldemar, Prinz Christoph, Herzog Erich von Sachsen, Nikolaus Lembek, des Dänenreiches Drost, empfingen den Bürger der Löwenstadt, die ihren alten Namen bewährt, mit tiefer Neigung des Hauptes. Auch die Königin Heilwig bot ihm, wie einem an fürstlichem Range Gleichstehenden, Gruß und neben ihr Waldemars Atterdag älteste, siebzehnjährige Tochter, Prinzessin Ingeborg. Ihre schlanke, hohe Gestalt umschloß eng ein purpurnes Samtgewand, darüber leuchteten zwei wundersam große, dunkelgestirnte Augen, doch es war, als werfe der Schein ihres Kleides rötlich funkelnde Lichter in diese hinein. Sie bog sich sittsam und schweigend vor dem fremden Heerführer zurück, aber ihr Blick ruhte mit unverkennbarem wohlgefälligen Erstaunen auf seinem ritterlich-stolzen und noch jugendlichen Bildnis, als habe sie sich ihn in anderer Erscheinung vorgestellt.

Ernst, ohne Teilnahme an dem üppigen Gepränge des dänischen Hofes, stand Dietwald Wernerkin etwas von der übrigen Gefolgschaft seines Feldhauptmanns abgetrennt und schaute gegen die untergehende Sonne durchs Fenster hinaus. Dann fuhr plötzlich sein Kopf herum, denn eine Hand hatte sich ihm auf die Schulter gelegt und eine Stimme hinter ihm sprach ihn an:

»Wollt Ihr mit den Goldsporen, die Ihr Euch an den Fuß geworben, alte Freundschaft ableugnen, Ritter Wernerkin? Ich halte sie und heiße Euch willkommen, wenn auch nicht zu Helsingborg, doch zu Helsingör als Begleiter meines neuen Freundes Johann Wittenborg.«

Noch von dem Strahlennetz der Sonne übergittert, sahen die Augen des jungen Ritters starr in das Antlitz Königs Waldemar des Vierten: dann riß jäh der Blendungsschleier vor seinem Blick und er stieß ungläubig, wie halb betäubt von den Lippen:

»Knud Hendrikson –!«

»Ich hoffe, mein Gesicht gefällt Euch besser so, als Kaufmann auf der Reise trägt man sich etwas anders,« lachte Waldemar Atterdag, der den zu Wisby seinen Mund, Wangen und Kinn dicht verdeckenden langen Bart halb abgeschoren trug. »Ich habe mein Geschäft damals mit gutem Gewinn zu End' gebracht, obzwar Peter Holmfeld, wie ich vernommen, etwas teure Kosten an Leib und Leben davongetragen, da er töricht war und unsern Handelsvertrag mit dem Schwert zerhauen wollte. Ihr aber seid noch unter den Kaufleuten verblieben, seh' ich, und machet ein Gesicht gleich einem Pebersvend, dem seine Ware zwischen die Zähne geraten. Kommet zum Mahl und Trunk, wir haben schon guten Becher zusammen geleert, Ihr seid mir ein willkommener Gast an meinem Tisch.«

Es war Dietwald Wernerkin wie ein Blitz der Erhellung durch den Kopf gefahren, daß Witta Holmfeld es gewesen, die den Verrat an der Stadt Wisby verübt, daß sie damals im Garten, als sie den plötzlichen Schrei ausgestoßen, zuerst vernommen, wer Knud Hendrikson in Wirklichkeit sei. Und zugleich sah er sie totenbleich mit irren, angstvollen Augen die Arme wie um einen Halt um seinen Nacken schlingen, hörte die Frage ihrer bebenden Lippen, was sie solle, denn ihm vertraue sie, daß sein Herz nicht lüge. Und er hatte ihr mit zukunftsfreudig klopfender Brust erwidert: »Wenn du ihn lieb hast, glaube ihm – es ist nicht Köstlicheres auf Erden – wem sollt' man vertrauen, wollte man dem Herzen nicht glauben, dem eigenen und dem, davon es sein Glück erhofft!« Und er sah Witta Holmfeld an die Brust Knud Hendriksons willenlos hinüberfallen, und wiederum zugleich gewahrte er den blutenden Leichnam ihres Vaters auf den Boden gestreckt, der als Verteidiger seiner Heimat unter dem Schwert der Helfer seines treulosen Dänengastes gefallen war, und ein bittrer Krampf über die damalige Blindheit seiner Augen, die Unerfahrenheit seiner Jugend und das Hoffnungsglück seines eigenen Herzens schnürte die Brust des jungen Ritters zusammen. Dann aber, sich schnell und mit starker Gewalt beherrschend, erwiderte er kurz auf die Worte des Königs:

»Ihr spracht's, Herr König, ich bin verblieben, wofür ich mich damals ausgab, und hoffe es, Gott und Menschen getreu, zu verbleiben bis an mein End',«

Ein flüchtiges Zucken schnitt um Waldemars Atterdag Mund. »Das ist auch mein Spruch, Ritter Wernerkin. Ich war damals nicht minder, was ich bin, und hoffe, es zu bleiben bis ans End'.« Doch nun flog seine Oberlippe lachend über die scharf gekanteten Zähne auf: »Euch haben Gott und Menschen nicht sonderlich Treue gehalten, deucht mir, denn Ihr setztet damals viel jugendliche Handelszuversicht auf ein zukünftig Geschäft mit einem kleinen Goldkreuz, obzwar ich Euch sprach, es sei von unechtem Metall, und wie mir kund geworden, ist ein Kaufmann aus dem Norden hurtiger gewesen als Ihr, Euch um den Gewinn zu betrügen. Ich stehe noch in Eurer Schuld, Ritter, und versprach Euch, ihrer zu gedenken, wenn's ein Tag in meine Hand gäbe. Es mag wohl geschehen, daß ich bald einmal eine Reise nach Schloß Bergenhuus antrete, und wenn ich Eure Liebste dort schon vorfinde, bringe ich sie Euch mit. Bei meinem Königswort, verlaßt Euch drauf, denn ich bin getreu, Dietwald Wernerkin! Nun kommt und seid frohgemut an Knud Hendriksons Tische.«

Die festliche Tafel begann, zur Rechten Königs Waldemar auf dem Ehrenplatz saß Johann Wittenborg und neben ihm Ingeborg von Dänemark. »Müsset die Dürftigkeit der Speisen nicht verargen, Herr Admiral, denn Ihr selbst traget die Schuld an ihrer Armut, Eure Schiffe haben mich ausgehungert,« lachte Waldemar Atterdag, »aber dürsten sollt Ihr drum nicht, und ich bring' Euch den Willkomm, Euch und der deutschen Hanse auf neue, immerwährende Freundschaft fortan!« Er hob seinen Goldpokal und stieß ihn gegen das von Rubinen blinkende mächtige Trinkgefäß des Gastes: beide leerten den feurigen Südwein auf einen Zug, und die Königstochter faßte mit der eigenen, Alabaster an Farbe gleichenden Hand mühsam die vor ihr stehende schimmernde Erzkanne und füllte den Becher Johann Wittenborgs wieder bis zum Rand. Die Armut der Speisen aber durfte selbst einen Lübecker Kaufherrn als unglaublicher Reichtum überraschen, so bot die Tafel auf kostbarsten Geräten alle auserlesensten Erderzeugnisse aus Nord und Süden und Meisterstücke der Kochkunst dar. Dazwischen prangten ringsum wundersame Schaugerichte, das Gefieder von Pfauen über silberne Reifen gespannt und mit Südfrüchten ausgefüllt, Burgen mit Türmen, Erkern und Zinnen aus Gold und goldener Landschaft um sie her, Schüsseln, die statt des Salates große Smaragde, als Öl gelbe Topase, statt des Essigs Rubinen und als Salz schneehelle Perlen enthielten. Der hansische Feldherr empfand wohl, daß es doch keineswegs gelungen sei, Dänemark vom Handelsverkehr mit der Ferne abzutrennen, und sprach sein Staunen über den wundersamen Überfluß der Tafel aus. »Ihr wäret grausam, Herr Admiral, und wolltet uns hungern lassen,« lächelte seine schöne Nachbarin schalkhaft, »aber Elfen kamen durch die Luft und Nixen mit weißen Händen vom Meergrund und halfen uns, sonst wären wir alle an Eurem mächtigen Zorne verdorben.« Sie füllte ihm abermals den Becher und fügte, den ihrigen fassend, drein: »Lasset mich auch, wie mein Vater, auf die Freundschaft Eures edlen Gemahls trinken, das ich einmal zu gewahren verhoffe.« Halb verwirrt entgegnete Johann Wittenborg, er sei unvermählt, mit errötendem Antlitz gab sie rasch zur Antwort: »So bleibt mir nur, auf die Beglückte zu trinken, die in Zukunft Eure Hausfrau sein wird,« und leicht mit den Lippen kostend, setzte sie den Becher an den Mund. Ihre leuchtenden Augen blickten noch über den Rand in das Gesicht des jugendlichen Admirals und schlugen plötzlich die langen Wimpern herab; er aber erwiderte mit halblauter Stimme: »Ihr redet von Nixen mit weißer Hand, die aus der See emporgetaucht, um Euch zu dienen. Ich sah niemals eine mit Augen, doch ich weiß, da ich als Knabe von ihnen holde Mär vernahm, hab ich mir ihre Hände so gedacht wie die Eurigen. Und gibt's auch nicht Nixen, nimmt mein Blick doch, bedeucht mir, wohl das Schönste was sie besitzen möchten, gewahr.«

»Wisset Ihr so gewiß, daß es keine gibt?« lächelte die Prinzessin Ingeborg von Dänemark. Die Sonne war niedergegangen, und der rote Schein eines purpurnen Abendlichtes spielte mit märchenhaftem Glanz um ihre Stirn. Dann fielen mählich graue Dämmerfäden drein, doch über das Antlitz der jungen Königstochter schien das Zwielicht nicht Macht zu haben; als werde es von innen erhellt und strahle durch eigene Kraft, blieb es im Schwinden des Tages von gleichem Marmorgeleucht, wie die weißen Felsenklippen von Mönnsklint. Aber nun heischte König Waldemars Gebot Licht, und ein Dutzend Pagen entzündete ringsum an den Wänden des Saales auf hundert erzenen Pfannen blauflammendes, Wohlgeruch ausströmendes Fichtenharz; Zutrunk, Scherz und Becherklang wechselten in steigender Lustbarkeit laut über die Tafel, die mehr denn fünfzig Gäste an jeder Seite zählte. Nur der Ritter Wernerkin saß schweigsam; die Diener tischten vor ihm silberne und goldene Schüsseln auf und legten ihm vor, aber er berührte nicht Speise noch Trank unter Knud Hendriksons Dach.

Endlich hatte die üppige Mahlzeit geendet, und im Gedränge der Umherstehenden traf Dietwald nach einer Weile mit Johann Wittenborg zusammen, der ihn glänzenden Blickes ansprach: »Es gereuet Euch nicht, denk' ich, daß Ihr mit zum Feste hierher gekommen. Schauet heut nicht so ernst, Freund, es gibt wohl Jungfrauen hier, deucht mir daß sich bei ihrem Anblick in Eurer Jugend ein Herzleid vergessen mag. Was will Euer Auge mir reden?«

»Daß es vielleicht Zeit ist, rückzukehren und unseres Wirtes Gastfreundschaft nicht bis auf die Neige zu kosten,« entgegnete der Befragte leisgedämpften Tones.

Zwischen den Lidern des Hanseadmirals flog plötzlich ein anderes, klareres Licht auf, als der ungewisse Schimmer, der seine Augensterne überflimmert gehabt. »Zurück?« wiederholte er, »Ihr mahnt recht, es ist spät; wir wollen Abschied nehmen.«

Er trat rasch auf König Waldemar zu, doch dieser hatte seine letzten Worte vernommen und kam ihm schon entgegen.

»Bleibet doch noch, Herr Wittenborg, daß wir guten Trunk miteinander tun! Morgen ist wieder ein Tag, da können unsere Zungen ernste Rede wägen.« Unschlüssig stand der Gast des Königsschlosses, von der Seite her trat die Prinzessin Ingeborg von Dänemark an ihn hinan und sprach lächelnd die Worte ihres Vaters nach:

»Bleibet doch noch, Herr Wittenborg!« – – – Dann liegt eine schwarze Nacht über Helsingör, Fackeln und Pechkränze lodern vom Königsschloß rot auf den Sund hinaus; nordher vom Kattegatt kommt anschwellender Windhauch und biegt wechselnd ihre hochzüngelnden Flammen, sonst deckt tote Ruhe Land und Meer. Nur im Schloßsaal, wo vorhin die Tafel gestanden, tönen Pfeifen, Zinken und Geigen, dort führt das Rittergeleit des Feldherrn der Hansa kunstvollen Reigen mit den schönen, unter dem blonden Gelock gleich rosigen Blüten hervornickenden Edelfräulein des dänischen Hofes. Auch die Königin Heilwig schreitet an der Hand des Burgemeisters von Lübeck durch das flatternde Gewoge und mischt sich mit ihm in den wallenden Tanz. Es ist ein berauschender Anblick von Jugendkraft, Schönheit und Anmut, die Wände des Königsschlosses drehen sich mit im Kreise, süßtrunkenen Lautes locken die klingenden Saiten, verhallen wie ferner Ruf und schwellen aufs neu.

Da erscheint noch eine neue Gestalt in dem bunten Getümmel. Sie ist plötzlich da, als sei sie aus dem Boden heraufgetaucht; ein wasserfarbiges Gewand, bläulich und grünlich wechselnd, umschließt sie: ein Schilfkranz hält auf dem Scheitel einen Schleier von silberfädenem Gewebe, der bis über das Antlitz niederfällt und es nur wie aus einem Duftgewölk unerkennbar hervorschimmern läßt. Perlenschnüre umrinnen den schlanken, biegsamen Leib, und eine weiße Seerose scheint an der Brust als Spange die fließenden Gewänder zu halten: doch weißer noch als die Blume und als das einzig Sichtbare des glanzumwobenen Körpers sinkt und hebt sich aus der leichten Hülle, dem schwindenden und wiederkehrenden Schaumgeleucht einer Doppelwoge gleich, der tief entfesselte Busen. So mischt sich das märchenhafte Gebild in den sporenklirrenden, farbig umringelnden, kreisenden Reigen. Wo sie dahinschwebt, scheint bläuliches Mondlicht zu fallen, flattern schneeweiß gekleidete Begleiterinnen wie flügelschlagende Möwen um sie her; sie wiegt und schmiegt sich lautlos im Takte, doch allein, von keiner Hand geführt, als wage niemand, sie zu berühren. Sie gaukelt und schaukelt gleich einer Blume im Wind, Johann Wittenborgs Augen ist es, als hebe sich unter ihrem Saum der Estrich wie leise dünende Meerwellen auf und nieder. Er vermag ihre Züge nicht zu unterscheiden, nur ihre Hände, doch an ihnen erkennt er die Hand, die ihm an der Tafel oftmals den Becher gefüllt. Eine zweite, die ihr gliche, hat er auf Erden noch nicht gesehen.

Dann steht er neben ihr und begrüßt sie als Königstochter von Dänemark. Doch sie schüttelt den Schilfkranz auf ihrem Scheitel, daß seine Blätter leis rauschen und säuseln, und gibt mit künstlich verstellter Stimme Antwort:

»Ich habe Kunde erhalten, stolzer Beherrscher des Meeres, daß du nicht an uns arme Nixen glaubst.«

»Und wer bist du, holdes Bildnis?« erwidert in gleichem Ton der jugendliche Admiral.

»Nur die letzte aus den Tiefen deines weiten Reiches.«

»Mich sollt' eher bedünken, es müsse keine über dir sein an Hoheit und Schönheit. Und weshalb kommst du herauf – nicht zu mir, dessen vermesse ich mich nicht – doch unter die Menschen?«

»Um zu klagen bei dir, hoher Gebieter. Die mächtigen Kiele deiner Holke kommen gleich schnaubenden Walfischen daher und erschrecken meine Gespielinnen im kristallenen Haus.«

»Deshalb habe ich ihnen geboten, schöne Nixenkönigin, still zu liegen, damit dein Geleit nicht mehr vor ihnen zage.«

»Hab' Dank dafür, daß du's tatest! Aber es sind viel rauhe Männer auf deinen Schiffen, die treiben bei Tag und Nacht Zank und Fluch und Waffengeklirr, daß mein krankes Schwesterlein nicht schlafen kann und sich ängstigt und weint.«

»Deshalb hab' ich die wilden, lauten Männer ans Land gesendet, damit sie dein Schwesterlein fürder nicht stören.«

»Einige, doch wenige nur von deinen Gewaltigen, denn die Kleine wachte und weinte noch immer, als ich zu dir heraufstieg. Sähest du sie, wie lieblich sie ist, du fühltest Mitleid mit ihr.«

»Da's deine Schwester ist, bedarf's nicht der Augen, um holdseligstes zu denken. Du aber bist ungerecht, denn ich sandte alle davon, deren Gelärm ihr den Schlaf von der Wimper scheuchen könnte.«

»Alle sandtest du fort, du Gütiger? Dann vergib mir, daß ich noch klagte!«

»Fast alle, liebliche Nixe; die wenigen, die ich zurückließ, konnten dein Schwesterlein nicht mehr ängstigen. Du schuldest mir Sühne für den Vorwurf, den du mir ungerecht angetan.«

Sie glättet mit der alabasternen Hand eine Falte ihres Schleiergewebes. »Was böte ein armes Meerweib dem Beherrscher der See zur Sühne, und wie wolltest du's beweisen, daß ich sie dir schulde?«

In Johann Wittenborgs Augen rinnt ein trunkenes Glanzlicht. »Ich beweise es dir, denn mein Wort, daß ich wahr sprach, bewährt dein Unrecht.«

»Dein Ritterwort?«

Der Burgemeister Lübecks errötet plötzlich, fast einem um Antwort verlegenen Knaben ähnlich; doch die zaubrische Gestalt vor ihm fügt rasch mit hörbar lächelnden Lippen drein:

»Dein Fuß trägt nicht den scharfen Stachel, die meiner Lagerstatt weichwallende Daunen verwunden. Du bedarfst keiner goldenen Abzeichen, daß man dich als den ersten erkennt und alle Ritter nur als deine Vasallen. Dein Mund spricht Königswort und ich glaube ihm, daß ich dir Sühne schulde für meinen Zweifel. Was gebietest du, Herr?«

»Ich bitte nur, wie's einem Wünschenden geziemt.«

»Und was wünschest du, das ich Arme zu geben vermöchte?«

»Zu fühlen, ob deine Hand gleich der eines Menschenkindes ist, und den Reigen mit dir zu schlingen. Und nachher zum Gedenken« –

»Was nachher?«

Er flüstert: »Die weiße Seerose, die mit den weißen Wellen steigt und fällt.«

Halbleis und halblaut im fortkreisenden Getümmel umher sind die Wechselreden wie in neckischem Spiel eines Mummenschanzes tändelnd, anmutig und hurtig von Lippe zu Lippe geklungen; nun hält Johann Wittenborg die perlende Hand der königlichen Nixe und führt sie in schwebendem Reigen dahin. Seine Schläfen pochen, die Lichtflammen des Saales ziehen trunkenen Widerstrahl aus seinen Augen, auf und nieder schwanken um ihn die Wände. Wie grünes Meergeflecht verstricken zuweilen im Gedränge die langen Gewänder seiner Tänzerin ihm die Glieder, sie schwimmt in seinem Arm wie von Wellen getragen, auch in der gaukelnden Bewegung bewahrt ihre hastig wogende Brust unter ihm mühelos Atem zu holdtönender Frage und Erwiderung. Doch schwüler wird die Julimitternacht im Schloßsaal, und von der heißen Luft bedrückt, schlägt sie zuletzt den Schleier vom Antlitz, und mit rosenhaft aufgeblühten Wangen lächelt Ingeborg von Dänemark:

»Verzeihet den Scherz, Herr Admiral, ich beging ihn, weil Ihr zuvor nicht an Nixen glaubtet.«

Seine Wangen glühen. »Jetzt glaub' ich an sie.« Er stockt und zaudert und fügt leiser hinzu: »War die Sühne, die Ihr mir verheißen, nur Scherz?«

»Ich habe sie Euch ja geleistet, Herr Wittenborg.«

»Ihr wollt mich mißverstehen, mein Mund sprach von noch reicherem Lohn zum Gedenken dieser Nacht.«

Ihr Blick schlägt sich nieder, dann lacht sie in mädchenhafter Verwirrung, und es sind die gleichen scharfgerandeten Zähne ihres Vaters, über deren weißen Aufglanz sich die Oberlippe hebt:

»Den andern Lohn? Ich versprach ihn nicht und schulde ihn Euch nicht – noch nicht, Ihr müßtet ihn denn erst verdienen. Es ist nur eine Blume, doch die Meerfee hat sie mir geschenkt, und sie ist mir wert wie die ganze Ostsee. Kommt, Herr Wittenborg, die Nacht verrinnt, laßt uns tanzen!« Nun weht von den befreiten Lippen ihr Atem ihn an und leuchten im Reigen die nicht mehr verhüllten Augen wie kreisende Sterne in die seinen. Er hält das schöne Königskind in den Armen, sie reden mit flüsterndem Wort und mit glänzendem Blick. Doch immer heißer flammen Ingeborgs Wangen im schwülen Saal, auch ihre Brust ringt nach Luft jetzt. Sie wendet die Stirn und haucht erschöpft: »Dort wäre es köstlich kühl für einen Augenblick Rast,« und ihre Wimpern deuten nach einem Söller des Schlosses, der dunkel und ruhig in die Nacht hinausragt. Und weiter dreht sich der Reigen und tönen im Saal die Flöten und Zinken und Geigen, doch das meergrüne Nixengewand und die funkelnde Rüstung des jungen Feldherrn der Hansa wiegen sich nicht mehr durch das laute gleißende Getümmel.

Dann nimmt Johann Wittenborg den Abschiedsbecher, den König Waldemar ihm darreicht. Er führt ihn mit schwankender Hand an die Lippen, daß Tropfen des roten Weins wie Blut über den Rand auf den Estrich fallen. Doch Waldemar Atterdag lacht:

»Kommt gut heim! Ihr habt's zur Nacht besser als ich, denn die See wird Euch in den Schlaf wiegen. Ich hoffe, Ihr geht zufrieden von Helsingör, morgen ist wieder ein Tag, da komme ich zu Euch aufs Schiff, und wir fügen Schrift und Siegel unter unsern Vertrag.«

Er schüttelt die Hand des Admirals, der sich nun vor der Königin und der Königstochter neigt und unsichern, doch fast lächelnden Mundes fragt:

»Darf ich auch hoffen, Euch als Gast bei mir zu empfangen, durchlauchtige Fürstin, daß Ihr es nicht verschmäht, den Reigen dieser Nacht auf dem Schiffsdeck weiter zu führen?«

»Habet Dank für Eure Ladung, Herr Wittenborg, es muß schön sein, unter dem offenen Himmel auf wiegenden Brettern zu tanzen,« entgegnete die Befragte, und wie sie sich zum Abschied verneigt, heben sich noch deutlicher als zuvor die schönen Wogen des Busens aus der Tiefe herauf, denn die weiße Blumenspange fehlt an Ingeborgs von Dänemark grünem Nixengewand.

König Waldemar geleitet seinen Gast bis zu der Treppe, wo er ihn empfangen; etwas verlangsamt schreitend, gerät er an die Seite Dietwald Wernerkins, legt diesem wie am Nachmittage unvermutet die Hand auf die Schulter und spricht:

»Wir haben noch wenig Gedächtnis über alte Freundschaft miteinander getauscht, Ritter Wernerkin. Nächtiget bei mir im Schloß und laßt uns noch einen Becher trinken! Ihr kommt morgen zeitig genug auf Eure Holzplanke zurück.«

Doch der junge Ritter lehnt das Ansinnen des offenbar aufrichtigen Wunsches mit ernsthafter Höflichkeit ab:

»Ihr vergesset, Herr König, daß meine Treupflicht wider Eure Artigkeit streitet und ich nicht länger Euer Gast zu sein vermag als Herr Wittenborg.«

»So geht mit Eurem Herrn, ich gedachte es gut mit Euch, denn mich deucht, Ihr habt bisher vom Gastrecht nicht sonderlich Gebrauch gemacht. Ich hoffe, als Wirt morgen befinde ich Euch anders. Gute Fahrt, Ihr Herren!«

Waldemar Atterdag hat es mit leichtem Spott und einem prüfenden Blick über das unter allen umher allein völlig nüchterne Angesicht seines einstmaligen Mitgastes im Hause Peter Holmfelds gesprochen; das ritterliche Ehrengeleit führt nun den Admiral der Hanse zum Ufer an seine Barke zurück. Es ist finstere Nacht, nur ein falber, schmaler Saum am östlichen Himmelsrand kündet das Herannahen des Morgens. Wie das Boot dem Orlogsschiffe zurudert, liegt hinter ihm auch das Königsschloß von Helsingör in Dunkel versunken, die Pechkränze und Fackeln sind erloschen, nur eine einzige lodert noch hoch droben vom Turm mit roter, windschweifender Zunge in die Nacht, wie es scheint, den heimkehrenden Gästen sorglich als Anhalt für ihre Richtung zu dienen.

Sie erreichen das Schiff, und Johann Wittenborg steigt zuerst die niedergelassene Fallreepstreppe hinan. Doch sein Fuß ist unsicher, trotzdem seine Hand sich am Seitentau hält, wäre er vor dem Hinaufgelangen strauchelnd gestürzt, wenn nicht Dietwald Wernerkins Arm ihn behütet. Jetzt stehen sie auf dem Deck, und der hansische Feldherr sagt beinahe spöttelnden Tones: »Seht Ihr, daß Eure übergroße Sorgnis unbegründet war und daß Waldemar Atterdag sein Königswort hält.«

Der junge Ritter will etwas erwidern, was Abend und Nacht ihm bisher nicht zu sprechen verstattet, der Name Knud Hendriksons fliegt ihm über die Lippen. Aber Johann Wittenborg fällt ihm ins Wort:

»Morgen – laßt uns schlafen – ich bin müde.«

Es ist sichtbar nicht der Wein nur, der seinen Fuß schwanken läßt und ihm die Lider herabzieht. Sein Gesicht hat einen fremdartig verwandelten, nicht allein vom scharfen Trunk berauschten Ausdruck, er redet und regt sich, wie wachend schon von einem Traum beherrscht. So schreitet er zur Kajüte hinab, und nach kurzer Weile ist alles lautlos am Bord, das Admiralschiff und die Flotte der Hanse liegen im Schlaf.

Da kommt's im ersten Zwittergrau wie ein Möwenschwarm nordher vom Kattegatt. Hastig fliegt's mit dem anwachsenden Morgenwind heran, und plötzlich fährt Dietwald Wernerkin vom Schlummer, der auch ihn überwältigt. Einen Augenblick vermag er seine Besinnung nicht zu sammeln, ihm ist's, er fährt auf dem Mittelmeer und betäubendes Geschrei, Pfeil- und Schwertgeklirr barbareskischer Piraten gellt um ihn herum. Aber dann erkennt er dänische Stimmen, Drohungen, Flüche und Triumphrufe – es sind die Holke Waldemars Atterdag, die sich hinter den hohen Klippen des Kullen im Skelder Vik geborgen, und von der einsam lodernden Fackel auf dem Turm des Schlosses zu Helsingör gerufen, mitten in die schlafversunkene Flotte der Hanse hineinstürzen. Zu ihnen gesellt, auf dem vordersten Deckkastell, steht König Waldemar selbst, doch nicht mehr in friedlicher Haustracht, sondern vom Haupt zum Fuß eisenumklirrt, wie der Gast Peter Holmfelds nach Wisby zurückgekehrt. Er weiß, daß auf den feindlichen Schiffen nur wenige erwachen werden, daß der hansische Heerführer fast alle seine Streiter ans Land nach Helsingborg entsendet hat, »um das kranke Schwesterlein der schönen Nixenkönigin nicht im Schlaf zu stören«. Vielleicht weiß er noch mehr.

Mit einem Sprunge ist Dietwald Wernerkin in die Kajüte des Admirals hinuntergestürzt, der nichts von dem ungeheuren Getöse vernommen. Er liegt in tiefem Schlaf, seine Hand hält eine verwelkte weiße Teichrose umschlossen. Der junge Ritter ruft und rüttelt ihn, und er schlägt, regungslos ausgestreckt, die Wimpern auf. »Wacht! Wacht! Waldemar Atterdag ist über uns!« ruft Dietwald verzweiflungsvoll. Umsonst; Johann Wittenberg lächelt nur in besinnungslosem Traum und schließt die Lider zurück.

König Waldemar selbst richtet seinen Angriff gegen das Admiralsschiff. Lauthallend ruft er herüber: »Wo bist du, Johann Wittenborg? Du hattest mein Wort, daß du sicher heimkämest, und hattest mich zu dir geladen!«

Doch die Kogge des schlafenden Feldherrn ist noch am stärksten bemannt und fähig, Gegenwehr zu leisten. Durch Dietwald Wernerkins todverachtende Tapferkeit behauptet sie sich so lange vor den dänischen Enterhaken, bis es ihr gelingt, die Segel aufzurollen und vom Winde begünstigt, südwärts durch den Sund zu entrinnen. Kaum indes ein halbes Dutzend der übrigen Holke vermögen ihr zu folgen. Von allem Schutz entblößt, werden die andern eilig überwältigt; wie die Sonne aufsteigt, ist die Flotte der Dudeschen Hanse vernichtet. Von jeder Zufuhr und Unterstützung abgeschnitten, zwischen die schnell gelandete Streitmacht Königs Waldemar und die hervorbrechenden Verteidiger von Helsingborg eingeschlossen, strecken die Belagerer desselben nach kurzem, hoffnungslosem Kampfe die Waffen; nach Johann Wittenborgs stolzer Zuversicht scheint es, daß Waldemar Atterdag einen Bund mit den Mächten der Hölle besessen.


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