Wilhelm Jensen
Dietwald Wernerkin
Wilhelm Jensen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Am frühen Morgen des andern Tages löste sich aus dem vielfältigen Gewirr von Masten und Schiffsrümpfen im Flußhafen Lübecks eine doppelmastige Kogge und zog langsam unter halbgehißten Segeln mit der mäßigen Strömung die Trave hinab. Es war ein für spätere Jahrhunderte nicht beträchtlich zu heißendes Fahrzeug, doch eines der größten und stattlichsten der Zeit. Sein Bau gemahnte noch in den Grundzügen völlig an die Schiffe, mit denen dereinst die Normannen Wilhelms des Eroberers an der Küste Englands gelandet waren. Seitwärts weit ausgebaucht und hochbordig, trug die Kogge über dem Vorder- und Hinterbug zwei kastellartig erhöhte, viereckig umbrüstete Plattformen, auf welchen bei einem Angriff die Verteidiger ausreichenden Platz zur Abwehr fanden, denen sich im breitgebuchteten Mastkorb die Armbrustschützen gesellten. Die Beladung füllte gemeiniglich den Kielraum vollständig aus, und die Bemannung war stets zahlreich, zumeist von einem Priester begleitet, um im Falle der Lebensnot des letzten Seelentrostes teilhaftig zu werden. Für die größte Gattung der Koggen (von späterer Zeit vermutlich in ›Kuff‹ umgewandelt) hatte sich der alte angelsächsische Name ›Holt‹ erhalten, und auf dem Bugsprietkastell eines solchen stehend, glitt nun Dietwald Wernerkin an der langen Giebelhäuserreihe des Hafenrandes entlang. Niedrig schwand unter seinem Blick das Gewimmel der ›Sniggen‹ und ›Schuten‹, der kleinen, behenden, für Segel und Ruder nutzbaren Fahrzeuge dahin, das Burgtor der Stadt lag von der Morgensonne vergoldet und schien sich im Kreise mit den Krümmungen der Trave zu drehen. Dann trat es hinter Uferschilf und Buchenwälder: von einiger Weite gesehen, wo das schmale Wasserbett verschwand, war's, als ziehe das Schiff über grünes Land fort. Neue Gegenden schlossen sich auf, da und dort schimmerte in der Ferne ein Burggemäuer und sank wieder zurück, nur die gewaltigen Türme Lübecks blieben noch immer gleich mächtig in den Himmel ragend über aller Veränderung der Landschaft stehen. Es flößte ein stolzes Gefühl ein, sie von dem Fahrzeug aus zu betrachten und zu denken, daß die Kogge gleichsam ein ihnen zugehöriges nur zeitweilig abgelöstes Stück sei, und obwohl Dietwald Wernerkin ziemlich schlaflos-überwacht, bleichwangig und noch trüben Auges auf sie zurückschaute, tastete seine Hand doch dann und wann auch mit einem eigenen Stolzgefühl an den Koller über seiner Brust. Er war nicht allein reisiger Geleitsmann des Schiffes, sondern das Vertrauen Herrn Johann Wittenborgs hatte ihm in der Nacht noch dazu ein Ratsschreiben an den Oldermann der Lübecker Genossenschaft zu Wisby eingehändigt, das er sorglich auf der Brust trug. Der Brief war mit dem großen Stadtsiegel verwahrt, einem hochbordigen Schiffe mit der Kreuzfahne am Mast. Ein greiser Steuermann hob warnend darauf die Rechte gegen einen das Segeltau haltenden Jüngling, und mit der linken Hand lenkte der Alte das Fahrzeug durch die hochaufschlagenden Wellen. Obendrein aber hatte Johann Wittenborg den Säckel des jungen Sendboten noch mit einer erheblichen Anzahl neu gleißender, vor wenig Jahren zuerst von der Stadt Lübeck auf Grund kaiserlichen Privilegs nach florentinischem Vorbilde geprägter ›Goldgulden‹ angefüllt. Zum Ersatz für sein zurückgelassenes Roß, hatte der Ratsherr gesprochen, und damit er als ein edler Dienstmann Lübecks die Ehre der Stadt in fremden Landen wahren könne.

Dies alles, wovon er vor noch nicht zwölf Stunden keinerlei Vermutung und Hoffnung besessen, konnte ihm wohl mit einem freudigen Hochgefühl die Brust anschwellen. Das Glück war ihm leibhaft über den Weg gelaufen, daß er sich kaum danach zu bücken gebraucht, um es aufzuheben, denn als er es von sich gestoßen, war es noch hinter ihm drein gesprungen, ihn wieder einzuholen. Aber dennoch wußte er ihm gegenwärtig kaum einen Dank. Der Frühwind über ihm und die Wellen unter ihm summten gleicherweise nur eines, die Worte Johann Wittenborgs, es sei wohl geschehen, daß einer ohne Hoffen in die Fremde hinausgezogen und heimgekommen, würdig, um ein Fürstenkind werben zu dürfen. Er war zwanzig Jahr alt geworden, ohne zu wissen, daß er ein Herz in sich trage und daß ein solches an einem Menschen hängen könne, ob Mann oder Weib. Doch eine Stunde hatte ausgereicht, sein Herz mit nicht mehr rastendem Klopfen aufzuwecken, daß es ihm war, als habe er von Kindheit auf zwischen den stillen Trümmerresten seiner Vaterstadt im Sonnengoldlicht immerdar ein blondes Hauptgelock vor sich winken gesehen und im Lerchengesang eine helle Stimme gehört, die nach ihm rufe. Wie ein Märchen lag die schnell wieder versunkene Heide da drüben hinter ihm, doch all sein Ziehen in die Weite, sein ganzes Leben hinfort konnten nicht andern Zweck und Ziel mehr haben, als den Weg dorthin zurückzufinden. Eine Übermacht hatte sein junges, unberührtes Herz gefaßt, den frühen Traumesduft in seiner Brust zu einer leuchtenden Wirklichkeit belebt, und er wußte, sie werde ihn nimmermehr lassen.

Nun erweiterte sich der Fluß, und wie über einen Landsee trieb das Schiff an einem ärmlichen Fischerhüttendorf vorbei, das gleich einer windverwehten Saat auf dem Schutthaufen der ehemalig auch hier einmal belegenen Stadt Buku aufgewachsen war; bald danach stieg der von der Lübecker Kaufmannschaft neuerbaute Leuchtturm zu Travemünde am Rande der wagrischen Meerbucht empor. Der Wind blies stärker, und die Kogge zog ihre breiten Segel voll auf; dann flog sie in die Ostsee hinaus, rasch wichen, zu Streifen zerrinnend, die beiden Küsten rechts und links, vor dem Blick dehnten sich nur der Himmel und die Wellen unabsehbar groß, beide tiefblau leuchtend, wie die Augen Elisabeths von Holstein. Da zog Dietwald Wernerkin das kleine Goldkreuz hervor und drückte seine Lippen darauf. Noch einmal wandte er den Kopf nach den noch immer gleich hohen Schatten am Horizont stehenden Türmen Lübecks, die ihm wie zurückgelassene Behüter seiner Hoffnungen nachblickten. Dann sah er voraus, der Wind pfiff die unschlüssige Bangnis von ihm ab, füllte ihm das frisch kreisende Blut mit sicherm Kraftgefühl und hohem Mut, um das Ziel seines Herzens zu wetten.

Das Schiff hielt, von kundiger Hand geführt, bei der guten Sommerzeit, noch kompaßlos, am Tag nach der Sonne und bei Nacht den Sternen folgend, seinen Lauf gerade über die See gegen die schwedische Küste. Im ersten Grau des folgenden Morgens tauchte es wie ein flatternder Nebel vor dem Blick vom Wasser herauf, verdichtete sich allmählich zu einer weitvorspringenden, fahlsandigen Landzunge, von der ein düsteres Steingemäuer in die Höhe sah. Dietwald befragte den Führer der Kogge, der nur den einfachen Namen ›der Schiffer‹ trug, was das Land drüben sei, und erhielt zur Antwort: die Südspitze Schonens mit der Halbinsel und dem Leuchturm von Falsterbo. Wie das Schiff nun, den Kurs ändernd, ostwärts unter dem Lande fortzog, ward auch das armselige Dächerhäuflein des genannten Ortes sichtbar. Windverweht, weltverlassen lag es da, die weiße Düne wob sich wie ein geisterhafter Schleier drumher. Der junge Geleitsmann hielt die Augen darauf gerichtet, es mußte das fremdartige Neue des leblos nackten, traurigen Anblicks sein, das ihn mit einem unheimlichen Schauergefühl überlief. Doch der Schiffer erzählte ihm, daß dort allsommerlich im August- und Septembermond ein buntes Leben aufwache. Dann werde drüben am Strand von deutschen und dänischen Fischern der gefangene Hering zu vielen Millionen eingesalzen, dazu strömten Kaufleute und Handwerker aus allen Ländern, selbst weit von der Nordsee herbei und böten ihre Waren dort feil. Die Garbrater aus Lübeck kämen mit ihren Küchen, die Lüneburger mit Salz, die Böttcher zum Anfertigen der Tonnen für die Heringe. Auch zahlreiche Schenkbuden mit Met, Bier, Wein und schönen fahrenden Weibern ständen am Ufer, daß kein lustigeres Leben auf der Welt sei, als im Spätsommer zu Falsterbo.

Dietwald hörte dem verwundert zu und erwiderte:

»Und schaut doch so unfreundlich und trüb jetzt herüber, als könnt' nicht trostlosere Erdenstatt unter der schönen Sonne zu finden sein. Wozu kommen denn fahrende Weiber mit dorthin? Helfen sie auch die Fische bereiten?«

Der Schiffer zog lachend die Lippen unterm störrigen Bart.

»Nein, um Süßeres zu bereiten als die salzige Lake, und schauen nicht unfreundlich drein wie der gelbe Sand. Habt noch gar ein Maidgesicht über den breiten Schultern, junger Herr, werdet oftmals von schönen Weibern freundlich angeblickt werden und noch manches Lehrgeld bei ihnen zu zahlen haben, ob's bei den Heringen auf Falsterbo sein mag oder wo sonst.«

Die Miene des Jünglings kennzeichnete jetzt ein halbes Verständnis der lachenden Entgegnung, und er versetzte rasch mit hell aufleuchtenden Augen:

»Davor sorg' ich nicht bis an mein Lebensend'. Drum also wohl fiel Eure Heringsküste drüben meinem Blick so zuwider.«

Doch nun antwortete der Schiffer ernsthaft: »Hütet Eure Zunge, daß sie den Hering nicht schilt. Kleines schafft Großes; wisset Ihr nicht das Wort, die große Stadt Amsterdam sei auf Heringen gebaut? So ist's nicht sie allein, sondern auch viele gute Steine der hohen Türme und festen Mauern unserer Stadt Lübeck und der gesamten Hansa stehen darauf.« Mit wachsendem Erstaunen hörte Dietwald den kundigerfahrenen Schiffer weiter sprechen. Er wußte nichts von der Welt und dem Wesen des Handels, worauf dieser beruhe, hatte nie darüber gedacht. Wenn er sich etwas vorgestellt, war's, daß der Kaufmann Kostbarkeiten aus seinen Ländern herbeihole und austausche. Jetzt vernahm er, daß die Macht und der Reichtum Lübecks, der sagenhafte Glanz Wisbys seinen Ursprung zum großen Teil dem unscheinbaren Fische in dem benachbarten Meere verdanke, der von den Seestädten über das ganze Deutsche Reich als tägliche Nahrung in jedes Haus und jede Hütte verbreitet werde. Zum ersten Male tauchte dem Jüngling aus dem weitern Gespräch mit dem Schiffer ein Begriff des eigentlichen Wertes und der Bedeutung des Handels auf, den er bis heute nicht mit junkerhafter Mißachtung seiner ritterbürtigen Abkunft, doch mit verständnisloser Gleichgültigkeit geringschätzt hatte. Sein Auffassungsvermögen und seine Vorstellungskraft zeigten sich von hurtiger, regsamer Lebendigkeit, und rasch wuchs ihm die Erkenntnis, daß der Handel mit dem Umsatz auch scheinbar geringfügiger und alltäglicher Waren eine friedliche, doch gewaltige Macht bilde, die allerorten im höchsten Ansehen stehe und zumal durch den Bund der Hanse weitreichenden Einfluß bei Fürsten und Völkern übe. Es war kaum minder stolz und galt vielleicht noch mehr in West und Ost, ein Burgemeister oder bedeutender Ratsherr zu Lübeck, Wisby und Danzig zu sein, als ein Herzog oder Graf eines kleinen deutschen Reichslandes mit stets leerem Säckel und unbotmäßig trotzigem Lehnsadel. Eine volle neue Welt breitete sich vor Dietwald Wernerkin aus, aber er vernahm begierig von ihr, suchte durch Fragen sein Wissen stets mehr zu erweitern, soweit dasjenige des Schiffers ihm lehrreiche Antwort zu geben vermochte, und empfand mehr und mehr den Wert des Glückes, das sein Leben durch einen günstigen Zufall und das rasche Vertrauen Herrn Johann Wittenbergs mit dem mächtigen Hansebunde verknüpft hatte. Von Johann Wittenborg aber redete der Schiffsführer mit einer eigenen, halb geheimnisvollen Miene. Es habe Lübeck noch keinen Ratsherrn wie ihn gehabt, der so bei den Vornehmen und dem Volke gleicherweise in höchstem Ansehen sei, und derselbe werde zweifellos binnen kurzer Frist trotz seiner Jugend zum Haupte der Stadt erwählt werden. Denn wie ein altes Wort von dem Rat besage, »daß er wisse, was andere nicht wissen«, das gelte mehr denn von einem Zweiten von Herrn Wittenborg, und komme einmal eine Stunde der Drängnis und Gefahr, so werde keiner einen andern in der Stadt besser für Rat und Tat wissen als ihn. Darum sei es auch ein gar besonderer Glücksfall, bei ihm in Gunst zu stehen, wie der junge Geleitsmann wohl wahrgenommen, daß alle auf dem Schiff ihm mit ungewöhnlicher Achtsamkeit begegneten, weil er, obwohl stadtfremd bisher, von Johann Wittenborg zum Sendboten auserkoren worden sei. Das hörte Dietwald nicht minder gern und sah dabei hoffnungsfreudig auf die himmelblaue See hinaus. Und erwartungsvoll wieder auch horchte er, wenn der Schiffer ihm von dem nächsten Ziel ihrer Fahrt, der stolzen Meereskönigin des Nordens, der wundersamen Stadt Wisby berichtete, der sie, an den Bergen der Insel Bornholm vorübersegelnd, entgegenzogen. Dann waren sie an der langgestreckten schwedischen Insel Oeland dahingefahren, und der vierte Tag, seitdem sie Lübeck verlassen, stand in der Mitte, als die weißen Kalkfelsen der Westküste Gotlands sonnenübergossen aus dem Meeresspiegel vor ihnen aufblitzten. Ihr rückstrahlender Glanz blendete fast den Blick, doch Dietwald Wernerkin schaute unverwandt mit jugendlich begierigen Augen von der Vorderbrüstung des Schiffes hinüber, bis nun, alle Schilderung noch überragend, die Stadt Wisby selbst mit ihren beinahe unzählbaren mächtigen Kirchen vor ihm emporstieg. Rundhin umschloß das weite Gewirr von Dachfirsten und Giebeln oben auf der Bergeshöhe eine gewaltige Ringmauer mit gleichfalls zahllosen hohen und starken Türmen. Auf beiden Seiten zog sie sich bis gegen den steil abfallenden Uferrand herunter, so daß die Stadt bis zur See völlig von ihr umgürtet lag. Flimmernd und funkelnd sprangen die Sonnenstrahlen überall von kunstvollen und prunkenden Steingebäuden zurück, das Ganze übertraf im äußern Aussehen unfraglich Lübeck noch weitaus an Stolz und Pracht. Obwohl um so viel höher im Norden, fast nah an der Grenze unwirtlich nicht mehr bewohnbarer Zonen belegen, erschien es doch nicht so nordisch ernst wie die feierliche Löwenstadt, sondern trotz dem umherlaufenden tiefen Graben, den betürmten Mauern, Ziegeln und spitzdachigen Häusern lachend, lebensfroh und leichtgesinnt. Wie an der Trave jedoch ragten über allen andern Bauten die Zwillingstürme der deutschen ›Marienkirche‹ ins Blau, und das alles, wie es sich dem staunenden Blick des jungen Ankömmlings immer deutlicher ausrollte, hatte die unablässig tätige Kraft des Handels geschaffen, auf dessen Ausüber die Ritter und Junker in ihren ärmlich unwohnlichen Burgsitzen als auf ›Krämer‹ stolz herunterzuschauen sich vermaßen.

Nun war das Schiff nur um ein Geringes mehr von dem Innenhafen Wisbys und seinen zahlreich am Anker festliegenden Fahrzeugen entfernt, doch bevor es zwischen die letztern einlief, schoß ihm luvwärts ein vollgespanntes rotbraunes Segel vorüber. Schon seit Stunden hatte dies seinen Lauf hinter der Kogge gehalten und sich ihr mehr und mehr genähert. Eine mittelgroße Snigge von leichtem, scharf durchs Wasser schneidendem Bau war's: jetzt gelang's ihrer behenderen Art, noch den Vorsprung vor dem schwerfälligen lübischen Doppelmaster zu gewinnen. So dicht flog es an diesem entlang, kaum entfernter als auf zwiefache Sprungweite, daß Dietwalds Kopf überrascht herumfuhr. Die Snigge schien wenig Leute zu führen, am Bugspriet stand nur ein vereinzelter Mann in der Tracht eines reisenden Kaufmannes von hohem und breitem Wuchs und dunkel im Wind um die Stirn fliegendem Haar. Er warf einen Blick nach dem flatternden Flaggenschmuck der Kogge, dann trafen seine scharfen Augen dichther auf den jungen Geleitsmann, daß es diesem war, als ob ihm ein Doppelpfeil ins Antlitz gefahren. Aber schon war das hurtige Schiff vorüber geschossen, und der Nachblickende hatte nur undeutlich den Eindruck eigenartiger und kraftvoll schöner Züge eines Mannes, der ungefähr die Mitte des Lebens erreicht haben mochte. Nun stand er, den Rücken wendend, und erschien von der prachtvollen Anschau der weitberühmten Stadt regungslos verzaubert. Bald landete auch die Kogge, und Dietwald Wernerkin begab sich allsogleich zu dem neben der steil aufragenden Wand der Marienkirche belegenen Hause des lübischen Oldermanns. Dieser, ein schon bejahrter Mann in russischer Marderfellschaube, dem kostbarsten Kleide der Zeit, erbrach mit Bedacht das große Wachssiegel des Ratsschreibens, las dieses und musterte den Überbringer mit aufmerksamem Blick. »Müsset in guter Wohlmeinung bei Herrn Johann Wittenborg stehen, Junker,« sagte er darauf, »da der Ratsherr Euch uns in einer Nachschrift anbefiehlt, wir möchten insonders achten, Euch während Eures Aufenthaltes in Wisby nicht ohne einige jugendliche Lustbarkeit zu belassen, die Euch heilsam sein werde. Solche könnt Ihr in meinem Hause nicht finden, denn Gott hat mir keine Söhne und Töchter schenken gewollt, auch mein treffliches Ehgemahl vor der Zeit von mir genommen, daß ich allein verblieben, wünsche, es möge nicht gar lang mehr sein. Will Euch drum auf Herrn Wittenborgs Geheiß, auf daß Ihr nicht in einer gemeinen Herberge zu Tische sitzen und nächtigen müsset, in das Haus des Goldschmiedes Peter Holmfeld anbefehlen. Dort findet Ihr fröhliche Mägdlein, Lachen und Lust, wonach der Jugend mit Recht in Züchten der Sinn steht, und bereiten Hauswirt, der sich an deutschen Gästen erfreut. Lasset Euch aber meinen Rat dazu gefallen, den Eure jungen deutschen Augen mir in den Sinn geben, daß Ihr sonst Euch vor Männern und Weibern wohlbehütet und nicht leichtgläubig glatten Worten betrauet. Denn es wandert jederzeit in unserer Stadt unbekanntes Volk von allerlei Zunge, kommt mit den Möwen über See und Sand und schwindet bei Nacht wieder von dannen. Davon möchte gern einer Eure Augen tauglich halten, um sie mit diesem oder jenem verlockenden Angebot zu Eurem Schaden zu berücken.«

Der Jüngling errötete etwas und entgegnete: »Habet Dank, Herr Oldermann, für Eure gute Warnung. Doch ich wüßte nichts, was ein Gaukler mir zu Schaden bereiten, noch wozu er mich locken könnte. Ich habe Herrn Wittenborg und der Stadt Lübeck Treue gelobt, und ob Ihr mich nicht kennt, seid gewiß, daß ich sie beiden und jedermann heimbringe, dem mein Herz sie schuldet.«

Der Alte schrieb einige Zeilen auf ein Blatt. »So bringet dies Herrn Peter Holmfeld und haltet Euch gleichfalls guter Aufnahme gewiß. Ihr sagt, ich kenne Euch nicht, aber meine Augen sind noch genugsam hell, um zu gewahren, worauf Herr Johann Wittenborg bei Euch zählt. Ist ein junger, kräftiger Arm allzeit viel, doch es mögen Tage kommen, wo ein treuer Sinn noch mehr not tut. An eine Woche lang wird Euer Schiff hier Rast halten; Gott befohlen für Eure lange Weiterfahrt nach Venedig, wenn ich Euch bis dahin nicht wieder gewahre.«

Dietwald verabschiedete sich und verließ frohsinnig das große lautlose Haus, um dasjenige Peter Holmfelds aufzusuchen. Dies gelang ihm nach der Deutung nicht schwer, obwohl es fast so weit als möglich vom Mittelraum der Stadt, am nördlichen Rande der Ringmauer Wisbys belegen war. Von außen und innen empfing ihn ein überaus stattliches, beträchtlichen Wohlstand kündendes Gebäude mit mannigfaltigem Zierat vom gezackten Giebel bis auf das gotische Spitzgewölbe der Tür hinunter. Es war von nämlicher Bauart, wie er sie vielfach in Lübeck gesehen, nur weniger ernstblickend als dort, mehr zur heiteren Erfreuung für den Sinn des Gesichtes vorbedacht. Auch der breite Flur besaß nichts Düsteres wie zumeist in den Häusern an der Trave, eine Treppe von hellem Gestein führte zum obern Stockwerk hinan und ein freudiges Licht fiel durch eine offene Hintertür der Rückseite herein. Niemand aber vernahm den Schritt des Ankömmlings auf den grauen Fliesen des Estrichs, das Innere schien leer und menschenverlassen. So trat Dietwald nach einigem Zuwarten durch die Rücktür wieder ins Freie hinaus. Ein großer Garten tat sich dort auf, über dessen hellgrünendes Gezweig und Strauchwerk die Stadtmauer mit einem ihrer hohen Türme herabschaute; befremdend lieblich jedoch war davor alles mit rosenhellem Gestock überstreut, denn die Birn- und Apfelbäume standen hier im fernen Nordland erst im Beginn ihrer Blüte.

Da und dort warf die spät niedergehende Sonne einen Goldstreifen hinein; überrascht und schier des Zweckes seiner Hierherkunft vergessend, wanderte der junge Geselle durch die fremdartig-märchenhaft um ihn gebreitete nordische Frühlingsherrlichkeit vorwärts. Dann kam es vor ihm nicht mit einem Ton, doch mit einer Bewegung durch die Gartenstille, und er gewahrte zwischen zwei Stämmen über einem Rasen eine große Schaukel langsam hin und wieder gehen. Darin lag ein junges Mädchen in bunt durcheinander flimmernder Tracht, dem Gefieder eines Distelfinken ähnlich, zurückgebogen, hielt sich mit zwei sehr kleinen Händen an den Seilen, und ihre Füße in zugespitzten goldgestickten Schuhen hoben und streckten die Knie, die Schaukel im Schwingen zu erhalten. Dietwald blieb ohne Laut unschlüssig stehen, allein jetzt ward sie seiner ansichtig, verließ indes ihre Lage nicht, sondern schaute ihn unter langen schwarzen Wimpern hervor noch ein Weilchen regungslos mit blitzenden Augensternen an. Dann schnellte sie sich mit einem plötzlichen gelenken Sprunge herab, daß er fast erschrak, und stand vor ihm. Er hatte nie derartiges gesehen, sie trug nur halb weibliche Kleidung, die ihr bis auf die Knie reichte, darunter bauschten sich weite Beinkleider von einem farbenringelnden, dem Beschauer unbekannten Stoffe hervor und schlossen sich eng um die feinen Knöchel zusammen. Es kam Dietwald, daß er einmal von solcher Gewandung bei morgenländischen Frauen vernommen; mehr noch als diese Tracht verwirrte ihn aber der unbeirrt und erwartungsvoll auf ihn gerichtete Blick des Mädchens. Sie war größer als sie zuvor erschienen, beinahe mit einem stahlbläulichen Glanz hob sich das reiche, doch kurze Haargelock von der mattem Elfenbein gleichenden Stirn. Da er noch schwieg, sagte sie nun in deutscher Sprache, aber mit einem fremden Klang der Stimme:

»Wer seid Ihr? Ein deutscher Rittersmann? Man erkennt Euch gleich an den Taubenaugen.«

Sie lachte und warf den schönen roten Mund leicht auf, daß ihre Zähne schimmerten. Er nannte seinen Namen und gab ihr das Schreiben des Oldermanns, das sie fast geringschätzigen Blickes überflog. Darauf versetzte sie:

»Ich bin Witta Holmfeld, mein Vater ist noch in seiner Werkstatt am Markt. Kehrt am Abend zurück, ihm werdet Ihr willkommen sein, denn er stammt aus dem deutschen Land und freut sich der Deutschen.« Dietwalds wortloses Erstaunen war geschwunden, er entgegnete lächelnd:

»Eure Rede scheint zu besagen, Jungfrau, Ihr teilet Eures Vaters Sinnesart nicht.«

Witta Holmfelds Lippen fielen hurtig ein: »Die Deutschen sind langweilig, meine Mutter muß törichte Augen gehabt haben.«

»So will ich Euch nicht länger langweilen, Jungfrau,« erwiderte der junge Kriegsmann ruhig, neigte sich artig und wandte den Schritt. Doch ihr Kopf fuhr jetzt mit einem Aufruck empor und sie rief:

»Ihr dürft mich schaukeln, bleibt, bis mein Vater kommt!«

Er drehte verwundert die Stirn. »Ich bat Euch nicht drum, bleiben zu dürfen.«

»Mir gefällt's aber jetzt. Ihr geht doch nicht, wenn ich nicht will.«

Ihre Augen sahen ihm verändert, mit einem rinnenden Schmelz zauberischer Sanftmut ins Gesicht, doch die schweigsam-schmeichelnde Bitte derselben glitt wirkungslos von seinem ihr gerade entgegengerichteten Blick ab. »Ihr wollt nicht, schöne Jungfrau,« versetzte er leicht scherzenden Tones, »denn Ihr seht, daß ich gehe.«

Er verließ rasch den Garten und schritt durch das lautlose Haus auf die Straße zurück, hier kam es ihm erst zur Vorstellung, daß er unter dem blühenden Gezweig einem Weibe von überaus seltener, verwundersamer Schönheit gegenüber gestanden, das sich, gleich befremdlich an Körpererscheinung, Kleidung und Gemütsart, in schnellem Wechsel hochfahrend und schmeichlerisch umgewandelt gegen ihn benommen. Ihre Augensterne blitzten ihn aus dem bläulichen Weiß umher noch in der Erinnerung, einem beweglichen Schlangenblick ähnelnd, an, und ihm ward's, er habe unter dem Blütenduft eine Verlockung des Paradieses hinter sich gelassen. Dieser Berückung mußte der Ratschlag des Alten gegolten haben, und Dietwald Wernerkin fühlte freudig sein Herz klopfen, daß es solcher Warnung nicht bedurft. Er trug ein kleines Amulett auf der Brust, welches ihn vor allen berückenden Schlangenaugen feite, und frohbeglückt über die starke Schutzbewährung desselben schlenderte er durch die volkbelebten Gassen Wisbys dahin. Sprachen aller Länder Europas schlugen ihm ans Ohr, doch zumeist deutsche, schwedische und dänische Zungen, die ungefähr gleichgemessen in der Stadt verteilt erschienen. Verschwenderisch boten die Kauf- und Gewerksläden vielfach an der Straße ausgelegte Dinge zur Schau, die er noch nie, auch zu Lübeck nicht, mit Augen wahrgenommen: kostbar gewirkte Tücher, farbigen Samt und russische Pelzwaren, dann fremdländische Erzgefäße, Geräte und Waffen, und wieder hochangehäufte duftausströmende Gewürze, Südfrüchte, goldgelbe sizilische Äpfel, Walfischbein und buntglitzernden Glasschmuck; aus den Buden der Goldschmiede am Markt leuchtete goldenes und silbernes Gepränge, und edle Steine funkelten in allen Farben dazwischen. Man sah, daß die Sage den Reichtum Wisbys kaum übertreiben mochte, und nirgends gewahrte der Blick an den Bewohnern Armut und Bedrängnis. Sie gingen alle in stattlichen Gewändern und mit sorgloser Miene, ein genußfrohes Volk, dem bei leichter Arbeit der Überfluß fast wie von selbst in den Schoß fiel, und das harte Mühsal, Bitternis und stündliche Gefährdung des Lebens und seiner Habe nicht kannte. Es war eine heiter lachende Insel der Glücklichen, und um sich staunend schritt Dietwald weiter, bis er in ein Geflecht engerer Gassen geriet, an dessen Ausgang unerwartet der Hafen wieder vor ihm lag. Zu Bardowiek mochte die Sonne schon seit geraumer Zeit unter dem Himmelsrande verschwunden sein, doch hier im höchsten Norden stand sie noch voll darüber und goß rote Strahlen um die Giebel der Masten, auf den uferlosen Glanzspiegel der See. Der Ankömmling schaute entzückt inmitten des noch regen Hafentreibens um ihn her in die Weite, dann wandte er überrascht den Kopf, denn eine Hand legte sich von der Seite auf seine Schulter und eine Stimme sprach dazu:

»Ihr scheinet fremd wie ich, doch wir beiden sahen uns schon, bevor wir den Fuß auf den Strand hier gesetzt. Seid Ihr mir gram, daß mein Segel Eurem durch den Wind lief?«

Der Sprecher lachte hübsch und freundlich dazu, Dietwald bemaß ihn verwundert, denn er konnte sich mit erstem Blick nicht entsinnen, daß er den Fremden schon gesehen. Dann unterschied er allmählich, es mußte der Mann sein, der auf dem Vorderdeck der behenden Snigge mit dem rotbraunen Segelwerk gestanden, als diese bei der Einfahrt der Kogge vorübergelaufen. Nur hatte er ein anderes Bild von jenem aufzunehmen geglaubt; in veränderter, vornehmerer Tracht stand derselbe da, das beirrte den Blick zunächst, aber mehr noch, daß die Augen des dunkel umhaarten Antlitzes nicht Pfeilscharfes und Stechendes besaßen, sondern mit harmlos gewinnendem Ausdruck unter den schöngewölbten Brauen hervorsahen. Es war, als lese der Fremde die Gedanken in der Miene des Jünglings, denn er fügte hinzu:

»Ihr erkennt mich nicht wieder, scheint's, mein Gesicht ist alltäglicher Art, daß es nicht im Gedächtnis haftet wie Eures, und ich habe andere Kleidung angelegt, denn in der Reisetracht gilt man nicht in dieser vornehmen Stadt, und danach steht mein Begehr. Ich bin ein Kaufmann aus Helsingborg, Knud Hendrikson ist mein Name, und zum erstenmal mit edlem Erz und Gestein in Wisby, um guten Absatz hier zu finden. Verübelt's mir nicht, daß ich Euch angesprochen, Ihr seid kein Handelsmann, sondern Euer Gesicht redet von besserer Abkunft. Doch ich fuhr auch schon manchmal den Travefluß hinauf und herab, und seine hohen Türme nicken mir vertraulichen Gruß aus Euren Augen.«

Knud Hendrikson brachte das Deutsche leicht und fließend wie seine Muttersprache hervor, nur ein dann und wann leicht merklicher Ton wies auf seinen schwedischen oder dänischen Ursprung. Seine Züge waren von kräftiger und männlicher Schönheit, wohl in der Mitte zwischen dreißig und vierzig Jahren, aber mehr noch als sie sprach die bescheidene Artigkeit seines Behabens an. Dietwald entgegnete jetzt mit einigem Erstaunen auf die letzten Worte des Kaufmanns: »Woher wisset Ihr, daß ich von Lübeck komme?« Ein leichtes Lächeln ging um den Mund des Antwortenden: »Da ich Euch unter dem weitbekannten Wappenbild der edlen Stadt gewahrte, stand wohl zu mutmaßen, daß Ihr Euer gutes Schwert derselben als Schutzwehr geliehen.« Nun erwiderte der Jüngling rasch mit errötender Stirn:

»Ihr könnt mir nicht Lieberes reden, Herr Hendrikson, denn obzwar ich nur kurze Frist zu Lübeck verweilt, ist es mir doch, als ob ich als ein Zugehöriger desselben zur Welt gelangt sei. Aber haltet mich nicht für hochfahrenden Sinnes, daß ich meine Herstammung besser achtete, als die eines Handelsherrn. Dietwald Wernerkin ist freilich mein Name, von adeliger Geburt, doch ich habe mit Augen gesehen, daß sich unter den Kaufleuten mancherlei Männer finden, die an Würde und Klugheit wohl mit ruhmreichen Rittern und selbst Fürsten zu wetten vermögen.«

»So habt Ihr scharfe Augen für die Wahrheit besessen trotz Eurer Jugend, Herr Junker, daß Ihr die Krämer nicht verachtet. Ist Euch etwa als ein bedeutsames Beispiel derselben Herr Johann Wittenborg zu Gesicht geraten?«

Zwischen Dietwalds Wimpern leuchtete es auf. »Habt Ihr von ihm vernommen? Er hat mich hierher gesendet.«

»Kenne ihn gar wohl von Angesicht und Rede und vermute mit Fug, daß ich ihm noch öfters im Leben wieder begegnen mag. Sagte Euch schon, daß ich manches Mal mich zu Lübeck gehalten; es redet für Herrn Wittenborg, daß er Euch mit seiner Sendschaft betraut, und konntet Ihr nach meinem Entscheid nicht bessern Dienst nehmen, um zu Ansehen und Ehren in der Welt aufzusteigen, wie's Eurer Abkunft gebührt. Hörte gern noch mancherlei von dem weisen Ratsherrn. Gefällt es Euch seit Eurer Ankunft in Wisby, wo herbergt Ihr und wie lange gedenkt Ihr in der Stadt zu verweilen?«

Dem Jüngling war noch nie so viel wohlmeinende Anteilnahme und schuldige Achtung vor seiner Herkunft von seiten eines Älteren entgegengetreten und er erwiderte auf die Fragen mit einem kurzen Bericht über dasjenige, was er in den wenigen Stunden seines Aufenthalts in Wisby kennen gelernt. Die Stadt mutete ihn trotz ihren herrlichen Bauten und ihrer Reichtumsfülle nicht gleich Lübeck an, sie erschien ihm weniger ehrbar, auch nicht so von ernsten, hochstrebenden Gedanken beseelt. Er sprach von dem stattlichen Hause Peter Holmfelds, des Goldschmiedes, dem er als Gast anbefohlen worden, und von dem absonderlichen Empfang, den ihm die Tochter dort im Garten bereitet, daß er mit dem Entschluß von dannen gegangen, nicht wieder dorthin zurückzukehren, sondern eine Herberge zu seiner Unterkunft aufzusuchen. Knud Hendrikson hörte seinen Worten aufmerksam und schnelles Verständnis bekundend zu, denn er entgegnete darauf:

»Ihr seid günstig und als Eurer Neigung Herr gestellet, Herr Wernerkin, und ich mag wohl erraten, was Euch an dem Hause und Garten mit dem befremdlichen Mädchen wider den Sinn geht, daß Ihr bereits in Treue und Herzensfreudigkeit drüben in Eurer deutschen Heimat einer anderen gedenkt –«

Ein aufblühendes Rot der Wangen Dietwalds bestätigte die Annahme des Sprechers und dieser fuhr artig fort:

»Doch das Gedächtnis derselben kann sicherlich nicht bessern Behälter zum Verwahrsam finden, als Eure Brust, daran der Strahl aller andern Augen sichtbarlich gleich stumpfem Pfeilgeschoß erlahmt. Mich aber will es als ein besonderes Glück und Gunst des Schicksals bedünken, daß ich solchergestalt mit Euch hier zusammengetroffen, denn da ich fremd in Wisby bin, fällt es mir gar schwer, diejenigen Leute in der Stadt auszufinden, die meinem Handelsgeschäft guten Erfolg verheißen und des Rufes der Rechtschaffenheit teilhaft sind. Andernfalls würde aber der Herr Oldermann Euch nicht in das Haus Peter Holmfelds als Gast verwiesen haben, und da ich Umsatz in Erzen und Gesteinen begehre, kann mir nicht Wünschenswerteres zustoßen, als die Bekanntschaft eines redlichen Goldschmiedes zu knüpfen. Mir ist's, als hätte offenkundig der Himmel es so gefügt, daß ich Euch, Herr Junker, finden gesollt, Euch um die freundliche Gewähr bitten zu dürfen, daß Ihr mich als einen Euch Bekannten in das Haus des Herrn Holmfeld einführt. Als Kaufmann habe ich nicht Blick noch Furcht vor seltsamen Weiberaugen, und Ihr seid ja wohlgefeit, daß Ihr mir ohne Sorgnis auf eine Stunde nochmals dorthin das Geleit geben und alsdann die Herberge, die Ihr im Sinn tragt, aufsuchen mögt, haltet für gewiß, daß ich Euch solche Hülfsleistung als einen Dienst der Freundschaft treu im Gedächtnis bewahren und wo es in meinen Kräften stehen mag, vergelten werde.«

Noch niemals hatte Dietwald Wernerkin eine freimütiger-offene Sprechweise, von anmutenderem Behaben unterstützt, gehört, und er antwortete freudig:

»Wenn ich mit so Geringem Eure Freundschaft erwerben darf, Herr Hendrikson, bedünkt es vielmehr mich als ein besonderes Glück, an dieser Stelle mit Euch zusammengetroffen und von Euch wiedererkannt worden zu sein,« und in mancherlei Gesprächen führte er seinen neuen Begleiter dem Hause des Goldschmiedes zu. Abend, doch noch mit nordischer Maihelligkeit, lag über diesem, als sie in die gotische Tür eintraten. Peter Holmfeld war jetzt gleichfalls heimgelangt und trat ihnen in der dunkel getäfelten Stube breitwüchsig stattlich, hell an Augen und Haar, entgegen. Mit treuherzigem Handwillkomm begrüßte er Dietwald, von dessen Anmeldung er Kunde empfangen, warf indes einen verwunderten Blick auf den dunkeln Scheitel und Bartwuchs Knud Hendriksons und meinte, zu dem Jüngling gewandt: »Euer Gefährte sieht nicht nach deutschen Landen aus.« Der Angesprochene versetzte nicht ohne einigen herauszuvernehmenden Stolz: »Er stammt wohl von altem Normannsblut, und obzwar ich ihn noch nicht seit langem kenne, erfreue ich mich doch seiner Freundschaft. Auch ist er zu Lübeck wohl vertraut und Herrn Johann Wittenborg bekannt, und ich verhoffe, daß ich ihn nach seinem Wunsch zu Eurem wie zu seinem Vorteil in Euer Haus geführt habe.« Dietwald fügte das Begehren und Handelsgeschäft des Kaufmanns hinzu, und der Goldschmied streckte darauf auch gegen den letztern die Hand und sprach: »So seid mir in gleichem willkommen, Herr Hendrikson, und lasset Euch gefallen, was das Haus eines Gewerkmanns enthält. Morgen im Tageslicht bin ich wohlbereit, mich mit Euch über Eure Ware zu vernehmen, und denke, daß wir mit gutem Willen zu beiderseitigem Vorteil manches Handels einig werden mögen.«

Wort und Wesen Peter Holmfelds redeten von einer schlichten, geradmütigen und sorglosen Natur, und das Gespräch setzte sich geraume Weile mit Fragen und Antworten regsam fort, bis ein Glockenton auf dem Flur draußen erklang und der Hausherr seine Gäste aufforderte, mit ihm zum Nachtessen hinüber zu gehen. Er geleitete sie in ein anderes hohes und geräumiges Gemach, das von vielen kleinen Lämpchen erhellt wurde, welche kranzartig gereiht an einem kunstvoll geschmiedeten und verschnörkelten Erzreif von der Decke über dem Tisch herabhingen. Witta Holmfeld stand bereits wartend, doch in anderer Kleidung als am Nachmittag, einem langen engumschließenden Gewande von flandrischem Tuch, in der Stube, und Knud Hendrikson trat rasch mit überaus höflicher und sicherer Manier auf sie zu und sprach, sich vor ihr verneigend, er habe bereits so viel von dem Rufe ihrer Schönheit vernommen, daß ihr Anblick ihm keinen Zweifel darüber belasse, er genieße die Gunst, die Tochter des Hauses begrüßen zu dürfen. Etwas überrascht, doch nicht mißfällig hefteten sich die Augen des in Wirklichkeit so noch weit vorteilhafter erscheinenden Mädchens in die seinigen, und sie erwiderte, einen artigen Blick auf Dietwald Wernerkin hinüberwerfend: »So habt Ihr es wohl aus einem Munde vernehmen gemußt, dem ich, wie mich dünkt, zu meinem Lobe nicht sonderlichen Anlaß geboten. Aber« – sie schritt auf den jungen Kriegsmann zu – »verargt es mir nicht, wie ich Euch am Nachmittag empfing; Ihr überraschtet mich, und ich wußte nicht gleich, welcherlei ansehnliche und erfreuliche Gäste Eure Ankunft unserm Hause verheiße.« Diese Abbitte und ihr ungekünstelter Gesichtsausdruck dabei söhnten Dietwald rasch mit der schönen Sprecherin aus und er schalt sich, daß er vorschnell in wenigen Augenblicken eine ungünstige Meinung von ihr gefaßt habe. Frohgemut setzte er sich an den Tisch und ließ mit unverhohlenem Erstaunen den Blick über die kostbaren, aufs kunstreichste gearbeiteten und mit Gebilden verzierten Erzkannen, Pokale und Eßgeräte des Tisches hingehen. Selbst ihre oberflächliche Bemessung nach dem Geldes- und Schönheitswerte führte zu einem so beträchtlichen Ergebnis, daß auch der Kaufmann aus Helsingborg, der doch vielerorten in der Welt mehr als Dietwald Wernerkin gesehen haben mochte, unwillkürlich ausrief:

»Man redet wahrlich nicht zu hoch von den Schätzen Wisbys und sollte nicht vermeinen, am Tische eines Gewerkmannes, wie Ihr Euch benannt, zu sitzen, da ich an mancher Fürstentafel weit minder köstliches Gerät – wohl ich selbst nicht mit eigenen Augen erblickt, doch vernommen habe, daß es dort unterzeiten weit kärglicher bestellt sei, als an Eurem gastfreien Tische.«

»Ihr vergesset, Herr Hendrikson,« erwiderte Peter Holmfeld mit wohlbefriedigtem Lächeln, »daß Ihr im Hause eines Goldschmiedes verweilet,« und einen der schweren Pokale hebend, brachte er, diesen auf einen Zug ausleerend, seinen Gästen den nordischen Willkommstrunk zu.

Schwedischer Met und heißer hispanischer Wein lösten bald die Zungen zu lebhafter Wechselrede, zumeist diejenige des Hauswirtes, der von Dietwalds Bestimmung, die Kogge nach Venedig zu geleiten, vernahm und aus dieser Mitteilung frohsinnig ein Gedächtnis lang vergangener Tage wachrief. Auch er war in früher Jugend als Lehrling seines Gewerkes und schier als der erste aus dem ganzen deutschen Norden nach mancherlei Umfahrt in die ferne stolze Lagunenstadt des Adriameeres gelangt und hatte dort nah unter der wundersamen Kirche des heiligen Markus bei einem weitberühmten Meister seine Kunst erlernt. Mit großblickenden, erinnerungsvollen Augen erzählte er von der Pracht der ganz aus Marmor erbauten wasserumspülten Paläste, den Gondelschiffen, darin man zwischen den Häusern hinfahre, den scharlachfarbig blühenden Granatapfelbäumen und Orangen in den sonnenheißen Ufergärten der Inselstadt. Doch am häufigsten führte er, mit dem feurigen Wein sein Gedächtnis regend, den Pokal an die Lippen, wie er von dem Fontego de' Tedeschi, dem »teutschen Kaufhofe« zu Venedig, nahe dem großen Kanale belegen, sprach, in dem stets ein dichtes Gewimmel von oberdeutschen Kaufherren aus den reichen Städten Regensburg, Augsburg und Nürnberg, selbst noch von Erfurt und Breslau her, und ein mit jeglichem Tag neues fröhliches Leben geherrscht. Die Deutschen aber seien allzeit wohlangesehen in der gewaltigen Republik gewesen, daß selbst die hochmächtige Signoria, oftmals in Schriften die »teutsche Nation« ihr Herzblatt geheißen, und jeder sorglich seines Geschäfts Beflissene habe es dort binnen einiger Frist zu Gut und Wohlstand gebracht. Gleiches sei auch ihm gelungen und der Feuerbrand eines schwarzen Auges dazu über ihn gekommen, daß er, wenn auch ohne Dreingift, eines der schönsten Mädchen der Stadt als Ehegespons in sein Haus geführt. Peter Holmfeld hielt, um einen hastigen Trunk zu tun, in seinem Bericht inne, dann fuhr er fort, daß sein junges Weib schon nach etlichen Jahren verstorben sei und ihm nur ein halbjähriges Töchterlein hinterlassen. Da sei ihm Venedig verleidet worden und habe ihn das Heimweh gegen Norden angefaßt, daß er mit dem Kinde ein Schiff bestiegen und auf Gotland gelandet und zu Wisby verblieben.

Der Goldschmied brach am Schlusse seiner Erzählung kurz ab, als ob er etwas mit Schweigen zurückgehalten; Dietwald Wernerkin verwandte den Blick auf Witta Holmfelds Antlitz und sprach:

»Davon besitzt Eure Tochter das fremde Aussehn, das mich am Nachmittag wunders nahm: sie hat als leibliches Erbe von Euch nichts empfangen, deucht mir, sondern allein von ihrer Mutter.«

Der Angesprochene nickte. »Nein, es ist, als hätte sie von mir nichts« – er griff wieder nach dem Becher, doch beim Trunk hefteten sich seine Augen halb erschreckt auf das Gesicht seiner Tochter und er fügte hastig drein: »Sie gleicht genau ihrer Mutter, als sie in mein Haus kam.«

Knud Hendrikson streifte mit einem kurzen prüfenden Blick die Züge des Goldschmieds: Witta Holmfeld saß derweil und aß von einer der gehäuft in einem Korbe vor ihr stehenden Orangen, ihre Zähne schimmerten wie Perlen durch den blutroten Saft der Frucht. Peter Holmfelds Mund aber lachte jetzt heiter wie zuvor: »Sie muß immer die Goldäpfel haben, in denen die heiße Sonne ihres Heimatlandes nachglüht, auch wenn der Schiffer sie nach silbernen Gewichten wägt.« Er verschwieg's, doch sein fast ängstlich bedachtsames Gebaren gegen sie den Abend lang sprach deutlich aus: sie mußte jegliches haben, wonach ihre Laune ging, und er besaß nicht die Kraft, ihr etwas zu weigern. Auch wenn sie eine seidene Tracht gleich derjenigen der Frauen des Morgenlandes begehrte, wog er sein Gold dafür an den Handelsherrn aus dem Süden. Dazu füllte es ihm die Truhe; er stand unmächtig unter dem Blick ihrer Augen, wie einstmal unter denen ihrer Mutter. Selbst Dietwalds junger Unerfahrenheit vermochte es nicht lange zu entgehen, daß der starke, verstandestüchtige Mann mit dem breiten blonden Vollbart, wie von einem Zauber bezwungen, seiner Tochter mit steter Willfährigkeit, beinahe mit Unterwürfigkeit begegnete und daß sie in dem reichen Hause wie über sich selbst nach Willkür schaltete.

Dietwald Wernerkin hatte, begreiflicher Teilnahme voll, noch über vielerlei Dinge zu Venedig nachgefragt und den kundigen Antworten achtsam zugehört, dann nahm er erst nach ziemlicher Weile gewahr, daß er unvermerkt als Sprecher an die Stelle Peter Holmfelds getreten sei und, statt von der alten Meereskönigin des Südens von der neuaufstrebenden des Nordens berichte. Es war wohl eine zufällige Anfrage Knud Hendriksons gewesen, welche die Rede auf Lübeck geleitet, und der Jüngling gab kund, was er dort in kurzer Zeit mit seinen Augen gesehen und ihm an geringfügiger Kenntnis zuteil geworden. Doch legte der Kaufmann für alles aufmerksames Gehör an den Tag, denn ein Handelsmann könne aus Kleinem oft für seinen Vorteil auf Gewichtiges schließen, und er trage im Sinn, von Wisby gegen Lübeck hinaufzusegeln. Da wolle er zu Herrn Johann Wittenborg gehen, um ihm von Dietwald gute Botschaft zu bringen, und er fragte, ob der Ratsherr mehr Anhang in der Stadt unter den Vornehmen oder dem Volk besitze, und ob er selbst als waffenkundig gelte, im Harnisch einhergehe oder in friedlicher Bürgertracht. Auch wieviel und welcherlei Bauart und von wannen Schiffe gegenwärtig in der Trave lägen, ob die Bemannung eine zahlreiche sei und neue Fahrzeuge auf den Helgen gezimmert würden. Darauf erteilte der junge Geleitsmann, soweit er's vermochte, bereitwillige Erwiderung und gewann, anfänglich derartigen Redens ungewohnt, allgemach eine Lust daran, mit sicherer werdender Wortfügung zu berichten und die Achtsamkeit seiner Zuhörer zu gewahren. Aber dann mochte Knud Hendrikson mit dem Schicklichkeitsgefühl eines weit umher gekommenen und besser erfahrenen Gastes empfinden, daß der Tochter des Hauses mit solcherlei Gesprächen der Männer wenig Teilnahme und Vergnügen bereitet werde, denn er ließ Dietwald zum Goldschmiede fortreden und wandte sich unter höflicher Ansprache an Witta Holmfeld, die neben ihm saß und auf seine Worte anerst nur in ziemlicher Achtlosigkeit erwiderte. Doch mußte ihr im Verlauf Gefallen regen, was der Kaufmann sprach, sie hörte ihm aufmerkender zu, lachte manchmal und blickte dann und wann zu ihm empor, als horche sie nicht mit dem Ohr allein, sondern auch mit den Augen. Ab und zu vernahm Dietwald eine der zwischen den beiden gewechselten Reden, und diese erschlossen ihm mehr und mehr die wohlberechnende Vorbedachtsamkeit seines Helsingborger Mitgastes. Unzweifelhaft hatte er den bestimmenden Einfluß, den das Mädchen auf ihren Vater übte, gleichfalls erkannt und strebte als ein kluger Händler von Goldschmiedswaren danach, sich eine günstige Meinung bei der Tochter des Hauses zu erwerben.

Darüber war es späte Nacht geworden, daß sogar am Westrand des hochnordischen Himmels das letzte Rot ausgeloschen, und Dietwald Wernerkin erhob sich vom Sitz, um Abschied zu nehmen und eine Herbergsunterkunft aufzusuchen. Auch Knud Hendrikson leerte den Rest seines Bechers und sprach aufstehend: »Wahrlich, es ist späte Nachtzeit, habet vollen Dank für Eure Aufnahme, Herr Holmfeld, aber morgen ist wieder – ich vermeine, morgen werde ich wieder bei Euch einkehren, um Euch das Erz und Gestein, das ich mitgeführt, zur Prüfung zu legen –«

Doch der Goldschmied zeigte sich von der Absicht des Jünglings völlig überrascht, und auch dieser wußte für eine Nötigung seines Fortganges keinerlei Grund aufzuwenden, so daß er sich selber nunmehr willig zum Verbleiben im Hause während seines Aufenthaltes zu Wisby bereden ließ. »Haben noch über vielerlei Zwiesprache zu führen, bevor Ihr nach Venedig abreist,« sagte Peter Holmfeld, und sich gegen den Kaufmann wendend, fügte er drein: »Es steht mir zu, Euch Dank für Euer Kommen zu wissen, Herr Hendrikson. Die Nacht ist nicht zum Umwandern für den Menschen geschaffen, und die Herbergen zu Wisby sind oft trunken lärmenden Seevolkes voll. Wollet Ihr mit Eurem Freunde das Gastgemach meines Hauses teilen, so werdet Ihr unserm Dache eine Gunst antun, darunter gleichfalls so lange zu verweilen, bis Eure Abfahrt Euch fortberuft.«

Die Augen Witta Holmfelds sprachen keine Widerrede gegen dieses gastfreundliche Angebot ihres Vaters, und nach einiger, nur von äußerer Schicklichkeit aufgedrungener Ablehnung nahm Knud Hendrikson die Zuvorkommenheit seines Wirtes überaus dankesvoll an und folgte ihm in den für Fremde bereitgehaltenen Schlafraum. Zuvor jedoch verneigte er sich zum Abschied mit anmutiger Gewandtheit vor Witta Holmfeld und sagte, mit einem feinen Lächeln seinen Blick in ihre Augen heftend:«Ich habe vernommen, Jungfrau, daß Ihr Euch in Eurem Garten zuzeiten nach dem Gewandbrauch morgenländischer Frauen ergeht. Daß Ihr solche Tracht liebt, bereitet Eurem feinen Sinn für Schönheit Ehre, und ich hoffe, Ihr werdet mir die Gunst verstatten, Euch auch einmal darin bewundern zu dürfen.«

Sie schritten in die großgeräumige Gaststube hinüber, die in Halbverschlägen mehrere mit kostbaren Eiderdaunen gefüllte Bettladen enthielt, der Hausherr verabschiedete sich unter Handschlag und Nachtgruß von seinen Gästen, und Dietwald warf, an sein Lager schreitend, rasch seinen Koller ab. Er fühlte sich sehr ermüdet von dem langen, wechselreichen Tag, der ihm noch auf hoher See begonnen; doch ehe er sich zur Ausrast hinzustrecken vermocht, trat sein Stubengenosse nochmals gegen ihn heran und sprach: »Ich weiß Euch fürwahr guten Dank, Herr Wernerkin, daß Eure Bereitwilligkeit mich in dieses treffliche Haus geführt hat. Schlafet nach Wunsche! Es wird uns beiden dazu wohl der wirksame hispanische Wein Herrn Holmfelds verhelfen.«

Vollbrachte es der gerühmte heiße Wein zugleich in den Zügen des Kaufmanns und in Dietwalds Augen, daß diesem beim Aufschauen jetzt das Gesicht Knud Hendriksons als ein völlig anderes wie bisher erschien? Die Lippen desselben hatten sich lachend über das weiße scharfgezahnte Gebiß gehoben, doch als ob ein spöttisches Aufzucken sie emporgeschnellt, und mit dem gleichen, leicht sinnestrunkenen Ausdruck streckte er nun die Hand nach einer um den Hals des halb entkleideten Jünglings verschlungenen Schnur und lachte: »Tragt Ihr dort das Zaubermittel, das Euch von den italischen Zunderblicken Witta Holmfelds behütet, Junker?«

Doch beim letzten Wort erweiterten sich seine dunkeln Augensterne seltsam starrend. Er hatte das kleine Goldkreuz von der Brust Dietwalds hervorgezogen und hielt es zwischen krampfhaft zusammengebogenen Fingern. Es sei sein Mund plötzlich atemlos verschnürt, stieß er heisern Tones von den Lippen: »Von wem habt Ihr –?« allein zugleich bohrte sich sein Blick in die blätterkranzumfaßte Buchstaben-Inschrift des Kreuzes und seine Hand warf dies jetzt fast zurück und er sprach mißächtlich: »Das ist schlechtes Gold, ich verstehe mich drauf, denn ich habe oft echtes vor Augen gehabt. Der Wein Peter Holmfelds liegt in ihnen, sonst hätten sie mich nicht mit unechtem betrogen. Schlafet! Morgen –«

Er brach ab, schritt zurück und streckte sich angekleidet auf sein Bett. Dietwalds Lider fielen schwer zu, doch geraume Zeit kam kein fester Schlaf, sondern nur ein Halbtraum über ihn, aus dem er oftmals von seinem Stubengenossen aufgeweckt wieder emporfuhr. Unruhvoll warf Knud Hendrikson sich auf dem Lager, er schlief, aber seine Brust atmete mühsam. Manchmal rang sie einen Seufzerlaut auf, dann murmelten seine Lippen im Traum ein paar Worte fremder Sprache, die Dietwald Wernerkin nicht verstand. Doch nach einer Weile kamen die beiden Worte noch einmal halblaut und sanft aus dem Dunkel: »Lille Tove –«

Es waren gute und frohgemute Tage, welche die beiden Gäste im Hause Peter Holmfelds verbrachten. Auch hatte dieser als Gewerksmann nicht Anlaß, seine gastliche Aufnahme Knud Hendriksons zu bereuen, denn die Warenprobstücke desselben erwiesen sich von gediegenem Wert und er stellte bei manchem seine Geldesforderung so gering, daß der Goldschmied innerlich darüber erstaunte und einmal wider seinen Vorteil heraussprach: »Ihr müßt Euch bei Eurer Rechnung beirren, Herr Hendrikson, und werdet Schaden durch mich erleiden.« Doch der Kaufmann entgegnete lachend: »Gewißlich nicht, verlasset Euch darauf, das wäre nicht Handelsart. Ich trage mehr Gewinn als Ihr: wenn Ihr die Waldschmiede im norwegischen Gebirg känntet, die mir zugehörig ist, würdet Ihr anders reden. Dort grub ich auf Kupfer und Osemund und fand Preiswerteres als der Arbeit Lohn. Doch laßt keinen Ruf von dem ausgehen, was ich nur Eurem Ohr im Zutrauen gesprochen.«

Waldschmieden wurden die einfachen Holzfeuerstätten benannt, an denen in den Bergen Norwegens und Schwedens besonders der Osemund, das rohe Eisenerz, von seinen Schlacken abgetrennt und ausgeschmolzen ward, und der Goldschmied stellte mit reger Wissensbegier vielfältige Fragen an seinen Gast, in welcherlei Weise sich dort das edle Metall mit dem gemeinen untermengt gezeigt habe. So führten beide oft angelegentliche Geschäftszwiesprache miteinander; zu andern Zeiten jedoch, wenn Peter Holmfeld sich in seiner Werkstatt befand, durchwanderte der Kaufmann stetig umschauenden Blicks die Gassen Wisbys gemeiniglich zu einem der Tore hinaus und umschritt von dort auf dem Bergrücken die gewaltige Schutzmauer der Stadt. Es traf sich, daß er zumeist von seinen Ausgängen heimkehrte, wenn Dietwald Wernerkin das tägliche Pflichtgebot, Obacht über die reisige Bemannung seiner Kogge zu halten, von dort fortberufen hatte. So gewahrten sie sich den Tag hindurch außer bei der Mittagsmahlzeit nicht viel; wenn jedoch der Jüngling einmal frühzeitiger vorm Abend vom Schiffe zurückkam, empfing ihn allemal das Haus seines Wirtes so lautlos und scheinbar von Menschen verlassen, wie bei seiner ersten Ankunft. Nur im Garten klangen alsdann bald lauter, bald leiser die Stimmen Knud Hendriksons und Witta Holmfelds, die sich allein in dem leeren Gewese zusammengefunden und sich gesellig mit Rede, Scherz und Lachen unter den blühenden Apfelbäumen erlustigten. Das Mädchen aber besaß etwas Dietwald manchmal sonderbar Unverständliches. Sie hatte ihre Art nicht verändert, denn er vernahm wohl, daß sie dann und wann auch dem Helsingborger Kaufherrn eine spöttisch-hochfahrende Antwort gab, auf welche dieser mit einem Lachen erwiderte. Doch gegen ihn selbst war ihr Behaben ein anderes geworden, er mußte es empfinden, hatte sich im Ablauf weniger Tage durchaus verwandelt. Sie vermaß sich nie mehr, ihn mit Geringschätzung fortzuweisen; wenn er unvermutet kam, ließ sie gemeiniglich ihren bisherigen Gesprächsgenossen allein und gesellte sich Dietwald zu. Manchmal hielt sie seine zum Gruß gefaßte Hand eine Weile in der ihrigen fest, und er fühlte diese heiß und in ihr unruhiges Blut klopfen. Aber es lag kein heimliches Trachten darin, seinen Sinn mit einem körperlichen Reize zu berücken, sie hielt seine Hand nicht wie die eines jungen Mannes, sondern gleich der eines andern Mädchens, als suche sie bei ihr etwas mit wortlosem Umfassen. Und so auch blickten zuweilen ihre Augen ihm halb scheu, halb zutraulich ins Gesicht, als wollten sie etwas fragen und wüßten doch nicht was.

Aber wenn Knud Hendrikson allein im Garten war, dann kam Witta Holmfeld allzeit dorthin. Manchmal schaukelte er sie, daß sie hoch in die Lüfte flog, und hielt auch auf ihr Rufen, Gebieten und Bitten nicht inne, bis er sie endlich, wie betäubt um sich sehend, auf den Boden zurückgelangen ließ. Dann glich er fast einem übermütigen jungen Fant, so jugendrot kreiste das Blut ihm im Antlitz und lachten seine Augen. Danach schritten sie jedoch sittig in ernsthafter Rede unter dem dichten Laubgezweig an der Ringmauer der Stadt nebeneinander, und er fragte als ein wißbegieriger Fremder nach den reichsten Bewohnern Wisbys, den sichern Stätten, an denen die Schätze desselben verwahrt seien, nach der Anzahl tüchtiger Männer und guter Waffen, um die Stadt vor jeglichem Angriff zu behüten. Doch es war öfters, als stelle er diese Fragen nur, um etwas zu reden, denn manchmal traf ein funkelnder Blick seiner Augen in die Witta Holmfelds, dem die ihrigen im Anfang erschreckt auswichen. Allmählich indes blieben sie ihm länger entgegengewandt, und stumme Sprache ging aus ihnen unter dem Blütengeäst hin und wieder. Dann setzte Knud Hendrikson seine Fragen und Reden über die ernsthaften Dinge fort.

Als etliche Tage so vergangen, traf sich's, daß er sie, am Nachmittag von seiner Umwanderung der Stadt zurückkehrend, wieder in der Schaukel ruhend vorfand, ohne daß sie seine Annäherung wahrnahm, denn sie lag mit geschlossenen Augen zurückgestreckt, als ob sie schlafe. Er hielt etwas von fern den Schritt und ließ den Blick auf ihr haften, im Beginn nicht anders, als prüfe er mit kaufmännischer Schätzung den Stoff ihres Gewandes auf seinen Wert. Aber wie das schöne Mädchen ohne Vorwissen der Anwesenheit eines Zuschauers den biegsamen Wuchs ihrer Glieder schwebend hinwiegte, ihr leicht verhüllter Busen mit dem Zurückweichen der Schaukel sank und sich bei der Wiederkehr hoch emporhob, und ein Perlenschimmer von ihrem Antlitz durch das frühlingsgrüne Laub rann, als ob der Glanz einer Mondennacht des Südens dämmernd unter ihren Wangen heraufleuchte – da entzündete sich ein Funken in den dunkeln Augen des Betrachters und wuchs zu einer heißen Doppelflamme, die brennenden Strahl über das verlockende Bild hinwarf. Und plötzlich trat er rasch vor, zog, die beiden Schultern Witta Holmfelds erfassend, die Schaukel weit zurück und ließ sie mit dem Rufe fahren: »Flieg, Taube, der Habicht ist über dir!« Das Mädchen stieß, jählings die Lider aufschlagend, einen Ton des Schrecks aus, seine Hand empfing sie bei der Wiederkehr und erhöhte die Kraft des Vorstoßes, die Schnelligkeit ihres Flugs, wie er es schon zu öftern Malen getan. Doch das Blut war aus ihrem Gesicht geflossen und sie bat ihn mit angstvoll umirrendem Blick, inne zu halten. Vergeblich, wie es auch schon öfter geschehen, denn er lachte nur zu ihrem Ruf, und plötzlich sprang sie inmitten der schnellen Bewegung mit bedachtloser Unvorsicht von ihrem Sitz herab, da es kaum vermeidlich schien, daß sie gewaltsam auf den Boden niederstürzen müsse. Doch ebenso geschwind sprang auch Knud Hendrikson vor, fing sie vor dem Sturz gleich einem flügelermatteten Vogel mit seinen kraftvollen Armen auf und hielt sie in diesen festgeschlossen, ohne daß ihre Füße bis an die Erde hinabgelangt waren. So ruhte sie einige Atemzüge lang von seiner hoch vorgebogenen Brust getragen, und sah wie sinnbetäubt mit weit geöffneten Augen stumm in sein dicht unter ihr aufblickendes Gesicht. Dann stieß sie heftig hervor: »Ihr seid keck und anmaßlich! Lasset mich oder hütet Euch!« »Wovor? Sind deine Lippen rote Kohlen, daß sie brennen?« erwiderte er, und seine Hand legte sich kühn wie eine Klammer um ihren elfenbein-glänzenden Nacken, ihr Antlitz zu dem seinigen niederzuzwingen. Aber zugleich traf ihre kleine Hand ihn mit einem zornigen Schlag auf die Stirn und sie stand vor ihm auf dem Rasen. Sie hatte sich nicht loszuringen gebraucht, er selbst hatte sie fahren lassen und sah sie mit blutlos weißem Gesicht starren Blickes an. »Das tat noch keine vor dir,« murmelten seine Lippen kaum hörbar.

»So tat ich's zuerst, Ihr habt's gewollt,« versetzte sie noch in zitternder Erregung, doch sie schrak sichtbarlich vor dem seltsamen Ausdruck seiner Züge zusammen, wandte sich rasch und ging dem Hause zu. Er schaute ihr nach und tastete mit der Hand über seine Stirn, dann ging ein Aufzucken um seine Mundwinkel, wie ein Lachen, doch tonlos, mit dunklem, scharfem Schatteneinschnitt, und er schritt schweigsam an den Rand des Gartens, ergriff, als wollte er sich das Geschehene gleich einem bestraften Knaben aus dem Sinn schlagen, eine lange Holzstange und hob diese, mit ihr hin und her tändelnd, da und dort bis zur obern Stadtmauer empor. Manchmal blickte er sich dabei kurz um, als erwarte er etwas, so ging die Nachmittagssonne eine Zeitlang über die Bäume und Sträucher des Gartens. Da knisterte in einem seiner Gänge der Boden leis unter einem leichten Fuß, allein jetzt schien Knud Hendriksons scharfes Ohr nichts davon zu vernehmen, auch nicht, als der Schritt mählich immer näher an die Stelle hinankam, wo er sich befand. Er hatte sich auf eine hölzerne Ruhebank gesetzt, die halb von Laub überschattet und verdeckt war: erst als ein zierlicher Schatten dicht vor ihn hinglitt, hob er langsam, wie aus Nachdenklichkeit aufschauend, den Kopf. Vor ihm stand Witta Holmfeld, doch nicht mehr wie vorhin, sondern in ihrer morgenländischen Tracht mit den goldgestickten Schuhen: sie schien in der Absicht gekommen, sich auf der Bank niederzulassen, und überrascht, ihn dort anzutreffen, denn sie sprach mit plötzlich dunkel errötendem Antlitz:

»Verweilt Ihr noch hier? Ich gedachte –«

Sanft lächelnd sah er ihr in die unsichern Augen und erwiderte:

»Ich wartete, daß du zurückkämest. Weshalb gingest du fort? Nun gewahr' ich's, deine Kleidung war dir zu warm und du legtest andere an. So gelange ich durch die Gunst des Himmels dazu, dich einmal so in deiner Schönheit zu bewundern.«

Sie antwortete zögernd: »Ihr spracht am Abend, als Ihr kamet, daß Ihr es wünschtet,« und sie stockte und fügte erst nach einer Weile mit leiser Frage hinterdrein: »Tat ich Euch weh?«

»Womit?« entgegnete er, als verstehe er ihre Meinung nicht, und sie deutete unschlüssig auf seine Stirn und flüsterte: »Verzeiht die Färbung, die noch drauf sichtbar ist.«

»Ein Blütenzweig hat mich daran gestreift,« lächelte er, »das ist Art des Frühlings. Du wolltest dich hier setzen, Witta Holmfeld – soll ich gehen oder darf ich bleiben?«

Sein Blick war bittend, doch wie von demantenem Geleucht, er hielt den ihrigen an seinem Strahl und zog sie antwortlos zu sich auf den Ruhesitz herab. Nun bewunderte er den Reichtum und die farbige Pracht ihrer Kleidung. »Ein Kaufmann schätzt den Wert der Stoffe erst, wenn seine Hand sie prüft,« sagte er, und seine Hände glitten da und dort über die Seide ihrer Gewänder.

Sie ließ ihn gewähren und versetzte: »Ob Ihr's auch seid, so bedünkt Ihr mich doch nicht wie ein Kaufmann.«

Er lachte: »Du sprichst närrisch. Als was denn sonst, Täubchen von Venedig?«

Zaudernd gab sie Antwort. »Eher als ein Ritter–«

»Wolltest du, ich wär's?«

Seine Augen tauchten sich glanzstrahlend in die ihrigen, doch er fuhr rasch fort: »Ich bin's nicht, sondern ein Händler, der sich auf Gold und Steine versteht. Hier in dieser Spange müßte ein schönerer sein, denn sie hat Köstliches zu bewahren.«

Sein rechter Arm schlang sich um den unter der knisternden Seide weich geschmiegten Leib des Mädchens, und während seine Linke einen nußgroßen leuchtenden Karfunkelstein von seiner Brust hervorzog und ihn inmitten der Spange glühende Lichter auswerfen ließ, sagte er:

»Der gebührt dorthin, vergönne seiner ärmlichen Schönheit denn, Witta Holmfeld, der Behüter holdseliger perlender Schätze unter ihm zu sein.«

Das Mädchen stieß einen halb freudigen, halb schreckhaften Laut der Bewunderung von den Lippen. »Ihr redet von Sinnen – ich bin eines Goldschmiedes Tochter und kenne den Wert des Steines, den hundert Goldgulden nicht bezahlen. Der ist für eine Königin, nicht für mich!«

»So trag ihn als Königin der Schönheit unter den Jungfrauen dieser Stadt! Ich begehre nicht so viel an Gold dafür, aber du weißt, ich bin nur ein Kaufmann, der seine Ware nicht hingibt, ohne sich reichen Gewinn dafür zu bedingen –«

Seine Hand legte sich, wie zuvor, als sie von der Schaukel herabgesprungen, um ihren Nacken und zog ihr Antlitz heran. Doch diesmal hob Witta Holmfeld ihre Hand nicht zur Abwehr, sie kam und lag bewegungslos an dem Munde, der den ihrigen gefunden. Mit ungestümer Kraft umschlang er sie fester und raunte: »Täubchen, sträubt das Blut Venedigs auch dir dein Gefieder?« Da riß sie sich plötzlich erschreckt von ihm los und flog lautlos, einer bunten Taube gleich, im Gebüsch verschwindend, davon. Vom Hause her klirrte der Schritt Dietwald Wernerkins im Kiesgestein des Gartens, Knud Hendrikson stieß zornübermannt jäh mit dem Fuß auf den Boden, dann glätteten seine Züge sich hurtig aus, er murmelte in den dunkeln Bart: »Morgen ist wieder ein Tag,« und schritt anmutig lächelnd dem Jüngling entgegen.

Unverkennbar besaß der Kaufmann zu diesem eine Hinneigung, die sich auch in der Anteilnahme kundgab, mit der er allemal vor der Nachtruhe die Rede auf das goldene Kreuzlein am Halse seines Stubengenossen verwandte. Noch sprach er nicht mißächtlich davon, wie in der ersten Nacht, sondern als trachte er danach, seine damaligen Worte vergessen zu machen. Er verkehrte sie seltsam ins Gegenteil und redete: »Hütet es wohl, Junker, Ihr findet nicht Kostbareres auf Erden! Sein Gold ist allein echt und alles andere betrügerisches Metall, das nur für kurze Frist gleißt und blinkt. Ich bin älter an Jahren als Ihr und habe mancherlei erfahren und gewonnen, doch glaubet mir, ich gäb' es gern dahin, könnt' ich mir dafür das Kreuzlein zurückerkaufen, das Ihr auf der Brust und im Herzen tragt.«

Dann klang die Stimme Knud Hendriksons schwermütig wie ein im Dunkel fallendes Wasser, und Dietwald ward von jugendlich aufwallendem Dankes- und Freundschaftsgefühl für ihn hingerissen und vertraute ihm, wem zum Gedächtnis er das kleine Goldkreuz trage. Es tat ihm wohl, den Namen Elisabeths einmal dem Ohre eines Menschen zu sprechen, doch verschwieg er sorglich ihren Rang und Stand. Zum mindesten glaubte er dieses Geheimnis wohl zu behüten, aber ihm mußte zu wechselnder Stunde manches vom Munde entglitten sein, was des Kaufmanns Gedächtnis aufbewahrt und klüglich zusammengefügt, denn eines Abends stieß dieser plötzlich hervor: »Bei Graf Geerdts Tod, Ihr redet von seiner Tochter, der Gräfin Elisabeth!« und ein lautes Auslachen scholl von seinen Lippen hinterdrein, daß Dietwald Wernerkin ihn scheu verstummt und erschreckt anblickte. Doch dann fügte sein Genosse ruhiger hinzu: »Ihr spannt Euren Bogen hoch, aber ich sah sie auch schon auf meinen Handelsfahrten, zu Rendsburg bedünkt mich, und Eure Augen gemahnen mich an sie. Wär' ich ihr Bruder, ich wollt' sie Euch nicht weigern; fliegt aus als Falke und kehrt als Adler aus der Luft und holt sie aus Graf Heinrichs Taubenschlag! Das würde ein Gekreisch auf dem Hühnerhof, und braucht Ihr ein Versteck für Euch und Eure Herzliebste, da tut's mir kund, ich will Euch in sicherm Winkel bergen, daß niemand Euch ausspüren soll.«

Solche Hilfszusage des Kaufmanns bot freilich für Dietwald keinen fördernden Grund, um seine Zukunftshoffnung darauf weiter zu bauen, aber die ernsthafte Bereitwilligkeit desselben, wenn es ihm möglich falle, zu nutzen und zu helfen, klang überzeugungsvoll aus seiner Stimme, und diese Zusicherung der Anteilnahme eines andern enthielt, wie allemal im Leben für Menschen, etwas Tröstlich-Ermutigendes für den jungen Hörer. Es blieb der letztere jedoch auch mehr und mehr nicht im unklaren darüber, aus welcherlei innerlichstem Grunde das Gedenken seines Herzens an Elisabeth ihm solche Teilnahme bei Knud Hendrikson erwecke, denn er nahm eines Abends durch günstigen Zufall gewahr, daß die Hand seines Freundes sich unter dem Tischrande nach derjenigen Witta Holmfelds ausstreckte und von dieser willig empfangen und verstohlenerweise umfaßt gehalten wurde. Der Goldschmied allein hatte keinerlei Acht darauf, doch der Jüngling sah es zugleich mit Freudigkeit und einem heimlichen Gefühl des Beneidens, da es ihm erschien, daß die beiden nach ihrer äußern und innern Art wohl in gleicher Weise füreinander geschaffen seien, wie das blonde Haar, die blauen Augen und der sanfte Mädchensinn Elisabeths ihm das Herz mit stiller Zaubermacht überwältigt hatten. Daß ihr Einverständnis sich in so kurzer Zeit zusammengefügt und daß sie es dem Vater hehlten, wollte Dietwald bei der ersten Erkenntnis zwar als befremdlich vorschnell und nicht nach Recht gehandelt bedünken, doch, über sich selbst errötend, gedachte er rasch danach, daß Liebe nicht nur in wenigen Tagen, sondern in einer Morgenstunde zu kommen vermöge, und daß er gewiß nicht Fug besitze, von andern vor der Zeit laut ausgesprochen zu begehren, was er selbst allen Augen und Ohren der Welt in der Brust verheimlichen müsse.

So aber war für ihn der letzte Tag seines Aufenthaltes zu Wisby herangekonnnen und die Kogge lag segelbereit zur Abfahrt nach Venedig am Steindamm des Hafens. Um die Mitte des Nachmittags wollte sie in die See stechen, Peter Holmfeld rief dringliches Geschäft in seine Werkstatt, und er hatte zugefügt, von dort an das Schiff zu kommen, um seinem Gaste letzten Abschiedsgruß zu bieten. Ganz leer und lautlos lag das Haus und sonnenstill hinter diesem der große Garten, in den Dietwald Wernerkin nun hinunterschritt, um, zum Fortgang gerüstet, der Tochter des Goldschmieds und dem Kaufmann Lebewohl zu sagen. Er hatte gesehen, daß beide vor geraumer Weile zwischen die blühenden Gebüsche hineingegangen waren, doch suchte draußen sein Blick vergeblich nach ihnen umher. Da scholl plötzlich ein heller, seltsamer Schrei auf, kein Ruf nach Hülfe, doch ein Hervorringen von Lippen in jäher Schreckübermeisterung, und es rauschte und flatterte durch die Sträucher, und zwischen ihnen heraus stürzte Witta Holmfeld, den dunklen Scheitel von welkend niedergefallenen Baumblüten weiß überschüttet. Wie irrbetäubt sah sie vor sich hinaus, blutlosen Gesichts, ihre Hände hielten sich fest auf beide Ohren gepreßt, als töne etwas Schreckvolles darin nach und sie bange vor seinem Widerhall. Und nun unvermutet gewahrte sie Dietwald, flog jählings auf ihn zu, schlang, einen Halt an ihm suchend, beide Arme um seinen Nacken und stieß aus atemloser Brust:

»Dich sendet mir der Himmel! Sag' du mir's! In deinen blauen deutschen Augen ist keine Falschheit! Soll ich ihm glauben, was er gelobt? Sprich, deinen Lippen vertrau' ich!«

Zitternd hielt sie sich an ihm, wie ruhelos drängende Wellen schwoll ihre Brust nach Luft. Schnell aber hatte der Jüngling das zuerst Unverstandene gefaßt, sein eigenes Herz lehrte ihn und klopfte ihm die laut-freudige Antwort:

»Wenn du ihn lieb hast, Mädchen – es ist nicht Köstlicheres auf Erden – wem sollte man vertrauen, wollte man dem Herzen nicht glauben, dem eigenen und dem, davon es sein Glück erhofft!«

Da scholl es hinter ihm: »Das war ein Freundeswort, Dietwald Wernerkin! Nimm meins darauf, ich gedenk' es dir und deiner Liebsten, wenn's ein Tag in meine Hand gibt! Du hast seine Antwort gehört, Taube von Venedig: Wenn du mich liebst, glaube, was ich dir gesprochen!«

Knud Hendrikson hatte es geredet, heiß aufglühendes Feuer der Leidenschaft loderte in seinem Blick, er faßte den Arm Witta Holmfelds und zog sie gegen sich heran. Doch es war, als halte sie sich noch an den blauen deutschen Augen – nun indes nickten diese ihr freundlich, und der Mund darunter sprach: »Ich weiß, und dein Antlitz und dein Herz reden's, du hast ihn lieb.« Da sanken ihre Arme kraftverlassen von seinem Nacken, und sie schwankte mit geschlossenen Lidern willenlos an die Brust Knud Hendriksons.

Dann hatte Dietwald unter Handreichung und vollem Heilswunsch für die Zukunft von beiden Abschied genommen, denn die Abfahrtsbereitschaft des Schiffes drängte ihn, nicht länger mehr zu verweilen. Still im nachmittägigen Sonnenlicht blieb das Haus Peter Holmfelds hinter ihm, als er die gotische Türwölbung durchschritten, und eilfertig, doch mit frohblickender Miene wanderte er zum Hafen hinab, wo er kaum noch Frist traf, dem Goldschmied Dank und Lebewohl zu sprechen, denn der Schiffer hielt schon zuwartend das Steuerrohr der Kogge gefaßt. Drüben aber unter dem schweigsamen Blütengezweig des Gartens an der Stadtmauer, aus dem nur dann und wann der Lockgesang eines Edelfinken auftönte, flüsterte Knud Hendrikson, Witta Holmfeld gleich einem eingefangenen Vogel fest umschlossen haltend, mit sinnberückendem Laut:

»Täubchen, was schrakst du, zu hören, wer dich begehrt, und flogst aus meiner Hand? Ich bin nur gekommen, weil der Ruf deiner Schönheit zu mir übers Meer klang, doch bei Freias Gelock, der Ruf betrog dich, nicht mich, und bei meinem Wort, ich kehre wieder, dich zu holen, wenn dein Mund treu bleibt und schweigt.«

Die Augen des Mädchens blickten ihm mit zitternder Scheu, doch unmächtig, sich seiner Übergewalt zu entwinden, ins Antlitz, sie stammelte:

»Mein Vater –«

»Närrchen, glaubst du, er sei's?« lächelte Knud Hendrikson. »Du trägst nicht mehr Blut von ihm im Herzen als ich, sein Blick verriet's mir, wenn du selbst es meinem nicht sprächest. Du bist nicht aus der Werkstatt eines Schmiedes, deine Mutter trieb höheres Begehr, und du fielst von edlerm Stamme. Doch wer dein Vater war, er hätte den Eidam, denk' ich, nicht verschmäht, und wär's des römischen Reiches Majestät! Ich sagte dir, du seiest die Königin unter den Jungfrauen Wisbys – wenn ich zurückkomme, werden sie's mit Augen sehen! Komm, Täubchen, die Sonne ist heiß, kannst du nicht flattern, so trage ich dich ins schattige Laub!«

Er bog sich nieder und hob sie, den andern Arm um ihre Knie schlingend, einem Spielzeug gleich, an seine Brust herauf. Willensberaubt, mit stockendem Atemzug lag an dieser ihr glutbrennendes Gesicht; dessen Lippen er mit Küssen bedeckte. So trug er sie hastigen Schritts am äußersten Rande des stillen Gartens einer dicht vom Gezweig umgitterten Laube zu, unter deren tiefdunklen Schatten er eintrat, als die weißen Segel Dietwald Wernerkins sich vom Ufergestein in die glänzende See hinausrollten.


 << zurück weiter >>