Jean Paul
Politische Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche
Jean Paul

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II.
Mein Aufenthalt in der Nepomuks-Kirche während der Belagerung der Reichsfestung Ziebingen

Je kleiner eine Reichs-Stadt, desto größer ihre Geheimnissucht; und ein ganz kleines Reichs-Dorf gesteht gar nicht einmal seine Existenz. Vielleicht glaubte auch Ziebingen – ein anderes Ziebingen als das im crossischen Kreise –, wer sich zu spät beweglich (mobil) wider den Feind mache, werde leicht zu früh beweglich vor demselben und renne. Kurz, wäre Senat und Militär nicht so verschlossen gegen In- und Ausland gewesen als die Jubelpforte in Rom, welche man nur an Jubeljahren aufmacht und sogleich zumauert: so hätt' ich von der bevorstehenden Belagerung etwas erfahren, eh' die Tore zugesperrt worden, und wäre fortgeritten; so aber wurde ich wie jeder Reisende mit einkaserniert, ohne etwas davon zu haben als diesen Aufsatz.

Die schon aus öffentlichen Blättern bekannte Veranlassung war diese. Das Reichs-Städtchen Diebsfehra – nicht das meißnische Dorf – besaß mit Ziebingen auf den Grenzen eine Gemeinhut, worauf beide Städte ihre Gänse weiden durften. Unglücklicherweise fiel den 4ten Mai ein so starker Hagel auf die Markung- und Koppelhut-Aue, daß vierzig teils Gänse, teils Ganser erschlagen wurden, den Diebsfehraner Gänsehirten nicht einmal gerechnet, welchen der Blitz niederstreckte. Der ziebingsche Gänsehirt ließ als Patriot alles Tote liegen und trieb so viel Lebendiges wie sonst nach der Festung. Diebsfehra, eine Stadt von mehr als anderthalb hundert Einwohnern, konnte eine solche Verletzung der Weide-Parität nicht schweigend erdulden, wenn sie bleiben wollte, was sie war – Minister mit dem Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten wurden mit den stärksten Vollmachten und Ausdrücken in die Festung geschickt – auf Halbpart oder Parität der Gänse wurde bestanden – Schmerzengelder wurden gefodert – 1113 Sturmläufer gedroht. – Aber die Ziebinger, schuß- und stichfest durch ihre Festung, schickten ihnen nichts als ein Protokoll der Aussage des Gemeinhirten, daß das Hagelwetter bloß über die Diebsfehraner Gänse gezogen; was, wie er beifügte, auch der erschlagene Gänsehirt beschwören würde, wenn er als Gespenst vor Gericht erschiene. Angebogen war noch ein physikalischer Beweis vom Stadt- und Landphysikus, daß nie eine Hagelwolke die ganze Erde treffe, sondern stets nur einen Streif, neben welchem folglich nicht einen Gänsefuß breit davon der ungetroffene liegen müsse; woraus erhelle, warum die in Frage gestellte Wolke sich bloß an den feindlichen Gänsen verschossen.

Der Krieg zwischen beiden Mächten war entschieden, und tote Gänse schürten, wie einst lebendige kapitolinische, das Gefechtfeuer an. Denn so sehr auch Diebsfehra an Heereszahl den Ziebingern überlegen war: so besaßen diese doch eine Festung und noch oben darein den wackern tüchtigen Kommandanten Ich sterbe täglich und mein Leben; ein frommer und ziemlich abgekürzterIm Gesangbuche heißt es eigentlich: »Ich sterbe täglich, und mein Leben Eilt immerfort zum Grabe hin etc«; er wollte aber lieber sich kurz und doch fromm, wie Erzgruben z. B. »Gott wird helfen« oder »Gott bescherts«, nennen., obwohl dennoch langer Name, welchen er nach der Sitte der Donatisten und Presbyterianer bei aller Länge sehr gut führen konnte, da man nur Kürze der Kommandowörter, aber nicht der Kommandantennamen verlangt. Auch brauchten die Belagerten nur die Tore zuzumachen, so konnte niemand wenigstens – hinaus. Eingeriegelt wurden gegen alle Festungmaximen – bloß um recht geheim zu bleiben – noch ein Elefant und ein Buchhändler.

Letzter hieß Peter Stöcklein und gab sich für einen Nachkömmling von dem bekannten Peter Stöcklein aus, welcher 1513 der erste Buchhändler in Leipzig war, und der erst in seinem 102ten Jahre mit Tod abging. Vielleicht würde die deutsche Gesellschaft in Leipzig sich um Deutschland, oder die dasige Buchhändlerschaft sich um ihren primum adquirentem und buchhändlerischen Adam einiges Verdienst erwerben, wollte sie an Ort und Stelle 1114 dessen Begebenheiten und Nachkommen genauer nachgraben und so durch anhaltende Forschungen seinen beinahe unter der Erde versteinerten Stammbaum ans Licht ziehen. Ich würde dann sehen, ob der neue Peter Stöcklein wirklich, wie er vorgibt, oben dran sitzt als Wipfel.

Der neue Stöcklein nun wollte nach der Messe eine kleine Lust- und Geschäftreise durch die besten Schreib- und Kaufstädte machen, um Gelder, Schriftsteller und Käufer einzunehmen – als der Teufel als ewiger Naturforscher ihn wie einen Hornschröter in die Festung festpflöckte. Stöcklein ist ein wahrhaft gebildeter Mann und voll gedruckter Kenntnisse, um mit mehr Auswahl geschriebene zu verlegen und durch Autoren Wissenschaften um ganze Messen früher als sich selber zu bereichern, gewissermaßen ein Vielwisser, indem er Sortiment- und Verlagbuchhändler zugleich ist. Da er, was mich anging, fast alles gelesen, was von mir gesagt worden in den – Rezensierblättern: so schloß er sich gern an mich und wünschte sich Glück zur gemeinschaftlichen Einsperrung. Darauf setzt' er hinzu: von der einen Seite könn' er wohl eine flüchtige Belagerung gebrauchen für sein Belagermagazin – (er verlegte nämlich eines, so wie jetzo Kleider-, Sarg- oder andere Magazine und bei Buchhändlern fast alle übrigen Magazine zu haben sind) –; aber von der andern Seite wünsch' er als ein Anfänger, den man mitten in seiner Reise aufhalte, und der samt seinem Pferde kaum von der besten beschriebenen Belagerung in seinem Magazin satt werden könnte vor lauter Rabatt – da wünsch' er einen Verlagartikel von mir. Da ich aber keinen in der Tasche noch im Kopfe hatte: so schüttelte ich diesen; darauf sagt' ich, um zu mildern, scherzhaft: ließe ich im Diskurse etwas von Gewicht fallen, so mög' ers aufnehmen und den Käufern auftischen. Aber später sah ich, daß er wirklich mit der Rechten in der Tasche arbeitete, um Einfälle aufzuschreiben, womit er seine Belagerung würzen wollte. –

Nun hebt diese selber an. Der geheime Ziebinger Ausschuß wußte bestimmt, daß man die Festung den 8. Mai mittags berennen werde. Dieses Bekanntwerdenlassen zeigt, daß die Diebsfehraner echter deutsch waren als jene; denn wie die 1115 Samojeterinnen ein Glöckchen tragen, damit die Eltern jeden Schritt und Aufenthalt derselben wissen, so klingeln die Deutschen ebenso ihre Märsche den Feinden aus, wodurch diese am ersten baldigen Frieden geben können. Ja wie Hohepriester mit Schellen am Rocksaume ins Allerheiligste gingen, um ihren Gang eben anzuzeigen: so gehen sie ebenso laut in und aus Sitzungen, wiewohl weniger um damit ihren Gang als den Gang der Sachen bekannt zu machen. – Jetzo wurden ernsthafte Vorkehrungen getroffen, wozu lächerliche recht gut taugen. Patriotismus war allgemeine Empfindung – Der Nachtwächter dankte ab, weil Bomben, wie er sagte, ihn gänzlich störten und springende die Diebe noch eher verjagen würden als ein lahmer Mann – Die Fahnen wurden neu geweiht – Die allergefährlichsten, doch kriegerlaubten Stechwaffen wurden zusammengesucht, nämlich stumpfe und rostige, vor deren Wunden Gott bewahre – Alle von uralten Belagerungen in Gebäuden wie Augäpfel eingesetzte Kanonenkugeln wurden ausgehoben, um von neuem loszugehen – Alles Scheibenpulver der Festung wurde dem Kartaunenpulver beigeschüttet, weil von letztem mehr hätte da sein sollen – Wär's in einem der grimmigsten Winter gewesen, so hätte man sich leicht Kanonen aus Eis gebohrt wegen Mangel metallener; denn einige vorrätige hatte kurz vorher der Kommandant, verschlagen genug, den Diebsfehranern aufgehangen und verkauft für eine tüchtige Menge Fässer mit Mehl, da eine Festung wohl das Schießen, aber nicht das Schlucken entbehren kann – Über das schwächste Tor (ihr anderes war gut gedeckt) wurde eilig ein kleiner Hundestall mit einer Türe gegen den Feind und einer gegen die Stadt erbauet und darein ein halb wütiger Hund samt einer Kuppel gesunder getan, die sich untereinander während der Belagerung wütig beißen sollten, so daß man die tolle Nebengarnison aus der Feldtüre auf den anstürmenden Feind konnte hinabspringen lassen; ob aber krieggerecht, da man den Spaniern in Amerika schon die gesunden verdenkt, entscheid' ich nicht – Das Pflaster brauchte man zum Glücke nicht aufzureißen, weil gar keines da war, so auch keinen Dünger aufzutragen, weil er schon da war, indem ihn jeder Bürger vor seinem Hause unterhielt, um sich durch die 1116 verdaueten Heuhaufen an den Frühling zu erinnern – Der Kommandant foderte, um im höchsten Grade aufzumuntern, die Besatzung vor sich und gab ihr eine Ehrenbelohnung für ihre künftige Tapferkeit voraus, indem er sich von jedem seine Flinte reichen ließ, sie an seine eigene Schulter legte und dann mit den Worten wiedergab: »Hier empfange von mir eine Ehrenflinte; bist du in der Nähe ebenso tapfer, so schlag' ich auch deinen Säbel zu einem Ehrensäbel, und dann hast du Ehre am Leibe« – Er setzte kleine Preise auf tapfere Träume voll Siege (wie sonst Tyrannen Strafen auf mörderische), um durch das Träumen das Wachen zu stählen – Er selber kaufte sich den neuesten Kriegschauplatz, nämlich die Ziebinger Stadtkarte, und machte sich darin wie einheimisch, so daß er bei den verwickeltsten Vorfällen, der Feind mochte angreifen, wo er wollte, immer zu Hause war und das örtliche kannte, wohin die Leute zu beordern waren – Endlich sogar der Zeitungschreiber gehörte unter die Bollwerke und Basteien der Stadt, und über alle Beschreibung entzündete er jeden Ziebinger durch die der feindlichen Schwäche und durch die Gewährleistung des Siegs. Vaterlands- und Reichsfestungliebe, schrieb er, schlägt sogar im Herzen des Fötus vermittelst der Mutter, und alles will sich bis auf den letzten Mann wehren (was glaublich ist, wenn vom letzten Mann nicht weit zum ersten ist) – Nur bedauerte der Zeitungschreiber, daß seine Zeitung, welche dem Feinde allen Mut rauben könnte, gerade von demselben mit belagert werde.

Kurz nun fehlte zur besten Verteidigung nichts als ein Feind dagegen; der erschien aber redlich den 8ten Mai nachmittags.

Fast hätte der Anfang uns sämtlich erschreckt. Nämlich durch einen bloßen Zufall – und noch bevor das belagernde Heercorps sich völlig festgesetzt – fügt' es sich, da eben der Wind gegen die Stadt ging, daß ein Luftballon (kein größter) seinen sinkenden Bogenflug gerade über der Festung beschloß; wir alle hielten den Ballon für eine der verdammtesten Bomben, die man je zum Teufel oder zum Feinde gewünscht; die tapfersten Ziebinger Gesichter wurden so weiß wie Hahnkämme im Winter. Aber diese Kampfhähne sagten: »So beschießt uns aber mit ordentlichen 1117 Bomben, so sollt ihr sehen.« Gewissermaßen glichen also viele dem trefflichen Cicero, der, obwohl ein großer Redner, doch bei jedem Anfange zitterte, darauf fester fortsprach und endlich andere, z. B. einen Cäsar, ins Zittern brachte.

Desto seliger sind Belagerte, die ein Kommandant wie Ich sterbe täglich und mein Leben beschützt und verschanzt. Es war zwar gar kein borstiger Mann, dessen Nase ein gespannter Büchsenhahn und die Nasenlöcher Schießscharten sind, und welcher sagt: ich wollte, beim Teufel, alles, Gemeiner und Unteroffizier, Bürger und Bauer, und Weib und Kind, alles wäre von Adel, damit ich mich mit ihm hiebe und schösse als meinesgleichen. – Vielmehr war umgekehrt der Mann sehr milder, milchiger Natur, nicht ein Brei, ein dicker, worin ein Knochen oder Degen feststeht, sondern eine weite knochenlose Marksuppe, und so viele Narben er auch aufwies, so hatte sie doch sämtlich der Aderlaßschnepper geschlagen; – aber sein Mut wurde bloß gedämpft und mehr gehörig eingeschränkt, da nahe an ihm ein Pulverhorn, wie eine Mine, gesprungen und ihn, wie der Blitzschlag Luther, theologisch gemacht hatte. Wie im bloßen Löwen von Butter, welchen Canova als Küchenjunge geformt, sich die ganze Größe des Künstlers verriet, so zeigte der Kommandant als weicher butterner Löwe ganz in jeder Linie den Umriß eines wahren Kriegleuen, und zwar sehr und genug; er ließ die Krieg-Festung-Gesetze, gleich dem Zendaveste, der auf 1200 Häute geschrieben worden, bloß weitläuftiger und gröber, doch unleserlicher, weil das kurze Schreibrohr ein langes spanisches Rohr war, auf die Kompagnien von Häuten schreiben und bringen, für die er zu stehen hatte; – es gab gar keinen so geringen Fehler, den er nicht mit kleiner Festungstrafe ahndete in der großen Festung; – sogar Hunde wurden arretiert und auf die Wache gebracht, welche an Schilderhäuschen den Sturm der Schildwache und ihr eigenes Wasser abgeschlagen. Man kann nun erraten, ob er sich in den Kleinigkeiten wohl weniger streng und kraftvoll benommen.

Endlich aber zum Größern zurück! Wer je die Allmacht über Subordinationherzen berechnet hat, welche große Generale durch 1118 herablassende Teilnahme an gemeinen Pflichten ausgeübt: der errät leicht die Gründe, warum der Kommandant selber sich zum Losschießen der ersten Kanone auf den Wall begab und die sieben Kanonen-Magister-KünsteEine Kanone hat bekanntlich 7 Trabanten – wie Saturn, der Planet des Zeitgottes – oder Leute, die sie handhaben. so beorderte: »Wischt aus – Cartouche in den Lauf – setzt an – Schlagröhre hinein und richtet – Feuer!« –

Aber der Feind, welcher wohl glaubte, bei einem höflichen Salutieren müsse man ohne Kugeln schießen, fand sich beleidigt davon und machte nun keine Umstände, sondern den Anfang der Belagerung.

Es ging los. Schon die erste feindliche Haubitze fuhr ins Schallloch des Kreuzturms und warf mit schrecklichem Klange die Kindtaufglocke auf die Gassen hinaus. Die erste Bombe fiel und zerplatzte und riß den Pranger und einem Invaliden das einzige Bein, das er von Holz hatte, hinweg und einem jungen Patrizier (was aber sehr nach Scherz klingt) die Nase von Wachs. Überhaupt hätte das Bombenfeuer der Diebsfehraner mörderisch werden können, hätten sie mehr als einen Mörser gehabt; denn mit Bomben waren sie fürchterlich versorgt. So aber konnte die Festung sich wenigstens während des Ladsabbats etwas erholen und zurüsten. Die erste Bombe sonderte sogleich die Stadt in drei Teile: der erste, welcher Lagerbier hatte, begab sich zu diesem hinunter, der andere samt den fluchenden Reisenden in die bombenfeste Kirche, und der dritte aus Handwerkern, mit zu vielen Werkzeugen und Kindern belastet, blieb, wo er war, nur daß er seinen alten Düngerhaufen vor dem Fenster viel näher an dasselbe schob, ja auf dasselbe als Fensterladen und Schießhausmauer; eine närrische umgekehrte Art von Mistbeetfenster, wo das Fenster unten liegt.

Die ersten, welche in die Kirche gingen, waren ich, der Buchhändler und der Elefant.

Der Elefantenherr war zu bedauern; mit Mühe brachte er seinen Christophel (so hieß er seinen Tierriesen) durch das enge Tor hinein – und nun nicht einmal hinaus. Da er ihn schon für 1119 gehöriges Schaugeld vorgewiesen: so war mit einem Vieh, das sich an der Stadt so alltäglich abgefärbt wie eine Katze, kein Pfennig weiter zu verdienen, indes der Christophel so ungeheuer fortfraß, als wär' er noch ein Wunder der Welt. Weil nun den Landwalfisch kein Keller faßte, und ihn doch im Stalle jede Bombe finden konnte: so tat der Elefantenherr (ein struppiger, mongolisch-blickender, plattnasiger Kerl) vor dem Senat mehr als zwanzig ausländische Schwüre, daß er, wenn sein Christophel nicht in der Kirche stallen dürfe, ihm ohne weiteres drei Nößel Branntwein zu saufen gebe, worauf sein Tier (dafür steh' er) das erste beste Stadttor einrenne.

Der Christophel wurde als innerer Türsteher hinter die Kirchtüre gestellt. Ich und der Buchhändler betteten uns in die Sakristei, wo es ganz artig war. Er schlief nahe an mir, weil vielleicht im Traum, dacht' er, eine brauchbare Rede abfallen könnte. »Hier ist endlich,« sagt' ich, »Herr Buchhändler, Zeit und Ort zum Spaße und zu einem guten Tage. Die Alten« (ließ ich fallen) »verordneten bei Pest, Niederlagen und dergleichen statt der Bußtage Freudenfeste; warum wollen wir Neuern dann nicht die Trauer statt mit Trauer lieber mit Freude bekämpfen und dem äußern Trauerspiel mit einem innern Lustspiel entgegenspielen? Aus welchen Gründen bestehen Sie denn so sehr auf der entgegengesetzten Meinung, Herr Stöcklein?« – »Gott bewahre mich! Ist einer lustig in Staatnöten, so bin ichs,« sagt' er sehr ernst. »Recht,« sagt' ich; »sollen denn die Menschen den Fischen gleich werden, welche kein Zwerchfell haben und es also nicht erschüttern durch Lachen? – Der Papiermüller kann nur bei heiterem Wetter fabrizieren; heiteres von innen aber ist sowohl mir, der ich das Papier zum zweiten Male bearbeite und kohobiere, als Ihnen, der Sie es zum dritten Male abziehen, wahrlich noch nötiger als dem Papiermüller.«

Ich trat ein wenig aus der Sakristei – eine anmutige Übersicht! Jeder weibliche Kirchenstuhl war von Männern bewohnt, alle Logen von Patriziern besetzt, von jeder Empor schaueten Weiberköpfchen herab. Der weibliche Teil hatte sich absichtlich der höheren Emporen bemächtigt, um das männliche 1120 Beobachtungscorps unter sich zu haben. So war die Kirche viel – zugleich Spinnstube – Barbierstube – Ankleidezimmer – Boudoir – Herren- und Bedientenzimmer – Eßsaal – Schlafsaal und alles.

Noch vor nachts wurde der Feind fuchswild; unaufhörlich kanonierte und haubitzierte er, wiewohl nicht jedesmal zu unserm Schaden, da wir manche seiner Kugeln ihm wieder zuschicken konnten. Lächerlich genug schoß er einen Gewitterableiter entzwei, als wenn man im Erdengewitter des Kriegs viel danach fragte, daß man von oben herab erschlagen werde, sobald man nur nicht von unten herauf erschossen wird.

Zum Besten der Kirchenversammlung waren einige Leitern in die Kirche niedergelegt, welche von Personen, die um die Ihrigen bekümmert waren, aufgerichtet werden konnten, damit sie sähen, wie es draußen herginge. Die langen Kirchenfenster standen nämlich glücklicherweise nackt und von keinen Emporen überbauet da, so daß eine Leiter bequem anzubringen war. Ich legte meine an und stieg hinauf – Stöcklein mir nach, um das aufzufangen, was mir etwa von der Leiter entfiel – und sah in die Straßen hinein: ich sah nichts als Tapferkeit auf der Gasse. Da eben eine Bombe niedergefallen war: so beorderte ein außer ihrer Springweite stehender schöner Patrizier mit einem Mute, der nichts fürchtet, seine Leute, mit ähnlichem hinzulaufen und Wasser daraufzuschütten. Die Leute aber, vielleicht weniger mutig als er, oder glaubend, sie langten zu spät an, zögerten ein wenig, als zum Glück ein entwischter Tollhäusler, der alles in einer versteckten Ecke eingekrümmt vernommen hatte, hervorsprang und so lange auf die Bombe pißte, bis er sie tot gemacht. Darauf grub er sie heraus und rief springend: »Platzkügelchen ist mein, ist mein!« Dieser Vorfechter der Garnison und des Vaterlandes wird aber ewig in der Geschichte glänzen, mit seiner Bombe, gleichsam seinem Parisapfel der Ehre, in der Hand, den er sich selber gegeben; und seine Tollheit wird gerade ein Lob seiner Klugheit mehr sein. »Auch der Patrizier« – sagt' ich, die Leiter zurücksteigend – »tat das Seinige.« – »O Verehrtester,« sagte Stöcklein zurückweichend, »fangen Sie unten wieder an, ich höre nichts.«

»Aber ich erriet« – sagt' ich unten am Leiterfuße – »den Braven 1121 schon längst, und zwar aus seinem Geruche. Junge Garnisonoffiziere, wenn sie parfümiert (wohlberäuchert) genug sind, haben das Zeichen, woran man echten damaszierten Stahl erkennt, daß er nämlich einen unvertilgbaren Parfum aushaucht; etwas einziges an einem Metalle! Die gewöhnlichere Ähnlichkeit mit dem Damaszener Säbel – in das Eisen Scharten zu hauen, ohne eigne zu bekommen – bringt der wohlriechende Offizier nicht sowohl in den Krieg als aus dem Kriege, der ihn wie den Stahl wechselnd abkühlt und erhitzt, so daß er bei dem Friedenschlusse als ein Mann dasteht, der jede Stunde ins Feld taugt. Wenn ich sonst wollte, könnte ich das Gleichnis noch zu einem triftigen Spruche steigern: der rechte Mann sei scharf und stark gegen Angriff, und doch zugleich anmutig genug; wie der Damaszener zerhau' er Eisen und hauche Blumenduft.« – Der Buchhändler konnte die Hand nicht aus der rechten Tasche bringen.

Die Nacht verdroß manchen von uns, weil das einfältige Hin- und Herschießen uns bald im ersten Schlafe störte, bald im zweiten, bald im dritten. »Wird denn der Gottesfriede des Schlafs so gar wenig bei Belagerungen respektiert?« fragt' ich. Schlaftrunken und ungemein verdrüßlich guckt' ich aus der Sakristei in das Kirchenschiff und dessen wache Schiffsmannschaft hinaus; ergötzte mich aber doch einigermaßen an der Beleuchtung durch die Wachslichter auf dem Altar und durch einen schlechten Kronleuchter, der statt des Taufengels in der Mitte hing. Mehre eingelaufne Juden waren so froh wie Fische im Wasser, das kocht, wiewohl sie für ihren Interims-Übertritt in unsere Kirche etwas Besseres verdienten. Plötzlich schlug gar eine Bombe auf unser Sturmdach auf – alle Schlaftrunkenheit war fort – alle sahen an die Kirchdecke und glaubten, jeder daran gemalte Prophet fahre hinunter und die Bombe ihm nach. Die einkasernierte Judenschaft verwandelte die Nepomukskirche in eine Kasualsynagoge und schrie Zions oder dergleichen, denn für Beten nahm ich ihr Heulen. Am Tage indes machten sie zum Glücke einige Geschäfte im Tempel.

Auch hatten verschiedne Betteljuden in Compagnie einem reichen Juden, der bei einer Kloster-Versteigerung und -Zerstörung 1122 mehre guterhaltene Beichtstühle und Altäre erstanden, solche für die Kirche abgemietet, teils um die Altäre wieder an die Geistlichen zu vermieten – da bei den allgemeinen Todesgefahren und Sterbebetten so viele gar nicht eingepfarrte Seelen zum letzten Male, und zwar täglich, das Abendmahl zu nehmen wünschten –, teils um die Beichtstühle selber zu bewohnen und sich darin, wie in kleinern Judengassen, jüdisch-reiner zu erhalten.

Sogar die Bettler, welche in der Kirche sich nähren und schützen wollten, machten mehre gar nicht verächtliche Geschäfte, da sie, als ihre eignen Klingelbeutelträger herumsammelnd, immer wahre Christen fanden, die sich gern als solche vor einer ganzen zusehenden Gemeine bezeigten und täglich einen Pfennig heropferten, zumal in solcher Angst. Nur hatte die kirchliche Bettlerschaft vielen Verdruß und Kampf mit einem alten bettelnden Ehepaar, das, seit Jahren vor der großen Kirchtüre seßhaft, jetzo auch hineingetreten war und deshalb eine Art Recht auf die Almosenladung des Kirchenschiffs zu behaupten suchte. Nach meiner Ansicht aber hat hier das Bettelpaar weit mehr Eigennutz als Recht.

Am Morgen verließ ich den Kirchenarrest ein wenig und strich – mit Stöcklein neben mir – in den Gassen umher. Wir gingen in den italienischen Keller, wo wir den fröhlichsten Mann der Festung fanden, den Italiener, weil sein Keller zugleich ein Sturmdach und ein Himmel voll Manna für seine Gäste gewesen. Zu letzten schlug ich mich – nur Stöcklein ließ sich weder vom Wirte noch von mir etwas geben –; und nach wenigen Gläsern erhob ich die Ziebinger auf Kosten der Fürsten. Denn ich sagte: »Die meisten Fürsten machen es mit den Kriegern, wie (nach Lichtenbergs Vorwurfe) die Astronomen mit den Sternen, welche sich mehr um die Bewegungen derselben als um deren Natur bekümmerten. – Sie glauben mit Goldkörnern den Staat fruchtbar zu besäen; Goldstaub halten sie für lebendigen Blumenstaub, der befruchtet und fortpflanzt. Indes verstehen sie doch wohl mehr, als wir erraten; man denke an den blinden Huber (den Naturforscher), welcher über die Bienen die größten Entdeckungen bloß dadurch ohne alle Augen machte, daß er von seinem 1123 Staatsbedienten, nämlich seinem Bedienten, sich alles sagen ließ, was dieser sah.« Stöcklein wurde glücklich in der Tasche, seinem Glückhafen.

Wir gingen von da aus zu einem Töpfer, um ein Kabinettgefäß zu kaufen, welches allerdings nur dann in eine Kirche gehört, wenn ein Bett dazu dasteht, worunter mans stellt, sonst nie. »Welche reine Farbengebung und Zeichnung!« sagt' ich, als ich in das Gefäß hineinschauete und die Blumenstücke recht ins Auge faßte. »Meister! Führ' Er so fort und lief' Er sich täglich so selber den Rang ab, Meister, ob Er dann zuletzt uns nicht mit einer Barbarini- oder Portlands-Vase überraschte, da möchte ich den Mann sehen, der sich herstellte und schwüre, diese könn' Er so wenig machen als ein ägyptischer Zauberer eine Laus.« – Nur sollte das Töpferhandwerk seine Kunstwerke nicht, wie Christen ihren Schmuck, bloß innen anbringen. Wie so mancher Kunstliebhaber muß jetzo seine Schüssel saurer Milch erst ausessen, bis er allmählich durch den Löffel sich ein gemaltes Blatt nach dem andern von dem Schüssel- oder Blumenstück aufdeckt, so daß er das Ganze nicht eher genießt, als bis er satt ist! Als ich mich aber nach einigen der neuesten Werke des Künstlers umsah, fand ich die Blumenstücke sämtlich wie von einem Höllen-Breughel so verzerrt und die Gefäße so verdreht, daß ich ihn darüber befragte; »ach,« sagte der Töpfer, »vor dem teuflischen Geschieße zittert dem Menschen Arm und Bein; und da verfumfeiet er freilich jeden Bettel.« So ist also die Bemerkung nicht allgemein wahr, daß immer in Kriegläuften, wie z. B. in Athen, die Künste besonders blühen.

Unter der Haustüre wetteiferten ich und der Buchhändler freundschaftlich, wer den Topf öffentlich durch die Straßen tragen sollte; er focht mir ihn aber endlich ab.

Als wir vor einem Fenster ohne Mist vorbeikamen, sahen wir darin einen Schauspieler sitzen, der sich in der Rolle Falstaffs wollte malen lassen und deshalb anstrengte, eines der komischsten Gesichter aus dem Stegreif zu schneiden, damit es für einen Theateralmanach zu stechen wäre. Aber – aus Bombenschauder – sah er wie ein Gekreuzigter aus, oder wie ein Scheintoter, oder 1124 wie ein Bleikoliker, oder auch wie ein Gichtmaterialist; indes sogar auf diesem Wege erreichte er seinen Zweck, lächerlich auszusehen.

Als wir in den Notstall der Nepomuks-Kirche zurückgekommen, so hoffte der listige Stöcklein – teils weil ich in der lachendern Stimmung war, teils weil er den Topf getragen –, sich vielleicht jetzo einen Verlagartikel auszuwirken, und wiederholte sein Anbetteln. Ich versprach in der Not, ihm, wenn er eine Rezensieranstalt anlegte, solche mit mehren Selbrezensionen meiner Werke möglichst zu unterstützen.

Um 12 Uhr fuhr eine Hiobs-Post in die Kirche: der Kommandant hatte bei der Parole bekannt gemacht, er habe sichere Nachricht, daß der Feind gestern einen zweiten Bombenmörser aufgetrieben und aufgepflanzt. »Jetzo kann es hitzig hergehen«, sagt' er. Nach der Tafel brachte bei ihm leise der Feldprediger seinen alten Gedanken vor: »fiele er nur einmal in der Nacht aus, so wäre das Meiste vorbei.«

In der Welt kann der Umstand nicht allgemein bekannt sein, daß der Prediger als Gewissenrat und Beichtprediger viele Freiheit hatte und gleich einem Kanarienvogel, der sogar gefüttert nach seiner Speisemeisterin mit dem Schnabel hackt, ebenso mit dem seinigen nach ihm picken durfte. Der klügere Kommandant versetzte ihm: »er harre bloß aufs Wetterglas und sehe stündlich darnach; noch fehle das nötige Regenwetter, doch falle das Glas.«

Der zweite Bombenmörser beschoß schon voraus die Geister in und außer der Kirche. Die Turmmusik wurde bloß unten im Turme, nicht weit vom Elefanten geblasen – kein Schornsteinfeger thronte mehr mit dem Besenzepter außerhalb des Schornsteins, um über die Stadt hinwegzusingen, und wer einen Augias-Stall besaß, verpachtete dessen Ertrag karrenweise als Jalousieläden gegen das Feuer.

Singende Prozessionen wurden jetzo durch die ganze Kirche gehalten (außen wäre Todesgefahr gewesen), und männliche zogen (aus Mangel an Platz) die Treppen hinauf, weibliche herab.

Stöcklein, der ein Hasenherz für eine Hasenscharte hielt, deren man sich nicht zu schämen braucht, sagte geradezu heraus: »Ich 1125 wollte, ich schnürte daheim Ballen. Gern gäb' ich das neueste Heft des Belagermuseums auf, könnt' ich aus dem Satansloche hinaus!«

»Und gerade jetzo läßt sichs zum Interesse an,« sagt' ich; »Brand, Affären, Stürme nicht einmal angeschlagen, so sehr sie auch ein Museumheft verzieren mögen. Denn von nun an werden beide Städte vom Schicksal zu so ungeheuern Fechtbewegungen gegeneinander getrieben, daß im großen solche erscheinen, als man im kleinen bei einem gewissen Spaße mit Maikäfern bemerkt und belacht. Es werden nämlich zwei Käfer in Brot bis zur Hälfte eingeklebt; – dann werden die beiden Vorderfüße eines jeden in zwei lange Strohhalme eingetrieben, und darauf erwartet man die Folgen. Aber sogleich fangen die inhaftierten, vom Brot gedrückten Käfer, die mit ihren freien Vorderfüßen zappeln wollen, mit ihren Riesenrapieren gegeneinander so gewaltig zu fechten an, und mit solchen Windmühlenbewegungen schlagen ihre langen Speere durch die Luft, daß Leute mitten im Lachen noch fragen: sinds Käfer?« –

Stöcklein ging beiseite, er hatte mir in der Tasche nicht ganz nachkommen können.

Gegen Abend erschien der alles bedenkende Kommandant mit der Nachricht, daß er jede Nacht ein paar Stunden lang Betstunde wolle halten lassen, gleichsam Wettergebete gegen das Krieggewitter; »in Kirchen kommen ja von jeher Verwundete und Krieggefangene; und was sind wir armen Sünder denn geistlicherweise anders?« Er versicherte noch gewiß, er wolle mit seinem eigenen Beispiele vorgehen. Welcher Mann! Solche Ich sterbe täglich und mein Leben wären mehren Festungen zu gönnen.

Er hielt sein schönes Wort und erschien, ungeachtet alles Schießens, nachts in unserm Notstall und -hafen. Wie Agesilaus immer in Tempeln Herberge nahm, damit sein Leben jedem Auge aufgedeckt vorläge: so wollte auch er durch den Kirchenbesuch allen Ziebingern seine Gesinnung offen hinstellen. Er hielt den Gottesdienst aus, so sehr man auch bombardierte – nur daß er von Zeit zu Zeit durch Adjutanten Befehle abschicken mußte –; ja nicht einmal eine auf dem Nepomuks-Dach aufschlagende Bombe vertrieb ihn von seinem Betposten.

1126 Am Morgen brachte der Beichtvater wieder den Ausfall in Vorschlag; aber noch immer stand das Wetterglas nicht bei Sturm, sondern fiel erst auf ihn zu!

Am Tage wurde zu wenig geschossen. Aus Langweile sucht' ich, in Erwartung des lebhaften Nachtschießens, meine Gedanken über den größten und insofern wichtigsten Teil der Schriftsteller, nämlich den elenden, mir selber laut zu entwickeln; da aber lautes Sprechen lebendiger wird, wenn jemand da ist, der zuhört: so war mir Stöcklein wie gefunden dazu. Ich entwickelte mir ungefähr folgendes vor ihm:

»Alle öffentlichen Bibliotheken bewahrten bisher nur gute Werke der Nachwelt auf. Es fragt sich aber, wenn die Nachwelt den Geist der vorigen Zeit aus dem Innersten kennen lernen will, ob sie diese Kenntnis richtiger aus genialen Werken, welche jedesmal über den Geist ihrer Zeit herausspringen, zu schöpfen vermöge, oder vielmehr aus ganz elenden, welche als Nachdruck und Brut ihrer Zeit und durch ihre Menge am stärksten deren Bild, besonders die Schattenseite abzeichnen. Mit welcher Begierde würden wir z. B. die Schartekenbibliothek der beiden während der Reformation schreienden Parteien durchlaufen! Ebenso wünscht' ich eine Nachahmerbibliothek, z. B. von Goethe, von Klopstock. Schlechte Bücher zerrinnen wie Wolken auf immer; aber etwas in mir will haben, daß von jedem abgedruckten Schmierbuch wenigstens ein Exemplar übrig bleibe. Wie wird künftig Meusel die hungrige Nachwelt hetzen und peinigen, wenn er ihr so viele tausend Büchertitel auftischt, zu welchen kein Blatt mehr auf der ganzen bewohnten Erde zu finden ist! Glücklicher sind wir und Er, die wir doch manches elende Buch noch auftreiben. Ich begehre indes nur eine einzige Sudelbibliothek für ganz Deutschland.

Hierzu wäre noch etwas zu wünschen, was wohl paradox genug scheint. Nämlich eine Gesellschaft Buchhändler müßte sich zusammenschließen bloß zum Verlage elender Werke, anstatt daß jetzo nur einer und der andere ganz damit umhangen ist, oder daß sie bei den meisten gar sich mit guten vermischen; um wie reicher würde unsere Literatur an sonst auf immer verlornen 1127 Werken anfangender Schriftsteller von 18 oder 81 Jahren sein! Unehre, lieber Stöcklein, macht ohnehin ein schlechtes Buch nicht dem, der es verkauft und nicht lieset, sondern höchstens dem, der es kauft und lieset; und ein Rittergutbesitzer handelt ohne Befleckung seines Wappens mit Schweinen und Fusel. Auch befürchtet kein Vernünftiger wie Sie, es werde etwan ein Autor sich schämen, an einen Dutzendbuchhändler (nach Ähnlichkeit der Dutzendmaler und Dutzenduhren) etwas zu schicken, was Einzig-Buchhändler abgewiesen. In London war die Gasse Grubstreet zum Pferch erbärmlicher Autoren in allen Büchern verschrien; und dennoch zog einer nach dem andern ohne Scham hinein. Aber jeder mit Recht. Er konnte innerlich lächeln und, indem er seine fünf Treppen hinaufkletterte, vergnügt sagen: ›Der Rock macht nicht den Mann, und die Gasse nicht den Autor; desto schlimmes, daß meine Schreibnachbarn wahre ausgemachte Narren sind.‹ Ebenso wird der Autor, wenn er seine Handschrift an den Dutzendhändler schickt, schalkhaft denken: ›Wenn der Narr im Ernste auf ein miserables Buch aufsieht, so hab' ich ihn gewaltig geprellt; das Werk ist göttlich.‹

Stöcklein, Sie müssen hier Vorurteile fahren lassen, die ich selber sonst gehegt. Schlechte Autoren haben wahren Wert für schlechte Leser, oft für ganze Provinzen; allein gegen zweitausend schlechte Leser gibt es kaum zwei schlechte Schreiber. Ist aber das Publikum dem Chore des Aristophanes, das bald aus Wespen, bald aus Wolken, bald aus Fröschen bestand, so ähnlich: so sollte man doch auf das ernsthaft denken, was es nötig hat. Auch scheint der Himmel, um einigermaßen dem verhältnismäßigen Mangel an gemeinen Autoren abzuhelfen, ihnen desto größere Fruchtbarkeit verliehen zu haben, so daß sie in jeder Messe mit Drillingen, Fünflingen, Sechslingen niederkommen; so bemerkt Doktor Jahn ›über die Kinderkrankheiten‹, daß gerade bei Armen und Schwächlingen Zwillinge am häufigsten erscheinen.

Auch treffen Sie ja in der Unterklasse der Schreiber alle Exemplare der Oberklasse, nur aber verkleinert an, kleine niedliche deutliche Klopstocke, Goethe, Herder usw.; so wie sogenannte 1128 fliegende Hirsche oder Stiere, fliegende Böcke, fliegende Ferkel unter den Käfern. Dies mag indes vielleicht die Ursache sein, daß aus solchen schlechten Werken so viele feinere Leser übergroßes Vergnügen schöpfen, wie wenigstens der Ekel nach deren Lesung bezeugt, welcher gewöhnlich das Übermaß der Lust begleitet; denn schon Cicero sagt, überall werden gerade die höchsten Wollüste durch Ekel und Überdruß begrenzt und beschlossen.In omnibus rebus voluptatibus maximis fastidium finitimum est. Cic. de Orat. III. 25.

Ich weiß, Stöcklein, daß Sie an das schnelle Dahinfahren und Versterben der Sudelbücher sich am wenigsten stoßen; aber haben Sie nicht recht? Die Hebräer haben kein Präsens, die Buchhändler kein Futurum; denn was hilft das Aufleben eines Verlagartikels nach dem Ableben des Verlegers, wenn der selber ein Ladenhüter des Sargs geworden; viele Werke sollen ihrer Natur nach wie Kalender nicht ins Blaue hinaus leben; Tagschriften z. B. gleichen den Terzien-Uhren, welche desto kürzer gehen, je feiner teilend sie in die Zeit eingreifen; – sie müssen – in einem deutlicheren Bilde – warm wie Eselmilch, so wie sie von dem Tiere kommt, genossen werden.

Endlich sollte ich mich wundern, wenn Sie nicht mehr als einmal sich hingesetzt und folgendes erwogen hätten: daß Krüppelbücher einen besondern Freibrief genießen. Allerdings gibts in jeder bedeutenden Stadt einen Mann, der ihn am ausgezeichnetsten genießt; jeden Tag gibt er das Seinige in Druck und ergreift damit tausend Leser, ohne je von einem Kunstrichter (dies ist aber eben der Freibrief) getadelt worden zu sein, so sehr er sich auch wörtlich wiederholt, wiewohl gerade dies seine Leser verlangen und eben darauf bestehen, daß er nichts in Druck gebe als täglich bloß den Namen seiner Station, wovon er – Postmeister ist. Offenbar sprech' ich von den gedruckten Städtenamen auf Briefen. Indes hat der Trödelautor doch den Anteil am Freibriefe, daß er kurz, selten und oft zu spät beurteilt wird. Wenn nämlich die Kunstrichter mit Staupbesen, Prangern, Rädern und Stricken auf der reitenden Post ankommen in Zeitungpaketen, um ihm kein lebendiges Haar, ja kein graues zu lassen: so hat er ohnehin 1129 keines mehr, und alles liegt schon sanft und tief begraben. Betrübt hingegen geht es unsterblichen Werken. Wie sonst die zartduftende Blume aus der scharfen Zwiebel wächset, so entspringt umgekehrt aus der poetischen Blume die beißende Kritik. Verdienste reizen zu nichts als zur Haussuchung nach Sünden; und man erfüllt gerade das Gegenteil des preußischen Gesetzes, das bloß Unteroffiziere, welche Verdienstmedaillen haben, von der Fuchtel freispricht. Ich erstaune oft, daß noch so viele göttlich schreiben. Wenn Plinius die Götter für weniger glücklich hält als die Menschen, weil nur diese sich das Leben nehmen können, jene aber unsterblich bleiben müssen: so ist dieser Satz, obwohl für sterbliche Menschen grundfalsch, doch für deren unsterbliche Werke grundwahr. Versuchen Sie es, Freund Stöcklein, und setzen Sie bloß aus Spaß eine unsterbliche Ilias auf, oder wenns Ihrem Humor mehr zuschlägt, ein aristophanisches Lustspiel; glauben Sie mir, daß Sie dann mit Ihrem so köstlichen Meisterstücke unter dem Arm – das wir alle nicht genug bewundern können, und weshalb ich ordentlich vor Ihnen niederknien möchte – durch ein Jahrhundert und Volk nach dem andern kritische Spießruten oder Gassen laufen müssen – jeder frischgeborne Rezensent setzt von neuem etwas an einem so seltenen Werke aus (ich wollt', ich hätte den Spitzbuben bei der Hand oder bei den Haaren, bloß um einen Unsterblichen wie Sie zu rächen). Nicht etwa einmal, wie Ihre Verlagschreiber, werden Sie rezensiert, sondern ein paar tausend Mal, und fortgestochen, solang' es Federn dazu gibt. Daher rat' ich als guter Freund Ihnen nicht dazu, zur Unsterblichkeit.« –

Er tat, als nähm' er wirklich den ganzen Vorschlag – scherzhafte Züge ausgenommen – für sehr wichtig für sein Fachwerk, damit er sich niedersetzen konnte und vor meinen Augen das Hauptsächlichste niederschreiben und mich um Unterstützung seines Gedächtnisses bitten durfte; aber ich wußte wohl, daß der Kauz die Rede nur für einen Spaß ansah, der gedruckt trefflich zu gebrauchen wäre.

Nachts übertraf das Bombenfeuer – weil es zwei Mörser machten – jedes, dessen sich die ältesten Ziebinger erinnerten. Sogar 1130 der Kommandant wurde in seiner Andacht gestört und mußte aus der Kirche heraus, besonders da ihr gegenüber das Haus des Helfers (des Diakonus) zu brennen anfing. Ich bestieg die Leiter, um die guten Löschanstalten zu besehen. Aber etwas Wichtigeres zog mich an. Es kam die Helferin im höchsten Putze aus ihrem Hause heraus; sie hatte, um ihre Hände frei zu behalten, und doch ihren Kleiderschrank zu retten, solchen auf einmal angezogen. Sie trug zugleich ihr Brautkleid – ihren Traueranzug – ihr Abendmahlkleid – ihr weißes Spitzenkleid – dann das feuerfarbne seidne und auf dem Kopfe einen majestätischen Hut mit Federn und in den Händen alle ihre feinen Hemden. Aber sie wollte mehr retten. So schwer sie sich als Selberballenbinderin in dieser Kleidergeschwulst bewegen konnte, so schritt sie doch zu dem der Gefahr nahen Schweinstall hin, um hier ein Kleinod aus der Gefahr zu ziehen. Nachdem sie die Hemden aufs Schweindach gelegt, suchte sie im Stalle mit den Händen nach der Schweinmutter, um solche aus dem Koben herauszuholen. Sie fing endlich die Mutter am Schwanze und wollte (welch unbedachtsames Unternehmen und so wenig schicklich für den majestätischen Hut mit Federn!) und wollte, sag' ich, solche an diesem Hinterhefte herauszerren. Aber nachdem sie das Vieh nach unsäglicher Anstrengung mit den Hinterfüßen bis an die Schwelle gezogen: so schoß es wieder in den Koben hinein wie ein Theaterdolch in seinen Griff. Sie erwischte wieder den Schwanzhenkel und zog unmenschlich aus Angst und brachte das Tier schon mit den Vorderbeinen bis an die Schwelle: auf einmal war es wieder hineingefahren. Endlich erbarmte sich ein Fleischerknecht des zu großen Jammers und faßte die Bestie bei den Ohren und schleppte sie dahin, wo die Dame vorausging.

Am Morgen hätte der wackere Ich sterbe täglich und mein Leben nicht bei sich sein müssen, sondern des Teufels, wenn er, nachdem zwei Mörser und ein Brand da waren und Regen und das Wetterglas unter Sturm, nicht endlich dem Andringen nachgegeben hätte, in der nächsten Nacht auszufallen. Die ganze Festung spannte sich darauf. Es wurde wirklich ausgefallen. Man schlich durch das untere Tor hinaus (das obere war das andere); aber 1131 kein Feind war zu finden. Der ausfallenden Besatzung wuchs der Mut von Schritt zu Schritt, und sie fluchte leise terribel darüber, daß sie ihn nicht zeigen konnte. Endlich hörte sie am obern Tore Gelärme. Der Ausfall war trefflich gewählt; denn die Diebsfehraner wollten eben einen Einfall tun durchs obere Tor und so sich die Stadtschlüssel oder Stadtdietriche selber schmieden. Die Ziebinger zogen um die halbe Festung herum, und nun zeigte ein zufälliger Mondblick Feind dem Feind. Schrecklicher Anblick! – Die Geschichte meldet, daß der große griechische Feldherr Aratus stets vor einer Schlacht einen heftigen Durchfall bekam, der so lange anhielt, bis die Schlacht in Gang gekommen. Diese unschuldige Anekdote mißbrauchte ein Ziebinger Kauz, um mit ihr, und gedeckt von der finstern Regennacht, seinen Spaß glaublicher einzuleiten. Es hätten nämlich, verfocht der Kauz, beide Heere, sobald sie einander erblickt hätten, sich in ebenso viele Feldherren Aratus verwandelt; sogleich hätten beide durch Wink oder Parlamentäre, oder sonstige Zeichen (hier will es mit der Wahrscheinlichkeit schlecht fort) einen halbviertelstündigen Waffenstillstand geschlossen – während desselben hätten beide Mächte einander gebückt gegenüber gehalten, und erst nach Ablauf der Sache hatten sie sich einmütig aufgerichtet zum Angriff! – Doch zu ernstern Gegenständen! Beide Heere gingen aufeinander los, nur aber mit einer so mißtönigen, sich widerschreienden Feldmusik voll Grauslauten, als je eine Kirchenmusik in einer Dorfkirche glühend in die Ohren gegossen; ein Zeichen der Furcht, woraus man indes bei Feldmusikanten nichts macht. Die Krieger hingegen gingen mit einem Feuer aufeinander zu, daß sie die kleine, schon durch das Wetterglas verkündigte Erderschütterung – so wie einmal die Römer und Karthager ein großes Erdbeben unter dem Gefechte – gar nicht verspürten, sondern glaubten, nur sie selber bebten, nicht die Erde.

Wenn man im Gefecht laufende Soldaten mit stehenden vergleicht, so verlieren diese insofern an Ansehen, inwiefern Raffael, welcher seinen Figuren meistens Bewegung, selten feste Stellung gab, ein Mann ist, der Schönheit kennt. Aber Schönheit beiseite! Ein anfangendes Laufen beider Heere hatte seine Gründe; und 1132 wenn unter den Waffen die Gesetze schweigen (inter arma silent leges), so gehören die Krieggesetze, z. B. Desertionverbote, auch dazu. Die Ziebinger merkten nämlich, schlau genug, daß einige Diebsfehraner weiterliefen, und verschmitzt witterten sie aus, daß diese wenigen nur ein Vortrab der übrigen wären, die in das jetzo offen gelassene untere Tor hineinstürzen wollten. Hier galts Entschlossenheit. Der ganze Ziebinger Ausfall verkehrte sich auf der Stelle in einen Gesamt-Achilles, den Homer bekanntlich wegen seines Laufens so pries. Alle liefen, rannten, flogen – die Diebsfehraner ihnen nach, aber in der Tat zu langsam und matt – und so erreichten die Ziebinger glücklich als Sieger ihr unteres Tor, ohne einen eignen Mann verloren, oder einen fremden eingelassen zu haben. Man trank die ganze Nacht durch auf den sieghaften Ausgang. Indes wird dieser niemals fehlen, wenn ein Ich sterbe täglich und mein Leben anführet.

Am Morgen, als die Menschen wieder zu sich kamen, was auch Stöcklein tat, herrschte dennoch starker Verdruß. So hat noch immer, sagte jeder, das verfluchte Wehren und Siegen kein Ende, und niemand zieht einen Kreuzer davon. Besonders sah der Buchhändler aus wie ein Pfefferstrauch oder wie betrunken in Wermutwein; denn er mochte das, was ich fallen ließ, noch so genau zusammensummieren, so fand er doch am Ende, daß damit, wenns gedruckt würde, nicht einmal die Haferrechnung bezahlt war. »O ihr Götter, helft einem Unschuldigen doch aus diesem unglücklichen Kerker heraus!« sagt' er und sah himmelwärts.

»Sie haben Sehnsucht?« sagt' ich und faßte die Rechte, die sonst in der Tasche arbeitete. »O wer nicht?« versetzte er. – »Daran erkenn' ich Sie,« sagt' ich, »oder vielmehr die schöne höhere Natur des Menschen; bei allem Reichtum des irdischen Lebens sehnet er sich nach einem höheren und durstet und verdurstet, so wie auf dem wasserreichen Meere mehr Menschen verdursten als auf dem Trockenen. Sogar im Irdischen treibt der Mensch sein Sehnen noch fort und schmachtet, auf Silberstangen springend, nach einer Goldstange.« Ich drückte die Stöckleinische rechte Hand recht herzlich, welche sich nach nichts so sehnte als 1133 nach der Tasche; er wußte aber nicht, wie ein solcher Liebebund schicklich genug zu zerreißen sei zum Nachschreiben.

»Nun was uns mit jedem Heere mehr geschlagene Buchhändler betrifft,« – versetzte er mit einem weinerlichen Lächeln und mit einem Ton ohnegleichen – »so wissen wir nicht einmal von Silberstangen etwas (ach damit wäre jedes Handlungshaus zufrieden); an Leimstangen hängen wie gerupft, oder an Räucherstangen schwarz vor Ärger.«

Niemand wundere sich über des Mannes Witz; erstlich ist, wie man aus allen Streitschriften sieht, nichts leichter, als eine gegebene Allegorie fortzusetzen; zweitens spricht jeder über sein eigenes Fach am leichtesten mit Anspielungen.

»So ist der Mensch und Sie dazu« – sagt' ich – »Die Weltgeschichte und die Weltkarte entwirft und mappiert er bloß nach den Zwecken und Gängen seines kleinen Lebens, wie der Schiffer auf seinen Karten alle Weltteile als leere Räume bezeichnet, und nur Klippen, Meere usw. als volle hinstellt. Daher will der Mensch stets das Alte, was sich immer leichter in seine Spekulationen einfügt als das Neue; jeder Gebrauch soll seine Silberhochzeit feiern, sagt er, wenn auch Bleihochzeiten und Arsenikhochzeiten daraus werden. Aus diesem Grunde halte ich den deutschen Patriotismus, den so viele gemeine, ums Vaterland ganz unbekümmerte Seelen jetzo zeigen wollen, mehr für einen warmen Privatpatriotismus, den gedachte Seelen für ihre eigne Person haben, weil sie (und mich dünkt, nicht unphilosophisch) alles (omnia secum portantes) und folglich auch das Vaterland bei sich tragen. Schön ists wohl; es gibt dem Leichenzuge des betrauerten Vaterlands mehr Ansehen, wenn auch niedrige Seelen schwarz mitgehen; so sind bei vornehmen Leichenbegängnissen nicht nur die Menschen überflort, sondern auch die kalten festen Pferde ziehen in Trauerflören mit . . . . . Apropos, Stöcklein, in dieser Nacht mach' ich, daß die Belagerung übermorgen ein Ende hat.« . . .

Stöcklein wollte fragen und herausholen, ja jubeln – ich aber sagte: »Jeder Mensch erwarte die Nacht!«

Ich überspringe, wie immer, kleine Kriegvorfälle, welche dem guten Buchhändler, der im Museum vollständig und neu sein 1134 will, vor dem Munde wegzuraffen ein Haus- und Kirchendiebstahl wäre.

Nachts nach den Nachtandachten stieg ich, während der Prediger von der Kanzel herabging, dieselbe hinauf; wir grüßten uns im Begegnen, und ich fing oben an – aber fast gestört durch den einfältigen Buchhändler, der unten im Beichtstuhle saß mit Feder und Dinte –:

»Euer Exzellenz sehen gütigst nach, daß ein Fremdling, jedoch ein Legationrat, hier auf der Kanzel eine mündliche Friedenpredigt hält, wie er eine gedruckte an Deutschland selber gehalten, wiewohl in diesem die Festung Ziebingen eigentlich mit steckt. Mußte nicht in Venedig sonst sogar der Generalissimus selber ein Ausländer sein, wie in St. Marino der Richter? Und wie wenig ist dagegen ein Prediger!

Ich schlage hier Friedensinstrumente vor und vorher Friedenpräliminarien. Unentbehrlich sind sie nicht, sondern entbehrlich. Ich habe gesehen, was Tapferkeit ausführt, was Standhalten, was Gegenspiele mit Geschütz, was Ausfälle teils sind, teils tun. Wie hätte auch sonst die Festung nach Verhältnis ihrer Größe sich so unglaublich länger gehalten als die größten deutschen bisher! Aber es ist ordentlich, als ob die Tapferkeit in den kleinsten Ländern am dichtesten schlage – man denke, wenn nach Verhältnis der Volkmenge Persien oder China so tapfer wären wie die Schweiz –, so wie nach Linné ein Baum, der im weiten Gefäße nur Blätter bringt, in ein engeres versetzt, sogleich Blüten treibt, welches er griechisch genug Prolepsis nennt. Daher ist das Beschneiden der Länder ein häufiges Mittel, sie tapferer zu machen, sobald so viel von ihnen noch übrig gelassen wird, daß noch etwas da ist, was tapferer sein kann; alten abgelebten Ländern, wie deutschen, ist das Beschneiden vollends am nötigsten, wie die Gärtner im Herbste nicht junge, sondern alte Bäume am unbarmherzigsten bescheren.

Zu fürchten hat Ziebingen an sich vom Feinde nichts; und es kann täglich zehnmal ausfallen, ohne einen Mann zu verlieren; denn wenn der Ingenieur Borreux recht hat, daß unter den Schüssen des Fußvolkes, da sie immer zu hoch gehen, nur der 1135 tausendste treffe, so sind wir schußfrei, da der Feind nicht so viel auf einmal zu laden hat.

Selber große Festungen, wie z. B. Stettin und Magdeburg, die sich nicht so lange hielten als wir, und die weniger den Degen zogen als die Degenscheide (aus dem Gehänge), ergaben sich auch bei ihrer größern Besatzung doch nicht mit Unehre, und unser Beispiel darf sie nicht demütigen. Bedenken wir: Stettiner Kommandanten lassen sich ungern auf ihr Haus (die Festung ist ihres) den roten Hahn setzen, den sie für Anspielung auf rote Mützen und auf den gallischen Gallus halten – Sie schließen, wenn schon auf Theatern, vollends in Heerschauen scheinbare Kriege zufällig wahre Verletzungen gemacht, daß wahrhafte mit noch größern bedrohen, daß sie aber alle Wagen voll Verwundete, alle Gruben voll Tote, alle Gassen ohne Häuser durch zwei Tropfen Dinte, woraus ihre Namenunterschrift besteht, wegschwemmen können. Sie finden es oft so lächerlich, eine Festung fest zuzusperren und also mit dem Feind zugleich die Kost auszuschließen, als die Sitte jener Peruaner ist, welche, um der Seele eines Sterbenden das Fliehen zu wehren, ihm Mund und Nase usw. mit Sorgfalt verstopfen. – Wahre Stettiner und Magdeburger Kommandanten sind viel zu stolz, da sie sich nicht einmal mit Fähndrichen hauen, sich vollends mit dem gemeinsten Volke und Packknechtpack zu schlagen – Auch finden sie jenes feine Talmudische Gebot, daß Weise stets in der Mitte des Disputierens, ohne etwas ausgemacht zu haben, auseinander scheiden sollen, um länger an den Gegenstand zu denken, noch besser auf die wichtigern Kriegdisputationen anwendbar, so daß sie es oft nicht einmal bis zur Mitte kommen lassen – Gute Stettiner Kommandanten bleiben zart und behalten eine Träne im Auge und leiden es nicht, daß, wie Lampenfeuer aus Branntewein allen Umstehenden Totenfarbe anstreicht, dergleichen das Kanonenfeuer noch reeller tue, und sie sagen deshalb gern: wenn in der Türkei tote Feindes-Köpfe auf Wälle und Mauern gesteckt werden, so sei es doch noch grausamer, allda Freundes-, nämlich Soldaten-Köpfe aufzupflanzen. Da übrigens ein Kommandant den Fürsten noch vielseitiger als ein Gesandter darstellt, durch Allmacht desselben, durch 1136 Herrschaft über Leben und Tod: so hat er auch das Recht zu begnadigen, folglich auch den Feind, indem er ihn zu seinem Freunde macht.

Doch ich will fremde Festungen nicht länger verteidigen, als sie sich selber verteidigt haben; laßt uns in die zurückkommen, in der wir sind!

Exzellenz! Die Ziebingsche Ehre ist gerettet, aber nicht die Ziebinger. Ich meine hier gar nicht, daß der unmächtige Feind, der auf die Festung wie sonst der Raubvogel auf den Käfig stößt des Vogels wegen, endlich auch dem Vogel drohe; sondern nach dem siegenden Wehrstand will auch der Nährstand ein wenig siegen. Wahrlich Gründe zum Friedemachen sitzen in jedem Kirchstuhl, in jeder Gasse, in jedem Keller. Wollen nicht die Böttiger in einigen Tagen ihren Reiftanz halten und zwei Tage darauf die Bäcker ihr Fahnenschwenken, und sehen sie ab, wie mitten unter springenden Bomben aufgeräumt zu springen ist? – Fällt nicht nach acht Tagen der Diebsfehraner Viehmarkt, so ungemein erheblich für hiesige Viehzucht? – Schlagen sich nicht die AltziebingerAltziebingen ist ein unter der Gerichtsbarkeit der Festung Ziebingen stehendes Dörfchen, das gern trinkt, sonst aber von keiner Bedeutung. täglich halbtot mit Stuhlbeinen und schleppen einander an den Zöpfen herum und warten bis diese Stunde vergeblich auf unsere Obrigkeit, die hinausreitet und sie recht derb gerbt und abstraft? – Hab' ich alles gesagt? – Kaum etwas: unter der Türe steht der Apotheker und will seine Kräuter sammeln, nicht hinauskönnend – Die Weiber beten zu Gott um Wetter und wollen Flachs säen – Maikäfer außer der Festung sollen abgeschüttelt werden und die Hecken beschoren – Am Kirchturm frißt der Christophel, der Elefant, greulich fort und reibt seinen eigenen Elefantenherrn auf – Ein gewandter Buchhändler sitzt in der Sakristei und schreibt nach und macht kein Geschäft – Gegenwärtiger Mann selber steht hier und macht eine Predigt und rät an, eine oder ein paar Frieden-Pfeifen zu stopfen. Jedoch segnet er feurig die Gelegenheit, dadurch einem so wachsamen Kommandanten als Euere Exzellenz, wenn auch in der Nacht, bekannt zu werden. Amen!«

1137 Die Kirchversammlung rief: »Vivat Ich sterbe täglich und mein Leben!« – Er aber schweigt sehr bedeutend und begibt sich aus der Kirche. Noch um Mitternacht ist großer Conseil. Ein undurchdringlicher Schleier verbirgt der Welt die Staatgeheimnisse (ich bediene mich hier gern der dreifachen Prediger-Tautologia oder Einerleisagerei als der gewöhnlichsten). Gegen fünf Uhr morgens wird nicht mehr geschossen.

Sogar am Morgen hörte man noch nichts Gewisses; aber von feindlicher Seite sah man etwas desto Wichtigeres im Tor, einen Diebsfehraner Parlementär, begleitet (die Stadt wollte vor Erstaunen sterben) von einem Ziebinger Parlementär. »Nun, man ist vielleicht auf keinem falschen Wege, wenn man vermutet, daß der Ziebinger schon in der Nacht abgegangen«, sagten Leute vom Handwerk.

Drei Stunden darauf – ich weiche hier von denen ab, die von vier Stunden sprechen – fing ein Gerücht an und dauerte fort, daß mittags Diebsfehraner in die Festung, zugleich aber – spätere Jahrhunderte glauben es nicht mehr – Ziebinger in das Reichs-Städtchen einziehen sollten, damit beide Städte so lange gegenseitige Geiseln und Bürgen ihres Waffenstillstandes besäßen, bis wieder Reichs-Gerichte die Sache entschieden.

Doch geschah es wirklich; um 11 Uhr stürmten alle Glocken – alle Hunde bellten wieder auf den Gassen – alle Dächer waren mit Menschen statt mit Schindeln gedeckt und die Fenster statt des Düngers mit Gesichtern belegt – Die Ziebinger Mannschaft stand gegen das obere Tor zum Ausmarsche, den Hintern den Diebsfehranern zukehrend, welche durch das untere einkommen sollten, auf welchem die Hundereserve entsetzlich anschlug, weil die Zeit viel zu kurz gewesen, als daß sie hätte toll und stumm werden können –

Der Elefantenherr saß auf dem Christophel vor dem Tore der Nepomuks-Kirche und sah herab und überall hin – Die Gassen waren mit Zuschauergestripp überwachsen – Nur ich und Stöcklein konnten nicht durchsehen und durchkommen.

Der Buchhändler wurde darüber ganz toll; er mußte durchaus den Zug haben für sein Museum. Endlich ersah er einen 1138 abgeladnen Frachtwagen; er würde sich auf dessen Leiter stehend zu erhalten gesucht haben durch Balancieren, hätte nicht zum noch größern Glücke ein zwei Mann hohes ausgepacktes Zuckerfaß daneben gestanden. Darauf schwang sich jeder von uns.

Als wir viel gemächlicher als die ganze Herde oben auf dem Fasse uns umschaueten und eben die Feldmusik einrücken sahen: brach jähling der Faßdeckel unter unsern vier Füßen zusammen, und ich und der Buchhändler standen unten in der Kartause und sahen uns an. Ein verfluchtes Fallgatter wie ein Fallstrick! – Der Buchhändler klopfte wie ein lebendig Begrabener – schrie wie ein Untergesunkener – pfiff wie eine Maus unter Katzenzähnen; – aber nicht ein neugieriger, spitzbübischer, mit Auge und Ohr in den Zug eingestrickter Dieb nahm sich Zeit, wahrzunehmen, daß ich und der Buchhändler in der Welt und im Fasse waren. Stöcklein wußte des Museums wegen nicht wo aus, wo ein. Er sagte: »Ich werde, wenn alles und der Krieg es länger treibt, am Ende ein ausgemachter Spitzbube und drucke mich und alles nach.« Er verfluchte sich und sein Tabakfeuerbesteck (weil ers vergessen hatte), da er vielleicht, hofft' er, mit dem Schwamme das Faß in Brand hätte stecken können. Er verwünschte meine und seine Schwere, da ohne diese der aufrechte Zwillingsarg mit vier Händen wäre umzustoßen gewesen. Als er gar die Reiterei vernahm, tanzte er im Fasse den künftigen Reiftanz der Böttiger wild voraus und machte ewig, wie eine vergitterte Hyäne, die Runde innen um den Käfig. – Endlich warf er aus unserm parterre noble seinen Hut empor in den Himmel (ich hielts für Jubelausbruch, es war aber Notschuß), um dem schaubesoffenen Volke draußen anzumelden, daß ein Christ elend sich abarbeite im tiefsten Schacht; aber kein Mensch sah den Hut. Er warf ihn zum zweiten Male wilder und höher und – über das Faß hinaus; nun hatt' er auch den letzten Aufsatz oder die Ajustage seines Halses eingebüßt.

Er sank in sich hinein – den schlimmsten Ort und Sumpf, wohin er geraten konnte –, ließ seinen Kopf hängen oder sinken – denn der Geist war der Scharfrichter seines Leibes und köpfte solchen –, und er war nichts mehr.

Ich blieb alles, was ich war, und dachte, es sei für den Namen 1139 eines Zuckerfasses angemeßner, es zu einer Diogenes-Tonne zu machen, nicht aber, wie er, zu einem Regulus-Fasse. »Ich weiß nicht warum,« – sagt' ich zu ihm – »aber mir wird ordentlich so gemütlich und heimisch in unserem Fasse – wir beide stellen freilich die einzigen Zuckerhüte darin vor – Ich wollte nur, Sie würden nicht vor Ärger schwarz, oder ein Negerschwarzer auf unserer Zuckerinsel. Denn wenn ich mich so rund umsehe und erwäge, welches schöne Los der Abgeschiedenheit mitten im Volkes-Treiben uns bloß einige Faßdauben zusichern: so möcht' ich beinahe fragen, ob wir nicht zwei glücklichen Männern gleichen, die unten auf dem Meerboden in ihrer Täucherglocke sitzen und von dem obern Wellengelärme keine Woge hören. – Wenn schon einem Philosophen im Fasse, das, wie ein griechischer Tempel, nur oben dem Himmel offen ist, die Erde und ihr Ziebinger Getobe lächerlich vorkommt, wie viel mehr zweien auf einmal, die miteinander eine geschloßne, ja eingeschloßne Gesellschaft bilden! – Wie gern, Freund Stöcklein, seh' ich mich als einen Robinson auf diese Zuckerinsel verschlagen, da ich Sie als meinen FreitagDer bekannte Freund Robinsons. oder Karfreitag hier unten antreffe! – Und antworten Sie mir: wer ist außer St. Marino noch so frei als unser Faß, ich bitte?« »Ich höre gar nichts mehr«, sagte kalt Stöcklein, mit dem Ohr am Fasse; er meinte aber nicht meine Worte, sondern die Pferde. Es war auffallend, wie frostig, ja unhöflich der Mann sich auf einmal gegen mich in der Zwischenzeit offenbarte, worin ihm sein Schwanzartikel des Belagerheftes abgeschnitten wurde. Man hält den Eigennützigen stets für zu höflich, wie für zu grob; desto gleichgültiger sei man gegen dessen Erkalten und Erwarmen.

Ich machte nichts daraus. Er schrie endlich Feuer, damit das Faß umgestürzt werde, und ich schrie willig mit. Endlich warfen einige Lehrjungen, die aus Neugier auf den Leiterwagen gestiegen waren, um ins laute Faß zu sehen, dieses boshaft um, und wir krochen ins Freie, wie Höhlenforscher auf dem Bauche in die schimmernden Höhlentempel. – –

Aber, Empfindung! gibt es etwas Eigensinnigeres – Starrköpfigeres – mehr Wetterwendisches und Umwälzendes – als du 1140 bist? Denn wer war es anders, so viel ich weiß, als du, die mich plötzlich in einen ganz andern Mann (als wär' ich ein Federbuschpolyp) auf der Gasse umstülpte, da ich in dieselbe im tiefsten Bückling und engsten Schritte aus dem Fasse herausging! – »Satt, matt, schal, kahl!« so wiederholtest du immer. »Ganz wahr!« (sagt' ich endlich) »Krieg um Gänse, von Gänsen geführt! O wie gleichgültig ist mirs, daß ich keinen einzigen Punkt der Kapitulation erfahren kann! Napoleon verlangte mit Recht die beiden Reichs-Nester gar nicht. Auch ich mag sie nicht, so wenig als Kalender vom vorigen Jahre, wollte sie mir auch ein Buchhändler um herabgesetzte Bücherpreise lassen. Stöcklein lass' ich Stöcklein sein; und der flachshaarige Ich sterbe täglich und mein Leben kann meinetwegen heute sterben. – Hätt' ich nur nicht so viel Worte darüber gemacht! Aber auf der Stelle soll der Aufsatz auf die Post, damit ich nur keines mehr sage.«

Dies alles aber sagt' ich, wie gedacht; so sehr kann die Empfindung den nüchternsten Mann hinreißen. 1141

 


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