Jean Paul
Über die deutschen Doppelwörter
Jean Paul

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Viertes Postskript

Noch einige Entwürfe gegen den Jennerbrief beseitigt – über Zusammensetzung mit dem Plural

 
Baireuth den 23. August 1819

Der Tag ist trübe genug, Gnädige! und ich bekomme also Tage zu Postskripten hinlänglich. Heute brauch' ich daher vor der Hand Herrn Bibliothekar Grimm nicht zu besiegen, sondern ich kann in diesem vierten Postskripte noch einige Anfälle auf meinen ersten Brief abtreiben. Darin hatt' ich gesagt: »Bundestag ist so regelwidrig, als Mundestasse und Grundesriß und Grundesstein sein würde«. Ein großer griechischer und lateinischer Sprachforscher warf dagegen zwei Worte ein: Dat. cui; er meinte: die Tasse dem Munde, der Stein dem Grunde, aber bei Bundestag sei kein Gebefall gedanklich, sondern nur der Zeugefall. Und so erbärmlich werd' ich überall gehandhabt, daß man sich nur an mein nächstes Beispiel hält und nicht an die ganze damit angekündigte Beispiel-Reihe; denn wo bleibt denn der Mundtassen-Dativ in Mundfäule, Mundgeschwür, Mundschaum, Mundbissen, Mundwerk, Mundleim etc. – oder der Grundstein-Dativ in Grundlegung, Grundherr, Grundsprache, Grundholz etc.? –

Ja die Wurzelsylben, wenigstens Stammsylben, woraus meine erste Klasse besteht, behaupten ihre Reinheit und Unveränderlichkeit in Zusammensetzungen oft sogar auf Kosten der Deutlichkeit; z. B. Brautmutter klingt wie eine Mutter, die eine Braut ist, so wie Herzogin-Mutter eine Herzogin selber bezeichnet. Neben Kuhstall, Kuhhirt und -herde etc. kann keine Maus ihr Mäusefell, -schwänzchen, -ohr u.s.w. behalten. Ebenso ist auf keine Weise die Feder, womit ich schreibe, eine Gänsefeder, sondern eine Gansfeder, die ich aber hier nicht berühren will, damit ich nicht in das Gebiet eines neuen Postskripts übertrete, wo ich sie gegen Herrn Bibliothekar Grimm ergreife.

Hingegen ist hier eine desto bessere postpapierne Stelle für die Fälle, wo die Sprache unbekümmert um den Sinn der Zusammensetzungen die Mehrzahl gewöhnlich entweder ausschließt, oder sogar zuläßt. Sie flieht in ihren Sammwörtern nicht eigentlich die Mehrzahl – die sich ja mit ihrem Nominativ ebenso gut unregiert in das Grundwort verschmerzt als der Singular mit seinem –, sondern die bösen e der Mehrzahl. Daher gibt sie in meiner ersten Klasse immer der Einzahl gegen die scheinbaren Einwürfe des Sinns den Vorzug, z. B. in Gasthaus, Flußkarte, Bockstall, Fuchsjäger, Hutmacher, Buchbinder, Fruchtlese, Wurstkessel etc. In meiner zweiten Klasse verfährt sie ebenso, und ich lasse den alten Beispielen meines Februarbriefes nur noch einige von Tiergarten (anstatt Tieregarten), Haarring, Pelzhändler, Krebsfang, Hechtzug, Hirschzaun nachlaufen, nur einige, da zur ganzen Herde kein Platz da wäre. Aber gerade diese Hornungklasse spricht auffallend für mich; denn anstatt eines Plural-e in Schiffeflotte, Diebegesindel, Mönchekloster wählt sie lieber hart und falsch genug Schiffsflotte, Diebsgesindel und Mönchskloster. Das den Bestimmwörtern von Pferd, Hund etc. angeleimte e will, wie bekannt, keine Mehrzahl aussprechen, sondern nur durch einen Selblauter die Verwandlung des weichen Mitlauters in einen harten verhüten. Endlich wirft deshalb auch die neunte Klasse der mehrsylbigen Wörter mit e im Plural dieses e im Zusammensetzen weg, z. B. Gesetzbuch, Gewürzsendung, Rettigbeet, Pfennigkabinett.

Wo hingegen eine wahre oder scheinbare Mehrzahl sich wie eine Vielweiberei einem Grundwort anvermählt, da geschieht es nicht eines besondern Sinnes, sondern des Wohlklangs wegen, der sogar zuweilen dem Sinne selber zuwider tönt. Da nun der Norden – wie der Süden oder Spanien – Vorliebe für das Klang-R hat, nämlich so wie es am Ende meines eignen Namens als er nachtritt – daher Kolbe bemerkt, daß es des Klanges wegen z. B. in Bilderchen und vergrößern stehe –, so nehmen die Bestimmwörter mit er im Plural am häufigsten den letzten vor dem Grundwort an, z. B. Wörter- und Kräuterbuch, Rinderhirt, Gliedermann, und sogar, wie ich oben vorausgesagt, auf Kosten des Sinns, z. B. die Gespenster- und Geistererscheinung einer einzigen Gestalt, Kindermörderin, Eierschale, Kinderhaube. Kann die Sprache das er ohne den Plural haben: so ist »Bruderkrieg« ihr auch recht samt dem »Klostergeist« und »Ackergesetz«, oder auch Nachbarländer und Schwesterhaus, so wie ihr aus derselben achten oder Augustklasse wegen des sanften el Vogelherd und Sattelkammer gefallen.

Daher sucht sie, wie früher schon dargetan worden, wieder nur Wohlklang, nicht Mehrzahl, wenn sie Ochsendienst und doch nicht Stieredienst, und Nonnenkloster und doch nicht Mönchekloster sagt.

Ewig, verehrteste Kanonissin,

Ihr Kanonikus
R.


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