Jean Paul
Aphoristisches
Jean Paul

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Über den Menschen

1. Die poetischen Tugend-Virtuosinnen

Jeder hüte sich vor poetischen Tugend-Virtuosinnen, nämlich er heirate keine davon! Diese moralischen Statistinnen, welche selten handeln, leben in der Täuschung, daß sie noch besser sind als alle benachbarten Schauspieler und Schauspielerinnen, bloß weil sie über diese mit feinem Gefühl lobend oder tadelnd richten. Es gibt nichts so Zartes, Schönes, Großes, zumal in der Vergangenheit, was sie nicht zu bewundern oder zu fordern wüßten von anderen; dieses Bewundern und Fodern aber steuert sie 121 mit dem schönen Bewußtsein aus, daß sie die Sache selbst haben, etwa wie in Italien (nach Archenholz) einem, der eine Kostbarkeit lobt, diese nach der Sitte zum Geschenk angeboten (obwohl nicht angenommen) wird, das sich aber die Virtuosin selbst macht. Die Wärme ist schön, womit die Tugendsprecherin jede Aufopferung, sie werde ihr oder anderen gebracht, zu schätzen weiß, desto tiefer daher muß sie den Selbstsüchtling verachten, der ihr selbst eine zumutet. Sie liebt sie, anstatt den Menschen, desto inniger die Menschenliebe. Ja, die Statistin behält sogar auf ihrem Kanapee bei aller sitzenden Tugendlebensart Unparteilichkeit genug, um die geschäftigste Häuslichkeit einer Martha und jede emsige Gatten- und Kinderverpflegung zu bewundern, ja vorzuschreiben; denn sie weiß so gewiß, was sie in diesem Falle tun würde, falls sie etwas täte. So gleicht sie als Heldin in der Tugend ganz dem, was ein Held im Kriege ist, nämlich wie dieser, ordnet sie erfahren, scharf und kalt alles an, was jeder im Feuer zu tun und zu opfern hat, und schont wie ein Feldherr 122 sich aus Pflicht zum Vorteil des Kommandierens. Auch ihr selbst werden die Rollen der edelsten Menschen nicht schwer, wenn sie ein Stückchen Papier – Druckpapier oder Briefpapier – gleichsam als die Bühne erhält, auf der sie solche spielen kann; das Papierblättchen wirft sich ihr sozusagen zum Shawlspiel an, womit allein die Lady Hamilton durch dessen Wenden und Falten die schönsten alten Göttinnen machte. Allerdings müssen Personen von solcher moralischen Höhe und Forderung die sittliche Unter- und Schattenwelt unbeschreiblich tief unter sich finden, und darum sie so schwarz abmalen, daß sie damit anderen, die es nicht schärfer nehmen, ordentlich zu verleumden scheinen; ja, ganze Städte sind sie oft schwarz zu färben genötigt, so daß es wenig ist, wenn sie mit Anspielung auf Ägypten die eine Stadt eine Krokodilstadt (in Crocodilopolis wurden bekanntlich Krokodile angebetet wie in Cynopolis Hunde), die andere eine Hundestadt nennen. –

Darum lasse ein Mann, wenn nicht seine Ehe, doch seine Verlobung mit einer solchen 123 Virtuosin trennen, wenn er nicht das eheliche Band – anstatt zu einem Venusgürtel – lieber zu einem Stachelgürtel (Cilicium) und Ehestrang geflochten tragen will! Der gedachte ehelustige Mann rechne doch vorher genau nach, ich bitte ihn, zu wievielen Stufen des weiblichen Göttersitzes er sich zu versteigen getraue, da ihn nicht nur schwarzgefärbte Städte warnen, sondern auch der Lebenslauf und Lebensflug seiner Verlobten selbst, welche Männerherzen nur von weitem genießen und verspeisen kann, etwa wie schwarze Maulbeeren, welche man an großen Tafeln bloß mit langen Stecknadeln zum Munde bringt, um sich die Finger nicht zu schwärzen. In England sagt der Küster gewöhnlich hinter der Trauung: »Amen!« Stände ich hinter der gedachten, so würde ich sagen: »Wurde die sechste Bitte nicht erhört, so tue man die siebente!«

Gegenwärtiges las ich einst einer solchen Virtuosin vor; da aber Weiber sich in jedem anderen Spiegel leichter und schöner finden als im Schwaben- oder Sachsenspiegel oder anderem Seelenspiegel, so sagte sie freundlich: »Herrliches 124 Wort zu seiner Zeit! Wüßten Sie, lieber Richter, wieviele Weiber dieser Art ich selber gekannt! Aber keiner davon konnte ich beibringen, daß sie ja selbst dazu gehöre.«

 


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