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IX.
Die Sklaverei im mohammedanischen Orient.

Im mohammedanischen Orient herrscht nur die Haussklaverei und keine andere. Der Sklave gehört zur Familie und wird im allgemeinen mit größter Freundlichkeit behandelt. Mohammed fand die Sklaverei als alte Einrichtung bei den Juden und den arabischen Heiden vor, und er gestattete sie im Koran, wie Moses und das Urchristenthum sie gestattet hatten. Doch sucht der Islam ihre Härte zu mildern, indem er seinen Bekennern ein rücksichtsvolles Benehmen gegen die Sklaven einschärft. Im Koran heißt es: »Wünscht einer deiner Sklaven eine Freilassungsurkunde, so stelle sie ihm aus, wenn du ihn als gut kennst, und gieb ihm einen Theil des Reichthums, den Gott dir verliehen. Zwinge deine weiblichen Sklaven nicht zum Sündigen, falls sie ihre Tugend bewahren wollen; zwingst du sie aber, so wird Gott ihnen erbarmungsvoll vergeben.« Der Prophet erlaubte seinen Jüngern, rechtgläubige Sklavinnen mit Genehmigung ihrer Eigenthümer zu heirathen; beging eine solche Sklavin im Laufe der Zeit Ehebruch, so bedachte er sie nur mit der Hälfte der Strafe, die der freien Ehebrecherin bestimmt war. Im Orient gilt der Sklave nicht für verächtlich; im Gegentheil, er kann unter günstigen Verhältnissen das höchste gesellschaftliche Ansehen erlangen. Freilich hat die Einrichtung auch im Orient ihre Schattenseiten. Abgesehen von ihren überall unvermeidlichen sittlichen Mißständen, läßt sich ihr Bestand daselbst heutzutage durch keinerlei politische oder andere Nothwendigkeit rechtfertigen; und das Schlimmste ist, daß ihr Vorhandensein die Ursache des fürchterlichen Sklavenhandels bildet, den man wegen seiner systematischen Menschenjagd als den Fluch Afrikas bezeichnen muß.

Namentlich in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts haben sich die anderswo auf diesem Gebiete so segensreichen Bemühungen der Westmächte mit der Ausrottung jener Pest des dunkeln Welttheils befaßt. Einen besonders kräftigen Anstoß erhielt die neue Bewegung durch die heldenmüthige und selbstlose Thätigkeit, welche David Livingstone von 1852 bis 1873 entfaltete. Dieser berühmte Mann war der erste, dem es gelang, seinen Landsleuten die Schrecken des Sklavenhandels und der Menschenjägerei im Inneren Afrikas in kräftiger Weise zum Bewußtsein zu bringen; auf seinem Grabe in der Westminster-Abtei sind seine eigenen Worte zu lesen: »Möge der Himmel Alle reich segnen, die diese offene Wunde der Welt heilen helfen werden!« Untersuchen wir nun, wie die Lage sich bis zu seinem Tode gestaltete und welche Schritte zu deren Verbesserung gethan worden sind.

Der afrikanische Hauptheerd des kolonialen Sklavenhandels war die Gegend in der Nähe der Mündungen der Flüsse Calabar und Bonny, wohin die gefangenen Neger aus dem Innern – oft aus großen Entfernungen – gebracht wurden. Von diesem Küstenstrich allein kamen jährlich ebenso viele Neger zur Ausfuhr wie vom ganzen übrigen Afrika. Gegenwärtig jedoch werden, wie man annimmt, vom Westen des dunkeln Welttheils überhaupt keine Sklaven mehr ausgeführt. Jetzt werden nicht mehr die europäischen Kolonien, sondern Egypten, Marokko, Arabien, Persien und die Türkei mit Sklaven aus Afrika versehen, und zwar hauptsächlich aus drei Quellen: dem Sudan, dem Nilbecken und Ostafrika.

1. Der im Süden der Sahara liegende Sudan ist Ein großer Menschenjagdgrund. Von dort bringt man die Gefangenen auf den Sklavenmarkt nach Kuka (Bornu), wo sie von den Händlern gekauft werden, um dann – jährlich etwa zehntausend an Zahl – durch dürre, sonndurchglühte Wüsteneien nach Murzuk (Fezzan) zu marschiren, von wo aus ihre Versendung an die nördliche und die östliche Küste des Mittelländischen Meeres erfolgt. Ihre Leiden unterwegs sind unbeschreiblich; viele erliegen denselben und werden im Stich gelassen. Gerhard Rohlfs bemerkt, daß, wer den Karawanenweg nicht kennt, sich nur nach den rechts und links umherliegenden Gebeinen zu richten brauche. Aus dem Westen des Sudans und aus Timbuktu werden Neger auch nach Marokko gebracht, wo der Mittelpunkt des Handels Sidi-Hamed-u-Mussa ist. In dieser, sieben Tagereisen südlich von Mogador befindlichen Stadt wird alljährlich ein großer Sklavenmarkt abgehalten, von welchem aus die »Waare« in Gruppen oder Trupps nach Fez, Mequinez, der Stadt Marokko u. s. w. abgehen. Marokko führt jährlich 4000 Sklaven ein und der Sultan erhebt einen Werthzoll, der ihm jährlich rund hunderttausend Mark einbringt. Vor wenigen Jahren wurde die Zahl der im Sultanat Marokko lebenden Negersklaven auf etwa fünfzigtausend geschätzt. Im Juli 1895 theilte der nach vieljähriger Gefangenschaft aus dem Sudan entflohene Oesterreicher Slatin Pascha dem Schriftführer der Britischen und Ausländischen Antisklavereigesellschaft mit, der Sklavenhandel stehe im Sudan unter der Aegide des Mahdi mehr als je in Blüthe. Nach jedem Angriff auf einen Nachbarstamm stecke der Chalif alle männlichen Gefangenen in sein Heer, während er die Weiber und Kinder verkaufe – »im Innern, da der Sklavenhandel nach außen verboten ist, wobei freilich oft Schmuggel getrieben wird.« L. K – r.

2. Das sich bis zu den großen Seen erstreckende Nilbecken ist ebenfalls ein riesiges Emporium des Sklavenhandels. Die Räuberbanden, die es verheeren, um die Einwohner fortzuschleppen, stehen zumeist im Solde von Chartumer Kaufherren. Früher wurden die dort erbeuteten Neger häufig nach Egypten eingeschmuggelt, während sie jetzt in der Regel über das Rothe Meer nach der Türkei geschickt werden. Ismail, der Chediv von Egypten, ernannte 1869 Sir Samuel Baker zum Oberbefehlshaber einer beträchtlichen Streitmacht und beauftragte ihn, mit ihrer Hilfe »gegen den Sklavenhandel an dessen fernem Heerd einen unmittelbaren Schlag zu führen.« Nach dem Wortlaut der viceköniglichen Weisungen sollte Baker Pascha »die Länder im Süden von Gondokoro in unsere Gewalt bringen, den Sklavenhandel unterdrücken, einen regelmäßigen Handelsverkehr anbahnen, die großen Aequatorialseen für die Schifffahrt öffnen und ganz Zentral-Afrika mit einer Kette von Militärstationen und Handelsniederlassungen durchziehen.« Viele glaubten, daß es Ismail weniger um die Ausrottung des Negerschachers als um die Ausdehnung seines Länderbesitzes zu thun war; aber Baker dachte anders, faßte seine Aufgabe sehr ernst auf, kehrte 1873 nach Kairo zurück und schrieb in seinem Buche »Ismailia«: »Auf einer 2400 Kilometer langen Strecke von Chartum bis Zentralafrika wurde der Weiße Nil von dem abscheulichen Handel befreit, der bislang seine Gewässer besudelt hatte.« Doch bleibt es trotz seiner eifrigen Bemühungen fraglich, ob ihm wirklich etwas Erkleckliches gelungen war.

Der berühmte Oberst Gordon wurde im Januar 1874 vom Chediv zum »Gouverneur des Aequators« ernannt, damit er Bakers Werk fortsetze. Bald sah er ein, daß er nichts erreichen könne, wenn er nicht über den ganzen Sudan verfüge. Er kehrte daher nach Kairo zurück und ließ sich vom Vizekönig zum Gouverneur des Sudan machen. Er verlegte sich nach Kräften auf die Unterdrückung des Sklavenhandels und bekämpfte, unterstützt von seinem getreuen und tüchtigen Stellvertreter – dem Italiener Romolo Gessi – die Händlerbanden unablässig. 1877 erwirkte er bei der egyptischen Regierung eine Verordnung, des Inhalts, daß der Sklavenverkauf von Familie zu Familie in Egypten binnen sieben, im Sudan binnen zwölf Jahren aufzuhören habe. Als Ismail Pascha zwei Jahre später abdankte, bat Gordon um seine Entlassung und verließ Egypten nach einer erfolglosen Mission in Abessinien. Bekanntlich kam er im Januar 1885 in Chartum als englischer Oberbefehlshaber ums Leben. Fast bis zum letzten Augenblick hatte er gehofft, nach Bahr-el Ghasal, wo Gessi ihn vertrat, gelangen und auf dem Kongo mit Stanley Zusammenwirken zu können. »Wir werden den Sklavenhändlern alle Provinzen wieder abnehmen«, sagte er, aber diese Erwartung blieb unerfüllt und gegenwärtig ist von den guten Ergebnissen der Bemühungen Bakers und Gordons wahrscheinlich keine Spur mehr vorhanden.

Der von Gordon zum Gouverneur der egyptischen Aequatorialprovinzen ernannte Emin Pascha hatte sich jahrelang allein und ohne Unterstützung gehalten und die Verwaltung trotz der größten Schwierigkeiten mit so hohem Geschick gehandhabt, daß Felkin 1879 als Augenzeuge schreiben konnte: »Wären die wilden Thiere nicht, so könnte man das ganze Land ohne andere Waffe als einen Spazierstock durchwandern.« Es glückte ihm, den Sklavenhandel in den von ihm beherrschten Gebieten gänzlich auszurotten. Aber 1885 gerieth er in arge Klemmen, aus denen ihn erst die bekannte Stanley'sche Hilfs-Expedition befreite. Nach seinem Abgang an die Ostküste verfielen seine Provinzen wieder in ihren früheren barbarischen Zustand und hatten unter den Einfällen der arabischen Sklavenjäger und der Anhänger des Mahdi zu leiden.

Während also im Sudan die Zauderpolitik der britischen Regierungen solch beklagenswerthe Folgen hatte, wurden im eigentlichen Egypten recht erfreuliche Ergebnisse erzielt, die hauptsächlich dem Einfluß des britischen Vertreters Sir Evelyn Baring (nachmals Lord Cromer) und der Ehrlichkeit, mit der der Chediv Tewfik Pascha seine Verpflichtungen erfüllte, zu verdanken waren. Großbritannien hatte nämlich, wie vorhin erwähnt, 1877 mit Egypten einen Vertrag geschlossen bezüglich des Handels mit Negern und Abessiniern von Familie zu Familie in allen Gebieten zwischen Alexandrien und Assuan. Das betreffende Verkaufsverbot hätte 1884 in Kraft treten sollen, wurde jedoch anfänglich – in Folge der Schwierigkeit, Beweise zu erlangen – meist umgangen; jetzt aber wird es treulich befolgt und nur selten kommen geheime Verkäufe vor. Eine sehr gut geleitete Sklaven-Abtheilung, die im egyptischen Ministerium zu Kairo besteht, macht es nahezu unmöglich, daß Sklaven ins Land kommen oder daß die bereits vorhandenen ihre Besitzer wechseln. 1894 wurden drei Paschas wegen Ankaufs sudanesischer Sklavinnen kriegsgerichtlich verurtheilt. Zwar ist die Haussklaverei noch immer eine gesetzliche Einrichtung, allein jeder Sklave, der sich von der »Sklaven-Abtheilung« die Freilassung erbittet, erhält sofort einen Freiheitsschein, und in Kairo giebt es ein Heim zum Schutz und zur Beherbergung freigelassener Sklavinnen.

3. Seit langer Zeit lieferte die ostafrikanische Küste dem Sklavenhandel viel »Waare.« Diese kam hauptsächlich aus den südlichen Njassa-Gegenden auf mehreren Wegen nach Ibo, Mosambique, Angoche und Kilimane. Madagaskar und die Komoren-Inseln deckten ihren Bedarf in der Regel von der Mosambique-Küste her. Vor 30-35 Jahren sollen aus den Njassa-Gegenden jährlich etwa 19,000 Sklaven nach Sansibar gebracht worden sein, von wo aus bis 1873 die persischen und arabischen Märkte reichlich beschickt wurden. Livingstone fand die Länder in der Nähe des Rowuma und im Osten des Njassasees durch die Sklavenhändler furchtbar entvölkert. Sieben Tage lang durchzog er im Lande der Wahiao Gegenden, die sich, obgleich früher bevölkert, als völlig menschenleer erwiesen. Auf allen Wegen lagen die Skelette von Eingeborenen umher, die, wenn sie vor Schwäche nicht mehr weiter konnten, von den arabischen oder portugiesischen Karawanenführern umgebracht worden waren; andere Gefangene ließ man aus Mangel an Lebensmitteln zurück und sie mußten verhungern.

Es gelang dem von der englischen Regierung 1873 entsandten Sir Bartle Frere, mit dem Sultan von Sansibar einen die Abschaffung des Sklavenhandels betreffenden Vertrag zu schließen; doch bedeutete das nicht die Ausrottung, sondern nur die theilweise Ablenkung des Schachers. Es heißt, daß viele Sklaven auf dem Landweg auf die Somali-Märkte zu Brava, Merka u. s. w. geschickt werden. Auf Madagaskar, das von der Mosambique-Küste »bezogen« hatte, verbot Königin Ranawalona II. im Juni 1877 die Einfuhr und den Verkauf von Sklaven innerhalb der Howas-Gebiete. Die von den englischen Universitäten sowie der schottischen Staatskirche und der schottischen Freien Kirche im Hochland van Schiré und an den Ufern des Njassa errichteten Stationen haben in diesen Gegenden zweifellos viel zur Abnahme des Sklavenhandels beigetragen. Während einst jährlich nicht weniger als 10,000 Sklaven das südliche Ende des Njassa passirten, sollen es 1876 nur noch 38 gewesen sein. 1880 schätzte der britische Konsul zu Mosambique die Zahl der jährlich von der Küste zwischen den Flüssen Rowuma und Sambesi ausgeführten Sklaven auf rund dreitausend; doch scheint dieser Handelszweig seither in Folge der gestiegenen Nachfrage nach Elfenbein einen neuen Aufschwung genommen zu haben, denn das Elfenbein wird von Sklaven zur Küste getragen, die dann behufs Ausfuhr verkauft werden.

In anderen Gegenden Afrikas giebt es noch andere Sklavenhandels-Quellen, die aber viel weniger bedeutend sind als die drei bisher angeführten. So z. B. gehen von Harar (Somaliland) Karawanen nach Berberah (an der Küste), wo jährlich ein großer Markt abgehalten wird. Die Sklaven holt man aus dem Inneren der Gallaländer, aus Guragwe und aus Abessinien; am geschätztesten sind die abessinischen.

Die Seesperre, die an der Ostküste Afrikas bereits ziemlich lange aufrecht erhalten wird, hat keine großen Erfolge erzielt. Trotz der Wachsamkeit der englischen Kreuzer und trotz der zeitweiligen Anwesenheit italienischer oder anderer Kriegsschiffe wird die Sklavenausfuhr von der sansibarischen Küste und noch mehr von den Ufern des Rothen Meeres – wo wegen der Nähe der arabischen Küste die Händler leicht entwischen – fortgesetzt. Ein gut Theil der Schuld an der Unwirksamkeit jener Ueberwachung liegt an der einseitigen Weigerung Frankreichs, britischen Marineoffizieren das Betreten des Kielraumes der unter französischer Flagge segelnden Schiffe behufs Umschau nach Sklaven zu gestatten. Auf gewissen Stationen soll man gegen Zahlung einer Gebühr leicht die Erlaubniß zum Hissen der französischen Flagge erhalten. Da der Handelsverkehr Frankreichs in jenen Gewässern groß ist und stetig steigt, kann diese Schwierigkeit die maritimen Bestrebungen zur Ausrottung des Sklavenschachers beständig hemmen. Das Hinderniß könnte überwunden werden durch Einführung einer, von allen Westmächten zu unterhaltenden und zu beaufsichtigenden internationalen Seepolizei; einer solchen würde Frankreich das Untersuchungsrecht wohl kaum verweigern. Inzwischen jedoch muß man vornehmlich auf die Wirksamkeit der auf dem Festland anwendbaren Einflüsse und Maßregeln rechnen. Werden die letzteren energisch durchgeführt, so dürfte unseres Erachtens der Sperrversuch aufgegeben oder eingeschränkt werden können; die durch die Seesperre verursachten hohen Kosten ließen sich augenscheinlich besser daran wenden, »die Wurzeln des Uebels zu ergründen und auszurotten«, wie sich Lord Salisbury 1891 ausgedrückt hat.

Im September 1876 lud Leopold II. von Belgien hervorragende Geographen zu sich, um sich mit ihnen über die Erforschung Afrikas und dessen Zivilisirung mittels Entwickelung des Handelsverkehrs und Beseitigung der Sklaverei zu berathen. Aus diesen Besprechungen, bei denen sechs europäische Völker vertreten waren, ging die Bildung einer »Internationalen Afrika-Gesellschaft« hervor, deren Zentralausschuß nach einander sieben Expeditionen von der Ostküste zum Tanganjikasee ausrüstete. Die Erforschung des Kongo durch Stanley lenkte die Aufmerksamkeit auf die Westküste und Stanley ging 1879 im Auftrag der genannten Gesellschaft als Oberbefehlshaber nach Afrika zurück, um diesen Fluß dem Verkehr zu eröffnen. Nach Anerkennung ihrer Flagge und ihrer Gebietsrechte seitens der europäischen Mächte verwandelte sich die »Gesellschaft« in den »Freien Kongostaat«, der keinerlei Einfuhrzölle erheben sollte (eine Bestimmung, die später abgeändert wurde) und in welchem die Angehörigen aller Völker die gleichen persönlichen Rechte und Handelsvortheile genießen sollten. Mit Zustimmung der belgischen Kammern wurde König Leopold das Oberhaupt des neuen Staates, bei dessen Organisirung ihm Stanley erfolgreich an die Hand ging. Im Laufe der Zeit verlor der Kongostaat seinen internationalen Charakter und verwandelte sich in eine belgische Besitzung. Er ist seither vielfach erforscht worden, man hat Handelsstationen errichtet, eine regelrechte Verwaltung eingeführt und den Bau einer Eisenbahn begonnen, die den Kongo entlang laufen und sich weit ins Innere hinein erstrecken wird. Es heißt, daß die Beamten die Eingeborenen zuweilen grausam mißbraucht und wie Sklaven behandelt haben; und derlei ist angesichts der jetzigen Anschauungen über die Pflichten der Europäer gegenüber den niedrigen Rassen nur zu wahrscheinlich.

Auf die Aneignung des Kongogebietes folgte die sogenannte »Theilung Afrikas«. Die verschiedenen Westmächte erhoben Anspruch auf verschiedene Theile des Festlandes auf Grund des vom Berliner Kongreß anerkannten Besitzprinzips der »effektiven Besetzung« nebst angemessenem Schutz für Leben und Eigenthum. Es wurden viele Verträge mit eingeborenen Häuptlingen geschlossen und die internationale Diplomatie schlichtete rivalisirende Ansprüche gütlich, um zu verhindern, daß zu den Waffen gegriffen werde. So entstanden in Afrika die »Interessensphären« der europäischen Regierungen. Ob die letzteren überhaupt das Recht hatten, sich auf dem »dunkeln Kontinent« solche Interessenkreise beizulegen, ist sehr fraglich; aber die Thatsache ihrer Entstehung bleibt nun einmal mit all ihren guten und bösen Folgen eine Thatsache und es kommt jetzt in erster Reihe darauf an, wie die erworbene Macht gehandhabt werden sollte. Und da muß man denn zugeben, daß die Beseitigung des Sklavenhandels wohl schwerlich in nennenswerther Weise hätte gefördert werden können, wenn nicht örtliche politische Ueberwachungen platzgegriffen hätten. Fremde Einmischung in die Angelegenheiten organisirter, geregelter Gemeinwesen pflegt zur Störung oder auch zur Aufhebung einer bestehenden Ordnung zu führen, die vielleicht schwer ersetzbar ist; aber Einmischungsversuche in Afrika, wo größtentheils Willkür und Gewalt herrschten, sind minder bedenklich.

Es wäre zu wünschen gewesen, daß man eine umfassende Einmengung in Afrika verschoben hätte, bis richtige Begriffe von unseren Pflichten gegen die zurückgebliebenen Völkerschaften landläufiger geworden wären als sie bislang sind; allein anderseits müssen wir die schrecklichen Leiden in Betracht ziehen, die die Eingeborenen bei einer solchen Aufschiebung weiter erduldet haben würden – Leiden, gegen welche die Unbill, die sie von den Europäern schlimmstenfalls erdulden müssen, geringfügig ist. Der Ruf nach »nationalen Pflichten« wird zweifellos oft nur als heuchlerischer Vorwand gebraucht, wenn er von Leuten erhoben wird, welche die Besetzung jenes Erdtheils mit gewinn- und selbstsüchtigen Hintergedanken befürworten; immerhin jedoch bestehen solche »nationale Pflichten« wirklich und allenthalben. Was z. B. Großbritannien betrifft, so ist es leicht möglich – und wir halten es sogar für sicher – daß sein überseeisches Weltreich in absehbarer Zeit auseinander fallen wird, um neuen Ländergestaltungen Platz zu machen. Allein solange es aufrecht steht, hat es gegenüber der Menschheit schon durch seinen Bestand Verpflichtungen, die es weder vergessen noch meiden sollte. Da die Macht nothwendig Verantwortlichkeit auferlegt, hat Großbritannien, wie zutreffend behauptet worden ist, »nicht das Recht, seine erstaunliche Weltstellung zu behalten, ohne der Welt Gegengeschenke zu machen.« Zu den Diensten, die England der Menschheit leisten kann, gehört die Förderung der Zivilisirung Afrikas durch deren erste Vorbedingung: die Abschaffung des Sklavenhandels. Es wird durch seine ganze Vergangenheit in diese Richtung gewiesen, denn es hat sich seit langer Zeit zu eifrig für die Unterdrückung des elenden Negerschachers eingesetzt, um »die Kontinuität seiner Moralpolitik« Als Lord Rosebery im Oktober 1892 dieses glückliche Wort Bosworth Smith's billigend anführte, fügte er hinzu: »Ich glaube, daß, nachdem wir uns jenes großen Werks« (Abschaffung der Sklaverei) »einmal angenommen, wir, auch wenn wir wollten, nicht mehr davon abstehen könnten.« unterbrechen zu dürfen. Ohnehin erleichtert ihm die Ausdehnung seiner afrikanischen Besitzung diese Aufgabe beträchtlich und es wird dabei keiner nennenswerthen militärischen Eingriffe bedürfen. Es kann und sollte innerhalb seines Machtkreises thun, was die alten Römer hinsichtlich der von ihnen unterjochten Völker thaten: sie unter allen Umständen zwingen, mit einander Frieden zu halten. Die Hauptaufgabe Englands wird jedoch die sein, den Eingeborenen eine gerechte Behandlung zu gewährleisten und dem friedlichen Gewerbfleiß eine angemessene Entlohnung zu sichern. Es ist nicht nur recht und billig, daß das Mutterland seine Staatsbürger für diese Thätigkeit durch die Förderung ihrer berechtigten Handelsinteressen entschädige, sondern die Aussicht auf eine solche Entschädigung bildet geradezu den Ansporn – die unvollkommenen Menschen können eines Ansporns zum Guten selten entrathen – zu Maßregeln und Schritten, die den Eingeborenen und der ganzen Menschheit zu Gute kommen werden.

Man wird vielleicht – und nicht mit Unrecht – einwenden, daß wir da die Wichtigkeit, welche die beiden Zwecke der Kolonisirung – Gemeinnützigkeit und Gewinnsucht – in den Augen der Handelsherren besitzen, in umgekehrtem Verhältniß aufgefaßt haben. Allein ist es wirklich illusorisch, zu hoffen, daß der höhere der zwei Beweggründe eine erhebliche Rolle spielt oder spielen wird? Zwar müssen wir zugeben, daß die sittlichen Grundsätze, welche für unfern Verkehr mit unterjochten Rassen maßgebend sein sollten, noch nicht genügend gewürdigt und beherzigt werden; aber die alte Politik, diese Rassen lediglich als Ausbeutungsobjekte des Ehrgeizes oder der Habgier einer Hand voll Unternehmer oder Abenteurer zu betrachten, kann heutzutage nicht mehr für haltbar gelten und könnte nicht mehr befolgt werden, ohne auf den Widerstand der besseren Geister zu stoßen. Durch die Autorität der von den örtlichen Verwaltungen vertretenen Zentralregierung lassen sich die selbstsüchtigen Gelüste der Kolonisatoren wirksam zügeln. Von hohem Nutzen wäre ein größeres Maaß von Oeffentlichkeit; man sollte das Thun und Lassen der Regierungs- oder der Gesellschafts-Vertreter allgemein bekannt machen und zur Besprechung bringen. Wir dürfen uns wohl auch der Hoffnung hingeben, daß ein »Wettbewerb zum Guten« entstehen wird, daß die verschiedenen betheiligten Mächte mit einander wetteifern werden in der Herbeiführung friedlicher und gedeihlicher Zustände in ihren »Interessenkreisen« und daß sie ihren Stolz darein setzen werden, die von ihnen abhängigen Völkerschaften in günstiger, materieller und sittlicher Lage zu sehen.

Im Jahre 1888 erstand der Antisklavereisache ein neuer Kämpe, der eine große Macht hinter sich hatte. Papst Leo XIII. betraute den Erzbischof von Algerien und Karthago, Kardinal Lavigerie, mit der Aufgabe, einen Kreuzzug gegen das afrikanische Sklavenwesen zu predigen. Er that dies in Paris und London. In mehreren Hauptstädten Europas wurden durch seinen Einfluß Antisklaverei-Gesellschaften gegründet, die jedoch auf seinen Wunsch eine andere Politik befolgten als der »Britische und Ausländische Antisklavereiverein«. Lavigerie befürwortete nämlich unmittelbares militärisches Eingreifen. Er trat dafür ein, daß eine Truppe von fünf- bis sechshundert Mann nach Afrika geschickt werde, um »die zwei- bis dreihundert Menschenräuber, welche die Länder um die großen Seen herum unsicher machen«, auszurotten. Dieser Plan fand nicht die Billigung der erfahrensten Kenner der afrikanischen Verhältnisse. Sie waren dafür, daß eine Kette von Stationen gezogen werde, auf denen für den Schutz der Eingeborenen und der Faktoreien vorgesorgt sein sollte; allein von einem Angriffsstreifzug ins Herz des Landes hielten sie nichts, da sie glaubten, derselbe würde nutzlos viel Blutvergießen kosten und den Sklavenhandel nur auf andere Wege drängen, aber nicht beseitigen. Sei dem wie immer, so kann man nicht bezweifeln, daß Lavigerie, hätte er länger gelebt (er starb im November 1892), die Flamme der Begeisterung für die Antisklavereisache zu einem hellen Feuer entfacht haben würde.

Ein für diese edle Sache wichtiges und glückliches Ereigniß war der vor Kurzem erfolgte Zusammenschluß der abendländischen und einiger morgenländischen Mächte behufs öffentlicher Verurtheilung des Sklavenhandels – ein Schritt, dem das Eingehen der gegenseitigen Verpflichtung zu dessen Unterdrückung folgte. An ähnlichen Kundgebungen hatte es übrigens auch schon früher nicht gemangelt. 1815 auf dem Wiener Kongreß und sieben Jahre später auf der Konferenz von Verona wurden in Folge Antrags der britischen Regierung Beschlüsse gefaßt, die sich gegen den Sklavenhandel richteten. Auf der Berliner Kongo-Konferenz (1884-5) verpflichteten sich die Mächte, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diesem Schacher ein Ende zu bereiten. 1889 ging man weiter. Auf Anregung der Königin und kraft eines Beschlusses des Londoner Unterhauses sah sich der König der Belgier veranlaßt, die Mächte zu einer Antisklavereiberathung einzuladen, die er am 18. November eröffnete und deren Ergebniß sich in der »General-Akte« vom 2. Juli 1890 verdichtete.

Diese denkwürdige Urkunde zählt als die wirksamsten Mittel, dem Sklavenhandel im Inneren Afrikas entgegenzuarbeiten, die folgenden auf: gute Verwaltungsbehörden für die Kolonien; Vorsorge für militärische Vertheidigungskräfte; Bau von Landstraßen, Telegraphenlinien und Eisenbahnen; Beschiffung der schiffbaren Binnengewässer; Beschränkung der Einfuhr von Feuerwaffen und Munition. Die Signatarmächte (Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Schweden-Norwegen, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Rußland, die Türkei, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Kongostaat, Persien, Sansibar), heißt es, »verpflichten sich, die Unterdrückung des Sklavenhandels in ihren Besitzungen und unter ihrer eigenen Ueberwachung allmählig zu bewirken – nach Maßgabe der Verhältnisse und entweder mit Hülfe der obigen Mittel oder durch andere ihnen angemessen erscheinende Maßregeln.« Die Schiffe der Signatarmächte erhielten die gegenseitige Ermächtigung, in bestimmten Gewässern auf Fahrzeugen von kleinem Tonnengehalt die Schiffspapiere zu prüfen, um die Nationalität der Flagge zu verifiziren, ohne jedoch direkt nach Sklaven zu suchen.

Wenn alle Mächte die Bestimmungen dieser »General-Akte« getreulich und streng durchführen, so kann sich in ihren Besitzungen, die einen sehr großen Theil Afrikas ausmachen, der Sklavenschacher nicht mehr lange halten.

Schon im Anfang ihres Kampfes gegen das Sklavenwesen erkannten Clarkson und Buxton, daß, so wirksam andere Mittel auch seien, das sicherste doch nur in der Entwickelung und Ausgestaltung des allgemeinen Handelsverkehrs in Afrika bestehen könne. Diesen Gedanken führte Buxton in seinem Buch »Der Sklavenhandel und sein Heilmittel« (1840) näher aus. Derselben Aufgabe wollte die unglückselige Niger-Expedition von 1841 dienen. Alle, die sich für den Gegenstand interessiren, sehen immer mehr ein, daß eine solche Lösung des Problems die einzige gründliche ist. Man hatte eine Zeitlang gedacht, daß es möglich wäre, von Sierra Leone aus unter den Eingeborenen des ganzen Erdtheils Kultur und Arbeitsamkeit zu verbreiten, und zu dem gleichen Zweck war 1822 von Amerikanern die Ansiedlung Liberia gegründet worden, die sich nach fünfundzwanzig Jahren in eine unabhängige Republik verwandelte; aber in beiden Fällen blieben die gehegten Erwartungen unerfüllt, was freilich nicht ausschließt, daß sich der Einfluß beider Niederlassungen früher oder später in Verbindung mit mächtigeren Behelfen noch nützlich erweisen kann, umso mehr als gegenwärtig neue und vielversprechende Anstrengungen zur Erreichung des Zieles gemacht werden.

Innerhalb der einzelnen europäischen »Interessensphären« in Afrika wird der Handel eingeführt und ausgedehnt durch die herkömmliche Methode, bevorrechtete Handelsgesellschaften zu schaffen, die durch ihre Freibriefe ermächtigt werden, in bestimmten Landesgebieten Handel zu treiben, mit eingeborenen Häuptlingen Verträge zu schließen, Forts zu errichten, Militär oder Polizei zu unterhalten, Gesetze zu erlassen und durchzuführen. Die bemerkenswerthesten dieser Compagnien sind die Deutsch-Ostafrikanische, die Britisch-Ostafrikanische, die Britisch-Südafrikanische und die königliche Niger-Gesellschaft; sie alle haben sich verpflichten müssen, nach Kräften für die Beseitigung der Sklaverei einzutreten.

Am untern Niger wurde ein britisches Protektorat errichtet durch die Vermittlung der Nationalen Afrika-Gesellschaft, welche von jenem Fluß zuerst Besitz ergriff und in dessen Gebiet einen lebhaften Handel trieb. Auf der Berliner Kongokonferenz erhob Großbritannien Anspruch auf dieses Gebiet; auf Grund eines königlichen Freibriefes und mehrerer Verträge mit Eingeborenenstämmen übt die genannte Gesellschaft, die jetzt Königliche Niger-Compagnie heißt, die Alleinherrschaft aus über beide Ufer des Flusses und seines Nebenstromes Binué. Der Britischen Ostafrika-Gesellschaft, die 1888 entstand, untersteht das im Norden des deutschen Interessenkreises liegende englische Gebiet, das sich bis zum Viktoria Njanza erstreckt. Sie dehnte ihre Thätigkeit auch auf Uganda aus und führte ein britisches Protektorat über den ganzen Landstrich zwischen Uganda und der Küste herbei. Später in Folge finanzieller Schwierigkeiten zum Aufgeben Ugandas genöthigt, übertrug sie ihre dortigen Interessen der englischen Regierung. Als diese sich nach kurzer Zeit aus Uganda zurückziehen wollte, erhob die öffentliche Meinung in England so heftigen Widerspruch, daß Ende 1892 der bekannte Afrikapolitiker Sir Gerald Portal ausgesandt wurde, um den Stand der Dinge an Ort und Stelle zu prüfen. Unter den vielen Gründen, aus denen er von der Zurückziehung aus Uganda rieth, befand sich auch der, daß dieses Land – der natürliche Schlüssel des ganzen Nilthals und der reichsten Theile Zentral-Afrikas – der beste Mittelpunkt für die Antisklavereibestrebungen sein würde. Die Regierung entschied sich für die Beibehaltung und führte eine regelrechte Verwaltung ein.

Als bestes Mittel zur wirksamen Ueberwindung des Sklavenhandels hatte Sir Gerald Portal schon früher den Bau einer Eisenbahn von Mombasa zum Ost-Ufer des Viktoria Njanza, mindestens aber bis Kikuju wärmstens empfohlen. Er drückte seine Ueberzeugung dahin aus, daß jede Verwaltungsorganisation oder jeder Plan zur Hebung dieser Landstriche Stückwerk bleiben müsse, solange die Eisenbahn fehle; ihr Bau würde daselbst, das System der Menschenverfrachtung, das einen großen Theil der Schuld an der Fortdauer des Sklavenhandels trägt, sofort beseitigen und für die Erzeugnisse der Njanza-Regionen einen Ausfuhrhandel schaffen. Die britische Regierung bewilligte 1891 £ 20,000 für die Trassirung der vorgeschlagenen Bahnlinie, lehnte es aber »vorläufig« ab, eine Bausubvention oder eine Zinsengarantie zu gewähren. Das war sehr bedauerlich und wird hoffentlich bald anders werden.

Was die Britische Südafrika-Compagnie betrifft, welche erst 1889 gegründet wurde, so hat sie durch die Eroberung von Matabele-Land viel Aufsehen erregt. Der Feldzug war mit manchen Unzukömmlichkeiten verknüpft, die der Menschen- und Friedensfreund bedauern muß; doch hat er auch sein Gutes gehabt, indem er vielen Stammesfehden ein Ende machte, die Maschonas von den Einfällen, denen sie seitens der Matabeles häufig ausgesetzt waren, befreite und die Möglichkeit der Unterdrückung des Sklavenhandels förderte – letzteres durch die Einsetzung geordneter Verwaltungszustände. Man darf erwarten, daß die in Rede stehende Compagnie sich ihres Sieges durch freundliche Behandlung der Eingeborenen und durch eifrige Bekämpfung des Sklavenwesens würdig zeigen wird. Sehr wichtig für die Antisklavereisache ist auch die den Njassasee mit dem Tanganjikasee verbindende Stevensonstraße, welche mehrere der Sklavenkarawanenwege kreuzt, die vom Herzen des Inneren zur Ostküste führen. Diese Straße verdankt man der Anregung Livingstones.

Der Deutschen Ostafrika-Gesellschaft wurde 1888 vom Sultan von Sansibar die Verwaltung und Zolleinhebung in dem ganzen Küstengebiet zwischen dem Rowuma und dem Umba auf 50 Jahre übertragen. Diese Aenderung rief Unruhen hervor, welche zur Folge hatten, daß der Deutsche Reichstag im Januar 1889 zur Vertheidigung der deutschen Interessen und zur Unterdrückung des Sklavenhandels eine große Summe bewilligte. Unter Wißmann wurde der mächtige arabische Häuptling und Sklavenhändler Buschiri gefangen genommen und hingerichtet. 1890 unterwarfen sich zu Bagamojo viele Stämme der deutschen Oberhoheit. Unter den Verordnungen und Erlässen, die 1891 auf Grund der Brüsseler »General-Akte« in Deutsch-Ostafrika, das inzwischen Reichskolonie geworden war, Gesetzeskraft erlangten, betrafen einzelne auch die Erleichterung der Abschaffung der Sklaverei dadurch, daß man das Darleihen des Loskaufpreises an Sklaven förderte. Freiherr v. Soden beobachtete als Reichskommissär den Eingeborenen gegenüber eine Politik der Friedfertigkeit. 1892 bewilligte der Reichstag abermals einen großen Zuschuß, der zum Theil auch der Unterdrückung des Sklavenhandels zu Gute kommen sollte. Ein Jahr darauf kam mit dem Häuptling von Unjanjembe ein die Beseitigung des Sklavenschachers bezweckender Vertrag zu Stande, während die – seither aufgelöste – Deutsche Antisklaverei-Gesellschaft den Unjanjembesee mit einem Dampfer versah und der Kaiser eine auf das Gerichtsverfahren gegen Sklavenschiffe bezügliche Verordnung erließ.

Sansibar.

Der verstorbene Sultan von Sansibar, Said Burgasch, erließ wiederholt gegen den Sklavenhandel gerichtete Kundgebungen, die jedoch ganz unwirksam geblieben zu sein scheinen. In dem deutsch-britischen Vertrag vom 1. Juli 1890 bekundete England seine Absicht, über Sansibar und Pemba das Protektorat auszuüben. Einen Monat später erließ der Sultan ein Dekret, welches nicht nur den Kauf, Verkauf oder Austausch von Sklaven verbot und die Sklavenmakler, die ihr Geschäft fortsetzen würden, mit schweren Strafen bedrohte, sondern auch verfügte, daß jeder Sklave durch den Tod seines Herrn, falls dieser keine gesetzlichen Kinder hinterlasse, frei werde und daß jeder Sklave jederzeit das Recht habe, gegen mäßiges Entgelt seine Freiheit zu erkaufen. (Die letztere Bestimmung mußte jedoch in Folge der großen Aufregung, die sie bei den Arabern hervorrief, abgeändert werden.) Dieses Dekret war ein Ergebniß der Thätigkeit der britischen Vertreter J. Kirk und E. Smith, die in ihrem Verkehr mit dem Sultan besondere Umsicht an den Tag legten. Hoffentlich wird man bei der Fortsetzung der von diesen beiden eifrigen Männern begonnenen Arbeit ebenso wohlbedacht und stetig Vorgehen wie in Egypten. Es wird nothwendig sein, die auf den Sklavenhandel gesetzten Strafen unnachsichtig anzuwenden. Wie weit sollen die Gerichtshöfe in der Nichtanerkennung des Status der Sklaven gehen? Soll vorübergehend eine planmäßige Eintragung der vorhandenen Sklaven eingeführt werden? Soll die suspendirte Verordnung, die allen nach dem 1. Januar 1890 geborenen Sklavenkindern die Freiheit giebt, in Kraft gesetzt werden? Diese Fragen können nur fähige, gerechte Verwaltungspersonen an Ort und Stelle richtig beantworten, und diese Personen sollten mit thunlichster Schnelligkeit und Entschiedenheit verfahren.

Türkei.

In neuester Zeit haben die Beherrscher des türkischen Reiches die entschiedene Neigung zur Schau getragen, die von den Lenkern der abendländischen Staaten eingeführten Socialreformen nachzuahmen. In dem Ferman von 1846, mittels dessen Mohammed Ali die Regierung der eroberten Sudanprovinzen übertragen wurde, erklärte der Sultan den Sklavenhandel als »den Geboten der Religion und der Gerechtigkeit zuwiderlaufend«. Fermans aus den Jahren 1857 und 1858 untersagten den Sklavenhandel im ganzen ottomanischen Reich. Ein Gesetz von 1889 bestimmte, daß alle schwarzen Sklaven, deren Besitzer nicht durch ein amtliches Zeugniß die Diensteigenschaft derselben nachweisen können, frei sein und Freilassungsscheine empfangen sollen. Das Konstantinopler Zuchtpolizeigericht gewährt Freiheitsscheine allen afrikanischen Haussklaven, die sich darum bewerben. 1890 unterschrieb der Vertreter der Pforte die Generalakte der Brüsseler Konferenz und in demselben Jahre wurden alle Provinzialgouverneure mittels amtlichen Rundschreibens aufgefordert, die Einschmuggelung afrikanischer Sklaven nach Kräften zu verhindern. Seitens der Türkei – und dasselbe gilt von Persien, das die Brüsseler Akte ebenfalls unterzeichnet hat – ist nichts weiter nothwendig als beharrliche Wachsamkeit.

Marokko.

Wahrscheinlich wird es nirgends so schwierig sein, dem Sklavenwesen beizukommen, wie in Marokko. Doch ist es trostreich, zu wissen, daß in diesem Lande die Sklaven gut behandelt werden. Der langjährige Vertreter Großbritanniens daselbst, Sir J. Drummond Hay, schrieb: »Die Herren schenken auf dem Sterbebett ihren Haussklaven fast immer die Freiheit ... und die Freigelassenen verbleiben dann in der Regel als Dienstboten bei der Familie«. Was in Marokko im Argen liegt, ist der Sklavenfang im Inneren und der Transport zu den Märkten; aber solange die Sklaverei bestehen und eine Nachfrage erzeugen wird, dürfte es sehr schwer halten, zu verhindern, daß der Bedarf durch Menschenjagden im Sudan gedeckt werde. Uebrigens sind mit der Einrichtung selbst in ihrer mildesten Form noch andere Uebelstände verbunden, welche die gänzliche Abschaffung höchst wünschenswerth machen.

Das rückschrittliche Wesen des marokkanischen Regierungssystems bildet eine Gefahr für den öffentlichen Frieden und Viele glauben, daß nur die gegenseitige Eifersucht die europäischen Mächte von gewaltsamen Eingriffen abhält. Nun könnte man das mißbilligen und militärischen Druck auf das Sultanat befürworten, insoweit es sich um die Beseitigung des Sklavenhandels und vielleicht sogar der Sklaverei selbst handelt; das Beispiel der Türkei hat ja auch gezeigt, daß eine solche Beseitigung mit dem rechtgläubigen Mohammedanismus vollkommen vereinbar ist. Allein man braucht in Wirklichkeit nicht zu den Waffen zu greifen. Wie überall, darf man sich auch hier auf friedliche Mittel beschränken – auf das stille Wirken socialer Verhältnisse, das allmählige Wachsthum menschenfreundlicher Ideen, die Ausbreitung der Gewerbthätigkeit und des legitimen Handels, den Einfluß gütlicher Vorstellungen.

Die erleuchtetsten Mohammedaner verurtheilen den Sklavenschacher und verachten die Sklaverei. Said Emir Ali fordert in seiner »Kritischen Untersuchung des Lebens und der Lehren Mohammeds« seine Glaubensgenossen auf, »unzweideutig zu verkünden, daß ihre Religion die Sklaverei mißbilligt.« Die Westmächte sollten die moslemitischen Herrscher freundschaftlich und achtungsvoll behandeln, jeden richtigen Fortschritt derselben mit herzlicher Anerkennung begrüßen und sich in Geduld fassen, wenn die eingewurzelten Vorurtheile der orientalischen Völker Reformen verzögern, die dem abendländischen Geist unerläßlich und dringend erscheinen. So oder so ist es sicher, daß früher oder später – langsam vielleicht, aber in absehbarer Zeit – auch im Orient die letzten Spuren von Sklaverei verschwinden werden.


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