August Wilhelm Iffland
Die Jaeger
August Wilhelm Iffland

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Fünfter Aufzug.

Zimmer aus dem vorigen Akt – Alles steht und liegt darinn wie zuvor. Der Oberförster ist allein, er geht herum, nimmt einen Stuhl, sezt ihn von einem Orte weg, gleich darauf wieder hin. – Alles bezeichnet stumme Verzweiflung, in der er nicht weiß, was er thut. Hierauf kommt der Schulz.

Erster Auftritt.

Schulz. Herr Oberförster –

Obfstr. (geht herum und bemerkt ihn nicht.)

Schulz. Lieber Mann – bei der alten Freundschaft!

Obfstr. Gleich – so bald er kömmt –

Schulz. Suchen Sie Sich zu fassen.

Obfstr. Ist der Pastor wieder da?

Schulz. Wir warten auf ihn. – Man muß nicht an aller Hülfe verzweifeln.

Obfstr. Nein – o nein! Was macht meine Frau?

Schulz. Lieber Gott! – tragen Sie, was Sie können. Wenn Sie alles verloren geben, was soll erst die Frau anfangen und das arme Mädchen?

Obfstr. Es ist wahr.

 

Zweiter Auftritt.

Vorige. Pastor.

Pastor. (bleibt oben am Eingange traurig stehen.)

Obfstr. Da ist er! Ach Gott – Nun? Sie kommen von Anton?

Pastor. Ia.

Obfstr. Haben Sie ihn gesehen?

Pastor. Gesprochen.

Obfstr. Gesprochen? Nun, was geben Sie mir für Hoffnung?

Pastor. (mit unterdrückten Thränen, indem er ihn umarmt.) Auf die Gnade Gottes!

Obfstr. O mein Sohn, mein Anton! – Anton! Anton! Anton, mein einziger Sohn! (er wirft sich auf den Stuhl am Tisch.)

Schulz. (er führt den Pastor an die Seite, mit Thränen.) Ist denn gar keine Hoffnung? Gar keine?

Pastor. Alle Beweise sind gegen ihn.

Schulz. Großer Gott –

Pastor. Mir hat das plötzliche schreckliche Unglück so zugesezt, daß ich wenig Trost zu geben weiß, ausser den, er wird ihn nicht lange überleben.

Obfstr. Also Du must fort, Anton – (steht auf.) Wäre Hülfe mir gut – mir würde geholfen! Solls nicht sein? nun, Gott will Dich! – Geh voraus. Ich rechte nicht, ich murre nicht, ich frage auch nicht – aber die Thräne, die ich um Dich weine, wird Gott nicht verwerfen.

Pastor. Weine, unglücklicher Vater! Wir weinen mit Dir.

Obfstr. Ia – die Zeit geht hin. Sagen Sie mir, was ich nun noch für ihn thun kann. Wie ist es zugegangen, daß – – – Erzälen Sie mir alles.

Schulz. Sollte Ihnen das nicht zu hart fallen, wenn Sie es hören?

Obfstr. Ich hoffe, ich werde es ertragen.

Pastor. Anton und Matthes trafen zu Leuthal im Gasthofe zusammen. Sie geriethen heftig an einander. Anton zog; allein die Anwesenden trennten sie glücklich. Matthes ging fort. »Kerl! ich treffe Dich wohl anderswo!« rief Anton in voller Hizze, und verließ bald darauf das Haus. Kurz hierauf findet man Matthes, auf dem Wege nach Graurode, blutend – ohne Zeichen des Lebens. Anton kömmt dazu, erhizzt, verstört – seine Hände und Kleider voll Blut – »Der ist der Mörder« schrieen alle Bauern, »der ists!« Matthes, mit dem Tode ringend, hebt sein brechendes Auge auf Anton und seufzt – »Ia der ists!« – »Ich habe mich mit ihm gestritten, aber ich bin unschuldig«, – sagt Anton – »Du bist der Mörder, ia Du bists« – schrieen alle. Nun führen sie ihn mit sich hieher, und den halbtodten Matthes langsam ihm nach.

Obfstr. O Gott! Gott!

Pastor. Alle, die im Felde und in der Schenke zugegen gewesen sind, zeugen einstimmig gegen ihn. Nichts spricht für seine Unschuld, als das Gewissen des Angeklagten, das aber der Richter auf Erden nicht hört.

 

Dritter Auftritt.

Vorige. Rudolph.

Rudolph. Herr Schulz – Er soll den Augenblick aufs Amt kommen.

Schulz. Gleich. (Rudolph ab.) Herr Pastor, verlassen Sie die Leute nicht. Ach Gott! Ich weiß vor Angst und Wehmuth nicht, was ich thue. (ab.)

Obfstr. Was sagt mein Sohn?

Pastor. Er betheuert laut seine Unschuld – allein –

Obfstr. Ich auch – ich auch. Mein Sohn ist kein Bösewicht, kein Mörder. Ia er ist unschuldig.

Pastor. Seine Heftigkeit –

Obfstr. Ist nicht so arg, wie sein Herz gut ist. Ich sterbe darauf, mein Sohn ist unschuldig.

Pastor. Sein Haß gegen Matthes – alle Umstände – ich fürchte, er ist schuldig. Er erkennt indeß die Gefahr, in die ihn sein Verhängniß gestürzt hat, und wünscht, Sie zu sprechen.

Obfstr. Ich will hin. Ia, Ich will gleich hin.

Pastor. Einen Augenblick nur –

Obfstr. Er verlangt nach mir, wie kann ich noch dastehen –

Pastor. Wird er nicht auch seine Mutter und die unglückliche Friedrike sehen wollen? Wollen Sie Sich und diese in den fürchterlichen Aufenthalt bringen? Die blutigen Kleider, der Zulauf von Menschen – Sie würden das nicht aushalten, und iene Unglücklichen noch weniger.

Obfstr. Ich sollte ihn also gar nicht –

Pastor. Sie müssen ihn sprechen. Ich will bei dem Amtmann alles versuchen daß er hieher gebracht werden darf.

Obfstr. Der Amtmann – ach daran denke ich iezt erst. Armer Anton, Du wirst es büßen müssen, daß Dein Vater Wahrheit sagte.

Pastor. Unglück macht mild, söhnt unsre bittersten Feinde mit uns aus. Ich denke, es soll gehen. Er kann oben herum durch den Garten kommen. Es fängt an dunkel zu werden – man sieht ihn nicht, ich will bitten, daß man ihn ohne Ketten –

Obfstr. Ketten? Mein Gott! – in Ketten –

Pastor. (ihn sanft ergreifend.) Wie sagten Sie vorhin? »Gott will ihn!« Bleiben Sie bei dem Gedanken.

Obfstr. Ia, ia das will ich. Aber – denken Sie – in acht Tagen sollte die Hochzeit sein; wie haben wir nicht so vergnügt da gesessen! – und nun, vielleicht in vier Wochen –? Und seine Mutter, das unglückliche Mädchen und ich! – Anton, Anton! mein einziger Sohn!

 

Vierter Auftritt.

Rudolph. Vorige.

Rudolph. Geht denn niemand aufs Amt? (gerührt.) Er hat schon dreimal geschickt.

Obfstr. Sehn Sie nun – Meinen Hut!

Pastor. Geduld!

Obfstr. Meinen Hut! (Rudolph ab.)

 

Fünfter Auftritt.

Vorige. Schulz.

Schulz. Herr Oberförster – Herr Pastor! Einer von Ihnen muß gleich hin aufs Amt. Ich soll einen Wagen bestellen – der Amtmann hat einen Bericht gemacht, so boshaft, als er gekonnt hat – er will ihn gleich nach der Stadt schicken.

Obfstr. Lassen Sie mich fort.

Pastor. Um Gottes willen nicht!

Obfstr. Ich will den Amtmann sprechen. Ich will den Bericht lesen.

Pastor. Bester Mann.

Obfstr. Ist er falsch, so schieße ich ihm eine Kugel vor den Kopf. Was liegt mir an meinem Leben!

Pastor. Wollen Sie das Schicksal Ihres Sohnes verschlimmern?

Obfstr. Herr, ich bin Vater! Wie meinen Sie, daß mir ums Herz ist! Und ich soll dableiben? Ich kanns nicht, und wenn – meinen Hut! – Rudolph, meinen Hut!

Pastor. Ihr Schmerz macht Sie unfähig, etwas zu unternehmen. Sie schaden Ihrem Sohn.

Obfstr. Schaden?

Schulz. Herr Pastor, es ist die höchste Zeit.

Pastor. Herr Schulz, der Oberförster bleibt bei ihm.

Obfstr. Ich will aushalten. Aber bald müssen Sie kommen, sonst –

Pastor. Gleich. Besorgen Sie, daß mir für Antonen andre Kleider nachgeschickt werden. (ab.)

 

Sechster Auftritt.

Vorige, ohne den Pastor. Bald darauf Oberförsterin.

Obfstr. Rudolph – he! Rudolph. Nun mein guter Schulz – er sieht ia wohl, wo das hinaus geht. – Bete Er für mich, daß sie mich bald aus dem Hause tragen.

Obfstn. (mit langsamen Gange, bleichem Gesicht, mit einem Wesen, das gewaltsam versteckten Schmerz bezeichnet.) Nun, wo bleibst Du denn? Ich habe Dir ia schon zweimal sagen lassen, Du möchtest herunter kommen. – Hier steht auch noch alles –

Obfstr. Laß stehen – Wie geht Dirs? Wie ist Dir?

Obfstn. Gott giebt mir viel Stärke!

Obfstr. Geh gleich – schicke Kleider für Antonen aufs Amt, einen Ueberrock, eine andre Weste.

Obfstn. Warum denn?

Obfstr. Er wird hieher kommen.

Obfstn. Hieher kommen? (fast ohnmächtig – sie hält sich an einem Tisch oder Stuhl.). Ach Gott!

Obfstr. Besinne Dich nicht lange, mach fort!

Obfstn. Kind! – das sollte nicht sein – Er sollte nicht herkommen.

Obfstr. Um Gottes willen! Mach fort.

Schulz. Frau – es ist die höchste Zeit.

Obfstn. (mit inniger Rührung.) Ihr lieben Leute! Scheltet mich nicht – ich bin krank – recht krank! Es ist mein Sohn – ich habe ihn geboren – ich muß ihn ia auch vom Herzen reissen. Ich habe mich ausgeweint, daß ich nicht mehr kann – Aber nun ist mein Anton bei Gott! Habe ich ihn verloren, so will ich ihn auch nicht mehr sehen. Du kannst ohne mich nicht fort – es kennt Dich niemand so, wie ich; Dir will ich beistehen bis an mein Ende – und das ist bald! dann sehe ich ia meinen Anton wieder. Dann nimmt ihn niemand mehr von mir. – Ich will die Kleider hinschicken. (ab.)

Obfstr. Armes Weib! – Das Herz bricht mir.

^Schulz. Eben ist auch Matthes hereingebracht worden.

Obfstr. Lebt er noch?

Schulz. Ia. Ich habe ihn gesehen. Es ist ein Bote nach dem Doktor von Hochfalden geschickt – aber – lieber Gott! Ich glaube nicht, daß er den Abend erlebt.

Obfstr. Das war noch meine lezte Hoffnung! – Nun – es soll sein!

Obfstn. (kommt wieder.) Wie geht Dirs? – ich wollte, Du könntest eines von den niederschlagenden Pulvern einnehmen.

Schulz. Ia – das wäre wohl recht gut.

Obfstn. Nimm es, lieber Mann.

Obfstr. (sie sanft zurückweisend.) Ach – laß mich.

Obfstn. Es that Dir doch sonst immer recht wohl.

Obfstr. Wozu brauche ich nun noch Leben und Gesundheit auf der Welt!

Obfstn. Für mich – so wie ich für Dich. Wir müssen einander tragen helfen.

 

Siebenter Auftritt.

Vorige. Pastor.

Pastor. Lieben Leute – unsere Zeit ist kurz, fragt mich nicht, laßt mich einen Augenblick allein in dem Zimmer.

Obfstr. Ist er da?

Obfstn. Anton –

Pastor. Nein – aber er wird kommen. Der Amtmann, den ich unter dem Gewühl von Menschen nicht recht sprechen konnte, hat mir versprochen, augenblicklich hieherzukommen. – Wie? – Still! Ich höre gehen. Herr Schulz, sehe er zu, ob es der Amtmann ist – (S. ab.) Aber allein mögte ich gern mit ihm sein.

Obfstr. Nein. Ich will bleiben. Ich muß ihn fragen –

Schulz. Er kömmt schon die Treppe herauf.

Pastor. Also –

Obfstn. Komm! Du taugst nicht zum Amtmann, und iezt gar nicht. (sie führt den Obfstr. ab. Schulz geht durch die Mittelthür.)

 

Achter Auftritt.

Pastor und Amtmann.

Pastor. (geht ihm entgegen und faßt ihn bei der Hand.) Meinen besten herzlichsten Dank dafür, daß Sie kommen und so bald kommen.

Amtmann. Ganz wohl. Nur zur Sache.

Pastor. Herr Amtmann! Ich denke, Sie werden zufrieden mit sich und mir von hier weggehen.

Amtmann. Das soll mir lieb sein. Nun? –

Pastor. Ich will Ihr Verständniß mit einem Freunde wieder erneuern, der seine alten, heiligen Rechte auf Sie geltend – und uns minder elend machen wird.

Amtmann. Der wäre?

Pastor. Ihr Herz – dem Sie Gehör geben werden.

Amtmann. Hm! Zur Sache und kurz. Die Umstände eilen; eilen Sie auch!

Pastor. Eilen? – Es gilt ein Menschenleben.

Amtmann. Warum zogen Sie mich hieher? Wollen Sie mich dem Geheul der Leute aussezzen.

Pastor. Sie sollen Niemanden sehen. Das versprach ich, dabei bleibts!

Amtmann. Nun, warum bin ich also hier?

Pastor. Vergönnen Sie mir eine Vorstellung. – Der Anblick des Volks, die Schande, die den Unglücklichen sogleich von allen Rechten der Gesellschaft ausschließt, scheinen nicht nur eben so viele Ankläger des Verbrechers zu sein, sondern sie werden auch fast Beweise gegen ihn.

Amtmann. Das ist ungemein sonderbar geschlossen.

Pastor. Hören Sie mich. – Die ganze Menschheit steht gegen den Unglücklichen auf. »Rache, Strafe!« – ist die allgemeine Empfindung. Der Richter ist Mensch – Diese Stimmung theilt sich ihm mit, läßt Handlungen beschliessen, gegen welche das spätere Mitleid kraftlos ist! – In diesem Fall waren Sie, als Sie den Bericht gegen den Unglücklichen machten. – Hier wo Sie stehen – an diesem Tische, wo Sie vor wenig Minuten von der liebenswürdigen Familie umgeben waren – hier müssen gewisse Erinnerungen eine sanftere Stimmung bewirken. – – Hier – hier lesen Sie Ihren Bericht noch einmal, und sagt Ihr Herz Ihnen hier nichts – – so schicken Sie ihn fort und beten für die Unglücklichen um Trost!

Amtmann. Sie irren sich, mein Herr, Sie irren sich. Dies empfindsam ausgesonnene Stückchen darf den Richter nicht beugen.

Pastor. Sein Sie immer rauh und hart – mich beleidiget nichts – es gilt ein Menschenleben!

Amtmann. Habe ich nicht genug gethan, da ich verstatte, daß er hieher kömmt?

Pastor. Viel – darum erwarte ich Alles.

Amtmann. Schreien nicht alle Beweise laut gegen ihn?

Pastor. Die Beweise sind Geschrei; eben darum sind sie mir verdächtig.

Amtmann. Nun – Sie haben alles gehört und gesehen; was ist denn Ihre Meinung?

Pastor. Es ist viel, fast aller Anschein gegen den iungen Menschen; aber um so weniger Beweise.

Amtmann. Das Zeugniß des Sterbenden –

Pastor. (zuckt die Achsel.)

Amtmann. Nun?

Pastor. Darüber richte Gott!

Amtmann. Also sind wir fertig. Und ich gehe sehr unzufrieden von Ihnen weg. In alles mischen Sie sich, und überall wollen Sie die Hand im Spiel haben.

Pastor. Mein Herr, Ihre Art ist – – doch – weg mit dieser Aufwallung – es gilt ein Menschenleben!

Amtmann. (sieht nach der Uhr.)

Pastor. Vergönnen Sie mir noch eine Frage.

Amtmann. Nun?

Pastor. Sie haben Streit mit dem Vater des Unglücklichen gehabt – Sie handeln doch wohl ohne Rache?

Amtmann. Herr – wofür halten Sie mich?

Pastor. Für einen Menschen.

Amtmann. Glauben Sie, daß ich Gedächtniß für pöbelhafte Beleidigungen habe?

Pastor. Sind Sie von den Beweisen überzeugt, wonach Sie handeln?

Amtmann. Was kann mich verbinden, solche Fragen zu beantworten!

Pastor. Getrauen Sie sich, auf den Bericht, welchen Sie von der Sache gemacht haben, plözlich vor Gott zu erscheinen?

Amtmann. Sie nehmen sich heraus, mir Dinge zu –

Pastor. Mann! Das Sterben des ungerechten Richters ist schrecklich. Nicht der Prunk frommer Stiftungen, nicht bezahlte Fürbitten mildern die Angst der Seele – Zagen der Verzweiflung macht die Leiden des Körpers entsezlicher. Niemand – nimmt Antheil; selbst die nicht, die er bereichert hat. Die Umstehenden beten und zweifeln. Mit Schauer sehen sie der abgeforderten Seele in das ewige Dunkel nach – und verlassen die Hülle mit Grausen.

Amtmann. Wozu soll denn der Galimathias am Ende?

Pastor. Weg mit dem Ausdruck; er ist unter Ihnen, wenn ich ihn auch verzeihe. – Sie sind kränklich; daß Sie mich iezt werfen, könnte Ihnen einst schrecklich beifallen, zu einer Zeit, wo Sie Trost aus meinem Gesicht wollen.

Amtmann. Da der iunge Mensch so ausserordentlich hartnäckig auf seiner Unschuld besteht; so will ich, um allen Zweifel zu heben und auf den wahren Grund zu kommen – ich will darauf antragen, daß man ihm die Tortur giebt. Bleibt er standhaft, so ist es eine offenbare Fügung des Himmels, der seine Unschuld an den Tag legt und mein Gewissen befreiet.

Pastor. Unmensch! Sie häufen auf böse Thaten verdammenden Spott. Ich lasse ab von Ihrem Herzen. Gott führt die Sache dieser Unglücklichen – Er wird sie retten, oder ihnen Kraft zu tragen geben. Hat dieser Jüngling in gereiztem Zorn gemordet – er büßt. – Ihm wird verziehen. Aber Ihre Gemordeten, Ihre langsam Gemordeten, werden einst in lebendigen Gestalten die Ankläger Ihrer Unthaten sein! Sie denken an den Augenblick, Sie fürchten ihn – Prahlen Sie immer mit Starkgeisterei! Sie glauben Gott und Zukunft, das weiß ich. Sie glauben und zittern! – Gott vergebe Ihnen!

(er will aus der Mittelthür gehen.)

Amtmann. (indem er nach der Gassenseite geht, sagt er ihm noch schnell nach:) Recht so! Mit dem Himmel gedrohet, wenn wir auf Erden nicht weiter können.

 

Neunter Auftritt.

Vorige. Oberförsterin.

Obfstn. Herr Amtmann – werther Herr Amtmann!

Amtmann. (kehrt zurück.) Was giebts?

Pastor. (der geblieben war, wie sich die Thür der Oberförsterin öffnete.) Verschwenden Sie kein Wort an diesen Unmenschen. – Kommen Sie.

Obfstn. Herr Amtmann, gehen Sie nicht, ich muß Sie sprechen.

Pastor. Schonen Sie der leidenden Mutter, so will ich gern geduldet haben. (zur Oberfstn.) Ich bin bald wieder hier. (ab.)

 

Zehnter Auftritt.

Amtmann. Oberförsterin.

Obfstn. Ach Herr Amtmann –

Amtmann. Nun, was solls werden?

Obfstn. Lassen Sie mir nur Zeit – haben Sie nur ein wenig Geduld, Gott hat sie ia mit uns.

Amtmann. Zur Sache, zur Sache!

Obfstn. Ia, ia – gern. Von Herzen gern. Wenn Sie mich – – aber – erlauben Sie, ich muß mich sezzen.

Amtmann. Was wird das?

Obfstn. Herr! Ich bin alt – habe manches Kreuz auf der Welt getragen – habe viel ausgestanden – aber heute hat es mich zusammen geworfen. – Nun kann ich nicht weiter. Meinem Manne verberge ich es, so viel ich kann. Aber Herr Amtmann! Mutterherz geht über alles, und der Sohn sollte der Trost meiner alten Tage sein! In acht Tagen sollte er heirathen. Und hätte Gott meinen alten Mann zu sich genommen, so hätte der mich pflegen sollen; und nun – der Athem vergeht mir – Oh – Oh! Lassen Sie mich ausweinen. (sie steht auf und geht verzweiflend umher.) Das Herz will mir zerspringen.

Amtmann. Lieber Gott, es thut mir leid – es ist Schade um sein iunges Leben. Indeß alles, was Sie mir gesagt haben, hat mir der Herr Pastor schon gesagt.

Obfstn. (schnell.) Nein, nein, das hat er nicht. O das kann er nicht. Er ist ein gelehrter Mann, ein guter Mann, er meint es gut mit uns, er hat Antonen lieb – aber ich habe ihn geboren! Drei und zwanzig Jahre lang habe ich ihn mit Angst und Freude heraufwachsen sehen – drei und zwanzig Jahre habe ich meine Hoffnung auf ihn gesezt. Was ich für ihn sagen kann, das kann kein Mensch sagen! Kein Mensch – und auch sein Vater nicht – ich habe ihn geboren! Mutterliebe geht über alles. Ich weiß, wie ich gebetet habe, in der Stunde als er zur Welt kam, daß ihn Gott gut und fromm werden lassen möchte; und er ist brav geworden und kann kein Mörder sein. Ich weiß, wie er erzogen ist, ich muß es vor Gott verantworten, und ich habe keinen boshaften Mörder an ihm erzogen!

Amtmann. Sagen Sie mir nur, was Sie iezt von mir wollen?

Obfstn. Was ich will? Herr Amtmann! Sie haben ia auch zwei Kinder. Sie wissen warhaftig, was ich will.

Amtmann. Das Geschehene kann ich nicht ungeschehen machen.

Obfstn. Kann Geld meinem Anton helfen? Nehmen Sie unser halbes Vermögen, nehmen Sie es ganz – wenn wir ihm nur das Leben retten. Wir wollen uns verschreiben, mein Mann und ich, alles was wir noch erwerben, wollen wir gern hergeben, wenn er nur das Leben behält. O ich will arbeiten Tag und Nacht, ich will für Ihre Kinder arbeiten, ich will nur trocknes Brod und Wasser haben, wenn ich meinem Anton das Leben erhalte.

Amtmann. Ich wills wünschen! Aber – –

Obfstn. Herr Amtmann, sein Sie barmherzig! Sie werden Segen an Ihren Kindern haben.

Amtmann. Ich kann nichts bei der Sache thun.

Obfstn. (sie kniet.) Herr Amtmann, sein Sie barmherzig, lassen Sie mich nicht in Verzweiflung weggehen!

Amtmann. Was der Hof beschließt. Ich übergebe die Sache dem Hof.

Obfstn. (aufstehend.) Nun, lieber Gott! So übergebe ich ihn Dir! Wenn du ihn retten willst, du kannst es. Thun Sie nach Ihrem Gewissen. Das Leben geht mir aus – beten kann ich nicht – Du hast mir ihn gegeben, du siehst meine Angst. Du wirst ihn erhalten – oder mein Leben barmherzig enden. (sie will fort.)

 

Eilfter Auftritt.

Vorige. Oberförster.

Obfstr. Bleib! – O Herr – ich will Ihnen warlich nicht lästig werden. – Ist mein Sohn ein Mörder, so muß er sterben. Aber, wenn er es nicht ganz gewiß ist; – so ein Prozeß dauert bei uns nur vier Wochen. Auf Bericht und Art kömmt viel an. – Sein Sie menschlich. Ich will nur genaue, gewissenhafte Gerechtigkeit. Wenn Sie meinem Sohn das Leben retten können, hier ist eine Schenkung meines Vermögens: gebrauchen Sie es, wozu Sie wollen. (er legt das Papier auf den Tisch.)

Amtmann. Der Bericht ist genau und gewissenhaft, das Zeugenverhör liegt dabei, es kömmt nun auf den Hof an. –

Obfstr. (sieht ihn stark an.) – Gedulden Sie Sich einen Augenblick. (er geht in das Kabinet.)

 

Zwölfter Auftritt.

Vorige. Friedrike.

Friedrike. (der Oberfstr. führt sie, sie ist bleich, mit zerstreutem Haar, verschobnem Tuch, sie hat nur einen Schuh an, öffnet ihre Augen nicht, und wimmert nur.) Mein Vater, o mein Vater!

Obfstr. (legt sie der Obfstn. in die Arme.) – Das ist die Mutter des Unglücklichen, ich bin der Vater, das ist die Braut – sehn Sie uns an – ich frage Sie – Ist der Bericht gewissenhaft?

Amtmann. – – Ja – –

Obfstr. In vier Wochen wird meinem Sohn der Kopf abgeschlagen.

Friedrike. (klammert sich an die Obfstn.) Ach Gott, erbarme dich!

Obfstr. Hier habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen; aber vor Gottes Richterstuhl werde ich Sie wieder fragen. War der Bericht gewissenhaft? Nun ists gut. Schicken Sie den Bericht und das Zeugenverhör fort – aber sagen Sie dabei – was Sie iezt sehen und was ich Sie gefragt habe.

(man hört vor der Thüre eine Kette fallen.)

Obfstr. Was ist das? Still! (man hört noch eine.)

Amtmann. Ihr Sohn wird gebracht sein –

(Zugleich:)

Obfstn. Ach Gott, mein Anton –

Friedr. Mutter, Mutter! Gott steh mir bei.

Obfstn. Friedrike! – sie ist ohne Sinne! sie wird mir unter den Händen wegsterben.

Obfstr. Dann ist ihr wohl.

Amtmann. Ich bedaure sehr, daß ich Sie nicht ungestört lassen kann; aber die Pflicht will, daß diese Unterredung nicht ohne Zeugen sei.

Obfstr. Wenn Sie es aushalten können, wir haben keine Geheimnisse.

 

Dreizehnter Auftritt.

Vorige. Anton.

(Zugleich:)

Anton. Vater – Mutter.

Obfstr. (umarmt ihn.)

Obfstn. Ach Gott! Was hast Du gethan?

Anton. Friedrike! – (sie liegt sinnlos in einem Stuhl.) Friedrike, ach Gott! Nur ein Wort, nur noch einmal sprich mit mir, ehe ich sterbe. Friedrike – Friedrike! nur einen einzigen Laut! O Vater, sie ist todt, sie ist wahrhaftig todt! Mich verstossen, das Mädchen getödtet! – Vater, Sie haben viel auf der Seele.

Obfstr. Alles war einig. Deine Hochzeit sollte in acht Tagen sein, aber Du hörtest nicht, liefst wie ein unsinniger Mensch von Deinen Eltern weg. Nun stehen wir da und raufen uns die Haare aus. – Sieh Deine Mutter, Deine Braut, mich – Das ist der Lohn für Ungehorsam eines Kindes!

Anton. Vergebung mein Vater! – liebe Mutter! – ach Gott! bin ich denn zum Unglück geboren? O ich bin unschuldig, ich bin warhaftig unschuldig! – Es wird an den Tag kommen, wenn ich todt bin – Friedrike, Friedrike! – schlag Deine Augen nur noch einmal auf – o ruft sie doch – ruft! Man kann sie noch einmal aufschreien. – Friedrike!!! Nur ein einziges mal noch – sieh mich an – (sie hebt ihre Augen auf.) Sie lebt – Friedrike, kennst Du mich nicht? Kennst Du Deinen Anton nicht? Nein ich kann nicht sterben – ich bin wahrhaftig unschuldig.

Obfstr. Sohn – sie ist hin! Störe sie länger nicht. – Ich kann nicht mehr – wir müssen scheiden.

Fr. (streckt die Arme nach ihm.) Anton! –

Anton. O Gott! – Du hast mich genannt – nun ist es gut, Du hast Abschied von mir genommen. Du stirbst, ich auch – wir sehen uns bald wieder! Vater – Mutter! – Segnet uns.

(Obfstr. Obfstn. umarmen Fr. und Anton.)

 

Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Pastor. Schulz. Rudolph.

Rudolph. Herr Oberförster, um Gottes willen.

Schulz. (in höchster Freude.) Matthes kömmt davon; der Doctor sagt es, und –

Pastor. Der alte Friz hat Matthes verwundet. Anton ist unschuldig.

(Zugleich:)

Obfstr. Anton?

Obfstn. Ach mein Sohn, mein Sohn!

Fr. – O Gott! (sinkt in Antons Arme. Alle stehen erstarrt.)

Anton. Friedrike – Vater! Mutter – wie ist Euch?

Obfstr. (fällt auf die Knie.) Gott ich danke Dir – ich danke Dir.

Past. Amt. Fr. Rud. S.. Wir alle – Alle!

Anton. Seht Ihrs nun? – ich bin unschuldig – seht Ihrs?

Obfstn. O Junge, Junge!

Amtmann. Wenn es nur wahr ist!

Pastor. Man wird Sie gleich abrufen. Wie der alte Friz hörte, daß man Antonen beschuldigte, kam er nach, lieferte sich selbst ein. Matthes ist ihm unterwegs begegnet, hat ihn gereizt; darauf hat er ihn verwundet. – Matthes hat sich von der starken Verblutung erholt, die Wunde ist nicht tödtlich und sein eignes Geständniß bestätigt alles.

Amtmann. Gott sei gelobt!

Obfstr. O mein Sohn – Anton, Anton, Anton! Mein einziger Sohn. (er wirft das Papier hin.) Da, Herr, ist meine Habschaft, (wirft den Beutel hin.) da nehme Er Haus und Hof, (reißt die Weste auf.) nehme er alles, ich behalte doch mehr, als Er – ich habe meinen Sohn wieder. O Anton, Anton, mein einziger Sohn! Matthes lasse ich kuriren, den alten Friz vertrete ich vor unserm Fürsten selbst.

Fr. O Anton, Du lebst!

Obfstn. Er lebt und ist unschuldig und wird Dein Mann, Du wirst meine Tochter!

Obfstr. (legt ihre Hände zusammen.) Gott segne uns und Euch und alle Welt! – (rasch zum Amtmann.) Herr Amtmann! Gott beßre Sie, und segne Sie auch! So wahr Gott lebt, es kömmt vom Herzen.

Obfstn. Gott! Wie ist mir zu Muthe! – ich zittre vor Freude und Mattigkeit.

(Amtsbediente ruft den Amtmann ab.)

Obfstr. Da – da ist ein Glas Wein, stärke Dich! – Schulz trinke Er auch! Sie auch, Herr Pastor! – Rudolph, das ganze Haus soll froh sein. – Alte, mach Deinen Keller auf! gieb alles her, was Du hast, Alles! Wie hieß es vorhin: »Und wüßten wir, wo iemand traurig läge« – Wir sind häßlich gestört.

Pastor. – Jezt Kinder– Jezt, zwanzig Jahr wie heute!

Alle. Zwanzig Jahr wie heute!

Obfstr. Kinder – Gott mache alle Welt glücklich! Uebrigens – das Leiden vergessen – mit Frölichkeit lobt man Gott am besten – wir wollen nicht stumm sein, wir wollen Gott laut loben, und denken mit guten (er nimmt ein Glas, giebt ein anderes der Obfstn., der Schulz bringt es Antonen und Friedriken. Der Pastor nimmt auch eins. Der Oberförster hat den Arm um seine Frau gelegt.) Handlungen, so lange wir auf der Welt sind. Jezt fröhlich und guter Dinge! – Wer's gut meint, folgt mir nach. (er singt.)

So trinkt, so trinkt! – (alle fallen ein) Und laßt uns allewege
    Uns freun und frölich sein.
(Der Vorhang fällt.)
Und wüßten wir, wo iemand traurig läge –
    Wir gäben ihm den Wein!

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