Henrik Ibsen
Die Wildente
Henrik Ibsen

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Vierter Akt

Ekdals Atelier.

Eben ist eine photographische Aufnahme gemacht worden; ein Apparat mit einem Tuch darüber, ein Stativ, ein paar Stühle, eine Konsole und dergleichen stehen umher. Nachmittagsbeleuchtung; die Sonne will untergehen; es beginnt schon zu dunkeln.

Gina steht in der offenen Flurtür, mit einem kleinen Kasten und einer nassen Glasplatte in der Hand, und spricht mit jemand draußen.

Gina. Ja, ganz bestimmt. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich's auch. Montag ist das erste Dutzend fertig. – Empfehle mich, empfehle mich!

Man hört jemand die Treppe hinuntergehen. Gina schließt die Tür, steckt die Platte in den Kasten und schiebt ihn in den verdeckten Apparat.

Hedwig kommt aus der Küche. Sind sie weg?

Gina räumt auf. Ja, Gott sei Dank; nun bin ich sie endlich los.

Hedwig. Aber verstehst Du, warum Vater noch nicht zu Hause ist?

Gina. Bist Du sicher, daß er nicht unten bei Relling ist?

Hedwig. Nein, da ist er nicht; ich bin die Hintertreppe hinuntergerast und habe eben nachgefragt.

Gina. Und da steht nun auch sein Essen und wird kalt.

Hedwig. Ja, denk nur, – Vater, der immer so pünktlich zu Mittag nach Hause kommt!

Gina. Ach, jetzt kommt er gleich, das wirst Du sehen.

Hedwig. Ja, wäre er nur erst da; er kommt mir jetzt so wunderbar vor.

Gina ruft: Da ist er!

Hjalmar kommt durch die Flurtür.

Hedwig ihm entgegen. Vater! Was wir auf Dich gewartet haben!

Gina schielt zu ihm hinüber. Du bist mächtig lange weg gewesen, Ekdal.

Hjalmar ohne sie anzusehen. Ich war etwas lange aus, ja.

Zieht den Überzieher aus; Gina und Hedwig wollen ihm helfen; er verwehrt es ihnen.

Gina. Du hast wohl mit Werle gegessen?

Hjalmar hängt den Rock an den Haken. Nein.

Gina geht an die Küchentür. Dann werde ich Dir das Essen hereinbringen.

Hjalmar. Nein, laß nur sein. Ich esse jetzt nicht.

Hedwig kommt näher. Ist Dir nicht gut, Vater?

Hjalmar. Gut? Ach ja, so leidlich. Gregers und ich haben einen anstrengenden Spaziergang gemacht.

Gina. Das solltest Du nicht tun, Ekdal; denn das bist Du nicht gewöhnt.

Hjalmar. Hm! Es gibt gar manches auf der Welt, an das ein Mann sich gewöhnen muß. Geht ein wenig umher. War jemand da in meiner Abwesenheit?

Gina. Nur die beiden Brautleute.

Hjalmar. Keine neuen Bestellungen?

Gina. Nein, heute nicht.

Hedwig. Du sollst sehen, Vater, morgen wird schon einer kommen.

Hjalmar. Hoffen wir das Beste! Denn morgen denke ich allen Ernstes anzufassen.

Hedwig. Morgen! Aber hast Du denn vergessen, was morgen für ein Tag ist?

Hjalmar. Ach, ist ja wahr –. Also dann übermorgen. Von jetzt an will ich alles selbst tun; ich will alle Arbeit ganz allein verrichten.

Gina. Aber wozu denn das, Ekdal? Damit machst Du Dir ja bloß das Leben sauer. Die Photographiererei, die besorge ich schon. Kümmere Du Dich nur um Deine Erfindung.

Hedwig. Und auch um die Wildente, Vater, – und um die Hühner und Kaninchen und –!

Hjalmar. Red' mir nicht von dem Krempel! Von morgen ab setze ich keinen Fuß mehr auf den Boden.

Hedwig. Aber Vater, Du hast mir doch versprochen, morgen sollte eine Veranstaltung –

Hjalmar. Hm, ist ja wahr. Na, dann also von übermorgen ab. Der verdammten Wildente möchte ich am liebsten den Hals umdrehen!

Hedwig schreit: Der Wildente!

Gina. Hat einer so was gehört!

Hedwig rüttelt ihn. Aber, Vater, – es ist doch meine Wildente!

Hjalmar. Deshalb tue ich es ja auch nicht. Ich habe nicht das Herz dazu, – nicht das Herz dazu, Hedwig, weil Du's bist. Doch in meinem Innersten habe ich das Gefühl, daß ich es tun müßte. Ich dürfte unter meinem Dache keine Kreatur dulden, die in den Händen gewesen ist.

Gina. Herrgott nein, – weil Großvater sie von dem schoflen Pettersen gekriegt hat, so –

Hjalmar geht umher. Es gibt gewisse Ansprüche–. Wie soll ich sie nur nennen? Sagen wir: ideale Ansprüche, – gewisse Forderungen, über die sich ein Mann nicht hinwegsetzen kann, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen.

Hedwig geht hinter ihm her. Aber –, die Wildente, – die arme Wildente!

Hjalmar bleibt stehen. Du hörst ja, ich schone sie – Dir zuliebe. Ihr soll kein Haar gekrümmt werden auf – na, wie gesagt – ich schone sie. Es gibt ja auch größere Aufgaben, an die man sich machen kann. Aber jetzt sollst Du ein bißchen ausgehen, Hedwig, wie gewöhnlich. Es ist jetzt gerade für Dich so hübsch schummrig.

Hedwig. Nein, ich mag jetzt nicht ausgehen.

Hjalmar. So tu es doch; mir kommt es vor, Du zwinkerst so mit den Augen. Diese Dämpfe hierdrin tun Dir nicht gut. Unter dem Dach hier ist dumpfe Luft.

Hedwig. Na ja; dann laufe ich die Hintertreppe hinunter und gehe ein bißchen weg. Hut und Mantel –? Ach, die sind drin bei mir. Vater, – tust Du der Wildente auch gewiß nichts zuleide, während ich aus bin?

Hjalmar. Kein Federchen soll von ihrem Haupte. Drückt sie an sich. Du und ich, Hedwig, – wir beide –! Na, jetzt geh nur.

Hedwig nickt den Eltern zu und geht durch die Küche ab.

Hjalmar geht umher, ohne aufzublicken. Gina.

Gina. Ja?

Hjalmar. Von morgen ab – oder sagen wir lieber von übermorgen ab – möchte ich gern das Wirtschaftsbuch selbst führen.

Gina. Das Wirtschaftsbuch willst Du jetzt auch führen?

Hjalmar. Ja, oder doch wenigstens Kenntnis nehmen von den Einkünften.

Gina. Ach du lieber Himmel, das ist bald geschehen.

Hjalmar. Das ist kaum anzunehmen. Denn es kommt mir vor, als ob das Geld bei Dir merkwürdig lange vorhielte. Bleibt stehen und sieht sie an. Wie geht das zu?

Gina. Weil Hedwig und ich so gut wie nichts brauchen.

Hjalmar. Ist es wahr, daß Vater seine Schreibereien vom alten Werle so gut bezahlt kriegt?

Gina. Ich weiß nicht, ob das so gut bezahlt ist. Ich kenne nicht den Preis von so was.

Hjalmar. Nun, was kriegt er denn so ungefähr? Laß mich hören!

Gina. Es ist sehr verschieden; es wird wohl ungefähr das sein, was er uns kostet, und dann noch ein kleines Taschengeld.

Hjalmar. Was er uns kostet! Und das hast Du mir nicht früher gesagt!

Gina. Nein, das konnte ich nicht; Du warst doch so vergnügt in dem Glauben, er bekäme alles von Dir.

Hjalmar. Und nun bekommt er es von diesem Werle?

Gina. Na ja, der alte Werle, der hat doch noch immer genug.

Hjalmar. Steck' die Lampe an!

Gina steckt sie an. Und dann wissen wir doch auch nicht, ob es Werle selbst ist; es kann ja ebenso gut Gråberg sein –

Hjalmar. Was soll diese Ausrede mit Gråberg?

Gina. Ich weiß nicht; ich dachte bloß –

Hjalmar. Hm!

Gina. Ich habe ja doch dem Alten nicht die Schreiberei verschafft. Das war Berta, – als sie da ins Haus kam.

Hjalmar. Mir scheint, Deine Stimme bebt.

Gina setzt den Schirm auf die Lampe. Meine Stimme?

Hjalmar. Und Deine Hände zittern. Oder etwa nicht?

Gina fest. Sag's grade heraus, Ekdal. Was hat er da von mir gesagt?

Hjalmar. Ist es wahr, – kann es wahr sein, daß – daß zwischen Dir und Werle eine Art Verhältnis bestanden hat zu der Zeit, als Du in seinem Hause dientest?

Gina. Das ist nicht wahr. Nicht damals – das nicht. Werle stieg mir nach; das hat er getan. Und seine Frau glaubte, es wäre was dran, und da machte sie'n Hokuspokus und 'n großen Trara und schlug mich und zankte mich aus; ja, das tat sie; – und da ging ich aus dem Dienst.

Hjalmar. Dann also später?

Gina. Ja, da kam ich doch nach Hause. Und Mutter – die war nicht so rejell, wie Du geglaubt hast, Ekdal; sie redete und redete das Blaue vom Himmel herunter; denn Werle, der war ja doch Witwer geworden.

Hjalmar. Nun, und dann?

Gina. Ja, es ist besser, Du bekommst es zu wissen. Er ließ mir keine Ruhe, bis er seinen Willen hatte.

Hjalmar schlägt die Hände zusammen. Und das ist die Mutter meines Kindes! Wie konntest Du mir so etwas verschweigen!

Gina. Ja, das war unrecht von mir; ich hätte es Dir schon lange sagen sollen.

Hjalmar. Gleich hättest Du mir es sagen sollen; – dann hätte ich doch gewußt, was für eine Du warst.

Gina. Aber hättest Du mich dann doch geheiratet?

Hjalmar. Wie kannst Du so etwas denken!

Gina. Na also; und deshalb durfte ich es Dir dazumal nicht sagen. Denn ich hatte mich in Dich doch schon so sehr vergafft, wie Du weißt. Und ich konnte mich doch nicht selbst total unglücklich machen –

Hjalmar geht umher. Und das ist die Mutter meiner Hedwig! Und zu wissen, daß alles, was hier meine Augen erblicken – stößt mit dem Fuße nach einem Stuhl – mein ganzes Heim, – alles danke ich einem begünstigten Vorgänger! O! Dieser Werle, dieser Verführer!

Gina. Sind Dir die vierzehn, fünfzehn Jahre, die wir zusammen gelebt haben, denn leid?

Hjalmar stellt sich vor sie hin. Sag' mal: hat nicht jeden Tag, jede Stunde Dir das Gewissen geschlagen, daß Du, wie eine Spinne, mich in ein Netz von Heimlichkeiten eingesponnen, hast? Antworte mir! Hast Du nicht geächzt in Reue und Qual?

Gina. Ach, bester Ekdal, ich habe mehr wie genug an den Haushalt zu denken gehabt und ans tägliche Geschäft –

Hjalmar. Du wirfst also niemals einen prüfenden Blick auf Deine Vergangenheit!

Gina. Nee, Du, ich hatte weiß Gott diese alten Intriguen schon beinahe vergessen.

Hjalmar. O, diese träge, gefühllose Ruhe! Sie hat für mich etwas so Empörendes. Man denke nur, – nicht einmal Reue!

Gina. Aber sag' mal, Ekdal, – was wäre denn aus Dir geworden, wenn Du nicht so eine Frau wie mich bekommen hättest?

Hjalmar. So eine –!

Gina. Ja, denn ich bin doch immer sozusagen kontanter und süffisanter gewesen als Du. Na, das ist auch selbstverständlich, denn ich bin ja auch ein paar Jahr älter als Du.

Hjalmar. Was aus mir geworden wäre!

Gina. Denn Du warst doch auf allerlei schlimmen Wegen damals, wie Du mich kennen lerntest; das kannst Du doch nicht leugnen.

Hjalmar. Also das nennst Du schlimme Wege? Ach, Du weißt nicht, wie einem Manne zumute ist, wenn er trauert und verzweifelt; – namentlich einem Mann von meinem feurigen Gemüt.

Gina. Nee, nee, kann schon sein. Und ich regaliere ja auch gar nicht darauf, denn Du bist ja so ein herzensguter Mann geworden, wie Du Haus und Herd hattest. – Und nun war es gerade so gemütlich und mollig bei uns, und Hedwig und ich, wir wollten nun auch so nach und nach ein bißchen was auf unser Essen und unsere Kleider verwenden.

Hjalmar. Im Sumpf der Heimlichkeiten, ja!

Gina. Pfui, dieser scheußliche Kerl, daß der auch hier ins Haus passaschieren mußte!

Hjalmar. Auch ich fand, es war gut sein in unserm Heim. Das war ein Irrtum. Woher soll ich jetzt die nötige Spannkraft nehmen, um die Erfindung in die Welt der Wirklichkeit hinüberzuführen? Vielleicht stirbt sie mit mir. Und dann, Gina, ist es Deine Vergangenheit, die sie gemordet hat.

Gina dem Weinen nahe. Nein, so etwas darfst Du nicht sagen, Ekdal. Ich habe doch mein Lebtag immer nur Dein Bestes gewollt!

Hjalmar. Ich frage, – was wird jetzt aus dem Traum des Familienvaters? Wenn ich da drin auf dem Sofa lag und über die Erfindung nachsann, da ahnte ich wohl, sie würde meine letzte Lebenskraft aufzehren. Ich fühlte wohl, daß der Tag, an dem ich das Patent in meinen Händen halten würde, – daß dieser Tag mein – Abschiedstag sein würde. Und mein Traum war immer, Du solltest dann als die wohlhabende Witwe des heimgegangenen Erfinders zurückbleiben.

Gina trocknet ihre Tränen. Nein, so darfst Du nicht reden, Ekdal. Der liebe Gott soll mich nie den Tag erleben lassen, wo ich als Witwe dasitze!

Hjalmar. Ach, ist ja egal. Denn nun ist ja doch alles vorbei. Alles!

Gregers öffnet behutsam die Flurtür und sieht herein.

Gregers. Darf ich eintreten?

Hjalmar. Ja, komm nur.

Gregers tritt mit strahlendem, zufriedenem Gesicht ein und will beiden die Hände reichen. Na, Ihr lieben Menschen –! Sieht sie abwechselnd an und flüstert Hjalmar zu: Noch nicht geschehen?

Hjalmar laut. Es ist geschehen!

Gregers. Wirklich?

Hjalmar. Ich habe die bitterste Stunde meines Lebens durchlebt.

Gregers. Aber auch die erhebendste, denke ich.

Hjalmar. Na, fürs erste wären wir die Sache wenigstens los.

Gina. Gott verzeih' Ihnen, Herr Werle.

Gregers sehr erstaunt. Aber das verstehe ich nicht.

Hjalmar. Was verstehst Du nicht?

Gregers. Eine so große Abrechnung, – eine Abrechnung, auf die sich eine ganz neue Lebensführung gründen soll, – eine Lebensführung, ein Zusammenleben in Wahrheit und ohne Heimlichkeiten –

Hjalmar. Ja, ich weiß schon; ich weiß es ganz gut.

Gregers. Ich hatte bestimmt erwartet: wenn ich durch die Tür eintrete, so würde mir vom Antlitz des Mannes wie der Frau das Licht der Verklärung entgegenstrahlen. Und jetzt erblicke ich nur ein dumpfes, schweres, trauriges –

Gina. Na ja.

Nimmt den Schirm von der Lampe.

Gregers. Sie wollen mich nicht verstehen, Frau Ekdal. Nun ja; Sie brauchen wohl auch Zeit –. Aber Du, Hjalmar! Du hast doch wohl von der großen Abrechnung eine höhere Weihe empfangen.

Hjalmar. Ja natürlich habe ich das. Das heißt, – gewissermaßen.

Gregers. Denn nichts auf der Welt ist doch wohl dem Glück zu vergleichen, Vergebung für eine Sünderin zu haben und sie in Liebe zu sich empor zu ziehen.

Hjalmar. Meinst Du, ein Mann schluckt so leicht die bittere Pille, die mir eben gereicht worden ist?

Gregers. Nein, ein gewöhnlicher Mann nicht; das mag sein. Aber ein Mann wie Du –!

Hjalmar. Herrgott ja, das weiß ich. Aber Du mußt mich anfeuern, Gregers. Sieh mal, es gehört Zeit dazu.

Gregers. Du hast in Dir viel von der Wildente, Hjalmar.

Relling ist durch die Flurtür eingetreten.

Relling. So. Was ist denn schon wieder mit der Wildente los?

Hjalmar. Des alten Werle flügelwunde Jagdbeute, ach ja!

Relling. Des alten Werle –? Von ihm redet Ihr?

Hjalmar. Von ihm und – uns.

Relling halblaut zu Gregers. Der Teufel soll Sie holen!

Hjalmar. Was sagst Du da?

Relling. Ich gebe nur meinem Herzenswunsch Ausdruck, der Quacksalber möge sich nach Hause scheren. Bleibt er noch länger, so ist er imstande und macht Euch beide noch ganz verdreht.

Gregers. Die beiden macht man nicht verdreht, Herr Relling. Von Hjalmar will ich gar nicht reden. Ihn kennen wir. Aber auch sie hat zweifellos auf dem Grunde ihres Wesens etwas Zuverlässiges, etwas Vertrauenswürdiges –

Gina weinerlich. Dann hätten Sie mich doch nur so lassen sollen, wie ich war.

Relling zu Gregers. Ist es unbescheiden, wenn ich frage, was Sie eigentlich hier im Hause wollen?

Gregers. Ich will eine wahre Ehe stiften.

Relling. Sie finden also, Ekdals Ehe wäre nicht gut so wie sie ist?

Gregers. Leider ist sie sicherlich ebenso gut wie viele andere Ehen. Aber eine wahre Ehe ist sie noch nicht geworden.

Hjalmar. Du, Relling, Du hast nie ein Auge gehabt für die ideale Forderung.

Relling. Blech, mein Junge! – Pardon, Herr Werle; wie viel – nur so in Bausch und Bogen – wie viel wahre Ehen haben Sie denn schon in Ihrem Leben gesehen?

Gregers. Ich glaube allerdings kaum, daß ich auch nur eine gesehen habe.

Relling. Ich auch nicht.

Gregers. Aber ich habe ungezählte Ehen der entgegengesetzten Art gesehen. Und ich habe Gelegenheit gehabt, in der Nähe zu sehen, was eine solche Ehe in einem Menschenpaar alles zerstören kann.

Hjalmar. Der ganze moralische Grund und Boden kann unter eines Mannes Füßen wanken; das ist das Schreckliche.

Relling. Ja, ich bin ja niemals so eigentlich verheiratet gewesen; deshalb kann ich diese Dinge nicht beurteilen. Aber so viel weiß ich doch, daß bei einer Ehe das Kind auch mit dazu gehört. Und das Kind werdet Ihr mir in Frieden lassen.

Hjalmar. Ach, – Hedwig! Meine arme Hedwig!

Relling. Ja, Hedwig, die laßt mir gefälligst aus dem Spiel. Ihr seid zwei erwachsene Leute; Euer eheliches Verhältnis, das verhudelt und verschandelt in Gottes Namen, soviel Ihr wollt. Aber mit Hedwig müßt Ihr vorsichtig sein, das sag' ich Euch, sonst könnt Ihr eines Tages ihr ein Leid zufügen.

Hjalmar. Ein Leid!

Relling. Ja, oder es kommt dahin, daß sie sich selbst ein Leid antut – und vielleicht andern mit.

Gina. Woher können Sie so etwas wissen, Relling?

Hjalmar. Es ist doch wohl keine unmittelbare Gefahr für die Augen?

Relling. Das hat nichts mit den Augen zu tun. Aber Hedwig ist in einem bedenklichen Alter. Sie kann auf alle möglichen dummen Geschichten verfallen.

Gina. Ja, denken Sie bloß – das tut sie auch! Sie fängt jetzt an, draußen in der Küche so eklig mit dem Feuer herumzuhantieren. Das nennt sie Feuersbrunst spielen. Ich bin manchmal ordentlich bange, daß sie das Haus ansteckt.

Relling. Sehen Sie wohl; ich habe es wohl gewußt.

Gregers zu Relling. Aber wie erklären Sie sich das?

Relling mürrisch. Sie ist im Stimmwechsel, mein Lieber.

Hjalmar. Solange das Kind mich hat –! So lange ich noch nicht unter dem grünen Rasen –!

Es klopft.

Gina. Pst, Ekdal; auf dem Flur sind Leute. Ruft. Herein!

Frau Sörby im Straßenkostüm tritt ein.

Frau Sörby. Guten Abend!

Gina geht ihr entgegen. Seh' einer, Du, Berta?

Frau Sörby. Jawohl, in eigener Person. Aber ich komme am Ende ungelegen?

Hjalmar. I bewahre! Eine Botschaft aus dem Hause –

Frau Sörby zu Gina. Offen gestanden, ich hatte nicht gedacht, Deine Mannsleute um diese Zeit zu Hause zu treffen; und so bin ich rasch zu einer kleinen Ansprache zu Dir heraufgesprungen und zum Adieusagen.

Gina. So? Du verreist?

Frau Sörby. Ja, morgen früh; – nach Höjdal. – Herr Werle ist heut nachmittag gereist. Flüchtig zu Gregers. Soll schönstens von ihm grüßen.

Gina. Denk nur an –!

Hjalmar. So? Herr Werle ist fort? Und Sie reisen ihm nach?

Frau Sörby. Ja, was sagen Sie dazu, Ekdal?

Hjalmar. Nehmen Sie sich in acht, sage ich.

Gregers. Ich will es Dir erklären. Mein Vater heiratet Frau Sörby.

Hjalmar. Heiratet sie!

Gina. Ach, Berta, so kommt es endlich dazu!

Relling mit leise zitternder Stimme. Das ist doch wohl nicht wahr?

Frau Sörby. Ja, mein guter Relling, es ist wirklich wahr.

Relling. Sie wollen sich wieder verheiraten?

Frau Sörby. Ja, – wird wohl so kommen. Werle hat einen Heiratsschein gelöst; und nun machen wir in aller Stille Hochzeit da oben auf dem Werk.

Gregers. Als guter Stiefsohn muß ich Ihnen dann wohl Glück wünschen.

Frau Sörby. Ich danke Ihnen, – wenn Sie es ernst meinen. Und ich hoffe auch, es wird zu Werles wie zu meinem Glück sein.

Relling. In der Hoffnung werden Sie sich nicht täuschen. Herr Werle besäuft sich nie, – soviel ich weiß; und er hat auch sicher nicht die Gewohnheit, seine Frauen krumm und lahm zu schlagen, wie es der selige Pferdedoktor getan hat.

Frau Sörby. Ach, lassen Sie doch Sörby in seinem Grabe ruhen. Er hatte doch auch seine guten Seiten.

Relling. Aber Herr Werle, der hat die besseren Seiten, – offenbar.

Frau Sörby. Wenigstens hat er nicht sein Bestes vergeudet und vertan. Der Mann, der das tut, hat auch die Folgen zu tragen.

Relling. Heute gehe ich mit Molvik aus.

Frau Sörby. Das sollten Sie nicht, Relling. Tun Sie es nicht; – mir zuliebe.

Relling. Daran ist nun einmal nichts zu ändern. Zu Hjalmar. Willst Du mit, so komm.

Gina. Nein, danke schön. Ekdal macht so 'ne Extratouren nicht mit.

Hjalmar ärgerlich, halblaut. Ach, so halt doch den Mund!

Relling. Adieu, Frau – Werle.

Ab durch die Flurtür.

Gregers zu Frau Sörby. Es scheint, Sie und Relling kennen einander ziemlich genau?

Frau Sörby. Ja, wir kennen uns seit vielen Jahren. Es gab eine Zeit, da es mit uns etwas hätte werden können.

Gregers. Es war doch wohl gut für Sie, daß nichts daraus geworden ist.

Frau Sörby. Ja, da haben Sie schon recht. Aber ich habe mich immer gehütet, nach Eingebungen zu handeln. Eine Frau darf sich doch auch nicht ganz wegwerfen.

Gregers. Sind Sie gar nicht bange, ich könnte meinem Vater die Geschichte mit dieser alten Bekanntschaft hinterbringen?

Frau Sörby. Sie können sich doch denken, daß ich ihm das selbst gesagt habe.

Gregers. So?

Frau Sörby. Ihr Vater weiß auch die kleinste Kleinigkeit, die die Leute mit einem Schein von Wahrheit über mich sagen könnten. So etwas habe ich ihm alles gesagt. Es war das erste, was ich getan habe, als er merken ließ, daß er Absichten hätte.

Gregers. Dann sind Sie ungewöhnlich offenherzig, finde ich.

Frau Sörby. Offenherzig bin ich immer gewesen. Damit kommen wir Frauenzimmer am weitsten.

Hjalmar. Was sagst Du dazu, Gina?

Gina. Ach, wir Frauenzimmer sind recht sehr verschieden. Die eine macht's so, die andere anders.

Frau Sörby. Ja, Gina, ich halte es für das Gescheiteste, es so zu machen, wie ich es getan habe. Auch Werle hat aus nichts ein Hehl gemacht, was seine Person betrifft. Sieh, das hat uns gerade so fest verbunden. Jetzt kann er sitzen und mit mir reden so offen wie ein Kind. Dazu hat er früher nie Gelegenheit gehabt. Dieser gesunde, lebenskräftige Mann hat während seiner ganzen Jugend und seiner besten Jahre nichts anderes gehört als Strafpredigten. Und manches Mal drehten sich diese Strafpredigten nur um Hirngespinste von Vergehen, – nach allem, was ich gehört habe.

Gina. Ja, so wie Du es gehört hast, so ist es auch.

Gregers. Wenn die Damen sich auf dies Gebiet begeben wollen, so empfehle ich mich lieber.

Frau Sörby. Deswegen können Sie ganz ruhig hier bleiben. Ich werde kein Wort weiter sagen. Aber ich wollte nur, Sie sollten wissen, daß ich weder mit Heimlichkeiten noch sonst mit Arglist zu Werke gegangen bin. Es sieht vielleicht so aus, als machte ich ein ungeheuer großes Glück; und in gewisser Beziehung ist es ja auch der Fall. Aber ich meine doch, daß ich nicht mehr nehme, als ich gebe. Ich werde ihn nie und nimmer im Stich lassen. Und ihm dienen und nützlich sein, das kann ich besser als jeder andere, jetzt, da er bald hilflos sein wird.

Hjalmar. Hilflos wird er sein?

Gregers zu Frau Sörby. Nun ja, aber reden Sie nicht davon.

Frau Sörby. Es nützt nichts, es länger zu verheimlichen, so gern er das auch möchte. Er wird blind.

Hjalmar stutzt. Er wird blind ? Das ist doch sonderbar. Auch er wird blind?

Gina. Das werden ja so viele.

Frau Sörby. Und man kann sich wohl vorstellen, was das für einen Geschäftsmann heißen will. Na, ich will versuchen, meine Augen für ihn zu gebrauchen, so gut ich vermag. Aber nun darf ich nicht länger bleiben; ich habe jetzt alle Hände voll zu tun. – Ja, was ich Ihnen sagen sollte, Ekdal: wenn Werle Ihnen mit irgend etwas dienen kann, so sollten Sie sich nur an Gråberg wenden.

Gregers. Für dieses Anerbieten wird sich Hjalmar Ekdal gewiß bedanken.

Frau Sörby. Ja so! Aber ich meine doch, er hat früher – –

Gina. Ja, Berta, Ekdal braucht jetzt nichts mehr von Herrn Werle anzunehmen.

Hjalmar langsam und mit Nachdruck. Grüßen Sie bitte Ihren künftigen Mann von mir und sagen Sie ihm, ich beabsichtigte in der nächsten Zeit zu Herrn Gråberg zu gehen –

Gregers. Was! Du wolltest –?

Hjalmar. – zu Herrn Gråberg zu gehen, sage ich, um einen Auszug über den Betrag zu verlangen, den ich seinem Prinzipal schulde. Ich will diese Ehrenschuld bezahlen –; hahaha, das muß man eine Ehrenschuld nennen! Aber genug. Ich werde alles mit fünf Prozent Zinsen zurückzahlen.

Gina. Aber, liebster Ekdal, dazu haben wir doch, weiß Gott, das Geld nicht.

Hjalmar. Sagen Sie bitte Ihrem Verlobten, daß ich unverdrossen an meiner Erfindung arbeite. Sagen Sie ihm, bitte: was meine Geisteskräfte bei dieser anstrengenden Beschäftigung aufrecht erhält, das ist der Wunsch, eine peinliche Schuldenlast los zu werden. Deshalb mache ich die Erfindung. Den ganzen Ertrag werde ich dazu verwenden, mich der pekuniären Verpflichtungen gegen Ihren künftigen Ehegatten zu entledigen.

Frau Sörby. Hier im Haus ist irgend etwas passiert.

Hjalmar. Allerdings.

Frau Sörby. Na, adieu also. Ich hätte gern noch ein bißchen mit Dir geplaudert, Gina; na, auf ein ander Mal. Adieu.

Hjalmar und Gregers grüßen, stumm; Gina begleitet Frau Sörby zur Tür.

Hjalmar. Nicht weiter als bis zur Schwelle, Gina!

Frau Sörby geht; Gina schließt die Tür hinter ihr ab.

Hjalmar. So, Gregers; nun bin ich diesen drückenden Schuldposten doch los.

Gregers. Wenigstens bald.

Hjalmar. Ich glaube, man muß meine Haltung korrekt nennen.

Gregers. Du bist der Mann, für den ich Dich immer gehalten habe.

Hjalmar. In gewissen Fällen ist es unmöglich, sich über die idealen Ansprüche hinwegzusetzen. Als Familienvater kommt es mir ja sehr hart an. Denn Du kannst glauben, es ist wahrhaftig kein Spaß für einen unbemittelten Mann, eine langjährige Schuldforderung einlösen zu sollen, auf die sich sozusagen bereits der Staub der Vergessenheit gelegt hatte. Aber das ist nun einerlei; der Mensch in mir verlangt auch sein Recht.

Gregers legt die Hand auf seine Schultern. Lieber Hjalmar, – war es nun nicht gut, daß ich gekommen bin?

Hjalmar. Ja.

Gregers. Daß Du Klarheit bekommen hast über alle Verhältnisse, – war das nicht gut?

Hjalmar etwas ungeduldig. Gewiß war das gut. Aber eins empört meinen Gerechtigkeitssinn.

Gregers. Und das wäre?

Hjalmar. Daß – ja, ich weiß nicht, ob ich mich so rückhaltlos über Deinen Vater äußern darf.

Gregers. Auf mich brauchst Du gar keine Rücksicht zu nehmen.

Hjalmar. Na schön. Ja, siehst Du, ich meine, der Gedanke hat etwas so Empörendes, daß nun nicht ich es bin, sondern daß er es ist, der die wahre Ehe verwirklicht.

Gregers. Aber wie kannst Du nur so etwas sagen!

Hjalmar. Gewiß ist es so. Dein Vater und Frau Sörby gehen doch jetzt eine Ehe ein, die auf volles Vertrauen gegründet ist, auf ganze und unbedingte Offenheit von beiden Seiten; sie bemänteln nichts vor einander; keinerlei Heimlichkeit steckt hinter dem Verhältnis; es ist zwischen ihnen – wenn ich mich so ausdrücken darf – eine gegenseitige Sündenvergebung verkündet worden.

Gregers. Nun ja, und weiter?

Hjalmar. Ja, aber so ist doch da alles, wie es sein soll. Nach dem, was Du gesagt hast, gehörten ja doch diese ganzen Fatalitäten dazu, um die wahre Ehe zu begründen.

Gregers. Aber das ist doch ganz etwas andres, Hjalmar. Du wirst doch nicht Dich und sie mit den beiden da vergleichen wollen –? Na, Du verstehst mich schon.

Hjalmar. Aber ich komme doch nicht darüber hinweg, daß bei dieser ganzen Geschichte etwas ist, das mein Rechtsbewußtsein verletzt und kränkt. Es sieht doch gerade so aus, als gäbe es überhaupt keine gerechte Weltordnung.

Gina. Pfui, Ekdal, so was darfst Du doch wahrhaftigen Gott nicht sagen.

Gregers. Hm; lassen wir lieber diese Fragen ruhen.

Hjalmar. Andererseits aber ist es doch wieder, als sähe ich die ausgleichende Hand des Schicksals. Er erblindet ja.

Gina. Ach, das ist doch noch nicht so sicher.

Hjalmar. Es ist unzweifelhaft. Wir dürfen daran wenigstens nicht zweifeln; denn grade in diesem Faktum liegt die gerechte Vergeltung. Er hat seiner Zeit ein vertrauensseliges Mitgeschöpf blind gemacht –

Gregers. Leider, er hat viele blind gemacht.

Hjalmar. Und nun kommt ein Unerbittliches, Rätselhaftes und fordert Werles eigne Augen.

Gina. Nein, was für häßliche Reden Du führst. Mir wird ganz bange.

Hjalmar. Es ist nützlich, sich dann und wann einmal in die Nachtseiten des Daseins zu vertiefen.

Hedwig, mit Hut und Mantel, kommt fröhlich und außer Atem durch die Flurtür herein.

Gina. Bist Du schon wieder da?

Hedwig. Ja, ich mochte nicht mehr gehen. Und das war gut; denn nun habe ich wen in der Haustür getroffen.

Hjalmar. Das war wohl diese Frau Sörby.

Hedwig. Ja.

Hjalmar auf und ab gehend. Ich will hoffen, Du hast sie zum letzten Mal gesehen.

Pause. Hedwig sieht verlegen bald den einen, bald den andern an, wie um die Stimmung zu erforschen.

Hedwig nähert sich einschmeichelnd. Vater –

Hjalmar. Na, – was gibt's, Hedwig?

Hedwig. Frau Sörby hat mir etwas mitgebracht.

Hjalmar bleibt stehen. Dir?

Hedwig. Jawohl, – etwas für morgen.

Gina. Berta hat Dir zu dem Tag immer eine Kleinigkeit gebracht.

Hjalmar. Was ist es denn?

Hedwig. Nein, das sollst Du jetzt noch nicht wissen; denn Mutter soll es mir morgen früh aufs Bett legen.

Hjalmar. Ach, diese Durchstechereien hinter meinem Rücken!

Hedwig hastig. Nein, Du kannst es schon sehen. Es ist ein großer Brief. Nimmt den Brief aus der Manteltasche.

Hjalmar. Ein Brief auch?

Hedwig. Ja, es ist nur ein Brief. Das andere kommt wohl später. Denk nur – ein Brief! Ich habe noch nie einen Brief gekriegt. Und dann steht »Fräulein « auf dem Kouvert. Liest: »Fräulein Hedwig Ekdal«. Du, – das bin ich.

Hjalmar. Laß den Brief mal sehen.

Hedwig reicht ihm den Brief. Da ist er.

Hjalmar. Das ist Werles Hand.

Gina. Weißt Du das sicher, Ekdal?

Hjalmar. Da, sieh selbst.

Gina. Ach, meinst Du, daß ich mich auf so etwas verstehe?

Hjalmar. Hedwig, darf ich den Brief öffnen – und ihn lesen?

Hedwig. Ja, gerne, wenn Du willst.

Gina. Nein, nicht jetzt, Ekdal; er ist doch für morgen.

Hedwig leise. Ach, so laß ihn doch lesen! Es ist gewiß etwas Gutes; und dann wird Vater vergnügt und dann wird es hier wieder lustig.

Hjalmar. Ich darf ihn also öffnen?

Hedwig. Ja, bitte, bitte, Vater. Es wäre nett, zu erfahren, was drin steht!

Hjalmar. Gut. Öffnet den Brief, nimmt ein Papier heraus, liest es durch und scheint verwirrt. Was bedeutet das –?

Gina. Was steht denn drin?

Hedwig. Ach ja, Vater – sag's!

Hjalmar. Seid Still! Liest es noch einmal durch; er ist bleich geworden, aber sagt mit Fassung: Es ist ein Schenkungsbrief, Hedwig.

Hedwig. Denk nur an! Was kriege ich denn?

Hjalmar. Lies selbst.

Hedwig geht hin und liest einen Augenblick unter der Lampe.

Hjalmar halblaut, ballt die Fäuste. Die Augen! Die Augen! – und dazu der Brief!

Hedwig unterbricht das Lesen. Ja, aber mir scheint, das ist für Großvater bestimmt.

Hjalmar nimmt ihr den Brief weg. Du, Gina, – verstehst Du das?

Gina. Ich weiß ja kein Sterbenswörtchen; so sprich doch!

Hjalmar. Werle schreibt an Hedwig, ihr alter Großvater brauchte sich nicht mehr mit Schreibarbeiten zu befassen, er könnte vielmehr von jetzt an hundert Kronen monatlich auf dem Kontor erheben –

Gregers. Aha!

Hedwig. Hundert Kronen, Mutter! Das steht drin.

Gina. Das ist ja ein Glück für Großvater.

Hjalmar. – hundert Kronen, solange er es nötig hat, – das soll natürlich heißen, bis er seine Augen geschlossen hat.

Gina. Na, dann ist er ja versorgt, der arme Kerl.

Hjalmar. Aber jetzt kommt es. Das hast Du wohl nicht gelesen, Hedwig. Später soll diese Schenkung auf Dich übergehen.

Hedwig. Auf mich? Alles zusammen?

Hjalmar. Dieselbe Summe wäre Dir für Dein ganzes Leben gesichert, schreibt er. Hörst Du's, Gina?

Gina. Ja, ich höre schon.

Hedwig. Denk nur – das viele Geld, das ich bekomme! Rüttelt ihn. Vater, Vater, bist Du denn nicht vergnügt?

Hjalmar weicht ihr aus. Vergnügt! Geht umher. Welche Fernsicht, – welche Perspektiven eröffnen sich meinen Augen! Hedwig ist es; sie ist es, die er so reich bedenkt!

Gina. Na ja, Hedwig, die hat doch Geburtstag –

Hedwig. Und Du kriegst es ja doch, Vater! Du kannst Dir doch wohl denken, daß ich Dir und Mutter alles Geld gebe.

Hjalmar. Mutter – ja! Da haben wir's.

Gregers. Hjalmar, das ist eine Falle, die Dir gestellt wird.

Hjalmar. Meinst Du, es wäre schon wieder eine Falle?

Gregers. Als er heute morgen hier war, da sagte er: Hjalmar Ekdal ist nicht der Mann, für den Du ihn ansiehst.

Hjalmar. Nicht der Mann –!

Gregers. Das wirst Du sehen, sagte er.

Hjalmar. Du würdest sehen, daß ich mich mit Geld abspeisen ließe –!

Hedwig. Aber Mutter, was hat denn das zu bedeuten?

Gina. Geh und zieh Dein Zeug aus.

Hedwig geht, dem Weinen nahe, durch die Küchentür ab.

Gregers. Hjalmar, – jetzt wird es sich zeigen, wer recht hat, er oder ich.

Hjalmar reißt das Papier langsam mitten durch, legt beide Stücke auf den Tisch und sagt: Das ist meine Antwort.

Gregers. Das habe ich erwartet.

Hjalmar geht zu Gina, die am Ofen sitzt und sagt mit gedämpfter Stimme: Und jetzt keine Heimlichkeiten mehr. Wenn das Verhältnis zwischen Dir und ihm ganz zu Ende war, als Du Dich in mich schon so sehr vergafft hattest, wie Du Dich ausdrückst, – warum hat er es uns denn ermöglicht, daß wir uns heirateten?

Gina. Er hat wohl gedacht, er könnte hier ein- und ausgehen.

Hjalmar. Nur das? Hat er nicht eine gewisse Möglichkeit gefürchtet?

Gina. Ich verstehe nicht, was Du meinst.

Hjalmar. Ich will wissen, ob – Dein Kind ein Recht hat, unter meinem Dach zu leben.

Gina richtet sich hoch auf, ihre Augen blitzen. Und das fragst Du!

Hjalmar. Du sollst mir auf diese eine Frage antworten: Gehört Hedwig mir – oder –? Na!

Gina sieht ihn mit kaltem Trotz an. Ich weiß nicht.

Hjalmar zittert leicht. Du weißt es nicht!

Gina. Wie kann ich das wissen? So eine wie ich bin –

Hjalmar still, kehrt ihr den Rücken. Dann habe ich hier im Hause nichts weiter zu suchen.

Gregers. Überleg' es Dir, Hjalmar!

Hjalmar zieht seinen Überzieher an. Hier ist nichts zu überlegen für einen Mann, wie mich.

Gregers. Doch; hier gibt es unendlich viel zu überlegen. Ihr drei müßt zusammenbleiben, wenn Du Dich zu der Opferstimmung der großen Vergebung durchringen willst.

Hjalmar. Das will ich nicht. Nimmer-, nimmermehr! Meinen Hut! Nimmt den Hut. Mein Heim liegt rings um mich her in Trümmern. Bricht in Tränen aus. Gregers, ich habe kein Kind mehr!

Hedwig, die die Küchentür geöffnet hat. Was sagst Du! Hin zu ihm. Vater, Vater!

Gina. Na also!

Hjalmar. Komm mir nicht nahe, Hedwig! Geh weg, – weit weg. Ich ertrage Deinen Anblick nicht. O, die Augen –! Lebt wohl. Will zur Tür.

Hedwig hängt sich fest an ihn und schreit laut: Nicht doch! Nicht doch! Bleib bei mir!

Gina ruft: Sieh das Kind an, Ekdal! Sieh das Kind an!

Hjalmar. Ich will nicht! Ich kann nicht! Ich muß fort – heraus aus der ganzen Geschichte! Reißt sich los von Hedwig und geht durch die Flurtür.

Hedwig mit verzweifelten Blicken. Er geht von uns, Mutter! Er geht von uns! Er kommt nie wieder!

Gina. Weine nur nicht, Hedwig. Vater kommt schon wieder.

Hedwig wirft sich schluchzend aufs Sofa. Nein, nein, er kommt nie wieder zu uns zurück.

Gregers. Glauben Sie mir, Frau Ekdal, ich wollte alles zum Guten wenden!

Gina. Ja, mag wohl sein; aber trotzdem möge Ihnen Gott verzeihen.

Hedwig liegt auf dem Sofa. Ach, ich glaube, ich muß dran sterben! Was habe ich ihm denn getan? Mutter, Du mußt ihn wieder herholen!

Gina. Ja, ja, ja. Sei bloß ruhig, dann gehe ich aus und suche ihn. Zieht den Mantel an. Vielleicht ist er zu Relling hineingegangen. Aber nun darfst Du nicht mehr da liegen und heulen. Versprichst Du mir das?

Hedwig krampfhaft weinend. Ja, ich will es nicht mehr tun; wenn nur Vater wiederkommt.

Gregers zu Gina, die gehen will. Wäre es nicht doch besser, wenn Sie ihn seinen Schmerzenskampf erst zu Ende kämpfen ließen?

Gina. Ach was, das kann er nachher tun. Vor allen Dingen müssen wir zusehen, wie wir das Kind in Ruh' kriegen. Ab durch die Flurtür.

Hedwig richtet sich auf und trocknet ihre Tränen. Jetzt müssen Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat. Weshalb will Vater nichts mehr von mir wissen?

Gregers. Das dürfen Sie erst fragen, wenn Sie groß und erwachsen sind.

Hedwig schluchzt. Aber ich kann doch nicht immer so gräßlich betrübt bleiben, bis ich groß und erwachsen bin. – Ich weiß schon, was es ist. – Vielleicht bin ich nicht Vaters richtiges Kind.

Gregers unruhig. Wie sollte das wohl zugehen?

Hedwig. Mutter kann mich ja gefunden haben. Und nun hat es Vater vielleicht erfahren. Von solchen Sachen habe ich schon gelesen.

Gregers. Na, und wenn es so wäre –

Hedwig. Ja, ich meine, dann könnte er deswegen mich doch ebenso lieb haben. Ja, vielleicht noch lieber. Die Wildente, die haben wir ja auch zum Geschenk bekommen, und doch habe ich sie so furchtbar lieb.

Gregers ablenkend. Ja, richtig! Die Wildente! Reden wir ein bißchen von der Wildente, Hedwig.

Hedwig. Die arme Wildente! Die kann er auch nicht mehr vor Augen sehen. Denken Sie bloß, er möchte ihr am liebsten den Hals umdrehen!

Gregers. Ach, das tut er doch sicher nicht.

Hedwig. Nein, – aber er hat es gesagt. Und das finde ich so häßlich von Vater, so was zu sagen. Denn jeden Abend bete ich für die Wildente und bitte Gott, daß sie vor dem Tode und allem Übel bewahrt bleiben möge.

Gregers sieht sie an. Sagen Sie immer Ihr Abendgebet?

Hedwig. Ja gewiß.

Gregers. Wer hat Sie dazu angehalten?

Hedwig. Ich mich selbst. Denn Vater war einmal so krank und hatte Blutegel am Hals; und da sagte er, der Tod säße ihm im Nacken.

Gregers. Und da –?

Hedwig. Da habe ich für ihn gebetet abends im Bett. Und seitdem bin ich dabei geblieben.

Gregers. Und jetzt beten Sie auch für die Wildente?

Hedwig. Ich meinte, es wäre besser, die Wildente mit einzuschließen; denn sie war so kränklich im Anfang.

Gregers. Sie sagen wohl auch Ihr Morgengebet?

Hedwig. I nein, das tue ich nicht!

Gregers. Weshalb denn nicht auch das Morgengebet?

Hedwig. Morgens ist es ja doch hell; und da braucht man sich doch vor nichts weiter zu fürchten.

Gregers. Und der Wildente, die Sie so furchtbar gern haben, der wollte Ihr Vater den Hals umdrehen?

Hedwig. Nein, er sagte, es wäre für ihn das beste, wenn er es täte. Aber mir zuliebe wolle er sie schonen. Und das war doch nett von Vater.

Gregers ein wenig näher. Wenn Sie nun aber ihm zuliebe freiwillig die Wildente opferten?

Hedwig steht auf. Die Wildente!

Gregers. Wenn Sie nun opferwillig das Beste für ihn hingäben, was Sie haben und kennen auf der Welt?

Hedwig. Glauben Sie, das würde helfen?

Gregers. Versuchen Sie es, Hedwig.

Hedwig leise, mit leuchtenden Augen. Ja, ich will es versuchen.

Gregers. Und glauben Sie auch, Sie haben die rechte Seelenkraft dazu?

Hedwig. Ich will Großvater bitten, für mich die Wildente totzuschießen.

Gregers. Ja, tun Sie das. Aber kein Wort davon zu Ihrer Mutter!

Hedwig. Warum nicht?

Gregers. Sie versteht uns nicht.

Hedwig. Die Wildente? Ich will es morgen früh versuchen!

Gina tritt durch die Flurtür ein.

Hedwig ihr entgegen. Hast Du ihn gefunden, Mutter?

Gina. Nein, aber ich hörte, daß er bei Relling drin gewesen ist und ihn mitgenommen hat.

Gregers. Wissen Sie das sicher?

Gina. Ja, die Portierfrau hat es mir gesagt. Molvik wäre auch mitgegangen, sagte sie.

Gregers. Und das in diesem Augenblick, wo seine Seele so sehr danach verlangt, in Einsamkeit zu kämpfen!

Gina legt ihre Sachen ab. Ja, die Mannsleute, die sind unterschiedlich. Gott mag wissen, wo Relling ihn hinverschleppt hat! Ich bin zu Madam Eriksen hinübergerannt; aber da waren sie nicht.

Hedwig kämpft mit den Tränen. O, wenn er nun nie mehr nach Hause kommt!

Gregers. Er kommt wieder nach Hause. Ich werde ihn morgen früh aufsuchen; und dann werden Sie sehen, wie er kommt. Deshalb können Sie ruhig schlafen, Hedwig. Gute Nacht.

Ab durch die Flurtür.

Hedwig wirft sich schluchzend Gina an die Brust. Mutter, Mutter!

Gina klopft sie auf den Rücken und seufzt. Ach ja, Relling, der hatte recht. So geht es, wenn verdrehte Kerls kommen und die intrikate Forderung pressentieren.


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