Henrik Ibsen
Die Wildente
Henrik Ibsen

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Erster Akt

In Werles Haus.

Reich und bequem eingerichtetes Arbeitszimmer; Bücherschränke und Polstermöbel; Schreibtisch mit Dokumenten und Protokollen; mitten im Zimmer brennende Lampen mit grünen Schirmen, so daß ein gedämpftes Licht im Zimmer herrscht. Offene Flügeltür mit zurückgeschlagener Portiere an der Hinterwand. Durch diese Tür blickt man in ein großes, elegantes Zimmer, das durch Lampen und Armleuchter hell erleuchtet ist. Vorn rechts im Arbeitszimmer führt eine kleine Tapetentür in die Kontore. Vorn links ein Kamin, worin Kohlen glühen; weiter nach hinten eine Doppeltür, die in den Speisesaal führt.

Pettersen, in Livree, und Jensen, im Frack machen im Arbeitszimmer Ordnung. In dem größeren Zimmer bewegen sich zwei, drei andere Lohndiener, räumen auf und machen noch mehr Licht. Aus dem Speisesaal tönt das Summen der Unterhaltung und vielstimmiges Lachen; man klopft mit einem Messer ans Glas; Ruhe tritt ein; ein Toast wird gehalten; Bravorufe, darauf wieder das Summen des Gesprächs.

Pettersen zündet eine Lampe auf dem Kamin an und setzt den Schirm darüber. Sie, Jensen, hören Se man bloß mal; nu steht der Alte auf und red't 'nen länglichen Tomast auf Frau Sörby.

Jensen schiebt einen Lehnstuhl vor. Ist das vielleicht wahr, was die Leute sagen, daß mit die beiden was los is?

Pettersen. Weiß der Deubel.

Jensen. Er soll ja in frühere Jahre ein doller Bengel gewesen sein.

Pettersen. Das' woll möglich.

Jensen. Das Diner, das gibt er ja woll für seinen Sohn.

Pettersen. Ja. Der Sohn ist seit gestern wieder da.

Jensen. Ich hab' gar nich mal gewußt, daß Herr Werle 'n Sohn hat.

Pettersen. Jawoll, – er hat 'n Sohn. Aber der kommt nie da oben vom Höjdalswerk weg. In die ganzen Jahre, wo ich hier diene, is er nie zu Haus' gewesen.

Ein Lohndiener in der Tür zum andern Zimmer. Sie, Pettersen, da is so'n alter Kunde, der –

Pettersen brummend. Deubel noch mal, wer will denn jetzt hier 'rein?

Der alte Ekdal wird im Zimmer rechts sichtbar. Er trägt einen fadenscheinigen Radmantel mit hohem Kragen; wollene Fausthandschuhe; in der Hand hält er einen Stock und eine Pelzmütze; unter dem Arm ein Paket in Packpapier. Rotbraune, schmutzige Perücke und einen kleinen grauen Schnurrbart.

Pettersen geht ihm entgegen. Herrjeh! – Was wollen Sie denn hier?

Ekdal in der Tür. Muß dringend aufs Kontor, Pettersen.

Pettersen. Das Kontor ist schon 'ne Stunde zu, un –

Ekdal. Hab's schon unten gehört, Freundchen! Aber Gråberg ist noch drin. Seien Sie nett, Pettersen, und lassen Sie mich durch die Tür da 'rein. Zeigt auf die Tapetentür. Bin schon mal den Weg gegangen.

Pettersen. Na, meinswegen! Öffnet ihm die Tür. Aber passen Sie ja auf, daß Sie auch den richtigen Weg wieder 'runter kommen. Wir haben Gäste.

Ekdal. Weiß schon – hm! Danke, Pettersenchen! Alter guter Freund. Danke schön. Brummt leise: Schafskopf! Ab ins Kontor, Pettersen schließt die Tür hinter ihm.

Jensen. Gehört der auch mit zu die Kontorleute?

Pettersen. Nee, das is man bloß so einer, der aus 'm Hause schreibt, wenn sie 'ne Aushilfe brauchen. Aber das war früher mal 'n verdammt feinen Kerl, der alte Ekdal.

Jensen. Ja, er sah auch aus nach so was.

Pettersen. Na ja! Der is doch auch Leutnant gewesen!

Jensen. Deubel auch, – Leutnant!

Pettersen. Jawoll ja. Dann schmiß er sich auf 'n Holzhandel oder was Ähnliches. Sie sagen, er hat Werle mal düchtig 'reingelegt. Die beiden hatten nämlich damals das Höjdalswerk zusammen, verstehn Sie. O, den alten Ekdal, den kenn' ich 'n bischen fein. Wir trinken so manchen Bittern und manche Buddel Bayrisch zusammen – bei Madam Eriksen.

Jensen. Na, bei dem is es mit 'm Spendieren doch woll man bloß nur so so?

Pettersen. Herrjeh, Jensen, – Sie können sich doch woll denken, daß ich der Spendierer bin. Ich mein' doch, man soll schangtil mit Leute sein, denen 's mal besser gegangen is.

Jensen. Hat er denn Bankrott gemacht?

Pettersen. Nee, es war woll noch viel schlimmer. Er hat Festung gekriegt.

Jensen. Festung!

Pettersen. Kann auch Zuchthaus gewesen sein – horcht. – Pst, Sie stehen von Tisch auf.

Ein paar Diener öffnen die Tür des Speisesaals von innen. Frau Sörby, im Gespräch mit einigen Herren, tritt auf. Ihr folgt auf dem Fuße die ganze Tischgesellschaft. Darunter Werle. Zuletzt kommen Hjalmar und Gregers.

Frau Sörby im Vorübergehen zum Diener. Pettersen, lassen Sie bitte den Kaffee im Musiksaal servieren.

Pettersen. Sehr wohl, Frau Sörby.

Sie und die zwei Herren treten in das große Zimmer und von dort aus rechts ab. Pettersen und Jensen ab auf demselben Wege.

Ein beleibter zu einem Glatzkopf. Puh, – dies Diner! – das war ein derbes Stück Arbeit!

Der Glatzkopf. Ach, mit einem bißchen gutem Willen kann man in drei Stunden unglaublich viel leisten.

Der Beleibte. Ja, aber nachher, nachher, mein lieber Kammerherr!

Ein dritter Herr. Ich höre, der Mokka und der Maraschino werden im Musiksaal gereicht.

Der Beleibte. Bravo! Dann spielt uns Frau Sörby vielleicht etwas vor.

Der Glatzkopf mit gedämpfter Stimme. Wenn Frau Sörby uns nur nicht bald etwas pfeift, Du.

Der Beleibte. I Gott bewahre. Berta läßt ihre alten Freunde nicht sitzen.

Sie lachen und gehen ins Zimmer ab.

Werle leise und verstimmt. Ich glaube, es hat niemand etwas bemerkt, Gregers.

Gregers sieht ihn an. Was?

Werle. Hast Du es auch nicht bemerkt?

Gregers. Was sollte ich bemerkt haben?

Werle. Wir waren dreizehn bei Tische.

Gregers. So? Waren wir dreizehn?

Werle mit einem Blick auf Hjalmar Ekdal. Wir sind sonst gewöhnlich nur zwölf. Zu den übrigen. Bitte, meine Herren!

Er und die Zurückgebliebenen, mit Ausnahme von Hjalmar und Gregers, gehen durch den Hintergrund rechts ab.

Hjalmar, der das Gespräch gehört hat. Du hättest mich nicht einladen sollen, Gregers.

Gregers. Was! Es heißt ja doch, die Gesellschaft sollte mir zu Ehren sein. Und da hätte ich meinen einzigen und besten Freund nicht bitten sollen –

Hjalmar. Aber ich glaube, es ist Deinem Vater nicht recht. Ich komme ja sonst nie hier ins Haus.

Gregers. Ja, das höre ich. Aber ich mußte Dich doch sehen und sprechen; denn ich reise ja doch bald wieder ab. – Ja, Du, – wir zwei alten Schulkameraden – wir sind allerdings recht sehr auseinander gekommen. Wir haben uns an die sechzehn, siebzehn Jahre nicht gesehen!

Hjalmar. Ist das schon so lange her?

Gregers. Allerdings. Na, wie geht es Dir denn? Du siehst gut aus. Du bist sehr stark geworden.

Hjalmar. Hm, stark kann man das wohl nicht nennen. Aber natürlich sehe ich männlicher aus als dazumal.

Gregers. In der Tat. Dein Äußeres hat nicht gelitten.

Hjalmar in düsterem Ton. Aber, Du, das Innere! Das sieht anders aus, kannst Du glauben! Du weißt doch, wie schrecklich es mit mir und den Meinen bergab gegangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

Gregers leiser. Wie geht es denn Deinem Vater jetzt?

Hjalmar scheu. Mein Lieber, darüber wollen wir lieber nicht reden. Mein armer, unglücklicher Vater lebt natürlich bei mir. Er hat ja auf der weiten Welt keine andere Zufluchtsstätte. Aber, siehst Du, über diese Geschichte zu reden, das fällt mir grauenhaft schwer. – Sag' mir lieber, wie ist es Dir da oben auf dem Werk gegangen.

Gregers. Himmlisch einsam habe ich gelebt, – hatte viel Muße, über dies und das nachzudenken. – Komm her, wir wollen es uns bequem machen. Er setzt sich in einen Lehnstuhl am Kamin und nötigt Hjalmar in einen daneben stehenden.

Hjalmar weich. Trotz alledem sage ich Dir Dank dafür, Gregers, daß Du mich an Deines Vaters Tisch geladen hast; denn nun weiß ich doch, daß Du nichts mehr gegen mich hast.

Gregers verwundert. Wie kommst Du auf den Gedanken, ich könnte etwas gegen Dich haben?

Hjalmar. In den ersten Jahren war es doch der Fall.

Gregers. In welchen ersten Jahren?

Hjalmar. Nachdem das große Unglück geschehen war. Und es war ja auch nur zu natürlich. Es hing ja doch nur an einem Haar, und Dein Vater wäre mit in diese – o, diese schrecklichen Geschichten hineingezogen worden!

Gregers. Und deshalb sollte ich etwas gegen Dich haben? Wer hat Dir das eingeredet?

Hjalmar. Ich weiß, Du hattest etwas gegen mich, Gregers; denn Dein Vater selbst hat es mir gesagt.

Gregers stutzt. Mein Vater! Ja so. Hm. – Und nur deshalb hast Du nie wieder etwas von Dir hören lassen – kein Sterbenswörtchen?

Hjalmar. Ja.

Gregers. Nicht einmal zu der Zeit, als Du Photograph wurdest?

Hjalmar. Dein Vater sagte, es lohne sich der Mühe nicht, Dir über dies und anderes zu schreiben.

Gregers sieht vor sich hin. Nein, nein – kann sein, daß er darin recht hatte. Aber sag' mir jetzt, Hjalmar, – befriedigt Dich Deine Stellung einigermaßen?

Hjalmar seufzt leicht. Ach ja, weshalb nicht; kann eigentlich nicht klagen. Im Anfang kam es mir freilich ein bißchen seltsam vor, weißt Du. Ich kam ja in so ganz andere Verhältnisse. Aber mein ganzes anderes Leben war ja auch so völlig verändert. Der große unglückselige Ruin meines Vaters, – die Schande und der Skandal, Gregers –

Gregers bewegt. Jawohl, ja. Jawohl.

Hjalmar. Meine Studien fortzusetzen, daran konnte ich doch nicht denken. Kein Pfennig war übrig geblieben; im Gegenteil, eher noch Schulden, – zumal bei Deinem Vater, glaube ich –

Gregers. Hm –

Hjalmar. Na, also da hielt ich es für das beste, – so mit einem Ruck, siehst Du, – mich aus allen alten Verhältnissen und Verbindungen herauszureißen. Ganz besonders Dein Vater riet mir dazu; und da er sich meiner so hilfreich annahm –

Gregers. Hat mein Vater das getan?

Hjalmar. Ja; das weißt Du ja doch? Wo hätte ich denn das Geld hernehmen sollen, um das Photographieren zu erlernen, mir ein Atelier einzurichten und mich zu etablieren. Du, das kostet was!

Gregers. Und die Kosten für das alles hat mein Vater getragen?

Hjalmar. Ja, mein Lieber, das weißt Du nicht? Ich verstand ihn so, als hätte er es Dir geschrieben.

Gregers. Kein Wort, daß er es war. Er muß es vergessen haben. Wir haben immer nur Geschäftsbriefe gewechselt. So, also mein Vater hat –!

Hjalmar. Ja freilich. Er hat nur nicht gewollt, daß die Leute etwas davon erführen; aber er ist es gewesen. Und er war es auch, der mir das Heiraten ermöglichte. Oder – weißt Du am Ende auch das nicht?

Gregers. Nein, das wußte ich freilich nicht. – Packt ihn bewegt am Arm. Aber, mein lieber Hjalmar, ich kann Dir nicht sagen, wie das alles mich freut – und mich quält. Vielleicht habe ich meinem Vater doch unrecht getan – in manchen Stücken. Denn, siehst Du, diese Regung ist ja doch ein Zeichen von Gemüt –. Es ist wie eine Art Gewissen –

Hjalmar. Gewissen?

Gregers. Jawohl, oder wie Du es sonst nennen willst. Nein, ich finde gar keine Worte für meine Freude, so etwas von Vater zu hören. – Also, Du bist verheiratet, Hjalmar. So weit werde ich es nie bringen. Na, ich hoffe doch, Du fühlst Dich als Ehemann glücklich?

Hjalmar. O, natürlich. Sie ist eine so tüchtige und brave Frau, wie ein Mann sie sich nur wünschen kann. Und außerdem ist sie nicht ganz ohne Bildung.

Gregers ein wenig erstaunt. Nein, – das kann sie wohl auch nicht sein.

Hjalmar. Das Leben, sieh mal, erzieht. Der tägliche Umgang mit mir –; und dann kommen doch auch häufig ein paar begabte Menschen zu uns. Ich versichere Dir, Du würdest Gina nicht wiedererkennen.

Gregers. Gina?

Hjalmar. Ja, mein Lieber, hast Du denn vergessen, daß sie Gina hieß?

Gregers. Wer hieß Gina? Ich weiß ja gar nicht –

Hjalmar. Aber hast Du denn vergessen, daß sie eine Zeit lang bei Euch in Stellung war?

Gregers sieht ihn an. Ist es Gina Hansen –?

Hjalmar. Ja, natürlich ist es Gina Hansen.

Gregers. – die uns den Haushalt führte im letzten Jahr, wo Mutter krank war?

Hjalmar. Ja, gewiß. Aber, lieber Freund, ich weiß doch ganz bestimmt, daß Dein Vater Dir über meine Verheiratung geschrieben hat.

Gregers, der aufgestanden ist. Ja, das hat er freilich getan; aber nicht, daß – Geht im Zimmer auf und ab. Aber wart' mal; – vielleicht doch – wenn ich mich recht besinne. Aber Vater schreibt mir immer so kurz. Setzt sich halb auf die Armlehne. Du, Hjalmar, sag' mir mal –; die Sache ist komisch –; wie ist das zugegangen, daß Du mit Gina – mit Deiner Frau bekannt wurdest?

Hjalmar. O, das war sehr einfach. Gina blieb doch nicht lange hier im Hause; denn hier ging's damals drunter und drüber; die Krankheit Deiner Mutter –; all das wurde Gina zu viel, und deshalb kündigte sie und ging. Das war ein Jahr vor dem Tode Deiner Mutter, – oder vielleicht war's auch im selben Jahr.

Gregers. Es war im selben Jahr. Und ich war damals auf dem Werk oben. Aber was weiter?

Hjalmar. Ja, da zog Gina wieder zu ihrer Mutter, einer Madam Hansen, einer ungewöhnlich tüchtigen und strebsamen Frau, die eine kleine Gastwirtschaft betrieb. Auch hatte sie noch ein Zimmer zu vermieten; ein recht nettes, gemütliches Zimmer.

Gregers. Das Du so glücklich warst zu bekommen?

Hjalmar. Ja. Auch darauf hatte Dein Vater mich aufmerksam gemacht. Und dort, – siehst Du, – dort habe ich Gina recht eigentlich kennen gelernt.

Gregers. Und dann kam es zur Verlobung?

Hjalmar. Ja. Junge Leute verlieben sich ja so leicht ineinander –; hm –

Gregers steht auf und geht hin und her. Sag' mal – nachdem Du Dich verlobt hattest, – da erst ließ mein Vater Dich –; ich meine, – da erst fingst Du an, Dich auf das Photographieren zu legen?

Hjalmar. Ja freilich. Denn ich wollte gern vorwärts und mich je eher, je lieber niederlassen. Und da fand denn Dein Vater wie auch ich, daß es auf die bequemste Art ginge, wenn ich's mit dem Photographieren versuchte. Gina war derselben Meinung. Und außerdem, siehst Du, gab es noch einen andern Grund. Es traf sich, daß Gina das Retouchieren erlernt hatte.

Gregers. Das paßte ja ganz wunderbar zusammen.

Hjalmar zufrieden, steht auf. Ja, nicht wahr? Du findest auch, daß es ganz wunderbar zusammen paßte?

Gregers. Ja, das muß ich gestehen. Mein Vater ist für Dich so eine Art Vorsehung gewesen.

Hjalmar bewegt. Er verließ den Sohn seines alten Freundes nicht in den Tagen der Bedrängnis. Denn er hat Gemüt, siehst Du.

Frau Sörby tritt ein, mit Werle am Arm. Keine Widerrede, mein guter Herr Werle; Sie dürfen mir nicht länger da drin bleiben und in das viele Licht starren. Es bekommt Ihnen nicht gut.

Werle läßt ihren Arm los und fährt mit der Hand über die Augen. Schon möglich, daß Sie recht haben.

Pettersen und Jensen kommen mit Präsentiertellern.

Frau Sörby zu den Gästen im anderen Zimmer. Bitte schön, meine Herren; wer ein Glas Punsch haben will, der muß sich hier herein bemühen.

Der Beleibte tritt zu Frau Sörby. Mein Gott, ist es wahr, daß Sie die herrliche Rauchfreiheit aufgehoben haben?

Frau Sörby. Jawohl, hier im Bereich des Herrn Werle ist sie aufgehoben, Herr Kammerherr.

Der Glatzkopf. Seit wann haben Sie für das Zigarrengesetz diese verschärften Bestimmungen eingeführt, Frau Sörby?

Frau Sörby. Nach dem letzten Diner, Herr Kammerherr; denn da haben sich gewisse Leute erlaubt, über die Stränge zu schlagen.

Der Glatzkopf. Und das ist nicht erlaubt, ein klein bißchen über die Stränge zu schlagen, Frau Berta? Wirklich nicht?

Frau Sörby. In gar keiner Beziehung, Herr Balle.

Die Mehrzahl der Gäste hat sich im Arbeitszimmer versammelt. Die Diener reichen Punsch herum.

Werle zu Hjalmar, weiter vorn an einem Tische. Was studieren Sie denn da so eifrig, Ekdal?

Hjalmar. Es ist nur ein Album, Herr Werle.

Der Glatzkopf, der umhergeht. Ah, Photographien! Ja, das ist ja so etwas für Sie.

Der Beleibte in einem Lehnstuhl. Haben Sie nicht ein paar von Ihren eigenen mitgebracht?

Hjalmar. Nein, bedaure.

Der Beleibte. Das hätten Sie doch tun sollen; es ist gut für die Verdauung, so dazusitzen und Bilder anzuschauen.

Der Glatzkopf. Und dann, sehen Sie, trägt es auch immer ein bißchen mit zur Unterhaltung bei.

Ein Kurzsichtiger. Und jeder Beitrag wird dankbar angenommen.

Frau Sörby. Die Herren meinen, wenn man zum Diner eingeladen ist, so muß man auch für das Essen etwas leisten, Herr Ekdal.

Der Beleibte. In einem Hause, wo gut gegessen wird, ist das ein wahres Vergnügen.

Der Glatzkopf. Du lieber Gott, wenn es den Kampf ums Dasein gilt, so –

Frau Sörby. Da haben Sie recht! Setzen das Gespräch unter Lachen und Scherzen fort.

Gregers leise. Du mußt mitreden, Hjalmar.

Hjalmar unwillig. Von was soll ich denn reden?!

Der Beleibte. Meinen Sie nicht auch, Herr Werle, daß man den Tokayer als ein verhältnismäßig gesundes Getränk für den Magen ansehen kann?

Werle am Kamin. Für den Tokayer, den Sie heute bekommen haben, kann ich wenigstens garantieren; das ist einer von den aller-, allerfeinsten Jahrgängen. Nun, das haben Sie wohl auch selbst gemerkt.

Der Beleibte. Jawohl, er schmeckte hervorragend delikat.

Hjalmar unsicher. Gibt es einen Unterschied zwischen den Jahrgängen?

Der Beleibte lachend. Nein, – Sie sind gut!

Werle lächelt. Es lohnt sich wirklich nicht, Ihnen einen edlen Tropfen vorzusetzen.

Der Glatzkopf. Es ist mit dem Tokayer, wie mit den Photographien, Herr Ekdal. Es gehört Sonnenschein dazu. Oder ist es vielleicht nicht so?

Hjalmar. Ja, das Licht tut das Seinige.

Frau Sörby. Aber dann ist es ja akkurat so wie mit den Kammerherren; denn die haben Sonnenschein auch furchtbar nötig, wie man sagt.

Der Glatzkopf. Au! Au! Da haben Sie aber einen recht alten Witz gemacht!

Der Kurzsichtige. Gnädige Frau produzieren sich –

Der Beleibte. – und zwar auf unsere Kosten. Droht . Frau Berta! Frau Berta!

Frau Sörby. Ja, aber das steht doch nun einmal bombenfest, daß die Jahrgänge sehr verschieden sein können. Die alten Jahrgänge sind die feinsten.

Der Kurzsichtige. Rechnen Sie mich zu den alten?

Frau Sörby. I, keine Spur.

Der Glatzkopf. Seh' mal einer an! Aber ich, verehrteste Frau –?

Der Beleibte. Ja, und ich! Zu welchen Jahrgängen rechnen Sie uns?

Frau Sörby. Sie rechne ich zu den süßen Jahrgängen, meine Herren. Sie nippt an einem Glase Punsch; die Kammerherren lachen und scherzen mit ihr.

Werle. Frau Sörby weiß sich immer aus der Affäre zu ziehen – wenn sie will. Aber Sie trinken ja gar nichts, meine Herren! – Pettersen, so passen Sie doch auf –! Gregers, ich denke, wir trinken ein Glas zusammen. Gregers rührt sich nicht. Wollen Sie nicht mithalten, Ekdal? Ich hatte keine Gelegenheit, bei Tisch mit Ihnen anzustoßen.

Gråberg durch die Tapetentür ins Zimmer.

Gråberg. Pardon, Herr Werle, aber ich kann nicht heraus.

Werle. Man hat Sie da drin schon wieder eingeschlossen?

Gråberg. Jawohl, und Flakstad hat die Schlüssel mitgenommen –

Werle. Na, dann gehen Sie nur hier durch.

Gråberg. Aber da ist noch wer –

Werle. Ja, kommt nur, kommt nur, Ihr zwei beiden; geniert Euch nicht. Gråberg und der alte Ekdal kommen aus dem Kontor.

Werle unwillkürlich. Nanu!

Lachen und Gespräch der Gäste verstummen. Hjalmar fährt beim Anblick seines Vaters zusammen, stellt sein Glas hin und wendet sich dem Kamin zu.

Ekdal sieht nicht auf, macht aber während des Gehens kurze Verbeugungen nach allen Seiten und murmelt: Bitte um Verzeihung. Bin den falschen Weg gekommen. Unten war zu; – war unten zu. Bitte um Verzeihung.

Er und Gråberg durch den Hintergrund rechts ab.

Werle zwischen den Zähnen. Der verdammte Gråberg!

Gregers starrt Hjalmar mit offenem Munde an. Das war doch nicht etwa –!

Der Beleibte. Was ist das? Wer war das?

Gregers. O, das war weiter niemand. Nur der Buchhalter und noch einer.

Der Kurzsichtige zu Hjalmar. Kannten Sie den Mann?

Hjalmar. Ich weiß nicht –; ich habe nicht acht gegeben –

Der Beleibte steht auf. Donnerwetter, was ist denn los? Geht zu einigen anderen, die leise sprechen.

Frau Sörby flüstert dem Diener zu: Geben Sie ihm draußen etwas mit; etwas recht Gutes.

Pettersen nickt. Soll geschehen. Ab.

Gregers leise und bewegt zu Hjalmar. Er war es also wirklich!

Hjalmar. Ja.

Gregers. Und doch hast Du dagestanden und ihn verleugnet!

Hjalmar flüstert heftig. Aber konnte ich denn –!

Gregers. – zu Deinem Vater Dich, bekennen?

Hjalmar schmerzlich. O, wärest Du nur an meiner Stelle –

Die Unterhaltung der Gäste, die bis jetzt mit leiser Stimme geführt worden, wird jetzt gezwungen laut.

Der Glatzkopf nähert sich Hjalmar und Gregers freundschaftlich. Aha, da frischt man wohl alte Erinnerungen aus der Studentenzeit auf? Was? Rauchen Sie nicht, Herr Ekdal? Wünschen Sie Feuer? Ist ja wahr, wir dürfen nicht –

Hjalmar. Danke, ich rauche nicht – –

Der Beleibte. Wollen Sie uns nicht ein kleines nettes Gedicht vordeklamieren, Herr Ekdal? Früher konnten Sie das so hübsch.

Hjalmar. Ich kann leider keins mehr.

Der Beleibte. Ach, das ist aber schade. Ja, was wollen wir denn jetzt machen, Balle?

Beide Herren gehen ab in den anderen Raum.

Hjalmar düster. Gregers, – ich will fort! Wenn ein Mann auf seinem Haupt des Schicksals zermalmende Hand gefühlt hat, siehst Du –. Empfiehl mich Deinem Vater.

Gregers. Ja, ja. Gehst Du gleich nach Haus?

Hjalmar. Ja. Weshalb fragst Du?

Gregers. Weil ich dann vielleicht später zu Dir komme.

Hjalmar. Nein, das sollst Du nicht. Nicht in meine Wohnung. Bei mir ist es trist, Gregers, – besonders nach einem so glänzenden Fest, wie diesem hier. Wir können uns ja immer irgendwo in der Stadt treffen.

Frau Sörby hat sich genähert; mit gedämpfter Stimme. Wollen Sie fort, Ekdal?

Hjalmar. Ja.

Frau Sörby. So grüßen Sie Gina.

Hjalmar. Danke.

Frau Sörby. Und sagen Sie ihr, ich würde nächstens mal zu ihr kommen.

Hjalmar. Besten Dank. Zu Gregers. Bleib hier. Ich will unbemerkt verschwinden.

Geht langsam durchs Zimmer, dann hinein in die andere Stube und schließlich rechts ab.

Frau Sörby leise zum Diener, der zurückgekommen ist. Na, hat der Alte was mitgekriegt?

Pettersen. Jawoll, ich hab' ihm 'ne Flasche Kognak zugesteckt.

Frau Sörby. Na, Sie hätten auch was Besseres aussuchen können.

Pettersen. Nee, Frau Sörby; was Besseres als wie Kognak, das kennt der nicht.

Der Beleibte in der Tür mit einem Notenheft in der Hand. Wollen wir nicht zusammen etwas spielen, Frau Sörby?

Frau Sörby. Ach ja, – tun wir das.

Die Gäste. Bravo, bravo!

Sie und alle Gäste gehen durch das Zimmer rechts ab. Gregers bleibt am Kamin stehen. Werle sucht etwas auf dem Schreibtisch und scheint zu wünschen, Gregers möge gehen. Da dieser sich nicht rührt, geht Werle der Ausgangstür zu.

Gregers. Vater, willst Du nicht einen Augenblick bleiben?

Werle bleibt stehen. Was ist?

Gregers. Ich habe mit Dir zu reden.

Werle. Hat das nicht Zeit, bis wir allein sind?

Gregers. Nein. Denn möglicherweise sind wir überhaupt nicht wieder allein.

Werle tritt näher. Was soll das heißen?

Während des Folgenden ertönt gedämpftes Klavierspiel aus dem Musiksaal.

Gregers. Wie konnte man diese Familie so jämmerlich verkommen lassen!

Werle. Vermutlich meinst Du die Ekdals.

Gregers. Ja, ich meine die Ekdals. Der Leutnant Ekdal hat Dir doch einmal so nahe gestanden.

Werle. Ja, leider; er hat mir nur zu nahe gestanden. Das habe ich lange Jahre fühlen und büßen müssen. Ihm habe ich es zu danken, daß auch mein guter Name und Ruf so etwas wie einen Flecken mit abbekommen hat.

Gregers leise. War er wirklich der allein Schuldige ?

Werle. Wer denn sonst?

Gregers. Ihr habt ja doch gemeinschaftlich den großen Ankauf von Waldungen gemacht –

Werle. Aber ist es nicht Ekdal gewesen, der die Karte von dem Terrain aufnahm, – jene unzuverlässige Karte? Er war es, der die ungesetzliche Abholzung auf fiskalischem Grund und Boden vornahm. Er war ja doch für den ganzen Betrieb da oben verantwortlich. Ich hatte keine Einsicht in das, was Leutnant Ekdal trieb.

Gregers. Leutnant Ekdal hatte wohl selbst keine Einsicht in das, was er trieb.

Werle. Mag sein. Aber Tatsache ist, daß er verurteilt und ich freigesprochen wurde.

Gregers. Ja, ich weiß wohl: es fehlten die Beweise.

Werle. Freisprechung ist Freisprechung. Weshalb rührst Du an diese alten, peinlichen Dinge, die mein Haar vor der Zeit grau gemacht haben? Hast Du etwa darüber jahraus, jahrein da oben gegrübelt? Ich kann Dir versichern, Gregers, – hier in der Stadt sind diese Geschichten lange vergessen – soweit sie mich betreffen.

Gregers. Und die unglückliche Familie Ekdal –?

Werle. Was, meinst Du, hätte ich denn eigentlich für die Leute tun sollen? Als Ekdal wieder auf freien Fuß kam, da war er ein gebrochener, unrettbar verlorener Mann. Es gibt Leute, die ganz und gar untergehen auf dieser Welt, auch wenn sie nur ein paar Körner Schrot in den Pelz gekriegt haben, und die ihr Lebelang nicht wieder auf die Beine kommen. Du kannst mir auf mein Wort glauben, Gregers, ich bin so weit gegangen, wie ich konnte, wenn ich mich nicht selbst bloßstellen und allerhand Verdächtigungen und Redereien der Leute Nahrung geben wollte –

Gregers. Verdächtigungen –? Na ja, jawohl.

Werle. Ich habe Ekdal Schreibarbeiten fürs Kontor zugewandt, und ich zahle ihm für seine Arbeit weit, weit mehr, als sie wert ist –

Gregers, ohne ihn anzusehen. Hm, daran zweifle ich nicht.

Werle. Du lachst? Glaubst Du etwa, ich sage die Unwahrheit? In meinen Büchern steht allerdings nichts davon; denn über solche Ausgaben führe ich niemals Buch.

Gregers lächelt kalt. Allerdings, es gibt gewisse Ausgaben, über die man lieber nicht Buch führt.

Werle stutzt. Was meinst Du damit?

Gregers mit erkämpftem Mut. Hast Du Buch darüber geführt, was Dich Hjalmars photographische Studien gekostet haben?

Werle. Ich? Inwiefern Buch geführt?

Gregers. Ich weiß jetzt, daß Du das bezahlt hast. Und jetzt weiß ich auch, daß Du es gewesen bist, der ihm so freigebig zur Etablierung verhelfen hat.

Werle. Na – und da sagt man noch, ich hätte nichts für die Ekdals getan! Ich kann Dir versichern, die Leute haben mir genug Ausgaben verursacht.

Gregers. Hast Du über keine dieser Ausgaben Buch geführt?

Werle. Weshalb fragst Du danach?

Gregers. O, das hat so seine Gründe. Sag' mal – als Du Dich so warm interessiertest für den Sohn Deines alten Jugendfreundes, – das war doch gerade in der Zeit, da er heiraten wollte?

Werle. Ja, zum Henker, – wie kann ich nach so vielen Jahren noch –

Gregers. Du hast mir damals einen Brief geschrieben, – einen Geschäftsbrief natürlich. Und in einer Nachschrift, da stand ganz kurz, Hjalmar Ekdal hätte sich mit einem Fräulein Hansen verheiratet.

Werle. Ja, ganz recht, so hat sie geheißen.

Gregers. Aber Du hast nichts davon geschrieben, daß dieses Fräulein Hansen Gina Hansen war – unsere ehemalige Wirtschafterin.

Werle lacht spöttisch, aber gezwungen. Nein, denn ich konnte mir wirklich nicht denken, daß Du Dich so sehr für unsere frühere Wirtschafterin interessiertest.

Gregers. Das habe ich auch nicht getan. Aber – senkt die Stimme – es waren hier im Hause andere Leute, die sich sehr für sie interessierten.

Werle. Was soll das heißen? Aufbrausend. Du meinst damit doch wohl nicht gar mich?

Gregers leise, aber fest. Ja, ich meine Dich.

Werle. Und das wagst Du –! Das unterstehst Du Dich –! Wie kann dieser undankbare Mensch, dieser Photograph –; wie kann er sich erdreisten, mit solchen Bezichtigungen zu kommen!

Gregers. Hjalmar hat diese Dinge nicht mit einem Worte berührt. Ich glaube, er hat nicht einmal eine Ahnung davon.

Werle. Aber woher hast Du es denn? Wer hat Dir so etwas sagen können?

Gregers. Das hat mir meine arme, unglückliche Mutter gesagt. Das letzte Mal, als ich sie sah.

Werle. Deine Mutter! Hätte es mir auch denken können! Sie und Du, – Ihr habt immer zusammengehalten. Sie war es, die von Anfang an Dein Herz mir entfremdet hat.

Gregers. Nein, – das haben die Leiden und Kränkungen getan, die sie hier ertragen mußte, bis sie zusammenbrach und jammervoll zugrunde ging.

Werle. O, sie hatte keine Leiden und Kränkungen zu ertragen; wenigstens nicht mehr als so viele andere! Aber mit kränklichen, überspannten Menschen ist schwer auszukommen. Das habe ich nur zu sehr fühlen müssen. – Und nun kommst Du mit solcher Verdächtigung daher, – rührst allerhand alte Gerüchte wieder auf und Verleumdungen gegen Deinen Vater. Lieber Gregers, ich meine, Du in Deinem Alter könntest Dich wirklich mit etwas Nützlicherem beschäftigen.

Gregers. Ja, das dürfte allerdings an der Zeit sein.

Werle. Dann würde es Dir wohl auch leichter ums Herz, als es jetzt der Fall zu sein scheint. Wohin soll es denn führen, daß Du jahraus, jahrein auf dem Werk da oben wie ein einfacher Kontorist hockst und Dich plagst und nicht einen Pfennig über den gewöhnlichen Monatslohn annehmen willst? Das ist ja der reine Wahnsinn von Dir.

Gregers. Ja, wenn ich das nur so sicher wüßte.

Werle. Ich verstehe Dich ganz gut. Du willst unabhängig sein, willst mir nichts zu verdanken haben. Aber gerade jetzt hast Du eine Gelegenheit, Dich unabhängig zu machen, – in jeder Beziehung Dein eigener Herr zu werden.

Gregers. So? Und auf welche Weise –?

Werle. Als ich Dir schrieb, Du möchtest unverzüglich hierher kommen – hm –

Gregers. Ja, – was willst Du eigentlich von mir? Den ganzen Tag warte ich schon darauf, es zu erfahren.

Werle. Ich möchte Dir vorschlagen, als Teilhaber in die Firma zu treten.

Gregers. Ich? In Deine Firma? Als Kompagnon?

Werle. Ja. Deshalb brauchten wir doch nicht ständig zusammen zu sein. Du könntest die Geschäfte hier in der Stadt übernehmen, und ich zöge aufs Werk hinauf.

Gregers. Das wolltest Du?

Werle. Ja, denn, sieh mal, ich bin nicht mehr so arbeitsfähig wie früher. Ich bin gezwungen, meine Augen zu schonen, Gregers; denn sie wollen schon etwas schwach werden.

Gregers. Das sind sie ja immer gewesen.

Werle. Nicht so wie jetzt. Und überdies, – die Verhältnisse konnten es mir vielleicht wünschenswert erscheinen lassen, da oben zu wohnen – wenigstens eine Zeitlang.

Gregers. Alles andere hätte ich mir eher gedacht als so etwas.

Werle. Nun hör' mich mal an, Gregers. Es steht so vieles scheidend zwischen uns – gewiß. Aber wir sind doch nun einmal Vater und Sohn. Ich meine, es müßte doch etwas wie eine Verständigung zwischen uns möglich sein.

Gregers. Du meinst doch wohl: äußerlich.

Werle. Na, das wäre schon immerhin etwas. Überleg' es Dir, Gregers. Glaubst Du nicht, es ließe sich machen? Was?

Gregers blickt ihn kalt an. Dahinter steckt irgend etwas.

Werle. Wieso?

Gregers. Du hast mich gewiß zu etwas nötig.

Werle. In einem so nahen Verhältnis, wie wir zueinander stehen, hat der eine den andern wohl immer nötig.

Gregers. Ja, so heißt es.

Werle. Ich möchte Dich jetzt gern einige Zeit bei mir haben. Ich bin ein einsamer Mann, Gregers, habe mich immer einsam gefühlt – mein ganzes Leben lang: aber besonders jetzt, da das Alter sich mir fühlbar macht. Ich muß jemand um mich haben. –

Gregers. Du hast doch Frau Sörby.

Werle. Allerdings. Und sie ist mir nachgerade sozusagen unentbehrlich geworden. Sie ist munter; sie ist ohne Launen; sie bringt Leben ins Haus; – und das kann ich grade gut gebrauchen.

Gregers. Na, dann hast Du ja alles, was Dein Herz begehrt.

Werle. Ja, aber ich fürchte, das kann nicht so bleiben. Eine Frau in solcher Situation kommt der Welt gegenüber leicht in eine schiefe Stellung. Ja, fast hätte ich gesagt, auch einem Manne ist damit nicht gedient.

Gregers. O, wenn ein Mann solche Diners gibt wie Du, so kann er gewiß manches riskieren.

Werle. Ja, aber sie, Gregers? Ich fürchte, sie wird sich auf die Dauer nicht darein finden. Und selbst wenn sie sich darein finden sollte, – wenn sie sich aus Hingebung für mich über den Klatsch und die Nachrede der Leute und dergleichen hinwegsetzen würde –? Meinst Du denn, Gregers, Du mit Deinem stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn –

Gregers ihn unterbrechend. Kurz und gut – sag' mir eins: Hast Du die Absicht, sie zu heiraten?

Werle. Und wenn ich nun die Absicht hätte? Was dann?

Gregers. Ja, das frage ich auch. Was dann?

Werle. Würde Dir das so durchaus gegen den Strich gehen?

Gregers. Nein, gar nicht. Durchaus nicht.

Werle. Ich konnte ja doch nicht wissen, ob nicht vielleicht die Erinnerung an Deine selige Mutter –

Gregers. Ich bin nicht überspannt.

Werle. Na, wie dem nun auch sei, – jedenfalls hast Du mir einen schweren Stein vom Herzen genommen. Es ist mir unendlich lieb, daß ich in dieser Sache auf Deine Zustimmung zählen kann.

Gregers blickt ihn unverwandt an. Jetzt weiß ich, wozu Du mich brauchen willst.

Werle. Dich brauchen? Was ist denn das für ein Ausdruck!

Gregers. Ach, seien wir nicht heikel in der Wahl der Worte; – wenigstens nicht unter vier Augen. Lacht kurz. Ja so! Donnerwetter, – deshalb mußte ich mich also in eigener Person hier einfinden. Frau Sörby zu Liebe soll hier im Haus ein Familienleben inszeniert werden. Tableau zwischen Vater und Sohn! Das ist etwas Neues, ei ja!

Werle. Wie kannst Du wagen, in solchem Ton zu reden!

Gregers. Wann haben wir hier ein Familienleben gehabt? Niemals, solange ich denken kann. Aber jetzt hat man Verwendung für 'n bißchen so was. Denn unstreitig wird es sich sehr gut ausnehmen, wenn man erzählen kann, daß der Sohn – auf den Flügeln der Pietät – zum Hochzeitsfest des alternden Vaters herbeigeeilt ist. Was bleibt dann von all den Gerüchten über die Leiden der toten Dulderin? Nicht so viel! Ihr Sohn schlägt sie ja nieder.

Werle. Gregers, – ich glaube, kein Mensch auf der Welt ist Dir so zuwider wie ich.

Gregers leise. Ich habe Dich zu sehr in der Nähe gesehen.

Werle. Du hast mich mit den Augen Deiner Mutter gesehen. Senkt ein wenig die Stimme. Aber Du solltest nicht vergessen, daß ihre Augen – zuweilen umnebelt waren.

Gregers bebend. Ich weiß, worauf Du hinaus willst. Aber wer trägt die Schuld an der unglücklichen Schwäche meiner Mutter? Du und alle diese –! Die letzte von ihnen war dieses Frauenzimmer, mit dem Hjalmar Ekdal verkuppelt wurde, als Du nicht mehr – o!

Werle zuckt die Achseln. Wort für Wort, – als ob ich Deine Mutter hörte.

Gregers ohne auf ihn zu achten. – und da sitzt er nun mit seinem großen arglosen Kindergemüte inmitten des Betrugs, – lebt unter einem Dach mit einer solchen –, und ahnt nicht, daß das, was er sein Heim nennt, auf eine Lüge gegründet ist! Einen Schritt näher. Wenn ich auf Deinen ganzen Wandel zurückblicke, so ist mir, als sähe ich ein Schlachtfeld voll hingemordeter Menschenlose.

Werle. Ich glaube nachgerade selbst, die Kluft zwischen uns ist zu groß.

Gregers verbeugt sich, mit Selbstbeherrschung. Das habe ich bemerkt. Und deshalb nehme ich auch meinen Hut und gehe.

Werle. Du gehst? Aus dem Hause?

Gregers. Ja. Denn jetzt sehe ich endlich eine Aufgabe, für die ich leben kann.

Werle. Was ist das für eine Aufgabe?

Gregers. Du würdest ja doch nur lachen, wenn Du es hörtest.

Werle. Ein einsamer Mann lacht nicht so leicht, Gregers.

Gregers zeigt nach dem Hintergrunde. Sieh mal, Vater, da spielen die Kammerherren Blindekuh mit Frau Sörby. – Gute Nacht und adieu. Ab durch den Hintergrund rechts. Man hört die Gesellschaft lachen und scherzen; sie wird in dem äußeren Zimmer sichtbar.

Werle murmelt höhnisch hinter Gregers her: He –! Der Tropf, – und der sagt, er wäre nicht überspannt!


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