Henrik Ibsen
Die Helden auf Helgeland
Henrik Ibsen

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Vierter Akt

Am Strand. Es ist Abend. Dann und wann erscheint der Mond durch zerrissene Gewitterwolken. Im Hintergrunde ein schwarzer, frisch aufgeworfener Hügel.

Auf einem Stein rechts im Vordergrund sitzt Oernulf unbedeckten Hauptes, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Leute schaufeln am Grabe, einige leuchten mit Kienspänen. Nach kurzer Pause kommen Sigurd und Dagny aus dem Bootshause, worin ein helles Reisigfeuer brennt.

Dagny flüsternd. Da sitzt er noch. Hält Sigurd zurück. Nein, – sprich, ihn nicht an!

Sigurd. Du hast recht. Es ist noch zu früh; besser, man läßt ihn allein!

Dagny geht nach rechts hinüber und betrachtet den Vater mit stiller Trauer. So stark war er gestern, da er Thorolfs Leiche auf den Rücken nahm! Stark war er, da sie den Grabhügel aufwarfen – Aber als seine Söhne nun drinnen lagen und Sand und Steine darauf fielen – da übermannte ihn die Trauer, da brach er zusammen! Trocknet ihre Tränen. Sag', Sigurd! Wann gedenkst Du heimzufahren nach Island?

Sigurd. Sobald das Unwetter sich gelegt, und ich meinen Handel mit Gunnar ausgetragen habe.

Dagny. Und dann wirst Du Dir Land kaufen und einen Hof bauen und nie mehr in den Seekrieg ziehen?

Sigurd. Ja, ja – das hab' ich Dir versprochen!

Dagny. Und hat mich Hjördis wirklich belogen, da sie sagte, ich wäre Deiner unwürdig als Eheweib?

Sigurd. Ja, ja, Dagny – verlaß Dich auf mein Wort!

Dagny. So will ich wieder froh sein und versuchen, all das Böse zu vergessen, das hier vollführt worden. An den langen Winterabenden wollen wir zusammen von Gunnar und von Hjördis sprechen, und –

Sigurd. Nein, Dagny! Willst Du uns beiden wohl, so nenne Hjördis nie mehr, wenn wir daheim auf Island sitzen!

Dagny. Dein Haß ist ungerecht. Sigurd, Sigurd, das gleicht Dir wenig!

Einer der Männer nähert sich Oernulf. Nun ist das Grab bestellt.

Oernulf wie aus dem Schlaf erwachend. Das Grab – bestellt? Nun ja –

Sigurd. Jetzt sprich mit ihm, Dagny!

Dagny nähert sich. Vater, es ist kalt hier draußen; ein Unwetter zieht herauf.

Oernulf. Hm, sei ohne Sorge! Das Grab ist fest und gut gebaut, – sie ruhen sicher darin.

Dagny. Ja, aber Du –?

Oernulf. Ich? – Mich friert nicht.

Dagny. Du hast heut noch nichts gegessen; willst Du nicht hineingehen? Das Nachtmahl steht bereit.

Oernulf. Laß das Nachtmahl stehen! Mich hungert nicht.

Dagny. Aber so still hier zu sitzen, glaub' mir, das frommt Dir nicht; Du bist es nicht gewohnt.

Oernulf. Wohl wahr. Ein Etwas schnürt mir die Brust zusammen; ich kann nicht Atem holen.

Er verbirgt abermals das Antlitz in den Händen. Pause. Dagny setzt sich neben ihn.

Dagny. Morgen rüstest Du Dein Schiff und fährst mit uns gen Island, nicht?

Oernulf ohne aufzublicken. Was soll ich dort? Nein! Ich will zu meinen Söhnen.

Dagny schmerzlich. Vater!

Oernulf erhebt das Haupt. Geh hinein und laß mich! Haben die Stürme eine Nacht oder zwei mich umbraust, so denk' ich, ist's geschehen.

Sigurd. So darfst Du nicht denken.

Oernulf. Befremdet Dich mein Wunsch nach Ruhe? Mein Tagwerk ist ja vollbracht, meine Söhne sind bestattet. Heftig. Geht! – Fort! Fort! Er verbirgt wieder sein Antlitz.

Sigurd leise zu Dagny, die sich erhebt. Laß ihn noch eine kleine Weile sitzen!

Dagny. Nein, – ich weiß mir Rat – ich kenne den Vater! Zu Oernulf. Dein Tagwerk ist vollbracht, sagst Du; doch ganz noch nicht. Bestattet hast Du Deine Söhne – aber Du bist ja Skalde? Es ziemt sich ihr Gedächtnis zu singen.

Oernulf schüttelt das Haupt. Singen? Nein, nein! Gestern könnt' ich es, heute bin ich zu alt.

Dagny. Und doch muß es sein. Ruhmwürdige Männer waren alle Deine Söhne; ihnen sei ein Lied geweiht, und das kann in unserer Sippe keiner außer Dir!

Oernulf blickt Sigurd fragend an. Ein Lied? Was meinst Du, Sigurd?

Sigurd. Ich meine, Deiner Tochter Begehr ist billig.

Dagny. Deine Nachbarn auf Island möchten es übel deuten, wenn die Totenfeier den Söhnen Oernulfs bereitet wird, und kein Sang noch gedichtet ist. Deinen Söhnen zu folgen, dazu hast Du noch Zeit genug.

Oernulf. Gut, ich will's versuchen. Und Du, Dagny, merk' auf, damit Du den Sang hernach in Runen ritzen kannst.

Die Männer kommen näher mit den Fackeln, so daß sich eine Gruppe um Oernulf bildet; er schweigt eine Weile, sinnt nach und hebt dann an:

Trübt den Sinn die Trauer,
Fremd ist ihm die Freude;
Traf den Sänger Sorge,
Tönt sein Lied vom Leide.

Des Gesanges Segen
Gab der Gott mir, Brage –
Künde meinen Kummer,
Klinge drum, o Klage!

    Erhebt sich.

Grausam ward der Norne
Groll ob mir entladen;
Glück und Glanz verglommen
Über Oernulfs Pfaden.

Sieben Söhne waren
Mir vom Gott gegeben;
Gramvoll geht der Greis nun,
Liebeleer durchs Leben.

Sieben Söhne sah ich
Schön um mich sich scharen,
Schutz und Schirm dem Wiking
Mit den weißen Haaren.

Tot sind nun die Tapfern!
Wehr und Wall zerfallen!
Einsam irrt der Alte,
Öd' sind Haus und Hallen!

Thorolf, mir so teuer,
Letzter von den Lieben –
Wollt' das Weh verwinden,
Wärst mir Du geblieben!

Lieb wie Lenzeslächeln,
Wonne war Dein Wesen;
Wuchsest hold und herrlich
Als ein Held erlesen!

Tobend tief im Innern
Wächst das Weh, das wilde,
Das die alte Brust mir
Zwängt wie zwischen Schilde.

Neidisch nahm die Norne
All mein Eigen wieder,
Schüttete der Schmerzen
Schale auf mich nieder.

Wehrlos bin ich worden;
Hätt' ich Götterstärke:
Rastlos sänn' ich Rache
Für der Norne Werke!

Die den Todesstreich mir
Tief ins Herz versetzte,
Die mir ruchlos raubte
Alles – auch das Letzte! –

Ist für Oernulf alles
Nun in Nacht versunken?
Nein, es hat der Sänger
Suttungs Met getrunken!

    Mit steigender Begeisterung.

Meine Söhne sanken;
Doch mit Dichtermunde
Geb' von meinem Leide
Laut im Lied ich Kunde!

Lind auf meine Lippen
Legt' ein Gott mir Töne –
Kling hinaus, o Klage,
Übers Grab der Söhne!

Heil Euch, Helden! Ruhmreich
Reitet auf vom Grabe! –
Erdenweh und -wunden
Heilt die Göttergabe!

Er holt tief Atem, streicht sich das Haar von der Stirn zurück und sagt:

So! Nun ist Oernulf wieder frisch, wieder stark! Zu den Männern. Kommt mit zum Nachtmahl, Ihr Gesellen; wir haben ein schweres Tagwerk gehabt! Geht mit den Knechten ins Boothaus.

Dagny. Gepriesen seien die Hohen im Himmel, die so guten Rat mir schenkten! Zu Sigurd. Willst Du nicht hineingehen?

Sigurd. Nein, – dazu hab' ich wenig Lust! Sag', ist alles bereit für morgen?

Dagny. Ja. Ein Totenhemd, mit Seide gesäumt, liegt auf der Bank. Aber ich weiß gewiß, daß Du Gunnar im Kampf bestehen wirst. Darum hab' ich nicht geweint bei der Arbeit.

Sigurd. Alle guten Mächte mögen verhüten, daß Du je weinest um meinetwillen!

Er bleibt stehen und blickt umher.

Dagny. Was lauschest Du?

Sigurd. Hörst Du nichts? – dort! Deutet nach links.

Dagny. Ja, es geht wie ein seltsam Unwetter über die See.

Sigurd, indem er nach dem Hintergrund geht. Hm, es wird noch harten Hagel regnen in diesem Wetter. Ruft. Wer ist da?

Kåre links draußen. Bekannte Leute, Wiking Sigurd!

Kåre mit einem Troß Bewaffneter von links.

Sigurd. Wo wollt Ihr hin?

Kåre. Nach Gunnars Hof.

Sigurd. Als Feinde?

Kåre. Das sollt' ich meinen! Jüngst hast Du mich daran gehindert; doch diesmal, denk' ich, wird es Dir recht sein!

Sigurd. Leicht möglich!

Kåre. Ich vernahm von Deinem Handel mit Gunnar; doch geht es, wie ich will, so wird Gunnar mit elenden Waffen zum Zweikampf kommen.

Sigurd. Du sinnst auf ein verwegen Werk. Hüte Dich, Bauer!

Kåre mit trotzigem Lachen. Laß mich gewähren! Willst Du Dein Schiff in dieser Nacht takeln, so werden wir Dir leuchten! – Kommt alle meine Mannen, – hier geht der Weg!

Sie gehen alle rechts im Hintergrund ab.

Dagny. Sigurd, Sigurd! Dies Unheil mußt Du verhüten!

Sigurd geht rasch zur Tür des Boothauses und ruft hinein: Auf vom Mahl, Oernulf. Nimm Rache an Kåre!

Oernulf kommt mit den andern. Der Bauer Kåre – wo ist er?

Sigurd. Er stürmt nach Gunnars Hof, zu Mord und Brand!

Oernulf. Haha! – Laß ihn gewähren! So werd' auch ich an Gunnar und Hjördis gerächt. Später dann will ich Kåre fahnden.

Sigurd. Ein zweckloser Anschlag! Kåre mußt Du diese Nacht noch fahnden, willst Du ihn fassen. Denn ist die Untat verübt, so zieht er in die Berge. Gunnar hab' ich zum Zweikampf entboten; er ist Dir sicher, wofern nicht ich selbst – doch gleichviel! Diese Nacht muß man ihn vor seinen Widersachern schützen. Schlimm wär' es, wenn ein Bube wie Kåre mich um meine Rache brächte.

Oernulf. Du hast recht. Heut nacht will ich Thorolfs Mörder schirmen – doch morgen muß er fallen.

Sigurd. Er oder ich – darauf kannst Du bauen!

Oernulf zu den Knechten. So kommt denn, Oernulfs Stamm zu rächen! Er geht mit den Männern rechts im Hintergrund ab.

Sigurd. Folg' ihnen, Dagny! Ich muß bleiben; denn die Kunde vom Zweikampf wandert schon durchs Volk, und ich darf Gunnar nicht begegnen, eh' die Zeit gekommen ist. Aber Du – berate und leite Deinen Vater! Würdig soll er zu Werke gehen. Es sind viele Weiber auf Gunnars Hof; weder Hjördis noch den andern darf Unbill widerfahren.

Dagny. Ich eile dem Vater nach. Nun denkst Du doch an Hjördis! Hab' Dank für die Gesinnung!

Sigurd. Geh jetzt!

Dagny. Ich gehe. Doch um Hjördis willen können wir unbesorgt sein; sie hat einen goldenen Panzer in ihrer Kammer und verteidigt sich wohl selbst.

Sigurd. Das denk' auch ich. Aber geh Du gleichwohl, – lenke Deines Vaters Tun, wache über alle und – über Gunnars Eheweib!

Dagny. Verlaß Dich auf mich! Auf frohes Wiedersehen! Sie folgt den andern.

Sigurd. Es ist das erste Mal, Waffenbruder, daß ich ungerüstet bleibe, während Du in Gefahr schwebst. Lauscht. Geschrei und Schwerthiebe! Sie sind schon auf dem Hofe – Will rechts hinüber, bleibt aber stehen und weicht dann überrascht zurück. Hjördis – hier?

Hjördis. Sie trägt ein rotes Scharlachgewand mit goldenem Waffenschmuck, Helm, Panzer, Arm- und Beinschienen. Ihr Haar flattert frei. Auf dem Rücken trägt sie einen Köcher und am Gürtel einen kleinen Schild. In der Hand hat sie den Bogen mit der härenen Sehne.

Hjördis eilig, indem sie zurücksieht, als ob sie sich vor einem Verfolger ängstige; sie tritt dicht an Sigurd heran, faßt ihn am Arm und sagt flüsternd: Sigurd, Sigurd, siehst Du ihn?

Sigurd. Wen? Wo?

Hjördis. Den Wolf dort, gleich dort! Er rührt sich nicht, er starrt mich an mit roten, glühenden Augen! – Das ist mein Todesbote, Sigurd! Dreimal ist er mir erschienen: das bedeutet, daß ich sicher in dieser Nacht noch sterben werde.

Sigurd. Hjördis, Hjördis!

Hjördis. Eben dort versank er in die Erde. Ja, ja, – nun hat er mich gewarnt!

Sigurd. Du bist krank, Hjördis. Komm ins Haus.

Hjördis. Nein, – hier will ich warten! Meine Zeit ist kurz.

Sigurd. Was ist Dir widerfahren?

Hjördis. Was mir widerfahren ist? Ich weiß es nicht! Aber als Du heute sagtest, Gunnar und Dagny stünden zwischen uns, da hast Du wahr gesprochen. Fort von ihnen und aus dem Leben müssen wir – dann können wir zusammenbleiben!

Sigurd. Wir? Ha, Du meinst –

Hjördis hoheitsvoll. Ich ward heimatlos in der Welt von dem Tag an, da Du eine andere zum Weibe nahmst. Ein Unrecht hast Du damals begangen! Alle guten Gaben kann der Mann seinem treuerprobten Freunde geben – alles, nur nicht das Weib, das er liebt! Denn tut er das, so zerreißt er das heimliche Gespinst der Norne, und zwei Leben sind verspielt. Eine untrügliche Stimme in mir sagt, daß ich geschaffen ward, damit mein starker Sinn Dich erhebe und trage in schweren Zeiten, und daß Du geboren wardst, damit ich in einem Manne alles fände, was ich für groß und herrlich halte. Denn das weiß ich, Sigurd, hätten wir zwei zusammengehalten – Du wärest der Berühmteste und ich wäre die Glücklichste unter den Menschen geworden.

Sigurd. Die Klage kommt zu spät. Glaubst Du, das Leben, das meiner wartet, sei heiter? Tag für Tag um Dagny zu sein und eine Liebe zu heucheln, die mir das Herz beklemmt? Und doch muß es sein; es läßt sich nicht ändern.

Hjördis mit wachsender Leidenschaft. O doch! Laß uns beide aus dem Leben gehen! Siehst Du diese Bogensehne? Mit ihr treff' ich sicher: denn herrliche Zaubersprüche hab' ich darüber gesungen. Sie nimmt einen Pfeil aus dem Köcher. Horch, horch, wie es hoch in den Lüften saust! Das ist die Heimfahrt der Toten. Ich habe sie herbeschworen – in ihrem Zuge wollen wir folgen!

Sigurd weicht zurück. Hjördis, Hjördis, – Du machst mir Grauen!

Hjördis ohne auf ihn zu achten. Keine Macht mehr wendet unser Geschick. Und besser so, als hättest Du mich hienieden gefreit, und ich hätte auf Deinem Hof gesessen und Lein und Wolle für Dich gesponnen und Dir Kinder geboren – pfui, pfui!

Sigurd. Halt ein! Deine Zauberkünste sind übermächtig geworden – sie haben Dir die Seele krank gemacht. Entsetzt. Ha, sieh, sieh! Gunnars Hof – er brennt!

Hjördis. Laß brennen, laß brennen! Der Wolkensaal dort oben ist besser als Gunnars Balkenstube!

Sigurd. Doch Egil, Dein Sohn – sie töten ihn!

Hjördis. Mögen sie ihn töten – so wird meine Schande mit ihm begraben!

Sigurd. Und Gunnar! Sie bringen Deinen Gatten ums Leben!

Hjördis. Was gilt mir das? Einem besseren Gatten folg' ich heim diese Nacht. Ja, Sigurd, so muß es sein! Hier im Lande blüht mir kein Glück. Der weiße Gott dringt nach dem Norden – ich will ihm nicht begegnen! Die alten Götter sind nicht mehr stark, wie früher; beinah zu Schatten sind sie worden – mit ihnen wollen wir streiten! Hinweg aus diesem Leben, Sigurd! Auf des Himmels Königsstuhl will ich Dich setzen und mich selbst Dir zur Seite! Das Unwetter bricht los. Horch, horch, da kommt unser Gefolge! Siehst Du die schwarzen jagenden Rosse? Eines für mich und eines für Dich! Sie legt den Bogen an und schießt. So fahre denn die letzte Fahrt!

Sigurd. Gut getroffen, Hjördis! Er fällt zu Boden.

Hjördis jubelnd, indem sie auf ihn zueilt. Sigurd, mein Bruder! Nun gehören wir einander an!

Sigurd. Nun weniger denn je: hier trennen sich unsre Wege – ich bin ein Christ!

Hjördis. Du! – Ha, nein, nein!

Sigurd. Der weiße Gott ist mein Gott. König Aedhelstan lehrte mich ihn kennen. Zu ihm geh' ich jetzt hinan!

Hjördis in Verzweiflung. Und ich! – Sie läßt den Bogen sinken. Weh', weh'!

Sigurd. Schwer war mein Leben von der Stunde an, da ich Dich aus meinem Herzen riß und Dich Gunnar zu eigen gab. Ich danke Dir, Hjördis – nun ist mir so leicht – so frei!

Er stirbt.

Hjördis leise. Tot! – – – Verspielt – meine Seele verspielt! Das Unwetter wütet heftiger; sie ruft wild: Sie kommen! Ich habe sie heraufbeschworen! – Doch nein, nein – ich folg' Euch nicht – will nicht nach Walhall ohne Sigurd! Keine Rettung – sie sehen mich, sie lachen und winken, sie spornen ihre Rosse! Eilt zur Felsenklippe im Hintergrund. Schon sind sie über mir – und keine Zuflucht, kein Versteck! Ja! Vielleicht in der Tiefe des Meeres!

Sie stürzt sich ins Meer.

Oernulf, Dagny, Gunnar mit Egil und Sigurds Mannen treten nach und nach rechts auf.

Oernulf zum Grabhügel gewandt. Nun könnt Ihr ruhig schlafen: denn Rache ist Euch worden.

Dagny kommt. Vater, Vater – der Schreck tötet mich! All das Blutvergießen und dies Unwetter – horch, horch!

Gunnar mit Egil auf dem Arm. Gebt Frieden und Obdach meinem Kinde!

Oernulf. Gunnar!

Gunnar. Ja, Oernulf! Mein Hof ist niedergebrannt und meine Mannen sind gefallen; ich bin in Deiner Gewalt – tu mit mir nach Deinem Willen!

Oernulf. In Sigurds Hand liegt Dein Los. – Doch komm ins Haus! Hier draußen ist es unsicher.

Dagny. Ja, hinein, hinein! Sie geht auf das Boothaus zu, wird den Leichnam gewahr und stößt einen Schrei aus. Sigurd, mein Eheherr – sie haben ihn ermordet! Sie wirft sich über ihn.

Oernulf eilt hinzu. Sigurd!

Gunnar, indem er Egil niedersetzt. Sigurd ermordet!

Dagny blickt verzweiflungsvoll die Männer an, die den Toten umringen. Nein, nein, – es ist nicht so! Er kann nicht tot sein! Bemerkt den Bogen. Ha! Was ist das? Erhebt sich.

Oernulf. Meine Tochter, es ist, wie Du sagtest – Sigurd ward ermordet.

Gunnar, wie von einer plötzlichen Ahnung ergriffen. Und Hjördis? – Ist Hjördis hier gewesen?

Dagny leise und mit Fassung. Ich weiß es nicht; aber das weiß ich: ihr Bogen ist hier gewesen.

Gunnar. Ha, ich dacht' es!

Dagny. Still, still! Für sich. So bitter also hat sie ihn gehaßt!

Gunnar leise. Sigurd getötet – in der Nacht vor dem Zweikampf; – so hat sie mich dennoch geliebt.

Alle schrecken zusammen; die wilde Jagd saust durch die Luft.

Egil erschrocken. Vater! Sieh, sieh!

Gunnar. Was ist?

Egil. Dort oben – all die schwarzen Rosse!

Gunnar. Das sind Wolken, die –

Oernulf. Nein, das ist der Toten Heimfahrt.

Egil mit einem Aufschrei. Die Mutter ist unter ihnen!

Dagny. Alle guten Mächte!

Gunnar. Kind, was sagst Du da?

Egil. Dort – voran – auf dem schwarzen Roß! Vater! Vater!

Egil klammert sich entsetzt an seinen Vater. Kurze Pause. Das Unwetter zieht vorüber, die Wolken zerteilen sich; der Mond scheint friedlich über der Landschaft.

Gunnar leise und schmerzvoll. Wahrlich – jetzt ist Hjördis tot.

Oernulf. So ist es, Gunnar. An ihr hätt' ich mehr zu rächen gehabt denn an Dir. Teuer kam die Begegnung uns beiden zu stehen. Hier meine Hand – Friede und Versöhnung!

Gunnar. Hab' Dank, Oernulf! Oernulf, hab' Dank! Und nun zu Schiffe! Ich ziehe mit Euch nach Island!

Oernulf. Ja, nach Island! – Unsre Heerfahrt wird so bald nicht vergessen werden:

            Kunde von den kühnen Kämpen,
            Die gestritten hier am Strande, –
            Töne bis in fernste Tage
            Laut im Lied durch nordische Lande!

 


 


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