Henrik Ibsen
Frau Inger auf Oestrot
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Stube auf Oestrot, wie im ersten Akt.

Inger sitzt am Tisch rechts vor dem Fenster. Olaf Skaktavl steht ein wenig von ihr entfernt. Beider Mienen verraten, daß ein sehr aufgeregtes Gespräch vorangegangen ist.

Olaf. Zum letzten Mal, Inger Gyldenlöve, – Ihr seid also unbeugsam in Euerm Entschluß?

Inger. Ich kann nicht anders. Und mein Rat ist: geht auch Ihr meinen Weg. Ist es des Himmels Wille, daß Norwegen untergehen soll, so geht es unter, ob wir es nun stützen oder nicht.

Olaf. Und mit diesem Glauben, meint Ihr, soll ich mich in Geduld fassen? Ich sollte ruhig dasitzen und zuschauen, nun die Zeit gekommen ist? Habt Ihr vergessen, was ich zu rächen habe? Mein liegendes Gut haben sie geraubt und unter sich geteilt. Meinen Sohn, mein einziges Kind, den letzten Sproß unseres Geschlechtes, erschlugen sie vor meinen Augen wie einen Hund, und mich selbst haben sie zwanzig Jahre lang friedlos durch Wald und Gebirge gehetzt. Das Gerücht hat mich mehr als ein liebes Mal tot gesagt; aber nun hab' ich die Zuversicht, daß man mich nicht in die Erde legen wird, eh' ich Rache genommen habe.

Inger. Dann habt Ihr auf ein langes Leben zu hoffen. Und jetzt – was wollt Ihr tun?

Olaf. Tun? Was weiß ich, was ich tun werde? Ich habe mich niemals darauf verstanden, Pläne zu schmieden. Das ist etwas, wozu ich Eurer Hilfe bedarf. Ihr seid gar klug dazu; ich habe nur meine zwei Arme und meine Wehr.

Inger. Eure Wehr ist verrostet, Olaf Skaktavl! Jede Wehr in Norwegen ist verrostet.

Olaf. Also deshalb streiten gewisse Leute nur mit der Zunge? – Inger Gyldenlöve, Ihr habt Euch sehr verändert. Es war eine Zeit, da schlug ein Mannesherz in Eurer Brust.

Inger. Mahnt mich nicht an das, was war.

Olaf. Und doch bin ich darum zu Euch gekommen. Ihr sollt mich hören, wenn auch –

Inger. Nun wohl! Aber macht es kurz; denn – ich muß es Euch wohl sagen – Ihr seid hier auf dem Schlosse nicht sicher.

Olaf. Auf Schloß Oestrot ist nicht Sicherheit für den Friedlosen? Das wußt' ich längst. Aber Ihr vergeßt, daß ein Friedloser nirgends sicher ist, wo er auch weile.

Inger. So sprecht. Ich kann es Euch nicht verwehren.

Olaf. Es ist nun bald dreißig Jahre her, daß ich Euch zum ersten Male sah. Es war zu Akershus bei Knut Alfsön und seinem Weibe. Ihr wart damals fast noch ein Kind, und gleichwohl wart Ihr kühn wie ein Falke auf der Jagd und dabei zuweilen wild und unzähmbar. Viele warben um Euch. Auch mir wart Ihr teuer – teuer wie kein Weib mir früher oder später gewesen ist. Aber Ihr hattet nur ein Ziel und einen Gedanken. Das war der Gedanke an das Unglück und die große Not des Reiches.

Inger. Ich war fünfzehn Sommer alt – vergeßt das nicht! Und war es nicht, als hätt' in jenen Tagen uns insgesamt ein wilder Trotz erfaßt?

Olaf. Nennt es, wie Ihr mögt. Aber das weiß ich: die Alten und Erfahrenen unter uns meinten, es stünde dort oben in den Sternen geschrieben, daß Ihr es wärt, die das Sklavenjoch brechen und uns alle unsre Rechte zurückgeben sollte; und ich weiß auch, Ihr dachtet damals ebenso.

Inger. Das war ein sündiger Gedanke, Olaf Skaktavl! Hochmut war es und nicht der Ruf des Herrn, was aus mir sprach.

Olaf. Ihr konntet die Auserkorene sein, wenn Ihr gewollt hättet. Ihr stammtet aus Norwegens edelsten Geschlechtern; Ihr hattet Macht und Reichtum zu erwarten und Ihr hattet ein Ohr für den Klageruf – damals. – – Denkt Ihr jenes Nachmittags noch, da Hendrik Krummedike mit der dänischen Flotte vor Akershus erschien? Die Schiffsherren boten gütlichen Vergleich; und in Vertrauen auf den Geleitbrief ließ Knut Alfsön sich vom Lande rudern. Drei Stunden später trugen wir ihn wieder durchs Schloßtor –

Inger. Als Leiche, als Leiche!

Olaf. Als Krummedikes Spießgesellen ihn erschlugen, da brach Norwegens bestes Herz. Noch mein' ich den langen Zug zu sehen, der kummerschwer und Paar für Paar in den Rittersaal wallte. Da lag Knut Alfsön auf der Bahre, mit dem Axthieb über der Stirn, weiß wie eine Frühlingswolke. Ich darf wohl sagen, daß Norwegens beste Männer in jener Nacht versammelt waren, Frau Margrete stand zu Häupten ihres toten Mannes, und alle, alle schwuren wir, Gut und Blut daran zu setzen, um diese letzte Greueltat und all das Übrige zu rächen. – Inger Gyldenlöve, wer war es, der sich da Bahn brach durch den Kreis der Männer? Eine Jungfrau, – fast noch ein Kind, – mit Feuer im Auge und mit tränenerstickter Stimme. – Was schwur sie? Soll ich Eure Worte wiederholen?

Inger. Ich schwur, was Ihr alle schwurt, – nicht mehr, nicht weniger.

Olaf. Ihr entsinnt Euch Eures Eides – und habt ihn doch vergessen.

Inger. Und wie hielten die andern, was sie gelobt? Ich spreche nicht von Euch, Olaf Skaktavl, aber von Euren Freunden, vom ganzen norwegischen Adel. Nicht ein einziger ist darunter, der in all dieser Zeit den Mut gehabt hätte, ein Mann zu sein; und doch legen sie mir zur Last, daß ich ein Weib bin.

Olaf. Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Warum haben sie sich unterworfen, statt der Gewalt Trotz zu bieten bis aufs Äußerste? Wohl wahr; es ist ein erbärmlich Mark heutzutage in unsern Geschlechtern. Aber hätten sie zusammengehalten – wer weiß, was geschehen wäre! Und Ihr konntet sie zusammenhalten, denn vor Euch hätten sie sich alle gebeugt.

Inger. Ich könnte leicht Euch darauf antworten, aber Ihr würdet die Antwort kaum gelten lassen. Sprechen wir deshalb nicht weiter von Dingen, die nicht zu ändern sind. Sagt mir lieber, was Euch eigentlich nach Oestrot führt. Bedürft Ihr des Schutzes? Wohlan! Ich will Euch zu verbergen suchen. Habt Ihr noch andere Wünsche – sagt es frei! Ihr sollt mich bereit finden –

Olaf. Zwanzig Jahre bin ich heimatlos gewesen. Zwischen den Felswänden von Jämteland ist mein Haar ergraut. Ich habe mit Wölfen und Bären gehaust. Ihr seht, Frau Inger, – ich bedarf Eurer nicht; wohl aber der Adel und das gemeine Volk.

Inger. Das alte Lied!

Olaf. Ja, ich weiß wohl, es klingt häßlich Euren Ohren, aber Ihr sollt es dennoch hören. Kurz und gut: ich komme von Schweden. Da gärt es. In Dalekarlien soll es losgehen.

Inger. Ich weiß es.

Olaf. Der Kanzler Peter ist im Bunde, doch – Ihr versteht – nur heimlich.

Inger stutzt. Wie?

Olaf. Er war's, der mich nach Oestrot gesandt hat.

Inger steht auf. Der Kanzler Peter, sagt Ihr?

Olaf. Er selbst; – oder kennt Ihr ihn vielleicht nicht mehr?

Inger halb für sich. Nur allzugut. – – Doch sagt mir, ich bitte Euch, – welche Botschaft bringt Ihr?

Olaf. Als das Gerücht vom Unfrieden bis ins Grenzgebirge drang, wo ich mich verborgen hielt, brach ich unverweilt nach Schweden auf. Ich konnte mir denken, daß der Kanzler seine Hand im Spiele hat. Ich suchte ihn auf und bot ihm meinen Beistand an, – er hat mich in frühern Zeiten gekannt, wie Ihr wißt. Er wußte, daß man auf mich bauen kann – und so sandte er mich hierher.

Inger ungeduldig. Gewiß, gewiß – er sandte Euch her, um –?

Olaf geheimnisvoll. Frau Inger, – ein Fremder kommt diese Nacht nach Oestrot.

Inger überrascht. Wie? Ihr wißt, daß –

Olaf. Und warum nicht? Ich weiß alles. Ich wurde ja vom Kanzler hergesandt; um ihm zu begegnen.

Inger. Ihm? Unmöglich, Olaf Skaktavl, – unmöglich!

Olaf. Wie ich Euch sage. Wenn er nicht schon da ist, so wird es doch nicht mehr lange währen –

Inger. Allerdings. Doch –

Olaf. Ihr wart also auf seine Ankunft vorbereitet?

Inger. Ja, gewiß. Er hat mir Kunde gesandt. Deshalb auch wurde Euch auf Euer Pochen sogleich aufgetan.

Olaf lauschend. Horch! Es reitet einer den Weg daher. Er geht zum Fenster. Die Pforte wird aufgetan.

Inger zum Fenster hinausblickend. Ein Ritter und sein Knappe. Sie steigen im Hof ab.

Olaf. Das also ist er. Sein Name?

Inger. Ihr wißt seinen Namen nicht?

Olaf. Der Kanzler weigerte sich, ihn zu nennen. Er sagte nur, daß ich den Abgesandten am dritten Abend nach Martini auf Oestrot treffen werde –

Inger. Richtig – also just heut Abend.

Olaf. Er brächte Briefschaften mit. Aus ihnen und aus seinem eigenen Munde würde ich erfahren, wer er sei.

Inger. So laßt mich Euch nach Eurer Kammer geleiten. Ihr bedürft der Labung und Pflege. Bald sollt Ihr den Fremden sprechen.

Olaf. Nun, wie Ihr wünscht. Sie gehen links ab.

Nach einer kleinen Weile kommt der Schloßdiener Finn vorsichtig durch die Tür rechts, sieht sich im Zimmer um, guckt in den Rittersaal und geht dann wieder nach der Tür zurück, indem er jemand draußen ein Zeichen gibt. Darauf treten Nils Lykke und Jens Bjelke von rechts ein.

Nils Lykke mit gedämpfter Stimme. Niemand?

Finn ebenso. Nein, Herr!

Nils Lykke. Und wir können uns fest auf Dich verlassen in allem und jedem?

Finn. Der Statthalter von Drontheim hat mir stets das Zeugnis gegeben, daß ich zuverlässig bin.

Nils Lykke. Gut, gut; auch mir hat er das gesagt. Nun denn, vor allen Dingen, – ist ein Fremder heut abend nach Oestrot gekommen?

Finn. Ja, vor einer Stunde ist ein Fremder hier angekommen.

Nils Lykke leise zu Jens Bjelke. Er ist hier. Er wendet sich wieder zu Finn. Würdest Du ihn wiedererkennen? Hast Du ihn gesehen?

Finn. Nein. Niemand außer dem Pförtner hat ihn gesehen, soviel ich weiß. Er wurde sogleich zu Frau Inger geführt, und sie –

Nils Lykke. Und sie? Nun? Er ist doch nicht schon wieder fort?

Finn. Nein, – sie wird ihn wohl versteckt halten in einer ihrer eigenen Stuben –

Nils Lykke. Es ist gut.

Jens Bjleke flüstert . Also vor allen Dingen das Tor bewachen; dann haben wir ihn sicher.

Nils Lykke mit einem Lächeln. Hm! Zu Finn: Du, sag' mir, gibt es hier auf dem Schloß noch einen andern Ausgang als durch das Tor? Sieh mich nicht so dumm an! Ich meine, – kann einer ungesehen von Oestrot entkommen, wenn das Burgtor verschlossen ist?

Finn. Ja, das weiß ich nicht. Man spricht zwar von geheimen Gängen unten in den Kellern; aber niemand kennt sie außer Frau Inger selbst – und vielleicht Jungfer Eline.

Jens Bjleke. Verwünscht!

Nils Lykke. Es ist gut. Du kannst gehen.

Finn. Wohl. Solltet Ihr später meiner bedürfen, so braucht Ihr nur an die zweite Tür rechts im Rittersaal zu pochen. Ich werde dann gleich bei der Hand sein.

Nils Lykke. Gut.

Er deutet auf die Tür des Vorflurs; Finn geht hinaus.

Jens Bjleke. Wißt Ihr was, – lieber Freund und Bruder, – das wird ein elender Feldzug für uns zweibeide.

Nils Lykke lächelnd. Ih, nicht für mich, will ich hoffen.

Jens Bjleke. So? Fürs erste bringt's nur wenig Ehre, auf einen so grünen Jungen, wie diesen Nils Sture, Jagd zu machen. – Soll ich ihn nach seinem Vorgehen für klug oder für verrückt halten? Erst stachelt er die Bauern auf, verspricht ihnen seinen Beistand und goldne Berge – und wenn es zum Handeln kommt, läuft er davon und verkriecht sich hinter eine Weiberschürze! – Und dann bereu' ich's überhaupt, offen gestanden, Eurem Rate gefolgt zu sein und nicht meinem eigenen Kopfe.

Nils Lykke leise. Die Reue kommt etwas spät, Herr Bruder!

Jens Bjleke. Denn seht, den Dachs zu graben, das hat mir nie Spaß gemacht. Ich erwartete mir etwas ganz anderes. Ich bin nun mit meinen Reitern von Jämteland aufgebrochen und habe den Brief des Statthalters von Drontheim, daß ich auf den Unruhstifter überall fahnden kann, wo's mir paßt. Alle Spuren deuten darauf hin, daß er sich nach Oestrot schlängelte.

Nils Lykke. Er ist hier! Er ist hier, sag' ich.

Jens Bjleke. Ja, aber was wäre dann natürlicher gewesen, als daß wir das Tor verschlossen und scharf bewacht gefunden hätten? Wär' dem nur so gewesen, dann hätt' ich doch für meine Kriegsknechte Verwendung gehabt –

Nils Lykke. Doch statt dessen öffnet man uns das Tor gar höflich. Paßt auf! Ist Frau Inger wie ihr Ruf, so wird sie es ihren Gästen weder an Speis' noch an Trank mangeln lassen.

Jens Bjleke. Um uns das Mißtrauen zu benehmen, nicht wahr? – Wie konntet Ihr auch den Einfall haben, daß ich meine Leute eine Viertelmeile Weges zurücklassen sollte! Wären wir mit Kriegsmannschaft hergekommen, so –

Nils Lykke. Frau Inger hätte uns deshalb nicht weniger willkommen geheißen. Aber bedenkt, daß unser Besuch in diesem Falle Aufsehen gemacht hätte. Die Bauern ringsum würden darin eine Gewalttat gegen Frau Inger erblickt haben. Sie wäre wieder in der Gunst der Menge gestiegen; – und, seht Ihr, das ist nicht ratsam.

Jens Bjleke. Mag sein. Aber was mach' ich nun –? Graf Sture ist auf Oestrot, sagt Ihr. Ja, was hilft mir das? Frau Inger hat, gleich dem Fuchse, wohl manch geheimen Schlupfwinkel und mehr als einen Ausgang. Hier können wir zwei einzelne Gesellen lange spähen und suchen. Hol' der Teufel die ganze Geschichte!

Nils Lykke. Nun wohl, lieber Herr, – seid Ihr mit der Wendung, die Eure Mission genommen hat, unzufrieden, so überlaßt das Schlachtfeld mir.

Jens Bjleke. Euch? Und was wollt Ihr tun?

Nils Lykke. Klugheit und List bringen hier vielleicht zu stande, was Waffengewalt nicht vermag. – Ehrlich gesprochen, Herr Jens, ich hatte ähnliche Gedanken schon gestern, als wir uns in Drontheim trafen.

Jens Bjleke. Und deshalb habt Ihr mich wohl dazu überredet, mich von meinen Kriegsknechten zu trennen?

Nils Lykke. Sowohl Euer wie mein Geschäft auf Oestrot konnte besser erledigt werden ohne sie; darum –

Jens Bjleke. Hol' Euch dieser und jener – hätt' ich fast gesagt – und mich dazu! Ich konnte ja wissen, daß Euch der Schalk im Nacken sitzt.

Nils Lykke. Ja seht Ihr, der Schalk ist hier sehr am Platze, wenn auf beiden Seiten die Waffen gleich sein sollen. Und ich will Euch nur gestehen, es ist mir von der höchsten Wichtigkeit, mich gut und in aller Stille meines Auftrags zu entledigen. Denn wißt: mein Herr, der König, war mir bei meinem Aufbruch nicht sehr gewogen. Er glaubte seine guten Gründe dafür zu haben, obgleich ich der Ansicht bin, daß ich ihm mehr als einmal nützliche Dienste geleistet habe.

Jens Bjleke. Dies Zeugnis dürft Ihr Euch kecklich ausstellen. Gott und alle Welt weiß, daß Ihr der verschlagenste Teufel in allen drei Reichen seid.

Nils Lykke. Schönen Dank! Aber das will nun gerade nicht viel sagen. Doch was ich hier zu verrichten habe, das halt' ich allerdings für eine Meisterprobe. Denn hier gilt es ein Weib zu überlisten –

Jens Bjleke. Hahaha! In dem Handwerk habt Ihr schon längst Eure Meisterprobe abgelegt, lieber Bruder! Meint Ihr, wir kennen nicht auch in Schweden die Weise:

    »Da seufzt jede Jungfrau in Herzensglut:
    O wäre Nils Lykke mir hold und gut.«

Nils Lykke. Bah! Die Weise gilt nur den Mädchen von zwanzig Jahren und da herum. Aber Frau Inger Gyldenlöve ist bald an die fünfzig und dabei schlau wie keine sonst. Es wird nicht leicht sein, sie klein zu kriegen. Doch es muß geschehen – um jeden Preis! Glückt es mir, dem König gewisse Vorteile über sie zu verschaffen, nach denen er schon lange trachtet, so kann ich darauf rechnen, nächstes Frühjahr mit der Sendung nach Frankreich betraut zu werden. Ihr wißt doch, daß ich volle drei Jahre auf der Hochschule zu Paris gewesen bin? Mein ganzes Sinnen steht danach, wieder einmal dorthin zu kommen, vornehmlich wenn ich in der höchst ansehnlichen Eigenschaft eines königlichen Gesandten auftreten könnte. Also – nicht wahr, – Ihr überlaßt Frau Inger mir? Wißt Ihr noch, wie ich Euch bei Eurem letzten Besuch am Hof zu Kopenhagen mehr als eine junge Schöne willig abtrat –?

Jens Bjleke. Meiner Treu, – der Edelmut war nun gerade nicht so groß. Ihr hattet sie ja doch alle im Sack – aber einerlei! Da ich nun einmal verkehrt zu Werke gegangen bin, so mögt Ihr auch das Weitere auf Euch nehmen. Jedoch, Euer Wort darauf – wird der junge Graf Sture auf Oestrot betroffen, so liefert Ihr ihn aus – tot oder lebendig.

Nils Lykke. Lebendig und leibhaftig sollt Ihr ihn haben. Jedenfalls ist es nicht meine Absicht, ihn ums Leben zu bringen. Aber nun müßt Ihr zu Euren Leuten zurück! Haltet die Landstraße besetzt! Wenn ich irgend etwas Verdächtiges merke, so sollt Ihr unverzüglich Kunde haben.

Jens Bjleke. Gut, gut. Aber wie komm' ich hinaus –?

Nils Lykke. Der Kerl von vorhin wird Euch schon zurechtweisen. Aber in aller Stille –

Jens Bjleke. Versteht sich! – Also – gut Glück!

Nils Lykke. Das Glück hat mich noch nie im Stich gelassen, wenn ich mit Frauen angebunden habe. – Nun beeilt Euch!

Jens Bjelke rechts ab.

Nils Lykke bleibt einen Augenblick stehen, geht ein paar Schritte in der Stube auf und ab, sieht sich um und sagt mit gedämpfter Stimme: So bin ich denn endlich auf Oestrot. Auf diesem alten Herrensitz, von dem ein Kind mir vor zwei Jahren so viel erzählte. – Lucia! Ja, vor zwei Jahren war sie noch ein Kind. Und jetzt – jetzt ist sie tot. Er summt mit einem halben Lächeln: »Blumen bleichen, Blumen welken.« Sieht sich wieder um. Oestrot. Mir ist, als hätte ich dies alles schon früher gesehen, als wär' ich hier zuhause. – Da ist der Rittersaal, und unter mir ist – das Grabgewölbe. Dort liegt wohl auch Lucia. Leiser, halb in ernsthaftem, halb in gezwungen spöttischem Ton: Wär' ich ein furchtsamer Mann, so könnt' ich mir einbilden, sie hätte sich im Sarge umgedreht, als ich meinen Fuß auf Oestrots Schwelle setzte. Als ich über den Burghof schritt, hob sie den Deckel des Schreines, und nun ich ihren Namen nenne, dringt es wie eine beschwörende Stimme in ihre Gruft. – Vielleicht tappt sie jetzt die Treppe herauf. Das Leichentuch hemmt ihren Schritt, aber dennoch tappt sie vorwärts. – Nun ist sie oben im Rittersaale. Nun lehnt sie an der Tür und starrt mich an. Er wirft das Haupt über die Schulter zurück, winkt und ruft laut: Komm näher, Lucia! Plaudre ein wenig mit mir! Deine Mutter läßt mich warten, und Du hast mir so manche langweilige Stunde vertrieben –

Er fährt mit der Hand über die Stirn und geht einige Male auf und ab.

Sieh! Richtig, da ist das tiefe Bogenfenster mit dem Vorhang. Hier pflegte ja Inger Gyldenlöve zu stehen und auf die Landstraße hinauszustarren, als ob sie auf einen wartete, der niemals kommt. Dadrin – er blickt nach der Tür zur Linken – da liegt Schwester Elines Stube. Eline? Ja, Eline ist ihr Name. – Ist es wohl wahr, daß sie so merkwürdig – so klug, so kühn ist, wie mir Lucia sagte? Schön soll sie auch sein. Aber zur Ehefrau – Ich hätte das nicht so ohne weiteres schreiben sollen – – –

Er setzt sich, in Gedanken verloren, an den Tisch, steht aber sogleich wieder auf.

Wie Frau Inger mich wohl aufnehmen wird? – Sie wird das Haus nicht über uns in Brand stecken, wird mich nicht auf eine Falltür locken, noch wird sie mir meuchlings den Dolch – – –

Er lauscht, dem Saal zugewandt.

Aha!

Inger kommt durch die Saaltür und sagt kalt: Ich entbiet' Euch meinen Gruß, Herr Reichsrat, –

Nils Lykke verbeugt sich tief. Ah, – die Frau von Oestrot!

Inger. – und meinen Dank, daß Ihr mich Eure Ankunft wissen ließet.

Nils Lykke. Nicht mehr als meine Schuldigkeit. Ich hatte Grund zu vermuten, daß mein Kommen Euch überraschen würde –

Inger. Fürwahr, Herr Reichsrat, darin habt Ihr Euch nicht geirrt. Nils Lykke als Gast auf Oestrot zu sehen, das hab' ich gewiß am allerwenigsten erwartet.

Nils Lykke. Und wohl noch weniger habt Ihr erwartet, daß er als Freund kommen werde.

Inger. Als Freund? Ihr fügt noch Spott zu all dem Schmerz und Schimpf, den Ihr über meinem Hause aufgetürmt habt? Nachdem Ihr mein Kind mir unter die Erde gebracht habt, wagt Ihr noch –

Nils Lykke. Erlaubt, Frau Inger Gyldenlöve, in diesem Punkte werden wir uns nie einigen; denn Ihr zieht nicht in Betracht, was ich selbst bei diesem unglücklichen Ereignis verloren habe. Meine Absichten waren ehrlich. Ich war meines zügellosen Lebens satt; – zudem war ich ja damals über dreißig Jahre; ich sehnte mich danach, ein gutes und frommes Weib zu finden. Dazu die Aussicht auf das Glück, Euer Schwiegersohn zu werden –

Inger. Hütet Euch, Herr Reichsrat! Was meinem Kinde widerfahren ist, hab' ich, so gut ich's vermochte, zu vertuschen gesucht. Doch glaubt nicht, daß das Verborgne nun auch vergessen sei. Es könnte wohl eine Gelegenheit kommen –

Nils Lykke. Ihr droht mir, Frau Inger? Ich hab' Euch die Hand zur Versöhnung gereicht. Ihr weigert Euch, sie zu ergreifen? Von nun an ist also offene Fehde zwischen uns?

Inger. Ich wüßte nicht, daß es je anders gewesen ist.

Nils Lykke. Von Eurer Seite vielleicht. Ich war niemals Euer Widersacher, – obgleich ich als Untertan des Königs von Dänemark triftigen Grund dazu hätte.

Inger. Ich versteh' Euch. Ich bin nicht fügsam genug gewesen; es ist nicht so glatt gegangen, wie man wünschte, da man mich ins andere Lager hinüberzuziehen suchte. – Und doch scheint mir, Ihr hättet Euch nicht zu beklagen. Der Gatte meiner Tochter Merete ist Euer Landsmann. Weiter kann ich nicht gehen. Meine Stellung ist schwierig, Nils Lykke!

Nils Lykke. Das begreife ich vollkommen. Der Adel und das gemeine Volk in Norwegen glauben ja einen alten Anspruch auf Euch zu haben – einen Anspruch, den Ihr, wie man sagt, nur halb und halb erfüllt habt.

Inger. Verzeiht, Herr Reichsrat, – für meine Taten steh' ich keinem Rede als Gott und mir selbst. Und drum, wenn es Euch beliebt, so laßt mich wissen, was Euch herführt.

Nils Lykke. Sofort, Frau Inger. Der Zweck meiner Sendung kann Euch wohl nicht unbekannt sein –?

Inger. Ich kenne die Aufträge, mit denen man Euch gewöhnlich bedenkt. Unserm König ist es von Wichtigkeit zu erfahren, wessen er sich vom nordischen Adel zu versehen hat.

Nils Lykke. Allerdings.

Inger. Also deshalb seid Ihr nach Oestrot gekommen?

Nils Lykke. Zum Teil deshalb. Doch komme ich keineswegs, um irgend eine mündliche Versicherung von Euch zu begehren –

Inger. Was denn?

Nils Lykke. Hört mich, Frau Inger: Ihr sagtet eben selbst, daß Eure Stellung schwierig ist. Ihr steht zwischen zwei feindlichen Lagern, die beide sich nur halb auf Euch zu verlassen wagen. Euer eigener Vorteil muß Euch notwendigerweise an uns knüpfen; an die Mißvergnügten dagegen bindet Euch die Landsmannschaft und – wer weiß – vielleicht noch eine andere geheime Fessel.

Inger leise. Geheime Fessel? Barmherziger! Sollte er –

Nils Lykke gewahrt ihre Erregung, läßt es sich aber nicht merken und fügt ungezwungen hinzu: Ihr seht gewiß selbst ein, daß Ihr Eure Stellung auf die Dauer nicht behaupten werdet. – Gesetzt nun, es stünde in meiner Macht, Euch aus dieser Lage zu befreien –?

Inger. In Eurer Macht, sagt Ihr?

Nils Lykke. Vor allen Dingen muß ich Euch bitten, Frau Inger, kein Gewicht auf die leichtfertigen Worte zu legen, womit ich vorhin das berührt haben könnte, was zwischen uns liegt. Glaubt nicht, daß ich einen Augenblick aus dem Gedächtnis verloren hätte, in welcher Schuld ich bei Euch stehe. Doch, wenn es nun längst meine Absicht gewesen wäre, nach Möglichkeit wieder gut zu machen, was ich verbrochen habe? Wenn ich zu diesem Zweck mir die Sendung nach Oestrot übertragen ließ?

Inger. Erklärt Euch deutlicher, Herr Reichsrat! Jetzt versteh' ich Euch nicht.

Nils Lykke. Ich irre vielleicht nicht, wenn ich annehme, daß Ihr, so gut wie ich, von den Unruhen unterrichtet seid, die in Schweden loszubrechen drohen. Ihr wißt oder Ihr ahnt wenigstens, daß diese Unruhen eine größere Bedeutung haben, als man ihnen allgemein beilegt. Und Ihr werdet daher begreifen, daß unser König nicht ruhig zusehen kann, wie die Dinge ihren Lauf nehmen. Nicht wahr?

Inger. Fahrt fort.

Nils Lykke forschend, nach einer kleinen Pause. Ein Fall ist denkbar, der Gustav Wasas Thron gefährden könnte –

Inger leise. Worauf will er hinaus?

Nils Lykke. – der Fall nämlich, daß sich in Schweden ein Mann fände, der auf Grund seiner Geburt Anspruch darauf hätte, zum Lenker des Volks erkoren zu werden.

Inger ausweichend. Der Adel in Schweden ward ebenso blutig zusammengemäht wie der unsere, Herr Reichsrat! Wo wolltet Ihr wohl suchen –?

Nils Lykke lächelnd. Suchen? Der Mann ist schon gefunden –

Inger fährt zusammen. Ah! Er ist gefunden?

Nils Lykke. – und steht Euch zu nah, edle Frau, als daß Eure Gedanken nicht auf ihn fallen sollten. Blickt sie scharf an. Der verstorbene Graf Sture hinterließ einen Sohn –

Inger mit einem Schrei. Barmherziger Himmel! Woher wißt Ihr –?

Nils Lykke stutzt. Faßt Euch, edle Frau, und laßt mich zu Ende reden. – Dieser junge Mann lebte bis jetzt ruhig bei seiner Mutter, der Witwe Sten Stures.

Inger atmet wieder freier. Bei –? Ach ja, – ja gewiß!

Nils Lykke. Jetzt dagegen ist er offen hervorgetreten. Er ist erschienen als der Führer der Bauern in Dalekarlien. Ihre Zahl wächst von Tag zu Tage; und, – wie Ihr vielleicht wißt, finden sie auch diesseits der Berge Freunde unter der Menge.

Inger, die sich inzwischen gefaßt hat. Herr Reichsrat! Ihr tut aller dieser Begebenheiten Erwähnung in der festen Zuversicht, daß sie mir bekannt sind. Welchen Grund habe ich Euch gegeben, dergleichen zu vermuten? Ich weiß von nichts und will von nichts wissen. Mein Wunsch ist, ruhig zu leben auf meiner eigenen Scholle. Ich leihe den Unruhstiftern nicht meinen Beistand; aber zählt auch nicht auf mich, wenn Ihr im Sinne habt, sie niederzuhalten.

Nils Lykke mit gedämpfter Stimme. Würdet Ihr auch untätig bleiben, wenn ich die Absicht hätte, ihnen beizustehen?

Inger. Wie soll ich Euch verstehen?

Nils Lykke. Ihr habt also nicht begriffen, auf was ich die ganze Zeit hingezielt habe? – Nun wohl, – so will ich Euch alles frei und ehrlich sagen. Wisset denn, daß der König und seine Räte vollkommen eingesehen haben, wie sie auf die Dauer nicht festen Fuß in Norwegen fassen können, wenn Edle und Gemeine fortfahren, sich für benachteiligt und unterdrückt zu halten. Wir begreifen sehr wohl, daß willige Bundesgenossen besser sind als gezwungene Untertanen, und wünschen daher nichts sehnlicher, als die Bande zu lösen, die uns ja im Grunde ebenso lästig sind wie Euch. Aber Ihr seht auch gewiß ein, daß der Norweger Gesinnung gegen uns einen solchen Schritt recht bedenklich macht – solange wir nicht eine sichere Stütze im Rücken haben.

Inger. Und diese Stütze –?

Nils Lykke. Diese Stütze ist zunächst in Schweden zu suchen. Aber, wohlbedacht, nicht, solange Gustav Wasa am Ruder ist; denn seine Rechnung mit Dänemark ist noch nicht beglichen und wird es auch nie werden. Ein neuer schwedischer König dagegen, der das Volk auf seiner Seite hätte, und der seine Krone dem Beistand Dänemarks verdankte – – Na, fangt Ihr an, mich zu begreifen? – Dann könnten wir unbesorgt zu Euch Norwegern sagen: »Nehmt Eure alten, vererbten Rechte wieder; wählt Euch einen Führer nach Eurem Sinne; seid unsre Freunde in der Not, wie wir die Euren sind.« – Beachtet wohl, Frau Inger, daß dieser Edelmut eigentlich nicht so groß ist, wie es vielleicht scheinen mag. Denn Ihr werdet selbst einsehen, daß wir dadurch nicht nur nicht geschwächt werden, sondern im Gegenteil dabei gewinnen. – Und da ich nun offenherzig mit Euch gesprochen habe, so laßt auch Ihr jedes Mißtrauen fahren. Also – Bestimmt: Der Rittersmann aus Schweden, der eine Stunde vor mir hier eingetroffen ist –

Inger. Ihr wißt es also schon?

Nils Lykke. Allerdings –. Ihn such' ich ja.

Inger für sich. Seltsam! Also doch, wie Olaf Skaktavl sagte! Zu Nils Lykke: Ich bitt' Euch, hier zu warten, Herr Reichsrat! Ich gehe, ihn Euch zuzuführen.

Ab durch den Rittersaal.

Nils Lykke blickt ihr eine Weile mit höhnischem Erstaunen nach. Sie holt ihn! Ja, wahrhaftig – sie holt ihn! Der Kampf ist halb gewonnen. Daß es so leicht gehen würde, hätt' ich mir nicht gedacht. – Sie ist im Einverständnis mit den Unruhstiftern – durchaus. Sie fuhr zusammen vor Schreck, als ich den Sohn Sten Stures nannte. – Was nun? – Hm! Ist Frau Inger leichtgläubig in die Falle gegangen, so wird Nils Sture nicht viel Schwierigkeiten machen. Ein junges Blut ohne alle Besonnenheit und Überlegung – –. Mit meinem Versprechen, ihm beizustehen, zieht er von dannen. Unglücklicherweise fängt ihn Jens Bjelke am Wege ab, – und der ganze Anschlag ist vereitelt. – Und dann? – Noch einen Schritt weiter, uns selbst zum Frommen. Man sprengt aus, daß der junge Graf Sture auf Oestrot gewesen ist, daß ein dänischer Gesandter eine Zusammenkunft mit Frau Inger gehabt hat, daß infolge hiervon Junker Nils keine hundert Schritte vom Schlosse durch König Gustavs Kriegsknechte abgefangen wurde. – – Frau Gyldenlöves Ansehen beim Volke mag noch so groß sein, – gegen einen solchen Stoß wird es sich schwer behaupten können. – Fährt plötzlich unruhig auf. Alle Wetter –! Wenn Frau Inger Unrat gewittert hätte! Vielleicht entschlüpft er uns in diesem Augenblick unter den Händen. Beruhigt, indem er nach dem Saal hin lauscht. Ach, es hat keine Not. Da kommen sie. Inger kommt aus dem Saal, von Olaf Skaktavl begleitet.

Inger zu Nils Lykke. Hier bring' ich, den Ihr erwartet.

Nils Lykke leise. Tod und Teufel. – Was soll das heißen?

Inger. Ich habe diesem Rittersmann Euren Namen gesagt und was Ihr mir mitgeteilt habt –

Nils Lykke unschlüssig. So? Ja so? Nun, ja –

Inger. – und ich will Euch nicht verhehlen, daß sein Vertrauen auf Euern Beistand nicht gerade groß ist.

Nils Lykke. Nicht?

Inger. Kann Euch das wundern? Ihr kennt ja doch seine Gesinnung und sein schweres Schicksal.

Nils Lykke. Dieses Mannes –? – Nun ja, – gewiß –

Olaf zu Nils Lykke. Nachdem aber der Kanzler Peter selbst uns zu dieser Zusammenkunft geladen hat –

Nils Lykke. Der Kanzler –? Er faßt sich schnell. Ja, freilich! Ich habe eine Botschaft vom Kanzler –

Olaf. Und er muß ja am besten wissen, wem er trauen darf. Ich will mir deshalb nicht den Kopf zerbrechen mit Grübeleien, wieso –

Nils Lykke. Nein, so ist's recht, lieber Herr; nur das nicht!

Olaf. Lieber gleich zur Sache –

Nils Lykke. Gleich zur Sache, ohne Umschweife; – das ist stets meine Art.

Olaf. Und wollt Ihr mir jetzt Euern Auftrag nennen?

Nils Lykke. Meinen Auftrag könnt Ihr so ungefähr erraten –

Olaf. Der Kanzler sprach von Papieren, die –

Nils Lykke. Von Papieren? Ganz recht, von Papieren!

Olaf. Ihr habt sie wohl bei Euch?

Nils Lykke. Natürlich; gut verwahrt, fast zu gut, um sie so schnell – Er greift in sein Wams, als ob er etwas suche, und sagt leise: Wer zum Teufel mag das sein? Was beginn' ich nur? Hier sind vielleicht große Entdeckungen zu machen – Er bemerkt, daß die Diener den Tisch im Rittersaale decken und die Lampen anzünden, und sagt zu Olaf: Ah, ich sehe, Frau Inger läßt das Nachtmahl anrichten. Bei Tische könnten wir wohl besser von unseren Angelegenheiten sprechen.

Olaf. Gut, – wie es Euch gefällt.

Nils Lykke leise: Zeit gewonnen, – Spiel gewonnen. Mit großer Liebenswürdigkeit zu Inger: Und mittlerweile werden wir erfahren, auf welche Weise sich Frau Inger an dieser Sache zu beteiligen gedenkt.

Inger. Ich? – Gar nicht.

Olaf und Nils Lykke. Gar nicht?

Inger. Ihr wundert Euch, edle Herren, daß ich mich von einem Spiele fern halte, bei dem alles zu verlieren ist? Um so mehr, als nicht einmal meine Bundesgenossen mir ganz zu trauen wagen.

Nils Lykke. Dieser Vorwurf trifft mich nicht. Ich vertrau' Euch blindlings, des seid bitte versichert.

Olaf. Wer dürfte auf Euch bauen, wenn nicht Eure Landsleute?

Inger. Wahrhaftig – dieses Vertrauen freut mich. Sie geht nach einem Schrank im Hintergrund und füllt zwei Becher mit Wein.

Nils Lykke leise. Verdammt! Wenn sie sich aus der Schlinge zöge!

Inger reicht jedem einen Becher. Und weil dem so ist, so biet' ich mit einem Becher Euch Willkomm auf Oestrot. Trinkt, edle Ritter, bis auf die Neige! Sie betrachtet sie abwechselnd und sagt, nachdem sie getrunken haben, ernst: Und nun sollt Ihr wissen: der eine Becher enthielt den Willkommgruß für meinen Freund, der andre – den Tod für meinen Feind!

Nils Lykke schleudert den Becher fort. Weh mir! Ich bin vergiftet!

Olaf zu gleicher Zeit, indem er nach dem Schwert greift. Tod und Teufel! Habt Ihr mich gemordet?

Inger lachend zu Olaf, indem sie auf Nils Lykke zeigt. Das ist das Vertrauen der Dänen zu Inger Gyldenlöve – zu Nils Lykke, indem sie auf Olaf deutet: und so bauen meine Landsleute auf mich! Zu beiden: Und dabei sollte ich mich in Eure Gewalt begeben! – Sachte, edle Herren, – sachte! Die Frau von Oestrot hat noch ihren vollen Verstand.

Eline kommt durch die Tür links. Welch lauter Lärm –. Was ist los?

Inger zu Nils Lykke. Meine Tochter Eline.

Nils Lykke leise. Eline! So hatt' ich sie mir nicht vorgestellt. Eline bemerkt Nils Lykke und bleibt überrascht stehen, während sie ihn betrachtet.

Inger berührt Elinens Arm. Mein Kind, – dieser Ritter ist –

Eline macht eine abwehrende Bewegung mit der Hand, indem sie ihn unverwandt betrachtet, und sagt: Bemüht Euch nicht! Ich sehe, wie er heißt. Es ist Nils Lykke.

Nils Lykke leise zu Inger. Wie? Sie kennt mich? Sollte Lucia –? Sollte sie wissen –?

Inger. Still! Sie weiß nichts!

Eline für sich. Ich wußt' es; – so mußte Nils Lykke aussehen.

Nils Lykke nähert sich. Nun wohl, Eline Gyldenlöve, – Ihr habt richtig geraten. Und da ich Euch denn hiemit bekannt und überdies der Gast Eurer Mutter bin, – so werdet Ihr mir die Blumen nicht versagen, die Ihr an Eurem Busen tragt. Solange sie frisch sind und duften, will ich in ihnen ein Abbild Eurer selbst verehren.

Eline stolz, doch noch immer unverwandt den Blick auf ihn heftend. Mit Verlaub, Herr Ritter, – sie sind in meiner eignen Kammer gepflückt; und da wachsen keine Blumen für Euch.

Nils Lykke, indem er einen Strauß nimmt, den er selbst am Wams stecken hat. Ah, – so werdet Ihr aber doch diese geringe Gabe nicht verschmähen. Eine Frau vom Hofe reichte sie mir zum Abschied, als ich heut morgen von Drontheim zog. – Bedenket, edles Fräulein; wollt' ich Euch eine Gabe bieten, die Eurer ganz würdig wäre, so müßt' es eine Fürstenkrone sein.

Eline, die willenlos die Blumen genommen hat. Und wär' es selbst Dänemarks Königskrone, die Ihr mir reichtet, – eh' ich sie mit Euch teilte – eh' zertrümmert' ich sie mit diesen Händen und würfe sie Euch in Stücken vor die Füße! Sie wirft die Blumen ihm vor die Füße und geht ab in den Rittersaal.

Olaf murmelt vor sich hin. Keck, – wie Otto Römers Tochter an Knut Alfsons Bahre.

Inger leise, nachdem sie abwechselnd Eline und Nils Lykke betrachtet hat. Der Wolf kann gezähmt werden. Nun gilt's die Kette fertig zu schmieden.

Nils Lykke, der die Blumen aufnimmt und Eline entzückt nachsieht. Bei Christi Blut, – wie ist sie stolz und schön!


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